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«Ein Affe im Purpur» Eine körpergeschichtliche Betrachtung von Kaiser Julians Herrschaft Masterarbeit von Michael Stadler E-Mail: michael.stadler@students.unibe.ch Matrikel-Nr.: 13-124-458 Betreut durch Prof. Dr. Jan B. Meister Universität Bern Historisches Institut Abteilung für Alte Geschichte & Rezeptionsgeschichte der Antike 2021 Inhaltsverzeichnis Einleitung ................................................................................................................................................. 3 Thema und Fragestellung .................................................................................................................... 5 Die Quellen .......................................................................................................................................... 7 I. Methodik und Terminologie .......................................................................................................... 12 Antike Körper .................................................................................................................................... 13 Habitus .............................................................................................................................................. 15 Interaktionsräume und Akzeptanzgruppen ...................................................................................... 23 Kaiserbilder ........................................................................................................................................ 26 II. Julians Philosophen-Herrscherkörper ........................................................................................... 31 «Eine Doppelnatur voll Widerstreit»: Körper und Seele in Julians Neuplatonismus ........................ 32 Vor- und Gegenbilder ........................................................................................................................ 46 Zwischenfazit ..................................................................................................................................... 50 III. Der «Barthasser» ....................................................................................................................... 51 Aufstellungskontext........................................................................................................................... 51 Moderne Urteile ................................................................................................................................ 53 Textanalyse ........................................................................................................................................ 56 Antike Reaktionen auf den Misopogon ............................................................................................. 76 Der Misopogon im Kontext der Kalenden ......................................................................................... 79 Zwischenfazit ..................................................................................................................................... 83 IV. Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis .............................................................. 85 Schriftliche Porträts: Julians Aussehen in der literarischen Tradition............................................... 85 Ein Affe und ein Ziegenbock: Spott auf Julian ................................................................................... 94 Die vielen Gesichter Julians ............................................................................................................. 106 Zwischenfazit ................................................................................................................................... 128 V. Das spätantike Kaiserzeremoniell ............................................................................................... 129 Orientalismus-Diskurse in der Tetrarchie........................................................................................ 130 1 Unnahbare Herrscher ...................................................................................................................... 132 Der spätantike Adventus ................................................................................................................. 135 «tamquam figmentum hominis»: Der Adventus des Constantius II. in Rom .................................. 139 Kaiserliche Statuen und statueske Kaiser........................................................................................ 145 Zwischenfazit ................................................................................................................................... 150 VI. Des Kaisers neue Kleider ......................................................................................................... 152 Die Körper des Princeps .................................................................................................................. 152 Ein bärtiger Kaiser in einem «Zeitalter der Glattrasur»? ................................................................ 158 Kontrastprogramm Julian ................................................................................................................ 160 Schluss ................................................................................................................................................. 164 Quellenverzeichnis .............................................................................................................................. 167 Quelleneditionen ............................................................................................................................. 167 Bibliographie ................................................................................................................................... 170 Abbildungsverzeichnis ..................................................................................................................... 175 2 Einleitung «Vor vielen Jahren lebte ein Kaiser, der schöne neue Kleider so ungeheuer gern hatte, dass er all sein Geld ausgab, um recht geputzt zu sein. Er machte sich nichts aus seinen Soldaten, machte sich auch nichts aus dem Theater und nichts daraus, in den Wald hinauszufahren ausser, um seine neuen Kleider zu zeigen. Er hatte ein Kleid für jede Stunde des Tages, und ebenso wie man von einem König sagt, er sei im Rate, sagte man hier immer: ‹Der Kaiser ist im Kleiderschrank!›» 1 So beginnt Hans Christian Andersen sein bekanntes Kunstmärchen Des Kaisers neue Kleider. Er lehrt darin seine kleinen und grossen Leserinnen und Leser, dass hinter der Fassade, hinter dem Prunk der schönen Kleidung des Kaisers und seinem prächtigen Zeremoniell nichts weiter steckt als ein Mensch. Das Märchen lehrt auch, dass Äusserlichkeiten manchmal nichts weiter als soziale Konventionen sind – ein Spiel, das alle mitspielen – und dass eine Situation ganz schnell ins Komische abgleiten kann, wenn jemand die Illusion dieses Spiels offenbart. Der Kennerin und dem Kenner des römischen Kaisertums werden gewisse Assoziationen mit dem prunkvoll ausgestalteten Kaiserzeremoniell des späten 3. und 4. Jahrhunderts n. Chr. nicht allzu fern sein. In dieser Zeit, die aus den Wirren der Soldatenkaiserzeit hervorging, erreichte die Ausgestaltung der kaiserlichen Repräsentation in vielerlei Sicht neue Höhepunkte. Die Idee, dass hinter dem erhabenen, ja gottgleichen Auftreten mancher spätantiken Kaiser, hinter den vielen Schichten von Prunk, Performanz und Entourage, irgendwo ein (allzu) menschlicher Körper steckte, war jedoch manchen zeitgenössischen Autoren nicht fremd. Als Kaiser Constantius II. am 28. April 357 in Rom einzog, war das – wie immer bei einem kaiserlichen Einzug – ein aussergewöhnliches Ereignis. Der spätantike Geschichtsschreiber Ammianus Marcellinus (im Folgenden Ammian) hielt das Spektakel in eindrücklicher Weise für die Nachwelt fest. 2 Er beschreibt den Kaiser als vollkommen unbewegt, «wie ein menschliches Standbild»; er drehte sich nicht, spuckte nicht, rieb sich weder die Nase, noch bewegte er auch nur eine Hand. Auch an anderen Stellen in seinem Geschichtswerk verweist Ammian auf das unnatürlich anmutende, statueske Auftreten des Kaisers, der in der Öffentlichkeit niemals schnäuzte, auf den Boden spuckte oder auch nur das Gesicht hin- oder her wandte. 3 Das der Herrscher des Römischen Reichs nicht einfach vor seinen Bewunderern auf den Boden spuckte, mag auf den ersten Blick nicht weiter verwundern. Dennoch bedarf die Art und Weise, wie Constantius seinen Körper in der Öffentlichkeit inszenierte, einer Erklärung: Starr, unbe- 1 ANDERSEN o. J. (Gesammelte Märchen), 151. Amm. 16,10,9–11. 3 Amm. 21,16,7. 2 3 Einleitung weglich, mit teilnahmslosem Blick in die Ferne – nicht mehr weit entfernt von den tatsächlich steinernen oder bronzenen Porträts des Kaisers. 4 Es scheint fast so, als würde der Kaiser versuchen, seine eigenen Bildnisse nachzuahmen, anstatt umgekehrt. Freilich wusste der Historiker Ammian diesen statuesken Körper des Kaisers zu lesen, indem er ihn als Ausdruck eines erhabenen kaiserlichen Gleichmuts interpretierte. Zur gleichen Zeit erntete ein junger Caesar, der letzte überlebende Verwandte des Constantius, der für ihn grosse Erfolge im Kampf gegen Barbareneinfälle in Gallien erzielte, für sein Aussehen nur Spott. Ammian überliefert uns die boshafte Polemik am Hofe des Constantius: Als Ziegenbock statt Mensch, als struppiger Maulwurf und als Affen im Purpur wurde er von seinen Feinden am Hof bezeichnet. 5 Sein Name war Flavius Claudius Iulianus. Nur fünf Jahre später ist eben dieser junge Mann der neue Alleinherrscher des Römischen Reichs. Doch dieser erwies sich schnell als bemerkenswert andersartig als seine Vorgänger: Kaiser Julian war ein bewegter Herrscher, unruhig in seinen Bewegungen; er hielt öffentliche Reden, setzte sich unter die Senatoren, ging zu Fuss durch die Strassen, küsste und umarmte seine Freunde in aller Öffentlichkeit. Für die Bewohner des Römischen Reichs, insbesondere der Städte Konstantinopel und Antiochia, die eben noch mit dem unbeweglichen, unnahbaren, entrückten Kaiser Constantius zu tun hatten, war dieser Kaiser ein starkes Kontrastprogramm zu der Zeit davor. Julian wollte kein «Kaiser im Kleiderschrank» sein, sondern ein «Kaiser im Rate». Doch Julians Verhalten im Senat von Konstantinopel, sein Auftritt in der curia und den Strassen Antiochias, ja nur schon sein äusseres Erscheinungsbild stiessen auf starke Ablehnung bei seinen Untergebenen. Man erachtete sein Aussehen und Verhalten als eines Herrschers nicht würdig. Gerade die Bevölkerung Antiochias hatte ihre liebe Mühe mit dem neuen Kaiser. Nicht nur sein Verhalten, sondern auch das äussere Erscheinungsbild Julians entsprachen nicht dem althergebrachten kaiserlichen Habitus. Ein langer Bart, lange Haare und tintengeschwärzte Finger kontrastierten in jeglicher Hinsicht mit seinen glattrasierten Vorgängern. So erntete der junge Kaiser, statt Lob für seine tugendhafte, asketische Haltung, für seine als unkultiviert wahrgenommene Lebensweise vor allem Verachtung. Gemeine Spottverse wurden über den «elenden Bart und seinen Träger» verfasst; diese trieben den Kaiser schliesslich so weit, ein Werk mit dem Titel «Der Barthasser» zu verfassen und zu veröffentlichten. Darin entschuldigt sich der Kaiser auf ironische Art und Weise für sein groteskes Auftreten, und fängt dabei gleich bei seinem Gesicht an: Er könne verstehen, dass sein läuseverseuchtes Dickicht von Bart nicht gut ankomme; es hindere ihn ja sogar beim Essen und Küssen, und verschlimmere sein ohnehin schon nicht besonders schönes Gesicht. 6 4 Siehe Abb. 8. Amm. 17,11,1. 6 Iul. or. 12 (mis.), 338 B–C. 5 4 Einleitung Der «Barthasser», den Julian wohl zähneknirschend kurz vor seiner Abreise aus der ihm so wenig geneigten Stadt verfasst hatte, ist nicht nur eines der überaus seltenen Selbstzeugnisse eines römischen Kaisers, sondern auch eine der wohl ungewöhnlichsten Schriften des Altertums überhaupt. Auf eine nie dagewesene Weise verspottet sich der Weltherrscher darin selbst. Kein Kaiser, weder vor noch nach Julian, produzierte je ein vergleichbares Selbstzeugnis. Dies sollte aber der letzte grössere Skandal Julians bleiben, denn der Kaiser kehrte aus seinem Perserfeldzug nie mehr zurück. So bliebt Julian der Nachwelt schliesslich als bärtiger und bewegter Kaiser in Erinnerung, der nicht richtig in das zeitgenössische Bild eines Monarchen passen wollte. Die Bevölkerung des Römischen Reichs war an ein anderes kaiserliches Auftreten, an einen anderen Herrscherkörper gewöhnt. Thema und Fragestellung Der Körper des Monarchen ist ein besonderer Körper, denn er verkörpert auch die Monarchie als Institution. Dies hat bereits Ernst Kantorowicz in seiner Studie «The King’s Two Bodies» eindrücklich dargelegt. 7 Ein Spezifikum monarchischer Körper ist es, dass sie nicht allein auftreten, sondern in ein spezielles Zeremoniell eingebettet sind, welches die Sichtbarkeit des Herrschers, seine Entourage und im Normalfall eine gewisse Menge an Pomp und Luxus umschliesst. Doch bei genauer Betrachtung zeigen sich in unterschiedlichen Epochen und kulturellen Kontexten substanzielle Unterschiede im Verständnis dessen, was den Körper eines Herrschers oder einer Herrscherin ausmacht. Diese Vorstellungen verweisen auf unterschiedliche Konzeptionen von Herrschaft oder der Monarchie als Institution. Die vorliegende Arbeit reiht sich in das Forschungsfeld der antiken Körpergeschichte, speziell antiker Herrscherkörper, ein. Unterdessen liegen auch für die römische Antike einige wenige Studien vor, die sich mit dem Körper des Princeps auseinandersetzen. Doch insbesondere für spätantike Herrscher sind körperhistorische Untersuchungen bisher grösstenteils ausgeblieben. Das frühe Prinzipat zeichnete sich unter anderem dadurch aus, dass man nicht auf eine lange monarchische Tradition zurückblicken konnte und somit Möglichkeiten für neue Traditionsbildungen bestanden; hingegen konnte die spätantike römische Monarchie bereits auf eine solche zurückgreifen. Freilich war die Institutionalisierung der Kaiserherrschaft auch in der Spätantike noch nicht abgeschlossen. Raum für Experimente war immer noch gegeben. Obwohl die aussergewöhnliche Persönlichkeit Julians, des «letzten paganen Kaisers», bereits in unzähligen Monographien, Sammelbänden und Aufsätzen in beinahe allen Facetten untersucht worden ist und sich auch weiterhin grosser Beliebtheit unter Althistorikern erfreut, wurde der Ansatz, die spezifische Bedeutung des Herrscherkörpers zu untersuchen, noch nie in Bezug auf Kaiser Julian umgesetzt. Dieser Befund ist überraschend, denn eine körpergeschichtliche Herangehensweise an einen in seinem 7 KANTOROWICZ 2016 (The King's Two Bodies [1957]). 5 Einleitung Äusseren und Verhalten so auffälligen Herrschers scheint naheliegend. Dass die wohl berüchtigtste Schrift Julians selbst als «Barthasser» betitelt ist, spricht für sich selbst. Doch gerade die Beschäftigung mit dieser Schrift kam in der Vergangenheit nur selten über die Erstellung eines Psychogramms des Autors, eine Untersuchung als Propagandaschrift oder eine Analyse der literarischen Form hinaus. Julians Bart wurde als kuriose Ausprägung seiner religiösen Gesinnung meistens eher am Rande oder allenfalls in ikonographischen Studien behandelt, die sich zuweilen auf nicht sicher zu identifizierenden Porträtstatuen stützen. Diese Lücke in der althistorischen und körpergeschichtlichen Forschung möchte ich mit der vorliegenden Arbeit füllen. Dabei interessiert mich, was für einen Bezug Julian als Herrscher zu seinem Körper hatte und wie er mit ihm umging, wie dieser Körper von seinen Untergebenen wahrgenommen wurde, und schliesslich, wie sich die Konflikte in einem grösseren Kontext erklären lassen. Konkret werde ich mich in der vorliegenden Arbeit an folgenden drei Leitfragen orientieren: (1) Lässt sich in Julians umfangreichem Gesamtwerk eine theoretische Körperkonzeption fassen? Falls ja: Wie sieht diese aus und wie passt sie in Julians persönliches Weltbild? (2) Wie ging Julian in der Praxis mit seinem Körper um, und welche Reaktionen rief dies in seinem Umfeld, bei seinen Untergebenen und bei seinen Gegnern hervor? (3) Wie reiht sich Julians körperlicher Habitus in den Kontext des spätantiken Kaiserzeremoniells ein – und kann man möglicherweise von einem Scheitern von Julians Herrscherkörper-Konzeption sprechen? Diesen Leitfragen entspricht grob auch die Struktur der vorliegenden Arbeit: Den Beginn macht ein Kapitel, in welchem die gewählte methodische Herangehensweise und die relevante Terminologie geklärt wird. Insbesondere wird darin die Logik der «Herrscherkörper» sowie Pierre Bourdieus’ HabitusTheorie ausgelegt, welche den theoretischen Hintergrund dieser Arbeit bilden. Im zweiten Kapitel beginnt die Quellenarbeit, wobei zuerst anhand der religiös-philosophischen Abhandlungen Julians sein ideales Herrscherbild und seine daraus abgeleitete Körperkonzeption herausdestilliert und in seinem (bzw. dem zeitgenössischen neuplatonischen) Weltbild verortet werden soll. Denn, obwohl Julians religiöse Vorstellungen und seine Religionspolitik explizit nicht im Fokus dieser Arbeit sind, kommt eine Herausarbeitung von Julians Herrscher(körper)-Konzeption natürlich nicht um eine Beschäftigung mit seiner persönlichen Interpretation des Neuplatonismus herum. Julians berühmter Satire, dem «Barthasser» oder Misopogon, wird anschliessend ein eigenes Kapitel gewidmet, da diese Schrift für eine körpergeschichtliche Analyse des Kaisers zentral ist. Der Misopogon bildet die Schnittstelle zwischen Julians Selbstverständnis und den Erwartungen einer städtischen Bevölkerung an ihren Kaiser und fungiert daher, nach der Lektüre seiner philosophischen Texte, als «Reality-Check». Er wird deshalb einer eingehenden Textanalyse unterzogen. Im nächsten Teil folgt ein Sprung von der theoretischen auf eine praktische Ebene, indem andere zeitgenössische Quellen hinzugezogen und auf Hin- 6 Einleitung weise untersucht werden, die auf Julians tatsächliches öffentliches Auftreten schliessen lassen, insbesondere auf die Art und Weise, wie dieses Auftreten von seinen Zeitgenossen gelesen wurde. Dabei wird einerseits die Thematik des Spotts zentral sein, andererseits werden die verschiedenen «Kaiserbilder», die sich in den Quellen manifestierten, untersucht. Im fünften Kapitel wird der thematische Rahmen ausgeweitet und der Kontext des spätantiken Kaiserzeremoniells beleuchtet, mit dem Ziel, die spezifischen Erwartungen der Bevölkerung an das Auftreten und Aussehen des Kaisers herauszuarbeiten und in ihrer Bedeutung und Wichtigkeit für die Herrschaftsakzeptanz zu verstehen. Im finalen Kapitel schliesslich richtet sich der Blick wieder auf Julian und darauf, wie er innerhalb des zeitgenössischen Kaiserzeremoniells zu verorten ist. Die Frage lautet dann, inwiefern Julian in der gegebenen, aber eingeschränkten Bewegungsfreiheit des kaiserlichen Zeremoniells agierte, welche Grenzüberschreitungen es gab und inwiefern Julians Herrscherkörper die Erwartungshaltung seiner Zeitgenossen erfüllte – oder eben nicht. Die Quellen Die jeweiligen Quellen werden an passender Stelle in Detail besprochen. Dennoch soll vorerst ein kurzer Überblick über das für diese Arbeit in Betracht gezogene Quellenmaterial gegeben werden. Die Quellenlage zu Kaiser Julian ist durch ihre zum Teil stark ideologische Färbung nicht unproblematisch. Dem Geschichtsschreiber Ammian als eine der Hauptquellen zu Julian wird in der Forschung zuweilen noch ein sehr objektiver Stil attestiert. Doch allgemein können auch historiographische Werke ebenso stark ideologisch gefärbt sein wie andere Quellen. Auch bei Geschichtsschreibern zeigen sich üblicherweise klare Sympathien und Abneigungen für den einen oder anderen Herrscher, auch wenn diese im Normalfall weniger explizit formuliert werden. Die weiteren Quellen stellen grösstenteils entweder Panegyriken oder intellektuelle und religiöse Invektiven dar, bei denen die Dispositionen des Autors bereits durch die Gattung vorgegeben sind. Diese Tendenzen dringen auch und zuweilen besonders bei denjenigen Quellenstellen durch, die sich mit dem Körper des Herrschers auseinandersetzen. Aufgrund der gattungsbedingten Topoi ist also sicherlich ein kritisches Lesen von Invektiven und Panegyriken nötig. Doch auch ideologisch gefärbte und tendenziöse Quellen können wertvolle Hinweise liefern – vielleicht weniger über den Kaiser selbst, dafür über das spezifische Kaiserbild, das in den jeweiligen Kreisen vorherrschte: Beispielsweise lassen sich aus der Panegyrik Hinweise auf die Art und Weise erschliessen, wie der Kaiser wahrgenommen wurde, indem untersucht wird, welche Aspekte des kaiserlichen Habitus besonders hervorgehoben und in welchen Kategorien kaiserliche Auftritte bewertet wurden. In diesem Sinne kann Panegyrik als ein Modus der Wahrnehmung gesehen werden, der viel 7 Einleitung über zeitgenössische Erwartungen verraten kann, die an den Herrscher herangetragen wurden. 8 Dennoch ist ein unkritischer Vergleich zwischen toposübergreifenden Personenbeschreibungen etwa in einem Panegyrikus und in einem Geschichtswerk, oder gar ein unreflektierter Vergleich einer schriftlichen Beschreibung mit einem rundplastischen oder numismatischen Porträt, unzulässig. Dies gilt insbesondere, wenn durch den Vergleich der «Realismus» eines Porträts überprüft werden soll, wie dies in der älteren Forschung und zuweilen auch in neueren, archäologischen Publikationen geschieht. 9 Die Besonderheit der Quellenlage für Julian ergibt sich durch die ungewöhnliche Tatsache, dass es sich bei Julian um einen Kaiser handelt, der Selbstzeugnisse in relativ grosser Zahl produzierte, die auch grösstenteils erhalten geblieben sind. Julians Zeugnisse lassen sich in verschiedene Kategorien ordnen: Neben der grossen Zahl an Briefen verfasste Julian bereits als Caesar Panegyriken, später als Augustus religiös-philosophische Abhandlungen, die sich in der Form von Götter-Hymnen oder von Invektiven gegen unliebsame zeitgenössische Philosophen oder ganze religiöse Gruppen, insbesondere natürlich das Christentum, äussern können. Einige Briefe Julians haben auch eher den Charakter eines Rundschreibens oder richten sich an ganze Städte oder Organisationen statt Einzelpersonen. Schliesslich verfasste der Kaiser auch Satiren, die sich aufgrund ihres Inhalts und ihrer Form von den anderen Werken des Kaisers noch einmal absetzen. Im Rahmen dieser Arbeit stehen in erster Linie die beiden Götter-Mythen Hymne an König Helios und Hymne an die Göttermutter und die beiden Invektiven Gegen Herakleios und Gegen die ungebildeten Hunde, sowie die Satiren Symposion und ganz besonders der Misopogon im Zentrum. Julians Panegyriken, Briefe und weitere Rundschreiben werden bei Bedarf hinzugezogen. Zu den zeitgenössischen Quellen zu Julian lässt sich feststellen, dass sich beinahe alle an mindestens einem Punkt mit dem Aussehen und den Gebärden des Kaisers befassen. Für die pagane Tradition ist wohl an erster Stelle das epochale Geschichtswerk Ammians zu nennen. Obwohl die ersten 14 Bücher dieses Werkes nicht erhalten ist, sind die Bücher, die Julian betreffen, vollständig überliefert. In diesen nimmt Julian eine zentrale Rolle ein; tatsächlich sind 9 von den 18 überlieferten Büchern auch dem Kaiser gewidmet. Die Reden und Briefe des berühmten antiochenischen Intellektuellen und Rhetors Libanios bilden einen weiteren, massiven Korpus von Texten, die sich mit Libanios’ persönlichem Helden Julian befassen, worunter auch persönliche Korrespondenzen mit dem Kaiser zu finden sind. Neben diesen beiden Werken werden weitere pagane Autoren hinzugezogen, darunter der Panegyrikus 8 In diesem Sinne bereits MACCORMACK 1981 (Art and ceremony in late antiquity), 26: «We are not dealing so much with flattery and eulogy – although this is also the case – as with a trained method of perception.» 9 Dieses Vorgehen zeigte sich bereits bei DELBRUECK 1978 (Spätantike Kaiserporträts [1933]), indem er systematisch die «trockenen, aber anscheinend genauen Signalements» bei den byzantinischen Chronisten Johannes Malalas und Kedrenos Georgios zum Vergleich mit archäologischen Kaiserporträts heranzieht, aber auch neuere Forschung ist von diesem Vorgehen nicht gefeit: So scheint es nach wie vor einen Trend zu geben, Julians Münzbilder undifferenziert zu Vergleichen mit seinen angeblichen Rundplastiken heranzuziehen; siehe dazu generell FLECK 2008 (Die Portraits Julianus Apostatas), 57. 8 Einleitung des Konsuls Claudius Mamertinus, die Historia Augusta und schliesslich auch die teilweise nur fragmentarisch erhaltene Viten, Historien und Brevaria von Eunapios, Aurelius Victor, Eutropius und andere; das chronologische Schlusslicht dieser Gruppe bildet Zosimos. Auf Seiten der christlichen Autoren sind vor allem die zeitgenössischen Invektiven gegen Julian zu nennen, allen voran die «Kampfreden» von Gregor von Nazianz, dazu auch die Lieder des Ephraem des Syrers. Zentral für die christliche Tradition Julians sind ebenfalls christliche Historiographien und Kirchengeschichten, insbesondere diejenigen des Sokrates (Scholatikos) und Sozomenos, dazu noch Theodoret und Philostorg. Zuweilen werden auch nicht-zeitgenössische Quellen, etwa byzantinische Chroniken des 6. (Malalas) und des 12. Jahrhunderts (Zonaras) hinzugezogen. Diese werden aber in erster Linie zum Vergleich oder zur Überprüfung unterschiedlicher Julian-Traditionen genutzt. Neben den literarischen stellen die materiellen Quellen zu Julian einen eigenen Problemkreis dar. Grundsätzlich sollten alle verfügbaren Quellen der kaiserlichen Repräsentation miteinbezogen werden, d.h. auch Rundplastiken, Reliefs, Münzbilder etc. Es versteht sich von selbst, dass für eine körpergeschichtlich ausgelegte Arbeit die Miteinbeziehung materieller Porträts besonders relevant ist. Problematisch wird es aber, wenn der Grossteil der Porträtstatuten nicht mit Sicherheit identifizierbar ist. Tatsächlich sind die rundplastischen Bildnisse Julians in ihrer Identifikation fast durchgehend umstritten. In älteren Publikationen werden viele Bildnisse noch ohne Vorbehalte mit Julian identifiziert, doch die Forschung ist diesbezüglich vorsichtiger geworden. Die Unvereinbarkeit der meisten von Julians angeblichen Bildnissen mit seinen Münzporträts ist bereits früh aufgefallen. In der älteren Forschung wurde dies jedoch zumeist mit einem angeblichen Zerfall der Bildhauerkunst in der Spätantike erklärt. 10 Unterdessen sind jedoch bereits einige früher einhellig mit Julian identifizierten Bildnisse als Fehlzuschreibungen identifiziert worden, so etwa die bekannten Pariser Statuen. Neuere Publikationen zu Julians Ikonographie stellen unterdessen den Grossteil des Korpus an angeblichen Julian-Porträts in Frage. 11 Dies ist für die vorliegende Arbeit problematisch; die Gefahr, dass ein bestimmtes Porträtbild fälschlicherweise mit Julian identifiziert worden ist, und auf dieser falschen Identifikation darauf eine arbeitsrelevante These aufgebaut wird, ist gross (auch wenn die Nichtigkeit der Identifikation vielleicht nie erkannt oder bewiesen werden könnte). Aufgrund dessen wird in dieser Arbeit ein konservativer Ansatz verfolgt, indem nur solche Porträts hinzugezogen werden, die mit absoluter Sicherheit identifiziert werden können. Ich folge dabei der Arbeit von Thorsten Fleck, der eine vollständige Zusammenstellung und eingehende, kritische Überprüfung aller angeblicher Julian-Porträts der 10 11 ALFÖLDI 1978 (Einige Porträts des Kaisers Julian Apostata (1962)), 298 bzw. 299. So etwa FLECK 2008. 9 Einleitung Antike unter Einbezug der jeweiligen Forschungsdiskussion vorgelegt hat. 12 Das Resultat fällt dabei relativ ernüchternd aus: Abgesehen von den Münzen, einigen wenigen Gemmen und einem sasanidischen Felsrelief lassen sich keine Bildnisse zweifellos mit Julian identifizieren. 13 Mit der Unsicherheit der Identifikation eines Grossteils von Julians plastischen Kaiserbildern begründe ich den überwiegenden Fokus dieser Arbeit auf Schriftquellen. Schriftliche Porträts können zweifellos Julian zugeordnet werden – auch wenn die Beschreibungen darin zuweilen genauso unzuverlässig und uneinheitlich sein mögen wie die variantenreichen, angeblichen Julian-Statuen. Während aber für Julian kaum verwertbare plastische Porträts zur Verfügung stehen, sieht dies in Bezug auf seine Vorgänger anders aus: Im Zusammenhang mit der Rekonstruktion des spätantiken kaiserlichen Habitus werden konstantinische Porträtstatuen eine zentrale Rolle spielen. Damit bleiben noch die Münzbilder Julians. Diese weichen jedoch in ihrer Ikonographie zumindest des Kaiserporträts kaum von gängigen Mustern ab; Münzbilder, die Julian als Caesar darstellen sind zuweilen nicht von den Darstellungen etwa seines Bruders Gallus oder seiner Vorgänger im Caesaren-Amt zu unterscheiden. Auf den späteren Münzen Julians ist natürlich die Darstellung des Bartes von besonderem Interesse; anhand der zunehmend länger werdenden Gesichtsbehaarung kann etwa eine «Chronologie des Bartes» erstellt werden. 14 Julians Münzporträts werden auch in den Schriftquellen nicht thematisiert. Spott auf Julians Münzen lässt sich zwar in mehreren Quellen fassen; jedoch handelt es sich dabei immer um das revers der Münzen. Quellen, die sich über Julians äussere Erscheinung mokieren, vergehen sich bemerkenswerterweise nie an seinen Münzbildern. Dies könnte damit zusammenhängen, dass Julian letztlich in seinen Münzbildern an den klassischen Repräsentationsschemata festhält, wie zumindest die frühen Münzen nahelegen. Insgesamt lässt sich in Bezug auf die Münzbilder festhalten, dass der Einheitlichkeit der Ikonographie eine Heterogenität in den Details der physiognomischen Darstellung Julians entgegensteht. Selbst die Gestaltung des Bartes als einzige persönliche Note auf Julians Münzbildern zeigt sich in erheblichen Variationen. Obwohl dies bekannt ist, ist festzustellen, dass sich in der Forschung die häufige Vorgehensweise etabliert hat, sich genau jene Prägungen herauszusuchen, die dem zu untersuchenden (materiellen oder literarischen) Porträt am nächsten kommt. 15 Dies kann freilich nicht das Ziel einer körpergeschichtlichen Arbeit sein. Während Julians Münzbilder aufgrund ihrer Heterogenität auch für die Porträtforschung eher von geringem 12 FLECK 2008. Die handliche Monografie ist die vollständigste Sammlung aller (antiken) Objekte, die in der Forschung als Bildnis Julians identifiziert werden oder worden sind. 13 Ibid., 17. 14 GILLIARD 1964 (Notes on the Coinage of Julian the Apostate), 136. 15 Vgl. die Beispiele bei FLECK 2008, 57; als «geradezu als absurd zu bezeichnen» sei denn auch die zuweilen anzutreffende Methode, auf verschiedene Münzbilder zurückzugreifen, um sich der jeweiligen physiognomischen Charakteristika von Augen-, Nasen- und Mundbildungen «wie Mosaiksteinchen» zu bedienen und sich so nach Belieben ein passendes Münzporträt Julians für Vergleiche zusammenzustellen. 10 Einleitung Wert sind, 16 handelt es sich dabei im Gegensatz zu den rundplastischen Porträts um klar identifizierbare Kaiserbilder. Sie werden deshalb zuweilen als Vergleichsmaterial miteinbezogen. Jedoch würde es den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen, im Detail auf Julians numismatischen Befund einzugehen. 16 So zumindest FLECK 2008, 16. 11 I. Methodik und Terminologie Um in der vorliegenden Untersuchung möglichst präzise arbeiten zu können, müssen vorerst einige zentrale Begriffe geklärt werden. Was das Spezifische an Herrscherkörpern ausmacht, ist dabei noch schneller erklärt als die Frage, was denn ein Körper eigentlich ist, was alles dazugehört und was nicht, schliesslich inwiefern Körper – darunter Herrscherkörper – überhaupt historisch zu fassen sind. Die Frage, was ein Körper ist, ist eine vermeintlich einfach zu beantwortende Frage, welche sich bei genauerer Betrachtung jedoch als ausserordentlich komplex erweist. Der Körper begegnet uns gewissermassen als Paradox: Obwohl jeder zu wissen glaubt, was damit gemeint ist, vermag doch niemand eine Definition zu geben, die über jeden Zweifel erhaben ist. Den zuweilen ambivalenten Bezug, den wir auch heute noch zu unserem Körper haben, zeigt sich in unscheinbaren Formulierungen: Wir haben einen Körper. Doch inwiefern wir einen Körper haben oder ein Körper sind, ist eine philosophische Frage, die das Problem der Trennung vom Subjekt und Körper in sich trägt. Damit erschwert sie bereits eine körpergeschichtliche Arbeit. Eine pragmatische Herangehensweise ist die, sich auf den phänomenologischen Aspekt des physischen Körpers zu beschränken, indem man den Körper als «anthropomorphe Masse» bezeichnet, die mit der Haut als äusserste Grenze endet. Eine solche Definition trägt jedoch der Tatsache keine Rechnung, dass der Körper nicht nur in seiner Masse, sondern auch in seiner Bewegung und in seiner Ausschmückung wahrgenommen wird. Körper üben durch Haltung, Bewegung, Mimik, Stimme und Geruch eine Wirkung auf den Betrachter aus. Auch durch Bekleidung und «Dekoration» des Körpers etwa in Form von Schmuck, Bemalung oder Parfüm kann das Körperbewusstsein über die Haut als Grenze hinausgehen. Lukas Thommen bemerkt einleitend in seinem Handbuch Antike Körpergeschichte, dass «das Bedeutungsfeld des Körpers mit all seinen biologischen und sozialen Implikationen beinahe unermesslich ist», 17 Maren Lorenz spricht von den «schier unendlichen Assoziationsketten» des Körpers. 18 Besonders innerhalb der Humanwissenschaften stösst man seit den 80erJahren des 20. Jahrhunderts auf hitzige, zuweilen durch postmoderne Ideen angeregte Debatten. Die Problematik wird auch mit der Zeit nicht weniger komplex – im Gegenteil: Neue Möglichkeiten in den Bereichen Medizin, Genetik, Bioengineering, aber auch im Bereich der Computertechnologie, der Entkörperung des eigenen Ichs in virtuellen Welten, schliesslich auch der Intelligenz- und Bewusstseinsforschung, stellen fortlaufend alte Tatsachen und Überzeugungen hinsichtlich des Körpers und der Körperlichkeit in Frage. Dies macht ebenfalls die Problematik des Körpers als historisches Forschungsobjekt aus. 17 18 THOMMEN 2007 (Antike Körpergeschichte), 14. LORENZ 2000 (Leibhaftige Vergangenheit), 32. 12 Methodik und Terminologie Antike Körper In ihrem Aufsatz Warum das ganze Theater mit dem Körper? von 1996 bemerkt die Mediävistin Caroline Bynum gleich zu Beginn: «In gewissem Sinn ist es natürlich falsch, ‹den Körper› zum Thema zu machen. ‹Der Körper› ist entweder überhaupt kein eigenes Thema, oder er umfasst so gut wie alle Themen.» 19 In der Geschichtswissenschaft stellt sich seit längerem ganz grundsätzlich die Frage, ob und inwiefern der Körper überhaupt historisches Objekt sein kann. Auf theoretischer Ebene scheint der Körper zwischen zwei Extrempositionen zu oszillieren: Einerseits kann man den Körper als historische Invariante betrachten, «als biologische Grundlage menschlicher Existenz» – in dem Fall hat der Körper als solcher keine Geschichte. Oder man geht davon aus, dass die Wahrnehmung des Körpers rein diskursiv vermittelt ist, da sich die Kategorien, in denen er gedacht wird, laufend ändern. Der Körper hätte damit sehr wohl eine Geschichte. Wie Jan Meister jedoch bemerkt, führt diese Annahme ebenfalls zu einem gravierenden Problem: Folge man dieser Prämisse einer rein diskursiv vermittelten Wahrnehmung und Formung des Körpers, «so wird es de facto unmöglich zu definieren, was der Körper eigentlich ist – der Körper wird zu einem reinen Diskurs, der völlig losgelöst von jeglicher materiellen Essenz funktionieren kann». 20 Maren Lorenz legt den Fokus ihrer Einführung in die Körperge- schichte denn auch auf diesen Gegensatz zwischen «Essentialismus» und «sozialem Konstruktivismus»; sie beschreibt diese beiden Positionen aber nicht als einheitliche Lager, sondern als idealtypische Pole auf einem ganzen Spektrum von Körperkonzeptionen. Der Gegensatz der unterschiedlichen Ansätze entspreche auch dem «epistemologischen science war um Moderne versus Postmoderne» oder sogar der alten philosophischen Debatte um «Natur» und «Kultur», womit immer auch spezifische Vorstellungen über Geschlecht und Geschlechter-Rollen verbunden seien. Lorenz selbst kritisiert beide Konzepte, die auch unter der Begrifflichkeit «Realismus» versus «Nominalismus» auftreten, als Extrempositionen. Pathologisierung der Abweichungen von der Norm und normative Rigidität einerseits, die Postulierung von «anything goes» und das Verschwinden aller Realität und Materialität anderseits seien die Risiken dieser Polarisierung und erklärten die ungewöhnliche Emotionalität der Debatte. 21 Solche Klippen gilt es zu umschiffen, doch glücklicherweise finden sich diese Extrempositionen in der modernen Körpergeschichte äusserst selten. Körpergeschichte (body history) an sich ist eine noch relativ junge Disziplin, die sich in den 1980er-Jahren als breit angelegtes Forschungsfeld entfaltete. 22 Sie wird häufig mit dem Aufkommen der «Neuen Kulturgeschichte» (new cultural history) assoziiert, welche im Zuge des sogenannten «cultural turn» im deutschen Sprachraum in den 1980ern und 90ern 19 BYNUM 1996 (Warum das ganze Theater mit dem Körper?), 1. Im Folgenden beleuchtet sie die Diversität des Begriffs in verschiedenen human- und naturwissenschaftlichen Disziplinen bis in die 1990er-Jahre. 20 Die Formulierungen stammen von MEISTER 2012 (Der Körper des Princeps), 13 f., der sich freilich von beiden Extrempositionen distanziert. 21 LORENZ 2000, 22f.; 31. 22 THOMMEN 2007, 10. 13 Methodik und Terminologie entstand, in Opposition zur bisher dominanten Sozialgeschichte. 23 Dabei setzte nun auch in Deutschland ein, was im englischen Sprachraum bereits eingetreten war: Ein wachsendes Interesse an den Methoden und Theorien der Kulturanthropologie. Dazu kam ein Trend zu vermehrter Beschäftigung mit feministischen bzw. Gender-Debatten. Die verschiedenen Strömungen werden zuweilen unter dem Terminus «Neue Kulturgeschichte» zusammengefasst, zuweilen wird die Kulturgeschichte aber auch als Subdisziplin neben anderen verstanden; inwiefern sich die «Neue Kulturgeschichte» von der «historischen Anthropologie» oder sogar von «Körpergeschichte» unterscheidet, ist nicht immer klar. 24 In letzter Zeit geriet die Thematik des Körpers in der Alten Geschichte zunehmend in den Fokus – das Feld bleibt aber insgesamt nach wie vor relativ klein. 25 Einen handbuchartigen Überblick zu antiker Körpergeschichte auf Deutsch bietet Lukas Thommen, der sich auf knappen 140 Seiten unter Auslassung einiger wichtiger Themenfelder der Körpergeschichte mit Körperlichkeit in der griechischen und römischen Antike beschäftigt. 26 Vorzugsweise wird die Thematik antiker Körper jedoch Sammelbänden abgehandelt, deren Format sich für die ungewöhnlich breite Themenvielfalt historischen Körpern anbietet. 27 Nur wenige Monographien beschäftigen sich mit den Körpern der römischen Aristokratie – zu nennen wären hier die historisch-anthropologische Studie von Dirk Barghop 28, die Arbeit von Anthony Corbeill 29 und in neuerer Zeit vor allem die Arbeiten von Jan Meister; von ihm stammt auch die bisher einzige Abhandlung über die spezielle Problematik des Herrscherkörpers im Prinzipat. 30 Die Aufnahme seines Artikels zu antiker Selbstsorge im RAC 31 sowie der (neu auch in deutscher Übersetzung vorliegende) vierte Band von Michel Foucaults «Sexualität und Wahrheit» 32 dürfen ebenfalls zu den neuesten Meilensteinen der antiken Körpergeschichte gerechnet werden. Davon abgesehen bietet gerade die Spätantike – trotz vielversprechender Aspekte wie der Christianisierung des Reichs und einem stark ausgebauten Herrscherzeremoniell – einen Themenbereich, der in körpergeschichtlicher Perspektive noch kaum bearbeitet wurde. Peter Browns bahnbrechende Studie zur sexuellen Entsagung im frühen Christentum bildet hier eine prominente 23 MEISTER 2014 (Cultural History and Body History in German Ancient History), 118. Ibid., 119. 25 Für eine umfassende Darstellung des aktuellen Forschungsstands zur antiken Körpergeschichte siehe BORSCH/MEISTER 2022 (Idealisiert, sexualisiert, materialisiert, politisiert). 26 THOMMEN 2007. 27 BORSCH/MEISTER 2022, 10–12. 28 BARGHOP 1994 (Forum der Angst). 29 CORBEILL 2004 (Nature Embodied). 30 MEISTER 2012. 31 MEISTER 2020 (s.v. «Selbstsorge»). 32 FOUCAULT 2019 (Die Geständnisse des Fleisches). 24 14 Methodik und Terminologie Ausnahme. 33 Zudem bilden Entstehung und Entwicklung des spätantiken Kaisertums, sowie sein Fortleben in den monarchischen Herrschaften des frühen Mittelalters, den Gegenstand eines SNFEccellenza-Projektes der Universität Bern unter der Leitung von Jan Meister, welches sich die Untersuchung von Herrscherkörpern im langen Zeitraum vom 2. bis zum 8. Jahrhundert n. Chr. zum Ziel gesetzt hat. 34 Unter Beachtung des komplexen geschichtswissenschaftlichen Körper-Diskurses gilt in der vorliegenden Arbeit eine Arbeitsdefinition von Körper, die möglichst breit gefasst ist. Dies soll es ermöglichen, Aspekte von Körperlichkeit in den Quellen zu fassen, die unter einer zu engen Definition von «Körper» nicht erfasst werden könnten. «Körper» soll in dieser Arbeit daher gleichbedeutend sein mit dem «menschlichen Leib» 35 sowohl in seinen physischen, d.h. die anthropomorphe Materie betreffenden, als auch in seinen diskursiven vermittelten Aspekten und in den aus der sozialen Umwelt «inkorporierten» Eigenschaften des Körpers. In diesem Sinne soll der «Körper» sowohl in seiner inneren Wahrnehmung durch das Subjekt sowie in seiner äusseren Wahrnehmung durch andere untersucht werden. Die äussere Erscheinung beinhaltet deutlich mehr als das reine organische Material, was gemeinhin unter «Körper» verstanden wird: Neben dem «eigentlichen» Körper umfasst sie auch die Kleidung, die den Körper umgibt und dessen äussere Wahrnehmung beeinflussen kann; dasselbe gilt auch für Schmuck und Insignien. Zusätzlich soll der Körper auch in seiner Haltung und Bewegung betrachtet werden; schliesslich wird der Körper auch nicht in Isolation, sondern in Relation zu anderen Körpern betrachtet: Positionierung und Interaktion, die auch performative Formen annehmen können. Der Fokus liegt also auf dem Gesamtensemble, das die Erscheinung von Körpern in der alltäglichen Praxis bestimmt. Gleichzeitig ermöglicht eine solch breit angelegte Perspektive Grenzziehungen in der jeweiligen Zeit selbst in die Untersuchung miteinzubeziehen. Wenn von «Körperkonzeptionen» die Rede ist, sind damit bestimmte gesellschaftliche oder individuelle Körpervorstellungen oder Auffassungen von der Rolle und der Wichtigkeit des Körpers gemeint. Dies können z.B. Vorstellungen von idealen Körpern, vom Verhältnis zwischen Körper und Geist oder von der Rolle des Körpers für eine bestimmte Lebensführung sein. Habitus Um im Folgenden die eben dargestellte Komplexität der körperlichen Aspekte der spätantiken Kaiserherrschaft fassen zu können, ist die Anwendung eines geeigneten theoretischen Modells erforderlich, 33 BROWN 1991 (Die Keuschheit der Engel). https://hist.unibe.ch/forschung/forschungsprojekte/herrscherkoerper/index_ger.html (03.05.2021). 35 Die deutsche Sprache bietet mit dem Begriff «Leib» einen Vorteil, den man in den meisten europäischen Sprachen nicht hat, da damit spezifisch der menschliche Körper gemeint ist, im Gegensatz zu Abstraktionen anhand des Begriffs «Körper» etwa als politische Körperschaft; vgl. LORENZ 2000, 32–34, die auch auf die seit den 1980ern diskutierte Dichotomie zwischen «Körper» und «Leib» verweist. 34 15 Methodik und Terminologie das der umfassenden Thematik gerecht wird. Das Habitus-Konzept des französischen Soziologen Pierre Bourdieu (1930–2002) bietet sich dazu an, wie bereits diverse körpergeschichtliche Arbeiten demonstriert haben. 36 Um den Begriff «Habitus» verwenden zu können, soll im Folgenden kurz dargestellt werden, was darunter verstanden wird und wie er in der vorliegenden Arbeit verwendet wird. Bourdieu ging davon aus, dass Subjekte die Welt, in der sie leben, in ihr eigenes Handeln «einverleiben». Sein Hauptaugenmerk lag dabei auf standes- oder klassenspezifischen Existenzbedingungen, die sich in Verhalten und Wahrnehmung der Akteure einschreiben. Als habitus verstand er die für die Subjekte selbstverständliche Art, sich in einem bestimmten sozialen Feld zu verhalten, zu sprechen und zu bewegen. Die Besonderheit des Habitus liegt darin, dass er nicht einseitig durch die soziale Umwelt geformt wird, sondern diese gleichzeitig auch strukturiert. Die Existenzbedingungen einer bestimmten sozialen Klasse «konditionieren» den Habitus, der schliesslich als «System dauerhafter und übertragbarer Dispositionen» zugleich als «strukturierte» und «strukturierende Struktur» fungiert. 37 Auf diese Weise kann der Habitus auch als die Wechselwirkung zwischen Subjekt und sozialer Welt gesehen werden. Die soziale Realität existiert nach Bourdieu sozusagen zweimal, «in den Sachen und in den Köpfen, in den Feldern und dem Habitus, innerhalb und ausserhalb der Akteure». 38 Der Habitus ist aber nicht als Set von «Regeln» zu verstehen: Er schafft vielmehr die Grundlagen zur Erzeugung und Ordnung von Praktiken und Repräsentationen, ohne dass diese bewusst oder objektiv «geregelt» wären; diese sind zwar aufeinander kollektiv abgestimmt und «orchestriert», ohne jedoch das Produkt eines «Dirigenten» zu sein. 39 In der zeitlichen Dimension beschreibt Bourdieu den Habitus einerseits als ein Produkt der Geschichte, andererseits als Ort der ständigen Aktualisierung dieser Geschichte in der Form spezi- 36 Prominente althistorische Beispiele sind BARGHOP 1994; CORBEILL 2004; MEISTER 2012. Es bleibt jedoch eine gewisse Herausforderung, Bourdieu zu verstehen und seine Methodik auf antike Verhältnisse anzuwenden. Bourdieus Konzepte sind zuweilen schwer zu fassen, da sie häufig über sein Werk verteilt sind. Eine vollständig ausdifferenzierte Darlegung des komplexen Habitus-Modells würde so den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Eine gewisse Vereinfachung und Auswahl von Bourdieus Theorien ist daher unumgänglich; die folgenden Darstellungen sollten in diesem Sinne verstanden werden. 37 BOURDIEU 1980 (Le sens pratique), 88: «Les conditionnements associés à une classe particulière de conditions d'existence produisent des habitus, systèmes de dispositions durables et transposables, structures structurées prédisposées à fonctionner comme structures structurantes […].» Vgl. auch BOURDIEU/WACQUANT 1992 (Réponses), 97: «l'habitus, système socialement constitué de dispositions structurées et structurantes qui est acquis par la pratique et constamment orienté vers des fonctions pratiques.» 38 BOURDIEU/WACQUANT 1992, 103: «L'existence humaine, l'habitus comme social fait corps, est cette chose du monde pour laquelle il y a un monde: ‹le monde me comprend, mais je le comprends›, disait à peu près Pascal. La réalité sociale existe pour ainsi dire deux fois, dans les choses et dans les cerveaux, dans les champs et dans les habitus, à l'extérieur et à l'intérieur des agents.» 39 BOURDIEU 1980, 88: «[…] en tant que principes générateurs et organisateurs de pratiques et de représentations qui peuvent être objectivement adaptées à leur but sans supposer la visée consciente de fins et la maîtrise expresse des opérations nécessaires pour les atteindre, objectivement ‹réglées› et ‹régulières› sans être en rien le produit de l'obéissance à des règles, et, étant tout cela, collectivement orchestrées sans être le produit de l'action organisatrice d'un chef d'orchestre.» 16 Methodik und Terminologie fischer Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata. Dadurch gewährleistet der Habitus die Erhaltung gewisser Praktiken über Zeiträume hinweg stärker, als dies formale Regeln und explizite Normen gewährleisten können. 40 Das soziale «Feld», dem ein bestimmter Habitus zugehörig ist, wird von Bourdieu zuweilen auch mit einem Spiel verglichen – in dem Sinne, dass es durch eine bestimmte illusio (von lat. (il)ludere: «täuschen» bzw. «spielen») der Spieler zusammengehalten wird: Eine einverleibte und damit auch nicht bewusst reflektierte Selbstverständlichkeit, einen «Sinn für das Spiel», der den Einzelnen in einer bestimmten Situation ohne rationales Kalkül richtig handeln lässt. Es beschreibt einen Zustand der Vertiefung in ein Spiel, bei dem vergessen geht, dass es sich um ein Spiel handelt. Der «Sinn» des Spiels sorgt dabei dafür, dass dieses bei den Spielern einen subjektiven Sinn in Form von Bedeutung, Daseinsgrund und Orientierung erhält. Durch das Involviert-sein entsteht die Illusion bestimmter Dringlichkeiten und Bedrohungen. Bourdieu zieht dabei durchaus Vergleiche zu Gesellschaftsspielen oder sportlichen Wettkämpfen, um diesen praktischen Sinn zu erläutern. 41 Die Zugehörigkeit zu einem bestimmen Feld ist somit von einem bestimmten «Glauben» abhängig, der entweder, in seiner «vollkommensten» Form die Zugehörigkeit von Geburt an darstellt, oder alternativ durch einen langwierigen Prozess der Kooptation und Initiation, der «einer zweiten Geburt gleichkommt». 42 Dieser praktische Glaube ist kein «Gemütszustand» oder eine Anerkennung von gewissen Dogmen und Lehren, sondern in den Worten Bourdieus ein «Zustand des Leibes». 43 Damit kommt dem Körper in der Habitus-Theorie eine zentrale Rolle zu. Bei der «Einverleibung» der Umwelt durch die Subjekte handelt es sich mitnichten um eine blosse Metapher: Die umgebende Welt wird tatsächlich in der Form kultur- und standesspezifischer Verhaltensmuster inkorporiert und manifestiert sich in den Körpern der Akteure, etwa in der Form von ästhetischen Empfindungen und bestimmten Körpertechniken – der Habitus als «social fait corps». 44 Die Besonderheit des Körpers drückt sich dabei in seiner Fähigkeit aus, durch die Einnahme einer bestimmten Haltung und durch bestimmte 40 BOURDIEU 1980, 91: «Produit de l'histoire, l'habitus produit des pratiques, individuelles et collectives, donc de l'histoire, conformément aux schèmes engendrés par l'histoire; il assure la présence active des expériences passées qui, déposées en chaque organisme sous la forme de schèmes de perception, de pensée et d'action, tendent, plus sûrement que toutes les règles formelles et toutes les normes explicites, à garantir la conformité des pratiques et leur constance à travers le temps.» Wichtig ist hier, dass der Habitus durchaus normgebunden ist, aber eben durch «implizite» Normen. 41 Ibid., 111–34; siehe auch 134–39. 42 Ibid., 113 f. 43 Ibid., 115: «La croyance pratique n'est pas un ‹état, d'âme› ou, moins encore, une sorte d'adhésion décisoire à un corpus de dogmes et de doctrines instituées (‹les croyances›), mais, si l'on permet l'expression, un état de corps.» 44 BOURDIEU/WACQUANT 1992, 103. Nach LORENZ 2000, 87, gründet Bourdieus Habitus-Konzept in erster Linie auf dem «körperlichen Kapital», auch wenn dieser Aspekt in historischen und soziologischen Studien oft übersehen wird und die anderen Kapitalformen («ökonomisch», «sozial», «kulturell» und «symbolisch») meist im Vordergrund stehen. 17 Methodik und Terminologie Bewegungen und Gesten spezifische Gefühle und Gedanken, im Endeffekt sogar die ganzen dem Habitus zugrundeliegenden Wertesysteme anzuzeigen und heraufzubeschwören. 45 Das bedeutet auch, dass die soziale Welt in einer körperlichen Interaktion sinnlich wahrnehmbar wird. Die «objektiven» sozialen Bedingungen werden, indem sie über den Habitus inkorporiert werden, in eigene, subjektive Konstruktionen umgeformt. 46 In diesem Zusammenhang benutzt Bourdieu auch den Begriff der körperlichen «Hexis» und meint damit eine inkorporierte, zur stabilen Art und Weise der Körperhaltung, des Redens, Gehens und damit des Fühlens und Denkens gewordene «politische Mythologie.» 47 Der Habitus als inkorporierte Erfahrung des Subjekts mit der sozialen Welt schlägt sich also nicht nur im Körper nieder, und der Körper fungiert auch nicht nur als ein Medium, in dem sich der Habitus ausdrückt; vielmehr ist der Körper als Speicher sozialer Erfahrung wesentlicher Bestandteil des Habitus. 48 Im Gegensatz zu Konzepten wie «Performanz» zeichnet sich Bourdieus Habitus auch dadurch aus, dass er nicht bewusst wahrgenommen wird oder gar einstudiert werden kann. Er wirkt als selbstverständlicher Bestandteil des authentischen Körpers unbewusst und strukturierend auf das Verhalten der Subjekte ein. Bourdieu spricht vom «praktischen Sinn» als «naturgewordene gesellschaftliche Notwendigkeit», welche durch «motorisierte Schemata und automatische Körperreaktionen» dafür sorgen, dass Praktiken überhaupt erst sinnvoll erscheinen – weil die Handelnden nie ganz genau wissen, was sie tun, 45 Die Zusammenfassung von CORBEILL 2004, 109 («Simply put, socioeconomic origins determine body language.») stellt freilich eine starke Verkürzung des Habitus-Konzeptes dar, da damit das Wechselseitige Verhältnis des Körpers zur sozialen Umwelt vernachlässigt wird. Interessant an Bourdieus Konzept ist jedoch gerade die Fähigkeit des Körpers, die durch das soziale Feld bestimmten Symbolsysteme durch spezifische Verhaltensweisen zu aktualisieren und lebendig zu halten. 46 Vgl. KRAIS/GEBAUER 2014 (Habitus), 76; siehe auch 33 f.: «Bourdieu macht vielmehr darauf aufmerksam, dass bei allen vermeintlich ‹mentalen Akten› – Intention, Wille, Erwartung, Haltung, Dispositionen – der Körper beteiligt ist; dies gilt gerade dann, wenn der Habitus als Erzeugungsprinzip betrachtet wird. In Anknüpfung an Aristoteles verweigert Bourdieu die scharfe Trennung zwischen ‹physisch› und ‹psychisch›, wenn es um den auf Erfahrung gegründeten Habitus, um den praktischen Sinn und das soziale Handeln geht.» In diesem Sinne könnte man in der Habitus-Konzeption auch ein Lösungsvorschlag für die besprochene Problematik des Körpers sehen, indem man den Habitus als Schnittstelle zwischen einer diskursiven und einer essenziellen Körperlichkeit versteht. 47 BOURDIEU 1980, 117 f.: «L'hexis corporelle est la mythologie politique réalisé, incorporée, devenue disposition permanente, manière durable de se tenir, de parler, de marcher, et, par là, de sentir et de penser. L'opposition entre le masculin et le féminin se réalise dans la manière de se tenir, de porter le corps, de se comporter sous la forme de l'opposition entre le droit et le courbe (ou le courbé), entre la fermeté, la droiture, la franchise (qui regarde en face et fait front et qui porte son regard ou ses coups droit au but) et, de l'autre côté, la retenue, la réserve, la souplesse. Comme en témoigne le fait que la plupart des mots qui désignent des postures corporelles évoquent des vertus et des états d'âme, ces deux rapports au corps sont gros de deux rapports aux autres, au temps et au monde et, par là, de deux systèmes de valeurs.» Bourdieu verwendet «Habitus» und «Hexis» bis zu einem gewissen Grad synonym, obschon Hexis noch einmal körperbetonter als der umfassendere Habitus erscheint; vgl. MEISTER 2012, 41, Anm. 131; BARGHOP 1994, 80–95; siehe auch unten, Anm. 63. 48 KRAIS/GEBAUER 2014, 75. 18 Methodik und Terminologie hat ihr Tun mehr Sinn, als sie selber wissen. 49 Jedoch umfasst der Habitus auch einen bewussten Umgang mit dem Körper. Kalkulierte oder einstudierte Bewegungen und Positionierungen des Körpers im Raum, die etwa dem gesellschaftlichen Habitus entgegenstehen (z.B. die übertriebenen oder lächerlich anmutenden Bewegungen eines Schauspielers, oder ein demonstratives Sitzenbleiben, wenn andere sich erheben), beziehen sich gerade durch die Kontrastierung auf eben diesen. Sie stehen in diesem Sinne nicht ausserhalb des Habitus, denn sie machen nur innerhalb des durch ihn strukturierten Symbolsystems Sinn. Für Bourdieu ist es keineswegs ausgeschlossen, dass Reaktionen des Habitus von einer strategischen Bedeutung begleitet sind, die ganz bewusst diejenigen Operationen zu realisieren trachtet, die der Habitus auf andere Weise realisiert. 50 Damit ist eine gewisse Bewegungsfreiheit innerhalb der unsichtbaren Zwänge des Habitus gegeben; gleichzeitig werden dem Verhalten der Subjekte aber auch Grenzen gesetzt. Bourdieu bezeichnete den Habitus denn auch als «System von Grenzen»: Wer den Habitus einer Person kennt, der spüre oder wisse intuitiv, welches Verhalten dieser Person verwehrt ist. Aber innerhalb dieser seiner Grenzen kann das Subjekt durchaus erfinderisch sein. Der Habitus bezeichnet keinen Determinismus, die Reaktionen der Subjekte sind keineswegs immer vorauszusehen. 51 Indem der Habitus über die einzelnen Subjekte hinweg auf ganze soziale Gruppen Einfluss hat, kann er gemeinschaftsbildend wirken. 52 Die Körper innerhalb einer bestimmten Klasse reproduzieren so jederzeit die Institutionen, denen sie zugehören. Nach Bourdieu machen sich alle sozialen Ordnungen systematisch die Möglichkeit des Körpers und der Sprache zunutze, als Speicher für Gedanken zu fungieren. Diese können allein dadurch abgerufen werden, dass der Körper in eine bestimmte Gesamthaltung gebracht wird, welche die damit assoziierten Gefühle und Gedanken heraufbeschwören. 53 Der 49 BOURDIEU 1980, 116: «Le sens pratique, nécessité sociale devenue nature, convertie en schèmes moteurs et en automatismes corporels, est ce qui fait que les pratiques, dans et par ce qui en elles reste obscur aux yeux de leurs producteurs et par où se trahissent les principes transsubjectifs de leur production, sont sensées, c'est-àdire habitées par un sens commun. C'est parce que les agents ne savent jamais complètements ce qu'ils font que ce qu'ils font a plus de sens qu'ils ne le savent.» 50 Ibid., 89: «S'il n'est aucunement exclu que les réponses de l'habitus s'accompagnent d'un calcul stratégique tendant à réaliser sur le mode conscient l'opération que l'habitus réalise sur un autre mode, à savoir une estimation des chances supposant la transformation de l'effet passé en objectif escompté, il reste qu'elles se définissent d'abord, en dehors de tout calcul, par rapport à des potentialités objectives, immédiatement inscrites dans le présent, choses à faire ou à ne pas faire, à dire ou à ne pas dire […]» 51 BOURDIEU 1997 (Die verborgenen Mechanismen der Macht [1992]), 33. 52 Vgl. KRAIS/GEBAUER 2014, 37. Auf den Begriff «Klassenhabitus» wird jedoch in dieser Arbeit verzichtet, da er so bei Bourdieu so nicht vorkommt (auch wenn der Klassenbegriff bei ihn durchaus eine Rolle spielt) und durch die ideologisch aufgeladene und historisch befangene Begrifflichkeit von «Klasse» nur umständlich auf antike Verhältnisse übertragbar ist. Die Idee, dass bestimmten sozialen Gruppen ein distinktiver Habitus eigen ist, bleibt indes bestehen. 53 BOURDIEU 1980, 116: «Tous les ordres sociaux tirent systématiquement parti de la disposition du corps et du langage à fonctionner comme dépôts de pensées différées, qui pourront être déclenchées à distance et à retardement, par le simple fait de replacer le corps dans une posture globale propre à évoquer les sentiments et les pensées qui lui sont associés, dans un de ces états inducteurs du corps qui, comme le savent les comédiens, font surgir des états d'âme.» 19 Methodik und Terminologie Habitus als «praktischer Sinn» lässt den «objektivierten Sinn» in den Institutionen aufleben – in diesem Sinne hält der Habitus Institutionen quasi am Leben, «entreisst sie dem Zustand des toten Buchstabens», indem er es ermöglicht, Institutionen zu «bewohnen» (habiter). 54 Erst durch den Habitus finden Institutionen so ihre volle Erfüllung: Die Möglichkeit zur Inkorporation, welche es ermöglicht, die «performative Magie des Sozialen» ernst zu nehmen, mache den König, den Bankier, den Priester zur menschgewordenen Erbmonarchie, Finanzkapitalismus und Kirche. 55 Es stellt sich noch die Frage, ob und wie ein spätantiker Habitus – oder in der Tat jeder Habitus einer vergangenen, nicht mehr beobachtbaren Kultur – überhaupt gefasst werden kann. Für eine körpergeschichtliche Arbeit ist eine Definition von Körper und Habitus nur insoweit brauchbar, als die relevanten Aspekte in den Quellen fassbar sind. Thomas Späth vertritt in einem Aufsatz von 2006 56 die These, dass das Interesse für erlebte Wirklichkeiten von vergangenen Kulturen, deren Lebenswelt grösstenteils durch hinterlassene Texte fassbar ist, auch textanalytische Ansätze fordert und damit gleichzeitig die Frage nach den Autoren dieser Texte stellt – «allerdings nicht nach deren ‹Meinung› und nicht nach Autoren als Individuen, vielmehr nach Autoren als gesellschaftlich-diskursiv konstituierte Schreibende.» 57 Späth geht davon aus, dass die Autorinnen und Autoren eines Textes durch das «Wörterbuch» ihrer Sprache und seiner Zeit konstituiert sind, und sich somit neben ihren persönlichen Ansichten auch ganze Symbolsysteme in einen Text einschreiben. Jeder Text fasse schlussendlich nicht eine Bedeutung, sondern eine «Pluralität von Bedeutungen». 58 Den Begriff «Diskurs» definiert Späth einerseits in Anlehnung an Michel Foucault als «ein Ensemble von Regeln, die den Wahrnehmungshorizont, die Aussage- und Denkmöglichkeiten, die Subjektpositionen – aber darüber hinaus auch die Handlungsperspektiven zu erklären versuchen.» 59 Andererseits schlägt er vor, unter Diskurs ebenfalls die 54 BOURDIEU 1980, 96: «[…] l'habitus comme sens pratique opère la réactivation du sens objectivé dans les institutions […]. L’habitus […] est ce qui permet d'habiter les institutions, de se les approprier pratiquement, et par là de les maintenir en activité, en vie, en vigueur, de les arracher continûment à l'état de lettre morte, de langue morte, de faire revivre le sens qui s'y trouve déposé, mais en leur imposant les révisions et les transformations qui sont la contrepartie et la condition de la réactivation.» Das Wortspiel «habiter les institutions» funktioniert in der deutschen Übersetzung nicht mehr. 55 Ibid.: «Mieux, il est ce par quoi l'institution trouve sa pleine réalisation: la vertu de l'incorporation, qui exploite la capacité du corps à prendre au sérieux la magie performative du social, est ce qui fait que le roi, le banquier, le prêtre sont la monarchie héréditaire, le capitalisme financier ou l'Église faits homme.» Zu Recht weist Jan Meister in Bezug auf diese Aussage Bourdieus darauf hin, dass Bedeutungsverschiebungen innerhalb des Habitus durchaus möglich sind, insbesondere in der (nicht näher definierten) «Postmoderne», in der sich traditionelle Strukturen und Statussymbole verändern und ein Bankdirektor eben nicht mehr «menschgewordenes Finanzkapital» sei, da er potentiell mehrmals im Leben den Beruf wechseln kann. Dieser Umstand bestärke jedoch nur die Funktion des Körpers als authentischer Ausdruck der eigenen Identität – den Körper kann man nicht auswechseln – aber auch als Prestigeobjekt und gar als Indikator von Macht und Status zunehmend bedeutsam; siehe MEISTER 2012, 16 f. 56 SPÄTH 2006 (Geschlechter – Texte – Wirklichkeiten). 57 Ibid., 42. 58 Ibid., 65 f. 59 Ibid., 67 f. Damit entspreche der Diskurs ebenfalls den «Regeln» der Bedeutungszuweisung bei Clifford Geertz und den «Symbolsystemen» und «Kategorien» bei Marshall Sahlins. 20 Methodik und Terminologie «Praxis des kulturellen Handelns» zu verstehen, das als «durch die diskursiven Regeln bestimmtes und zugleich den Diskurs formierendes Handeln zu verstehen ist.» «Diskurs» beschränke sich also nicht auf Sprache oder sprachliches Handeln, sondern umfasse die Regeln gesellschaftlich-kulturellen Handelns generell. Besonders durch letztere Präzisierung kommt Späths Verständnis von «Diskurs» Bourdieus «Habitus» sehr nahe. 60 In diesem Verständnis besteht die Chance auf einen Zugriff: Indem sich die kulturelle Praxis in Texte einschreibt, können diese durch Textanalyse untersucht werden. Die Quellenlage ist freilich nicht nur auf literarische Texte beschränkt; wie weiter unten dargestellt wird, befinden sich gerade literarische und materielle Kaiserbilder in einem engen Beziehungsgeflecht, in welchem wechselseitige Bezugnahmen und Einflüsse geschehen. 61 Die Auswahl der zu untersuchenden körpergeschichtlichen Aspekte muss angesichts der für die Antike notorisch schwierige Quellenlage bezüglich kulturgeschichtlichen Themen pragmatisch geschehen: Sie geschieht abhängig davon, was in den Quellen überhaupt an körperlichen Perspektiven fassbar ist. Alle zur Verfügung stehenden Quellengattungen werden herangezogen. Die dadurch gegebene Vielfalt ist zugleich Herausforderung und Chance, denn sie erlaubt einen umfassenden Zugang und Erkenntnisse, die bei einer einseitigen Fokussierung auf spezifische Gattungen nicht möglich wären. Wenn der Habitus einer bestimmten sozialen Gruppe zugehörig ist, stellt sich die Frage, was für eine Art von Habitus dann dem spätantiken römischen Kaiser als absoluten Machthaber zu eigen ist. Monarchische Körper sind, wie gesagt, besondere Körper. An der Spitze der Hierarchie stehend, verkörpert der Kaiser eine einzigartige Position, die gerade durch Aspekte des Habitus wie Kleidung und Insignien, aber auch in der Relation des kaiserlichen Körpers zu den ihn umgebenden Körpern sichtbar wird und die dessen hervorgehobene Position anzeigen. Aus den Quellen ist zudem ersichtlich, dass der spätantike Herrscher sich zusätzlich durch eine besondere Art der Bewegung und Haltung von seiner Umgebung absetzt und so seinen besonderen Status signalisiert. 62 Es wäre jedoch verfehlt, von einem «isolierten» kaiserlichen Habitus zu sprechen. Dies würde der Theorie Bourdieus widersprechen, die ja besagt, dass der Habitus in der Inkorporation und Aktualisierung der sozialen Umwelt besteht und damit nicht auf das Subjekt beschränkt ist, sondern gerade in den vielfältigen Aktionen auf dem sozialen Feld sichtbar wird und seine Wirkung entfaltet. Gerade der spätantike Kaiser ist kaum ohne sein Umfeld zu denken: Sein Hof, seine Entourage, seine Leibwache und die verschiedenen Gruppen, mit denen er jederzeit auf die eine oder andere Weise in Kontakt steht. Das Kaisertum dürfte in den Worten Bourdieus als «belebte Institution» verstanden werden; der Kaiser «verkörpert» (im durchaus 60 Die Begriffe «Wahrnehmungshorizont, Aussage- und Denkmöglichkeiten» erinnern stark an die vom Habitus gewährleisteten «schèmes de perception, de pensée et d'action» bei Bourdieu. 61 Siehe unten Seite 26. 62 So etwa bei Constantius’ Verhalten beim adventus, vgl. Amm. 16,10,9–11. 21 Methodik und Terminologie wörtlichen Sinne) das Kaisertum. Der Kaiser steht nicht isoliert, sondern in einem komplexen, wechselhaften Beziehungsgeflecht, wobei er zu jeder Zeit im Fokus der Aufmerksamkeit steht und dadurch sozusagen das Gravitationszentrum des Feldes verkörpert. In diesem Sinne hat also auch Kaiser Julian Teil an einem über seine Position hinausgehenden, überindividuellen und zugleich elitären GruppenHabitus. Die Besonderheit der kaiserlichen Position wird überdies noch dadurch verstärkt, dass der Kaiser in ganz unterschiedlichen Situationen mit verschiedensten Gruppen interagieren musste. Der Kaiser bildete dadurch nicht lediglich das «Gravitationszentrum» eines einzigen sozialen Feldes, sondern zeitgleich ganz verschiedener: Seine herausragende Position war genauso stark in die sozialen Felder des kaiserlichen Hofes eingebunden wie in diejenigen der politischen, intellektuellen und religiösen Elite oder des Heeres. Wie wird der Begriff Habitus in dieser Arbeit angewandt? Nach den vorgestelltem Konzept Bourdieus umfasst der Habitus grundsätzlich alles, was mit dem menschlichen Körper in Verbindung steht: Einerseits das Aussehen, darunter die unveränderlichen (Physiognomie, Hautfarbe, körperliche Behinderungen etc.) und die veränderlichen Bestandteile (Frisur, Gesichtsbehaarung, aber auch Kleidung, Schmuck etc.), andererseits das körperliche Verhalten (Bewegung, Haltung, Positionierung gegenüber anderen Körpern, etc.). In diesem Sinne wird «Habitus» auch in dieser Arbeit als Synthese von Aussehen und Verhalten verstanden, als bestimmte Erscheinung oder Auftreten einer Person, das von anderen Subjekten «gelesen» wird. Dennoch macht eine Trennung von Aussehen und Bewegung auf theoretischer Ebene Sinn, da auch die Quellen diese beiden Aspekte häufig trennen. 63 Die Wendung «kaiserlicher Habitus» wird im Zuge der Betonung der Eingebundenheit des Kaisers in das kaiserliche Zeremoniell verwendet. Der Kaiser ist das Kaisertum; der «kaiserliche Habitus» ist demnach in der Praxis auch nicht sinnvoll vom «Habitus des Kaisers» zu trennen. Dennoch werden im Folgenden beide Ausdrücke verwendet, um auf verschiedene Aspekte aufmerksam zu machen: Einerseits soll Julians «Habitus» das individuelle Aussehen und Verhalten des Kaisers betonen, freilich ohne den Kaiser als isoliert und unabhängig von seiner sozialen Umwelt zu denken; andererseits soll der «kaiserliche Habitus» auch unabhängig von Julian und anderen Einzelpersönlichkeiten die gängigen, verständlichen und erwartbaren Äusserlichkeiten und Verhaltensweisen der Kaiser betonen, ohne jedoch den 63 Siehe oben Anm. 47: Bourdieu hebt im Zusammenhang mit dem Begriff «Hexis» spezifisch die Art des Stehens, Sprechens und Gehens, der Körperhaltung und die Blickrichtung hervor. Dies kann so gelesen werden, dass «Hexis» noch stärker auf die physische Präsenz, Positionierung und Bewegung des Körpers, aber auch die (räumliche) Relation zu anderen Körpern hinweist. Folglich müsste der Habitus im allgemeineren Sinne auch das äussere das allgemeine Verhalten, Sprechen und Denken, sowie das äussere Erscheinungsbild, inklusive Kleidung und insignia, miteinbezieht und so als Überbegriff für Aussehen und Bewegung gedacht ist. Andererseits scheint Bourdieu die Begriffe «Hexis» und «Habitus» tatsächlich oft synonym zu benutzten und verhindert somit eine scharfe Trennung der beiden Begriffe. Auf eine eindeutige analytische Trennung der Begriffe wird deshalb auch in dieser Arbeit verzichtet 22 Methodik und Terminologie individuellen Spielraum der Einzelpersonen und auch möglicherweise dem kaiserlichen Habitus entgegengesetzte Verhaltensformen auszuschliessen. Inwiefern Julians «Habitus» und der spätantike «Kaiserhabitus» miteinander korrespondieren bzw. vereinbar sind, wird sich zeigen. Interaktionsräume und Akzeptanzgruppen Der Kaiser trat an unterschiedlichen Orten und Zeiten und aus unterschiedlichen Anlässen mit unterschiedlichen Gruppen oder Individuen in Kontakt. All diese Situationen der Interaktion zwischen Kaiser und Untergebenen waren geprägt von einer unterschiedlichen Nähe bzw. Distanz zwischen Herrscher und Beherrschten, und dadurch durchzogen von spezifischen Erwartungen, die in Bezug auf das Verhalten des Herrschers gestellt wurden. Der kaiserliche Hof bezeichnet den intimsten Interaktionsraum um den Kaiser und besteht aus seiner unmittelbaren Gefolgschaft: Familienmitglieder, enge Freunde, vertraute Eunuchen und andere Diener, Sklaven und Leibwachen. Dieser Raum zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass er dem Kaiser folgt: Wohin er sich auch begab, der römische Kaiser war praktisch immer von einer spezifischen Konfiguration seines Hofstaats umgeben. Doch auch wenn dieser Raum sich durch einen begrenzten Radius um den Kaiser herum auszeichnet, ist er dennoch keineswegs «privat»; als wirklich privat wären höchstens die Schlafgemächer des Kaisers zu bezeichnen. 64 Daneben gab es Situationen, die sich in einem «aristokratischen» oder spezifischer «senatorischen Raum» abspielten, d.h. in einem geschützten Rahmen unter Ausschluss der breiten Öffentlichkeit, aber im Beisein von Personen, die nicht zur unmittelbaren Gefolgschaft des Kaisers gehören: Dies ist etwa bei Besuchen des Kaisers im Senat Konstantinopels der Fall, aber auch wenn der Kaiser Mitglieder der lokalen Elite an seinen Hof einlädt. Die Personen dieses Interaktionsraumes (lokale politische und intellektuelle, zuweilen auch religiöse Eliten) gehören nicht zum kaiserlichen Hof, haben jedoch in einigen Fällen begrenzen Zugang zu diesem und traten manchmal sogar in direkten Kontakt zum Kaiser. Dieser Raum folgt dem Kaiser nicht, und Gelegenheiten zur Begegnung waren bestimmte Anlässe und Lokalitäten gebunden. Drittens bezeichnet «öffentlich» einen Interaktionsraum, in welcher der Kaiser im Beisein einer breiten, anonymen Öffentlichkeit agiert, also beispielsweise von der einfachen Stadtbevölkerung beobachtet 64 Auf die komplexe Debatte bezüglich der Terminologie von «öffentlich» und «privat», bzw. deren entsprechenden, aber in ihrer Bedeutung nicht einfach zu übertragenden antiken Begriffe («privatus» und «publicus»), möchte ich nicht weiter eingehen. Eine Unterscheidung zwischen «häuslich» und «städtisch», wie sie GOLDBECK 2010 (Salutationes) in Bezug auf die für diese Arbeit durchaus relevante Interaktionssituation der salutatio verwendet, bietet sich für den von ihn Untersuchten Zeitraum der Republik und frühen Kaiserzeit an; für die spätantiken Verhältnisse greift diese Dichotomie jedoch bereits zu kurz. 23 Methodik und Terminologie wird. 65 Damit ist nicht eine reichsweite Öffentlichkeit gemeint, die im Sinne einer modernen Gesellschaft jederzeit über den Kaiser informiert wäre. «Öffentlich» ist im städtischen Kontext zu verstehen und beschränkt sich somit auf die jeweilige Stadt, in der sich der Kaiser befindet, und ihr Umland. Im Gegensatz zum Hof, der dem Kaiser überallhin folgt, und dem aristokratischen Raum, dem sich der Kaiser oftmals nicht entziehen kann, ist diese Form der Öffentlichkeit austauschbar: Wenn der Kaiser in die nächste Stadt weiterzieht, ändert sich der Kontext gänzlich. Einen letzten, gerade für die Frühphase von Julians Karriere besonders relevanten Interaktionsraum lässt sich schliesslich im Heer ausmachen. Die die komplexen Interaktionen zwischen Kaiser und Heer bildet einen «militärischen» Interaktionsraum mit einer besonderen (auch physischen) Nähe zwischen Soldaten und Heerführer und damit ganz eigenen Regeln und Erwartungshaltungen an den Kaiser. Die Grenze zwischen den Interaktionsräumen ist zuweilen fliessend. So lässt sich beobachten, dass eine kaiserliche Zeremonie im Normalfall verschiedene abgestufte Formen von «Öffentlichkeit» durchläuft. Ein Beispiel dafür ist die spätantike adventus-Zeremonie, welche üblicherweise mit einer salutatio der Eliten und Klientelen oft bereits vor den Toren der Stadt begann. Diese war im antiken Verständnis nicht «öffentlich». Erst der direkt anschliessende Weg durch die Stadt, zuweilen auch zu Fuss, wurde als «öffentlich» gesehen, auch wenn die direkten Interaktionsmöglichkeiten einzelner Mitglieder der plebs stark eingeschränkt waren. Schliesslich mündete ein adventus normalerweise in einer öffentlichen Rede sowie in einer abgeschlossenen Ansprache vor den lokalen Eliten unter Ausschluss der Öffentlichkeit (die aber im antiken Verständnis dennoch als öffentlich galt). Die unterschiedlichen Interaktionsräume werden belebt von verschiedenen Gruppen, die sich durch eine jeweils unterschiedliche Erwartungshaltung dem Kaiser gegenüber auszeichnen. Der Kaiser hatte sich an diese ihm gegenüber gestellten Erwartungen in seinem Verhalten zu orientieren, um Akzeptanz für seine Herrschaft zu gewinnen: Selbst als Alleinherrscher ist er eingebunden in ein sogenanntes «Akzeptanzsystem». Egon Flaig definierte in seiner bahnbrechenden Studie 66 zu Usurpationen im Römischen Reich gleich vier verschiedene «Rollen» der frühen Kaiser: «Der Kaiser musste mindestens vier nicht nur unterschiedliche, sondern konträre, im Ernstfalle kontradiktorische Rollen spielen: Er sollte Primus inter pares gegenüber dem Senat sein, gütiger und zugleich umfangreicher Interaktion zugänglicher Monarch gegenüber der Plebs urbana; den Truppen sollte er der beste Chef sein, den 65 Zur Zusammensetzung dieser schwer fassbaren Gruppe, welche von spätantiken Chronisten und Historikern zumeist als anonyme Masse wahrgenommen wurde, siehe in die Einschätzungen von PFEILSCHIFTER 2013 (Der Kaiser und Konstantinopel), 295–300. Pfeilschifter bezieht sich dabei ausschliesslich auf die Bevölkerung Konstantinopels, doch lassen sich seine Überlegungen besonders bezüglich Zusammensetzung, antiker Wahrnehmung und Möglichkeiten des in-Kontakt-Tretens etwa durch Akklamationen, problemlos auf andere grössere Städte des Römischen Reichs übertragen. 66 FLAIG 2019 (Den Kaiser herausfordern). 24 Methodik und Terminologie hellenistischen Städten sollte er sich als gottähnlicher, also charismatischer Mensch präsentieren.» 67 Diese Rollen definierte Flaig für den Kontext des frühen Prinzipats, in welchem der Bezug des Kaisers auf die Stadt Rom einerseits, für die zum Teil weit entfernten Provinzen andererseits eine andere Situation als in der Spätantike nach der Gründung Konstantinopels darstellte. So war Julian in seinem ganzen Leben vermutlich nie in Rom; doch die Grossstädte des Ostens waren ihm bestens bekannt, und er war in ihnen bestens bekannt. Zudem ist aus den spätantiken Quellen der kaiserliche Hof als wichtige Komponente der kaiserlichen Herrschaft, in der eigene Regeln gelten, gut fassbar. Dass sich Flaigs Modell eines Akzeptanzsystem jedoch gewinnbringend auch an spätantike, sogar byzantinische Verhältnisse anpassen lässt, zeigte sich bereits in jüngeren Studien. 68 Für den in dieser Arbeit relevanten Zeitraum bietet sich ebenfalls eine Neudefinierung der relevanten Akzeptanzgruppen an: Anstatt römischem Senat, plebs urbana, hellenistischen Städten und Heer richtet sich der Fokus daher auf die vier Gruppen, mit denen Julian als Herrscher regelmässig interagierte: Der kaiserliche Hof, die lokalen städtischen Eliten, die lokale städtische Bevölkerung und das Heer. Die zentrale Beobachtung Flaigs bezüglich der Akzeptanzgruppen bleibt aber bestehen: Verschiedene Gruppen formulieren gegenüber dem Kaiser unterschiedliche Erwartungen, an deren Erfüllung der Kaiser grundsätzlich gebunden ist. Dass dies nicht immer so einfach ist, stellte Flaig ebenfalls fest: «Die Autoritätstypen und Gehorsamsmodalitäten waren untereinander unverträglich. Obschon die Unverträglichkeit meist nicht ersichtlich und akut wurde, reichte ihre Latenz aus, um die Kommunikation zwischen den Gruppen krisenanfällig zu halten. Sie verschärfte sich bei Kopräsenz; denn wenn der Kaiser mit mehreren präsenten Gruppen interagierte, kollidierten die diversen Einforderungen.» 69 Die einzige Gruppe, die normalerweise Texte über den Kaiser produziert, ist diejenige der politischen, intellektuellen oder religiösen Elite. Dies gilt nach wie vor auch für die Spätantike: Panegyriker und Geschichtsschreiber, sowie die Verfasser von (meist religiös motivierten) Invektiven, gehören durchgehend der lokalen Elite an und treten nicht selten als Vertreter einer klar definierten Gruppe auf. Manchmal können aus diesen Elite-Texten jedoch Rückschlüsse auf das Kaiserbild in den anderen Gruppen geschlossen werden. So lesen wir bei Ammian über internen Spott am Hof des Constantius, der sich gegen den jungen Caesar Julian richtet; derselbe erwähnt auch den Spott der Bevölkerung Antiochias, von dem wir auch bei anderen Autoren lesen. Ammian war zudem bei Julians Feldzügen mit dabei und kann so auch die Sicht der Soldaten auf den Kaiser wiedergeben. 67 FLAIG 2019, 201 Die Formulierung der ersten Edition lautete ursprünglich: «den hellenistischen Städten sollte er sich gar als erschienener Gott präsentieren.» 68 PFEILSCHIFTER 2013; DIEFENBACH 1996 (Frömmigkeit und Kaiserakzeptanz im frühen Byzanz). Pfeilschifter weist auch explizit auf die die Formung einer neuen Akzeptanzgruppe in Form der Bevölkerung Konstantinopels als neuer Kaiserresidenz hin (1–40). Zu Zeit Julians war dies aber noch nicht der Fall, da die zur Zeit Julians noch relativ neue und – im Vergleich etwa zu Antiochia – weitaus kleinere Metropole noch weit davon entfernt war, einzige und permanente Kaiserresidenz zu sein. 69 FLAIG 2019, 201. 25 Methodik und Terminologie Im Falle von Kaiser Julian kommt die Besonderheit hinzu, dass er auch selber Texte produziert hat, die erhalten geblieben sind. Während die meisten von Julians Selbstzeugnissen in den Rahmen von ElitenDiskursen gehören, da es sich hauptsächlich um eine Kommunikation mit der intellektuellen Elite handelt, liegt im Falle des Misopogon eine direkte Kommunikation des Kaisers mit der Gruppe der (breiten) Öffentlichkeit vor. In allen Fällen muss aber konsequent quellenkritisch vorgegangen und die Tendenzen der Autoren herausgearbeitet werden. Kaiserbilder Römische Autoren scheinen sich besonders für die physische Erscheinung der Herrscher und anderer wichtiger Personen zu interessieren – ein Trend, der sich in der frühen Kaiserzeit entwickelte und bis zur Spätantike nur stärker werden sollte. In der lateinsprachigen Literatur entwickelte sich die physische Beschreibung der Kaiser zu einem grundlegenden Bestandteil vieler biographisch-historischer Schriften. 70 Dass physische Beschreibungen von Einzelpersonen in der historiographischen, biographischen oder auch fiktionalen Literatur auch eine Art von «Porträt» sind, ist in der neueren antiken Körpergeschichte eine gängige These. 71 Dabei stellt sich unweigerlich eine wichtige Frage: Bestehen die verschiedenen literarischen Darstellungen von Kaisern, die kaiserlichen Münzbilder und die plastischen Kaiserporträts unabhängig voneinander, oder nehmen sie aufeinander Bezug? Die Bedeutung der Interaktion zwischen Kaiser und Akzeptanzgruppen, die Egon Flaig in seiner Studie herausgearbeitet hat, wurde bereits vor einiger Zeit von Gregor Weber und Martin Zimmermann in einem Sammelband aufgegriffen, um eine Neudefinition des Begriffs «Repräsentation» zu konstruieren, die insbesondere dazu dienen sollte, den Begriff der «Propaganda» in Bezug auf das römische Kaisertum zu ersetzen. 72 In der Einleitung legen sie die Probleme dar, die sich bei einer unkritischen Anwendung des Propaganda-Begriffs auf antike Verhältnisse ergeben. In Anlehnung an Flaig weisen sie in Bezug auf das frühe Prinzipat auf die dialektischen Prozesse zwischen Anregung «von oben» und Reaktion «von unten» hin, sowie auf das aus heutiger Sicht kaum zu durchdringende Geflecht kommunikativer Strukturen, innerhalb deren die unterschiedlichen Erwartungshaltungen im Wechselspiel zwischen Herrscher und Beherrschten formuliert werden. Sie verweisen auch auf die Arbeiten von Andreas Alföldi, dem dieser Sachverhalt bereits sehr früh aufgefallen ist und bei dem sich dies in seiner Verwendung des Begriffes «monarchische Repräsentation» niederschlug. 73 Im Sinne Alföldis betonen die Herausgeber die ständige und kontinuierliche Steigerung der Huldigungen und Ehren, «die nicht vom Kaiser gefordert wurden, sondern allmählich und in Folge ständiger Wiederholung von Seiten der 70 BORSCH 2019 (Schriftliche Bildnisse), 61. Ibid., 50. 72 WEBER/ZIMMERMANN 2003 (Propaganda – Selbstdarstellung – Repräsentation im römischen Kaiserreich des 1. Jhs. n.Chr). 73 ALFÖLDI 1980 (Die monarchische Repräsentation im römischen Kaiserreiche [1970]). 71 26 Methodik und Terminologie unterschiedlichen Schichten der Bevölkerung übernommen wurden.» In diesem Sinne war Propaganda nach modernem Verständnis zur Durchsetzung der Herrscherideologie nicht nötig, denn «Habitus, Gestus und Ornat wurden ebenso wie die dahinter stehenden Ideologeme mit Blick auf den Zuspruch der Beherrschten gestaltet». 74 Das bedeutete auch, dass der Kaiser in seiner Selbstdarstellung nicht völlig frei war, sondern in seinem Handeln jederzeit die Zustimmung der verschiedenen Gruppen antizipieren musste. Für die tatsächliche Notwendigkeit der Kaiser, ihrer Herrschaft eine wahrnehmbare Gestalt zu geben, eigne sich nach Meinung jedoch der Begriff der Repräsentation viel besser als Propaganda: «Repräsentation» wird von den Herausgebern in einem erweiterten Sinne so verstanden, dass er sowohl die bildlichen als auch textlichen Abbildungen von Herrschaftsidealen umfasst. 75 Repräsentation sei nach diesem Verständnis «die symbolische, in Text und/oder Bild übersetzte Wiedergabe der Position, die eine Person oder Gruppe innerhalb der sozialen Schichtung der Gesellschaft einnimmt, wobei ebenfalls die mit dieser Stellung verbundenen und konnotierten Ideale, Werte und Normen mehr oder weniger umfangreich und explizit artikuliert werden.» 76 In diesem Sinne sind Kaiserbilder intertextuell. Das Beispiel verdeutlicht die Notwendigkeit, alle literarischen Genres heranzuziehen und sie nicht lediglich in ihren (oft widersprüchlichen) Inhalten zu vergleichen, sondern in Bezug zueinander zu stellen und sie als Teil eines gemeinsamen Prozesses der kaiserlichen Repräsentation zu sehen. Eine Bevorzugung von historiographischen Quellen aufgrund vermeintlich grösserer Objektivität und Wahrheitsgehalt wäre in diesem Sinne irreführend, da die unterschiedlichen Quellengattungen nicht nur mit der Person des Kaisers, sondern auch untereinander in einem ständigen Dialog stehen. Die Annahme eines Dialoges zwischen Herrscher und Beherrschten begegnet auch in der Studie von Jan Meister: Das Bild des Princeps sei nur bedingt von ihm selbst, sondern in stetem Austausch mit seinen Untergebenen konstruiert worden. Meister widerspricht dem anachronistischen Bild einer zentral gesteuerten Propaganda, die das Bild eines «idealen» Herrschers kreiere und bei den Beherrschten einen Glauben an dieses Bild erzeuge. 77 Stattdessen betont er, unter Einbezug der modernen Interaktionstheorie, die doppelte Erwartungshaltung beim Senden von Botschaften, bei dem der «Sender» bereits die Erwartungshaltung der «Empfänger» antizipiert und in die Botschaft einfliessen lässt. 78 Ebenfalls in Anlehnung an Flaig hebt er die Rolle der verschiedenen Akzeptanzgruppen hervor, deren unterschiedlich konstruierte Herrschaftsvorstellungen einerseits den 74 WEBER/ZIMMERMANN 2003 (Propaganda, Selbstdarstellung und Repräsentation), 35. Ibid., 36: «Bei der allgemeineren Definition können auch Architektur, Texte unterschiedlicher Art, Bilder, Denkmäler, Gastmähler usw., ja letztlich alle mit dem Kaiser, Magistraten oder Privatpersonen in Verbindung stehenden oder auf sie bzw. ihre gesellschaftliche und soziale Stellung verweisenden Handlungen, Materialien und Texte einbezogen werden.» 76 Ibid. 77 Die Anachronismen dieses Modells lägen darin, dass ihm doch die moderne Vorstellung eines «Staates» zugrunde liegt, dem eine «Öffentlichkeit» gegenübersteht, die ersterer propagandistisch zu beeinflussen sucht; beide Konzepte, seien der Antike jedoch fremd gewesen. 78 MEISTER 2012, 197. 75 27 Methodik und Terminologie Herrscher in unterschiedliche Rollen drängen, sich jedoch andererseits in erster Linie nicht im Herrscher selbst, sondern in dessen Bildern manifestierten: «Die Kaiserbilder waren im ganzen Reich präsent und stellten damit gewissermassen eine Vervielfältigung des kaiserlichen Körpers dar, der sich so in den unterschiedlichsten Kontexten und Rollen präsentieren und repräsentieren konnte.» 79 In der älteren Forschung war der Begriff des «Herrscherbildes» noch den physischen Porträts eines Herrschers vorbehalten, d.h. rundplastische Bildnisse, Münzbilder u. ä.. 80 Neuere Beiträge wie der von Jan Meister legen jedoch eine Ausweitung des Begriffes sowie eine eher kulturgeschichtliche Betrachtung der Herrscher- oder Kaiserbilder nahe. In einem Sammelband von 2018 schlagen Diederik P. Burgersdijk und Alan J. Ross das Konzept einer «shared culture» vor, um der Komplexität der spätantiken Kaiserbilder in den unterschiedlichen Quellengattungen gerecht zu werden. 81 In der Einführung machen die Herausgeber auf die für die kaiserliche Machterhaltung wichtige Rolle aufmerksam, die dem Herrscherbild und dessen Ausbreitung in die Peripherien des Reichs, wo der Kaiser selbst oft nicht anwesend sein kann, zukam. Entgegen der Ansicht früherer Forschung sprechen sie sich, so wie auch Jan Meister bereits in Bezug auf die Kaiserporträts, gegen die Annahme einer Verbreitung des Herrscherbildes als einfaches «top-down movement» aus – also der Idee, dass das Herrscherbild im Wesentlichen nach der Vorstellung des Kaisers gefertigt und deren Verbreitung zentralistisch koordiniert sei, und damit einer Form der kaiserlichen Propaganda entspreche. 82 Dagegen halten die Herausgeber – ähnlich wie bereits Jan Meister – fest, dass das spätantike literarische Kaiserbild nicht vom Kaiser selbst geformt wird, sondern von einer kompetitiven Gruppe gebildeter Eliten, welche das Kaiserbild aufnahmen, bearbeiteten und wiedergaben (mit Julian als möglicher Ausnahme). Dies geschehe innerhalb einer grossen Bandbreite verschiedener Genres: Panegyrik, Historiographie, säkulare und geistliche Invektiven. Sender und Empfänger der Herrscherbilder waren Teil einer gemeinsamen «shared culture», innerhalb derer «image-making» in verschiedenen Richtungen geschieht. Der Kaiser selbst habe dabei ironischerweise kaum Einfluss auf das Kaiserbild, obwohl er immer wieder als Verkörperung der Kaiserherrschaft dargestellt werde. 83 Mit diesem Ansatz verschreiben sich die Herausgeber einem «representational turn» zu, welcher im Verlauf der letzten Jahrzehnte an Fahrt aufgenommen habe. Dieser lasse sich auf praktisch alle Arten von Medien anwenden, also auf materielle sowie literarische «imperial figures». 84 So war die Gattung 79 MEISTER 2012, 200. Vgl. etwa den RAC-Artikel von ENGEMANN 1988 (s.v. «Herrscherbild»). 81 BURGERSDIJK/ROSS 2018 (Imagining Emperors in the Later Roman Empire). 82 Das alte Bild einer Pyramide, an deren Spitze der Kaiser steht, möchten die Autoren freilich nicht verwerfen. Jedoch verweisen sie darauf, dass die strukturelle Integrität dieser Pyramide durch jede einzelne Schicht garantiert werde, und nicht allein durch die Spitze vorgegeben sei (BURGERSDIJK/ROSS 2018 (Introduction), 1 f.). 83 Ibid., 2. Die Empfänger werden indes als «subordinate on any level within the elite» konkretisiert, also unter Ausschluss der einfachen Bevölkerung. 84 Ibid., 8. 80 28 Methodik und Terminologie der Geschichtsschreibung genauso damit beschäftigt, ein nuanciertes Bild vergangener Kaiser zu entwerfen, entweder um sie zu verurteilen, zu rehabilitieren oder bestehende Bilder derselben Subjekte neu zu gestalten, wie die Panegyrik. Letztere hingegen war eindeutig dazu bestimmt, ein klar positives Bild des aktuellen Kaisers zu präsentieren. Gleichzeitig diente die Panegyrik aber auch dazu, ehemalige Kaiser, die dem angesprochenen Kaiser oder gar dem Redner nicht gefielen, zu verurteilen. Die lange vorherrschende Sichtweise der Forschung habe in der Panegyrik in erster Linie kaiserliche Propaganda gesehen (eine Sichtweise, die nach den Herausgebern momentan dank intensiver Erforschung von politischer Kommunikation wieder Aufwind erhalte). Demgegenüber betonten neuere Ansätze, dass der Panegyriker durchaus eine eigene Agenda durchblicken lässt und damit eine Rolle als Erzieher wahrnimmt, indem er als Vertreter bestimmter Gruppen dem Kaiser deren Weltsicht empfiehlt. 85 Neben Historiographie und Panegyrik integrieren die Herausgeber aber auch Gesetzgebung, Numismatik und schliesslich archäologisches Material in das Spektrum der «shared culture». Der Ansatz hat einiges für sich, denn er löst das Problem der ansonsten unvereinbaren Quellengattungen, die sich auf so vielfältige Weise mit dem Bild des Kaisers befassen, indem er den Dialog der verschiedenen Genres in den Fokus bringt. Dadurch werden etwa die unterschiedlichen Kaiserbilder in Historiographie und Panegyrik komplementär: Ein bekannter Topos der spätantiken Historiographie besagt, dass diese sich ausschliesslich mit Kaisern der Vergangenheit beschäftigt. Die aktuelle Herrschaft sei stattdessen Gegenstand der Panegyrik. Historiker endeten ihre Geschichtswerke normalerweise mit den aktuell regierenden Kaisern und dem Verweis, dass über alles Weitere zu berichten andere zuständig wären, und dies zudem in einem «erhabeneren Stil» geschehen müsse. 86 Indem sie nahelegen, dass sie nicht weitergehen können, übergeben sie in gewissem Sinne das Thema der aktuellen Regierung an den Panegyriker. Auf diese Weise wird suggeriert, dass die Panegyrik eine Gattung ist, die im Anschluss an die Geschichte gelesen werden sollte, die beiden Genres also zeitlich komplementär sind. 87 85 BURGERSDIJK/ROSS 2018, 8. Anders hingegen die Sicht von PFEILSCHIFTER 2013, 99, der die Panegyrici latini des 4. Jahrhunderts als reine Selbstauffassung und offizielle Aussendarstellung des Kaisers betrachtet: Abgesehen davon, dass es immer eine «dumme Idee» gewesen sei, öffentlich den regierenden Kaiser zu kritisieren, seien die Panegyrici ohnehin meist vom Hof für bestimmte Anlässe bestellt gewesen, oder der Redner habe versucht, sich den Kaiser geneigt zu machen, entweder für sein eigenes Fortkommen oder im Dienst anderer, etwa seiner Gemeinde. Diese Überlegungen haben ihre Berechtigung, sprechen jedoch den Panegyrikern zu wenig eigenen Handlungsspielraum zu. Sicher lässt sich behaupten, dass Lobreden gegenüber dem Kaiser ein Balanceakt zwischen Lobpreisung und der vorsichtigen Formulierung von Ansprüchen waren. 86 Eutrop. 10,18,3: nam reliqua stilo maiore dicenda sunt; Amm. 31,16,9: ad maiores moneo stilos. Bei Ammian wird zuweilen darauf hingewiesen, dass er sich mit seiner Formulierung möglicherweise an Eutropius anlehnt. Etwas aus dem Rahmen fällt Aur. Vict. Caes. 42,20-25, der den aktuell regierenden Constantius II. noch einer kritischen Überprüfung seiner Vorzüge und Nachteile unterzieht. 87 BURGERSDIJK/ROSS 2018, 12–15, speziell 13. Das bei Ammian durchscheinende «literarische Gesetz», dass die Gegenwart nur in panegyrischer Form geschildert werden dürfe, erkannte bereits STRAUB 1964 (Vom Herrscherideal in der Spätantike [1939]), 153. 29 Methodik und Terminologie Die in diesem Kapitel vorgestellten verschiedenen Konzepte, die in den letzten Jahren zur Erfassung der Darstellung und Vermittlung der kaiserlichen Herrschaft in Bild und Text vorgeschlagen wurden – «shared cultural image», Kaiser- oder Herrscherbild, kaiserliche Repräsentation – sind sich im Grundsatz sehr ähnlich: Der Fokus liegt einerseits auf der Entstehung von Kaiserbildern im Zuge einer dialogartigen Interaktion zwischen Herrscher und Beherrschten, die sich in verschiedenen Gruppen mit unterschiedlichen Erwartungshaltungen formieren, welche wiederum vom Kaiser antizipiert werden. Andererseits wird die zur Erfassung dieser Kaiserbilder notwendige Miteinbeziehung aller verfügbaren Quellengattungen betont. Um den vorgestellten methodischen Überlegungen gerecht zu werden, soll im Folgenden der Begriff «Kaiserbild» also für jene Repräsentation der kaiserlichen Herrschaft in literarischer, numismatischer und archäologischer Form stehen, die durch verschiedenste Akteure dialogartig formuliert wird. 88 Das Kaiserbild besteht in diesem Sinne aus einem Konglomerat aus verschiedensten Erwartungshaltungen, die von unterschiedlichsten Akteuren und Gruppen an den Kaiser herangetragen werden, welcher diese in eine adäquate Repräsentation der kaiserlichen Herrschaft umzusetzen versucht. Dieser Dialog spiegelt sich über die verschiedenen Quellengattungen hinweg, kann sich aber auch in einzelnen Quellen niederschlagen und im besten Falle von Historiker*innen erkannt und ausgewertet werden. Dies bedeutet nicht, dass der Kaiser nicht versuchen konnte, die Meinungsbildung spezifischer Gruppen zu seinen Gunsten zu beeinflussen oder neue Akzente in der Darstellung der kaiserlichen Herrschaft zu setzen. Jedoch war diese versuchte Beeinflussung kein einfaches «top-down movement», sondern konnte nur in Antizipation der Reaktionen dieser Gruppen geschehen. Allzu experimentierfreudige Abweichungen von den Erwartungen der Bevölkerungen können in diesem Sinne auch scheitern, indem bestimmte Gruppen ihre Akzeptanz ganz oder teilweise entziehen können. Der Begriff «Kaiserbild» dient also dazu, nachzuzeichnen, wie sich der kaiserliche Habitus in den diversen Quellengattungen eingeschrieben hat. Zugleich kann untersucht werden, wie verschiedene Ausprägungen des kaiserlichen Habitus tradiert wurden, sich mit der Zeit wandelten oder neu bewertet und interpretiert wurden. Materielle und literarische Quellen sollen demnach im Verbund betrachtet werden. Um dennoch eine gewisse Struktur und Übersichtlichkeit der Untersuchung zu gewährleisten, werden im Folgenden jedoch die verschiedenen Quellengattungen dennoch vorerst voneinander getrennt betrachtet; anschliessend werden sie aber im letzten Teil zu einem Gesamtbild kombiniert. 89 88 Die Festlegung auf «Kaiserbild» ist der pragmatische Versuch zur Wahrung von Einheitlichkeit. Der in seiner Bedeutung hier skizzierte Begriff «Kaiserbild» wird daher synonym zu «Herrscherbild» verwendet. Dies ergibt sich im Kontext des römischen Kaisertums zwangsläufig, da der Herrscher immer der Kaiser ist. Werden im Folgenden Begriffe wie «Herrscherbild», «kaiserliche Repräsentation» o.ä. benutzt, handelt es sich dabei um Verweise auf die im entsprechenden Kontext zitierte Fachliteratur. Der Begriff «Porträt» behalte ich aber der Präzisierung halber lediglich materiellen Kaiserbildern vor (rundplastische Statuen, Reliefs, Münzbilder etc.). 89 Dies entspricht im Übrigen auch der Empfehlung von Weber und Zimmermann für das Vorgehen bei der Erschliessung der herrscherlichen Repräsentation. 30 II. Julians Philosophen-Herrscherkörper Julian blieb der Nachwelt als ein Philosophenkaiser in Erinnerung; dieses Signum hängt ihm auch in der modernen Forschung zuweilen noch an. 90 Sein reicher Fundus an philosophischen Schriften ist als umfangreiches Selbstzeugnis eines römischen Kaisers einzigartig und überragt in dieser Hinsicht das Werk Mark Aurels. Sein Œuvre, in welchen er sein distinktiv neuplatonisches Weltbild vermittelt, umfasst verschiedenste Gattungen: Panegyriken, Streitschriften, Satiren und religiöse Lobeshymnen an Götter. Ein Leitmotiv von Julians umfangreichem Gesamtwerk ist sein ständiges Bestreben, den Titel eines Philosophen zu tragen, oder zumindest eines Adepten der Philosophie, als idealer Schüler des «göttlichen» Jamblichos. 91 Auch Julians Kosmologie und Anthropologie erstreckt sich über seine verschiedenen Schriften hinweg. Sein besonderes Interesse scheint dem Grenzbereich zwischen dem unwandelbaren geistigen und dem veränderlichen materiellen Kosmos gegolten zu haben. Dabei lässt sich der Versuch erkennen, die bei der Entstehung der sinnlich wahrnehmbaren Körper wirkenden demiurgischen Kräfte möglichst Präzise zu erfassen und zu beschreiben. 92 Als das Werk eines selbsternannten und zumindest teilweise von seinen Zeitgenossen anerkannten Philosophenherrschers, ist es natürlich unumgänglich, dieses in einer Arbeit über Julians Körperkonzeption miteinzubeziehen und zu fragen, was der Körper in Julians philosophischen Schriften für eine Rolle spielt. Im Folgenden soll versucht werden, Julians spezifische Konzeptionen zur Bedeutung des Körpers für den Menschen, und speziell für den Herrscher, aus seinen philosophischen Schriften herauszudestillieren. 93 Dabei wird im Einzelnen auf eine genaue Nachzeichnung der einzelnen Lehren innerhalb der neuplatonischen Tradition verzichtet. Dies hat zwei Gründe: Einerseits scheint es so, dass sich Julian ziemlich beliebig beim verfügbaren Spektrum neuplatonischer Autoren bediente und sich daraus eine – über seine Schriften hinweg nicht immer einheitliche – Seelenlehre «zusammenbastelte», die in den einzelnen Texten meistens einem bestimmten Ziel dient. Das Zurückführen einzelner Aussagen auf bestimmte Schulen wäre deshalb auch im Kontext dieser Arbeit ein unnötiger Aufwand. Da es darüber hinaus in diesem Kapitel ausschliesslich um Julians persönliche Körperkonzeptionen gehen soll, dürfte es vertretbar sein, sein Gesamtwerk in einer gewissen Isolation zu betrachten. Schliesslich kann Kaiser 90 Vgl. REBENICH/WIEMER 2020 (Introduction: Approaching Julian), 1: «a philosopher in an emperor’s garb». 91 DE VITA 2011 (Giuliano imperatore filosofo neoplatonico), 13. 92 RIEDWEG 2018 (§ 119. Kaiser Julian), 1401. Ziel dieses Kapitels ist es dezidiert nicht, Julians komplexe religiöse Vorstellungswelt in ihrer Ganzheit nachzuzeichnen; die folgenden Darstellungen sind daher stark vereinfachend und beanspruchen auf keinen Fall Vollständigkeit oder das Ziel eines tieferen Verständnisses von Julians Religion. Auch die Kontextualisierung in das zeitgenössische neuplatonische Gedankengut muss oberflächlich und rudimentär bleiben. Für eine vertiefte Beschäftigung mit Julians neuplatonischer Welt verweise ich an entsprechenden Stellen auf die relevante Literatur; als Grundlage zu einem vertieften Verständnis und einer Einordnung von Julian in die zeitgenössische philosophische Tradition sei grundsätzlich auf die Arbeit von Maria Carmen de Vita verwiesen. 93 31 Julians Philosophen-Herrscherkörper Julian durchaus auch als selbstständige Autorität in dem weiten Feld des Neuplatonismus betrachtet werden. Im Fokus stehen im Folgenden Julians religiöse Götterhymnen (Hymne an die Göttermutter = or. 8 und Hymne an König Helios = or. 11), seine Streitreden gegen die Kyniker (Gegen Herakleios = or. 7 und Gegen die ungebildeten Hunde = or. 9), Julians Briefwechsel mit dem Philosophen Themistios (Brief an Themistios = or. 6) und sein Brief an den Priester Theodoros (ep. 89a/b). Für die Besprechung von Julians Vor- und Gegenbilder wird zudem seine Satire Symposion/Caesares (or. 10) zentral sein. Bewusst ausgelassen wird hingegen noch Julians wohl berühmteste Schrift, der Misopogon (or. 12), da es sich dabei nicht um eine systematische religiös-philosophische Abhandlung handelt und sie im dritten Teil dieser Arbeit eine gesonderte Behandlung erfährt. «Eine Doppelnatur voll Widerstreit»: Körper und Seele in Julians Neuplatonismus Untersucht man Julians Schriften hinsichtlich körperbezogener Aspekte, fällt der erste Eindruck eher ernüchternd aus. Julian interessierte sich kaum für den Körper als solchen, oder anders ausgedrückt: nur indirekt. Der menschliche Körper nimmt in seinen Schriften eine zwar durchaus prominente Rolle ein, jedoch dient er meistens nur als Negativfolie zur göttlichen Seele. Julians Körperkonzeption kann dementsprechend auch nur hinsichtlich seiner Vorstellungen zur menschlichen Körper-Seele-Dialektik erörtert werden. Hinweise zu Julians Vorstellungen über das Verhältnis von Seele und Körper sind denn auch zahlreich und über sein ganzes Werk verstreut; eine einheitliche Reflexion über die Natur der Seele fehlt in den Schriften des Kaisers. Es scheint so, als ob sich Julian auf einige wenige, für ihn interessante Vorlagen verliess und eine mehr oder weniger gezielte Auswahl innerhalb der nachplotinischen Seelenlehre traf. 94 So finden sich auch in Julians Schriften Bezüge zum Körper fast ausschliesslich im Zusammenhang mit seiner Seelen-Konzeption, welche wiederum nur im Kontext seiner umfangreichen und komplexen neuplatonischen Kosmologie verstanden werden kann. Innerhalb der zeitgenössischen neuplatonischen Schulen gab es Divergenzen bezüglich der Seelenlehre, die unter anderem die Frage der Anzahl der Seelen, ihre mögliche Unterscheidung in verschiedene Klassen und die Unterscheidung zwischen menschlichen, tierischen und pflanzlichen Seelen betrafen. Julian wird diese Kontroversen mitbekommen haben, denn er reflektiert verschiedene Vorstellungen, ohne sich ausdrücklich für eine zu entscheiden. 95 94 DE VITA 2011, 202. 95 Dafür mag es mehrere Gründe geben. Vorstellbar ist etwa, dass Julian den Unterschied zwischen den verschiedenen Doktrinen zu mildern versucht, indem er sie als «Varianten» der neuplatonischen Seelenlehre nebeneinanderstellt. Zum Streit über die Natur der Seele innerhalb der neuplatonischen Schule vgl. DE VITA 2011, 207 ff.; zum Streit zwischen der Schule Plotins und des Jamblichos um die Vorstellungen des «Herabsteigens» der Seelen in die Körper, siehe 213. 32 Julians Philosophen-Herrscherkörper Die unterschiedlichen neuplatonischen Lehren vereinte eine monistische Welterklärung mit einem ersten Prinzip des absoluten Einen, das oft mit Platons Idee des Guten gleichgesetzt wurde. Das von Plotin begründete Modell, an welchem sich Julian dabei orientiert, weist im Kern die klassischen neuplatonischen Lehren auf: Ein mehrstufiges Derivationsmodell des Kosmos, beginnend mit dem ersten Prinzip des «Einen» (τὸ ἕν), aus welchem sich stufenweise der «Geist» oder «Intellekt» (νοῦς) und die «Seele» (ψυχή) ergibt, welche schliesslich die sinnlich wahrnehmbare Welt konstituiert. 96 Das Urprinzip wird zumeist in Form einer negativen Theologie ausgedrückt, da es gedanklich und sprachlich nicht fassbar ist. Platons Ideenlehre wird in dem Sinne adaptiert, dass der νοῦς alle Gegenstände und Eigenschaften der sichtbaren Welt als Prototypen enthält. Für das Individuum zentral ist eine Ethik des intellektuellen Aufstiegs der Seele durch Techniken wie Selbsterkenntnis und der Ablehnung von allem dazu überflüssigen, als eine Art Ähnlichwerdung mit Gott. Im späteren Neuplatonismus mit Porphyrios und Jamblichos wurden Elemente der traditionellen paganen Religion, vor allem Elemente aus dem Epos und Mythos sowie Mysterienreligionen in das System inkorporiert. Eine besondere Rolle kam ebenfalls der Theurgie als Methode für die «Rückkehr» der Seele zu. 97 Julian knüpft mit seiner komplexen Kosmologie, die Helios als die oberste (und letztlich einzige) Gottheit ins Zentrum der Welt stellt, an gängige neuplatonische Vorstellungen an. Die Welt und alle Lebewesen sind, in einem vielschichtig abgestuften System, Emanationsformen von Helios, der selbst auch nur als Verkörperung des obersten, unnennbaren Prinzips gilt. 98 In der Beschreibung dieser Kosmologie bedient sich Julian einer typisch neuplatonischen Lichtmetaphorik, um die Authentizität seiner Überlegungen zu beweisen. Besonders deutlich kommt dies in seiner Hymne an König Helios (oratio 11) zur Geltung. 99 In der Schrift unternimmt Julian den Versuch, vom «sichtbaren» auf das «unsichtbare» zu schliessen: Das Licht als unkörperliche Emanation der Sonne lasse darauf schliessen, dass die Sonne als Quelle des Lichtes ebenfalls unkörperlich sein muss. Als «unbefleckte Kraftäusserung des Geistes» erfüllt die Sonne damit als Mittelpunkt des Himmels die ganze Welt mit dieser geistigen Kraft. 100 Die Sonne spiegelt damit die Rolle des Schöpfergottes Helios wieder, der sein Licht im gesam- 96 Das System ist zuweilen auch unter dem Begriff «Emanationsmodell» bekannt. Obwohl dieser umstritten ist, kann er jedoch eine gewisse Vorstellung von der komplexen Funktionsweise des Systems vermitteln. 97 Vgl. HORN 2018 (§ 112. Überblick), 1249–51. 98 Eine zum besseren Verständnis sehr hilfreiche graphische Übersicht von Julians Kosmologie, mit den jeweiligen Sphären und den darin wirkenden Kräften und Gottheiten, findet sich in der deutschen Edition von ASMUS 1908 (Kaiser Julians philosophische Werke), 177. 99 Fast schon märchenhaft mutet Julians verträumte Erinnerung an seine Kindheit zu Beginn der Rede an: Er sei schon seit seiner frühesten Jugend durch das ätherische Licht des Mondes fasziniert gewesen, den er in wolkenlosen Nächten im Freien beobachtete: «Das himmlische Licht umstrahlte mich überall, es weckte mich und regte mich zum Schauen an.» (Τοῦ δὲ ὅτι με τὸ οὐράνιον πάντη περιήστραπτε φῶς ἤγειρέ τε καὶ παρώξυνεν ἐπὶ τὴν θέαν). Als er später seinen ersten Bart bekam, habe er schon als ausgemachter Sternseher gegolten: Iul. or. 11 (in Sol.), 131 A. 100 Iul. or. 11 (in Sol.), 133 D–134 B. 33 Julians Philosophen-Herrscherkörper ten Universum verbreitet und somit den intellektuellen (d.h. denkenden) Gottheiten die Kraft zukommen lässt, die letztlich auch das Eine, als die oberste Idee des Guten (dessen Spross Helios ist), den intelligiblen (d.h. bloss denkbaren) Göttern oder Substanzen zukommen lässt. 101 Diese göttliche Kraft dringt auch bis in die Welt des Werdens hinein, d.h. die Erde mit ihren menschlichen und tierischen Bewohnern, die von allen Sphären am weitesten von dem einen Urprinzip des Guten entfernt ist. 102 Die Seele der Menschen ist dabei als Manifestation dieses göttlichen Lichts ebenfalls auf das Gute ausgerichtet. Das göttliche Licht dient dabei den Seelen als Fahrzeug für den Abstieg in die Schöpfung und verbindet sie zugleich ständig mit der Gottheit. 103 Doch zugleich ist die Seele der nicht-göttlichen, materiellen Welt ausgesetzt. In dem komplexen System ist das Verhältnis von Körper und Seele in erster Linie von Gegensätzlichkeit und Konflikten geprägt: «Denn seine [des Menschen] Natur ist eine Doppelnatur voll Widerstreit, nämlich ein Gemisch von Seele und Körper, wovon jene göttlich, dieser aber dunkel und finster ist. Es scheint daher ein Kampf und ein Zwiespalt in ihr obzuwalten. Wegen dieser Eigenart stimmen ja auch nach der Behauptung des Aristoteles weder unsere Freuden, noch unsere Leiden miteinander überein. Denn was der einen von den beiden in unserer Brust wohnenden Naturen angenehm ist, das ist der ihr entgegengesetzten schmerzhaft.» 104 Diese «Doppelnatur» des Menschen ist ein durchgängiger Topos in Julians Schriften. Die Idee einer zum Göttlichen strebenden Seele und eines an die materielle Welt gebundenen Körpers war fest im zeitgenössischen neuplatonischen Diskurs verankert und findet sich bei verschiedensten Autoren wieder. Für Julian war die Existenz jedes Menschen durch einen inneren Konflikt geprägt, der grosses – 101 Iul. or. 11 (in Sol.), 133 A–B. Iul. or. 11 (in Sol.), 141 D–142 B. Vgl. auch Iul. or. 9 (c. Cyn.), 182 C–D, wo Julian das Geschenk des Prometheus an die Menschheit in Form eines Feuerstrahls erwähnt, worunter nichts anderes zu verstehen sei als die Verteilung der Vernunft. Die Kraft des Prometheus sei zwar über alle Lebewesen gleichsam verteilt worden, doch nur der Mensch sei im Gegensatz zu den Pflanzen und Tieren fähig gewesen, neben der reinen Existenz und Beseeltheit auch mit einer vernünftigen Seele ausgestattet zu werden. 103 Iul. or. 11 (in Sol.), 152 A–B. Wie de Vita bemerkt, verweist das von Julian verwendete Vokabular auf das kulturelle Milieu der pneumatischen Schule; jedoch nicht nur in seiner ursprünglichen medizinisch-wissenschaftlichen Bedeutung des Begriffs, sondern auch in einer philosophisch-theurgischen Bedeutung, die in den neuplatonischen Schulen weiter verbreitet war. Nach dieser zweiten Bedeutung, die von den chaldäischen Orakeln vermittelt wurde, bezeichnet der Begriff πνεῦμα (mit dem eng verwandten ὄχεμα) nicht mehr den Lebensatem des Menschen, sondern eine Hülle oder ein Vehikel der Seele: Ein ätherischer oder leuchtender Körper, mit dem sie während des Abstiegs in die Sinneswelt bedeckt ist und auf den die wohltuenden Wirkungen der theurgischen Praktiken ausgeübt werden. Vgl. DE VITA 2011, 217–23, insb. 218 f. 104 Iul. or. 11 (in Sol.), 142 D (Übers. Asmus): Ταῦτα μὲν οὖν περὶ τὸν ἄνθρωπον οὐχ ὧδε ἔχει· διττὴ γάρ ἐστι μαχομένη φύσις εἰς ἓν κεκραμένη, ψυχῆς καὶ σώματος, τῆς μὲν θείας, τοῦ δὲ σκοτεινοῦ τε καὶ ζοφώδους, ἔοικέ τε εἶναι μάχη τις καὶ στάσις. Ἐπεὶ καὶ Ἀριστοτέλης φησὶ διὰ τὸ τοιοῦτο μηδὲ τὰς ἡδονὰς ὁμολογεῖν μηδὲ τὰς λύπας ἀλλήλαις | ἐν ἡμῖν· τὸ γὰρ θατέρᾳ, φησί, τῶν ἐν ἡμῖν φύσεων ἡδὺ τῇ πρὸς ταύτην ἀντικειμένῃ πέφυκεν ἀλγεινόν. 102 34 Julians Philosophen-Herrscherkörper seelisches und körperliches – Leid verursacht. 105 Die Rolle des Körpers ist daher grundsätzlich negativ behaftet. Hinweise dafür finden sich in seinen Schriften zuhauf, und es wäre eine müssige Aufgabe, sie in ihrer Gesamtheit aufzuzählen. Jedoch zeigt sich in der Art und Weise, wie Julian die Beziehung von Körper und Seele in seinen Schriften umschreibt, eine gewisse Ambivalenz. Diese ist eine mögliche Folge der divergierenden neuplatonischen Lehren, deren sich Julian bedient. So lassen sich in seinem Werk durchaus auch Passagen ausmachen, die eine eher körperfreundliche Ansicht vermitteln. Ein solches Beispiel bildet Julians Hymne an die Göttermutter, die Julian zum Anlass des GöttermutterFestes zwischen dem 21. und 27. März 362 wohl in einer Nacht verfasst hat. 106 Sie ist im Wesentlichen eine neuplatonische Interpretation des Attis-Mythos, der von der Göttermutter Kybele geliebt wird. Der Mythos wird von Julian erklärt als Allegorie für die kreative Intelligenz, die in einem ständigen Prozess von der transzendenten Welt in die materielle hinabsteigt und wieder zurückgeführt wird. Die in der Hymne an König Helios im Wesentlichen negative Vorstellung einer Seele, die in ihrer vollen Entfaltung durch den Körper behindert wird, wird in der Hymne an die Göttermutter durch eine «friedlichere» Vision eines organischen Ganzen ausgeglichen, das ein menschliches Individuum ausmacht. Hier beschreibt Julian, wie das Seelenheil letzten Endes auch für den Körper vorteilhaft ist: «Wenn sich nämlich die Seele vollständig den Göttern hingibt und alles, was sie angeht, den höheren Gewalten anheimstellt, und wenn dann die frommen Übungen sich hieran anschliessen und die göttliche Satzungen diesen den Weg weisen, so dass fürderhin nichts Hemmendes und Hinderndes mehr vorhanden ist […], dann erstrahlt in ihnen (den Seelen) auf einmal das göttliche Licht, und vergöttlicht verleihen sie dann dem ihnen von Natur angeborenen Lebenshauch eine gewisse Spannkraft, und eben diese wird von ihnen gewissermassen gestärkt und gekräftigt und so dem ganzen Körper förderlich.» 107 In diesem Sinne seien auch beinahe alle Krankheiten des Körpers auf seelische Ursachen zurückzuführen. Übungen zur Reinhaltung der Seele haben somit einen indirekten, aber nachhaltigen positiven Einfluss auf die körperliche Verfassung. Interessanterweise sind es jedoch meistens gerade gewisse 105 Vgl. auch die «Mittelstellung» des Menschen zwischen göttlich und sterblich: Iul. or. 9 (c. Cyn.), 184 A. Maria De Vita macht in der Dualität zwischen Körper und Seele und der von Julian konzipierten Negativität alles Körperlichen neben den neuplatonischen auch zusätzliche Einflüsse aus der chaldäischen und hermetischen Tradition aus, die ganz von der Bösartigkeit der Materie beherrscht wird; siehe DE VITA 2011, 210. 106 Lib. or. 18, 157; Iul. or. 8 (in Matr. Deor.), 178 D bezeugt, dass er die Schrift spontan in einer Nacht verfasst hatte. 107 Iul. or. 8 (in Matr. Deor.), 178 B–C (Übers. Asmus): Ὅταν γὰρ ἡ ψυχὴ πᾶσαν ἑαυτὴν δῷ τοῖς θεοῖς, ὅλα τὰ καθ’ ἑαυτὴν ἐπιτρέψασα τοῖς κρείττοσιν, ἑπομένης, οἶμαι, τῆς ἁγιστείας καὶ πρό γε ταύτης τῶν θείων θεσμῶν ἡγουμένων, ὄντος οὐδενὸς λοιπὸν τοῦ ἀπείργοντος καὶ ἐμποδίζοντος […] πάντα γάρ ἐστιν ἐν τοῖς θεοῖς καὶ πάντα περὶ αὐτοὺς ὑφέστηκε καὶ πάντα τῶν θεῶν ἐστι πλήρη –, αὐτίκα μὲν αὐταῖς ἐλλάμπει τὸ θεῖον φῶς, θεωθεῖσαι δὲ αὗται τόνον τινὰ καὶ ῥώμην | ἐπιτιθέασι τῷ συμφύτῳ πνεύματι, τοῦτο δὲ ὑπ’ αὐτῶν στομούμενον ὥσπερ καὶ κρατυνόμενον σωτηρίας ἐστὶν αἴτιον ὅλῳ τῷ σώματι. 35 Julians Philosophen-Herrscherkörper körperliche Verzichtübungen, die zu ebenjener Reinigung der Seele beitragen sollen. Ganz zentral stellt Julian dabei gewisse Diätvorschriften in Form von Speise-Verboten und -Geboten ins Zentrum, deren detaillierte Ausführung einen grossen Teil der Hymne ausmachen, wo sie quasi als praktische Empfehlungen den komplizierten theoretischen Ausführungen zum Wesen der Göttermutter angehängt sind. 108 Die Erklärung für die individuellen Vorschriften ist relativ simpel: Verzichten solle man auf alle Dinge, die in der Erde wachsen (Rüben, Samen, etc.; eine Ausnahme bilden Granatäpfel, die ebenfalls verboten sind), da die Erde unrein ist. 109 Erlaubt sind Hingegen alle Nahrungsmittel, die – wie die Seele es tut – «nach der Sonne streben» (Früchte, Kräuter etc.). Verboten ist auch Fisch, weil man Fische auch nicht den Göttern opfert, da man sie nicht züchtet und pflegt wie Nutztiere; aber auch, weil sie Tiere der Tiefe sind (und damit weit entfernt von der göttlichen Sonne). Essen soll man auch kein Schwein, weil auch dieses Tier «irdisch» ist. Andere Dinge dürfe man nicht essen, da sie heilig sind (Äpfel, einige Vögel). 110 Die Passage ist Teil des vorletzten Abschnitts der Hymne an die Göttermutter über die korrekte Art der Sühnung und wurde im Hinblick auf eine Rekonstruktion von Julians medizinischen Kenntnissen weithin untersucht; um die therapeutische Wirksamkeit der mit dem Attis-Kult verbundenen Diätvorschriften zu rechtfertigen, wird die gleiche Heilung des Körpers von mehr oder weniger schweren Krankheiten als Folge der Bekehrung der Seele zum Göttlichen dargestellt. 111 Solche Diätvorschriften sind in der neuplatonischen Philosophie durchaus gängig; 112 man bediente sich auch bereits medizinischer Begriffe, um die Legitimität ihrer Diätbeschränkungen, insbesondere der Fleischabstinenz, zu demonstrieren. Bei keinem der vorangegangenen Philosophen findet sich jedoch eine ähnliche Beschreibung der psychischen und physiologischen Prozesse, welche die therapeutische Wirksamkeit des Ritus bestimmen. Ein besonders interessantes Element bei Julian ist in diesem Zusammenhang auch durch die Erwähnung des sogenannten «Pneuma», oder des vitalen Atems gegeben, der von Julian als eine Art Zwischenorgan oder Stütze der Seele dargestellt wird, die es ihr erlaubt, mit dem Körper zu kommunizieren und ihm wohltuende Einflüsse zu übertragen: Ein Konzept, das zur Zeit des Kaisers bereits eine 108 Speise-Verbote: Iul. or. 8 (in Matr. Deor.), 173 D–177 D; Speise-Gebote: 177 D–178 D. Das Verbot von Granatäpfeln wird damit zusammenhängen, dass die Frucht in der Antike allgemein als Fruchtbarkeitssymbol gesehen wurde. 110 Dass diese Ernährungsgebote auch den Zeitgenossen zuweilen seltsam vorkamen, belegt Julian selbst. So nennt er Spottreden der «Irrgläubigen», die offenbar in Umlauf waren: «Die Schösslinge der Kräuter, sagen sie, isst man, wogegen man jedoch die Wurzelgewächse, z.B. Rüben, meidet. So isst man, sagen sie, Feigen, nicht aber zugleich auch Granatäpfel und andere Äpfel.» (Iul. or. 8 (in Matr. Deor.), 174 B (Übers. Asmus)). Er selbst habe solche Spottreden in seiner Jugend im Munde geführt. 111 DE VITA 2011, 218 Für Julians positives Verhältnis zur Medizin sprechen u.a. seine enge Beziehung zu seinem Leibarzt Oreibasios. Siehe auch Julians Ärzte-Gesetz (Iul. epist. 56, 398 B), in welchem er seine positive Haltung gegenüber der Medizin ausdrückt. 112 Nach BROWNING 1975 (The Emperor Julian), 143, würden Julian und andere Neuplatoniker verschiedene Ernährungsgebote aus unterschiedlichen Kulten zusammenführen und vereinheitlichen, um damit bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen und eine Einheit unter den neuplatonischen Heiden zu schaffen. 109 36 Julians Philosophen-Herrscherkörper lange Tradition biologischer, medizinischer, philosophischer und religiöser Studien aufweisen konnte. 113 In eine ähnliche Richtung gehen Julians Überlegungen zur Bedeutung des Körpers als Besitz und Instrument der Seele. Diese Gedanken formuliert er besonders prägnant in zwei Reden, die eine kritische Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Kynismus darstellen: Die Rede Gegen den Kyniker Herakleios (über die Frage, wie ein Hund leben solle, und ob es ihm anstehe, Mythen zu dichten) sowie die Rede Gegen die ungebildeten Hunde, die er in kurzem Abstand im Jahr 362 in Konstantinopel hielt. 114 Die Rede gegen Herakleios war Julians Reaktion auf eine Rede des Kynikers Herakleios, zu der Julian eingeladen worden war und die ihn tief enttäuscht hatte. 115 Darin entwirft er einen faszinierenden Muster-Mythos, der einem solchen in Julians Augen misslungenen Versuch des Herakleios entgegengesetzt wird. In diesem nimmt Julian zwar Attribute des traditionellen Kaiserbilds auf, etwa die Menschenliebe (φιλανθρωπία) des Kaisers und seine Sonderstellung in der Politik des Imperiums, aber diese werden zurückgebunden an eine neuplatonische Anthropologie und Theologie. 116 Die Rede Gegen die ungebildeten Hunde reagierte ebenfalls auf einen heute unbekannten ägyptischen Kyniker, der Julian als «gekrönten Diogenes» persiflierte, wie sich aus Julians Antwort rekonstruieren lässt. Diesem wollte Julian beweisen, dass Diogenes ebenso göttlich inspiriert gewesen sei, wie er selbst. Die beiden Reden wurden von Julian vermutlich in halböffentlicher Atmosphäre gehalten und werden häufig als typisches Beispiel für Julians Vernachlässigung des normalen kaiserlichen Protokolls gesehen, was von einigen Zeitgenossen nicht gutgeheissen wurde. 117 Julians Verhältnis zum Kynismus war ein schwieriges: Einerseits sprach sich Julian explizit für eine Vereinheitlichung der verschiedenen Strömungen der Philosophie aus – so, wie es nur eine Wahrheit gebe, gebe es auch nur eine Philosophie. 118 Andererseits hatte er für die in seinen Augen blasphemischen Äusserungen der zeitgenössischen Kyniker wenig Verständnis. 119 In der ersten der beiden Reden kritisiert Julian unter anderem die philosophischen Auffassungen des (Pseudo-)Kynikers Herakleios. Dabei 113 Vgl. Anm. 103. Lib. or. 17, 16. 115 Eun. frg. hist. 25,3. Eunapios nennt für beide Reden den Kyniker Herakleios als Adressat, was aber eher unwahrscheinlich ist; vgl. NESSELRATH 2020 (Julian’s Philosophical Writings), 47. 116 SCHRAMM 2013 (Freundschaft im Neuplatonismus), 345. 117 Vgl. BROWNING 1975, 141. 118 Vgl. Iul. or. 9 (c. Cyn.), 184 C: Man solle die Philosophie nicht in viele Stücke zerreissen oder Teile zerschneiden oder aus der einzigen Philosophie viele Philosophien machen wollen. Die Selbsterkenntnis, die von den Göttern vorgelebt wird, ist dabei in jedem Fall das höchste anzustrebende Gut; siehe Iul. or. 9 (c. Cyn.), 184 B–C. Diese besteht nach Julian im Wesentlichen in der Erkenntnis, dass der Mensch nicht nur aus einem Körper, sondern auch einer Seele besteht (die einen Körper zur Verfügung hat), deren Fähigkeiten es im Folgenden zu prüfen gelte; siehe Iul. or. 9 (c. Cyn.), 183 A–B. Julian ist hier ganz Ausdruck der wachsenden Idee eines «paganen Monotheismus» oder Henotheismus. 119 Vgl. etwa BROWNING 1975, 141: Die Kyniker der Spätantike hätten sich dem allgemeinen Trend der Vereinheitlichung der verschiedenen Schulen widersetzt und stattdessen als «anarchistic drop-outs of ancient society» die 114 37 Julians Philosophen-Herrscherkörper stellt er eine Untersuchung über die Natur des Kynismus an und entlarvt den zeitgenössischen Kynismus als entartete Form der Philosophie, die in der Gesellschaft lediglich für Unruhe sorgte. 120 Nach Julian waren die würdigen Kyniker der Vergangenheit wie Krates und Diogenes ganz anders: Sie verehrten die Götter und wandten sich nicht der Mythenbildung zu, um andere Menschen zu belehren. 121 In diesem Zuge entwickelt Julian auch eine Vorstellung davon, wie ein Kyniker auszusehen habe. Er hebt lange Haare, den Mantel und einen Stab als Erkennungsmerkmale des Kynikers hervor, mit denen sich Herakleios zu Unrecht schmückt. 122 Julian macht klar, dass dies alles reine Äusserlichkeiten sind und kritisiert, was er als oberflächlich vorgetäuschte Askese bei seinen kynischen Zeitgenossen ansieht. Dasselbe Argument findet sich auch in der Rede Gegen die ungebildeten Hunde. 123 Diesem vermeintlich ostentativen asketischen Schwindel stellt Julian das wahre Ideal kynischen Lebens gegenüber. Die modernen Kyniker wollten einen abgekürzten Weg einschlagen, doch zu wahrer Selbsterkenntnis gelange man nur, wenn man sich nach innen und nach der Gottheit richtet. Ein wahrer Kyniker müsse dies tun, und zudem bedürfe er einem ganz bestimmten Umgang mit dem Körper: «Er verschmäht die überflüssigen Speisen, er enthält sich des Liebesgenusses. Fühlt er aber ein dringendes körperliches Bedürfnis, haftet er nicht sklavisch an der herrschenden Meinung und wartet nicht erst auf den Koch, auf die Saucen und den Fettdampf und sieht sich auch nicht lange nach einer Phryne, einer Lais, nach der Frau, dem hübschen Töchterchen oder der Sklavin des einen oder des andern um. Nein, mit den ihm zufällig zu Gebote stehenden Mitteln sucht er seine körperlichen Bedürfnisse zu befriedigen und sich dessen, was ihn belästigt zu entledigen, und dann schaut er von dem Gipfel des Olymp herab auf die andern, ‹die auf der Ate Flur im Dunkel sich irrend ergehen› und für ganz wenige Genüsse all die Strafen erleiden müssen, welche die erfinderischen Dichter in ihren Schilderungen an die Ufer des Kokytos und des Acheron verlegen. Dies ist der kürzeste Weg. Er (der Kyniker) muss eben selbst auf einmal ganz aus sich selbst heraustreten und erkennen, dass er ein göttliches Wesen ist, und er muss seinen Geist unangefochten und unentwegt im Reiche der göttlichen, unbefleckten und reinen Städte unsicher gemacht, indem sie geltende Werte und Institutionen verspotteten; dadurch seien sie gewissermassen ein Sicherheitsventil für die intellektuelle Unzufriedenheit der Zeit gewesen. Ihre destruktive Kritik an der traditionellen Religion hätte sie zuweilen auch in die Nähe der Christen gebracht, so dass etwa Gregor von Nazianz einige von ihnen mit Respekt behandelte. 120 Vgl. Iul. or. 7 (c. Heracl.), 224 A–B: Interessanterweise gibt Julian den unruhestiftenden Kynikern den Namen «Verzichter», was auch der Begriff sei, den die Galiläer (= Christen) für die umherziehenden, bettelnden Asketen (= Mönche) benutzten. 121 Die Verurteilung des Kynismus bei gleichzeitiger Hochhaltung eines «wahren» Kynismus, der in der Vergangenheit praktiziert wurde, war bereits in der Philosophie der Kaiserzeit nicht unüblich: Epiktet äussert sich, aus einer stoischen Perspektive, ähnlich. 122 Iul. or. 7 (c. Heracl.), 223 C–D; Iul. or. 7 (c. Heracl.), 225 A. Schlimmer noch: Die Kyniker würden auch weitere ungebildete Menschen dazu überzeugen, sich mit einem langen Stab, einem Mantel und langem Haupthaar zu versehen und sich den Untugenden der Ignoranz und Unverschämtheit hinzugeben: Iul. or. 7 (c. Heracl.), 225 B. 123 Iul. or. 9 (c. Cyn.), 200 D–201 A. 38 Julians Philosophen-Herrscherkörper Gedanken festhalten, um seinen Körper sich gar nicht kümmern, ihn, um mit Heraklit zu reden, für ‹noch wegwerfenswerter halten als den Mist›, und seine Bedürfnisse mit den am leichtesten zu beschaffenden Mitteln befriedigen, so lange der Gott ihm den Körper wie ein Werkzeug zu gebrauchen befiehlt.» 124 Was Julian hier für den idealisierten Kyniker der alten Tage beschreibt, entspricht natürlich seinem eigenen asketischen Ideal, wie er es auch in den Götterhymnen, die er ja in grosser zeitlicher Nähe zu den Kyniker-Reden verfasst hatte, konstruiert. Dies macht im Zusammenhang mit der Unteilbarkeit der Philosophie, die er ebenfalls in der Rede Gegen die ungebildeten Hunde formuliert, auch Sinn, denn die Selbsterkenntnis als höchstes Ziel aller (redlichen) Philosophien könne nur auf diese Weise erreicht werden. 125 Die an dieser Stelle besonders abwertende Sichtweise gegenüber dem Körper wird jedoch ein wenig relativiert durch den eher pragmatischen Umgang mit dem Körper und den körperlichen Bedürfnissen, den Julian wohl auch mit Rücksicht auf die bekannte Lebensweise des idealen Kynikers Diogenes formuliert hat. Diogenes von Sinope war für seine demonstrative Schamlosigkeit und seinen ungezwungenen Umgang mit körperlichen Bedürfnissen bekannt. Dies gibt Julian auch zu; wenn aber Diogenes auf offener Strasse seine Notdurft verrichtete oder furzte, so habe er dies freilich nur getan, um die Scheinheiligkeit der Leute zu offenbaren, die diese natürlichen Dinge im Verborgenen tun, doch auf dem Markt in aller Öffentlichkeit gegen die Moral verstossen. 126 Deswegen übte Diogenes jedoch noch lange keinen laschen Umgang mit seinem Körper: Nach Julian habe dieser seinen Körper unablässig Mühsalen ausgesetzt, um seine natürliche Rüstigkeit zu stärken. Ziel dieser körperlichen Abhärtung sei es gewesen, zu vermeiden, dass der Körper in irgendeiner Form die Seele belästigen könnte. Als angenehmer Nebeneffekt habe der Körper des Diogenes dadurch eine Mannhaftigkeit erlangt, wie sie nicht einmal die zeitgenössischen Athleten erreichen konnten. 127 In derselben Rede erinnert sich Julian auch an eine Begegnung mit einem «echten» Kyniker in seiner Jugend – selbst er habe diesen damals unwillkürlich verspottet, da ihm der Anblick des ungepflegten Iul. or. 7 (c. Heracl.), 226 A–C (Übers. Asmus): φεύγει τὰς περιττὰς τροφάς· ἀποστρέφεται δὲ τὰ ἀφροδίσια. Βιαζομένου δὲ τοῦ σώματος οὐ δόξῃ προστέτηκεν οὐδὲ περιμένει τὸν μάγειρον καὶ τὰ ὑποτρίμματα καὶ τὴν κνίσσαν, οὐδὲ τὴν Φρύνην οὐδὲ τὴν Λαΐδα οὐδὲ τὴν τοῦ δεῖνα περιβλέπεται γαμετὴν οὐ|δὲ τὸ θυγάτριον οὐδὲ τὴν θεράπαιναν, ἀλλ’ ὡς ἔνι μάλιστα ἐκ τῶν προστυχόντων ἀποπλήσας τὴν θεραπείαν τοῦ σώματος καὶ τὸ ἐνοχλοῦν ἐξ αὐτοῦ παρωσάμενος ἄνωθεν ἐκ τῆς Ὀλύμπου κορυφῆς ἐπιβλέπει τοὺς ἄλλους Ἄτης ἐν λειμῶνι κατὰ σκότον ἠλάσκοντας, ὑπὲρ ὀλίγων παντάπασιν ἀπολαύσεων ὑπομένοντας ὅσα οὐδὲ παρὰ τὸν Κωκυτὸν καὶ τὸν Ἀχέροντα θρυλλοῦσιν οἱ κομψότεροι τῶν ποιητῶν. Ἡ σύντομος ὁδός ἐστιν αὕτη· δεῖ γὰρ αὐτὸν ἀθρόως ἐκστῆναι ἑαυτοῦ καὶ γνῶναι ὅτι θεῖός ἐστι καὶ τὸν νοῦν μὲν τὸν ἑαυτοῦ ἀτρύτως καὶ ἀμετακινήτως συνέχειν ἐν τοῖς θείοις καὶ ἀχράντοις καὶ καθαροῖς νοήμασιν, ὀλιγωρεῖν δὲ πάντη τοῦ σώματος καὶ νομίζειν αὐτὸ κατὰ τὸν Ἡράκλειτον κοπρίων ἐκβλητότερον, ἐκ τοῦ ῥᾴστου δὲ αὐτῷ τὰς θεραπείας ἀποπληροῦν, ἕως ἂν ὁ θεὸς ὥσπερ ὀργάνῳ τῷ σώματι χρῆσθαι ἐπιτάττῃ. 125 Siehe oben, Anm. 118. 126 Iul. or. 9 (c. Cyn.), 202 B–C. 127 Iul. or. 9 (c. Cyn.), 194 D–195 B. 124 39 Julians Philosophen-Herrscherkörper Mannes nur traurig vorkam. Doch nun hat Julian scheinbar erkannt, dass diese öffentliche Entwürdigung einem Leben des Genusses, der Pflege des Magens, der Liebe zum Körper und der sexuellen Freizügigkeit, die allesamt im Verborgenen zelebriert werden, weit überlegen ist. 128 Doch dieses Verhalten ist nicht etwa an sich rühmlich. Es ist nur erlaubt, wenn es aus einer Position der höchsten philosophischen Selbsterkenntnis heraus geschieht. So habe Diogenes selbst einen Jungen, der in aller Offenheit furzte, mit seinem Stock geschlagen und getadelt, dass er noch nichts geleistet hätte, was ihn zu einem solchen Verhalten berechtigte. 129 Das Furzen muss man sich, in Julians Augen, erst verdienen. Interessant ist jedoch auch die Formulierung des Körpers als Werkzeug der Seele. Einen solch «technischen» Zugang zum Körper bezeugt Julian ebenfalls in seiner Rede Gegen die ungebildeten Hunde: «Beim Körper unterscheidet man zunächst verschiedene Teile, wie die Augen, die Füsse und die Hände; zu diesen Teilen kommen aber gleichzeitig noch andere Dinge hinzu, wie die Haare, die Nägel, der Schmutz und andere Ausscheidungen der Art, ohne die der menschliche Körper unmöglich bestehen kann. Würde man nun nicht über einen Menschen lachen, der die Nägel oder die Haare oder den Schmutz und die übelriechenden Ausscheidungen und nicht vielmehr die wertvollsten und ernst zu nehmenden Organe als Körperteile betrachtete? Hiebei [sic] kommen aber in erster Linie die Sinneswerkzeuge und unter diesen eben vor allem diejenigen in Betracht, welche uns in höherem Grade zur Erkenntnis dienlich sind, wie die Augen und die Ohren. Denn diese Organe sind dem Verstande förderlich, sei es nun, dass sie der im Körper eingegrabenen Seele dazu behilflich sein sollen, dass sie schneller gereinigt wird und sich der reinen und unverrückten Denkkraft bedienen kann, oder sei es, dass sich die Seele, wie einige glauben, die Eindrücke gleichsam durch derartige Kanäle zuleitet. Denn dadurch, so sagt man, dass sie die einzelnen Wahrnehmungen sammelt und mittelst des Gedächtnisses zusammenhält, erzeugt sie die Wissenschaften. Ich aber bin der Ansicht, dass, wenn es nicht so ein mangelhaftes oder bei aller Vollkommenheit doch durch viele andere und vielgestaltige Einflüsse beeinträchtigtes Organ gäbe, das die Aufnahme der von aussen kommenden Eindrücke bewerkstelligte, überhaupt keine Aufnahme des Wahrnehmbaren zustande kommen könnte.» 130 128 Iul. or. 9 (c. Cyn.), 198 A–C. Iul. or. 9 (c. Cyn.), 197 C–D. 130 Iul. or. 9 (c. Cyn.), 189 B–D (Übers. Asmus): Οὐκοῦν ἐπειδὴ σώματος μέρη μέν ἐστιν, οἷον ὀφθαλμοί, πόδες, χεῖρες, ἄλλα δὲ ἐπισυμβαίνει, τρίχες, ὄνυχες, ῥύπος, τοιούτων περιττωμάτων γένος, ὧν ἄνευ σῶμα ἀνθρώπινον ἀμήχανον εἶναι, πότερον οὐ γελοῖός ἐστιν 〈ὁ〉 μέρη νομίσας ὄνυχας ἢ τρί|χας ἢ ῥύπον καὶ τὰ δυσώδη τῶν περιττωμάτων, ἀλλ’ οὐ τὰ τιμιώτατα καὶ σπουδαῖα, πρῶτον μὲν τὰ αἰσθητήρια καὶ τούτων αὐτῶν ἅττα συνέσεως ἡμῖν ἐστι μᾶλλον αἴτια, οἷον ὀφθαλμούς, ἀκοάς; Ὑπουργεῖ γὰρ ταῦτα πρὸς φρόνησιν εἴτε ἐγκατορωρυγμένῃ τῇ ψυχῇ, ὡς ἂν θᾶττον καθαρθεῖσα δύναιτο τῇ καθαρᾷ χρῆσθαι καὶ ἀκινήτῳ τοῦ φρονεῖν δυνάμει, εἴτε, ὥσπερ τινὲς οἴονται, καθάπερ δι’ ὀχετῶν τοιούτων εἰσφερούσης τῆς ψυχῆς. | Συλλέγουσα γάρ, φησί, τὰ κατὰ μέρος αἰσθήματα καὶ συνέχουσα τῇ μνήμῃ γεννᾷ τὰς ἐπιστήμας. 129 40 Julians Philosophen-Herrscherkörper Diese Passage steht ziemlich isoliert innerhalb einer Erörterung Julians über die Gründerväter der Philosophie und der Platz der Kynismus darin, was auch durch den folgenden Satz Julians hervorgehoben wird, dass diese Erörterung mit seinem gegenwärtigen Thema überhaupt nichts zu tun habe, bevor er sich wieder der Einteilung der kynischen Philosophie widmet. Vermutlich ist die Passage als Analogie zu den verschiedenen Wegen zur Erkenntnis innerhalb der Philosophie zu verstehen. 131 Doch auch für sich alleine gesehen ist die Stelle spannend, denn sie bestärkt Julians rein funktionale Betrachtungsweise des Körpers, der in erster Linie ein Instrument der Seele ist. Doch trotz der Mangelhaftigkeit des Körpers ist die Seele von jedem Körper zum Erkenntnisgewinn von ihm abhängig. Die Dualität zwischen Körper und Seele wird ähnlich wie in der Hymne an die Göttermutter als eine beidseitig gewinnbringende Symbiose bezeichnet – unter der Bedingung, dass die Seele die absolute Oberhand und Kontrolle über den Körper und seine Bedürfnisse behält. 132 Erst diese völlige Kontrolle des Körpers, wie sie etwa beispielhaft durch den asketischen Lebensstil des Diogenes erreicht werden kann, macht für Julian die wahre Freiheit des Menschen aus. Denn man dürfe sich nicht für frei halten, solange man dem Magen und den anderen Organen noch untertan sei. 133 Die Rede Gegen Herakleios ist recht lang und geht um einiges weiter als eine einfache Antwort an den Kyniker. Abgesehen von den Ausführungen über Diogenes ist der von Julian entworfene «Muster-Mythos» wohl das Kernstück der Rede. Dieser erzählt die Geschichte eines reichen Hirten mit vielen Ländereien, der sein Erbe an seine nutzlosen, gierigen und gottlosen Söhne abgibt, welche es schnell zugrunde wirtschaften, und eines Knaben, der von den Göttern auserwählt wird, das Erbe wiederherzustellen. Dies ist ziemlich offensichtlich als Metapher für die Geschichte von Konstantin, seinen Söhnen und ihm selbst zu verstehen. Im Mythos zerstören die Söhne das Erbe des Vaters durch das Niederreissen der ohnehin schon vernachlässigten Heiligtümer und richteten untereinander ein Blutbad an. Der vernachlässigte Knabe ist jedoch ein Spross des Helios und trägt daher das Feuer oder den Funken des Gottes in sich, der ihn dazu beruft, die Welt wieder in Ordnung zu bringen. 134 Zu diesem Zwecke nehmen sich die Götter des Jungen an. Er wird von ihnen ausgerüstet und mit der Mahnung entsandt, dass 131 ASMUS 1908, 79, vermutete daher einen ausgefallenen Satz über die Einteilung der Philosophie, der den Vergleich ihrer Teile mit denjenigen des Körpers einleitete. Er und ROCHEFORT 1963 (L'Empereur Julien. Œuves complètes), 156 verweisen im Zusammenhang mit dieser Textstelle auch auf Iul. or. 7 (c. Heracl.), 215 C–216 C, wo Julian ebenfalls auf die Teile oder Werkzeuge der Philosophie zu sprechen kommt. Dieser Überzeugung ist in jüngerer Zeit auch DE VITA 2011, 206, die den psychologischen Exkurs als Parallelität zwischen der Struktur der Philosophie und eines lebenden Organismus beschreibt, die beide aus harmonisch integrierten Abschnitten bestehen. 132 Dies macht für Julian auch das wesentliche Unterscheidungsmerkmal zwischen den Menschen und den Tieren aus, da bei diesen die Seele und der Körper gleichwertig seien, beim Menschen aber die Seele in ihrer Gesamtheit oder in einzelnen Aspekten dem Körper überlegen sei; siehe Iul. or. 9 (c. Cyn.), 194 B–C. 133 Iul. or. 9 (c. Cyn.), 196 C. 134 Iul. or. 7 (c. Heracl.), 229 C–230 B. In dem Mythos sind viele interessante Bezüge zur stoischen Pneuma-Lehre zu finden, denn der «Funke» des Helios kann als dieses lebensspendende Prinzip gesehen werden. Auf diese Bezüge kann hier nicht vertieft eingegangen werden; vgl. dazu DE VITA 2011, 207; SCHRAMM 2013, 335; vgl. auch Anm. 103. 41 Julians Philosophen-Herrscherkörper ihm der Leib nur zu diesem Zwecke, der Widerherstellung seines Stammhauses, gegeben worden sei. 135 Die anfänglich unvollständige Rüstung – er besitzt zu Beginn lediglich Schwert, Schild und Lanze, aber keinen Helm 136 – wird als Metapher für Julians rein militärische Ausbildung, ohne tiefere philosophische oder politische Einsicht, gelesen. 137 Von Helios erhält er im Zuge des Mythos eine Fackel, von Athene Gorgoneion und Helm und von Hermes einen goldenen Stab. 138 Das sind einerseits Herrschaftsinsignien, aber sie stehen auch für allgemein menschliche Eigenschaften wie Erleuchtung, Klugheit und Gerechtigkeit – Tugenden also, die man durch das Praktizieren von Philosophie erlangt. Zugleich wird der Held aber auch mit Weisheit «ausgerüstet», denn die Götter Helios und Athene unterweisen den zukünftigen Regenten noch darüber, wie er als zukünftiger Herrscher mit Freunden und Untergebenen umzugehen habe. 139 Gegenüber Freunden sollte ein ungekünsteltes, auf Symmetrie bedachtes Verhalten an den Tag gelegt werden; darin ist das Tugendideal des aristokratischen, freien Mannes beschrieben, der unter seinesgleichen ganz einfach, direkt und ungezwungen verkehrt. 140 Aus demselben Ideal der Menschenliebe (φιλανθρωπία) wird auch das Verhalten des Herrschers gegenüber den Beherrschten abgeleitet: Das traditionelle Herrscherattribut kommt dem Kaiser aufgrund seiner Mittelstellung zwischen den Göttern und seinen Untergebenen zu. Der Kaiser ist dadurch aber nicht automatisch – wie bei Themistios – tugendhaft, sondern, wie das zuvor angesprochene Beispiel des Constantius vor Augen führt, anfällig für menschliche Schwächen. Der Herrscher unterscheidet sich als Mensch mit einer stets veränderlichen Seele und einem für die Affekte anfälligen Körper keineswegs von seinen Untergebenen. 141 Die Rede gibt so gelesen einen Einblick in Julians Herrscherkörper-Konzeption: Der Herrscher nimmt eine besondere, göttlich sanktionierte Stellung in der sozialen Welt ein. Doch über seinen Körper ist er stets an die Menschheit gebunden und unterscheidet sich konzeptionell nicht von seinen Untergebenen: Auch ein Herrscherkörper ist den körperlichen Gelüsten und Gebrechen ausgeliefert, und es gilt ihm ebenso wie allen anderen Menschen, sich durch eine möglichst strenge Ausrichtung auf den «göttlichen Funken» in ihnen, sich an der göttlichen Welt zu orientieren, während man die Affekte des Körpers kontrolliert. Auch das Bild des Kaisers als «Götterspross» unterscheidet den Kaiser nicht per se von anderen Menschen: Nach neuplatonischer Vorstellung ist jeder Mensch aufgrund seines rationalen Seelenteils ein Spross der Götter. Die Rolle des Kaisers ist insofern eine besondere, als er durch das göttliche Los in die herrschende Familie hineingeboren wurde, also durch Geburt 135 Iul. or. 7 (c. Heracl.), 234 C. Iul. or. 7 (c. Heracl.), 230 C; Iul. or. 7 (c. Heracl.), 231 C. 137 SCHRAMM 2013, 338. In der Metapher sind auch Anklänge an den Perseus-Mythos auszumachen; vgl. 330. 138 Iul. or. 7 (c. Heracl.), 234 A–B. 139 Iul. or. 7 (c. Heracl.), 233 C–D. 140 So SCHRAMM 2013, 333. 141 Ibid., 343. 136 42 Julians Philosophen-Herrscherkörper von den Göttern auserwählt. Das heisst dezidiert nicht, dass er von göttlicher Abstammung ist, sondern lediglich ein Mensch in einem besonderen, göttlich sanktionierten Amt. Dass diese «bodenständige» Auffassung der Herrschaft nicht selbstverständlich ist und auch auf offene Kritik stiess, zeigte sich bereits zu den Zeiten, als Julian noch Caesar war, in einer Auseinandersetzung mit dem Philosophen Themistios. Der Brief an Themistios ist vermutlich die früheste Schrift, in der sich eine philosophische Konzeption von Julian fassen lässt. 142 Julians Brief ist eine Antwort auf einen vorangegangenen (aber verlorenen) Brief des Philosophen Themistios, 143 der zu dieser Zeit am Hof von Constantius tätig war. Der Inhalt des Briefes lässt sich durch den Beginn von Julians Brief rekonstruieren: Offenbar hatte Themistios grosse Hoffnungen für Julians beginnende Herrschaft geäussert: Er hatte Julians Position mit der von Herakles und Dionysos verglichen, die durch die Vereinigung von Königtum und Philosophie Recht und Ordnung in der ganzen Welt verbreitet hatten und allgemein grosse Erwartungen an den jungen Caesar gestellt. 144 Julian aber äussert schnell seine Befürchtung, dass er ihnen nicht gerecht werden könnte. Insbesondere die Vergleiche mit den göttlichen Vorbildern lehnt er ab – er könne sich ja nicht einmal mit seinen menschlichen Vorbildern messen: «Schon in früherer Zeit überlief mich bei dem Gedanken, ich müsse einst mit einem Alexander und Markus und anderen ausgezeichneten Tugendhelden in die Schranken treten, ein kalter Schauder und eine ganz unbeschreibliche Furcht, ich möchte nach dem Urteil der Welt hinter der Mannhaftigkeit des einen gänzlich zurückbleiben und die vollendeten Tugenden des anderen auch nicht im entferntesten erreichen.» 145 Im Verlauf des Briefes lehnt Julian die philosophischen Erörterungen von Themistios bezüglich einer göttlichen Auswahl des Herrschers deutlich ab. Dabei dringen bereits die philosophischen Differenzen zwischen der mystischen, neuplatonischen Tradition Julians (die das Christentum verurteilt) zu dem eher aristotelisch orientierten, sozial-aktiven (christenfreundlichen) Hellenismus des Themistios durch. 146 Julians Vorstellung eines Philosophenherrschers war gänzlich nach innen ausgerichtet. Die 142 Die Datierung ist umstritten: Die ältere Forschung datierte den Brief auf Ende 361 in die Zeit nach Julians Erhebung zum Augustus, wohingegen sich in neuerer Zeit vermehrt Stimmen für eine Verfassung in der Zeit direkt nach Annahme des Caesaren-Amtes aussprechen, d.h. gegen Anfang 356: Zuletzt NESSELRATH 2020, 42; dieser folgt dabei SWAIN 2013 (Themistius, Julian and Greek Political Theory under Rome), 58; ebenfalls für eine Frühdatierung in das Jahr 355 ist HEATHER/MONCUR 2001 (Politics, Philosophy, and Empire in the Fourth Century), 139. 143 Verfasst vermutlich direkt nach der Annahme des Caesaren-Amtes durch Julian. Für eine Rekonstruktion des Inhalts siehe SWAIN 2013, 55 f., zur Datierung 58. 144 In den rekonstruierten Inhalten des vorangegangenen Briefes an Julian sieht Swain eine gewisse «get a job»Mentalität, die wohl den jungen Caesar dazu bewegen sollte, seine Studien abzulegen und sich auf das neue Herrscheramt zu konzentrieren; vgl. SWAIN 2013, 62. Zum allgemein schwierigen Verhältnis zwischen Julian und Themistios siehe auch HEATHER/MONCUR 2001, 138-142. 145 Iul. or. 6 (ad Them.), 253 A–B (Übers. Asmus): καί μοι πάλαι μὲν οἰομένῳ πρός τε τὸν Ἀλέξανδρον καὶ τὸν Μάρκον, καὶ εἴ τις ἄλλος γέγονεν ἀρετῇ διαφέρων, εἶναι τὴν ἅμιλλαν φρίκη τις προσῄει καὶ δέος θαυμαστόν, μὴ τοῦ μὲν ἀπολείπεσθαι παντελῶς τῆς ἀνδρείας δόξω, τοῦ δὲ τῆς τελείας ἀρετῆς οὐδὲ ἐπ᾿ ὀλίγον ἐφίκωμαι. 146 HEATHER/MONCUR 2001, 142; siehe auch BROWNING 1975, 129. 43 Julians Philosophen-Herrscherkörper soziale Rolle des Philosophen beschränkte sich bei Julian auf dessen Vorbildfunktion. Der Philosoph müsse seine Worte durch Taten bestärken und anderen mit gutem Beispiel vorangehen. 147 Dies war das Ideal, dem Julian seit seinen Jugendjahren nachstrebte. Dazu gehört freilich auch, nach guter neuplatonischer Manier, dass man zugunsten seiner Seele allem Körperlichen entsagen muss: «Da hörst du doch, dass man, wenn man auch von Natur bloss ein Mensch ist, der Willensrichtung nach göttlich und ein Dämon sein und alles Sterbliche und Tierische vollständig aus der Seele verbannen soll, abgesehen von all demjenigen, was wegen der Erhaltung des Körpers notwendig darin bleiben muss.» 148 Auch während seiner Herrschaft als Augustus setze Julian die Prioritäten noch deutlich zugunsten des kontemplativen Lebens: So erklärt er in der Rede gegen Herakleios stolz, dass für ihn die Gotteserkenntnis ein weit höheres Ziel sei, als es die Kaiserherrschaft je sein könnte. 149 In seiner Rede Gegen die ungebildeten Hunde macht Julian die Hauptaufgabe eines Philosophen darin aus, genau in Erfahrung zu bringen, was man einerseits der Seele, andererseits dem Körper zuzugestehen habe und darauf zu achten, dass man der Seele stets eine führende Rolle gegenüber dem Körper zuspreche. 150 Im Brief an Themistios misst sich ein junger Julian bereits sehr früh mit einem der prominentesten paganen Intellektuellen seiner Zeit. Ein möglicher Antwortbrief des Themistios zeigt, dass sich Themistios nach der «Schelte» Julians (und seiner Erhebung zum Augustus) in seinen philosophischen Ansichten zumindest temporär an Julian anpasste. 151 Der Brief wird in der Forschung zuweilen als früher Ausdruck für Julians Renegatentum gesehen, der «not bothered by protocol or etiquette […] general ‹disconnect› with expected codes» beweise. 152 Man findet darin bereits die gleiche eigentümliche Mischung aus Bescheidenheit und Selbstbewusstsein, die für den Misopogon so typisch sein wird und die gleichen Leitfiguren (Mark Aurel und Alexander der Grosse), die in den Caesares so prominent hervortreten werden. Hinsichtlich Julians Selbstverständnis ist auch seine Rolle als pontifex maximus wichtig. In einem Brief, verfasst um die Jahreswende 362/363 in Antiochia, wendet sich Julian als solcher an den paganen 147 Iul. or. 6 (ad Them.), 266 B–C. Iul. or. 6 (ad Them.), 259 A–B (Übers. Asmus): Ἀκούεις ὅτι, κἂν ἄνθρωπός τις ᾖ τῇ φύσει, θεῖον εἶναι χρὴ τῇ προαιρέσει καὶ δαίμονα, πᾶν ἅπλως ἐκβαλόντα τὸ θνητὸν καὶ θηριῶδες τῆς ψυχῆς, πλὴν ὅσα ἀνάγκη διὰ τὴν τοῦ σώματος παραμένειν σωτηρίαν. 149 Iul. or. 7 (c. Heracl.), 222 B–C. 150 Iul. or. 9 (c. Cyn.), 190 A–B. 151 Der Brief ist nur in arabischer Übersetzung in Form des sogenannten «Risalat» überliefert, doch diese Identifikation ist umstritten: Überzeugende Argumente für eine Identifikation mit jener arabischen Tradition und für dessen Funktion als Antwort auf Julians Brief liefert Simon Swain (vgl. SWAIN 2013, 42–52, zur Überlieferung in der arabischen Tradition; 87–91, zum Verhältnis der beiden Briefe), der auch erstmals beide Dokumente in einer Edition zusammengebracht und übersetzt hat. 152 Ibid., 58. 148 44 Julians Philosophen-Herrscherkörper Priester Theodoros. Das Schreiben zerfällt in zwei Brieffragmente, die von der neueren Forschung einhellig als Fragmente eines einzigen Briefes angesehen werden. 153 In dem Schreiben teilt Julian dem Priester seine Ernennung zum Oberpriester von Asien mit und gibt ihm den Auftrag, die Priester in jeder Stadt zu inspizieren und zu unterweisen. 154 In den beiden Fragmenten umreisst Julian unter anderem seine eigene Legitimation als religiöser Gesetzeswächter sowie die Voraussetzungen, Eigenschaften und Aufgaben eines paganen Klerus. Julian erarbeitet in dem Schreiben die Tugenden, die er für das priesterliche Amt als Voraussetzung betrachtet. Bei einem Vergleich mit Julians zweitem Panegyrikus an Constantius, den er noch als Caesar verfasste, zeigt sich, dass diese mit den darin geäusserten Königstugenden übereinstimmen. Der Brief drückt daher im Wesentlichen Julians Selbstverständnis als Kaiser und pontifex maximus aus: Das Amt des Oberpriesters steht für Julian über allen anderen politischen Ämtern, die er in seiner Position als Kaiser in sich vereinigt. 155 Im Kontext der vorliegenden Arbeit sind vor allem seine Überlegung bezüglich der priesterlichen Reinheit interessant, die er im Detail entwickelt und Theodoros für seine neue Aufgabe mit auf den Weg gibt. Der in Julians philosophischen Schriften erörterte Widerstreit zwischen Seele und Körper gilt auch für Priester. Auch diese bestünden ja nicht aus Seelen allein; dem Menschen, der zum Priestertum gelangt ist, müsse man daher gewisse Zugeständnisse machen, solange er ausserhalb des Kultdienstes in den Heiligtümern ist. 156 Dennoch stellt Julian klare Regeln für die Vorbereitung zum Priesterdienst auf; so z.B. eine räumliche Trennung vom weltlichen Leben und «Reinigungen» (καθαρμοί), die jeweils vor Betreten des Heiligtumes zu vollziehen sind. Während des Aufenthalts im Heiligtum soll er sich mit Philosophie beschäftigen, und während der ganzen Zeit weder ein Haus noch den Markt betreten. 157 Im Heiligtum sei es dem Priester vergönnt, prachtvolle Gewänder zu tragen; in der Öffentlichkeit jedoch nur gewöhnliche, unauffällige Kleidung. 158 Priester müssten sich zudem von unreiner Sprache fernhalten: Dies gilt einerseits für das Lesen von unreinen Werken, andererseits auch für das Aussprechen oder auch nur das Anhören von Anstössigkeiten und Obszönitäten. 159 Wohl auch als Konsequenz davon scheint für Julian das Fernbleiben von jeglichen Theateraufführungen ganz besonders wichtig zu sein; diese seien für Priester absolut unpassend – verboten hätte er dies sogar, wenn es ihm möglich 153 Iulian. Imp. ep. 47 & 48; siehe dazu SCHRAMM 2013, 384; WEIS 1973 (Julian); BIDEZ 1960 (L'Empereur Julien. Œuves complètes.), 102. 154 Iul. epist. 48, 452 D–483 A. Eingangs erwähnt Julian, dass es sich bei diesem Brief um eine persönliche Mitteilung handelt. Der Brief wird jedoch von der Forschung dennoch zumeist als Rundschreiben (Enzyklika) an die gesamte Reichspriesterschaft benannt; ein solches verfasste Julian wohl ebenfalls. 155 So die These von SCHRAMM 2013, 383–97. 156 Iul. epist. 48, 302 C. 157 Iul. epist. 48, 302 D–303 B. 158 Iul. epist. 48, 303 B. 159 Iul. epist. 48, 300 C–D. 45 Julians Philosophen-Herrscherkörper gewesen wäre. Die einzige Ausnahme bilden die heiligen Spiele, bei denen Frauen die Anwesenheit untersagt ist. 160 All diese Reinheitsgebote gelten in der Konsequenz auch für Julian in seiner Rolle als pontifex maximus. Diese mögen zeitlich auf den Götterdienst begrenzt gewesen sein; doch wie sich zeigen wird, verbrachte Julian einen Grossteil seiner Zeit mit kultischen Handlungen – so sehr, dass er dafür auch von paganen Autoren wie etwa Ammian zuweilen kritisiert wurde. Während all dieser Zeit hielt sich Julian wohl an die von ihm formulierten Reinheitsgebote. Dieses Verhalten des Kaisers barg ein grosses Konfliktpotential, das sich spätestens während seines Aufenthaltes in Antiochia entladen sollte, wie im folgenden Teil der Arbeit gezeigt werden wird. Vor- und Gegenbilder Wer sich mit Kaiser Julian beschäftigt, der weiss um sein grosses Vorbild: Kaiser Mark Aurel regierte von 161 bis 180 n. Chr. und ging als Philosophenkaiser in die Geschichte ein. In den Quellen zu Julian, darunter auch seinen Selbstzeugnissen, gibt es viele Hinweise auf diese Vorbildfunktion Mark Aurels. Bereits im Brief an Themistios, den Julian als Caesar verfasste, wähnt er Mark Aurel und Alexander den Grossen als ideale Herrscher, deren Grösse er selbst nie erreichen könnte. 161 Doch in einer seiner späteren Schriften stellt Julian Mark Aurel ganz besonders ins Zentrum. Das Symposion oder Kronia, auch bekannt unter dem Namen Caesares (oratio 10), nimmt eine besondere Stellung unter den philosophischen Schriften Julians ein. Als Satire gehört sie in dieselbe Kategorie wie der Misopogon, der im nächsten Teil gesondert behandelt wird. Doch die Caesares sind in erster Linie eine Abhandlung von Julians philosophischen Konzepten; als solche liefern sie anschauliche Indizien zu Julians Vorstellungen eines idealen Philosophenherrschers sowie seiner kaiserlichen Vor- und Gegenbilder. In diesem Sinne können sie zu seinen philosophischen Schriften gerechnet werden. Insbesondere ist darin die Darstellung von Julians Vorgänger und Vorbild Mark Aurel zentral, der als der ideale Philosophenherrscher eine wichtige Rolle in der Satire einnimmt. Als Negativfolie zu seinem Helden lässt Julian jedoch auch Konstantin auftreten. Spannenderweise thematisiert Julian im Zusammenhang mit seinen Vor- und Gegenbildern explizit körperliche Themen, weshalb sich ein Blick in die ohnehin interessante Schrift lohnt. 162 160 Iul. epist. 48, 304 B–D. Dasselbe Verhalten legt Julian auch Arkasios, dem Oberpriester von Galatien nahe: Iul. epist. 39, 430 B. 161 Iul. or. 6 (ad Them.), 253 A–B; vgl. oben S. 43. 162 Die allgemeine Fixierung auf körperliche Aspekte in den Caesares führte bisweilen auch dazu, in dem Text eine gewisse versteckte Lüsternheit Julians zu erkennen, der durch seinen fanatischen Hass auf alle Sexualität gerade dadurch besonders auf fehlgeleitetes sexuelles Verhalten fixiert war; vgl. BOWERSOCK 1982 (The Emperor Julian on his predecessors), 162 f. 46 Julians Philosophen-Herrscherkörper In der Satire, die vermutlich für die Saturnalien 362 verfasst wurde, 163 lässt Julian die olympischen Götter einen Wettbewerb veranstalten, um den besten menschlichen Herrscher auszuwählen. Dafür lassen sie die wichtigsten historischen Kaiser des Römischen Reichs, dazu Julius Caesar und als Ehrengast Alexander den Grossen, nacheinander auftreten und Reden halten. Anschliessend unterziehen die Götter sie einer kritischen Prüfung ihres Charakters, während der sie heikle Fragen beantworten müssen; dies alles unter den spöttischen Kommentaren des Silens (ein Satyr und Erzieher des Dionysos). Während Alexander den Titel des grössten Feldherrn erhält, ist es am Ende der strahlende Mark Aurel, der den Wettbewerb gewinnt, während Konstantin der Grosse, der als «Anhänger des Genusses» ohnehin nur zur bis zur Vorhalle zugelassen wurde, von Julian regelrecht zerpflückt wird. 164 Während es an der Rede viel zu besprechen gäbe, ist aus körpergeschichtlicher Perspektive vor allem die Darstellung Mark Aurels interessant. Bereits der erste Auftritt des Philosophenkaisers ist ganz auf sein Erscheinungsbild fixiert: «Da wurde Marcus berufen und trat ein: Ganz ehrwürdig sah er aus, im Ausdruck seiner Augen und in seinem Gesicht spiegelten sich die Mühen, die er auf sich genommen hatte. Es zeigte sich an ihm eine besondere innere Schönheit, wie er so ganz schlicht und schmucklos daherkam. Er trug einen sehr langen Bart, seine Kleidung war einfach und bescheiden, und wegen seiner sparsamen Ernährung war sein Körper ganz durchscheinend und von innen her leuchtend, wie, so möchte ich sagen, reinstes und sonnenklares Licht.» 165 Julian imaginiert Mark Aurel als den idealen Philosophen, den er auch in seinen Reden gegen die Kyniker beschreibt: Schmucklos, bärtig, asketisch. Doch sein Körper ist keineswegs degeneriert; im Gegenteil: Mark Aurels Körper mag zwar durchscheinend sein – dies könnte in satirischer Weise hinsichtlich seiner knappen Ernährung tatsächlich auch mit einem zwinkernden Auge zu verstehen sein – doch dies liegt vor allem an einem von innen strahlendem Licht, das auf Mark Aurels vollkommene seelische Reinheit verweist. Man erinnere sich an die ausgiebige Lichtmetaphorik in Julians religiösen Texten, und auch daran, dass Julian davon überzeugt ist, dass sich der Körper durch die Reinheit der Seele ebenfalls gesund und kräftig halten lässt, wie er in der Göttermutter-Hymne darlegt. Während also bereits das Äussere Mark Aurels erahnen lässt, dass es sich dabei um eine besondere Persönlichkeit handelt, wird dies kurz darauf durch dessen Worte auch bestätigt. Nachdem die anderen historischen 163 WRIGHT 1949 (The Works of the Emperor Julian [1913]) datierte die Schrift auf 361; in der neueren Forschung wird eher das Jahr 362 präferiert: MÜLLER 1998 (Die beiden Satiren des Kaisers Julianus Apostata. Symposion oder Caesares, und Antiochikos oder Misopogon), 37 f.; RIEDWEG 2018, 1400. 164 MÜLLER 1998, 46. 165 Iul. or. 10 (symp.), 317 C–D (Übers. Giebel): Ἐπεὶ δὲ καὶ ὁ Μάρκος κληθεὶς παρῆλθε, σεμνὸς ἄγαν, ὑπὸ τῶν πόνων ἔχων τά τε ὄμματα καὶ τὸ πρόσωπον ὑπό τι συνεσταλμένον, κάλλος δὲ ἀμήχανον ἐν αὐτῷ τούτῳ δεικνύων, ἐν ᾧ παρεῖχεν ἑαυτὸν ἄκομψον καὶ ἀκαλλώπιστον – ἥ τε γὰρ ὑπήνη βαθεῖα παντάπασιν ἦν αὐτῷ καὶ τὰ ἱμάτια λιτὰ καὶ σώφρονα, καὶ ὑπὸ τῆς ἐνδείας τῶν τροφῶν ἦν αὐτῷ τὸ σῶμα διαυγέστατον καὶ διαφανέστατον ὥσπερ αὐτὸ οἶμαι τὸ | καθαρώτατον καὶ εἰλικρινέστατον φῶς. 47 Julians Philosophen-Herrscherkörper Persönlichkeiten durch Silens Spott in ihre Schranken verwiesen wurden, fordert er auch Mark Aurel zu einem verbalen Duell heraus; doch dieser hält sich um einiges besser als seine Vorgänger. Zuerst beeindruckt er bereits alle anwesenden, indem er auf die Frage des Hermes, was ihm als höchstes Ziel erscheint, antwortet: «Die Götter nachzuahmen». 166 Davon sind bereits alle anwesenden Götter überzeugt; nur Silen lässt nicht locker und hackt nach: «‹Also nein, beim Dionysos, ich will diesen schlauen Sophisten nicht so leicht davonkommen lassen. Sag mir doch, warum isst du denn Brot und trinkst Wein und nicht Nektar und Ambrosia wie wir?› Marcus erklärte: ‹Wenn ich sagte: die Götter nachzuahmen, dann meinte ich nicht Speise und Trank. Ich ernährte meinen Körper, weil ich überzeugt war – vielleicht nicht mit Recht – auch eure Körper bedürften der Nahrung, und zwar aus dem Rauch der Opfer. Also ich habe nicht geglaubt, ich sollte euch in dieser Hinsicht nachahmen, sondern in eurer Gesinnung.› Einen Augenblick lang fand Silen keine Worte, es war, als hätte er einen Tiefschlag bekommen. Dann aber sagte er: ‹Das hast du ja durchaus nicht abwegig formuliert. Nun sage mir aber auch noch, was du tatsächlich meinst mit der Nachahmung der Götter.› Und Marcus antwortete: ‹Selbst möglich geringe Bedürfnisse zu haben und möglichst vielen Gutes tun!› Darauf Silen: ‹Du willst doch nicht sagen, dass du gar keine Bedürfnisse hast!› Marcus gab zur Antwort: ‹Ich selbst benötige gar nichts, aber dieser arme Körper hier, der braucht wohl ein bisschen was.›» 167 Damit verschlug es dem Silen erst einmal gänzlich die Sprache. Als er sie wieder fand, fügte er noch ein paar halbherzige Fragen bezüglich der schwierigen Familienverhältnisse des Kaisers an, doch der Sieger war bereits klar. Gleich anschliessend gilt es noch Konstantin zu befragen. Doch dieser liefert ein gänzlich anderes Herrscherbild als der asketische Mark Aurel. So richtet sich Silen an ihn: «‹Und was war für dich das Schönste?› ‹Vieles anzuhäufen und vieles auszugeben, um die eigenen Vergnügungen und die meiner Freunde zu befriedigen.› Da lachte Silen laut heraus: ‹Gerade als ob du ein Bankier und Geldwechsler sein wolltest – und du hast dich dabei so Iul. or. 10 (symp.), 333 C (Übers. Giebel): «Τὸ μιμεῖσθαι τοὺς θεούς.» Iul. or. 10 (symp.), 333 C–334 A (Übers. Giebel): «Ἀλλ’ οὐ μὰ τὸν Διόνυσον ἀνέξομαι τούτου τοῦ σοφιστοῦ. Τί δήποτε γὰρ ἤσθιες» εἶπε «καὶ ἔπινες οὐχ ὥσπερ ἡμεῖς ἀμβροσίας τε καὶ νέκταρος, ἄρτου δὲ καὶ οἴνου;» «Ἀλλ’ ἔγωγε» εἶπεν «οὐχ ᾗπερ οὖν ᾤμην τοὺς θεοὺς μιμεῖσθαι, ταύτῃ προσεφερόμην σιτία καὶ ποτά· τὸ σῶμα δὲ ἔτρεφον, ἴσως μὲν ψευδῶς, πειθόμενος δὲ ὅτι καὶ τὰ ὑμέτερα σώματα δεῖται τῆς ἐκ τῶν ἀναθυμιάσεων τροφῆς. Πλὴν οὐ κατὰ ταῦτά γε ὑμᾶς εἶναι μιμητέους, ἀλλὰ κατὰ τὴν διάνοιαν ὑπέλαβον.» Ὀλίγον ὁ Σειληνὸς ὥσπερ ὑπὸ πύκτου δεξιοῦ πληγείς «Εἴρηται μέν σοι τοῦτο» εἶπε «τυχὸν οὐκ ἀτόπως, ἐμοὶ δέ» ἔφη, «τοῦτο φράσον· τί ποτε ἐνόμιζες εἶναι τὴν τῶν θεῶν μίμησιν;» καὶ ὅς· «Δεῖσθαι μὲν ὡς ἐλαχίστων, εὖ ποιεῖν δὲ ὡς ὅ τι μάλιστα πλείστους.» «Μῶν οὖν» εἶπεν «οὐθενὸς ἐδέου;» καὶ ὁ Μάρκος· «Ἐγὼ μὲν οὐθενός, ἴσως δὲ τὸ σωμάτιόν μου μικρῶν.» 166 167 48 Julians Philosophen-Herrscherkörper weit vergessen, dass du das Leben eines Kochs oder eines Schönheitskünstlers führtest! Darauf deuteten ja schon länger deine Haarpracht und dein Äusseres hin, doch jetzt überführt dich auch deine eigene Erklärung.›» 168 Konstantin fungiert in den Caesares als eindeutige Negativfolie zu Mark Aurel. Indem sich Konstantin am Ende auch noch die Tryphe und Asotia, Göttinnen des Vergnügens und der Liederlichkeit, als Schutzpatroninnen auserwählt, und sich obendrein noch Jesus anschliesst, zu dem er auch seine Söhne führt, wird Konstantin als das absolute moralische Gegenbild Mark Aurels konstruiert. 169 Dies drückt sich, neben den schlechten Antworten des Kaisers, insbesondere durch sein Äusseres aus: Dieses, und vor allem seine Haare, überführen seine innere moralische Verwerflichkeit. Er ist ein Kaiser, der den Körper über die Seele stellt, während Mark Aurel erkannt hat, was der Körper wirklich ist: Ein Instrument, das man erhalten muss, aber nicht unbedingt pflegen. Julian projiziert in den Caesares also eindeutig seinen neuplatonischen Idealkörper auf Mark Aurel. In Anbetracht solch klarer Präferenzen stellt sich die Frage, ob sich Julian auch hinsichtlich seiner äusseren Erscheinung an seinem allgemein bekannten Vorbild orientierte. Insbesondere der Bart scheint darauf hinzuweisen. Es lassen sich indes keine Quellen finden, die dies explizit bestätigen würden. Jedoch entspricht der von Julian dargestellte Mark Aurel einer Philosophen-Ikonographie, wie sie in der Spätantike durchaus gängig war. Ein langer Bart, ungeschorenes Haar bzw. Kahlheit, eine vernachlässigte Körperpflege und dazu das traditionelle Pallium wurden eng mit philosophischen Lebensweisen assoziiert. 170 Zudem greift Julian mit der Schmähung der Haartracht und des allgemeinen Aussehens Konstantins auch direkt die kaiserliche Repräsentation seiner Vorgänger an: Wie noch gezeigt werden wird, zeichnete sich gerade die konstantinische Dynastie durch stark homogene Kaiserbilder aus, so dass etwa die Porträtstatuen von Konstantin und seinen Söhnen heute kaum auseinandergehalten werden können. 171 Julian war also eindeutig auf der Suche nach Alternativen für einen kaiserlichen Habitus. Während Alexander, der durch seine Bartlosigkeit und lockigen Haare bereits durch Julians konstantinische Vorgänger als mögliches Vorbild in der Selbstdarstellung vereinnahmt worden war, war Mark Aurel für Julian, der sich ebenfalls als Philosophenkaiser verstand, natürliches Vorbild auch bezüglich der Stilisierung des Äusseren. Die Caesares könnten in dieser Hinsicht als Erklärung für das Iul. or. 10 (symp.), 335 B (Übers. Giebel): «Σὺ δὲ τί καλὸν ἐνόμισας;» «Πολλά» εἶπε «κτησάμενον πολλὰ χαρίσασθαι ταῖς τε ἐπιθυμίαις ταῖς ἑαυτοῦ καὶ ταῖς τῶν φίλων ὑπουργοῦντα.» Ἀνακαγχάσας οὖν ὁ Σειληνὸς μέγα «Ἀλλ’ ἦ τραπεζίτης εἶναι» ἔφη «θέλων ἐλελήθεις σεαυτόν, ὀψοποιοῦ καὶ κομμωτρίας βίον ἔχων; ᾐνίττετο δ’ αὐτὰ πάλαι μὲν ἥ τε κόμη τό τε εἶδος, ἀτὰρ νῦν καὶ ἡ γνώμη σοῦ κατηγορεῖ.» 169 Für MÜLLER 1998, 46 ist die Verächtlichkeit Julians gegenüber seinem Vorgänger «fast körperlich zu spüren». 170 Zur Ikonografie der «Philosophenbärte» siehe DANGUILLIER 2001 (Typologische Untersuchungen zur Dichterund Denkerikonographie in römischen Darstellungen von der mittleren Kaiserzeit bis in die Spätantike). 171 Siehe Kapitel «Kaiserliche Statuen und statueske Kaiser» unten. 168 49 Julians Philosophen-Herrscherkörper Auftreten Julians, das wohl zum Zeitpunkt der Verfassung bereits für einigen Aufruhr gesorgt hat, gedacht sein. 172 Zwischenfazit Julian hatte viele Gesichter, und viele davon spiegeln sich in seinem umfassenden philosophischen Werk wider. Julian wollte Philosoph sein, wurde jedoch vom Schicksal zum Herrscher gemacht – dies ist zumindest die Selbststilisierung, die sich in seinen philosophisch-religiösen Schriften ausdrückt. 173 So fühlte sich Julian zwar als Herrscher über das Römische Reich durch die Gottheit zu Höherem berufen, blieb dabei aber letztlich auch in seinem Selbstverständnis ein Mensch. 174 Diese Menschlichkeit empfand er jedoch als etwas Negatives: Seine Materialität und Erdgebundenheit drückt sich in neuplatonischer Manier in seinem Körper aus. Er fühlt sich darin gefangen und durch ihn in seiner vollen Seelen-Entfaltung gehindert. Die Lösung für das Dilemma sah er in einer Reinigung (κάθαρσις) und Reinhaltung des Körpers. Gelingt diese, profitiere davon nicht nur die Seele, denn durch die volle Entfaltung seiner seelischen Kräfte würde zugleich auch der Körper gestärkt werden. Körper und Seele können so aus dem Widerstreit in eine Harmonie geführt werden. In seiner Rolle als pontifex maximus orientierte sich Julian für diese Reinigung an priesterlichen, heidnischen Reinheitsgeboten. Diese unterschieden sich von der christlichen Askese, wie sie etwa seine Vorgänger im Amt praktizierten. In seiner asketischen Lebensweise gedachte er aber zugleich seiner Vorbildfunktion als Philosoph, der in seinem Verhalten anderen den Weg zu weisen hat, während er sich an seinen eigenen Vorbildern orientierte. 172 Zur Vorbildfunktion von Mark Aurel und Alexander dem Grossen, aber auch anderen historischen oder mythischen Persönlichkeiten (etwa die römischen Könige Romulus und Numa Pompilius), siehe allgemein VARNER 2012 (Roman Authority, Imperial Authoriality and Julian’s Artistic Program); BOWERSOCK 1982. 173 Diese wirkt zumindest teilweise glaubwürdig, beachtet man Julians frühen Lebensweg (für eine sympathische, wenn auch überaus spekulative Nachzeichnung von Julians Jugendjahren siehe etwa die entsprechenden Kapitel in der Biografie von BROWNING 1975). Das bedeutet natürlich nicht zwingend, dass er die unerwartete Chance auf die Kaiserherrschaft nicht guthiess. Seine recusatio imperii, die sowohl Ammian wie auch er selbst gerne betonen, war letztlich ein gängiger Topos des gemässigten Herrschers. 174 BROWNING 1975, 133 f., macht darauf aufmerksam, dass Julian trotz der Beharrung auf seine Menschlichkeit letztlich ein (besonders) autokratischer Herrscher blieb, dessen Idee einer letztlich ja doch göttlichen Herrschaft des Kaisers den abgehobenen, strengen platonischen Philosophenherrscher verriet. Nach seiner Meinung macht die Verbindung von Julians weltfremden Zügen mit seiner durchaus genuinen Einfachheit und Direktheit letzten Endes die Inkonsistenzen in seinem Charakter aus, die den Kaiser überhaupt erst zu einer so spannenden historischen Figur machten. 50 III. Der «Barthasser» Nach der Betrachtung von Julians philosophisch-religiösen Selbstzeugnissen und der daraus abgeleiteten Rekonstruktion seines idealen «Herrscherkörpers» folgt nun der Sprung auf die praktische Ebene, indem die Episode von Julians konfliktreichem Aufenthalt in Antiochia untersucht wird. Das Kernstück des Kapitels bildet dabei eine Analyse von Julians bisher bewusst noch ausgeklammerter Schrift Misopogon. Darin sollen die wesentlichen Punkte herausgearbeitet werden, in denen das Selbstverständnis des Kaisers und dessen Ausdruck in seinem Habitus mit den Erwartungen der Bevölkerung kollidierte. Anders als die theoretischen und dichterischen Schriften Julians ist dieses eigentümliche Selbstzeugnis besonders aussagekräftig bezüglich der Konfliktsituation, die sich zwischen Kaiser und städtischer Bevölkerung ergab. Der Misopogon ist ein Zeitdokument, in welchem das tatsächliche Auftreten (und dessen Scheitern) in der berühmten Stadt des Ostens fassbar wird. So kann die Schrift als die Schnittstelle zwischen den persönlichen, theoretischen Überlegungen Julians und der tatsächlichen Praxis gesehen werden (da die Äusserungen Julians ein Spiegel der antiochenischen Reaktionen sind) und soll auch in dieser Hinsicht analysiert werden. In einem zweiten Schritt sollen dann die Quellen anderer Autoren hinzugezogen werden, um die wesentlichen Punkte von Julians Umgang mit seinem Körper herauszuarbeiten, welche für die zeitgenössischen Autoren besonders prägnant waren. Die Frage, die dabei im Vordergrund steht, ist die, inwieweit Julian sein Auftreten und Verhalten durch seine philosophisch-religiösen Überzeugungen erklärt, und inwiefern dieses von seinen Zeitgenossen auch in diesem Sinne verstanden, bzw. akzeptiert oder abgelehnt wurde. Aufstellungskontext Im Sommer 362 zog Julian in Antiochia ein. Dies sollte die letzte grössere Station des Kaisers sein, bevor er zu seinem fatalen Perserfeldzug aufbrach. Antiochia war die Hauptstadt Syriens und im Gegensatz zum vergleichsweise noch jungen Konstantinopel das traditionelle kulturelle Zentrum der ganzen Region. Deswegen, und auch wegen ihrer strategischen Bedeutung aufgrund ihrer Nähe zum verfeindeten sasanidischen Grossreich, war sie eine beliebte Residenzstadt vieler Kaiser. Der unter Diokletian erbaute kaiserliche Palast auf der Insel des Orontes war weltberühmt. 175 Insbesondere die direkten Vorgänger Julians hielten sich häufig und lange in Antiochia auf, so bereits Diokletian, der die Stadt 175 Die Stadt und ihr Palast wurde sogar von einem zeitgenössischen chinesischen Besucher beschrieben; siehe DOWNEY 1974 (A history of Antioch in Syria from Seleucus to the Arab conquest), 322; BERGER 2011 (Konstantinopel), 174–76, für eine Übersetzung des chinesischen Berichts, in dem sich der Besucher u.a. über die fremde Art der Haartracht und Bekleidung der Stadtbewohner wundert. 51 Der «Barthasser» mehrfach zu seinem Hauptquartier machte. 176 Auch Constantius machte Antiochia zu seiner Residenzstadt. 177 Dieser Kaiser schien sogar ein besonders gutes Verhältnis zu der Stadt gehabt zu haben: Julian selbst überliefert, dass die Stadt sich nach ihm unbenannte. 178 Auch Julians Bruder Gallus kannten die Antiochener bestens; er wurde von Constantius als Caesar hier eingesetzt. Doch zwischen Gallus und der städtischen Elite gab es grosse Konflikte, die mit denen Julians vergleichbar sind. 179 Julian hatte grosse Hoffnungen in die griechischsprachige Stadt gesetzt, die er sich als Hochburg des traditionellen Hellenismus vorstellte – oder von der er zumindest die Hoffnung hatte, sie zu einer solchen machen zu können. 180 Doch der Plan scheiterte vollkommen. 181 Bereits sein adventus in die Stadt war von einem schlechten Omen geprägt: Ammian berichtet, etwas widersprüchlich, dass Julian einerseits von einer gewaltigen Masse willkommen geheissen wurde, die ihn als heilbringendes Gestirn begrüsste. 182 Doch er erwähnt auch Wehklagen und Trauergesänge, die im Zusammenhang mit dem Adonis-Fest nach althergebrachtem Ritus zu hören waren und Julians adventus in ein trauriges Licht rückten. 183 Das schlechte Omen sollte sich als wahr erweisen: Julians Aufenthalt in der Stadt war geprägt von Missverständnissen, Konflikten und am Ende von gegenseitiger Abneigung, Hohn und Spott. Nur wenige Monate nach seiner Ankunft verliess er die Stadt mit einer ungeheuren Wut auf sie und ihre Bewohner, und er hinterliess ihnen eine Schmährede, wie man sie bis anhin von einem Kaiser noch nicht gesehen hatte. 176 DOWNEY 1974, 317 f. Ibid., 356. 178 Iul. or. 1 (Const.), 40 D. Julian nennt den neuen Namen der Stadt nicht, und es gibt keine weiteren Belege für diese Umbenennung, aber für DOWNEY 1974, 356 gab keinen Grund, an Julians Aussage zu zweifeln. 179 Gallus war der älteste Sohn des Julius Constantius, Bruder von Constantius II. Ammian zeichnet in seinem 14. Buch ein äusserst negatives Bild von ihm und dessen Aufenthalt in der Stadt. Zu den Konflikten, die vor allem auf Versorgungsproblemen beruhten, siehe BROWNING 1975, 59–62. Zum unterschiedlichen Vorgehen zwischen den beiden Brüdern in Antiochia siehe GLEASON 1986 (Festive Satire: Julian's Misopogon and the New Year At Antioch), 118. 180 Siehe Lib. or. 15, 52: Julian wollte Antiochia zu einer «Stadt aus Marmor machen» (eine Anspielung auf Augustus). Zu Julians grosser Vorfreude auf die Stadt vgl. BROWNING 1975, 149; siehe auch dessen anschauliche Beschreibung der Stadt, ihrer Kultur und Wirtschaft auf den vorausgehenden Seiten . 181 So auch die einhellige Meinung in der Forschung; z.B. BROWN 1991, 328 bezeichnet Julians Vision für Antiochia als heidnische Stadt als ein «totgeborenes Kind». 182 Amm. 22,9,13–14. Man beachte in diesem Zusammenhang auch die Lichtmetaphorik (salutare sidus illuxisse), die an Julians neuplatonisches Gedankengut erinnert (vgl. auch die sehr ähnliche Beschreibung von Julians adventus in Vienne: Amm. 15,8,21–22). Es ist gut möglich, dass Ammian in solchen Beschreibungen ein «offizielles» kaiserliches Narrativ übernahm (ohne, dass dies ein Hinweis auf kaiserliche «Propaganda» sein müsste). Das Bild des Lichtes und des Sternes, der auf die Menschen scheint, erscheint in den Quellen auffällig häufig im Zusammenhang mit den adventus Julians; sie ähnelt der früheren tetrarchischen Metaphorik, ist aber weniger ausgearbeitet und systematisch; vgl. MACCORMACK 1981, 49 f.. Zum spätantiken adventus siehe allgemein Kapitel «Der spätantike Adventus» unten. 183 Amm. 22,9,15. 177 52 Der «Barthasser» Die Rede wurde öffentlich ausgestellt; die einzige Angabe dazu liefert uns der byzantinische Chronist Malalas: Nachdem er die Rede gehalten habe, sei sie ausserhalb des Palastes am sogenannten «Tetrapylon der Elefanten» in der Nähe der Rhegia als Inschrift für alle sichtbar angebracht worden. 184 Damit hinterliess Julian ein für alle Öffentlichkeit sichtbares und auch der Nachwelt erhaltenes Denkmal einer sehr persönlichen Körperlichkeit. Moderne Urteile Die Ausführungen über Julians eigene ästhetische Mängel, die zuweilen bis unter die Gürtellinie gehen (im wahrsten Sinne des Wortes) lösen zuweilen auch noch bei modernen Leserinnen und Lesern ablehnende Reaktionen und Unverständnis aus. Als prägnantes Beispiel lässt sich etwa das negative Zeugnis des Philologen Friedhelm Müller heranziehen, dem «das Lächeln ‹gefriert› […] auf den versteinernden Gesichtszügen, wenn der kaiserliche (!) Autor in pure Geschmacklosigkeit abgleitet.» Julian beweise einen «Mangel an common sense», welcher schliesslich auch seine «weitgehende Erfolglosigkeit in praktisch allen Bemühungen als Regent» erkläre. 185 Durch die Schrift stelle sich Julian selbst nur als «Trottel» dar, mit einem «Mangel an Stil» und einer «Weltfremdheit oder Realitätsferne»; sein Auftritt in der Öffentlichkeit sei «nur als fehlerhaft, als würdelos und als geschmacklos» zu bezeichnen. Als «oberster Repräsentant und Herrscher des Weltreichs» sei Julian somit «sicherlich nicht geeignet». 186 Müller bleibt mit seinen harschen Worten eher eine Ausnahme. Für Bidez schmälerte der «masochiste du Misopogon» seine Grösse letztlich keineswegs und Schwächen werden durch ihn verständlich. 187 Davon abgesehen irritierte Julians Satire die ältere Forschung eher: Bereits 1939 bezeichnete Johannes Straub den Misopogon als «eines Kaisers nicht würdig», 188 gleichzeitig sah Glanville Downey die Schrift als «proof of a wildly fantastic mind» oder als «cry of a misunderstood soul». 189 Auf jeden Fall sei die Verfassung einer solchen Schrift «one of the most incredible things that a Roman emperor, supposed 184 Ioh. Mal. 13,19. MÜLLER 1998, 52 f. Weiter: «Da mag man es noch als (witzige?) Übertreibung goutieren, wenn er von seinem ungepflegten Bart berichtet, in dem ‹die Läuse umherlaufen wie Tiere in der Fallgrube›, aber wenn er mit der Beschreibung seiner abstossenden Körperlichkeit dann ungeniert unter die Kleidung vorstösst, um von seiner zottigen Körperbehaarung zu reden und sich für das Fehlen von Warzen gleichsam zu entschuldigen, ‹dann hört der Spass auf›, so möchte man ihm zurufen. Wo ‹der Spass aufhört›, das ist die jedem ‹normalen Menschen› (wenngleich unbewusst) mehr oder weniger deutlich als unüberschreitbar bekannte Grenze, die weder logisch zu beweisen noch ‹geodätisch› auszumessen, aber dennoch im sozialen Miteinander des täglichen Lebens verbindlich und gültig ist.» 186 Ibid., 63 f. Dies sind nur einige der besonders prägnanten Beispiele für Müllers harte Urteile, die über seine Einleitung und den Anmerkungsapparat zu seiner deutschen Übersetzung des Misopogons reichlich verteilt sind. Vgl. schon allein die Urteile zu Kapitel 3 (338 B–339 C) des Misopogon (MÜLLER 1998, 217): «an und für sich sympathisch»; «doch eher eine Entgleisung des jungen Mannes»; ein unerträglicher «Verstoss gegen ‹Stil› und Geschmack»; «kein besonders günstiges Zeichen seiner Einsichtsfähigkeit und Intelligenz»; man komme bei kurzem Nachsinnen auf die Begriffe «Verblendung und Fanatismus». 187 BIDEZ 1932 (L'Empereur Julien. Œuves complètes), 154. 188 STRAUB 1964, 259 f., Anm. 73. 189 DOWNEY 1939 (Julian the Apostate at Antioch), 309. 185 53 Der «Barthasser» to be in his right senses, ever did»; Julians Persönlichkeit und charakteristische Veranlagungen erklären für Downey nur unzureichend das Bild «of an emperor descending into the market-place like a journalist, matching joke for joke with the crowd and describing to them, incidentally, how there had been only one occasion in his life when he had vomited.» 190 Dennoch stiess Downey eine vor allem in der italienischen Forschung rezipierte Lesart des Misopogon als Propaganda-Schrift an, die auch die Bevölkerung anderer Städte des Reichs erreichen und so den Misserfolg des Antiochia-Aufenthaltes erklären sollte. Durch einen Vergleich mit Julians Brief an die Athener kam Downey zum Schluss, dass beide Quellen als Versuch der Beeinflussung einer breiten öffentlichen Meinung mit den damals vorhandenen Mitteln zu verstehen seien. Der Misopogon sei damit mehr als ein «hysterical outburst», sondern ein durchdachtes (wenn auch erfolgloses) Mittel der Propaganda. 191 Der Misopogon wird auch in der modernen Forschung zu einem Grossteil als Kuriosum wahrgenommen. Robert Browning widmet der Schrift in seiner Julian-Biographie gerade mal eine halbe Seite und sieht darin «an extraordinary exercise in public relations and a revelation of the complexity of Julian's mind.» 192 Joseph Vogt attestiert dem Autor einen «völligen Mangel an Charme»; 193 für Hans-Ulrich Wiemer gehört der Misopogon zu den «merkwürdigsten Texten, die römische Kaiser verfasst haben»; 194 auch Stefan Rebenich betont, dass «no other Roman emperor has ever publicly exposed himself in this way»; 195 für Arnaldo Marcone ist der Misopogon «certainly the most unusual document written by an emperor to have come down to us (and not only from the ancient world).» 196 Eine gängige Deutung liest den Misopogon als Psychogramm seines Autors, in welchem sich mehr oder weniger die Frustration des Kaisers im Zerwürfnis mit den Einwohnern Antiochias niederschlug. In dieser Sicht gilt der Misopogon als Schlüsseldokument für die Unausgeglichenheit und Weltfremdheit seines Autors. Dennoch versucht die Forschung ab den 1980er-Jahren, den Misopogon kulturell-historisch zu verstehen und lehnt ihn nicht mehr pauschal als anstössig oder verrückt ab. Anders als die Lesung als reichsweite Propaganda im Sinne Downeys legte Maud Gleason eine Interpretation des Misopogon vor, die gerade den antiochenischen Kontext hervorhebt. 197 Damit wehrt sie sich auch gegen eine allzu einfache Psychologisierung des Kaisers. 198 Sie setzt die Entstehung der Schrift in den Kontext der festlichen 190 DOWNEY 1939, 310. Ibid., speziell 312–314. Siehe auch DOWNEY 1974, 380–96. 192 BROWNING 1975, 158. 193 VOGT 1978 (Kaiser Julian über seinen Oheim Constantin den Grossen), 235. 194 WIEMER 1998 (Ein Kaiser verspottet sich selbst: Literarische Form und historische Bedeutung von Kaiser Julians ‹Misopogon›), 733. 195 REBENICH/WIEMER 2020, 9. 196 MARCONE , 340. 197 GLEASON 1986. 198 Vgl. ibid., 106, die treffende Feststellung: «Of course the emperor had a psyche. But the emperor's psyche was not what his subjects saw.» 191 54 Der «Barthasser» Aktivitäten um die Jahreswende und interpretiert den Misopogon als eine Reaktion des Kaisers auf die verbalen Attacken seiner Untergebenen. Gleason interpretiert den Misopogon damit als kaiserliches Strafedikt, als Ersatz für manifestere Sanktionen, und setzt ihn in eine lange Tradition von kaiserlichen Reaktionen auf Unmut in der Bevölkerung. Es handle sich beim Misopogon in erster Linie um einen Versuch der Kommunikation zwischen Kaiser und Untergebenen – der aber letztlich fehlgeschlagen sei. Maude Gleason wirft damit viele interessante Punkte auf und nimmt in Ansätzen eine kulturhistorische Perspektive ein. Jedoch verzichtet sie auf eine eingehende Textanalyse. Hans-Ulrich Wiemer hat sich in seiner Untersuchung eine Analyse der literarischen Form zum Ziel gesetzt, mit Fokus auf die innere Struktur des Textes. 199 Die Zwiespältigkeit, die den modernen Interpretationen des Misopogon eigen ist, lässt sich nach Wiemer durch eine genauere Betrachtung von Aufbau und Gedankengang der Schrift erklären. Demnach besteht die Schrift aus zwei Teilen: Der erste Teil stelle die «echte» Satire dar, in denen die Hauptthemen der Mässigung des Kaisers einerseits und den Ausschweifungen der Antiochener in witziger (Selbst-)Ironie behandelt werden. Dann folgt ein plötzlicher Bruch, indem die Schrift die Form einer «Scheltrede» einnimmt, und die witzige Ironie einem sarkastischen Hohn und unverhüllten Anklagen weicht. Ob die zwei Teile jedoch auch zwei verschiedenen Adressaten entsprachen, bleibt indes unklar: Als hauptsächliche Adressaten sieht auch Wiemer die Antiochener in ihrer Gesamtheit, auch wenn eine reichsweite Verbreitung unvermeidbar war und daher wohl auch antizipiert wurde. 200 In eine ähnliche kulturhistorische Richtung wie Maude Gleason und ebenfalls mit Fokus die literarische Form geht schliesslich Tom Hawkins, der den Misopogon in seiner Monographie ebenfalls in den Kontext der Kalenden des Januars stellt; bei ihm steht der Misopogon in der langen Tradition der jambischen Dichtung, die sich auf Form und Inhalt des Misopogon auswirken. 201 Als bisher einziger Autor befasst er sich auch eingehend mit der Bedeutung des Bartes und der körperlich-geschlechtlichen Invektiven im Text. Neben diesen Ansätzen ist eine spezifisch körpergeschichtliche Auswertung der so zentralen und vielfältigen körperbezogenen und sexualdiskursiven Inhalte des Misopogon bisher ausgeblieben. Deswegen soll im Folgenden der Misopogon hinsichtlich der teilweise brachialen Körperlichkeit untersucht werden. Dabei werden mehrere Ziele verfolgt: Einerseits wird die Schrift – soweit überhaupt möglich – auf Hinweise zu Julians tatsächlichem Habitus untersucht. 202 Wichtiger ist aber der Versuch, Julians 199 WIEMER 1998. Ibid., 736–39. 201 HAWKINS 2014 (Iambic poetics in the Roman Empire). 202 Die «Tatsächlichkeit» von Julians Habitus kann bedingt durch den Misopogon herausgearbeitet werden. Jedoch sollte nicht vergessen werden, dass die satirische Reaktion Julians auf die Reaktionen der Antiochener bereits zwei Schritte von der «Realität» von Julians Verhalten entfernt ist. Dies begründet den Fokus vor allem auf die Herausarbeitung der Diskurse, und nur in zweiter Linie auf etwaiges reales Verhalten des Kaisers. 200 55 Der «Barthasser» Schrift auf die diskursiven Aspekte hin zu untersuchen, die für sein Selbstverständnis zentral waren. Es wird sich zeigen, inwiefern die im Misopogon geäusserten Inhalte den in Julians philosophischen Schriften postulierten Idealen decken. Textanalyse Körper und Gesicht Bereits der Titel der Schrift ist bezeichnend: Der überlieferte und durch zeitgenössische Quellen gesicherte Titel lautet vollständig Des Kaisers Julians Antiochikos, oder: Der Barthasser (Ἰουλιανοῦ Αὐτοκράτορος Ἀντιοχικὸς ἢ Μισοπώγων). 203 Der erste Teil des Titels kündigt in ironischer Weise eine Lobrede auf die Stadt und ihre Bevölkerung an. Der zweite Teil lässt Interpretationsspielraum offen: Ob mit dem «Barthasser» Julian selbst gemeint ist, der seinen eigenen Bart hasse, 204 oder ob es sich auf die Bevölkerung Antiochias bezieht, mag bewusst offengelassen sein. Das kurze Proömium der Schrift beginnt mit einem Verweis auf die griechischen Dichter Archilochos und Alkaios, die – im Vergleich zu Anakreon – sich an ihren Schmähern durch die Kunst der Dichtung rächten. 205 Julian gibt zu verstehen, dass es ihm als Kaiser so wie auch jeder Privatperson unterdessen gesetzlich verboten ist, öffentliche Schmähschriften zu verbreiten; auch Vers und Musik kämen aufgrund der mangelnden Ausbildung der Adressaten nicht in Frage. Woran in aber niemand hindere, sei die Verfassung einer Anklage in Prosaform an ihn selbst. 206 Zu tadeln gäbe es bei ihm ja genug. Im Folgenden beginnt die Selbstpersiflage mit den Vorwürfen gegen die Lebensweise und das Auftreten des Kaisers. Diese richten sich zunächst gegen die «äusseren Dinge»: 207 «So fange ich gleich an mit meinem Gesicht. Das ist schon von Natur aus nicht besonders schön und ansprechend geraten, ihm fehlt auch die jugendliche Frische – und ich, in meiner widerborstigen, bornierten Art, verschlimmere das Ganze noch, indem ich dieses Dickicht von einem Bart hinzufüge, anscheinend aus purem Rachegelüst, einzig deshalb, weil mich die Natur nicht mit Schönheit bedacht hat. Aus dem gleichen Grunde finde ich mich auch mit den Läusen ab, die darin herumwimmeln, als sei es ein Gebüsch für solche Tierlein. Gierig zu essen oder mit 203 Der Doppeltitel wird bezeugt von Greg. Naz. or. 5, 41; Amm. 22,14,1–3; Sokr. h.e. 3,17,9; Zon. 3,12. Soz. 5,19,2–3 nennt nur Misopogon als Titel. 204 So WIEMER 1998, 740. 205 Insbesondere Archilochos von Paros war in der Antike bekannt für seine Fähigkeit, seine Feinde durch Schmähschriften in Form von jambischen Versen in den Selbstmord zu treiben. Verweise auf ihn sind auch noch in der römisch-kaiserzeitlichen Dichtung häufig; vgl. HAWKINS 2014, 1–7. 206 GIEBEL 2016 (Julian Apostata. Das Kaiserbankett. Der Barthasser), 70, Anm. 131 lässt die Vermutung offen, ob es sich bei der Formulierung «an sich persönlich zu schreiben» (εἰς […] ποιητὴν) um eine Anspielung an Marc Aurels Selbstbetrachtungen (Τὰ εἰς ἑαυτόν) handelt. 207 Iul. or. 12 (mis.), 340 B: τὰ μὲν ἔξω. WIEMER 1998, 740 f., spricht in diesem Zusammenhang von der vita publica und der vita privata des folgenden Abschnitts. Auf eine Diskussion über die problematische Begrifflichkeit von «privat» und «öffentlich» in der Antike möchte ich an dieser Stelle nicht eingehen; vgl. dazu auch die Überlegungen zur Terminologie oben, Kapitel «Interaktionsräume und Akzeptanzgruppen». 56 Der «Barthasser» weit offenem Mund zu trinken muss ich mir verkneifen, denn ich habe aufzupassen, dass ich nicht versehentlich mit dem Brot auch meine Haare verspeise. Was das Küssen und Geküsstwerden angeht, so macht mir das am wenigsten Kummer. Obwohl natürlich ein Bart dabei, wie auch sonst, recht hinderlich ist, denn er erlaubt nicht, dass sich, wie bei glatten Wangen, ‹zart Lippe an Lippe drückt›, wie einer unserer Dichter sagt, der mit Hilfe von Pan und Kalliope den Daphnis besungen hat. Ihr meint, man müsse aus meinem Bart Seile flechten! Nun, ich bin bereit dazu, wenn ihr nur auch Kraft genug habt, sie zu ziehen und die Borstigkeit euch nicht die Hände ruiniert, ‹die zarten und ungeübten›. 208 Es soll keiner annehmen, ich fühlte mich angegriffen durch eure Verulkungen. Ich liefere euch ja selbst den Anlass dazu, indem ich einen Bart trage wie ein Ziegenbock, während ich mein Kinn doch glatt und zart haben könnte, so wie die hübschen Jungen und die Frauen allesamt, die von der Natur mit Liebreiz bedacht sind. Ihr eifert ja noch im Alter euren eigenen Söhnen und Töchtern nach, mit eurem verwöhnten Lebensstil und euren verzärtelten Gewohnheiten, und ihr bemüht euch sorgsam, glatt und fein auszusehen und zeigt eure Männlichkeit gerade nur an den Haaren auf dem Kopf, nicht wie ich an Kinn und Wangen.» 209 In diesem ersten Abschnitt steckt bereits sehr viel. Es ist bezeichnend, dass sich der allererste Kritikpunkt, den der Kaiser bezüglich seiner Person erwähnt, auf sein Äusseres bezieht. Als besonderes Charakteristikum wird der Bart hervorgehoben, der der Schrift den Titel gab, und dem im weiteren Verlauf der Schrift eine prominente Rolle zukommen wird. 210 Dass das Gesicht des Kaisers an «jugendlicher Frische» zu wünschen übrigliesse, liegt wohl kaum an Julians Alter – dieser war zum Zeitpunkt der Verfassung der Rede gerade einmal einunddreissig Jahre alt. 211 Auch an anderer Stelle stilisiert sich 208 Hom. Od. 21,150–151; vgl. zur Bedeutung dieser Anspielung unten S. 68 ff. Iul. or. 12 (mis.), 338 B–339 A (Übers. Giebel): Τούτῳ γὰρ οἶμαι φύσει γεγονότι μὴ λίαν καλῷ μηδὲ εὐπρεπεῖ μηδὲ ὡραίῳ ὑπὸ δυστροπίας καὶ δυσ|κολίας αὐτὸς προστέθεικα τὸν βαθὺν τουτονὶ πώγωνα, δίκας αὐτὸ πραττόμενος, ὡς ἔοικεν, οὐδενὸς μὲν ἄλλου, τοῦ δὲ μὴ φύσει γενέσθαι καλόν. Ταῦτά τοι διαθεόντων ἀνέχομαι τῶν φθειρῶν ὥσπερ ἐν λόχμῃ τῶν θηρίων, ἐσθίειν δὲ λάβρως ἢ πίνειν χανδὸν οὐ συγχωροῦμαι· δεῖ γὰρ οἶμαι προσέχειν μὴ λάθω καὶ συγκαταφαγὼν τὰς τρίχας τοῖς ἄρτοις. Ὑπὲρ δὲ τοῦ φιλεῖσθαι καὶ φιλεῖν ἥκιστα ἀλγῶ· καίτοι καὶ τοῦτο ἔχειν ἔοικεν ὁ πώγων ὥσπερ τὰ ἄλλα λυπηρόν, οὐκ ἐπιτρέπων καθαρὰ λείοις καὶ διὰ τοῦτο οἶμαι γλυκερωτέροις χείλεσι χείλη προσμάττειν, ὅπερ ἤδη τις ἔφη τῶν ἐργασαμένων ξὺν τῷ Πανὶ καὶ τῇ Καλλιόπῃ εἰς τὸν Δάφνιν ποιήματα. Ὑμεῖς δέ φατε δεῖν καὶ σχοινία πλέκειν ἐνθένδε· καὶ ἕτοιμος παρέχειν, ἢν μόνον ἕλκειν δυνηθῆτε καὶ μὴ τὰς ἀτρίπτους ὑμῶν καὶ μαλακὰς χεῖρας ἡ τραχύτης αὐτῶν δεινὰ ἐργάσηται. Νομίσῃ δὲ μηδεὶς δυσχεραίνειν ἐμὲ τῷ σκώμματι· δίδωμι γὰρ αὐτὸς τὴν αἰτίαν ὥσπερ οἱ τράγοι τὸ γένειον ἔχων, ἐξὸν οἶμαι λεῖον αὐτὸ ποιεῖν καὶ ψιλόν, ὁποῖον οἱ καλοὶ τῶν παίδων ἔχουσιν ἅπασαί τε αἱ γυναῖκες, αἷς φύσει πρόσεστι τὸ ἐράσμιον. Ὑμεῖς δὲ καὶ ἐν τῷ γήρᾳ ζηλοῦντες τοὺς ὑμῶν αὐτῶν υἱέας καὶ τὰς θυγατέρας ὑπὸ ἁβρότητος βίου καὶ ἴσως ἁπαλότητος τρόπου λεῖον ἐπιμελῶς ἐργάζεσθε, τὸν ἄνδρα ὑποφαίνοντες καὶ παραδεικνύντες διὰ τοῦ μετώπου καὶ οὐχ ὥσπερ ἡμεῖς ἐκ τῶν γνάθων. 210 Hinweise auf seinen Bart sind zahlreich, und finden sich über das ganze Werk verteilt: 338 B–339 C; 349 C; 360 D; 365 D; daneben en passant 355 D; 358 A; 364 B. 211 Die Verfassung muss im Anschluss an die Neujahrsfeierlichkeiten 363 stattgefunden haben. Julian erwähnt, dass die Antiochener die Last seiner Gegenwart bereits sieben Monate ertragen (344 A) Julian hielt seinen adventus irgendwann im Juli 362 (DOWNEY 1974; WIEMER 1998, 736, Anm. 17: 18. Juli), was für eine Verfassung im Januar oder Februar 363 spricht. Julians Geburtstag war irgendwann im Mai/Juni 321. Somit ergibt sich das Alter 209 57 Der «Barthasser» Julian älter, wenn er von sich als «Mann in vorgerückten Jahren» spricht, der seine Gewohnheiten nicht mehr ändern könne. Man sähe ihm das Alter auch an, da er ja bereits weisse Haare unter den schwarzen habe. 212 Dabei zieht er einen Gegensatz zu den Antiochenern, die so jung wirken wollen wie ihre Söhne und Töchter. Ein Verweis darauf, dass Julian älter wirkte, als er war, findet sich – in positiver Weise – auch bei Ammian (Julian sei «an Tugend älter als an Jahren» gewesen.) 213 Die Beschreibungen des mit Läusen verseuchten Bartes sind derb und provozierend. Dass ihn der Bart einerseits beim zügellosen Essen, andererseits beim Küssen hindert, ist bereits ein erster Verweis auf die asketische Lebensführung des Kaisers, die er im Folgenden noch detaillierter ausführen (bzw. parodieren) wird. So gesehen ist Julians Bart sogar hilfreich, um jegliche Ausschweifungen zu verhindern. Der Bart wird somit vom Symbol zum Beweis für Julians asketischen Lebensstil. In diesem ersten Abschnitt liefert uns Julian auch bereits die ersten konkreten Hinweise auf die Spottverse, die offenbar in Antiochia zirkulierten und bis zu ihm durchgedrungen sind (dass er einen Bart trage wie ein Ziegenbock: ὥσπερ οἱ τράγοι τὸ γένειον). 214 Anschliessend richtet sich der Fokus auch direkt auf Julians weitere Körperbehaarung: «Aber nicht genug, dass mein Bart so lang ist, ich habe dazu auch noch eine wüste Haarmähne auf dem Kopf, meine Haare und Nägel sind selten geschnitten und meine Finger schwarz von Tinte. Und wenn ich euch ein Geheimnis verraten soll: Auch auf meiner Brust ist ein dichter, zottiger Wald von Haaren, wie beim Löwen, der unter den Tieren der König ist. Noch niemals habe ich mich dort glatt geschabt – so ein störrischer und primitiver Typ bin ich – und ich habe mich auch nicht anderswo an meinem Körper zart und weich gemacht. Ich würde es euch auch verraten, wenn ich irgendwo eine Warze hätte wie [Kimon], 215 aber, es tut mir leid, ich habe keine.» 216 In dem der Kaiser von der Beschreibung seiner Gesichtsbehaarung, die für alle sichtbar war, nun die Aufmerksamkeit auf den kaiserlichen Körper unterhalb der Kleidung richtete, überschritt er damit eine klare Grenze. Der Vergleich mit einem Löwen ist freilich zweideutig zu lesen: Einerseits reiht er sich in von einunddreissig Jahren bei der Abfassung der Schrift. Vgl. die Chronologie bei SEECK 1906 (Zur Chronologie und Quellenkritik des Ammianus Marcellinus), 514 und KIENAST 2017 (Römische Kaisertabelle), 309. 212 Iul. or. 12 (mis.), 366 B. 213 Amm. 25,4,7: uirtute senior quam aetate. 214 Siehe dazu unten, Kapitel «Ein Affe und ein Ziegenbock: Spott auf Julian». 215 Giebel übersetzt hier «Cicero», dessen Beiname nach Plutarch (Plut. vit. Cic. 1) von einer Warze in Form einer Kichererbse (cicer) herrührt, die einer seiner Vorfahren gehabt haben soll. Im griechischen Text ist aber «Kimon» (Κίμωνι) überliefert. 216 Iul. or. 12 (mis.), 339 B–C (Übers. Giebel): Ἐμοὶ δὲ οὐκ ἀπέχρησε μόνον ἡ βαθύτης τοῦ γενείου, ἀλλὰ καὶ τῇ κεφαλῇ πρόσεστιν αὐχμός, καὶ ὀλιγάκις κείρομαι καὶ ὀνυχίζομαι, καὶ τοὺς δακτύλους ὑπὸ τοῦ καλάμου τὰ πολλὰ ἔχω μέλανας. Εἰ δὲ βούλεσθέ τι καὶ τῶν ἀπορρήτων μαθεῖν, ἔστι μοι τὸ στῆθος δασὺ καὶ λάσιον ὥσπερ τῶν λεόντων, οἵπερ βασιλεύουσι τῶν θηρίων, οὐδὲ ἐποίησα λεῖον αὐτὸ πώποτε διὰ δυσκολίαν καὶ μικροπρέπειαν, οὐδὲ ἄλλο τι μέρος τοῦ σώματος εἰργασάμην λεῖον οὐδὲ μαλακόν. Εἶπόν γ’ ἂν ὑμῖν, εἴ τις ἦν μοι καὶ ἀκροχορδὼν ὥσπερ τῷ Κίμωνι· νυνὶ δὲ οὐκ ἔστι, καὶ συγγινώσκετε. 58 Der «Barthasser» selbstironischer Weise in die lange Liste der Tiervergleiche ein, die bezüglich Julians Körperbehaarung immer wieder herangezogen wurden. 217 Andererseits dürfte der Verweis auf die maiestas des Löwen «der unter den Tieren der König ist» ebenso ein Anklang an die bereits etablierte Verbindung der Behaarung mit Männlichkeit bedeuten. Der Verweis auf Julians zottelige «Mähne» wird sogleich wieder im Gegensatz zu der Weichheit einer rasierten Brust gesetzt, auf die Julian verzichtet; die Weichheit steht damit nicht mehr nur im Gegensatz zur Behaarung, sondern auch zur maiestas und der natürlichen Autorität der Mächtigen über die Schwachen: Die Tiere (θηρία), über die der Löwe herrscht, erinnern wiederum an die Läuse, die sich in Julians Bart tummeln, als «Gebüsch für solche Tierlein.» Sein Bart verbindet Julian mit dem natürlichen maiestas des Löwen, während die Antiochener auf die lästige Rolle von Läusen reduziert werden, die Julian belästigen, aber wie einen Löwen eben nicht weiter einschränken. 218 Interessant ist hier auch der Verweis auf die vermeintlich ungepflegten, geschwärzten Finger des Kaisers: Diese weisen ihn als Schriftsteller aus, und zwar einen, der selbst Hand anlegt, anstatt einem Schreiber zu diktieren. Es könnte durchaus sein, dass der Kaiser hier auch auf Spott aus dem Volk oder seiner Umgebung reagiert. Auf jeden Fall ist es ein Hinweis darauf, dass auch die Hände des Kaisers der Beobachtung der Untergebenen unterlagen. Dass die einfache Stadtbevölkerung dem Kaiser jedoch nahe genug kam, um seine Hände auf die Länge der Fingernägel hin zu beurteilen, ist unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist, dass es sich bei den geschwärzten Finger Julians lediglich um einen rhetorischen Hinweis zu seiner Arbeit als Schriftsteller handelt. Doch auch unter diesem Vorbehalt bleibt die Beobachtung bestehen, dass gewisse Tätigkeiten für kaiserliche Hände, als pars pro toto also für den Kaiser selbst, als nicht geeignet oder jedenfalls nicht üblich gesehen wurden – ansonsten würde die Bemerkung wenig Sinn machen. Einen weiteren Hinweis auf Julians Finger findet sich auch bei Libanios. In einer Rede zum Antritt des vierten Konsulats von Julian in Antiochia lobt Libanios die Opfertätigkeit des Kaisers, die dieser nicht etwa durch andere ausführen lässt, sondern selbst in die Hand nimmt. Von den vielen nötigen Tätigkeiten dafür würden die Finger des Kaisers zeugen. Für Julian sei die Vorstellung absurd, Anweisungen an seine Statthalter von Hand zu schreiben, jedoch seine Pflicht gegenüber den Göttern nicht mit der eigenen Hand zu bewerkstelligen. 219 217 Vgl. Kapitel «Tiervergleiche» unten. Vgl. HAWKINS 2014, 279. Er verweist in diesem Zusammenhang auch auf die orthographische und phonetische Ähnlichkeit von λεῖος, «glatt» zu λέων, «Löwe». Ob der Bart deshalb wirklich als ein «aggressive symbol warning the people of Antioch of his wrath» darstellt, sei dahingestellt. 219 Lib. or. 12, 82. 218 59 Der «Barthasser» Spiele Kaiserliche Hände standen also ebenso wie der Rest des kaiserlichen Körpers unter strenger Beobachtung. 220 Zusätzlich zu dessen äusseren Erscheinungsbild gereichte aber offenbar auch sein öffentliches Auftreten – d.h. seine Abwesenheit – zu reichlich Unmut in der Bevölkerung: «Doch ich sage euch noch etwas: Als ob es mir noch nicht genügte, einen solch unkultivierten Körper zu haben, pflege ich auch noch eine ganz unmögliche Lebensweise. Ich halte mich fern von Theater und Zirkusspielen, einfältig wie ich bin, und ich lasse an meinem Hof auch keine Komödienaufführungen zu, ausser an Neujahr, solch ein Banause bin ich, gebärde mich gerade wie ein Mann vom Land, der seine Pachtsumme von seinem kleinen Gütchen an einen gestrengen Herrn abliefern muss. Und wenn ich einmal ins Theater gehe, dann wie einer, der ein fälliges Sühneopfer ableistet. Ich verfüge über niemanden – und dies, obwohl ich schliesslich als grosser König gelte – der gleichsam als mein Ober- oder Unterbefehlshaber die Schauspieler und die Wagenlenker überall im Reich unter sich hat. So habt ihr's bis vor kurzem ja gesehen und erinnert euch nun ‹an seine Jugend, an seine gewinnende Herzens- und Sinnesart›.» 221 Damit dürfte, abgesehen vom Bart des Kaisers, der wesentliche Streitpunkt zwischen Kaiser und Bevölkerung angesprochen worden sein, denn das Fehlen des Kaisers im Theater und Circus fiel für die Bevölkerung Antiochias scheinbar besonders ins Gewicht. In der Zurückgezogenheit des Kaisers spiegle sich seine unkultivierte Lebensweise genauso wie in der Vernachlässigung seiner Körperpflege, wenn nicht noch schlimmer. Während seines Aufenthaltes in Antiochia schien Julian tatsächlich in erster Linie insbesondere durch seine Abwesenheit in der Öffentlichkeit geglänzt zu haben. Die Ausnahme an Neujahr, auf die sich Julian hier bezieht, verweist höchstwahrscheinlich auf den Anlass der karnevalesken Festlichkeiten, in dessen Kontext die Schrift überhaupt verfasst wurde. Julian versäumt es in diesem Zusammenhang auch nicht, sich in Kontrast zu seinem Vorgänger zu setzen, der scheinbar eine 220 Dass diese Beobachtung zuweilen auch als übertrieben kritisiert wurde, sieht man bei Ammian. Im Zusammenhang mit den Denunziationen Julians am Hof des Constantius listet er einige historische Beispiele, bei denen aufgrund von Neid grossen Männern gewisse Laster angedichtet worden seien: So hätten die Neider von Pompeius an ihm die lächerliche und alberne Kleinigkeit beobachtet, dass er sich in einer charakteristischen Weise mit einem Finger am Kopf kratzte, und dies auf seine angeblich zerstreute Art zurückgeführt (Amm. 17,11,4). Der gängige Topos, dass verweichlichte Männer sich nur mit einem Finger am Kopf kratzten, um ihre Frisur nicht zu zerstören, findet sich auch bei kaiserzeitlichen Autoren wie Plutarch (Plut. vit. Caes. 4); zur Kontextualisierung in republikanischen Männlichkeits-Invektiven siehe MEISTER 2012, 57–63. 221 Iul. or. 12 (mis.), 339 C–D (Übers. Giebel): φράσω μὴν ἕτερον. Ἐμοὶ γὰρ οὐκ ἀπόχρη τὸ σῶμα εἶναι τοιοῦτο, πρὸς δὲ καὶ δίαιτα παγχάλεπος ἐπιτηδεύεται· Εἴργω τῶν θεάτρων ἐμαυτὸν ὑπ’ ἀβελτηρίας, οὐδὲ εἴσω τῆς αὐλῆς παραδέχομαι τὴν θυμέλην ἔξω τῆς νεομηνίας τοῦ ἔτους ὑπ’ ἀναισθησίας, ὥσπερ τινὰ φόρον ἢ δασμὸν εἰσφέρων καὶ ἀπο|διδοὺς ἄγροικος ὀλίγα ἔχων οὐκ ἐπιεικεῖ δεσπότῃ· καὶ τότε δὲ εἰσελθὼν τοῖς ἀφοσιουμένοις ἔοικα. Κέκτημαι δὲ οὐδένα – καὶ ταῦτα βασιλεὺς ἀκούων μέγας –, 〈ὃς〉 καθάπερ ὕπαρχος ἢ στρατηγὸς διὰ πάσης τῆς οἰκουμένης ἄρξει τῶν μίμων καὶ τῶν ἡνιόχων· ὅπερ ὑμεῖς ὁρῶντες ὀλίγῳ πρότερον ἀναμιμνήσκεσθε νῦν ἥβης ἐκείνης νοῦ τε ἐκείνου καὶ φρενῶν. 60 Der «Barthasser» viel grössere Begeisterung für die lokale öffentliche Unterhaltung bewies: Gemeint ist natürlich Constantius II., der nur zwei Jahre zuvor in Antiochia residierte, bevor er von hier aus gegen Julian in den Krieg auszog. 222 Weiter verweist Julian in ironischer Weise auf die erinnerte Jugend seines Vorgängers, der natürlich bei seinem letzten Aufenthalt in Antiochia bereits älter war als Julian es jetzt war. 223 Gleich anschliessend macht er diesen Gegensatz zu seinem Vorgänger noch expliziter: «Das war nun wohl ein schwerwiegender und klarer Beweis meiner schnöden Lebensart, und ich will euch noch einen weiteren dazu liefern: Die Pferderennbahn ist mir so verhasst wie den Schuldnern der Marktplatz. Nur selten besuche ich sie, an den Feiertagen, und ich verbringe nicht den ganzen Tag dort, wie es mein Vetter tat, mein Onkel und mein Bruder. Sechs einzelne Durchläufe halte ich gerade noch aus, und auch das nicht mit der Miene eines Sportbegeisterten oder, beim Zeus, wie einer, dem das nicht ganz und gar zuwider ist – ich bin froh, wenn ich wieder gehen darf.» 224 An dieser Stelle geht er nicht nur auf Constantius (seinen Vetter), 225 sondern auch auf seinen gleichnamigen Onkel Julian und seinen Bruder Gallus ein. Damit stellt sich Julian auch innerhalb der eigenen Familie als Sonderling dar. Der Vergleich mit Gallus und Constantius ist naheliegend; Gallus wurde von den Antiochenern als von Constantius eingesetzter Caesar in einer ähnlichen Funktion erlebt, und Constantius war der letzte Kaiser vor Julian, den die Antiochener zu Gesicht bekamen. 226 Es bleibt also vorerst festzuhalten, dass Julian drei wichtige öffentliche Bereiche – Circus, Theater und Hippodrom – mied, in welchen der Kontakt zwischen Kaiser und Bevölkerung besonders intensiv war und die traditionelle Orte ritualisierter Kommunikation zwischen Kaiser und Volk waren, der sich Julian offenbar 222 Die profectio im Herbst 361, vgl. KIENAST 2017. Constantius II. (* 7. Aug. 317) war bei seinem letzten Aufenthalt in Antiochia (361) vier- oder fünfundvierzig Jahre alt. 224 Iul. or. 12 (mis.), 340 A (Übers. Giebel): Ἦν μὲν οὖν ἴσως καὶ τοῦτο βαρὺ καὶ δεῖγμα ἐναργὲς μοχθηρίας τρόπου, προστίθημι δὲ ἐγώ τι καινότερον ἀεί· Μισῶ τὰς ἱπποδρομίας ὥσπερ οἱ χρήματα ὠφληκότες τὰς ἀγοράς. Ὀλιγάκις οὖν εἰς αὐτὰς φοιτῶ ἐν ταῖς ἑορταῖς τῶν θεῶν οὐδὲ διημερεύω, καθάπερ εἰώθεσαν ὅ τε ἀνεψιὸς ὁ ἐμὸς καὶ ὁ θεῖος καὶ ὁ ἀδελφὸς ὁ ὁμοπάτριος. Ἓξ δὲ τοὺς πάντας θεώμενος δρόμους – οὐδὲ αὐτοὺς ὡς ἄν τις ἐρῶν τοῦ πράγματος ἢ ναὶ μὰ Δία μὴ μισῶν αὐτὸ μηδὲ ἀποστρεφόμενος – ἄσμενος ἀπαλλάττομαι. 225 GIEBEL 2016, 72, Anm. 136., verweist auf einen curator ludorum im Dienste Constantius’, einen «Eventmanager», der bei der Ankunft eines Kaisers übliche, glanzvolle Spiele zu veranstalten hatte. Einen direkten Hinweis auf ein solches Amt unter Constantius findet sich in den Quellen nicht. Spezielle Beamte, die für die Ausführung der Spiele zuständig sind, sind jedoch für die gesamte Kaiserzeit und Spätantike belegt: Vgl. SGUAITAMATTI 2012 (Der spätantike Konsulat), 157–96. Es ist gut vorstellbar, dass ein solcher der Hofreform Julians kurz nach seinem Herrschaftsantritt in Konstantinopel (siehe unten, S. 99 f.) zum Opfer gefallen und entlassen worden ist. 226 Bezüglich seines Onkels Julius Constantius ist die Gegenüberstellung verwunderlich, denn Julian hatte zu seinem Onkel, den er als comes Orientis eingesetzt hatte und mit dem er in regelmässigem Briefkontakt stand, ein gutes Verhältnis und die beiden traten wohl oft gemeinsam in Antiochia auf. Bei der Bevölkerung Antiochias schien Julius Constantius, der sich von Julian von einem Christen wieder zum Paganismus konvertieren liess auch ebenso unbeliebt gewesen zu sein; er wurde offenbar zusammen mit Julian und seinen Freunden verspottet (Iul. or. 12 (mis.), 365 B–C). Christliche Quellen berichten zudem davon, dass Julius durch eine göttliche Strafe in Form einer Krankheit dahingerafft wurde: Ephr. Syr. hymn. c. Iulian. 4,3–4; Philostorg. h.e. 7,10,3; Theod. h.e. 3,13. 223 61 Der «Barthasser» entzog. Mit diesem Tadel beschliesst Julian dann einstweilen die Beschreibung seiner «äusseren» Auftritte. Doch diese seien nicht das einzige, mit denen er die Antiochener vor den Kopf gestossen habe. Der «Krieg gegen den Magen» Als nächstes widmet sich Julian den «inneren Dingen» 227 seiner Herrschaft: «Da gibt es durchwachte Nächte auf einem Strohsack, ein Essen, bei dem Schmalhans Küchenmeister ist – was mich bitter macht und schlecht aufgelegt gegenüber einer Stadt, die so im Luxus schwelgt. Aber ich habe mir nicht, um euch zu ärgern, solche Essgewohnheiten auferlegt. Schon in meiner Kindheit überkam mich eine schreckliche und unvernünftige Verblendung, die mich dazu brachte, Krieg gegen meinen Bauch zu führen, dem ich nicht erlaube, sich mit allem Essbaren vollzustopfen.» 228 Damit beginnt Julian seine Inszenierung als Asket. Seine Askese drückt sich in erster Linie durch seine Schlaf- und Essgewohnheiten aus, welche ihn zum natürlichen Feind einer Stadt mache, die im Luxus lebe (τρυφώσα πόλις). Der Unterschied wird noch pointierter durch die folgende Aussage, dass sich Julian «seltener als andere Leute» übergeben muss – wohl eine Anspielung auf die Exzesse der Antiochener. 229 Der «Krieg gegen den Bauch» (τῇ γαστρὶ πολεμεῖν) ist eine interessante Formulierung. An die kriegerische Ansage wird sogleich ein Beispiel aus der Zeit, in der Julian als Caesar in Gallien tätig war, angehängt. Dies sei das einzige Mal seit Herrschaftsantritt gewesen, bei dem er sich übergeben musste – freilich nicht aufgrund von Völlerei, sondern durch einen eigentümlichen Unglücksfall. Nach einer überraschend pittoresken Beschreibung des Pariser Winterlagers auf der Insel der zugefrorenen Seine, 230 folgt eine Darstellung von Julians Versuch, sich gegen die Kälte abzuhärten. Er habe auf eine übliche Fussbodenheizung verzichtet, da er sich an die Kälte gewöhnen wollte. Aufgrund der aussergewöhnlichen Winterskälte liess er sich an einem gewissen Punkt dennoch glühende Kohle ins Schlafgemach bringen. Durch die Wärme taute jedoch der Frost der Wände, die den Caesar einschläferten und beinahe ersticken liessen. Nachdem man ihn ins Freie gebracht hatte, erbrach Julian auf Anraten seiner Ärzte die letzte Mahlzeit (eine sehr geringe Menge), worauf er ihm gleich besser gegangen sei. 231 Iul. or. 12 (mis.), 340 B: τὰ δὲ ἔνδον. Vgl. Anm. 207. Iul. or. 12 (mis.), 340 B (Übers. Giebel): Ἀλλὰ τὰ μὲν ἔξω ταῦτα – καίτοι πόστον εἴρηταί μοι μέρος τῶν ἐμῶν εἰς ὑμᾶς ἀδικημάτων; –, τὰ δὲ ἔνδον ἄγρυπνοι νύκτες ἐν στιβάδι· καὶ τροφὴ παντὸς ἥττων κόρου πικρὸν ἦθος ποιεῖ καὶ τρυφώσῃ πόλει πολέμιον. Οὐ μὴν ὑμῶν γ’ ἕνεκα τοῦτο ἐπιτηδεύεται παρ’ ἐμοῦ, δεινὴ δέ τις ἐκ παιδαρίου με καὶ ἀνόητος ἀπάτη προκαταλαβοῦσα τῇ γαστρὶ πολεμεῖν ἔπεισεν, οὐδὲ ἐπιτρέπω πολλῶν ἐμπίπλασθαι σιτίων αὐτῇ. 229 Iul. or. 12 (mis.), 340 C: Ὀλιγάκις οὖν ἐμοὶ τῶν πάντων ἐμέσαι συνέβη, καὶ μέμνημαι αὐτὸ παθών, ἐξ ὅτου Καῖσαρ ἐγενόμην, ἅπαξ ἀπὸ συμπτώματος, οὐ πλησμονῆς. 230 Iul. or. 12 (mis.), 340 C–341 B, womöglich als einleitende Erklärung für Julians Verhalten in einem ausserordentlich kalten Winter. 231 Iul. or. 12 (mis.), 341 C–342 A (Übers. Giebel): Ὡς οὖν ἐν τούτοις ἀγριώτερος ἦν τοῦ συνήθους, ἐθάλπετο δὲ τὸ δωμάτιον οὐδαμῶς, οὗπερ ἐκάθευδον, ὅνπερ εἰώθει τρόπον ὑπογαίοις καμίνοις τὰ πολλὰ τῶν οἰκημάτων ἐκεῖ θερμαίνεσθαι, καὶ ταῦτα ἔχον εὐτρεπῶς πρὸς τὸ παραδέξασθαι τὴν ἐκ τοῦ πυρὸς ἀλέαν – συνέβη δὲ οἶμαι 227 228 62 Der «Barthasser» Der Exkurs vereint zwei verschiedene Aspekte von Julians Wesen, auf welche er besonders stolz zu sein scheint: Einerseits seine körperliche Widerstandsfähigkeit gegen klimatische Einflüsse, andererseits seine betonte Zurückhaltung bei der Nahrungsaufnahme. Dass Julian sich Kohle bringen liess, wird als klare Ausnahme in einem besonders harten Winter dargelegt. Die Angst vor den Wasserdämpfen war indes zu dieser Zeit eine weit verbreitete, und nicht selten wurde der unerklärbare Tod wichtiger Personen auf solche Phänomene zurückgeführt – die Gefahren einer Kohlenmonoxid-Vergiftung, die hierbei wohl eine wesentlich grössere Rolle gespielt haben dürfte, war zu jener Zeit freilich noch unbekannt. 232 Die geringe Menge an Erbrochenem ist wiederum ein Verweis auf Julians massvolle Ernährung, womit die Episode abschliessend in den Zusammenhang von Julians Askese eingebunden wird. Mit den vielen Verweisen auf seine asketische Lebensweise greift Julian Themen auf, die er in seinen philosophischen Texten bereits ausgelegt hat, insbesondere in seinen beiden Reden gegen die Kyniker. In diesem Sinne zeigt sich im Bereich der privaten Lebensführung eine grosse Konsistenz über die verschiedenen Schriften Julians hinweg. Der Antiheld des Misopogon führt Krieg gegen seinen Magen, nicht nur was die Menge betrifft, sondern auch die Auswahl an Nahrungsmitteln. Dieses selektive Verhalten äussert sich jedoch in einer sehr frugalen Ernährung, die im Gegensatz zu der besonders raffinierten Verköstigung der Antiochener steht. So kritisiert der antiochenische Zwischenrufer Julians naive Idee, dass die Stadt bereits ausreichend ernährt sei, wenn er nur genügend Korn zur Verfügung stelle. Doch damit nicht genug: «Kürzlich beklagte sich jemand, es gäbe weder genügend Fisch noch Geflügel auf dem Markt. Da setztest du ein maliziöses Lächeln auf und sagtest, Brot, Wein und Oliven reichten für eine wohlanständige Stadt, mit Fleisch finge schon die Schwelgerei an. Von Fisch und Geflügel überhaupt nur zu reden, sei schon höchste Ausschweifung – mehr als bei den Freiern in lthaka! 233 καὶ τότε διὰ σκαιότητα τὴν ἐμὴν καὶ τὴν εἰς αὑτὸν πρῶτον, ὡς εἰκός, ἀπανθρωπίαν· ἐβουλόμην γὰρ ἐθίζειν ἐμαυτὸν ἀνέχεσθαι τὸν ἀέρα ταύτης ἐνδεῶς ἔχοντα τῆς βοηθείας –, ὡς δὲ ὁ χειμὼν ἐπεκράτει καὶ ἀεὶ | μείζων ἐπεγίνετο, θερμῆναι μὲν οὐδὲ ὣς ἐπέτρεψα τοῖς ὑπηρέταις τὸ οἴκημα, δεδιὼς κινῆσαι τὴν ἐν τοῖς τοίχοις ὑγρότητα, κομίσαι δὲ ἔνδον ἐκέλευσα {πῦρ κεκαυμένον} καὶ λαμπροὺς 〈ἔτι〉 ἀποθέσθαι φανοὺς κεκαυμένους. Οἱ δέ, καίπερ ὄντες οὐ πολλοί, παμπληθεῖς ἀπὸ τῶν τοίχων ἀτμοὺς ἐκίνησαν, ὑφ’ ὧν κατέδαρθον· ἐμπιπλαμένης δέ μοι τῆς κεφαλῆς ἐδέησα μὲν ἀποπνιγῆναι, κομισθεὶς δὲ ἔξω, τῶν ἰατρῶν παραινούντων ἀπορρῖψαι τὴν ἐντεθεῖσαν ἄρτι τροφήν, οὔτι μὰ Δία πολλὴν οὖσαν, ἐξέβαλον, καὶ ἐγενόμην αὐτίκα ῥᾴων, ὥστε μοι γενέσθαι κουφοτέραν τὴν νύκτα καὶ τῆς ὑστεραίας πράττειν ὅτιπερ ἐθέλοιμι. 232 Vgl. etwa die möglichen Erklärungen für Jovians Tod bei Eutropius (10,18,1): Jovian starb nach allgemeinem Glauben entweder an der Überladung des Magens infolge seiner üblichen Völlerei, an den Dämpfen einer frischen Tünche von Kalk in seinem Schlafgemach, oder – ähnlich wie die Episode bei Julian – aufgrund von glühender Kohle, die er wegen eines besonders strengen Frostes anzünden liess. 233 Julian assoziiert die Antiochener mit den Freiern der Penelope in der Odyssee, d.h. Männer, die den ganzen Tag auf Kosten anderer schlemmten. 63 Der «Barthasser» Und wem Schweine- und Hammelbraten nicht behagten [wie diesen], meintest du, der tue gut daran, sich mit Gemüse zu begnügen.» 234 Die Unzufriedenheit mit den vorhandenen Nahrungsmitteln führt Julian als weiteren Beweis für das luxuriöse Leben der Antiochener an. 235 Die Passage schliesst an eine Beschreibung der erfolglosen Versuche Julians zur Regulierung des ausser Kontrolle geratenen Marktes von Antiochia an, das dadurch zeitweise grösseren Hungerkrisen ausgesetzt war. Verantwortlich für das Scheitern war freilich nicht Julian selbst, sondern die Gier und Gesetzeslosigkeit der Geschäftsleute, Ladenbesitzer und Stadtmagistrate. Solche Passagen werden zuweilen als Hinweis darauf gelesen, dass der junge Kaiser die wirtschaftliche Situation in Antiochia nicht nur nicht verstand, sondern er sie auch nur durch seine moralische Brille zu betrachten gewillt war. 236 Dies mag zutreffend sein. Auf jeden Fall muss eine solche Aussage, ob sie tatsächlich bereits im Vorfeld durch Julian geäussert wurde, oder erst im Kontext des Misopogon gelesen wurde, als Schlag ins Gesicht für viele hungernde Antiochener gewirkt haben. 237 Der Pariser Exkurs hat neben der Darstellung von Julians Askese auch noch eine weitere Funktion: Er dient als Vorlage für eine Besprechung des Wesens der Kelten, das sich von dem der Antiochener so grundsätzlich unterscheidet. Denn im Gegensatz zu diesen seien die Kelten, die in Caesar Julians Armee dienten, und die er auch mit sich nach Antiochia gebracht hatte, von einer so bäurischen Art (ἡ Κελτῶν […] ἀγροικία), dass sie die seine einfacher ertrügen. Natürlich sei er selbst aber ein Stein des Anstosses in einer so glänzenden Stadt wie Antiochia, in der es viele Tänzer, Flötenspieler und Mimen gäbe – dafür aber keinen Respekt vor den Regierenden. 238 Die Missachtung der kaiserlichen Autorität und die luxusversessene Lebensführung verbindet Julian in ironischer Weise mit der mannhaften Art der Antiochener. Darüber würden unreife Jungen vielleicht rot werden; aber für gestandene Männer, wie es Iul. or. 12 (mis.), 350 B–C (Übers. Giebel): Ἐκεῖνο δέ σου χάριεν, ὅτι οὐδὲ ὅπως ἰχθὺς ἐν τῇ πόλει πετραῖος ἔσται σκοπεῖς· ἀλλὰ καὶ πρῴην μεμφομένου τινὸς ὡς οὔτε ἰχθυδίων οὔτε ὀρνίθων πολλῶν εὑρισκομένων ἐν ἀγορᾷ, τωθαστικὸν μάλα ἐγέλασας, ἄρτου καὶ οἴνου καὶ ἐλαίου τῇ σώφρονι πόλει δεῖν φάμενος, κρεῶν δὲ ἤδη τῇ τρυφώσῃ· τὸ γὰρ καὶ ἰχθύων καὶ ὀρνιθίων λόγον ποιεῖσθαι πέρα τρυφῆς εἶναι καὶ ἧς οὐδὲ τοῖς ἐν Ἰθάκῃ μνηστῆρσι μετῆν ἀσελγείας· ‚ὅτῳ δὲ οὐκ ἐν ἡδονῇ κρέα ὕεια καὶ προβάτεια σιτεῖσθαι, τῶν ὀσπρίων ἁπτόμενος εὖ πράξει.’ 235 Grundsätzlich galt Fisch und Geflügel in der Antike als besonders luxuriös; dass die Antiochener angeblich mit dem Schweine- und Hammelfleisch nicht zufrieden sind, beweist also (für Julian) deren Verschwendungssucht. In diesem Zusammenhang mag man an die religiösen Ernährungsgebote, die Julian in seiner Hymne an die Göttermutter nur wenige Monate zuvor veröffentlichte, erinnert werden. Inhaltlich finden sich Widersprüchlichkeiten: Schweinefleisch, hier als bescheidene Nahrung im Vergleich zu Fisch und Geflügel, verbietet Julian in der Hymne. Dies könnte dadurch erklärt werden, dass die Ernährungsgebote in der Hymne im Zusammenhang mit dem religiösen Fest der Göttermutter zu verstehen sind. 236 MÜLLER 1998, 228 Julian bedient hier eher einen antiken Topos als eine echte Ursachenanalyse zu machen. 237 Claudius Mamertinus behauptet, dass Julian trotz seiner Sparsamkeit ein umgänglicher Kaiser gewesen ist, der das Privatleben seiner Bürger respektierte und sogar dafür sorge, dass seine Untergebenen Annehmlichkeiten im Überfluss geniessen können: Paneg. lat. 3 (11), 12. Der Misopogon ist der wohl grösste Beweis, dass es sich dabei vor allem um Wunschdenken seitens des Konsuls gehandelt hat. 238 Iul. or. 12 (mis.), 342 A–B: Ἀλλ’ ἡ Κελτῶν μὲν ταῦτα ῥᾷον ἔφερεν ἀγροικία, πόλις δὲ εὐδαίμων καὶ μακαρία καὶ πολυάν|θρωπος εἰκότως ἄχθεται, ἐν ᾗ πολλοὶ μὲν ὀρχησταί, πολλοὶ δὲ αὐληταί, μῖμοι δὲ πλείους τῶν πολιτῶν, αἰδὼς δὲ οὐκ ἔστιν ἀρχόντων. 234 64 Der «Barthasser» die Antiochener seien, schicke es sich, die Nächte durchzufeiern und dabei die Gesetze zu missachten. 239 Mit dieser Überleitung beginnt der Teil der Rede, in welcher Julian die Idee, dass zwischen ihm und den Antiochenern ein moralischer Abgrund klaffe, in eine konkrete Begrifflichkeit überführt. Die zwei zentralen Begriffe, die er dazu einführt, sind das von ihm verfochtene Ideal der «Mässigung» in allen Bereichen (σωφροσύνη), und im Gegensatz dazu die von den Antiochenern verherrlichte «Freiheit» (ἐλευθερία). Vergleicht man Julians Kritik an der übertriebenen Freiheitsliebe der Antiochener mit Julians philosophischen Texten, fällt auf, dass Julian der Debatte ein Freiheitskonzept zugrunde legt, das sich in seinen Augen diametral von demjenigen der Antiochener unterscheidet. Für den Philosophen Julian ist ein Verständnis von Freiheit der Antiochener insofern «falsch», als dass sie darunter das Ignorieren jeglicher sozialen Konventionen zum alleinigen Ziel der Bedürfnisbefriedigung verstehen. Wie Julian aber bereits in seinen Invektiven gegen die Kyniker ausführte, bedeutet wahre Freiheit in seinen Augen gerade das Gegenteil: Nur die absolute Kontrolle der Seele über den Körper und all seine Bedürfnisse bedeutet die wahre Freiheit, und diese erreicht man nur über den asketischen Lebensstil eines Philosophen. Ansonsten bleibe man seinem Magen untertan. 240 Der Vorwurf, dass die Freiheit bei den Antiochenern über alle Tugenden gelte, wird durch einen anonymen Zwischenredner, den Julian von nun an häufiger sprechen lässt, gleich bestätigt. Unmittelbar nach der Darlegung der Unterschiedlichkeit der Kelten und Antiochener – mit Verweis auf die Schönheit und Gepflegtheit der letzteren – meldet sich sogleich der fiktive Zwischenrufer: «‹Hast du etwa geglaubt, dass deine bäurischen Manieren, dein grämliches Einsiedlertum und deine ungeschliffene Art eben dazu passen? O du Ausbund an Unbelehrbarkeit und Schmähsucht, ist es so töricht und einfältig, dein Seelchen, das unbedarfte Leute weise nennen, dass du glaubst, es mit Mässigung und Sittsamkeit schmücken und herausputzen zu müssen? Da bist du auf dem Holzweg!›» 241 Indem der Zwischenrufer das von Julian verfochtene Ideal der σωφροσύνη vollständig zurückweist, entwickelt er es dabei im Folgenden vollständig in seiner anspruchsvollen Vielschichtigkeit. Besondere Aufmerksamkeit erhält dabei das Fernbleiben von allerlei Vergnügungen sowohl im privaten wie auch Iul. or. 12 (mis.), 342 B: Ἐρυθριᾶν γὰρ πρέπει τοῖς ἀνάνδροις, ἐπεὶ τοῖς γε ἀνδρείοις – ὥσπερ ὑμεῖς – ἕωθεν κωμάζειν, νύκτωρ ἡδυπαθεῖν, ὅτι τῶν νόμων ὑπερορᾶτε μὴ λόγῳ διδάσκειν, ἀλλὰ τοῖς ἔργοις ἐνδείκνυσθαι. 240 Iul. or. 9 (c. Cyn.), 196 C. 241 Iul. or. 12 (mis.), 342 D–343 A (Übers. Giebel): «Τὴν δὴ σὴν ἀγροικίαν καὶ ἀπανθρωπίαν καὶ σκαιότητατούτοις ἁρμόσειν ὑπέλαβες; οὕτως ἀνόητόν ἐστί σοι καὶ φαῦλον, ὦ πάντων ἀνθρώπων ἀμαθέστατε καὶ φιλαπεχθημονέστατε, τὸ λεγόμενον ὑπὸ τῶν ἀγεννεστάτων σῶφρον τουτὶ ψυχάριον, ὃ δὴ σὺ κοσμεῖν καὶ καλλωπίζειν σω|φροσύνῃ χρῆναι νομίζεις; οὐκ ὀρθῶς […]» Das abwertend gemeinte Deminutiv ψυχάριον kennzeichnet womöglich eine beiläufige Polemik gegen Julians Überordnung der Seele über den Körper, der inneren Werte gegenüber der körperlichen Lust, die allein die Antiochener interessiert, siehe MÜLLER 1998, 221. 239 65 Der «Barthasser» im öffentlichen Leben. Wie bereits erwähnt war die Abwesenheit des Kaisers im Theater und Hippodrom einer der wesentlichen Reibungspunkte zwischen ihm und der antiochenischen Bevölkerung. Julian erklärt (durch das rhetorische Instrument des fiktiven Zwischenrufers) diese Zurückhaltung aufgrund seiner ausgeprägten «Mässigung» (σωφροσύνη): «Und wenn man auch dies als das Werk der Sittsamkeit ansieht: sich von allen Vergnügungen fernzuhalten, auch wenn sie nicht ausgesprochen unziemlich sind oder tadelnswert erscheinen in der Öffentlichkeit, aus der Überzeugung heraus, dass man im Privatleben und in häuslicher Abgeschiedenheit nicht massvoll leben kann, wenn man sich im öffentlichen Leben, unter den Augen aller, gern gehen lässt und dem Vergnügen im Theater frönt.» 242 Interessant ist die Unterscheidung zwischen den zwei Bereichen, die Julian hier macht. Der Kaiser befand sich wohl ausserhalb seiner persönlichen Schlafgemächer niemals wirklich in einem privaten Raum, da er als Kaiser zu jeder Zeit im Zentrum der Aufmerksamkeit stand. 243 Julian ignoriert seinen besonderen Status durch die Aussage, dass er sich in einen privaten Bereich zurückziehen könnte, in dem er tun und lassen könne, wie es ihm beliebe. Doch für die Augen der breiten Bevölkerung Antiochias gab es durchaus nur klar begrenzte Momente, bei denen der Kaiser «öffentlich» sichtbar war, und diese beschränkten sich auf seine Auftritte im Theater und bei den Spielen. Die Besonnenheit und Mässigung Julians durchdringe sein Wesen jedoch so sehr, dass er es sich nicht leisten könnte, ein solches «Doppelleben» zu führen. Seine Mässigung drückt sich zudem auch darin aus, dass er sich nicht als «Herr» (δεσπότης) ansprechen lässt, obwohl die Antiochener sich diese Anrede bereits (durch Julians Vorgänger ist wohl die Implikation) gewöhnt waren. 244 Dieses Ideal der Mässigung trägt der Kaiser also an die Bevölkerung Antiochias heran, welche jedoch nicht einmal dazu in der Lage ist, dieses intellektuell zu verstehen, geschweige denn praktisch anzuwenden. 245 Gerade so viel Einsicht rechnet Julian seinem antiochenischen Zwischenrufer noch an, dass er diese Tragödie zu erkennen vermag. Unter dieser Voraussetzung bringe der Kaiser natürlich nur Verderben über sich und die Stadt, denn die antiochenische Liebe zur Freiheit verträgt sich grundsätzlich nicht mit einer solchen Art der «Knechtschaft», die da in Form der kaiserlichen Ansprüche über die Stadt hineinbricht. Indem Julian die Bühnenkunst einschränkt und Schauspieler und Tänzer entlässt, Iul. or. 12 (mis.), 343 B–C (Übers. Giebel): εἰ δὲ καὶ τοῦτό τις ἔργον θεῖτο σωφροσύνης, ἀπέχεσθαι πάσης ἡδονῆς οὐ λίαν ἀπρεποῦς οὐδὲ ἐπονειδίστου δοκούσης ἐν τῷ φανερῷ, πεπεισμένος ὡς οὐκ ἔστιν ἰδίᾳ σωφρονεῖν {οἴκοι} καὶ λάθρᾳ τὸν δημοσίᾳ καὶ φανερῶς ἀκόλαστον εἶναι θέλοντα καὶ τερπόμενον τοῖς θεάτροις. 243 Vgl. dazu in Kapitel «Interaktionsräume und Akzeptanzgruppen» oben die Überlegungen der verschiedenen Formen von «Öffentlichkeit», denen ein Kaiser ausgesetzt war. 244 Iul. or. 12 (mis.), 343 C–D. Der Antiochenische Zwischenrufer empfindet es jedoch als pure Heuchelei, dass der Kaiser sie dennoch zwingt, den Beamten und Gesetzen zu gehorchen (oder eben als «Sklaven» zu dienen). Dass dies freilich kein Widerspruch ist, wird wohl von Julian so in seiner Ironie beabsichtigt gewesen sein. 245 Vgl. Iul. or. 12 (mis.), 343 A: Die Antiochener wüssten gar nicht, was diese Sittsamkeit überhaupt sei; sie hörten nur ihren Namen, ohne das Ding selbst zu sehen. 242 66 Der «Barthasser» ruiniere er die Stadt. 246 Ein solches Spieleverbot ist indes von keiner anderen Quellen überliefert. Womöglich hallt in dieser Anklage noch die Erinnerung an Julians grosses Vorbild Mark Aurel nach: In der Historia Augusta wird überliefert, dass der Kaiser des 2. Jahrhunderts ebenfalls ein schwieriges Verhältnis zu der Stadt Antiochia hatte, und ihnen im Zuge einer Strafmassnahme Schauspiele und öffentliche Veranstaltungen verbot, und die Stadt zudem dadurch bestrafte, dass er sie nicht besuchte, als er sich in Syrien aufhielt. 247 Dass Julian die Historia Augusta bekannt war, ist unwahrscheinlich, 248 aber die Erinnerung an diese Massnahme dürfte noch lebendig gewesen sein. Indem Julian überdies auch selbst keine Aufführungen veranstaltete, war wohl auch ein wesentlicher Wirtschaftszweig der Stadt beeinträchtigt worden, womit sich der lamentierte Ruin der Stadt erklärt. Für Julian liegt die Erklärung freilich ganz woanders: Das luxussüchtige und laszive Verhalten der Antiochener steht in seinen Augen der Durchsetzung seiner vernünftigen Gesetze im Weg. Die Ausführungen müssen auch in einem grösseren Kontext verstanden werden. Julian sah sein philhellenisches Idealbild durch die Realität in Antiochia bedroht, und der Misopogon lässt sich als ein Versuch der Erklärung für diese offensichtliche Diskrepanz lesen. 249 Im Misopogon verfolgt Julian unter anderem das Ziel, die Bevölkerung Antiochias als ausserhalb der hellenischen Welt stehend darzustellen. 250 Julian hatte eine klare Vorstellung davon, was «Hellenismus» konstituierte, und als Kaiser und pontifex maximus fühlte er sich verpflichtet, bei der Wiederherstellung und Verteidigung der Integrität dieses Systems die Führung zu übernehmen. 251 Um die Mitte des 4. Jahrhunderts wurden die Begriffe «Hellene» und «Hellenismus» von christlichen Autoren generell als abwertende Bezeichnungen für Heiden und Heidentum verwendet. In diesem Sinne stellte der Hellenismus eine religiöse Kategorie dar. Die Forschung zu Julian zeigte jedoch, wie Julian diese Verwendung begeistert aufnahm und erweiterte, und sie dem heidnischen Hellenismus als die gute, reine, traditionelle und gebildete Kultur entgegenstellte. Der Hellenismus wurde so zum kulturellen Gegenbild eines degenerierten Christentums. 252 In diesem Sinne können auch Julians Ausführungen bezüglich der übertriebenen Liebe zur Freiheit (ἐλευθερία) der Antiochener verstanden werden, die sich im Gegensatz zu der traditionellen Sittsamkeit (σωφροσύνη) Julians als völlig übertrieben herausstellt. Julian spielt mit der Begrifflichkeit und stellt sie auf den Kopf: Der Begriff der Freiheit war seit jeher ein Schlüsselbegriff für politische Diskurse in der griechischen Welt, insbesondere im von Julian verehrten 246 Iul. or. 12 (mis.), 344 A. SHA Marc. Aur. 25,8–11. 248 Die Datierung der Schrift ist hochumstritten, mit einem terminus post quem 360/61 (nach Aurelius Victor) und einem terminus ante quem vor 525. 249 Julian selbst macht die Enttäuschung, die er – trotz seiner thrakischen Abstammung – über sein zerstörtes Bild der «Kinder Griechenlands» Antiochias verspürt, explizit; vgl. Iul. or. 12 (mis.), 367 C. 250 Siehe dazu allgemein TIERSCH 2018 (A Dispute – About Hellenism?). 251 Vgl. Julians Aussagen, dass das Priesteramt wichtiger als das Kaiseramt sei: Iul. epist. 48, 296 C; vgl. auch Lib. or. 12, 80. 252 HAWKINS 2014, 281. 247 67 Der «Barthasser» Athen. Doch indem Julian seine Hingabe zu den Göttern als «Sklaverei» (δουλεία) bezeichnet, und die «Freiheit» der Antiochener in Verbindung mit ihrer lasziven Lebensart stellt, wendet er eine strategische Verkehrung der Begriffe zu seinen Gunsten an. Indem er den antiochenischen Zwischenrufer seine σωφροσύνη, im Verständnis der Antiochener nichts weiter als Prüderie, vollständig ablehnen lässt, entfaltet er ihr gesamtes Bedeutungsspektrum. 253 Dabei wird klar, dass neben dem Verzicht auf weltliches Vergnügen vor allem die devote Götterverehrung in Zentrum eines tugendhaften Lebens steht. Aus Julians Sicht sind die verkommenen Auswüchse der antiochenischen «Freiheit» das Resultat ihrer Ablehnung der traditionellen Religion. 254 Das Christentum wird somit zum moralisch verkommenen Gegenbild eines kulturellen Hellenismus und kann von Julian mit allerlei Negativbildern behaftet werden. Männlichkeit Besonders eindeutig und für aller Augen sichtbar zeigt sich der moralische Abgrund zwischen dem Kaiser und den Antiochenern an der äusseren Erscheinung. Die Borstigkeit des Kaisers und die Weichheit der Antiochener sind hochgradig moralisch aufgeladen. Mit vorgetäuschter Verwirrung beklagt Julian bereits früh in der Rede, dass die Männer von Antiochia so vollständig enthaart, so dekadent gepflegt sind, dass ein Traditionalist wie er die alten Männer als solche nicht erkennen kann: «Und alle seid ihr gut aussehend, stattlich, mit weicher Haut und glatten Wangen – ob jung oder alt wetteifert ihr miteinander um das paradiesische Leben der Phäaken, um oft gewechselte Kleider und warme Bäder und Betten 255 anstatt euch göttlichen Rechts zu befleissigen.» 256 In Antiochia scheint die ganze Welt auf dem Kopf zu stehen, und das «gender bending» der Antiochener ist ein sichtbarer Ausdruck davon. Eine andere Manifestation der ausser Kontrolle geratenen Freiheit macht Julian in der mangelhaften Kontrolle der Frauen der Stadt aus: Die Frauen seien frei und ungebunden; schlimmer noch, ihnen sei sogar die Erziehung der Kinder überlassen worden, womit diese dazu verdammt wären, zu ebenso moralisch verkommenen Erwachsenen heranzuwachsen: eher Sklaven als Männer. 257 Die übertriebene Freiheit nimmt aber noch groteskere Züge an. Zugegebenermassen recht amüsant ist die Stelle, in der Julian beschreibt, wie die Freiheit sich angeblich selbst auf die Tiere in der Stadt erstreckt: Die Esel und Kamele der Stadt dürften demnach ungehindert durch die 253 Iul. or. 12 (mis.), 343 A–343 C. Für eine detailliertere Darstellung der von Julian «missbrauchten» Begrifflichkeit und den Zusammenhang mit den religiösen Differenzen vgl. HAWKINS 2014, insb. 286–89. 255 Hom. Od. 8,245–249. 256 Iul. or. 12 (mis.), 342 C–D (Übers. Giebel): καλοὶ δὲ πάντες καὶ μεγάλοι καὶ λεῖοι καὶ ἀγένειοι, νέοι τε ὁμοίως καὶ πρεσβύτεροι ζηλωταὶ τῆς εὐδαιμονίας {καὶ} τῶν Φαιάκων, εἵματά τ’ ἐξημοιβὰ λοετρά τε θερμὰ καὶ εὐνὰς ἀντὶ τῆς ὁσίας ἀποδεχόμενοι. 257 Iul. or. 12 (mis.), 356 B–C. 254 68 Der «Barthasser» eigentlich nur den Menschen vorbehaltenen Säulenwandeln schreiten, und niemand würde sie je in ihrer Freiheit einschränken. 258 Das Ignorieren der Gender-Grenzen trägt nach dieser Logik zu einer verkehrten und gesellschaftskorrodierenden Freiheit bei. Der Ursprung von diesem Chaos ist die Transgression der zur Weiblichkeit neigenden antiochenischen Männern, die den Umsturz der gesamten geordneten Gesellschaft nach sich zieht: In diesem Fall eine Stadt, in der sogar die Frauen und Tiere ausser Kontrolle sind. «Mann-Sein» ist damit für Julian von inhärent gesellschaftsstabilisierender Bedeutung. Die vielfachen Verweise auf die Verweichlichung und Effeminiertheit der Bevölkerung Antiochias, im Gegensatz zu Julians rustikaler Männlichkeit, bildet das rhetorische Kernelement des Misopogon. Die – trotz der Verpackung in ironische Selbstkritik – unverhohlenen Angriffe auf die fehlende Männlichkeit der Antiochener ist die zentrale Strategie, die Julian anwendet, um den gegen ihn gerichteten Spott aufzunehmen und zu verarbeiten. Gleich von Beginn an wird das grundlegende Thema der Schrift aufgenommen: Die Gegenüberstellung von Julian mit seiner (männlichen) Borstigkeit und Ungepflegtheit, und den (unmännlichen) verweichlichten Antiochenern. 259 Julians Bart wird zum Ausdruck der puren, reifen Männlichkeit, die er der Bartlosigkeit von Jungen und Frauen gegenüberstellt. In diese Kategorie wirft er im Folgenden die (männlichen, erwachsenen) Antiochener, indem er ihnen unterstellt, sich in ihrem Äusseren und ihrem Lebensstil an ihren Söhnen und Töchtern zu orientieren. Die androgynen Männer Antiochias sind so glatt und geschmeidig, dass es schwierig ist, die alten Männer von den Mädchen zu unterscheiden. Julian reproduziert damit einen Diskurs, der für die römische Antike durchaus gängig war: Die Verbindung von Männlichkeit mit einem «harten», zurückhaltenden und anspruchslosen Lebensstil, und die Gegenübersetzung einer Weiblichkeit, die sich durch «Weichheit» (hier in durchaus körperlichem Sinne) und einem angenehmen, luxuriösen Leben auszeichnet. Die Haare auf dem Kopf, besonders aber an Kinn und Wangen, werden dabei zum Ausdruck und Signal jener reinen Männlichkeit. Die allzu gepflegte Erscheinung der Antiochener wird ebenso toposhaft mit einem entsprechenden luxuriösen, den Dienst an den Göttern vernachlässigenden Lebensstil verbunden. Durch die wiederholte Betonung der Weichheit (λεῖος) und Bartlosigkeit (αγένειος) wird die fehlende Männlichkeit, zugleich aber auch die moralische Verkommenheit der antiochenischen Bürger hervorgehoben. 260 Die vielen Anspielungen auf die glattrasierten Wangen war eine Reaktion Julians auf die Spottverse der Antiochener, die es dem Kaiser nahelegten, sich doch endlich zu rasieren. Durch den Nachweis der 258 Iul. or. 12 (mis.), 355 B–C. Iul. or. 12 (mis.), 338 B–339 A, siehe oben S. 57. 260 Vgl. Julians Brief an Libanios nach seiner Abreise aus Antiochia, in dem Julian seinem Freund Libanios nahelegt, dass bei den Menschen die Tendenz vorherrscht, über ihre Tugenden zu erröten, sich aber mit ihren schlimmsten Eigenschaften zu brüsten, darunter die Schwäche von Geist und Körper (μαλακίᾳ γνώμης και σώματος): Iul. epist. 24, 400 A. 259 69 Der «Barthasser» Unsittlichkeit in der äusseren Erscheinung der Antiochener dreht Julian deren Invektive gegen seine Borstigkeit, die sein unkultiviertes Wesen widerspiegelt, kurzerhand um. Zugleich gibt er zu verstehen, dass er sich durch seine zottelige «Mähne» lediglich in seiner Rolle als machtvoller Herrscher bestätigt fühlt. 261 Neben der genannten Verbindung mit der maiestas des Löwen schwingt hier natürlich ebenso ein Verweis auf die besondere Männlichkeit des Tieres mit (denn nur männliche Löwen haben eine Mähne). Die vielfältige Lesart und Doppelbödigkeit von Julians Metaphern und literarischen Anleihen wird somit deutlich. Der Verweis auf die zarten Hände der Antiochener, den Julian zu Beginn der Rede macht, ist ein weiteres solches Beispiel. 262 Der Unterschied zwischen den weichen Händen der Antiochener und der Rauheit von Julians Bart (an dem sie sich verletzen würden, würden sie tatsächlich Seile daraus flechten) reiht sich in die lange Liste von Invektiven gegen die effeminierte Lebensweise der Stadtbevölkerung ein. Man mag dabei auch nochmal an die von Tinte und Opferblut verfärbten, ungepflegten Finger Julians denken, der es sich gewohnt ist, bei den täglich zu verrichtenden Dingen selbst Hand anzulegen 263 Diese stehen in ihrer Zähigkeit ebenfalls gegenüber den zarten, empfindlichen Händen der Antiochener. 264 Ein weiterer Aspekt der Geschlechter-Dichotomie drückt sich für Julian im unterschiedlichen Verhalten gegenüber den Liebesdingen aus, das er und die Bewohner Antiochias an den Tag legen. Den Antiochenern wird wohl, genauso wie den zeitgenössischen Autoren, aufgefallen sein, dass Julian nach seiner kurzen Ehe mit Helena keine weitere Frau zur Gattin nahm. Dass dies in der Bevölkerung negativ bewertet wurde, lässt eine Passage des Misopogon vermuten, in der Julian den fiktiven Antiochener über das Liebesleben des Kaisers zu Wort kommen lässt: 261 Iul. or. 12 (mis.), 339 B–C, siehe oben, S. 58. Iul. or. 12 (mis.), 338 D, mit dem Verweis auf Hom. Od. 21,150–151; siehe oben, S. 57. 263 Siehe oben, S. 59 264 Tom Hawkins sieht in Julians homerischer Anspielung (‹die zarten und ungeübten› Hände der Antiochener) eine latente Drohung: Der Verweis erinnere an das Scheitern von Leiodes, dem ersten von Penelopes Freiern, der in der Odyssee erfolglos versucht, Odysseus' Bogen zu spannen, da seine Hände zu verzärtelt und weich waren (Hom. Od. 21,150–151). Diesen Bezug verstärke Julian an anderer Stelle nochmal, wo er im Zusammenhang mit seinen Ernährungsgeboten die verwöhnten Antiochener mit den Freiern der Penelope assoziiert, die den ganzen Tag auf Kosten anderer schlemmten (Iul. or. 12 (mis.), 350 B–C, siehe oben, S. 63). Julian selbst werde dadurch zu Odysseus, und zwar in einer gefährlichen Phase, kurz bevor er seine Identität offenbart und die Freier allesamt umbringt. Das Wissen darüber, was im Epos als nächstes geschieht, wirke so als latente Bedrohung für die Bürger Antiochias (siehe HAWKINS 2014, 277). Es lassen sich tatsächlich gewisse Verbindungslinien zwischen dem Helden der Odyssee und dem Anti-Helden des Misopogon ziehen: Beide sind gerade erst am Ort des Geschehens angekommen und bestenfalls lauwarm empfangen worden. Beide wollen die soziale Ordnung wiederherstellen, werden jedoch nicht als rechtmässiger Herr (an)erkannt. Natürlich verstärkt die Verbindung mit dem Mythos zugleich auch noch einmal die Darstellung der Antiochener als «gescheiterte» Männer, denen die Virilität des Kaisers gegenübergestellt wird, der sich mit der besonderen Männlichkeit des Odysseus assoziiert. Es bleibt aber fraglich, inwiefern diese Allusion (sowie die vielen weiteren literarischen Anspielungen Julians) über den Horizont des weniger belesenen Teils der Bevölkerung Antiochias hinausging. Zudem war Odysseus für Julian kein vollkommenes Vorbild; seine Wehklagen erschienen Julian für nicht bewundernswert (vgl. Iul. or. 4 (Salutius), 250 A–B). 262 70 Der «Barthasser» «Wer kann sich aber damit abfinden: Du bist gewohnt, nachts allein zu schlafen, und so gibt es keine Möglichkeit, dein raues und unzivilisiertes Wesen etwas zu mildern. Allenthalben sind alle Wege verschlossen, die dir zu einer liebenswürdigeren Art verhelfen könnten. Und das Schlimmste an all diesen Übeln: Du hast gar noch Freude daran, ein solches Leben zu führen und fühlst dich noch bestätigt durch die allgemeinen Vorwürfe. Und dann ärgerst du dich, wenn du etwas dergleichen zu hören bekommst? Du solltest vielmehr denen dankbar sein die dich aus Wohlwollen auf so witzige Art in ihren Versen ermahnen, dir die Wangen zu glätten und dann dieser zum Frohsinn geneigten Stadt lauter schöne Dinge zu präsentieren – mit dir selbst angefangen: Schauspieler, Tänzer, Frauen, die sich nicht zieren, Knaben, die mit Frauen an Schönheit wetteifern, Männer, die nicht nur an den Wangen glatt sind, sondern überall am Körper, so dass sie denen, die mit ihnen zusammenkommen, noch weicher als Frauen erscheinen, dazu Feste und Umzüge, aber bei Gott nicht solche frommen, bei denen man sittsam sein muss. Von denen haben wir genug, solche aus der guten alten Zeit, sie stehen uns bis oben!» 265 Die sexuelle Abstinenz des Kaisers wird hier ohne Umschweife mit seiner Abneigung gegenüber Rasur und Theaterbesuch in Verbindung gebracht. Demgegenüber steht die bunte Gruppe von Schauspielern, Frauen, androgynen Knaben und glattrasierter Männer. Dass Knaben und Männer in ihrer Schönheit und Glattheit mit den Frauen wetteifern, geht Hand in Hand mit den zügellosen, gottlosen Festen der Antiochener. Dagegen wird Julians Keuschheit als besondere Ausdrucksform seiner Männlichkeit stilisiert, denn im Gegensatz zu den hemmungslosen Antiochenern beweist er die nötige Selbstkontrolle dazu. Was mit dem Verweis auf Odysseus und die Freier bereits implizit ausgedrückt wurde, macht Julian mithilfe eines weiteren Mythos noch wesentlich expliziter: Er rezitiert eine Anekdote über den Namensgeber der Stadt, Antiochos I., der von einer krankhaften Liebe für seine Stiefmutter verzehrt wurde. 266 Der «gliederzehrende» 267 Liebeskummer raubte dabei dem jungen Mann die Gesundheit und Körperkraft. Nur sein Leibarzt erkannte diesen Zusammenhang, denn er wusste, «dass oft keine Iul. or. 12 (mis.), 345 C–346 B (Übers. Giebel): Ἀλλ’ ἐκεῖνο τίς ἀνέξεταί σου; καθεύδεις ὡς ἐπίπαν νύκτωρ μόνος, οὐδέ ἐστιν οὐδέν, ὅ σου τὸν ἄγριον καὶ ἀνήμερον μαλάξει θυμόν, ἀποκέκλεισται δὲ πάσῃ πανταχοῦ πάροδος γλυκυθυμίᾳ· καὶ τὸ μέγιστον τῶν κακῶν, ὅτι τοιοῦτον ζῶν βίον εὐφραίνῃ καὶ πεποίησαι τὰς κοινὰς κατάρας ἡδονήν. Εἶτα ἀγανακτεῖς, εἴ του τὰ τοιαῦτα ἀκούεις, ἐξὸν εἰδέναι χάριν τοῖς ὑπ’ εὐνοίας ἐμμελέστερόν σε νουθετοῦσιν ἐν τοῖς ἀναπαίστοις ἀποψιλῶσαι μὲν τὰς παρειάς, καλὰ δὲ – ἀπὸ σαυτοῦ πρῶτον ἀρξάμενον – δεικνύειν πάντα τῷ δήμῳ τῷ φιλογέλωτι τῷδε θεάματα, μίμους, ὀρχηστάς, ἥκιστα αἰσχυνομένας γυναῖκας, παιδάρια περὶ κάλλους ἁμιλλώμενα ταῖς γυναιξίν, ἄνδρας ἀπεψιλωμένους οὔτι τὰς γνάθους μόνον, ἀλλὰ καὶ ἅπαν τὸ σῶμα, λειότεροι τῶν γυναικῶν ὅπως φαίνοιντο τοῖς ἐντυγχάνουσιν, ἑορτάς, πανηγύρεις; Οὔτι μὰ Δία τὰς ἱεράς, ἐν αἷς χρὴ σωφρονεῖν· ἅλις μὲν γὰρ ἐκείνων ἐστίν, ὥσπερ τῆς δρυός, καὶ πολὺς ὁ κόρος αὐτῶν. 266 Iul. or. 12 (mis.), 347 A–348 B. Julian spricht davon, dass Seleukos I. die Stadt nach dessen Sohn benannt habe, während er die Stadt in Wahrheit nach seinem Vater Antiochos benannte (MÜLLER 1998, 225). 267 γυιοκόροι μελεδῶναι (347 C). Julian schreibt das Zitat Homer zu, aber es stammt von Hesiod (MÜLLER 1998, 225). 265 71 Der «Barthasser» leibliche Schwäche, sondern eine seelische Krankheit die Ursache für körperliches Siechtum» war. 268 Dass sich der «Volkscharakter» der Antiochener auf diese Gründungsfigur zurückführen lasse, habe Julian aber zu spät erkannt. 269 Er wisse ja, dass die Menschen, gleich den Pflanzen, ihre charakteristischen Eigenschaften an ihre Nachkommen über lange Zeit hinweg weitergeben, und daher die Lebensweise der Menschen der ihrer Vorfahren ähnlich ist. 270 Natürlich hat Julian auch für diese Erzählung eine passende Antithese in Bezug auf seine eigene Person parat. Er selbst entstamme ja einem Geschlecht aus der Gegend Moesia, zwischen Thrakern und Paioniern an den Ufern der Donau, das von jeher «ganz und gar bäurisch, rau, ungehobelt, uncharmant, verbohrt in seinen Ansichten [sei] – alles Zeichen einer schrecklichen Unkultiviertheit.» 271 Der Krieger des Westens Dem anonymen Zwischenrufer legt Julian in der Folge auch die Vermutung in den Mund, dass Julian bei der Gesetzgebung wohl auch diese seine barbarischen Freunde im Kopf gehabt habe – wobei kein Unterschied zwischen seinem thrakischen Geschlecht und den Galliern des Westens gemacht wird – anstatt der Antiochener: «Du hast wohl geglaubt, du gibst Gesetze für die Thraker, deine Volksgenossen oder für die unzivilisierten Gallier, die dich zum Kampf gegen uns trainierten, als einen Mann von altem Schrot und Korn, wenn nicht gar als Marathonkämpfer, aber auf jeden Fall als einen knorrigen Typ aus der guten alten Zeit – einfach unausstehlich, ein Mensch ohne jede Lebensart.» 272 Die soldatische Erziehung Julians, die eben noch nicht ganz, aber schon fast an einen Marathonkämpfer heranreicht, lässt ihn in den Augen der Antiochener unausstehlich erscheinen. 273 Bei den Kelten hingegen fühlte sich Julian besser aufgehoben. In einem langen Abschnitt 274 reminisziert er seine Zeit in Gallien mit seinen keltischen Soldaten. Er beschreibt, wie er seit Erreichen des Mannesalters in den Iul. or. 12 (mis.), 347 C (Übers. Giebel): ὅτι πολλάκις οὐκ ἀσθένεια σώματος, ἀλλ’ ἀρρωστία ψυχῆς αἰτία γίνεται τηκεδόνος τῷ σώματι. – Im Folgenden habe der Arzt seinen Verdacht bestätigt, indem er den Gesichtsausdruck des jungen Prinzen bei der Anwesenheit von (männlichen und weiblichen) Schönheiten, inklusive der Königin, beobachtete. Als die Sache ans Licht kam, ist es schliesslich dem Antiochos erlaubt worden, die Königin zur Frau zu nehmen. 269 Iul. or. 12 (mis.), 346 D–347 A. 270 Iul. or. 12 (mis.), 348 B. MÜLLER 1998, 226 verweist in seine Anmerkungsapparat darauf, dass der Exkurs auf die Vererbungslehre und der Vergleich mit Pflanzen eher spöttisch als seriös wissenschaftlich gemeint ist, da es im Falle der Antiochener um Eigenschaften des Charakters geht, welche für den Philosophen Julian eher Sache der Erziehung und der Selbsterziehung seien, im Gegensatz zu den äusserlichen (körperlichen) Merkmalen. 271 Iul. or. 12 (mis.), 348 D (Übers. Giebel): πᾶν ἄγροικον, αὐστηρόν, ἀδέξιον, ἀναφρόδιτον, ἐμμένον τοῖς κριθεῖσιν ἀμετακινήτως, ἃ δὴ πάντα ἐστὶ δείγματα δεινῆς ἀγροικίας. 272 Iul. or. 12 (mis.), 350 C–D (Übers. Giebel): Ταῦτα ἐνόμισας Θρᾳξὶ νομοθετεῖν, τοῖς ἑαυτοῦ πολίταις, ἢ τοῖς ἀναισθήτοις Γαλάταις; οἵ σε ἐπαιδοτρίβησαν καθ’ ἡμῶν πρίνινον, σφενδάμνινον, οὐκέτι μέντοι καὶ Μαραθωνομάχον, ἀλλ’ Ἀχαρνέα μὲν ἐξ ἡμισείας, ἀηδῆ δὲ ἄνδρα παντάπασι καὶ ἄνθρωπον ἄχαριν. 273 Der Begriff Marathonkämpfer ist hochaufgeladen und eröffnet ein weiteres diskursives Feld. Er verweist auf die seit der Antike berühmte Schlacht bei Marathon von 490 v.Chr., in der Athener und Plataier unter Miltiades die zahlenmässig überlegenen Perser besiegten. 274 Iul. or. 12 (mis.), 359 B–361 B. 268 72 Der «Barthasser» unwegsamen Wäldern unter Germanen und Kelten weilte und dabei ihre kämpferische und kühne Art annahm «wie ein Jäger, der mit der mit wilden Tieren umgeht und allmählich ihre Art annimmt». 275 Die kämpferischen Barbaren verabscheuten dabei sexuelle Ausschweifungen und das Theater. Stolz erinnert sich Julian, wie er für seine militärischen Tugenden gefeiert wurde: Die Kelten hätten ihn aufgrund der Ähnlichkeit ihrer Charaktere geliebt, und liessen sich nicht davon abhalten, für ihn die Waffen zu ergreifen und trugen seinen Ruhm bis über die Grenzen Galliens hinaus: «Und was das Grösste war: eine ruhmvolle Kunde drang von dort [bei den Kelten] zu euch – alle bekräftigten laut, ich sei tapfer, weise, gerecht, ein schrecklicher Gegner im Krieg, aber im Frieden besonnen, umgänglich und milde.» 276 Julian stellt sich hier auf eine Ebene nicht nur mit den Kelten, die für ihn kämpfen, sondern mit den gegnerischen Germanen. Auch mit dem Verweis auf seine thrakische Herkunft ist diese Ähnlichkeit wohl in erster Linie ironisch zu verstehen. Indem er sogar die Barbaren des Nordwestens als wesentlich tugendhafter als die verkommenen Antiochener darstellt, konstruiert er eine weitere Invektive gegen letztere. Der Verweis auf die gemässigte Lebensweise der Kelten mag indes bei den Antiochenern wohl eher schlecht angekommen sein, da sie sich über das skandalöse Verhalten der fremden keltischen Soldaten erbosten, die sich in der Stadt betranken und die Unmengen an Opferfleisch verschlangen, die Julians religiöser Eifer produzierte. 277 Das barbarische Wesen von Julian wird dann gleich anschliessend wieder mit den antiochenischen Vorlieben kontrastiert: «Wäre es nicht besser, der Markt duftete nach Parfüm, wenn du darüber gehst, im Geleit einer Schar von hübschen Jungen, auf die sich die Blicke der Bürger richten, und umgeben von einem Reigen schöner Frauen, wie diejenigen, die bei uns alle Tage ihre Reize zur Schau stellen? – Und ich sollte schmachtenden Blickes die Augen überall umherschweifen lassen, damit ich euch schön vorkomme, wenn auch nicht in der Seele, so doch von Angesicht. Für euch kommt ja die wahre Seelenschönheit aus dem Wohlleben.» 278 Iul. or. 12 (mis.), 359 B (Übers. Giebel): ἀνὴρ ἀγριώτερος ἐκείνου καὶ θρασύτερος τοσούτῳ καὶ αὐθαδέστερος. Iul. or. 12 (mis.), 360 C–D (Übers. Giebel): ὃ δὲ δὴ μέγιστον, ἐκεῖθεν εἰς ὑμᾶς ἐφέρετο πολὺ καὶ μέγα τὸ ἐμὸν ὄνομα, καὶ ἐβόων πάντες ἀνδρεῖον, συνετόν, δίκαιον, οὐ | πολέμῳ μόνον ὁμιλῆσαι δεινόν, ἀλλὰ καὶ εἰρήνῃ χρήσασθαι δεξιόν, εὐπρόσιτον, πρᾷον. 277 Vgl. Amm. 22,13,6–7, der das masslose Verhalten und Konsum der «Petulanten und Kelten» im Zusammenhang mit Julians ebenso masslos übertriebenen Tieropfern kritisiert. 278 Iul. or. 12 (mis.), 350 D–351 A (Übers. Giebel): Οὐ κρεῖττον ἦν ὀδωδέναι μύρων τὴν ἀγορὰν βαδίζοντός σου καὶ παῖδας ἡγεῖσθαι καλούς, εἰς οὓς ἀποβλέψουσιν οἱ πολῖται, καὶ χοροὺς γυναικῶν, ὁποῖοι παρ’ ἡμῖν ἵστανται καθ’ ἑκάστην ἡμέραν; Ἐμὲ δὲ ὑγρὸν βλέπειν ῥιπτοῦντα πανταχοῦ τὰ ὄμματα κατόπιν, ὅπως ὑμῖν καλός οὔτι τὴν ψυχήν, ἀλλὰ τὸ πρόσωπον ὀφθείην. 275 276 73 Der «Barthasser» Der Abschnitt, der den Kontrast zu Julians Erziehung als Kämpfer in Gallien darstellt, greift nochmal das Motiv der verweiblichten, luxusversessenen Antiochener auf, das Julian bereits weiter oben formuliert hat. Doch hinter der offensichtlichen rhetorischen Strategie steckt noch mehr: Julian scheint genuin stolz auf seinen militärischen Ruf und seine Herkunft gewesen zu sein. Interessant ist der Hinweis darauf, dass Julian seinen Blick nicht umherschweifen lässt: Dies erinnert an die unbewegliche Haltung, die Julians Vorgänger bei öffentlichen Auftritten an den Tag legte, und die den Antiochenern daher bekannt sein müsste. Während ein starrer, unbeirrbar geradeaus gerichteter Blick die erhabene Selbstkontrolle und maiestas eines Herrschers anzeigen konnte, 279 richtet Julian seinen Blick jedoch zu Boden: «Mir hat aber mein Erzieher beigebracht, auf dem Weg zur Schule die Augen auf den Boden zu heften. Im Theater war ich nicht, bevor ich nicht mehr Haare am Kinn hatte als auf dem Kopf und selbst in diesem Alter geschah es nicht nach eigenem Wunsch und Willen: drei- oder viermal war es, müsst ihr wissen, da beorderte mich der Herrscher dorthin, ‹um seinem Patroklos etwas Gutes zu tun›: er, der mein Angehöriger, mein Blutsverwandter war. Ich war damals noch Privatmann.» 280 Dieselbe Bedeutung des gesenkten Blickes, den er von seinem Mentor anerzogen bekam, gab Julian bereits in seinem Brief an die Athener zum Ausdruck: Er habe auch als designierter Caesar nicht an den Hof des Constantius gepasst, denn er sei eben nicht umherschauend und stolzierend einhergegangen, sondern mit zum Boden gerichtetem Blick, wie es ihm anerzogen wurde. 281 Der Hinweis auf seinen Erzieher dient als Einleitung zu einem längeren Teil, in welchem Julian seine jugendliche Erziehung durch Mardonios beschreibt. 282 Diese soll als Entschuldigung für Julians Fehlverhalten dienen, denn es sei ihm eben von früh auf anerzogen worden, sich anstatt weltlichen Vergnügen der literarischen und philosophischen Bildung zu widmen. Sein Erzieher habe ihm nahegelegt, dass man keine echten Pferderennen und Tänze zu sehen brauche, da sie in den homerischen Epen viel schöner und sowieso in männlicherer Manier beschrieben seien. So weit ging sein Erzieher, dass er Julian glauben machte, sogar die Bäume und Pflanzen seien bei Homer weit anregender, als sie es in der Realität je sein könnten. 283 Skandalös wird es aber erst richtig, als Julian die barbarische Herkunft 279 Siehe unten S. 145. Iul. or. 12 (mis.), 351 A–B (Übers. Giebel): Ἐμὲ δὲ ὁ παιδαγωγὸς ἐδίδασκεν εἰς γῆν βλέπειν ἐς διδασκάλους φοιτῶντα· θέατρον 〈δ’〉 οὐκ εἶδον πρὶν μᾶλλον κομῆσαι τῆς κεφαλῆς τὸ γένειον, ἐν ἐκείνῳ δὲ τῆς ἡλικίας ἰδίᾳ μὲν καὶ κατ’ ἐμαυτὸν οὐδέποτε, τρίτον δὲ ἢ τέταρτον, εὖ ἴστε, Πατρόκλῳ ἐπίηρα φέρων ἅρχων ἐπέταττεν, οἰκεῖος ὢν ἐμοὶ καὶ ἀναγκαῖος, ἐτύγχανον δὲ ἰδιώτης ἔτι. 281 Vgl. Iul. or. 5 (ad Ath.) 274 C–D. 282 Iul. or. 12 (mis.), 351 B–353 A. 283 Iul. or. 12 (mis.), 351 D. Die Realitätsferne, die Julian dadurch preisgibt, wirkt wohl nicht nur «aus heutiger Sicht und Einsicht durchaus fragwürdig» (MÜLLER 1998, 229); die Stelle wirkt offensichtlich ironisch gemeint. 280 74 Der «Barthasser» des Erziehers verrät: Ein Skythe sei er gewesen, und obendrein noch den gleichen Namen wie der persische General des Xerxes getragen haben. 284 Ausserdem sei er ein Eunuch gewesen – ein Wort, das man vor zwanzig Monaten nur zu häufig hörte und zu respektieren hatte, während es nun stattdessen zu Schimpf und Schande gebraucht wird. 285 Julian macht seine Erziehung für den jetzigen Streit mit den Antiochenern verantwortlich: Da niemand wusste, dass Julian einst Kaiser sein würde, sei er auch nicht zum Herrscher erzogen worden. 286 Schliesslich wird ersichtlich, dass Julian im Misopogon viele verschiedene, zum Teil auch konträre Rollen in seiner Person vereinen wollte: «Wenn ich mir's recht überlege, komme ich darauf, dass ich noch manch andere unverzeihliche Sünden auf mich geladen habe. Ich komme da zu einer freien Stadt, die einen verwilderten Haarwuchs nicht ertragen kann, und ich ziehe dort ein, unrasiert, mit langem Bart, als ob es keinen Barbier gäbe. Man hätte glauben können, da käme so ein Typ aus der Komödie, der griesgrämige Alte oder der aufgeblasene Soldat. Dabei hätte ich, mit ein wenig Schönheitspflege, in jugendlicher Frische erscheinen und mich in einen Jüngling verwandeln können, wenn auch nicht an Jahren, so doch im Gehabe und mit einem zart geglätteten Antlitz.» 287 Hier kommt alles nochmal zusammen: Der Bart und die ungepflegte Erscheinung werden mit soldatischem Auftreten oder der Person eines «Alten» verbunden, der auch als erfahrener Philosoph verstanden werden kann. 288 Doch während sich Julian in ironischer Weise als Soldat oder alter Mann in den Augen der Antiochener darstellt, kehrt er auch dieses Argument in seiner Logik um, indem dieses Verhalten als authentischer Ausdruck seiner Persönlichkeit dargestellt wird; während die Persönlichkeit, die die Antiochener von ihm erwarteten, nur mit künstlichem Aufwand und einer Kaschierung seines wahren Charakters zu erreichen wäre. So könnte er wie ein gepflegter Jüngling aussehen und sich so verhalten wie einer (wie dies etwa seine Vorgänger gemacht haben, die er an anderen Stellen als Kaiser darstellt, die den Ansprüchen der Antiochener genügten). Doch dies wäre ein Betrug an seiner wahren 284 Der Name des Mardonios bleibt in der Schrift ungenannt, da Julian im Misopogon allgemein – wohl gattungsbedingt – auf die Nennung von Eigennamen verzichtet. 285 Iul. or. 12 (mis.), 352 B. Dadurch erinnert Julian an einen offenbar allgemein verbreiteten Kritikpunkt an der Regierung des Constantius, der sich von seinen Hofeunuchen zu stark beeinflussen oder gar manipulieren liess; siehe unten, Kapitel «Spott am Hof». 286 Iul. or. 12 (mis.), 352 C–353 A. 287 Iul. or. 12 (mis.), 349 C (Übers. Giebel): Ἐγὼ δὲ ἐννοήσας εὑρίσκω καὶ ἕτερα δεινὰ ἐμαυτὸν C εἰργασμένον. Πόλει γὰρ προσιὼν ἐλευθέρᾳ, τὸν αὐχμὸν τῶν τριχῶν οὐκ ἀνεχομένῃ, ὥσπερ οἱ κουρέων ἀποροῦντες ἄκαρτος καὶ βαθυγένειος εἰσέδραμον· ἐνόμισας ἂν Σμικρίνην ὁρᾶν ἢ Θρασυλέοντα, δύσκολον πρεσβύτην ἢ στρατιώτην ἀνόητον, ἐξὸν φανῆναι τῷ καλλωπισμῷ παῖδα ὡραῖον καὶ γενέσθαι μειράκιον, εἰ μὴ τὴν ἡλικίαν, τὸν τρόπον γε καὶ τὴν ἁ|βρότητα τοῦ προσώπου. 288 Dies sind archetypische Rollen aus der Komödie. Hier drückt Julian aus, dass es sich dabei aus der Sicht der Antiochener um Rollen im Sinne von einstudierten und vorgespielten Persönlichkeiten handelt. Vorgeblich beweist Julian damit ein wenig Gespür für den Eindruck der Affektiertheit, die sein Auftreten in der Bevölkerung auslösen musste. Doch die Stelle ist ironisch zu verstehen: Julian begibt sich hier auf das Niveau der Antiochener, die alles durch die Theater-Brille sehen. 75 Der «Barthasser» Persönlichkeit. In seinen Kyniker-Reden entwirft Julian das Bild eines «Pseudo-Kynikers», der sich mit langem Haar, Bart und Mantel schmückt, um den Eindruck eines Philosophen zu erwecken. 289 Julian war aber davon überzeugt, dass sein Äusseres «authentischer» Ausdruck seiner wahren philosophischen Gesinnung ist. Antike Reaktionen auf den Misopogon Die unglückliche Episode in Antiochia schrieb sich auf unterschiedliche Weise in die Geschichte ein. Dass der Kaiser in Antiochia Spott ausgesetzt war und darauf auf unkonventionelle Weise reagierte, lässt sich in beinahe jeder Quelle zu Julian nachweisen. Doch die Erklärungen für die Konfliktsituation und die Reaktionen auf die Verfassung des Misopogon fallen bei den zeitgenössischen Autoren zum Teil sehr unterschiedlich aus. Interessanterweise lässt sich hier nicht einfach ein Unterschied zwischen wohlwollender paganer und ablehnender christlicher Tradition ausmachen. Die Reaktionen der christlichen Autoren sind in ihrem Urteil über die Verfassung des Misopogon auffällig mild, wenn nicht gar lobend, während pagane Autoren teilweise zurückhaltend auf die Verfassung der berüchtigten Schrift reagieren. In der paganen Geschichtsschreibung äussert sich vor allem Ammian ausführlicher zu der Verfassung des Misopogon: «Als er den entsprechenden Befehl [ein Höchstpreisedikt für Nahrungsmittel] erliess, legte der Rat von Antiochia offen dar, dass er ihn für den Augenblick nicht befolgen konnte, aber trotzdem liess der Kaiser von seinem Vorsatz nicht ab, ähnlich wie sein Bruder Gallus, allerdings ohne Gewalt anzuwenden. Darum war er von nun an auf diese Leute als seine Widersacher und Trotzköpfe böse und verfasste ein Pamphlet, das er ‹Antiochense› oder ‹Barthasser› nannte. Hierin zählte er feindlichen Sinnes Vorwürfe gegen die Stadt auf und dichtete noch manches hinzu. Als er erfuhr, dass man hiernach auf ihn viele üble Witze machte, sah er sich gezwungen, für den Augenblick gute Miene zum bösen Spiel zu machen, kochte aber innerlich vor Wut.» 290 Das genaue Verhältnis von Ursache und Wirkung ist bei Ammian etwas unklar: Der Misopogon erscheint bei ihm in erster Linie als Reaktion auf seine Gegner im Stadtrat, während die üblen Witze aus der Bevölkerung erst danach zu ihm drangen. Dies macht wenig Sinn, da der Misopogon mehrfach 289 Vgl. oben, S. 38. Amm. 22,14,1–3 (Übers. Seyfarth): et Antiochensi ordine id tunc fieri, cum ille iuberet, non posse aperte monstrante nusquam a proposito declinabat, Galli similis fratris licet incruentus. quocirca in eos deinceps saeuiens ut obtrectatores et contumaces uolumen composuit inuectiuum, quod Antiochense uel Misopogonem appellauit, probra ciuitatis infensa mente dinumerans addensque ueritati complura. post quae multa in se facete dicta comperiens coactus dissimulare pro tempore ira sufflabatur interna. 290 76 Der «Barthasser» bereits auf den öffentlichen Spott eingeht. 291 Dies mag ein Versehen sein. Persönlich äussert sich Ammian nicht zu Sinn oder Unsinn des Misopogon. Da der Erwähnung aber eine Kritik an den unvernünftigen, «nur aus Sucht nach Popularität getroffenen» Massnahmen Julians vorausgeht, stellt die ganze Episode Julian Handeln in Antiochia in ein eher unvorteilhaftes Licht. 292 Interessant ist der Vergleich mit Gallus, dessen Handeln in Antiochia Ammian ebenfalls grundsätzlich kritisiert; Julian verzichtet aber zumindest auf Gewaltanwendung. Sehr viel weniger explizit geht Libanios auf Julians Reinfall in Antiochia ein. In seinen vielen Reden, die Julian gewidmet sind, nimmt seine Heimatstadt natürlich einen grossen Platz ein, und er thematisiert auch mehrfach die Auseinandersetzungen zwischen den Antiochenern und Julian. Doch während sich Libanios diesbezüglich ganz auf die Auseinandersetzungen in Bezug auf die Nahrungsmittelkrise und die religiösen Konflikte fokussiert, erwähnt er den Spott der Antiochener, aber auch Julians Misopogon nur selten, und dann nur indirekt oder am Rande. In seinem Epitaph auf Julian (oratio 18) erzählt Libanios von einer Rede, durch die der Kaiser die Stadt für ihren Ungehorsam bestrafte. Die Rede ist für Libanios ein Ausdruck der Milde: Obwohl es in der Hand des Kaisers gelegen hätte, Folter und Todesstrafen zu verhängen, wehrte er sich nicht in seiner Rolle als Herrscher, sondern mit den Mitteln des Redners. 293 Interessanterweise nennt Libanios die Rede, deren Name(n) von anderen Autoren stets überliefert werden, nicht; er räumt ihr allgemein auffällig wenig Platz ein, obwohl er die rhetorischen Fähigkeiten seines Helden normalerweise gerne lobt. Dies ist auch der einzige direkte Hinweis auf eine solche Rede des Kaisers; Libanios erwähnt diese also erst mit einigem zeitlichen Abstand zum ersten Mal. In den beiden orationes, die Libanios zum Anlass von Julians Abreise aus Antiochia verfasste, thematisiert er zwar eingehend den verfehlten Spott der Antiochener, doch erwähnt keine Rede. Nur sehr implizit macht er auf eine Reaktion des Kaisers aufmerksam, wenn er die Antiochener tadelt, dass sie die Sache selbst in die Hand hätten nehmen sollen und die Intriganten bestrafen, so dass der Kaiser gar nicht erst darauf hätte reagieren müssen. 294 Ähnliche Überlegungen bezüglich einer milden Variante der kaiserlichen Bestrafung finden sich interessanterweise auch bei christlichen Autoren: Für Sokrates ist der Misopogon das kleinere Übel, das Julian von schlimmeren Taten abhielt, indem er seine Wut darin ausdrücken konnte. Dazu fügt er noch 291 Irritiert durch diesen Umstand sind auch MARCONE 2020, 342 und GLEASON 1986, 113, Anm. 64. Amm. 22,14,1–2. Dies ist eine der vielen Stellen, wo Ammian seinen ansonsten gelobten Helden eindeutig kritisiert. Zur scharfen Kritik an Gallus vgl. 14,1,1–9. 293 Lib. or. 18, 198. Der Verweis auf eine «Rede» ist interessant, denn die Schrift dürfte wohl kaum vorgetragen worden sein. Libanios nennt in diesem Zusammenhang auch ein früheres Beispiel, bei dem Julian bereits durch seine rhetorischen Fähigkeiten einen unverschämten Römer abgestraft hätte. Damit ist ein gewisser, ansonsten unbekannter Nilus (Neilos) gemeint; die Schrift, auf die sich Libanios bezieht, ist ein offener Brief des Julian an eben diesen Nilus: Iul. epist. 29. 294 Lib. or. 16, 30. 292 77 Der «Barthasser» an, dass der Kaiser der Stadt durch die Schrift einen bleibenden Makel hinterliess. 295 Damit bleibt Sokrates gegenüber der Thematik relativ sachlich. 296 Deutlich positiver ist die Beurteilung des Sozomenos: «Die Händler suchten daraufhin das Weite, und die Nahrungsmittel wurden knapp. Die Bewohner von Antiochien, die das als ein Unglück empfanden, beschimpften den Kaiser und rissen ihre Witze über seinen Bart, der so lang sei, und über die Münze, die mit dem Bild eines Stieres geprägt war: die ganze Welt sei wie die geschlachteten Stiere unter seiner Führung zu Fall gebracht worden, höhnten sie. Zuerst wurde Julian wütend und drohte Antiochien schlecht zu behandeln, und er bereitete seine Übersiedlung nach Tarsus vor. Aber sein Zorn verrauchte gänzlich, und er rächte sich nur mit Worten für die Kränkungen, indem er eine glänzende und höchst ironische Rede gegen die Antiochener hielt, der er den Titel ‹Barthasser› gab.» 297 Der Grund dafür ist unklar. Vielleicht wollte er sich von Sokrates absetzen und ein eigenes literarisches Urteil abgeben. 298 Wahrscheinlicher ist aber, dass er eine pagane Überlieferung als Quelle benutzte. 299 Das nur fragmentarisch überlieferte Geschichtswerk des Eunapios von Sardes lobte bereits Julians Rede gegen Herakleios in den höchsten Tönen, 300 und es ist sehr wahrscheinlich, dass er dem Misopogon ein ebenso positives Urteil zukommen liess. Einen letzten Hinweis auf eine pagane Tradition findet sich bei Zosimos, der zugleich das letzte antike Urteil zum Misopogon liefert: 301 «Indem sie nun unerhörte Schimpfwörter über ihn ausstiessen, beleidigten sie den Herrscher; der wehrte sich wohl, legte aber den Einwohnern keine Strafe auf, verfasste vielmehr eine ungemein witzige, gegen sie und die Stadt gerichtete Scottise, die so viel mit Ironie gemischte Bitterkeit enthielt, dass sie genügte, über die ganze Welt hin die Vorwürfe gegen die Antiochener zu verbreiten. Sie bereuten übrigens ihr Vergehen und der Kaiser kam gerechtermassen der Stadt zu Hilfe, indem er ihr eine grosse Anzahl von Curialen genehmigte; […]. Iulianus 295 Sokr. h.e. 3,17,9. Einige Bücher später jedoch zieht Sokrates zum Vergleich mit Theodosius noch einmal Julian hinzu, der ihm dabei als Beispiel für fehlende Selbstkontrolle dient, da er seine Wut (ὀργή) gegen die Spötteleien der Antiochener nicht im Zaun halten konnte (Sokr. h.e. 7,22). 296 Zur allgemein relativ differenzierten und gut informierten Darstellung Julians bei Sokrates siehe NESSELRATH 2001 (Kaiserlicher Held und Christenfeind), 35-41. 297 Soz. 5,19,2–3 (Übers. Hansen): ἢ ἔδει τιμήματι τὰ ἐπ’ ἀγορᾶς ὤνια πωλεῖσθαι προσέταξεν. ἐκφυγόντων δὲ τῶν καπήλων τὰ μὲν ἐπιτήδεια ἐπέλιπεν, Ἀντιοχεῖς δὲ δεινὸν τοῦτο ποιούμενοι τὸν βασιλέα ὕβριζον καὶ εἰς τὸν πώγωνα αὐτοῦ ὡς βαθὺς εἴη ἐπέσκωπτον καὶ εἰς τὸ νόμισμα, ὅτι ταύρου εἶχεν εἰκόνα. τὸν γὰρ κόσμον ἐπίσης τῶν ὑπτίων ταύρων ὑπ’ αὐτῷ ἡγεμόνι ἀνατετράφθαι ἐπετώθαζον. ὁ δὲ τὰ πρῶτα ὀργισθεὶς ἠπείλει Ἀντιοχέας κακῶς ποιήσειν, καὶ εἰς Ταρσὸν μετοικίζεσθαι παρεσκευάζετο. ὑπερφυῶς δέ πως τοῦ θυμοῦ μεταβαλλόμενος λόγοις μόνοις τὴν ὕβριν ἠμύνατο, κάλλιστον καὶ μάλα ἀστεῖον λόγον, ὃν Μισοπώγωνα ἐπέγραψε, κατὰ Ἀντιοχέων διεξελθών. 298 Die knappe Überlegung bei NESSELRATH 2001, 41. 299 Eine weitere Erklärung könnte die allgemeine Kritik an der lasterhaften Stadt Antiochia in der späteren christlichen Tradition sein; vgl. etwa die Predigten des Chrysostomos in der Stadt. 300 Eun. frg. hist. 25,3. 301 Die byzantinischen Autoren Malalas und Zonaras behandeln beide die Verfassung der Schrift und ihre Umstände, doch liefern dazu keinerlei Urteil ab. 78 Der «Barthasser» traf auch noch viele andere gute und richtige Massnahmen und rüstete sich dann zum Kriege gegen die Perser.» 302 Dass es zu einer solchen Versöhnung kam, ist durch die Quellenlage hinreichend widerlegt. Interessant ist der Verweis auf die weltweite (d.h. reichsweite) Verbreitung des Misopogon, der auf eine gezielte Dissemination der Rede auch über Antiochia hinaus hindeutet. Der Misopogon im Kontext der Kalenden Handelt es sich demnach beim Misopogon tatsächlich um eine Bewältigungsstrategie Julians zur Erklärung und persönlichen Verarbeitung der massiven Diskrepanz zwischen seinen hellenistischen Idealen und der brutalen Realität, die ihm in Antiochia begegnete? 303 Maude Gleason sprach sich bereits 1986 gegen eine solche Interpretation des Misopogon als psychologisches Kuriosum aus und stellte die Frage, ob ein kaiserliches Dokument überhaupt je so ungewöhnlich sein kann, dass dessen Verfassung und Veröffentlichung nicht in einen bestimmten sozialen Kontext eingebettet werden kann. Auch beim Misopogon spreche bereits die Tatsache, dass er öffentlich ausgestellt wurde, eher für eine Funktion der Kommunikation statt einer persönlichen Bewältigungsstrategie des Kaisers. 304 Sie sprach sich daher für eine Erklärung des Misopogon im Zusammenhang mit den Kalenden des Januars aus. 305 Das pagane Neujahrsfest war von einem karnevalesken Charakter geprägt und traditionellerweise ein Raum für ausgelassene Feste, in denen soziale Konventionen gekippt oder auf den Kopf gestellt wurden und auch Spott gegen die Obrigkeit geäussert werden konnte. Hinweise für ein solches Fest finden sich etwa bei Libanios: In seinen beiden nachträglichen Reden an Julian und die Antiochener erwähnt er jeweils ein religiöses Fest, in dessen Zusammenhang üble Spottverse gefallen sind und unangebrachte Tänze aufgeführt wurden. 306 Folgt man Libanios, beschränkte sich das skandalöse Treiben auf den Raum des Hippodroms. Auch in Julians Misopogon finden sich Hinweise, dass der Spott auf gewisse Lokalitäten begrenzt war: «Die Gesetze wirken ja nur Respekt einflössend durch die Obrigkeit; daraus folgt aber, dass jeder, der einen der Regierenden schmäht, darüber hinaus auch die Gesetze mit Füssen tritt. Zos. 3,11,5 (Übers. Veh/Rebenich): Ἀφέντες τοίνυν φωνὰς ἀλλοκότους ἐλύπησαν· ὃ δὲ ἠμύνατο, τιμωρίαν φωνὰς ἀλλοκότους ἐλύπησαν· ὃ δὲ ἠμύνατο, τιμωρίαν μὲν οὐδεμίαν ἔργῳ αὐτοῖς ἐπιθείς, λόγον δὲ ἀστειότατον εἰς αὐτούς τε καὶ τὴν πόλιν συνθείς, ὃς τοσαύτην ἐν ἑαυτῷ μετ’ εἰρωνείας ἔχει πικρίαν ὥστε πανταχοῦ γῆς ἤρκεσε τὰ Ἀντιοχέων ὀνείδη διενεγκεῖν· ἀλλ’ ἐκείνοις μὲν ὑπὲρ ὧν ἔπταισαν μετεμέλησεν, ὁ δὲ βασιλεὺς βοηθήσας τὰ εἰκότα τῇ πόλει καὶ πλῆθος πολὺ παραδοὺς βουλευτῶν […] ἄλλα τε πολλὰ καλῶς καὶ δικαίως οἰκονομήσας, ἐπὶ τὸν κατὰ Περσῶν παρεσκευάζετο πόλεμον. 303 In diese Sinne etwa BROWNING 1975, 158. 304 GLEASON 1986, 106. 305 Ibid., 107 f. 306 Lib. or. 15, 19; Lib. or. 16, 35–36. 302 79 Der «Barthasser» Dass euch ein solches Verhalten Spass macht, das beweist ihr deutlich bei mehr als einer Gelegenheit, nicht zum wenigsten auf den öffentlichen Plätzen und im Theater. Bei der Volksmasse erlebt man es durch ihr Klatschen und Beifallsgeschrei, und was die Ratsherren angeht, so besitzen sie wegen der Unsummen, die sie für diese Art von Vergnügungen aufgewendet haben, mehr allgemeines Ansehen und Popularität, als Solon der Athener durch seine Begegnung mit dem Lyderkönig Kroisos gewann.» 307 Julian macht öffentliche Plätze und das Theater als diejenigen Orte aus, an denen die Polemik gegen ihn besonders zelebriert wird. Die Reaktion darauf sei tosender Beifall bei der Masse der Bevölkerung gewesen. Zugleich lässt Julian anklingen, dass sich die örtlichen Magistrate durch die Finanzierung solcher Anlässe grosse Popularität erkauften. Solche Veranstaltungen im Theater und bei öffentlichen Spielen waren ein wichtiger traditioneller Kommunikationsraum, bei dem die Bevölkerung mit dem Herrscher in Kontakt treten konnte. Während der Kalenden war Spott zudem kein unübliches Phänomen. Dass Julian grundsätzlich keinen Spielen beiwohnte, aber an Neujahr eine Ausnahme machte, ist ein Hinweis, dass die Spottverse im Theater, auf die er sich bezieht, ebenfalls in den Kontext von Neujahr zu setzen sind; ebenso der Hinweis, dass es sich um organisierte Veranstaltungen handelt. Maude Gleason rekonstruierte die Ereignisse der Neujahrsfeierlichkeiten anhand des Misopogon und lieferte so eine Erklärung für die Häufung der Anapäste der Bevölkerung. 308 In dieselbe Kerbe schlägt auch Tom Hawkins. Er betrachtet den Misopogon selbst als Schrift, die nur im Kontext der Kalenden zu verstehen ist und verknüpft ihn mit der langen Tradition der sogenannten «jambischen Dichtung». Die jambische Dichtung war ein Modus in der Form von Spottgedichten, der in der römischen Antike auf prominente griechische Dichter wie Archilochos von Paros (7. Jahrhundert v.Chr.) zurückgeführt wurde. 309 Darunter fielen vor allem Texte, die in Form von beissendem Spott eine Abrechnung mit persönlichen Feinden darstellte. Wie Hawkins zeigt, ist diese Art der Dichtung von einem grundsätzlichen Interesse am verweiblichten männlichen Körper geprägt, der sich besonders gut für Invektiven eignet. 310 Insbesondere die römischen kaiserzeitlichen Prosa-Autoren verfolgten meistens das Ziel, ihrer eigenen überlegenen Männlichkeit Geltung zu verschaffen, während ihren Feinden eine solche abgesprochen wird. 311 Dies ist letztlich auch das, was Julian mit seinem Misopogon versucht: Indem er die Spötteleien der Antiochener aufgreift, benutzt er sie als Ausgangspunkt, um die Iul. or. 12 (mis.), 342 B–C (Übers. Giebel): Καὶ γὰρ οἱ νόμοι φοβεροὶ διὰ τοὺς ἄρχοντας, ὥστε ὅστις ἄρχοντα ὕβρισεν, οὗτος ἐκ περιουσίας τοὺς νόμους κατεπάτη|σεν. Ὡς δὲ ἐπὶ τούτοις εὐφραινόμενοι δῆλον ποιεῖτε πολλαχοῦ μέν, οὐχ ἥκιστα δὲ ἐν ταῖς ἀγοραῖς καὶ ἐν τοῖς θεάτροις, ἀπὸ μὲν τῶν κρότων καὶ ἀπὸ τῆς βοῆς ὁ δῆμος, οἱ δὲ ἐν τέλει τῷ γνωριμώτεροι μᾶλλον εἶναι καὶ ὀνομάζεσθαι παρὰ πᾶσιν ἀφ’ ὧν εἰς τὰς τοιαύτας ἑορτὰς ἐδαπάνησαν ἢ Σόλων ὁ Ἀθηναῖος ἀπὸ τῆς πρὸς Κροῖσον τὸν Λυδῶν βασιλέα συνουσίας. 308 GLEASON 1986, 108–13. 309 Vgl. HAWKINS 2014, 1–23. Tatsächlich referiert Julian selbst zu Beginn des Misopogon (Iul. or. 12 (mis.), 337 A) unter anderem auf den Dichter Archilochos und positioniert sich somit in eben dieser Tradition. 310 HAWKINS 2014, 18 f. 311 Ibid., 21–23. 307 80 Der «Barthasser» Antiochener selbst als effeminierte, moralisch verkommene Weichlinge darzustellen, während er sich seinen Bart als das unmittelbarste Zeichen seines eigenen, männlichen Kodex zurechtlegt, der hellenische Tradition und philosophische Strenge bezeugt. 312 Während also Julians Text als jambischer Text gelesen werden kann, kombiniert der Kaiser die Rhetorik der jambischen Dichtung mit der Logik der Kalenden, die traditionelle Normen zeitweise auf den Kopf stellt. Er spielt dabei mit der Thematik der Ausnahmesituation, in der zeitlich begrenzt die normalen Regeln des gesellschaftlichen Umgangs ausgehebelt oder gar in ihr Gegenteil verkehrt werden: Der Kaiser akzeptiert vorgeblich seine vorübergehende Rolle als Zielscheibe des karnevalistischen Humors, nur, um seine permanente Stellung während der normalen Zeit als endgültige Autorität und Schiedsrichter für das gesamte Reich zu stärken. 313 Zugleich unterstellt er den Antiochenern ein standardmässiges karnevaleskes Verhalten: Julian macht stark, dass übermässiger Konsum und sexuelle Aktivitäten für ihn nicht in Frage kommen (sie werden ja durch seinen Bart verhindert). Auch andere körperliche Funktionen wie Erbrechen kommen bei ihm höchst selten vor, wie er durch den seltsamen Exkurs mit der Episode in Paris zu verstehen gibt. Sex, Konsum und Erbrechen sind jedoch, wie Hawkins treffend bemerkt, alles Aktivitäten, die im Zusammenhang mit den ausgelassenen festlichen Aktivitäten der Kalenden zu gängigen Phänomenen werden. 314 Doch Julian stellt die Antiochener als Volk dar, das einen generellen Hang zu solchen Eskapaden an den Tag legt: Selbstbeherrschung und Mässigung sind nach Julians Ausführungen der Stadt fremd, in der die Dekadenz regiert. Während also Antiochia während der Feierlichkeiten der Kalenden die traditionellen Werte des bürgerlichen Lebens demonstrativ und spielerisch in ihr Gegenteil verkehrt, ist Julian der Meinung, dass die Feierlichkeiten im Jahr 363 zu weit gingen, und er beschuldigt die Stadt, sich regelmässig dieser Art von ausschweifendem Verhalten hinzugeben. 315 In diesem Sinne lässt sich zumindest ein Teil des antiochenischen Spotts, aber auch Julians Antwort darauf, im Kontext der Kalenden verorten. Betrachtet man auch andere Zwischenfälle, in denen Julians Verhalten Kritik erntete, fällt auf, dass sich viele der Episoden ebenfalls im Zeitraum um die Kalenden bewegen: Sein sonderbares Verhalten während der Einweihung der neuen Konsuln in Konstantinopel am 1. Januar 362 ist ein solches Beispiel. 316 So ganz «normal» wird der Misopogon dennoch nicht. Dies hängt mit verschiedenen Punkten zusammen. Einerseits reagierte der Kaiser mit der Schrift nachträglich auf die Ereignisse der Kalenden. Die Verfassung wird in der Forschung zumeist gegen Ende Januar 312 HAWKINS 2014, 263. Ibid., 266. 314 Ibid., 276 f. 315 Ibid., 289. 316 Siehe unten, Kapitel «Ein bewegter Kaiser». Der Amtsantritt der Konsuln fand seit dem Jahr 153 v.Chr. an den Kalenden des Januars statt, dem ersten Tag des römischen Jahres; vgl. SGUAITAMATTI 2012, 137. 313 81 Der «Barthasser» oder Februar datiert, also in eine Zeit, in der die Neujahrsfeierlichkeiten bereits vorüber waren. 317 Darüber hinaus, und dies wird in den Augen der Bevölkerung das grösste Problem gewesen sein, war es der Kaiser persönlich, der sich hier eine Tradition aneignete, bei der er eigentlich Empfänger und nicht Sender des Spottes hätte sein müssen. Wie Maude Gleason bemerkt, hatten die Ausnahmesituation der Kalenden auch eine gesellschaftsbildende Funktion. Die hierarchische Struktur der römischen Gesellschaft wurde kurzzeitig aufgelöst, und Rollenbilder wurden verkehrt: Männer benahmen sich wie Frauen, Sklaven wurden zu Herren, und die sozialen Eliten wurde durch despektierlichen Spott kurzzeitig von ihrem Podest heruntergeholt. Dies war im Endeffekt eine Bestärkung der bestehenden Strukturen. 318 Im Jahr 363 nutzten die Einwohner von Antiochia die Lizenz des Festes voll aus, indem sie ihre aufgestaute Frustration über die gescheiterten religionspolitischen und wirtschaftlichen Massnahmen des Kaisers über das Ventil der Kalenden auslassen konnten. Solche Umkehrungen der sozialen Hierarchie sind bei karnevalesken Festen üblich, und sie beruhen immer auf der Annahme, dass nach der Zeit des Karnevals wieder der normale Anstand und die hierarchischen Strukturen gelten werden. Doch das funktionierte nur, wenn die Verspotteten auch mitspielten und ihre kurzzeitige unterlegene Rolle hinnahmen. Doch Julian, an der Spitze der Hierarchie stehend, nahm den Spott nicht einfach auf, sondern warf ihn auf seine Spötter zurück. Der Kaiser machte sich über seine Untergebenen lustig und sprach ihnen ihre Männlichkeit und moralische Integrität ab. Er zeigte sich als schlechter Verlierer. 319 Julian reagierte damit auch auf ein situationsbedingtes Verhalten der Bevölkerung, das traditionell begründet war und eigentlich nicht hätte sanktioniert werden dürfen – und zwar mit endgültigen Konsequenzen: Die Stadt wäre wohl bei erfolgreicher Rückkehr des Kaisers nicht mehr länger seine syrische Residenzstadt geblieben. 320 Ohne allzu tief in das heute nicht mehr fassbare Innenleben einer historischen Person abtauchen zu wollen, wird es wohl nicht zu weit gehen zu behaupten, dass Julian nach Monaten der direkten Angriffe 317 WIEMER 1998, 736, Anm. 17 datiert die Schrift zwischen dem 18. Januar und dem 18. Februar; RIEDWEG 2018, 1400 sogar in die zweite Februarhälfte. 318 GLEASON 1986, 112. 319 Ironisch liest sich deshalb ein Brief Julians an seinen Onkel, in welchem er jenem rät, sich nicht gegen die Beleidigungen eines Feindes zu wehren: «Denn es entspricht zwar dem Wesen eines vornehmen, hochgesinnten Mannes, üble Nachrede hinnehmen zu müssen, aber nicht, üble Nachrede zu äussern. Denn wie Geschosse, die man gegen eine richtige, feste Mauer schleudert, nicht an ihr haften, sie nicht erschüttern, nicht in ihr steckenbleiben, sondern mit verstärkter Wucht auf den Werfer zurückprallen, so kann auch jede über einen redlichen Mann ausgegossene Beschimpfung, Verleumdung und ungerechtfertigte Unbill ihn selbst überhaupt nicht berühren, sondern sie wenden sich gegen ihren Urheber.» (Iul. epist. 12 (Übers. Weis)). 320 Iul. or. 12 (mis.), 364 D: Julian plante, nach einem erfolgreichen Feldzug Tarsos zu seinem neuen Hauptquartier in Syrien zu machen. Darüber hinaus berichtet Ammian auch davon, dass er den Antiochener zur Strafe einem Alexander aus Heliopolis, der für seinen Jähzorn bekannt war, die Rechtsprechung in Antiochia übertrug; vgl. Amm. 23,2,3–5. Sokr. h.e. 3,17,1–10 erzählt von Julians ursprünglichem Plan, von Antiochia nach Tarsos zurückzukehren, da er auf die spottenden Antiochener wütend war. Der Kaiser habe sich dann aber umentschieden und stattdessen den Misopogon verfasst. 82 Der «Barthasser» auf sein Äusseres wohl schlicht und ergreifend beleidigt war. Unter den Gründen, die ihn zum Verlassen der Stadt bewegen, nennt Julian die antiochenische Abneigung gegen sein Äusseres an erster Stelle: «Aber da euch nun einmal mein langer Bart missfällt und meine unfrisierten Haare, und meine Abneigung, ins Theater zu gehen und meine Forderung nach frommem Betragen in den Tempeln und mehr als all das meine beständige Anwesenheit bei Gerichtsverhandlungen und meine Zumutung, das unlautere Gewinnstreben vom Marktplatz zu verbannen –, da euch dies alles so missfällt, überlasse ich euch freiwillig eure Stadt.» 321 In diesem Sinne trafen wohl die Satiren, die die Antiochener auf ihn abfeuerten «wie Pfeile», den Kaiser ebenso wie die tatsächlichen Geschosse der Perser wenige Monate später. 322 Zwischenfazit Julian ist in seinem Misopogon zugleich männlicher Soldat, asketischer Philosoph und authentischer, volksnaher und milder Herrscher. Damit nimmt Julian in seinem Selbstzeugnis bereits die verschiedenen Rollen vorweg, in denen seine ihm freundlich gesinnten Zeitgenossen ihn vor und nach seinem Tod darstellen werden. Ob der Misopogon wesentlich auf Julians Bild bei Ammian und Libanios eingewirkt hat, ist indes fraglich: Beide Autoren vermeiden direkte Verweise auf die Schrift Julians; sie wird von beiden nur am Rande erwähnt und dann meist nur indirekt. Wie aus der Lektüre des Misopogon ersichtlich wurde, versinnbildlicht Julians Bart den Unterschied zwischen seiner idealen Selbstbeherrschung und Mässigung (σωφροσύνη) einerseits, der Hingabe der Antiochener zum Exzess (beschrieben als eine extreme Form der ἐλευθερία) andererseits. Diese beiden Begriffe sind im Misopogon sehr viel prominenter als in allen anderen Werken Julians. Der Bart bildet den Dreh- und Angelpunkt dieser Opposition: Julian beginnt von einem Punkt der vorgeblichen Einigkeit über die Hässlichkeit seines Bartes, benutzt dann aber schnell seine unattraktive Gesichtsbehaarung zur Demonstration des unüberwindbaren moralischen Abgrunds zwischen seiner philosophischen Verankerung in der traditionellen griechischen Ethik und der diesen Tugenden diametral entgegengesetzten Gewohnheiten der Antiochener. Durch ihre falsch gesetzten Prioritäten und ihre geschlechtsdiffundierende Verhaltensweise erodieren sie zugleich soziale Grenzen, die eine anständige Iul. or. 12 (mis.), 365 D–366 A (Übers. Giebel): ἐπεὶ δὲ ὑμᾶς ἥ τε βαθύτης ἀπαρέσκει τοῦ γενείου καὶ τὸ ἀτημέλητον τῶν τριχῶν καὶ τὸ μὴ παραβάλλειν τοῖς θεάτροις καὶ τὸ ἀξιοῦν ἐν τοῖς ἱεροῖς εἶναι σεμνοὺς καὶ πρὸ τούτων ἁπάντων ἡ περὶ τὰς κρίσεις ἡμῶν ἀσχολία καὶ τὸ τῆς ἀγορᾶς εἴργειν τὴν πλεονεξίαν, ἑκόντες ὑμῖν | ἐξιστάμεθα τῆς πόλεως. 322 Vgl. den Spott eines fiktiven Antiocheners bei Iul. or. 12 (mis.), 344 B: ἡμεῖς δὲ αὐτὸ διὰ τῆς ἡμῶν αὐτῶν εὐτραπελίας ἐξειργασάμεθα, βάλλοντές σε τοῖς σκώμμασιν ὥσπερ τοξεύμασι. Σὺ δέ, ὦ γενναῖε, πῶς ἀ|νέξῃ τὰ Περσῶν βέλη, τὰ ἡμέτερα τρέσας σκώμματα (Übers. Giebel: «Wir werden damit fertig mit unserem Witz und unserer Schlagfertigkeit und schiessen unsere Satiren auf dich ab wie Pfeile. Du aber, tapferer Held, wie willst du die Geschosse der Perser ertragen, wenn du schon bei unseren Sticheleien zitterst.»). Diese Passage liest sich mit dem Wissen um Julians Schicksal tatsächlich sehr ironisch. 321 83 Der «Barthasser» Gesellschaft zusammenhalten. Demgegenüber erfährt Julians raue Art in der Umformung in eine kriegerische und zugleich asketische Männlichkeit eine moralische Aufwertung, gegenüber der barbarischen Dekadenz, die er in Antiochia vorfand. In diesem Sinne verteidigt er seine ungepflegte Erscheinung auch als Ausdruck seines Strebens nach Selbstbeherrschung durch Übung in Mässigung. Das zentrale asketische Ideal im Misopogon ist schliesslich bemerkenswert konsistent mit Julians Ausführungen zur korrekten Lebensführung, wie er sie in seinen philosophischen Reden entwirft. Insbesondere die zahlreichen Verweise auf Körperlichkeit erscheinen durch Julians frühere Überlegungen bezüglich des Verhältnisses von Körper und Seele in einem neuen Licht. Der Misopogon wird somit erst im Vergleich mit Julians philosophischem Gesamtwerk wirklich verständlich. Voreilige Schlüsse über den absonderlichen Charakter des Werks können auf diese Weise vermieden werden. 84 IV. Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis In diesem Teil soll einerseits untersucht werden, welche Aspekte von Julians Lebensführung, seiner äusseren Erscheinung und seinem Umgang mit dem eigenen Körper sich in den Quellen fassen lassen, und andererseits, welche Reaktionen Julians Auftreten und Verhalten bei seinen Zeitgenossen hervorrief. Ziel ist es, herauszufinden, wie der Körper Julians von seinen Zeitgenossen gelesen wurde, und inwiefern diese Lesungen dem Selbstbild von Kaiser Julian ent- oder widersprachen. Betrachtet man Julians Wirkungsgeschichte und Erinnerungskultur als christlichen Apostaten, so würde man eine klare Trennung zwischen positiver paganer und negativer christlicher Tradition erwarten. Dies wird zu überprüfen sein. Den Anfang macht eine Untersuchung nicht etwa des tatsächlichen Aussehens Julians, jedoch der überlieferten literarischen und numismatischen Porträts des Kaisers. Das besondere Augenmerk liegt dabei auf der Herausarbeitung etwaiger Traditionen, wie sie in unterschiedlichen Kreisen etabliert wurden. Thematisch eng mit der äusseren Erscheinung verbunden ist dann auch das nächste Thema: Der Spott auf Kaiser Julian muss als wesentliches Element der Überlieferung zu dem Kaiser näher beleuchtet werden. Dabei wird einerseits nach Inhalt, andererseits nach den Urhebern des Spotts gefragt. Schliesslich werden unter Einbezug aller verfügbaren Quellen die «vielen Gesichter» Kaiser Julians in der Überlieferung herausgearbeitet. Die «Gesichter» stehen dabei für unterschiedliche Repräsentationsformen Julians, die einem einheitlichen Kaiserbild Julians entgegenstehen. Dabei wird einerseits die Rezeption seiner von ihm selbst stilisierten Rollen in den zeitgenössischen Quellen untersucht, andererseits werden die Konfliktlinien zwischen dem kaiserlichen Habitus und den Untergebenen nachgezeichnet werden, indem die Hexis und fehlende Sichtbarkeit des kaiserlichen Körpers untersucht werden. Schriftliche Porträts: Julians Aussehen in der literarischen Tradition Bisher wurden die literarischen Beschreibungen von Kaiser Julians Äusserem noch nicht behandelt. Wie Kaiser Julian tatsächlich ausgesehen hat, ist heute freilich nicht mehr zu rekonstruieren – weder anhand der literarischen Beschreibungen noch durch die Betrachtung von Münz- oder rundplastischen Porträts – und selbstverständlich auch nicht das Ziel dieser Arbeit. Doch das heisst nicht, dass die literarischen Beschreibungen des Gesichts und des Körpers des Kaisers nicht zu gebrauchen wären. In ihnen ist grundsätzlich zweierlei ersichtlich: Erstens, wie der Kaiser auf seine Zeitgenossen gewirkt hat. Zweitens, wie das literarische Kaiserbild in der Folge tradiert wurde. Wenn im Folgenden also die literarischen Kaiserbilder vorgestellt und verglichen werden, geht es nicht etwa darum, das «reale» Erscheinungsbild von Kaiser Julian herauszudestillieren (so wie das in der Forschung zuweilen tatsächlich versucht wird), sondern um die Beantwortung der beiden Fragen nach dem individuellen und zeitgenössischen Eindruck und dem erinnerten Bild an den Kaiser. 85 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis Im Vergleich zu anderen antiken Figuren sind zu Julian relativ viele literarische Kaiserbilder 323 überliefert. Zeitgenössische Nachrichten zu Julians Aussehen finden sich – abgesehen von den Selbstbeschreibungen im Misopogon – bei Ammian und bei Gregor von Nazianz, in geringem Ausmass ausserdem bei Pseudo-Aurelius Victor und dem Panegyrikus des Claudius Mamertinus. Beschreibungen von Autoren, die Julian nie zu Gesicht bekommen haben, finden sich beim Kirchenhistoriker Sokrates und beim byzantinischen Chronisten Johannes Malalas. 324 Die Selbstbeschreibungen im Misopogon wurden bereits ausgewertet, und bei genauerer Betrachtung verraten sie trotz der Fixierung auf das schäbige Äussere des Kaisers überraschend wenig über das Aussehen des Kaisers: Dass er einen Bart und ungepflegte Haare hat, lange Fingernägel und keine Warze sind die wesentlichen Informationen. 325 Somit stehen sich als zeitgenössische Porträts lediglich die Beschreibung beim Geschichtsschreiber Ammian und beim Theologen Gregor von Nazianz in scharfem Kontrast gegenüber. Die früheste überlieferte zeitgenössische Beschreibung von Julian findet sich im Panegyrikus eines Claudius Mamertinus. Dieser, ein ansonsten unbekannter Gallier und praefectus praetorio Illyriens, wurde von Julian im Jahre 362 zum Konsul befördert. Mit einer Rede an Kaiser Julian bedankte sich dieser für die erhaltene Ehre. Mamertinus’ Beschreibungen von Julians Äusseren sind jedoch recht spärlich und beschränken sich auf den starken Nacken, den Bart und die strahlenden Augen des Kaisers. 326 Eine wesentlich ausführlichere Beschreibung von Julians Aussehen überliefert Ammian, der dies typischerweise in sein Fazit über Person und Herrschaft des Kaisers im Zusammenhang mit dessen Tod einbaut. Die Beschreibung seines Helden Julian – ist wenig überraschend – recht positiv: «Seine Gestalt und sein Gliederbau waren folgendermassen: Er war mittelgross, sein Haar war weich und wie gekämmt, und er trug einen struppigen, spitz zulaufenden Bart. Seine funkelnden Augen waren hübsch und liessen auf einen scharfen Verstand schliessen. Die Augenbrauen waren zierlich, die Nase sehr gerade, der Mund etwas zu gross, und die Unterlippe hing etwas herab. Sein Hals war kräftig und gebogen, die Schultern waren muskulös und breit. 323 Siehe die Definition oben Kapitel «Kaiserbilder». An dieser Stelle sei für die folgenden Passagen nochmals darauf verwiesen, dass im Rahmen dieser Arbeit literarische Beschreibungen ebenso unter die Begrifflichkeit von Porträt gefasst werden wie Münzporträts und Rundplastiken; siehe dazu BORSCH 2019, 49–51. 324 Daneben gibt es noch einige weitere obskure, aber wenig ergiebige Textstellen bei den byzantinischen Autoren Kedrenos Georgios und einem Pseudo-Kodinos, die in dieser Arbeit nicht beachtet werden. Eine Auflistung aller einschlägigen Textstellen zu Julians Aussehen (ausser Sokrates), inkl. italienischer Übersetzung, bietet CALZA 1972 (Iconografia romana imperiale), 74–81. 325 Vgl. auch FLECK 2008, 28, der den Selbstbeschreibungen Julians für die Porträtforschung nur von geringem Wert ansieht. 326 Vgl. Paneg. lat. 3 (11), 6,4. Das männlich-brachiale Bild, das Mamertinus von Julian entwirft, ist dennoch in einem anderen Zusammenhang interessant: Siehe unten, Kapitel «Ein asketischer Soldatenkaiser». 86 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis Vom Kopf bis zu den Zehen war sein Gliederbau symmetrisch, und aus diesem Grund verfügte er über Kraft und war ein guter Läufer.» 327 Die Beschreibung ist kurz und im Vergleich zu den Darstellungen anderer Kaiser bei Ammian nicht weiter auffällig (bis auf den struppigen Spitzbart). Vergleicht man die Stelle mit anderen kurzen Hinweisen zu Julians Aussehen desselben Autors, stellt man geringfügige Widersprüchlichkeiten fest. So beschreibt Ammian Julian als mittelgross, an anderer Stelle im Zusammenhang mit seinem Einzug in Konstantinopel als von kleiner Statur. 328 Die breiten und muskulösen Schultern stehen im Widerspruch zu dem antiochenischen Spott über den Zwerg mit den schmalen Schultern (wobei Ammian hier kein eigenes Urteil, sondern lediglich die Spottverse wiedergibt). 329 In der Hervorhebung der funkelnden Augen ist Ammian hingegen konsistent. So schildert Ammian die Erhebung des Julian zum Caesar, bei dem er durch die Soldaten eingehend betrachtet wurde: «Es ist kaum zu schildern, mit wie grosser Freude alle mit wenigen Ausnahmen der Entscheidung des Kaisers zustimmten und den Cäsar mit gebührendem Respekt aufnahmen, der im Glanz des kaiserlichen Purpurs strahlend dastand. Lange und eingehend betrachteten sie seine Augen, die zugleich strahlend und furchtbar waren, und sein Antlitz, das in der Erregung hübsch aussah, und suchten so zu ergründen, wie er in der Zukunft sein werde, als hätten sie die alten Schriften durchstudiert, deren Lektüre die innerste Seele durch körperliche Kennzeichen erkennen lehrt.» 330 Die Passage ist interessant, da sie ein Ritual der Zustimmung durch die Soldaten beschreibt, zu dem offenbar auch die Inspektion der neuen Caesaren gehört. Vermutlich dient sie aber vor allem Ammian selbst als Gelegenheit, den Caesaren zu charakterisieren. Dass Ammian selbst mit den physiognomischen Lehren der Zeit bekannt war, wird seit langem angenommen. Die wenigen Hinweise zu Julians Gesicht und Körper bei Ammian können in diesem Sinne auch als Hinweise an physiognomisch gebil- 327 Amm. 25,4,22 (Übers. Seyfarth): Figura tali situque membrorum: mediocris erat staturae capillis tamquam pexis et mollibus, hirsuta barba in acutum desinente uestitus, uenustate oculorum micantium flagrans, qui mentis eius argutias indicabant, superciliis decoris et naso rectissimo, ore paulo maiore, labro inferiore demisso, opima et incurua ceruice, umeris uastis et latis, ab ipso capite usque unguium summitates liniamentorum recta compage, unde uiribus ualebat et cursu. 328 Amm. 22,2,5: exiguo corpore. Eunapios (Eun. frg. hist. 28,1) beschreibt Julian als übernatürlich grossgewachsen. Dies ist jedoch ein reiner Topos: Zusammen mit körperlicher Schönheit (die ebenfalls typisch ist für den hagiographischen Diskurs) ist übernatürliche Grösse eine der wichtigsten Eigenschaften der eunapischen Heiligen; siehe BECKER 2013 (Eunapios aus Sardes), 66–68. Ebenfalls von kleiner Statur ist Julian bei Pseudo-Aurelius Victor: (Ps.-)Aur. Vict. epit. Caes. 43. 329 Amm. 22,14,3: Ridebatur enim […] homo breuis umeros extentans angustos. 330 Amm. 15,8,15–16 (Übers. Seyfarth): immane quo quantoque gaudio praeter paucos Augusti probauere iudicium Caesaremque admiratione digna suscipiebant imperatorii muricis fulgore flagrantem. cuius oculos cum uenustate terribiles uultumque excitatius gratum diu multumque contuentes, qui futurus sit, colligebant uelut scrutatis ueteribus libris, quorum lectio per corporum signa pandit animarum interna. 87 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis dete Leser gemeint sein. Somit werden auch mit unscheinbaren Hinweisen, etwa die gerade Nase Julians, bestimmte Botschaften übertragen, die in zeitgenössischen physiognomischen Schriften erläutert werden (im Falle der geraden Nase beispielsweise (Lebens-)Kraft und Aufmerksamkeit). 331 Auch die Vorstellung, dass die Augen ein Fenster zur Seele sind, war indes ein gängiger antiker Topos. 332 Ammians mehrfache Betonung der Schönheit der funkelnden Augen, die den Kaiser brennend oder leuchtend (flagrans) erscheinen lassen, sind dennoch bemerkenswert. Eine ähnliche Lichtmetaphorik verwendet auch Claudius Mamertinus in seinem Panegyrikus: Darin beschreibt er die Augen des Caesar Julian als flammende Sterne (micantia sidereis ignibus lumina). 333 Die Lichtmetaphorik entspricht dabei einem durchaus gängigen zeitgenössischen Topos, der auf einen typisch spätantiken, göttlich inspirierten Herrschertypus verweist. Ammians Beschreibungen von Julians Aussehen sind also im Ganzen durchaus positiv, aber nicht übertrieben. Vergleicht man diese etwa mit der Beschreibung des Körpers von Constantius, dessen Regierung und Person von Ammian tendenziell negativ bewertet wird, so muss man feststellen, dass auch Julians Vorgänger als recht ansehnlich beschrieben wird. 334 Die Beschreibungen Ammians, der Kaiser Julian vermutlich auch persönlich zu Gesicht bekam, 335 wirken dadurch relativ glaubhaft. 336 Jedoch sind sie auch relativ allgemein gehalten: Neben dem Bart bildet lediglich die hängende Unterlippe ein individuelles Charakteristikum. Die funkelnden Augen und der kräftige Oberkörper – zwei Charakteristika, die sich auch in Claudius Mamertinus‘ Panegyrikus wiederfinden – wirken toposhaft. Ammians Beschreibung überliefert also keine wesentlichen Spezifika, wie sie etwa für die Porträtforschung von Nutzen sein könnten. 337 331 Eine Zusammenstellung von Julians äusseren Merkmalen bei Ammian und ihre jeweiligen Bedeutungsauslegungen in der zeitgenössischen Physiognomik findet sich bei EVANS 1935 (Roman Descriptions of Personal Appearance in History and Biography), 74. Zudem bietet Evans in Appendix B auch eine Zusammenstellung aller Porträts bei Sueton, der Historia Augusta und Ammian, jeweils inklusive einschlägiger Textstellen in den zeitgenössischen physiognomischen Schriften; für Ammian siehe 83–85. 332 Die Vorstellung, dass das Gesicht und vor allem die Augen den animus spiegeln, ist bereits bei Cicero gut belegt. Dies ist aber nicht mit der Physiognomik zu verwechseln, die etwa nach Ps.-Aristoteles nicht nach den momentanen Gefühlsregungen sucht (die Cicero im Gesicht erkennt), sondern nach permanenten Charakterdispositionen; vgl. MEISTER 2012, 53-57; für die entsprechenden Quellenstellen zu Cicero siehe 251, Anm. 1078. 333 Paneg. lat. 3 (11), 6,4. 334 Vgl. Amm. 21,16,19, siehe unten S. 152. 335 Ammian bekam Julian zum ersten Mal als Caesar in Gallien zu Gesicht (vgl. unten Anm. 420). Ob er ihn in dieser Zeit auch persönlich kennenlernte, ist nicht belegt. Er nahm auch an Julians Feldzug gegen Sapor II. teil, den er im Stil eines Augenzeugenberichtes wiedergibt. 336 Was hier auf die literarischen Porträts bezogen wird, wird Ammian in der Forschung grundsätzlich hoch angerechnet: Auch die differenzierte Darstellung seines Helden Julians, wo sich sowohl positive als auch negative Urteile finden lassen, verleihen dem Geschichtswerk eine gewisse Aura der Glaubwürdigkeit; vgl. etwa NESSELRATH 2001, 31. 337 So das Urteil von FLECK 2008, 31. 88 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis Zu dieser allgemeinen, eher schmeichelhaften Beschreibungen Ammians steht die Invektive von Gregor von Nazianz in krassem Gegensatz. Eine Begegnung in Athen 355 war vermutlich die einzige Gelegenheit Gregors, Julian persönlich zu Gesicht zu bekommen. 338 Später, nach Julians Tod, verfasste Gregor zwei Invektiven, die als Kampfreden wider Kaiser Julian bekannt sind: orationes 4 und 5. 339 In oratio 5 erinnert sich Gregor, wenig nostalgisch, an das Bild, das der junge Julian während ihrer gemeinsamen Zeit in Athen abgab: «Den Charakter Julians lernte man kennen auf Grund der Erfahrungen in der Zeit, da er sich in seiner Herrschaft frei fühlte; allerdings mir war er in mancher Beziehung schon längst bekannt, da ich mit ihm in Athen zusammengekommen war. […] Ich habe mir damals von dem Manne kein unrichtiges Bild gemacht, obwohl ich ja nicht zu seinen Vertrauten gehört hatte. Sein anormales Benehmen und seine ganz eigenartige Erscheinung liess mich über ihn prophezeien; wer gut beobachtet, dürfte ja der beste Prophet sein. Keinen guten Charakter schien mir zu verraten sein wenig fester Nacken, seine zuckenden, schaukelnden Schultern, seine leidenschaftlichen, unruhigen Augen, sein aufgeregter Blick, sein nervöser, unsicherer Gang, seine Nase, die Hochmut und Geringschätzung zeigte, sein verächtlicher Gesichtsausdruck, der die gleiche Gesinnung verriet, sein ungezügeltes, erschütterndes Lachen, sein unbegründetes Zunicken und Abweisen, sein stockendes, durch Atmen unterbrochenes Sprechen, sein ungeordnetes, törichtes Fragen, seine nicht besseren Antworten, Keinen guten Charakter schien mir zu verraten sein wenig fester Nacken, seine zuckenden, schaukelnden Schultern, seine leidenschaftlichen, unruhigen Augen, sein aufgeregter Blick, sein welche sich widersprachen und Klarheit, Konsequenz und Bildung vermissen liessen.» 340 338 Julian verbrachte den Sommer 355 in Athen, wo er wohl vornehmlich als Schüler des Priskos in neuplatonische Theurgie eingeführt wurde. Gregor bewegte sich in ganz anderen Kreisen; ob die beiden Kontakt hatten, ist nicht belegt. Allerdings wird Julian als letzter naher Verwandter des Kaisers als Ehrengast in Athen empfangen und von Gregor kritisch beobachtet worden sein; vgl. BROWNING 1975, 64 f. Eine weitere Begegnung fand möglicherweise im Jahr 362 statt, als der Kaiser unterwegs von Konstantinopel nach Antiochia auch in Nazianz Halt machte. Dass Gregor zu dieser Zeit auch in Nazianz war, ist jedoch eher unwahrscheinlich; vgl. BAUMANN 2018 (‹Götter in Gottes Hand›), 138. 339 Die Reden werden üblicherweise nach Julians Tod 363 datiert, d.h. um 364/5. Für eine Besprechung der verschiedenen Datierungsmöglichkeiten siehe VAN NUFFELEN 2020 (The Christian Reception of Julian), 363; BAUMANN 2018, 153. 340 Greg. Naz. or. 5, 23 (Übers. Haeuser): Ταῦτα τοῖς μὲν ἄλλοις ἡ πεῖρα παρέστησε, καὶ ἡ δυναστεία προλαβοῦσα τὴν ἐξουσίαν· ἐμοὶ δὲ καὶ πόῤῥωθεν τρόπον τινὰ ἑωρᾶτο, ἐξ οὗ τῷ ἀνδρὶ συνεγενόμην Ἀθήνῃσιν. […] Τότε τοίνυν οὐ φαῦλος ἐγὼ τοῦ ἀνδρὸς εἰκαστὴς οἶδα γενόμενος, καίτοι γε οὐ τῶν εὖ πεφυκότων περὶ ταῦτα εἷς ὤν. Ἀλλ’ ἐποίει με μαντικὸν ἡ τοῦ ἤθους ἀνωμαλία, καὶ τὸ περιττὸν τῆς ἐκστάσεως· εἴπερ μάντις ἄριστος, ὅστις εἰκάζειν οἶδε καλῶς. Οὐδενὸς γὰρ ἐδόκει μοι σηζειν οἶδε καλῶς. Οὐδενὸς γὰρ ἐδόκει μοι σημεῖον εἶναι χρηστοῦ αὐχὴν ἀπαγὴς, ὦμοι παλλόμενοι καὶ ἀνασηκούμενοι, ὀφθαλμὸς σοβούμενος καὶ περιφερόμενος, καὶ μανικὸν βλέπων, πόδες ἀστατοῦντες καὶ μετοκλάζοντες, μυκτὴρ ὕβριν πνέων καὶ περιφρόνησιν, προσώπου σχηματισμοὶ καταγέλαστοι τὸ αὐτὸ φέροντες, γέλωτες ἀκρατεῖς τε καὶ βρασματώδεις, νεύσεις καὶ ἀνανεύσεις σὺν οὐδενὶ λόγῳ, λόγος ἱστάμενος καὶ κοπτόμενος πνεύ ματι, ἐρωτήσεις ἄτακτοι καὶ ἀσύνετοι, ἀποκρίσεις οὐδὲν τούτων ἀμείνους, ἀλλήλαις ἐπεμβαίνουσαι καὶ οὐκ εὐσταθεῖς, οὐδὲ τάξει προϊοῦσαι παιδεύσεως. 89 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis Das Bild Julians, das uns Gregor liefert, bildet in mancherlei Hinsicht das polare Gegenteil zu dem Eindruck, der bei der Lektüre von Ammian entsteht. Dabei stellt Gregor interessanterweise weniger das äussere Erscheinungsbild, sondern vielmehr die Gestik und Körperhaltung des jungen Mannes in den Fokus. In diesem Sinne sind die beiden Porträts hinsichtlich Julians Aussehen schwer miteinander zu vergleichen. 341 Julians wenig fester Nacken und seine schaukelnden Schultern vermitteln jedoch ein ganz anders Bild als der kräftige Hals und die muskulösen Schultern bei Ammian. Möglicherweise verweist Gregor hier bereits auf den antiochenischen Spott über die schmalen Schultern des Kaisers. Diese Beobachtungen lassen Gregor, in der Manier eines Physiognomikers, auf dessen Handwerk er mit seiner Bemerkung über die Prophetie anspielt, präzise Urteile über den Charakter des zukünftigen Kaisers fällen. Freilich schreibt Gregor in einer Retrospektive und kann daher die angeblichen physiognomischen Erkenntnisse durch tatsächliche spätere Taten belegen, auch wenn er darauf besteht, dass es Leute geben würde, die bezeugen könnten, dass er schon damals in Julians Verhalten das kommende Unglück für den römischen Staat heraufbeschwor. 342 Das Bild, das Gregor von Julian vermittelt, ist das einer nervösen, zuckenden, sich ständig in Bewegung befindlichen Person. Sein Verhalten ist «anormal» (ἀνωμαλία). Die unruhigen Augen und der aufgeregte Blick verraten eine innere Unruhe, wohingegen die funkelnden Augen bei Ammian auf Julians scharfen Verstand schliessen lassen. Beide Autoren, Ammian und Gregor, liefern damit in ihrer Funktion und Bewertung völlig unterschiedliche Ansichten desselben Kaisers. Beide schreiben aus eigener Erfahrung, jedoch veröffentlichten sie ihre Beschreibungen erst nach dem Tod Julians. Damit werden unterschiedliche Traditionen fassbar, die sich nach dem Tod des Kaisers formten und miteinander in Konkurrenz traten. Für eine Tradition in christlichen Kreisen, die Gregor angestossen hat, lässt sich die Beschreibung Julians in der Historia ecclesiastica des Sokrates Scholastikos heranziehen: Dieser übernahm Gregors Beschreibung gute achtzig Jahre später im Wortlaut. 343 Für eine pagane Tradition lässt sich lediglich noch auf die Epitome de Caesaribus eines unbekannten paganen Autors, bekannt als Pseudo-Aurelius Victor, verweisen. In dem Geschichtswerk wird im Zusammenhang mit dem Tod Julians eine differenzierte Bewertung des Kaisers vorgenommen. Bezüglich des Aussehens wird lediglich darauf verwiesen, dass Julian körperlich fit und kräftig, aber von kleiner Statur war – was im Wesentlichen dem Bild von Ammian entspricht. 344 Damit bleibt als letztes relevantes Zeugnis zu Julians Aussehen noch dasjenige des Johannes Malalas. Der byzantinische Chronist ist für seine Kaiserporträts bekannt: Bereits die schiere Anzahl von beinahe einhundert Kurzbeschreibungen von römischen Kaisern, Heroen und Heiligen in den Chronographia ist 341 Einen direkten Vergleich macht etwa BROWNING 1975, 65 f., kommt dabei aber lediglich zum Schluss, dass hier derselbe Mann durch unterschiedliche Linsen gesehen wird. Auch FLECK 2008, 28, sieht die unterschiedlichen Beschreibungen vor allem von der jeweiligen religiösen Gesinnung der Autoren abhängig. 342 Greg. Naz. or. 5, 24. 343 Sokr. h.e. 3,23,18–26. 344 (Ps.-)Aur. Vict. epit. Caes. 43,6. 90 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis eindrücklich. Fast jede relevante Person in seinem Werk wird in kurzer, stark schematisierter Form in seiner äusserlichen Erscheinung beschrieben. 345 Darunter findet sich auch ein schriftliches Porträt von Kaiser Julian: «Nach der Regierung des Constantius aber wurde Julian der Apostat, der früher Caesar geworden war, der Verwandte eben dieses Constantius, unter dem Konsulat des Mamertinus und Nevitta Kaiser. Er regierte sieben Jahre. Er war aber beredt, klein von Statur, mit einer starken Brust, schön, hatte eine ausgeprägte Nase und wunderbare Augen. Er wurde Apostat geheissen, weil er die Lehre seiner Vorfahren verleugnet hatte, die der Christen, und ein Hellene (=Heide) geworden war. Er war aber ein Freund und Zeitgenosse des Libanios, des hochberühmten Sophisten von Antiocheia.» 346 Betrachtet man diese Textstelle in Isolation und vergleicht sie mit den Beschreibungen anderer antiker Autoren, wirkt die Passage auf den ersten Blick irritierend: Einerseits lassen sich einige bemerkenswerte Ähnlichkeiten mit der paganen Tradition ausmachen. So fällt die bereits bei Ammian und in der Epitome de Caesaribus beschriebene geringe Körpergrösse auf. Ebenso passt die starke Brust gut zu dem kräftigen Oberkörper bei Ammian und Claudius Mamertinus, während die «wunderbaren Augen» (εὐόφθαλμος) an die leuchtenden Augen bei den paganen Autoren erinnern. Doch bei aller Konsistenz zu den gängigen Charakterisierungen Julians scheint etwas ganz Zentrales zu fehlen: Der Bart. Dieser Befund wird umso merkwürdiger, wenn man sich die Porträts der Vorgänger Julians anschaut: Bei den barttragenden Kaisern Diokletian, Maximian und Galerius versäumt es Malalas nicht, deren Gesichtsbehaarung zu erwähnen. 347 Auch bei anderen Kaisern, die für ihre Barttracht bekannt waren, wird diese erwähnt, so etwa der «schöne Bart» Mark Aurels. 348 Das Fehlen des charakteristischen Bartes bei Julian wirkt daher seltsam. Zwei mögliche Erklärungen kommen dafür in Frage: Einerseits könnte Malalas nichts mehr von Julians Bart gewusst haben. Andererseits könnte der Grund für den fehlenden 345 Auf die Bedeutung dieser eindrucksvollen Porträtsammlung, insbesondere auf die Quellenfrage, kann in dieser Arbeit nicht vertieft eingegangen werden. Für eine jüngere Untersuchung der schriftlichen Porträts von Malalas siehe BORSCH 2019, speziell zu den Kaiserporträts siehe CARRIÉ 2006 (Traditionalisme culturel et renouveau historiographique). 346 Ioh. Mal. 13,18 (Übers. Thurn/Meier): Μετὰ δὲ τὴν βασιλείαν Κωνσταντίου ἐβασίλευσεν Ἰουλιανὸς ὁ παραβάτης, ὁ πρῴην γενόμενος καίσαρ, ὁ συγγενὴς τοῦ αὐτοῦ Κωνσταντίου, ἐπὶ τῆς ὑπατείας Μαμερτίνου καὶ Νεβήττα· ὅστις ἐβασίλευσεν ἔτη ζʹ. ἦν δὲ ἐλλόγιμος κοντός, εὔστηθος, εὔθετος, εὔρινος, εὐόφθαλμος· ὅστις ἐκλήθη παραβάτης, διότι ἀρνησάμενος τὸ δόγμα τῶν αὐτοῦ προγόνων, τὸ τῶν χριστιανῶν, γέγονεν Ἕλλην. ἦν δὲ φίλος καὶ ὁμόχρονος Λιβανίου τοῦ περιβοήτου σοφιστοῦ Ἀντιοχείας. Die Kursivsetzung kennzeichnet Textteile, die bereits in der Standartedition THURN aus dem sogenannten Barrocianus, einer slawischen Parallelüberlieferung der Chronographia, ins Griechische rückübersetzt und in den Text aufgenommen wurden. Dabei handelt es sich genau um die körpergeschichtlich relevanten Zeilen, was die Einordnung der entsprechenden Stelle noch zusätzlich erschwert. Zur Tradition und Forschungsgeschichte von Malalas siehe die Einleitung zur Edition THURN/MEIER 2009 (Johannes Malalas). 347 Diokletian: «eisgraues Kinn» (Ioh. Mal. 12,37); Maximian: «stattlicher Bart» (12,45); Galerius: «dichter Bart» (12,47). 348 Ioh. Mal. 11,28. 91 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis Bart in der Art und Weise liegen, wie Malalas Kaiser porträtiert und welche Aussagen er mit seinen Beschreibungen machte. 349 Die erste Möglichkeit wird bestärkt durch die Tatsache, dass Malalas über die Verfassung des «Barthassers» Bescheid wusste, den Namen der Schrift aber nicht überliefert, und er ihren Inhalt als Schmähung der Antiochener als Aufrührer zusammenfasst. Den Spott der Antiochener, den Malalas ebenfalls erwähnt, erklärt er auch nur durch die religiösen Differenzen. 350 Ist es also möglich, dass das Wissen über Julians Bart nicht mehr weiter tradiert wurde? Weitet man den Blick auch auf die anderen schriftlichen Porträts bei Malalas aus, wird ersichtlich, dass seine Beschreibungen in stark schematischer Art und Weise über mythische Heroen (insgesamt 30, vornehmlich des trojanischen Krieges) über die römischen Kaiser der Vergangenheit bis hin den zeitgenössischen Herrschern zur Zeit des Malalas reicht (insgesamt 100, dazu noch lediglich zwei ApostelPorträts). Vergleicht man dabei die einzelnen Porträts mit überlieferten Beschreibungen in anderen entsprechenden Texten, etwa für homerische Helden, zeigen sich oft grosse Unterschiede. 351 Im Falle der Kaiserporträts sind die direkten Übereinstimmungen mit erhaltenen früheren Schriften ebenfalls gering. 352 Das unterschiedliche Porträt bei Julian ist also kein Sonderfall. Erstaunlich ist jedoch, dass Malalas keine Vorbehalte hat, einen bei seinen christlichen Zeitgenossen verhassten paganen Kaiser mit einer Vielzahl von eindeutig positiven Merkmalen zu belegen: Julian wird mit den Adjektiven εὔστηθος, εὔθετος, εὔρινος, εὐόφθαλμος beschrieben, also – die redundante Formulierung wörtlich mitübersetzt – als «schönbrustig, schöngestalt, schönnasig, schönäugig». Dies bestätigt den Verdacht, dass Malalas zumindest Beschreibungsmerkmale aufgegriffen haben könnte, die in paganen Kontexten kursierten. 353 Die Besonderheit bei Malalas besteht darin, dass alle Porträtierten – seien es Heroen, christliche Heilige oder Kaiser – in der gleichen, nach ähnlichen Kriterien gestalteten Weise präsentiert werden. Vergleicht man andere Porträts bei Malalas, gelangt man zur Feststellung, dass seine Porträts allgemein einen recht «netten» Eindruck machen: Neben Julian sind auch andere Kaiser wie etwa Nero, die normalerweise unter Christen ausserordentlich schlecht wegkommen, in keineswegs abfälliger, ja sogar 349 Die Frage ist auch eng mit der Frage nach den Quellen Malalas’ verbunden. Für eine Diskussion der Debatte, die zwischen «direkte Übernahme aus einer oder mehreren Vorlagen» und «freie Erfindung» schwankt, siehe BORSCH 2019, 54–56 Dazu kommt das oben erwähnte Problem der Textüberlieferung. 350 Ioh. Mal. 13,19. 351 Eine Erklärung für die Unterschiede in den Heroen-Porträts bei Malalas liefert BORSCH 2019, 68: Nach ihm erfüllen die Beschreibungen von mythischen Heroen ein Bedürfnis nach Greifbarkeit und Anschaulichkeit und tragen so dazu bei, die homerische Vorlage (in frei abgewandelter Form) für das zeitgenössische Publikum aufzubereiten. 352 Eine Gegenüberstellung der Beschreibungen des Malalas mit denen des Sueton und der Historia Augusta hat CARRIÉ 2006, 201 f., vorgenommen. Er teilt sie in die Kategorien «teilweise widersprüchlich», «stark widersprüchlich», «praktisch gegensätzlich», «komplementär» oder – hierbei handelt es sich bezeichnenderweise um die meisten Fälle – «ohne nähere Berührungspunkte». 353 BORSCH 2019, 72. Zu den Spuren von Ammians Porträts in der byzantinischen Chronistik vgl. BLECKMANN 2007 (Vom Tsunami von 365 zum Mimas-Orakel: Ammianus Marcellinus als Zeithistoriker und die spätgriechische Tradition), 20–22. 92 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis positiver Weise dargestellt. Jonas Borsch subsumiert diese Erkenntnis unter der generellen Tendenz zur Vereinheitlichung bei Malalas: Durch die stetige Wiederholung entstehe somit «ein kohärentes Bild des Kaisertums an sich, hinter dem die individuellen Personen letztlich zurücktreten.» Eine zentrale Funktion der Porträts sei damit die Vermittlung einer von der lange zurückliegenden Vergangenheit bis in die Gegenwart reichenden Stabilität und Kontinuität – mit dem positiven Höhepunkt der Regierungszeit Justinians. 354 Tatsächlich erweckt die Lektüre von Malalas einen Eindruck der Kontinuität der Kaiserherrschaft. Dies zeigt sich auch darin, dass Malalas viele Regierungsübergänge wesentlich einfacher und konfliktfreier darstellt, als sie in der Realität stattgefunden haben. Indem zudem über alle Kaiser dasselbe Netz der schematischen Körperbeschreibung gespannt wird, wird dieser Eindruck noch verstärkt. Interessant ist dabei zudem die Idee, dass der einzelne Kaiser durch die Vermittlung der Kontinuität der Kaiserherrschaft als Person zurücktritt: Das Amt scheint bei Malalas beinahe unabhängig von der Person zu existieren. So ist auch zu erklären, wieso Julian, als legitimer Nachfolger und auch letzter Kaiser aus der Dynastie des bei Malalas hochgelobten Konstantins, relativ positiv dargestellt wird. 355 Und Julians Bart? Die Möglichkeit bleibt bestehen, dass ein kaiserlicher Bart für Malalas nichts besonders Auffälliges darstellte, auch wenn seine «Lieblingskaiser» zumeist bartlos daherkommen. Die Konflikte, die sich zwischen Julian und der Bevölkerung aufgrund der Apostasie des Kaisers ergaben, sind für Malalas wesentlich wichtiger. Hielt sich Malalas bezüglich des Aussehens des Kaisers tatsächlich an eine pagane Überlieferung, könnte es damit zusammenhängen, dass der Bart auch bei paganen Schriftstellern wie Ammian zwar erwähnt, aber nicht unbedingt ins Zentrum der Aufmerksamkeit gestellt wird. Jedoch beziehen sich christliche Invektiven nur zu gerne auf die ungepflegte Gesichtsbehaarung des Kaisers. Die Frage, wie Julian bei Malalas der Bart abhandengekommen ist, kann hier jedoch nicht abschliessend beantwortet werden. Die so ganz unterschiedlichen Beschreibungen der verschiedenen Autoren – insbesondere Gregor und Ammian – werden in der Forschung zumeist mit der persönlichen Zu- oder Abneigung der jeweiligen paganen bzw. christlichen Autoren gegenüber Julian erklärt, wobei die Beschreibung Ammians zumeist in Kontrast zu derjenigen des Gregors als «realistischer» eingeschätzt wird. 356 Ergiebiger als die Frage nach dem Realismus der Beschreibung, der in letzter Instanz ohnehin nicht überprüft werden kann, ist jedoch die Beobachtung der unterschiedlichen Traditionsbildung: In der wörtlichen Übernahme von 354 BORSCH 2019, 76. Was dennoch seltsam ist, ist die grosse Aufmerksamkeit, die Malalas dem paganen Julian widmet: Über acht Absätze widmet sich Malalas den Leben und Tod Julians (Ioh. Mal. 18–25), während beispielsweise sein Vorgänger Constantius II., immerhin ein Christ und ein Sohn des von Malalas hochgelobten Konstantins, genau einen Absatz Passage (17) und zudem keine physische Beschreibung erhielt. 356 Für FLECK 2008, 29–31 sind die Beschreibungen beider Autoren von geringem Nutzen für die Porträtforschung, wobei Gregors Passage gleich doppelt wertlos ist, da sie neben dem Fokus auf Bewegung auch nur zur Diffamierung von Julians Andenken dient. 355 93 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis Gregors Porträt in der christlichen Geschichtsschreibung und zumindest teilweisen Überschneidungen innerhalb der paganen Tradition lässt sich ein Kampf um die Deutungshoheit über das Erbe des letzten paganen Kaisers sehen. Insbesondere von Seiten Gregors ist ein Bemühen zur «Entzauberung» des Apostaten erkennbar. 357 Ein Affe und ein Ziegenbock: Spott auf Julian In der Selbstverspottung des Misopogon sind einige konkrete Schmähungen festzumachen, die unter der antiochenischen Bevölkerung zu hören waren und die bis zum Kaiser durchgedrungen sind: Dass man aus seinem Bart Seile flechten sollte, ist ein solches Beispiel, welches Julian mit der Formulierung «ihr meint» einleitet und mehrfach erwähnt. 358 Dass Julian einen Bart trägt wie ein Ziegenbock, schien ebenfalls eine geläufige Lästerung gewesen sein. Spott und Hohn ist aber nicht nur im Misopogon das zentrale Thema, sondern scheint ein Phänomen gewesen zu sein, das Julian auf seiner ganzen politischen Laufbahn begleitete: Bereits als Caesar wurde er am kaiserlichen Hof denunziert und verhöhnt, und auch von seinen eigenen Soldaten wurde Julian zuweilen verspottet; neben Hinweisen auf zusätzlichen Spott in anderen Städten bildete Antiochia somit nur den Höhepunkt einer kuriosen Leidensgeschichte eines verschmähten Herrschers. Im Folgenden gilt die Aufmerksamkeit eben jenem Spott: Einerseits sollen die relevanten Spötteleien, die gefasst werden können, näher beleuchtet werden. Dabei gilt das Hauptaugenmerk den (reichhaltigen) Sticheleien in Bezug auf Julians Körper. Andererseits wird untersucht, welche Gruppen den Kaiser wie und aus welchen Gründen verspotteten. Dabei stellt sich auch die Frage, inwiefern sich Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Gruppen identifizieren lassen und wie diese möglicherweise zusammenhängen. Tiervergleiche Die Spötteleien gegen Julian gehen in zwei verschiedene Richtungen: Einerseits wird Julian in verschiedenen Kontexten als unkaiserlicher Stubenhocker und «Grieche» verspottet, was auf seine philosophische Ausbildung in Athen und anderen wichtigen Städten des Ostens abzielt. Die überwiegende Mehrheit der Spottverse auf Julian, die in den Quellen fassbar sind, bezieht sich aber auf das Aussehen des Kaisers. Zentraler Angriffspunkt bildet hierbei natürlich sein Bart, aber auch seine weitere Körperbehaarung. Besonders prägnant erscheinen dabei die schillernden Tiervergleiche: Julian wird als Affe oder affenartiges Wesen, Ziegenbock und Maulwurf bezeichnet; nur Julian selbst wähnt sich im Misopogon eher als Löwe. Die meisten Spottverse werden von Ammian überliefert, der alle genannten Tierbegriffe an verschiedenen Stellen erwähnt. Bei Ammian lässt sich also öffentlicher Spott fassen, 357 358 BAUMANN 2018, 208. Iul. or. 12 (mis.), 338 D; Iul. or. 12 (mis.), 360 D. 94 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis der nicht durch Julians eigene Schrift gefiltert wurde. 359 Die chronologisch frühesten Hinweise auf Spott gegen Julian, und insbesondere auf sein Äusseres, finden sich bereits in Ammians 17. Buch. In diesen beschreibt Ammian die glorreichen Taten Julians in Gallien. Doch offenbar erntete der Caesar dafür am kaiserlichen Hof nur wenig Lob: «Diese Nachrichten gelangten an den Hof des Constantius, denn der Cäsar musste wie ein Unterbeamter über alle Vorgänge an den Augustus berichten. Daraufhin zogen alle, die im Palast grösseren Einfluss besassen – bereits als gelehrte Professoren der Schmeichelkunst – seine richtigen Entscheidungen und ihre erfolgreiche Durchführung ins Lächerliche. In ihrer faden Art und Weise liessen sie Äusserungen laut werden wie: ‹Dieser Ziegenbock, der gar kein Mensch ist, macht sich durch seine Siege unbeliebt.› Sie hechelten Julian durch, weil er behaart war, und nannten ihn einen ‹geschwätzigen Maulwurf›, einen ‹Affen im Purpur› und einen ‹griechischen Federhelden› und ähnliches mehr. Wie Klingelmänner liessen sie sich vor den Ohren des Kaisers vernehmen, der solches und ähnliches gern hörte, und versuchten, seine Leistungen mit unverschämten Reden zu überschütten. Sie schalten ihn lässig furchtsam und einen Stubenhocker, der seine Taten umsonst mit gefälligen Worten ausschmücke. Aber so etwas geschah damals nicht zum erstenmal [sic]. Stets ist nämlich gerade der grösste Ruhm dem Neid ausgesetzt.» 360 Die Häufung an tierischen Vergleichen ist auffällig und in den meisten Fällen selbsterklärend. 361 Es scheint, als hätte von den Tiervergleichen vor allem der Ziegenbock eine grössere Karriere eingeschlagen: Der Ziegenbart, der auch im Misopogon begegnet, kommt bei Ammian gleich zweimal in unterschiedlicher Begrifflichkeit und Kontext vor: Zuerst am Hof des Constantius (capella), dann im Spott der Bevölkerung in Antiochia (barba hircina). Julian als spitzbärtigen Ziegenbock zu bezeichnen, mag 359 GLEASON 1986, 113, bemerkte, dass Julian im Misopogon auf den bei Ammian überlieferten besonders harschen Spott nicht reagiert. 360 Amm. 17,11,1 (Übers. Seyfarth): Haec cum in comitatu Constantii subinde noscerentur – erat enim necesse tamquam apparitorem Caesarem super omnibus gestis ad Augusti referre scientiam – omnes, qui plus poterant in palatio, adulandi professores iam docti recte consulta prospereque completa uertebant in deridiculum talia sine modo strepentes insulse: «in odium uenit cum uictoriis suis capella, non homo» ut hirsutum Iulianum carpentes appellantesque «loquacem talpam» et «purpuratam simiam» et «litterionem Graecum» et his congruentia plurima. atque ut tinnacula principi resonantes audire haec taliaque gestienti / uirtutes eius obruere uerbis impudentibus conabantur ut segnem incessentes et timidum et umbratilem gestaque secus uerbis comptioribus exornantem. 361 Etwas mysteriös erscheint der Begriff des «geschwätzigen Maulwurfs» (loquax talpa), der nur bei Ammian und nur im Kontext des höfischen Spottes vorkommt. Nach BROWNING 1975, 95, ist der Witz heute nicht mehr nachvollziehbar; DEMANDT 1997 (Das Privatleben der römischen Kaiser), 114, vermutet dahinter einen Hinweis auf Julians «spitzen Mund». Ein solcher ist jedoch nicht überliefert; Ammian spricht lediglich von Julians herabhängende Unterlippe. Vergleicht man die Stelle mit dem Misopogon, in dem Julian seine ungeschnittenen Fingernägel erwähnt, könnte sich der Spott als Hinweis auf Julians wohl schon als Caesar lang gewachsenen Nägel beziehen, die an die Krallen eines Maulwurfs erinnerten (für den Hinweis danke ich Thomas Gartmann). 95 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis aufgrund seines Auftretens naheliegend gewesen sein. Dies wurde ihm auch in der christlichen Rezeption zum Verhängnis: Der syrische Dichter und Theologe Ephraem verfasste vier Hymnen gegen Julian, die er wohl kurz nach dessen Tod veröffentlichte. Darin schmäht er gehässig über Bart des Kaisers: Er bezeichnet Julian, der die Keuschheit verleugnet habe, als «Bock und Priester» für die heidnischen Liebesgöttinnen, für die er seinen Bart trage. 362 Und er singt weiter: «Die Böcke vom Geschlecht * jenes Ziegenbockes — mit mächtigen Locken * und stinkenden Bärten — umringten den Schwarzen, [Julian] * der auf die Ehe herabsah, — der sich weihte und läuterte * für seine schändliche (Göttin); — die Scharen der Linken [die Gegner der Kirche] * stachelten mit ihren Orakeln — den Bock an, dass er auszog * und in Persien zum Schlachtopfer wurde.» 363 Den Ausdruck entlehnt Ephraem der Vision Daniels, in der Alexander der Grosse unter dem Bild eines zotteligen Ziegenbocks erscheint. Die Böcke mit den langen Haaren und stinkenden Bärten sind als die (neuplatonischen) Philosophen zu verstehen, die Julian um sich scharte. 364 In christlicher Manier wird der Bart Julians zusammen mit Philosophenbärten allgemein als Ausdruck eines zügellosen Heidentums uminterpretiert. 365 Während also der «Ziegenbock» in der Antike eine breite Rezeption erhielt, durchlief der «Affe im Purpur» womöglich eine ganz besondere Überlieferungsgeschichte, auf die jedoch in der bisherigen Forschung noch nicht verwiesen wurde: In einer Ausgabe der Adagia von 1508, einer neuzeitlichen Sammlung antiker Sprichwörter von Erasmus von Rotterdam, findet sich der Eintrag «Simia in purpura». Erasmus liefert dazu auch eine Erklärung: Der Ausdruck komme bei verschiedenen Gelegenheiten zum Ausdruck, so etwa in der Anwendung auf Menschen, deren wahre Natur auch durch das Tragen feiner Kleidung nicht verdeckt werden kann, oder in solchen, denen eine ihnen unangemessene Würde zuteilwird, oder auch allgemein für die unpassende Schmückung von hässlichen Dingen. «Was», so fragt Erasmus zum Schluss, «könnte lächerlicher sein als ein Affe in purpurnen Kleidern?» 366 362 Ephr. Syr. hymn. c. Iulian. 2,5. Ephr. Syr. hymn. c. Iulian. 2,9 (Übers. Beck). 364 Dieselbe Kritik auch bei Sokr. h.e. 3,1,55–56. 365 FLECK 2008, 147f., weist jedoch zu Recht darauf hin, dass ein Bart eines Herrschers in erster Linie Ausdruck seiner philosophischen Gesinnung war und mit Bildung und Askese verbunden wurde; somit konnten später auch nicht wenige christliche Kaiser einen Bart tragen, ohne dafür kritisiert zu werden. Zur Zeit Julians waren christliche Kaiser jedoch bisher nur glattrasiert aufgetreten, was Ephraems Interpretation erklärt. 366 ERASMUS 1508 (Erasmi Roterodami Adagiorum Chiliades Tres, Ac Centuriae Fere Totidem), 75 verso: Πίθεκος ἐν πορφύρα. Simia in purpura, in uarios usus potest adhiberi paroemia, nempe uel in hos, qui tametsi magnifico cultu sint ornati, tamen cuiusmodi sint, ex ipso uultu moribusque cognoscit[ur], vel in hos, quibus dignitas indecora additur, uel quoties rei per se foedæ, ascititia, peregrinaque orname[n]ta indecenter admouentur. Quid enim tam ridiculum, q[uam] simia uestita purpurea ueste? In einer späteren Ausgabe von 1515 fügte Erasmus der Erklärung noch hinzu, dass sich dieser Spruch besonders für Leute am Hof und für Kleriker bezieht. 363 96 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis Erasmus gibt keine Quelle für die Herkunft des Sprichworts an; dass er dabei jedoch Ammian im Kopf hatte, ist auch hinsichtlich seiner Interpretation sehr naheliegend. Der Ausspruch fand danach um 1515 in leicht abgewandelter Form (simia purpurata) Eingang in einen illustrierten Fürstenspiegel für Franz I., als Legende zu einer Illustration eines unbekannten Malers aus Lyon. 367 Es ist unwahrscheinlich, dass auch der Autor dieses Werkes, bzw. der Zeichner der Illustrationen, Kaiser Julian im Kopf hatte; doch die recht amüsante Darstellung eines Affen im Purpurgewand (der passenderweise auch neben einem Baum mit Äpfeln steht, die für Julian heilig waren) 368 wäre wohl bei Julians Spöttern ausserordentlich gut angekommen. Die extensive Liste von tierischen Schmähungen, die Ammian liefert, ergänzt er später in seinem Werk im Zusammenhang mit den Konflikten in Antiochia um weitere, mythologische Begriffe: «Man verhöhnte ihn als Kerkops, als Zwerg, der seine schmalen Schultern ausreckte und einen Bocksbart trug und gewichtig einherschritt, als ob er der Bruder des Otus und Ephialtes wäre, deren hohen Wuchs Homer ins Unermessliche erhebt. Auch nannte man ihn ‹Opferdiener› statt ‹Opferpriester›, wobei viele auf die Menge seiner Opfertiere anspielten, und man beschuldigte ihn zu Recht, weil er, um sich damit zu brüsten, anstelle der Priester ohne Massen geweihte Gegenstände trug und sich freute, wenn ihn Scharen von Weibern begleiteten. Obwohl er sich aus diesen und ähnlichen Gründen ärgerte, schwieg er trotzdem hierzu, verbarg seine Empörung im Innern und führte die feierlichen Zeremonien weiter aus.» 369 Die seltsamen cercops-Vergleiche gehören vermutlich in dieselbe Kategorie wie der Vergleich mit einem Affen. Sie gehören ebenfalls zu den Spottversen, auf welche Julian im Misopogon nicht eingeht. Der Kerkops, den Ammian als homo brevis näher beschreibt, ist eine Figur, die in verschiedenen Versionen in der griechischen Mythologie auftaucht. In jedem Fall handelt es sich dabei um Störenfriede; bei Ovid sind sie entsetzlich behaart und haben Stummelbeine. 370 Ob die Antiochener diese Version 367 Siehe Abb. 1. Die Illustration entstammt wahrscheinlich einem Maler aus dem Umfeld des «Maître aux piedsbots» oder aus dem Atelier von Jean Pérreal, Maler am Hof von Ludwig XII. Sie ist durch eine Beischrift ergänzt, die auf die eitle Prahlerei und Heuchelei verweist (Simia purpurata Inanem gloriam [et] hypochrisim praefigurans), und referiert damit sehr wahrscheinlich auf den Spruch bei Erasmus. Die Zeichnungen wurden in der Woodner Family Collection aufbewahrt, einige, darunter fol. 36 verso mit dem simia purpurata, befinden sich im Besitz der National Gallery of Art. Zum Manuskript siehe MASSING 1990 (Du texte à l'image), 284–285 (8A); SCHAB 1973 (Woodner Master Collection II); zur spezifischen Illustration siehe MASSING 1995 (Erasmian Wit and Proverbial Wisdom), 97 f.. Die Zeichnung ist frei zugänglich unter https://www.nga.gov/collection/art-objectpage.86042.html#inscription. 368 Vgl. oben S. 36. 369 Amm. 22,14,3 (Übers. Seyfarth): ridebatur enim ut Cercops homo breuis umeros extentans angustos et barbam prae se ferens hircinam grandiaque incedens tamquam Oti frater et Ephialtis, quorum proceritatem Homerus in immensum extollit, itidemque uictimarius pio sacricola dicebatur ad crebritatem hostiarum alludentibus multis et culpabatur hinc opportune, cum ostentationis gratia uehens licenter pro sacerdotibus sacra stipatusque mulierculis laetabatur. et quamquam his paribusque de causis indignaretur, tacens tamen motumque in animi retinens potestate sollemnia celebrabat. 370 Vgl. GLEASON 1986, 113. 97 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis vor Augen hatten, ist nicht bekannt; passend wäre sie für den bärtigen und auch bei Ammian nachweisbar eher kurzgewachsenen Kaiser allemal. 371 Dass sich Julian zudem grösser machte, als er war, und der Vergleich mit den für ihre enorme Grösse bekannten homerischen Figuren Otus und Ephialtes, ist zudem eine Schmähung, die sich im karnevalesken Kontext wohl auch besonders zur Nachäffung eignete. 372 So attackierten die Antiochener mit solchen Ausdrücken die auctoritas des Kaisers, indem sie ihn als behaarte, affenartige Imitation eines Menschen imaginieren. Spott am Hof Neben der Frage, wie Julian verspottet wurde, muss auch untersucht werden, wo und von welchen Gruppen dieser Spott geäussert wurde. Folgt man Ammian, so scheint der Hof von Constantius ein sehr früher Brutplatz für Diffamierungen Julians gewesen zu sein. Julian wusste von diesen Machenschaften am Hof. 373 Der Bart, der Julian vor seiner Erhebung zum Caesar am Hofe des Constantius abrasiert wurde, war ihm offenbar nachgewachsen, vielleicht erinnerte man sich am Hof aber einfach noch an den Philosophenbart, den der junge Julian von Athen mitbrachte. An die Episode der Rasur erinnerte sich Julian auch auf seinem späteren Feldzug gegen Constantius noch genau, und er liess auch die Athener in seinem Schreiben an ihre Stadt davon wissen: «Wenig später aber, als <der Kaiser wieder> in der Nähe war (da sich auch die Sache mit Silvanus erledigt hatte), wurde <mir> schliesslich Zugang zum Hof gegeben, und die sprichwörtliche ‹Thessalische Überzeugung› <auf mich> angewendet. Denn da ich mich standhaft dem Beziehungsnetz im Palast entzog, versammelten sie sich wie in einem Friseursalon, schnitten <mir> den Bart ab, zogen <mir> einen Mantel an und verwandelten <mich> so, wie sie damals dachten, in einen höchst lächerlichen Soldaten. Denn nichts von dem Firlefanz der Ausgestossenen passte zu mir; ich ging ja nicht wie jene einher, umherschauend und stolzierend, sondern mit dem Blick zur Erde, wie es mir angewöhnt worden war von dem Betreuer, der mich erzog. Nun, damals zog ich ihren Spott auf mich, wenig später aber ihr Misstrauen, <und> schliesslich entflammte entsprechend grosser Neid.» 374 371 Amm. 22,2,5. Nach HAWKINS 2014, 293 f., ist der Vergleich mit cercopes ein traditionelles Element der jambischen Dichtung und geht bis auf Archilochos zurück; auch bei Cassius Dio und Lukian finden sich solche Vergleiche. Die Antiochener hätten so eigenständig ein traditionelles jambisches Thema mobilisiert. Die spöttische Verbindung einer besonders starken Behaarung mit groben mythischen Gestalten, die man sich affenartig dachte, ist aber auch für den Usurpator Firmus belegt, der den Namen Cyclops getragen haben soll: SHA quadr. tyr. 4,1; siehe DEMANDT 1997, 111. 373 Dies ist einem Brief an seinen Freund und Leibarzt Oreibasios zu entnehmen, in dem er sich über die Hofintrigen gegen ihn beschwert: Iul. epist. 20, 384 D. Auch in seinem Brief an die Athener nennt er das «Mannweib», den Kämmerer und Küchenchef des Constantius, womit der Hofeunuch Eusebius gemeint ist, als Hofintrigant, der auch für den Tod seines Bruders Gallus verantwortlich gewesen sei: Iul. or. 5 (ad Ath.) 272 C. 374 Iul. or. 5 (ad Ath.) 274 B–D (Übers. Stöcklin-Kaldewey): Μικρὸν δὲ ὕστερον ἐπελϑόντος τούτου (καὶ γάρ τοι καὶ τὰ περὶ Σιλουανὸν ἐπέπρακτο), λοιπὸν εἴσοδός τε εἰς τὴν αὐλὴν δίδοται, καὶ τὸ λεγόμενον ἡ ϑετταλικὴ 372 98 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis Münzbilder aus dieser Zeit zeigen Julian noch ohne Bart, 375 doch hielten sich diese Möglicherweise einfach noch an die gängige Ikonographie eines jungen Caesars; es ist gut vorstellbar, dass sich Julian bereits auf seinen gallischen Feldzügen zumindest einen kurzen Soldatenbart wachsen liess. Doch auch wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, assoziierte man Julian mit einem langen Bart, der wiederum auf seine frühere Betätigung als Philosoph verwies. Julian hatte also offensichtlich einigen Groll gegenüber dem kaiserlichen Hof angestaut. Die Situation muss daher ziemlich angespannt gewesen sein, als Julian diesen Hofstaat mit seinem Aufstieg zum Augustus und dem Tod des Constantius, spätestens aber bei seiner Ankunft in Konstantinopel am 11. Dezember 361, übernahm. Diese Spannung entlud sich, als Julian nur kurz nach seiner Ankunft in der östlichen Hauptstadt eine grundlegende Hofreform durchführte, die sich insbesondere in der Entlassung etlicher Bediensteter äusserte. Nach Ammian war es ein Friseur, der bei Julian den letzten Strick reissen liess: Die prachtvolle Kleidung, und den völlig übertriebenen Lohn des Friseurs, nach dem sich Julian bei ihm erkundigte, waren ihm Anlass genug, sämtliche der überteuerten Diener, darunter vor allem die Friseure und Köche, zu entlassen. 376 Friseure und Köche erwähnt auch Libanios explizit unter der Unmenge nichtsnutziger Diener, darunter auch die Tafeldiener und die Eunuchen, die Julian aus dem Palast vertrieb. 377 Neben den erwartbar positiven Darstellungen bei Ammian und Libanios veranlasste die Säuberungsaktion auch unerwartete Reaktionen bei späteren, christlichen Autoren: Sokrates erwähnt ebenfalls die Entlassung von Eunuchen, Friseuren und Köchen. 378 Dabei habe Julian auch den besonders verhassten Eunuchen Eusebius zum Tode verurteilen lassen. 379 In diesem Vorgehen sieht Sokrates eine Verletzung der maiestas des Kaisers: Die Friseure und Köche zu vertreiben, wäre an sich für einen Philosophen löblich, für einen Kaiser gehöre sich dies jedoch nicht. Einen weiteren Verweis auf die Entlassung der Friseure und Köche findet sich schliesslich beim byzantinischen Historiker Zonaras, womit die περιβάλλεται πειϑανάγκη. Ἀρνουμένου γάρ μου τὴν συνουσίαν στερεῶς ἐν τοῖς βασιλείοις, οἱ μὲν ὥσπερ ἐν κουρείῳ συνελϑόντες ἀποκείρουσι τὸν πώγωνα, χλανίδα δὲ ἀμφιεννύουσι καὶ σχηματίζουσιν, ὡς τότε ὑπελάμβανον, πάνυ γελοῖον στρατιώτην. Οὐδὲν γάρ μοι τοῦ καλλωπισμοῦ τῶν καϑαρμάτων ἥρμοζεν· ἐβάδιζον δὲ οὐχ ὥσπερ ἐκεῖνοι περιβλέποντες καὶ σοβοῦντες, ἀλλ’ εἰς γῆν βλέπων, ὥσπερ εἰϑίσμην ὑπὸ τοῦ ϑρέψαντός με παιδαγωγοῦ. Τότε μὲν οὖν αὐτοῖς παρέσχον γέλωτα, μικρὸν δὲ ὕστερον ὑποψίαν, εἶτα ἀνέλαμψεν ὁ τοσοῦτος φϑόνος. Zur antiken Redewendung der «thessalischen Überzeugung» im Sinne einer «Überredung unter Androhung von Gewalt» siehe REBENICH 1993 (He Thettalike peithanagke). Zum auf den Boden gerichteten Blick vergleiche sein ebenso geschildertes Verhalten im Misopogon siehe oben, S. 74. 375 Siehe Abb. 2. 376 Amm. 22,4,9–10. 377 Lib. or. 18, 130. 378 Sokr. h.e. 3,1,50–52. Als Grund für die Entlassung der Eunuchen soll Julian den Tod seiner Frau angegeben haben. 379 Sokr. h.e. 3,1,43–49. Dies ist in den Augen des Sokrates ein kalkuliertes Mittel zur Steigerung seiner Popularität gewesen, da die Bevölkerung Konstantinopels unter den Gewalttätigkeiten der Eunuchen unter Eusebius gelitten hätten. Zudem habe Julian Eusebius immer noch für den Tod seines Bruders Gallus verantwortlich gemacht (vgl. Iul. or. 5 (ad Ath.) 4. 272 C). 99 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis Erinnerung an Julians Hofreform bis ins 12. Jahrhundert belegt ist. Er scheint sich auf eine Tradition zu berufen, die Elemente von Ammian und Sokrates vereint: Einerseits erboste sich Julian über die luxuriöse Kleidung der Friseure und Köche; andererseits interpretiert Zonaras die Episode als Ausdruck von Julians Philosophentum. 380 Dass Julians Hofreform an sich von verschiedenen Autoren grundsätzlich positiv bewertet wird, hängt damit zusammen, dass bei dessen Vorgänger Constantius von den Zeitgenossen ein «Eunuchen-Problem» konstatiert wurde. 381 Für die Bewunderer und die Schmäher Julians drückte sich in seinen Reformbemühungen in erster Linie eine philosophische Gesinnung aus; dies wird Julian wohlwollend hingenommen haben. Doch hinter den Entlassungen steckt freilich mehr: Sie waren höchstwahrscheinlich hochgradig machtpolitisch und finanziell motiviert: Einerseits entledigte sich Julian wohl nicht nur der Köche, Sekretäre und Friseure, sondern auch wesentlich einflussreicherer Personen, denen er nicht vertraute oder die ihm offen feindselig gegenüberstanden. Daneben sparte Julian wohl durch die Verkleinerung des Hofstaates tatsächlich auch eine Menge Geld. Askese mag eine Rolle gespielt haben, doch Julian hatte auch einen Perserkrieg zu finanzieren. Es lassen sich Hinweise finden, dass Julian tatsächlich finanzielle Probleme zu bewältigen hatte, was sich etwa auch in einer gewissen Knausrigkeit gegenüber seinen Soldaten ausdrückte. Um glaubwürdig zu bleiben, musste er vor allem gegenüber dieser wichtigen Gruppe die Demonstration von Prunk und Luxus vermeiden. Spott im Heer Die Gunst der Soldaten stand für Julian, der sich gerne als Haudegen und beliebter militärischer Anführer inszenierte, in Wahrheit wohl öfters auf Messers Schneide. Ammian, der Julian gerne als erfolgreichen Militär darstellt, überliefert eine für den Caesar Julian unangenehme Situation, in der seine Soldaten in Gallien beinahe meuterten, nachdem ihnen aufgrund einer von Julian fehlgeleiteten Versorgung der Proviant ausging. 382 Im Zuge des Aufruhrs nannten sie Julian unter anderem einen «Asianer» [Asianus], ein «Griechlein» [Graeculum] und einen «Dummkopf unter dem Deckmantel der Wissenschaft» [specie sapentiae stolidus]. Dies sind alles Verweise auf seine östliche Herkunft und auf seine griechische Ausbildung. Damit stehen sie in enger Verbundenheit zu dem Spott am Hof des 380 Zon. 3,12: Einerseits erzählt er die Episode des übertrieben gut gekleideten Friseurs, auf den Julian mit dem Ausspruch reagiert haben soll, er habe nach einem Friseur, keinem Senator gerufen. Auch die Kleidung eines Kochs sei Julian negativ aufgefallen, worauf er diesen mit seinem herbeigerufenen persönlichen Koch vergleichen liess. Auf seine Frage, welcher der beiden denn nun wie ein Koch aussehe, fiel die Wahl der Anwesenden auf den weniger luxuriös gekleideten, worauf Julian den anderen entliess. 381 Amm. 21,16,16 schreibt, dass Constantius in höchstem Grad den Frauen, Eunuchen und anderen Höflingen hörig war. Dies kritisiert er auch bereits im Zusammenhang mit dem höfischen Spott gegen Caesar Julian. Auch Claudius Mamertinus (Paneg. lat. 3 (11), 19,3–4) polemisiert in seinem Panegyrikus auf Julian offen über den verruchten Kreis der Höflinge, der aus Frauen oder den in seinen Augen unmenschlichen, unnatürlichen Eunuchen bestand, die «bis vor kurzem» die guten Männer vom Hof verdrängten. Vgl. auch Paneg. lat. 3 (11), 11, zur Verschwendung der bisherigen Kaiser bzw. Iul. or. 5 (ad Ath.) 4. 272 C, wo sich Julian selbst über das «Mannweib» Eusebius beschwert (siehe oben, Anm. 373). 382 Amm. 17,9,3–7. 100 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis Constantius, wo Julian ebenfalls aufgrund seiner östlichen Herkunft und Bildung verspottet wurde. 383 Einen der Spottverse übernimmt Ammian sogar in seiner vollen Länge: Darin kommt die Beschwerde über die brutalen Bedingungen bei Schnee und Frost zur Geltung, zu der jetzt noch der Hunger dazukommt. Dazu wird auch der schon lange ausbleibende Sold beklagt. 384 Dass Ammian gerade in dieser Hinsicht der Kritik an seinem Helden solchen Raum gibt, ist auffällig. Er bezeichnet die Klagen der Soldaten auch als angemessen, da sie tatsächlich erschöpft gewesen waren und nicht ausreichend entlohnt wurden. Julian habe unter Geldsorgen gelitten, da Constantius ihm aus böser Absicht zu wenig Mittel zur Verfügung stellte. Die Situation wird in der besonders prekären Lage, als sich Julian zum Feldzug gegen seinen ehemaligen Patron entschloss und ihm der Geldhahn vollends zugedreht wurde, nicht besser gewesen sein. Bezeichnend ist die von Ammian im selben Zusammenhang überlieferte Episode, in der Julian von seinem durch Constantius eingesetzten Notar gerügt wurde, als er einem Soldaten eine Münze gab, damit sich dieser den Bart scheren konnte. 385 In dieser Hinsicht könnte die betont asketische Lebensweise, die Julian bereits als Caesar demonstrativ vorlebte, auch ein Mittel gewesen sein, um die Stimmung unter den Soldaten nicht noch zu verschlechtern und sich mit ihnen als Opfer der kaiserlichen Finanzpolitik zu inszenieren. Ob Julians Plan aufging, bleibt unklar; am Ende oblag es den Soldaten, den Habitus ihres Caesars zu lesen und zu interpretieren. Julian hatte wenig Kontrolle darüber, wie sein Körper von den Soldaten gelesen wurde; im Falle von Unzufriedenheit wurde er zu einem graeculum reduziert. Inwiefern dabei die Gefolgsmänner des Constantius, die dieser seinem Caesar zur Seite stellte, eine Rolle gespielt haben, muss offenbleiben; doch die Möglichkeit einer Verbindung besteht allemal. 386 Spott in der Stadt Es ist sehr gut vorstellbar, dass Julian nach langen Jahren der Diffamierung und Intrigen gegen ihn nicht ohne eine gewisse Genugtuung den Hof von seinen Widersachern säuberte. Doch wie sich zeigen sollte, brach der Spott auf den Kaiser dadurch nicht ab, sondern erreichte in der Stadt Antiochia sogar einen 383 Die Begriffe asianus und graeculus waren im Gegensatz zur attischen Schlichtheit im Sinne einer hochmütigen, orientalisierenden Gesinnung sehr negativ bedacht; siehe SEYFARTH 1978–1983 (Ammianus Marcellinus), 311. Es ist fraglich, inwiefern Constantius, der mit Julian verwandt war, der ebenfalls aus Illyrien stammte und zumindest eine rudimentäre griechische Bildung genoss, damit nicht auch beleidigt worden wäre; es darf aber davon ausgegangen werden, dass die Spötter am Hof genug in der Heuchelei geübt waren, um zu wissen, wie weit sie diesbezüglich gehen durften. 384 Amm. 17,9,4–5: ‹Quo trahimur spe meliorum abolita olim quidem dura et perpessu asper- rima per niues tolerantes et acumina crudelium pruinarum? sed nunc (pro nefas!) cum ultimis hostium fatis instamus fame ignauissimo mortis genere tabescentes. et ne qui nos turbarum existimet concitores, pro uita loqui sola testamur non aurum neque argentum petentes, quae olim nec contrectare potuimus nec uidere, ita nobis negata, uelut contra rem publicam tot suscepisse labores et pericula confutatis!› 385 Amm. 17,9,6–7. Dabei handelte es sich womöglich um eine Form der depositio barbae eines jungen Soldaten. Der Notar Gaudentius wurde Julian von Constantius als Spion mitgegeben. Julian liess ihn später hinrichten (Amm. 22,11,7). 386 Zu Constantius’ Misstrauen, seiner Spionage und den Einschränkungen von Julians Handlungsspielraum siehe BROWNING 1975, 72–74. 101 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis neuen Höhepunkt. Viele der Spottverse, die Julian als Kaiser über sich ergehen lassen musste, dürften ihm bereits von früher bekannt gewesen sein. So lassen sich etwa die – später von Ephraem aufgenommenen – Ziegenbock-Vergleiche, denen sich die Antiochener bedienten, bereits am Hof des Constantius nachweisen. Gewisse Verbindungslinien lassen sich auch zwischen dem höfischen Spott und demjenigen von Julians Soldaten, der auf dessen griechische Herkunft abzielt, ziehen. War der Spott ursprünglich noch auf das Umfeld des regierenden Kaisers begrenzt, scheint Julian nun mit breit gesätem öffentlichem Spott konfrontiert zu sein. 387 Dies wirft die Frage auf, ob es zwischen den Hofintrigen und dem populären Spott auf den Kaiser einen Zusammenhang gegeben hat – entweder in Form einer Diffusion von elitären in populäre Kreise oder gar in Form einer gezielten Schmutzkampagnen von Julians politischen Gegnern, die besonders erfolgreich verlief. 388 Allein die Feststellung der sich ähnelnden Schmähungen am Hof, Heer und in Antiochia ist freilich noch kein Beweis für eine elitäre Manipulation der wütenden Antiochener, zumal auch andere Kaiser vor Julian wurden als Ziegenböcke verspottet wurden. 389 Hinweise zu antiken Theorien über gezielte Spottkampagne lassen sich bei Libanios finden, der sich aber explizit dagegen ausspricht. Libanios verfasste zum Anlass des Abzugs Julians aus Antiochia gleich zwei inhaltlich parallele Reden: Oratio 15, die Gesandtschaft an Julian, und oratio 16, An die Antiochener über die Wut des Kaisers. Zwei unterschiedliche Perspektiven einnehmend, versuchte Libanios verzweifelt, die beiden Parteien wieder zu versöhnen. 390 Seine Strategie beruht dabei im Wesentlichen darauf, den Spott auf den Kaiser als peripheres, randständiges Phänomen darzustellen: In seiner Scheltrede an die Antiochener (oratio 16) spricht Libanios lediglich von Einzeltätern, die den Kaiser beleidigten: Nur eine Handvoll Bettler, Verbrecher und Beutelschneider seien es gewesen, die den Kaiser durch ihre Respektlosigkeit und Frechheit verärgerten. Die eigentliche Schuld, die sich die Antiochener aufgeladen haben, läge darin, dass sie sich nicht zusammenrauften und diese Gruppe von Denunzianten ordentlich aufrieben. 391 Gleichzeitig bittet Libanios in seinem Schreiben an den Kaiser um Vergebung für die Geschehnisse auf dem Markt; der Spott im Hippodrom sei aber lediglich auf einige Schurken zurückzuführen, die angeblich 387 Julian verweist mehrfach auf die öffentlichen Plätze und das Theater als Räume, in denen die Majestätsbeleidigung besonders grassiert; siehe oben S. 75. 388 Ziel politischer Schmutzkampagnen ist es häufig nicht, die geäusserten Vorwürfe zu beweisen, sondern vielmehr den Gegner dazu zu bringen, sich dazu zu äussern. So gesehen wäre die Verfassung des Misopogon ein durch die Gegner Julians gezielt herbeigeführter Fehler des Kaisers gewesen. 389 Sueton erwähnt im Zusammenhang mit einer Beschreibung von Caligulas aussehen, dass dieser trotz Kahlheit am ganzen restlichen Körper besonders haarig war (hirsutus cetera). Deswegen konnte es für jemanden tödlich enden, wenn er in Anwesenheit des Kaisers das Wort «Ziege» (capra) in den Mund nahm (Suet. Cal. 50,1). Auch Tiberius wurde öffentlich als «alter Ziegenbock» geschmäht, der «den Ziegen ihre Schamteile leckt» (hircum vetulum capreis naturam ligurire) – wobei hier weniger das Äussere des Kaisers, sondern die Verbindung von Tiberius’ Alterssitz Capri mit den Ziegen (caprae) den Witz ausmacht (Suet. vit. Tib. 45). 390 Sokr. h.e. 3,17,7–8 erwähnt die zwei Reden von Libanios, versichert aber, dass beide nie öffentlich vorgetragen wurden. 391 Lib. or. 16, 28–33. Damit lässt Libanios aber auch implizit durchblicken, dass der Kaiser selbst nicht auf diese Beleidigungen hätte reagieren sollen; vgl. oben S. 77. 102 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis kurz davor sind, gefasst und bestraft zu werden. 392 Die Gegenüberstellung der Situation auf dem Markt und im Hippodrom wird von Julian im Misopogon so nicht wiedergegeben, der zwischen dem Spott auf dem Markt und bei den Spielen keinen Unterschied macht. Das Ziel von Libanios ist es hier einerseits, die Schmähungen am Kaiser auf eine kleine Gruppe zu beschränken, und andererseits, diese als Bande von Verbrechern hinzustellen, um so die oberen Schichten Antiochias aus dem Schussfeld zu nehmen. Die Glaubwürdigkeit dieser Aussagen schwächelt freilich sehr am Eigeninteresse von Libanios. Der Abzug des Kaisers dürfte in Antiochia gewiss gemischte Gefühle hinterlassen haben. Seine Gegner werden sich gefreut haben, doch der drohende Statusverlust Antiochias als kaiserliche Residenzstadt in Syrien muss für die Eliten der Stadt tatsächlich bedrohlich gewirkt haben. Vor allem für den gebürtigen Antiochener Libanios brach mit der Abreise des Kaisers eine Welt zusammen, denn er hatte sich von der Anwesenheit des religiös gleichgesinnten Kaisers in seiner Heimatstadt viel erhofft. 393 So versuchte er, die Stadt für Julian wieder attraktiver zu machen, indem er den öffentlichen Spott auf kleine randständige Verbrecherbanden begrenzte, die zu besonderen Anlässen und lokal begrenzt zuschlugen. In dem Sinne wäre natürlich auch die antiochenische Elite von den Verfehlungen ausgenommen, die sich ja unterdessen auf die Suche nach den Tätern gemacht habe. Tatsächlich lässt aber bereits die Lektüre des Misopogon Libanios’ These zweifelhaft erscheinen. Julian selbst prangert die «Ratsherren» an, die die Spässe der Volksmassen finanzierten. 394 Zudem erwähnt er stadtweite Pamphlete, die sich gegen den «elenden Bart und seinen Träger» richten. 395 In diesem 392 Lib. or. 15, 75. Libanios war sich sehr bewusst, wie wichtig es für Antiochia war, in der Gunst des Kaisers zu stehen. Da er durch Geburt, Ausbildung und Beruf eng mit der kurialen Klasse von Antiochia verbunden war, hatte der Sophist ein Interesse daran, den reibungslosen Ablauf des kaiserlichen Aufenthaltes sicherzustellen; vgl. MARCONE 2020, 336. 394 Iul. or. 12 (mis.), 342 B–C. Vgl. auch SZIDAT 1981 (Zur Wirkung und Aufnahme der Münzpropaganda (lul. Misop. 355 d)), 27 f., der Libanios’ Aussagen keine Glaubwürdigkeit schenkt, da der Kaiser die Antiochener in ihrer Gesamtheit anspricht; er vermutet ebenfalls Hintermänner am Werk, da die Schmähungen zu verbreitet sowie thematisch zu einheitlich und eine zu gezielte Antwort auf dessen eigene Vorstellungen waren, um als spontane Äusserungen des populus gelten zu können. Er vermutet Kleriker und Kurialen als Drahtzieher für die Schmähreden, die sich geschickter Personen der unteren Volksschichten als Mittelsmänner bedienten. 395 Iul. or. 12 (mis.), 364 B. 393 103 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis Zusammenhang droht er auch ziemlich direkt allen Verfassern, Verbreitern und Lesern dieser Lästerungen mit Strafen. 396 Hinweise auf organisierten Spott finden sich auch beim Kirchenhistoriker Theodoret, der davon berichtet, dass Julian die Anführer eines Zuges verhaften liess, der ihn verspottete. 397 Noch eindeutiger ist jedoch eine Episode, in der eine gewisse Diakonissin namens Publia ihren Jungfrauen-Chor mehrfach zu Spottgesängen auf den Kaiser anleitet, worauf Julian die Frau zusammenschlagen liess. 398 Auch wenn solche Berichte tendenziös sind, sind es mögliche Hinweise auf zumindest teilweise organisierten Spott durch einflussreiche Personen. Davon scheint Julian die Spottverse der Menge jedoch zu unterscheiden, denn diesbezüglich relativiert er seine Drohungen sogleich, wenn er im Gegensatz zu den Pamphleten die Schmähungen, die «privat und öffentlich» geäussert werden, gewähren lassen und explizit keine Gewalt oder Gefängnisstrafen anwenden will. 399 Handelte es sich bei dem Spott auf Julian um ein allgemeines Massenphänomen, wäre es unwahrscheinlich, dass sich dieser nur auf den Raum Antiochia beschränkte. 400 Und tatsächlich lassen sich auch Hinweise auf Spott in anderen Städten ausfindig machen. Ammian berichtet von einer Reihe von Gerichtsverfahren wegen Majestätsbeleidigungen (maiestatis crimen) in der Stadt Ankyra, denen Julian gezwungenermassen als Richter vorstand. 401 Sozomenos berichtet über den Hass Julians gegen die Stadt Caesarea. 402 Libanios warnt Julian zudem davor, dass er von den Bewohnern der Stadt Tarsos, in der Julian nach erfolgreichem Perserfeldzug zu residieren plante, 403 keine andere Behandlung als von den Antiochenern erwarten würde: Beinahe vorwurfsvoll erscheint seine rhetorische Frage, ob denn der Kaiser, falls auch in Tarsos eine freche Bemerkung fallen sollte, gleich wieder in die nächste und dann übernächste Stadt weiterziehen wolle. 404 Zugleich spricht Libanios in seiner Scheltrede an die 396 Iul. or. 12 (mis.), 364 A–B; vgl. auch Iul. or. 12 (mis.), 366 C. In dieser bedrohlich wirkenden Anschuldigung scheint der sonst so ironische Ton des Misopogon zurückzutreten, indem alle, die sich an der Verbreitung und sogar am passiven Anhören der (scheinbar laut vorgelesenen) Pamphlete beteiligen, eines Verbrechens schuldig gemacht werden. GIEBEL 2016, 69, Anm. 128 bzw. 108, Anm. 206 vermutet ein Gesetz gegen libelli famosi, öffentlich verbreitete, meist anonyme Schmähschriften, auf das sich Julian bereits in seinem Proömium bezieht, wenn er erwähnt, dass es ihm gesetzlich verboten sei, seine Gegner öffentlich anzugreifen. Nach dem Gesetz seien nicht nur der Verfasser, sondern auch die Verbreiter unter Strafe gestellt gewesen. Schmähungen gegen den Kaiser waren ein crimen laesae maiestatis, welche insbesondere bei den christlichen Kaisern nach Julian streng bestraft wurden, bis hin zur Todesstrafe. So drohte etwa nach einem Gesetz des christlichen Kaisers Valens 365 jedem die Todesstrafe, der anonyme Schmähschriften nicht sofort ungelesen verbrannte. 397 Theod. h.e. 3,11. 398 Theod. h.e. 3,19. 399 Iul. or. 12 (mis.), 364 B–C. Damit weist der Kaiser nicht zum ersten Mal auf seine besondere Milde hin, die er nun in Anbetracht der eigentlich bestrafungswürdigen Majestätsbeleidigungen walten lässt. 400 Auch eine zeitliche Einschränkung des Spotts auf die Kalenden des Januars würden zumindest Julians Aufenthalte in Konstantinopel 362/3 bzw. in Vienne 361/2 miteinschliessen – die zahlreichen Feste, die Julian als Caesar in Gallien erlebte, nicht miteingerechnet. 401 Amm. 22,9,8–12. 402 Soz. 5,4,1–3. 403 Iul. or. 12 (mis.), 364 D. 404 Lib. or. 15, 77: ἀλλ᾿ εἰσὶν οἳ δυσχεραίνουσί τι τῶν σῶν. καὶ γὰρ πατέρας τινές. γένοιτ᾿ ἂν οὖν τι πατέρων γλυκύτερον; περὶ δὲ Ταρσέων, ὦ βασιλεῦ, πῶς ἔχεις; οὐδεὶς ἐκείνων ἀγροικότερόν τι φθέγξεται; καὶ τίς ἐγγυᾶται 104 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis Antiochener auch von dem Gerücht, dass die wenigen Spötter Julians gar keine Bürger Antiochias gewesen seien. 405 Wiederum steht Libanios’ Aussage im Widerspruch zu Julians: Im Misopogon entrüstet sich Julian darüber, dass die Antiochener ihre Nachbarsstädte verleumden, indem sie behaupten, dass die Spottverse in Wirklichkeit von da stammen. Julian verteidigt diese Städte, die dem alten Glauben treu geblieben seien. 406 Trotz aller Vorbehalte, die man gegen eine Eingrenzung von populärem Spott gegen Julian auf Antiochia haben sollte, lassen die Quellen vermuten, dass Antiochia eine besonders berüchtigte Spott-Kultur hatte. 407 Nach Sokrates seien die Antiochener natürlich zu Beleidigungen veranlagt. 408 Auch kam es nach Julian noch öfters zu Konflikten zwischen Stadt und Kaiser: Eunapios überliefert Spottverse der Antiochener gegen den schönen, aber unheilbringenden Jovian. 409 Malalas berichtet, dass Kaiser Licinius während eines letzten Besuchs im Hippodrom Antiochias von der Menge verschmäht wurde, weil er der Stadt trotz seiner Ausrufung zum Kaiser nichts geschenkt hatte. Dies ging für die Antiochener nicht gut aus; der erboste Kaiser liess seine Soldaten glatt auf die Menge schiessen, wodurch 2000 Leute umkamen. 410 Inwiefern Julians einflussreiche Feinde ihre Hand bei dem antiochenischen Desaster im Spiel hatten, lässt sich nur unzureichend ermitteln. Auf der anderen Seite hatte Julian sich wohl unterdessen bereits viele Feinde in der Elite der Stadt, aber auch in den eigenen Reihen gemacht. Dass solche Kräfte die Unzufriedenheit der Bevölkerung noch zusätzlich anheizten, ist gut vorstellbar. Jedoch lässt sich nicht bestreiten, dass Julian in seinem Auftreten selbst bereits genug Angriffsfläche für die städtische Bevölkerung Antiochiens bot: Sein im Kontrast zu seinen Vorgängern ungepflegt anmutendes Äusseres, seine übertriebene Askese und sein herablassender Tadel über den kulturellen Zerfall der Stadt bot reichlich Material für eine ohnehin bereits unzufriedene, von Nahrungsmittelkrisen gebeutelte Stadtbevölkerung. χρησμός; τί οὖν, ἂν ἐκδράμῃ τι ῥῆμα χαλκοτύπον ἢ σκυτοτόμον, ἢ ὃ τοὺς τοιούτους εἰκός; ζητήσεις πόλιν ἑτέραν καὶ πάλιν ἄλλην; καὶ τὸ ποῦ δεῖ σε χειμάζειν ἐν τοῖς ὑπηκόοις κείσεται; μήποτε τοσοῦτον ἰσχύσαιμεν. ἀλλ᾿ ἐγκάθιζε τοῖς μὲν βουλομένοις ὡς εὐφραίνων, τοῖς δὲ οὐκ ἐθέλουσιν, ὅπως μάθωσιν ἐθέλειν. δεῖ γὰρ τοὺς μὲν ἑκόντας γνώμῃ, τοὺς δὲ ἄκοντας ἀνάγκῃ τὰ δέοντα ποιεῖν. 405 Lib. or. 16, 33. 406 Iul. or. 12 (mis.), 361 A 407 PFEILSCHIFTER 2013, 51 spricht von einem ausgeprägten städtischen Selbstbewusstsein der Antiochener, das nur wenig Toleranz für die Zumutungen des Untertanendaseins unter einem Herrscher erlaubte. Dieses antiochenische «Wir»-Gefühl habe die Bemühungen der dort residierenden spätantiken Kaiser verhindert zu einer Polarisierung der Bürgerschaft zu ihrem Vorteil durchgehend verhindert. 408 Sokr. h.e. 3,17,1–10. 409 Eun. frg. hist. 29,1. 410 Ioh. Mal. 12,49. 105 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis Die vielen Gesichter Julians Während Julian von der breiten Bevölkerung und seinen Feinden aufs Korn genommen wurde, bemühte sich die Julian-freundliche Tradition, ein Kaiserbild zu formen, das zumindest den Ansprüchen der gebildeten Elite genügen sollte. Dabei lassen sich bestimmte Aspekte ausmachen, die besonders gehäuft und häufig im Verbund auftreten. Besonders die unterschiedlichen Autoren Ammian, Libanios und Claudius Mamertinus formten dieses Bild des Kaisers, das ihn als besonders rüstigen, asketischen Kämpfer darstellt und folgten dabei den Bildern, die auch Julian von sich selbst vermittelte. Doch während man sich relativ gut auf einige Tugenden des Kaisers einigen konnte, scheint das praktische Verhalten des Kaisers dieselben Autoren zuweilen auch zu überfordern. Zugleich offenbarten sich abseits des elitären Diskurses in der einfachen Bevölkerung noch einmal ganz andere Probleme in Bezug auf die kaiserlichen Auftritte. Im Folgenden werden diese verschiedenen Aspekte von Julians Habitus und deren Niederschlag in den zeitgenössischen Quellen näher beleuchtet. Ein asketischer Soldatenkaiser Kriegerische Leistung und soldatische Zähigkeit nehmen im Misopogon eine grosse Rolle ein. Dass Julian generell ein Auge für das Soldatentum hatte, zeigen auch seine Schriften, die er bereits als Caesar in Gallien verfasste: In den beiden Panegyriken an seinen Vetter Constantius werden dessen soldatische Tugenden von Julian auffällig hervorgehoben. In seinem ersten Panegyrikus widmet Julian eine überraschend lange und detaillierte Passage dem körperlichen Regime des Augustus: Er erinnert an die Erziehung des Constantius, dem seit Knabenalter ein starker, muskulöser, gesunder und schöner Körper antrainiert worden sei. Während er durch literarische Studien seinen Geist stärkte, trainierte er seinen Körper durch angemessene Gymnastikübungen. Doch Julian vertieft die Thematik noch weiter und unterscheidet dabei reine Athletik von kriegerischen Übungen, indem er darauf verweist, dass sich Constantius nicht mit Übungen aufgehalten habe, die nur zur öffentlichen Zurschaustellung geeignet waren; denn was von den professionellen Athleten als die bestmögliche Kondition bezeichnet werde, habe Constantius als für einen Kaiser, der sich realen Kämpfen stellen muss, ungeeignet betrachtet. Ein solcher müsse sich dagegen mit wenig Schlaf und Nahrung abfinden – in variabler Menge, Qualität und Häufigkeit – da er seine freie Zeit den militärischen Leibesübungen widmen muss: Tanzen und Laufen in schwerer Rüstung und Reiten, bis er sich sowohl als Hoplit in Sachen Stärke, Schnelligkeit und Leichtfüssigkeit sowie auch als Reiter mit allen messen konnte, und freilich wurde auch das Bogenschiessen geübt. 411 Dieselbe Vorbildfunktion gegenüber den Soldaten wird auch im zweiten Panegyrikus Julians an Constantius betont. Darin zählt Julian zu den Eigenschaften eines wahren Herrschers 411 Iul. or. 1 (Const.), 10 C–11 C. 106 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis die Fähigkeit, seine Soldaten durch das eigene Exempel zu inspirieren, und zwar sowohl im Kampf als auch im militärischen Training zu Friedenszeiten. 412 Der ganze Panegyrikus ist durchzogen von weiteren Verweisen auf den makellosen, soldatischen Körper des Augustus. So habe sich Constantius die Härte seiner Waffen zum Vorbild genommen, wenn er sich im Krieg gegen die Parther und Meder gegen die Hitze des Sommers stählte. 413 Dank seines aktiven Lebensstils genoss Constantius zeitlebens beste Gesundheit und verfügte über eine ungewöhnliche Körperkraft. 414 Er trainierte selbst mit den Soldaten. 415 Die beeindruckende Rüstung der Kavallerie, die Constantius einführte, lehrte er sich selbst zu tragen, bevor er es seinen Soldaten beibrachte. 416 Das Interesse Julians am soldatischen Leben ist somit bereits seit seiner Zeit als Caesar bezeugt. Natürlich ist der Verweis auf die kriegerischen Leistungen eines Herrschers in einem Panegyrikus zu erwarten – insbesondere, da Julian ansonsten Mühe hatte, gemeinsame Interessen von ihm und Constantius zu finden. 417 Auch andere Autoren verweisen auf die sportlichen Leistungen des Constantius: So finden sich Ammians Beschreibung von Constantius, die in ihrer Gesamtheit wesentlich differenzierter ist, Zugeständnisse an die gute Gesundheit des Kaisers, die Ammian auf dessen Zurückhaltung beim Essen, Trinken, Schlaf und seine Enthaltsamkeit zurückführt. 418 Darüber hinaus habe es Constantius auch meisterhaft verstanden, zu reiten, den Speer zu werfen und mit Pfeil und Bogen zu schiessen; zudem sei er ein Experte der Fusstruppen-Übungen gewesen. 419 Der Geschichtsschreiber Ammian, der selber einen Grossteil seines Lebens als Soldat gedient hatte, 420 interessiert sich sehr für die militärischen Leistungen der verschiedenen Kaiser. Doch der wahre Kriegs- 412 Iul. or. 3 (De regno), 87 D–88 A. Iul. or. 1 (Const.), 13 B. 414 Iul. or. 1 (Const.), 16 A. 415 Iul. or. 1 (Const.), 21 C. 416 Iul. or. 1 (Const.), 37 B–38 A. 417 An einigen Stellen wird das Lob tatsächlich etwas zweideutig, etwa, wenn er Constantius weibliche Tugenden anrechnet: Constantius sei das beste Beispiel für Sittsamkeit, nicht nur für Männer, sondern auch für Frauen in ihrem Umgang mit Männern. Denn alles, was den Frauen bezüglich der Rechtmässigkeit der Nachkommenschaft verboten sei, verweigere sich auch Constantius (Iul. or. 1 (Const.), 46 D–47 A). Die Keuschheit ist aber ein Punkt, in dem die beiden Herrscher offenbar übereinstimmen: Vgl. die Ausführungen von Claudius Mamertinus unten, Seite 112. 418 Amm. 21,16,5–6: in uita parca et sobria edendi potandique moderatione ualetudinem ita retinuit firmam, ut raros colligeret morbos, sed eos non procul a uitae periculis. id enim euenite corporibus a lasciuia dimotis et luxu diuturna experimenta et professiones medendi monstrarunt. somno contentus exiguo, cum id posceret tempus et ratio, perque spatia uitae longissima impendio castus, ut nec † mare ministro saltem suspicione tenus posset redargui, quod crimen, etiamsi non inuenit, malignitas fingit in summarum licentia potestatum. 419 Amm. 21,16,7: equitandi et iaculandi maximeque perite dirigendi sagittas artiumque armaturae pedestris perquam scientissimus. 420 Hinweise zu Ammians Leben finden sich in seinem Geschichtswerk (vgl. etwa die sogenannten «Wir-Berichte» in den Büchern 23–25). Er diente als protector domesticus unter dem Heermeister Ursicinus in Gallien, wo er auch Julian kennenlernte, und im Osten; möglicherweise nahm er auch an Julians Feldzug gegen Sapor II. teil. Zum Leben Ammians siehe SEYFARTH 1978–1983, 15–24. 413 107 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis held ist bei Ammian ganz eindeutig Julian. Bereits als Caesar wird Julian als soldatischer Krieger charakterisiert, der auch mit den Soldaten zusammen trainiert. 421 Seine Kriegsleistungen werden dann nochmal in Ammians Darstellung über Julians Charakter und Leben zentral hervorgehoben: «Seine Tapferkeit bezeugen die häufigen Schlachten, seine Kriegserfahrung und seine Ausdauer bei furchtbarer Kälte und Hitze. Wenn man vom Soldaten körperliche, vom Feldherrn aber geistige Leistung fordert, so hat er selbst einen furchtbaren Feind mit eigener Hand in kühnem Zweikampf erledigt, und wenn die Unsrigen einmal zurückwichen, hat er sich ihnen in den Weg geworfen und sie zuweilen ganz allein aufgehalten. Die Königreiche wilder Germanen hat er zerstört und im heissen Staub Persiens in der ersten Linie gefochten und dadurch das Selbstvertrauen der Truppe gestärkt.» 422 Julian wird hier explizit nicht nur als erfolgreicher Feldherr, sondern auch als kämpferischer Soldat dargestellt, der nicht nur stoisch den Elementen trotzt, sondern auch selbst «Hand anlegt» und sich mit der Brust voran (obiecto pectore suo) in das Getümmel wirft. Auch Julian selbst trug aktiv zu dieser Lesung seiner Person bei: In seinem Brief an die Athener instrumentalisiert Julian seine militärischen Leistungen, indem er sie mit der Untätigkeit seines Feindes Constantius vergleicht: So geschah es, dass nicht wir, sondern jener triumphierte, obwohl ich kämpfte, jener aber nur umherreiste und sich nett mit den an der Ister beheimateten Völkern unterhielt. 423 Dieselbe Auslegung begegnet später auch wieder im Misopogon, wenn sich Julian als «Patroklos» des Constantius bezeichnet, der für ihn in die Schlacht geschickt wird. 424 Dieser und andere Vergleiche verweisen darauf, dass Constantius ihn statt seiner in die Schlacht gegen die Feinde in Gallien geschickt hatte. Julian wird dadurch zum kämpferischen «Macher», während der Constantius ungerechterweise von den Leistungen seines Caesars profitiert. Die Darstellung des «Soldaten Julian» wurde also von 421 Vgl. Amm. 21,2,1–2: Ammian beschreibt hier eine Szene in Paris, bei der Julian bei einer Übung, den Schild so heftig bewegt, dass dieser auseinanderfällt. Die Anwesenden waren durch dieses schlechte Vorzeichen schockiert, doch Ammian lässt Julian schlagfertig reagieren und die Situation retten. Doch die Situation bedeutete erst einmal eine prekäre Situation, da ein solches Vorkommnis als schlechtes Omen gesehen wurde, und die Ammian (oder Julian, falls er wirklich so geistesgegenwärtig und schlagfertig war) erst einmal positiv umdeuten musste. 422 Amm. 25,4,10 (Übers. Seyfarth): Fortitudinem certaminum crebritas ususque bellorum ostendit et patientia frigorum immanium et feruoris. cumque corporis munus a milite, ab imperatore uero animi poscitur, ipse trucem hostem ictu confecit audacter congressus ac nostros cedentes obiecto pectore suo aliquotiens cohibuit solus / regnaque furentium Germanorum excindens et in puluere uaporato Persidis / augebat fiduciam militis dimicans inter primos. 423 Iul. or. 5 (ad Ath.) 279 D (Übers. Stöcklin-Kaldewey): Συνέβη τοίνυν, ἐμοῦ μὲν ἀγωνισαμένου, ἐκείνου δὲ ὁδεύσαντος μόνον καὶ φιλίως ἐντυχόντος τοῖς παροικοῦσι τὸν Ἴστρον ἔϑνεσιν, οὐχ ἡμᾶς, ἀλλ’ ἐκεῖνον ϑριαμβεῦσαι. 424 Iul. or. 12 (mis.), 351 A–B: Julian ist in dieser Anspielung Patroklos, der in der Ilias für Achilles in den Kampf zog und dabei starb. Vgl. in dieser Hinsicht Amm. 20,8,6, der einen Brief Julians an Constantius erwähnt: «Seit du mich, den erwählten Cäsar, in das furchtbare Gedröhn der Schlachten jagtest […]». (Übers. Seyfarth: iamque inde uti me creatum Caesarem pugnarum horrendis fragoribus obiecisti […]) 108 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis Julian offiziell propagiert, und zumindest bei den ihm wohlgesinnten Autoren Ammian, Libanios und Mamertinus wurde diese kriegerische, soldatische Haudegenversion eines Kaisers wohlwollend aufgenommen und reproduziert. In den Beschreibungen von Ammian und Mamertinus kommt auch eine gewisse brachiale Männlichkeit zur Geltung. Zwar ist das Talent zum Kampf, die Veranlagung zum Anführer und das stoische Aushalten Beschwerlichkeiten wie Hitze und Kälte ein gängiger Topos bei der Lobpreisung herrschender Kaiser, doch bei der Julian positiv gesinnten Tradition scheint dies besonders zur Geltung zu kommen. Dies kommt besonders stark im Panegyrikus des Claudius Mamertinus 425 zur Geltung, wenn er etwa die Reaktion der Bewohner Germaniens auf den Kaiser beschreibt: «Junge Mädchen und Knaben, Frauen und Männer, zitternde Greisinnen und wankende Greise sahen nicht ohne tiefen Schauder und mit Erschütterung den Kaiser unter der Last der schweren Waffen seinen langen Weg im Lauf zurücklegen; ferner, wie der Atem des Dahineilenden ohne eine Spur von Erschöpfung schneller ging, wie Bäche von Schweiss über seinen starken Nacken strömten und wie zwischen dem starrenden Staub, der Bart und Haare bedeckt hatte, seine Augen als flammende Sterne erstrahlten.» 426 Julian ist hier ein schwitzender, schmutziger Kaiser. Eine fast schon klischeehafte, archaische Männlichkeit drückt sich in dem Bild des schwitzenden, verschmutzten Muskelprotzes mit den schönen Augen aus. Die Julian-nahe Tradition fokussiert sich damit auf die Vermittlung eines besonders «männlichen» Bildes des jungen Kaisers. Bezeichnend in dieser Hinsicht ist etwa auch die Erhebung Julians zum Augustus durch die Truppen, wie sie Ammian beschreibt: Nachdem sich die recusatio des Caesars – wie zu erwarten war – als wirkungslos erwies, stellte man fest, dass kein Diadem zur Krönung zur Verfügung stand. Also setzte eine Suche nach einem passenden Ersatz und damit ein merkwürdiges Hin und Her ein: Zuerst verlangten die Soldaten ein Stück vom Hals- oder Kopfschmuck seiner Gattin, worauf Julian jedoch darauf bestand, dass es kein gutes Vorzeichen sei, ihm weiblichen Schmuck anzulegen. Ebenso lehnte er die Brustkette eines Pferdes ab, da dies einen unvollkommenen Anblick seiner Machtstellung böte. Am Ende einigte man sich auf den Torques-Ring eines Soldaten. 427 Die Episode ist in vielerlei Hinsicht interessant. Sie wirkt beinahe spielerisch, und es ist durchaus auch vorstellbar, dass die Atmosphäre unter Julian und seinen Soldaten, mit denen er zumindest vorgeblich ein enges Verhältnis pflegte, relativ ausgelassen 425 Mamertinus, wahrscheinlich aus Gallien stammend, zeigt in seinem Panegyrikus genaue Kenntnisse von den Vorgängen in Gallien und scheint vieles selbst miterlebt zu haben; seine genauen Ämter und Funktionen kennen wir aber nicht; vgl. MÜLLER-RETTIG 2008 (Panegyrici latini), 214. 426 Paneg. lat. 3 (11), 6,4 (Übers. Müller-Rettig): Virgines pueri, feminae <viri>, tremulae anus titubantes senes non sine magno attoniti horrore cernebant imperatorem longam viam sub gravium armorum onere currentem, properantis anhelitum sine sensu lassitudinis crebriorem, sudorum rivos per fortia colla manantes, et inter illum pulveris qui barbam et capillum onerarat horrorem micantia sidereis ignibus lumina. 427 Amm. 20,4,17–18. 109 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis war. Doch dass sich Julian auf einmal um passende insignia scherte, widerspricht dem Bild, das er später von sich und seiner Herrschaft vermitteln sollte. Offenbar war es ihm in der speziellen Situation der soldatischen Interaktion wichtig, dass eine gewisse maiestas in seiner Erscheinung ausdrückte, welche er später in anderen Kontexten demonstrativ ablehnen würde. 428 Doch daneben fällt vor allem die Ablehnung des unmännlichen Schmucks auf: Julian nimmt lieber einen soldatischen, barbarischen Halsschmuck an, anstatt des Halsschmucks seiner eigenen Frau. Die Thematik des Herrscherkörpers ist auch in Rom immer mit zeitgenössischen Vorstellungen von Männlichkeit und Macht verbunden gewesen. 429 Nach Pierre Bourdieu drückt sich in der körperlichen Hexis eine politische Mythologie aus, die er darin sieht, dass sich der Unterschied zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit in der Art des körperlichen Verhaltens ausdrückt: Wie man sich hält, insbesondere ob man in der Haltung Festigkeit, Geradheit und Zielgerichtetheit ausdrückt. 430 Gerade vor den Soldaten war es Julian offenbar wichtig, in seinem Verhalten und Aussehen eine besondere Männlichkeit zu wahren, die auch mit seinem Machtanspruch verbunden war. Als junger, unbekannter Caesar musste er sich wohl tatsächlich erst einmal beweisen, und als sein Führungsanspruch anerkannt wurde, musste er dieses Bild wahren, um auch seine kaiserliche Autorität zu wahren. Dass Julians Führungsanspruch eine heikle Angelegenheit war, zeigt der überlieferte Spott der Soldaten, die ihn im Zweifelsfalle als Asianus und Graeculus bezeichneten. Einer solchen Lesung musste Julian mit allen Mitteln entgegenhalten, wollte er seinen Machtanspruch geltend machen. Neben der besonderen militärischen Stärke und Männlichkeit Julians ist der dritte wesentliche Aspekt, den die Julian-freundliche Tradition um Libanios, Ammian und Claudius Mamertinus zentral macht, Julians asketischer Lebensstil. Ammian räumt der Darstellung von Julians Askese einen grossen Raum in seinem Werk ein. Bereits als Caesar legte Julian gemäss dem Historiker ein bemerkenswertes Verhalten an den Tag – und an die Nacht. Insbesondere in Bezug auf Ernährung und Schlaf zeigte sich 428 Das Ritual einer Schilderhebung und die Krönung mit einem keltischen Torques ist auch an sich bemerkenswert. ALFÖLDI 1980, 169–73, wies darauf hin, dass beides zum ersten Mal bei Julian fassbar ist, danach aber in Ost-Rom eine lange Karriere machen sollte, und in langer Sicht sogar das kirchliche Krönungsritual des Mittelalters vorwegnahm. Er war jedoch auch überzeugt, dass beide Traditionen schon älter sind. STRAUB 1964, 61 f. sah in der Darstellung vor allem einen Versuch der Legitimation Julians und daher eine Erfindung Ammians: Die Usurpatoren Prokop und Silvanus traten in Purpur auf (Amm. 15,5,16) und nahmen damit die Erhebung vorweg. Bei Julian erfolgte die Annahme jedoch erst nach heftigem Widerstand; die Krönung mit Torques wird als Notbehelf ausgegeben. Darin stecke eine tiefere Bedeutung aufgrund der keltisch-germanischen Wurzeln des Rituals: Durch die Duldung eines fremden Brauches sei die Zwangslage Julians hervorgehoben worden. 429 Dies führte schon in der Übergangszeit von der späten Republik zum frühen Prinzipat zu Problemen: Die späte Republik war eine Zeit, in der einzelne Individuen aus den gängigen Normvorstellungen ausbrachen und damit die übrigen Aristokraten in ihrem Selbstverständnis bedrohten. Der Körper des Princeps wurde so zu einem Problem, da mit ihm auch die gängige Definition von Männlichkeit in Frage gestellt wurde. Wenn sich die Senatoren im Senat als gleichgestellte, keiner höheren Macht unterworfenen patres begegneten, ergab sich mit der Erhebung der domus augusta über alle anderen ein grundsätzliches Problem der Definition von Männlichkeit. Zur Thematik von Männlichkeit in Republik und Prinzipat siehe SPÄTH 1994 (Männlichkeit und Weiblichkeit bei Tacitus), insb. 339–346; SPÄTH 2003 (Väter, Götter, Politik). 430 BOURDIEU 1980, 117 f.; siehe oben, S. 18. 110 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis Julian besonders anspruchslos. So liess er etwa aus einem Büchlein, dass Constantius ihm mit nach Gallien gab, und dass «sehr grosszügig» die Tafel des Caesars festsetzte, allzu luxuriöse Mahlzeiten streichen. 431 Doch in seinem Schlafverhalten zeigte er sich noch beeindruckender. Wenn er schlief, dann natürlich auf dem bescheidenen Lager eines Teppichs, anstatt auf seidenen Kissen. Doch grundsätzlich nutzte er die Nacht zum Arbeiten, und dabei habe er sogar Alexander den Grossen in seiner nächtlichen Disziplin übertroffen. 432 Die Aversion gegen Schlaf wird von Julian auch selbst in seinen Panegyriken an Constantius bestätigt. 433 Auch Libanios verweist mehrfach darauf, dass Julian seine Reden nachts verfasste, wobei sich dessen Schlafentzug und Mangelernährung häufig gegenseitig bestärkten. 434 Julian, sind sich die Quellen einig, war ein rastloser Kaiser. Vor allem aber war Julian für seine Keuschheit berühmt. Libanios betont gerne die sexuelle Abstinenz des Kaisers. 435 Diese Keuschheit setzt Ammian sogar an erste Stelle der Tugenden Julians, die er zum Anlass seines Todes aufstellt: Diese habe ihn nach dem Tod seiner Gattin lebenslang abstinent bleiben lassen, in Gedenken an seine philosophischen und literarischen Vorbilder. Dabei betont Ammian eingehend, dass Julians unverletzte Keuschheit allgemein bekannt war, und dass er von keiner Seite jemals des Verkehrs beschuldigt werden konnte. 436 Dies scheint in der Tat der Fall gewesen zu sein: Auch in Julian-feindlicher Literatur finden sich kaum Anschuldigungen bezüglich sexueller Ausschweifungen, während ansonsten beinahe jeder Lebensbereich des Kaisers auseinandergenommen wird. 437 Sogar Zonaras schreibt noch gute 8. Jahrhunderte nach Julian, wie dessen Frau Eusebia unter der übertriebenen Enthaltsamkeit ihres Gatten litt. 438 431 Amm. 16,5,1–3. Amm. 16,5,4–8: So habe Julian nur einen Drittel der Nacht mit Schlafen verbracht, die anderen beiden mit Arbeit und der intellektuellen Beschäftigung. Auch Alexander habe dies so gemacht, doch wandte er dabei einen Trick an, indem er eine Muschel mit einer silbernen Kugel in der Hand hielt, die, wenn er einschlafen sollte, auf den Boden fiel und ihn so aufweckte. Julian habe aber eines solchen künstlichen Mittels nicht bedurft. In eine ähnliche Richtung geht auch die Aussage Ammians, dass Julian ein Gedächtnis hatte, das sich mit denen der grossen Schriftsteller der Vergangenheit messen konnte, die jedoch ihr Gedächtnis durch das Einnehmen von Medikamenten verbesserten; Julian brauchte solches Doping natürlich ebenfalls nicht. (Das Ausmass dieser Leistung ist dem Verfasser dieser Arbeit übrigens schmerzhaft bewusst, denn dieser Satz wurde um 1 Uhr früh unter erheblichem Koffeineinfluss geschrieben.) 433 Iul. or. 1 (Const.), 10 C–11 C; siehe oben S. 106. Vgl. auch Iul. or. 3 (De regno), 87 C: Zu viel Schlaf zieme sich nicht für einen grossen König. 434 Lib. or. 12, 94–95, mit der Bemerkung, dass Julian den Schlaf gerade dadurch besiegt habe, dass er niemals Weint trinke oder einen vollen Bauch habe, da diese Dinge schläfrig machen; vgl. auch Lib. or. 18, 175: Während seine Diener sich abwechselten, um gewisse Ruhezeiten einzuhalten, arbeitete Julian einfach durch; dabei ass er auch nur das Allernötigste. (Auch dieses Verhalten kann der Verfasser der Arbeit nachvollziehen.) 435 Lib. or. 18, 127–128; Julian konnte aufgrund seiner Keuschheit seine Wohnstatt an die Tempel der Götter angrenzen lassen; Lib. or. 18, 179: Während andere in der Nacht der Aphrodite frönen, verfasst Julian Reden und fokussiert sich auf sein Studium. 436 Amm. 25,4,2–3. 437 Die einzige Ausnahme findet sich in den Gesängen Ephraems, wo jedoch Julians Heidentum als Anbetung von Liebesgöttinnen ausgelegt wird und so automatisch mit angeblichen sexuellen Eskapaden im Kreis seiner Philosophenfreunde verbunden wird: Ephr. Syr. hymn. c. Iulian. 2,5; Ephr. Syr. hymn. c. Iulian. 2,9. 438 Zon. 3,11. 432 111 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis Julians körperliche Askese fügt sich bei den paganen Autoren nahtlos in das soldatische Leben des Kaisers ein. Besonders Ammian macht dies immer wieder deutlich: «Die Tugend der Selbstbeherrschung machte noch dadurch erhebliche Fortschritte, dass die Genügsamkeit im Essen und Schlafen sie förderte. Beides genoss er zu Hause und im Felde nur sparsam. Im Frieden mussten die, die sich ein wirkliches Urteil bilden konnten, die Sparsamkeit seiner Lebenshaltung und seiner Tafel bewundern, denn es schien, als wolle er bald wieder zum Philosophengewand zurückkehren. Bei den verschiedensten Feldzügen war er zu sehen, wie er zuweilen stehend nach Soldatenart eine magere und billige Mahlzeit einnahm. Sobald er aber seinen in Strapazen gestählten Körper durch kurzen Schlaf erquickt hatte, erwachte er und kontrollierte in eigener Person die Ablösung der Wachen und Posten, um nach diesen ernsthaften Aufgaben seine Zuflucht zu den Wissenschaften zu nehmen. Wenn die nächtlichen Lichter, bei denen er arbeitete, eine Stimme hätten und Zeugnis ablegen könnten, so würden sie tatsächlich zeigen, dass zwischen ihm und manchen anderen Kaisern ein grosser Unterschied bestand. Denn diese Zeugen wüssten, dass er Vergnügen nicht einmal im Rahmen der natürlichen Bedürfnisse Raum gab.» 439 Auch Claudius Mamertinus versucht in seiner Rede, die verschiedenen Aspekte von Julians Umgang mit seinem Körper harmonisch zu kombinieren: Als Grundsätze von Julians Herrschaft bezeichnet er, dass er sich «öfters mit dem Kampf befasst als mit dem Essen», dass seine «Bettstatt selbst ohne die erlaubten und rechtmässigen Ehefreuden reiner ist als das Lager der Vestalinnen», dass er «im Sommer Alamanniens Staub, im Winter Thrakiens reif [erträgt], auch ohne [sein] Haupt zu schützen!» 440 Körperliche Askese, militärische Stärke und sittenstrenge Keuschheit werden von dem Konsul nahtlos miteinander vereint. In Anbetracht der übermenschlichen Leistungen des Kaisers betont Mamertinus zudem, dass der Kaiser schlicht keine Zeit hatte, sich mit Schlaf, Essen und sogar den natürlichen körperlichen Bedürfnissen zu befassen. 441 Wie auch Ammian betonten auch Mamertinus und Libanios, dass sich Julian mit normaler Soldatenkost zufriedengibt, während seine Vorgänger sich luxuriös gedeckten Tafeln hingaben. 442 439 Amm. 25,4,4–6 (Übers. Seyfarth): Hoc autem temperantiae genus crescebat in maius iuuante parsimonia ciborum et somni, quibus domi forisque tenacius utebatur. namque in pace uictus eius mensarumque tenuitas erat recte noscentibus admiranda uelut ad pallium mox reuersuri, per uarios autem procinctus stans interdum more militiae cibum breuem uilemque sumere uisebatur. ubi uero exigua dormiendi quiete recreasset corpus laboribus induratum, expergefactus explorabat per semet ipsum uigiliarum uices et stationum post haec seria ad artes confugiens doctrinarum. et si nocturna lumina, inter quae lucubrabat, potuissent uoce ulla testari, profecto ostenderant inter hunc et quosdam principes multum interesse, quem norant uoluptatibus ne ad necessitatem quidem indulsisse naturae. 440 Paneg. lat. 3 (11), 13,3. Zur kaiserlichen Keuschheit, die sich weiblichen Tugenden annähert, vgl. Julians Lob auf Constantius (siehe oben, Anm. 417). 441 Paneg. lat. 3 (11), 14,2–3. 442 Paneg. lat. 3 (11), 11. Dass Julian gewöhnliche Soldatenverpflegung ass, berichtet auch Lib. or. 17, 27. 112 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis Es ist sehr schwer, die einzelnen Aspekte von Julians asketischer Lebensweise zu trennen. Die verschiedenen Aspekte werden häufig in einem Atemzug genannt und nehmen aufeinander Bezug: Wenn Julian nicht schläft, dann, weil er den nächsten kriegerischen Schachzug plant oder die nächste erleuchtete Rede schreibt. Die asketische Trias von Schlafentzug, Keuschheit und frugaler Ernährung scheint sich gegenseitig zu bestärken, und in der paganen, Julian-freundlichen Tradition kommt diese besonders gut an. In dieser Hinsicht unterscheidet sie sich die Tradition auch wenig von derjenigen der christlichen Vorgänger Julians, bei denen ebenfalls ihre sexuelle Abstinenz, Genügsamkeit beim Essen und zuweilen auch ihre Schlaflosigkeit gelobt wurden. 443 Dennoch erscheint Julian im direkten Vergleich bei den paganen Autoren noch eine höhere Stufe der Selbstkontrolle erreicht zu haben. Julians Askese erscheint beeindruckend, auch noch auf moderne Betrachter. 444 Es zeigt sich, dass in der Julian-freundlichen Tradition wesentliche Aspekte von Julians Charakter, die er sich auch selbst gerne und oft zuschreibt, aufgenommen wurden. Ammian, Libanios und Claudius Mamertinus loben gleichermassen den soldatischen, abgebrühten, anspruchslosen und keuschen Kaiser. Einzelne Aspekte werden bei den unterschiedlichen Autoren verschieden betont: So erscheint Julian beim Soldaten Ammian vornehmlich in der Rolle des Kämpfers, während Libanios dessen asketische Lebensweise eher aus der Sicht eines gelehrten Kulturhellenen interpretiert. Doch weitet man den Blick aus, so ist zu sehen, dass Julians Askese unter den zeitgenössischen Autoren unterschiedliche Reaktionen hervorrief: Während sie bei seinen Bewunderern gut ankam, tat sich die breite Bevölkerung um einiges schwerer damit, wie an der Episode in Antiochia zu sehen ist. 445 Hans-Ulrich Wiemer spricht in diesem Zusammenhang vom «Spannungspotential» in der Personalunion von Philosophie und Kaisertum, das zu Irritationen und Konflikten führte, sobald ein Kaiser versuchte, die Beziehungen zu seinen Untergebenen nach philosophischen Prinzipien zu gestalten. Solange er sich darauf beschränkte, im Kreis seiner Vertrauten philosophisch zu leben, konnte er des Lobes gewiss sein. Wenn er jedoch wie Julian versuchte, als Kaiser Philosoph zu bleiben, sah er sich mit den traditionellen Er- 443 Bereits in Konstantins Lobreden wurde die beinahe unfassbare Monogamie des Kaisers gepriesen: Paneg. lat. 7 (6), 4,1; Paneg. lat. 12 (9), 7,5; Paneg. lat. 4 (10), 34,1–2. Bezüglich Constantius II. räumt auch Ammian ein, dass er ein sparsames und nüchternes Leben führte und durch seine Askese besodners gesund war. Auch schlief er wenig und war die meiste Zeit seines Lebens enthaltsam: Amm. 21,16,5–6. Der sonst ebenfalls kritische Aurelius Victor lobt die Zurückhaltung Constantius’ bei Essen und Geschlechtstrieb: Aur. Vict. Caes. 42,23. Auch PseudoAurelius Victor betont dessen Genügsamkeit beim Essen und Trinken und dessen Widerstandskraft gegen Müdigkeit: (Ps.-)Aur. Vict. epit. Caes. 42,18–19. 444 Vgl. BIDEZ 1940 (Julian der Abtrünnige), 370: «Kaum ein Asket hat ihn in der Verachtung der körperlichen Bedürfnisse und Ansprüche übertroffen. Er lebte wahrhaftig nach dem Gesetz seiner Seele.» 445 Das fällt auch MARCONE 2020, 341 f. auf, den diese Diskrepanz überrascht. 113 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis wartungen und Ansprüchen an sein Auftreten und Verhalten konfrontiert, die aus ganz anderen Quellen stammten. 446 Wie aber nun im Folgenden gezeigt werden soll, weckte Julian auch bei seinen Verehrern durch sein Verhalten in der Praxis nicht nur einheitliche Bewunderung, sondern zum Teil auch sehr gemischte Gefühlte. Ein bewegter Kaiser Ein historisches Ereignis wird besonders interessant, wenn es durch eine günstige Quellenlage aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden kann. Ein solcher Fall liegt in einigen Episoden vor, in denen Julian mit den lokalen Eliten in Konstantinopel und Antiochia interagierte. Als Julian etwa als frischgebackener Augustus in Konstantinopel residierte, hatte er zum ersten Mal in diesem Amt mit den ortsansässigen Senatoren zu verkehren. In diesen aristokratischen Interaktionssituationen war eine gewisse Erwartungshaltung an das Verhalten des Kaisers gerichtet. Doch wie verschiedene Quellen berichten, hielt sich Julian während seines Aufenthaltes in Konstantinopel nicht wirklich an soziale Konventionen. So erinnert sich der antiochenische Redner Libanios in seinem Epitaph auf Julian an dessen Besuche im Senat: «Auch hat er dem grossen Senat Besuche abgestattet und die Senatoren an seiner Seite Platz nehmen lassen, eine Ehre, die sie seit langer Zeit nicht genossen hatten. Denn vor seiner Zeit wurden die Senatoren zum Palast zitiert, um dort stehend eine kleine Ansprache anzuhören, während der Kaiser sich keineswegs zum Senat begab, um den Sitzungen beizuwohnen; da er nicht sprechen konnte, vermied er den Ort, der eines Redners bedurfte. Julian aber, der sicher reden konnte, wie der tüchtige Redner nach Homer, drängte es geradezu nach solchen Versammlungen, in welchen er jedem, der es verlangte, frei mit ihm zu diskutieren gewährte, während er selbst bald wenige Worte voll Inhalts, bald ein Gedräng' der Worte wie stöbernde Winterflocken vorbrachte, wobei er das eine Mal jene homerischen Redner nachahmte, das andere Mal aber sie gerade in dem Punkt, in dem jeder von ihnen besonderes Ansehen genoss, übertraf.» 447 Das Verhalten des Kaisers erschien Libanios bemerkenswert, und das ist es in der Tat: Die Senatoren Konstantinopels waren an ein anderes kaiserliches Benehmen gewöhnt, wie der Vergleich von Libanios mit Julians Vorgänger ebenfalls nahelegt. Dass Constantius kein guter Redner war, wird auch von anderen Quellen bestätigt: Ammian überliefert, dass Constantius aufgrund seiner stumpfsinnigen Art ein 446 WIEMER 1998, 755. Lib. or. 18, 154 (Übers. Fatouros/Krischer/Portmann): Εἰσῆλθε καὶ εἰς τὸ συνέδριον καὶ τὴν μεγάλην βουλὴν περὶ αὑτὸν ἐκάθισε πολὺν δὴ χρόνον ταύτης τῆς τιμῆς ἐστερημένην. εἰς μὲν γὰρ τὸ βασίλειον εἰσεκαλεῖτο πρότερον ἑστήξουσά τε καὶ μικρὰ ἀκουσομένη, βασιλεὺς δὲ οὐκ ᾔει παρ᾿ αὐτὴν συγκαθεδούμενος· τῷ γὰρ μὴ δύνασθαι λέγειν ἔφευγε χωρίον δεόμενον ῥήτορος, ὁ δέ, ὥσπερ Ὅμηρος ἔφη τὸν δεινὸν λέγειν, ἀσφαλέως ἀγορεύων ἐδίωκε τοὺς τοιούτους συλλόγους διδοὺς μὲν τῷ βουλομένῳ παρρησιάσασθαι πρὸς αὐτόν, διεξιὼν δὲ καὶ αὐτὸς νῦν μὲν παῦρά τε καὶ λιγέως, νῦν δὲ νιφάδεσσιν ἐοικότα χειμερίῃσι τοὺς Ὁμηρικοὺς ἐκείνους δημηγόρους νῦν μὲν μιμούμενος, νῦν δ᾿ ἐν ᾧπερ ἑκάτερος εὐδοκίμει παριών. 447 114 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis enttäuschender Redner war. 448 Fraglich bleibt, ob dies der Grund war, dass Constantius den Ort mied, oder ob sich der Kaiser grundsätzlich nicht in den Senat begab, sondern jenen zu sich kommen liess. Julian hingegen dringt mit seiner Anwesenheit in ein fremdes politisches Feld ein. 449 Doch die an sich schon besondere Situation wird durch das Verhalten des Kaisers unter den Senatoren in seiner Eigentümlichkeit noch gesteigert. Libanios macht auch auf einen kleinen, aber auffälligen Unterschied in der Konstellation der senatorischen und des kaiserlichen Körpers aufmerksam: Der Kaiser sass im Palast, während die Senatoren stehen mussten. Demgegenüber wird Julians Akt des Sitzens unter den ebenfalls sitzenden Senatoren von Libanios positiv hervorgehoben. 450 Der neue Kaiser brach also bereits in seinem alltäglichen Verhalten mit sozialen Konventionen. Doch eine bestimmte Episode hält Libanios für besonders erwähnenswert: «Als er einmal eine Rede hielt, in der er Lob, Tadel und Ermahnungen verteilte, kam plötzlich jemand und meldete die Ankunft seines Lehrers, 451 eines Philosophen aus Ionien, den er zu sich eingeladen hatte. Da sprang er inmitten der Ältestenversammlung auf und lief zur Tür hin auf ihn zu, wie es einst mit Chairephon und Sokrates geschehen war; damals hat es sich aber um Chairephon und die Schule des Taureas gehandelt, hier jedoch um den Herrscher der ganzen Erde und den grossen Senat. Er wollte damit allen zeigen und durch Taten verkünden, dass die Philosophie ehrwürdiger sei als das Kaisertum und dass alles, was an letzterem wertvoll ist, als Gabe der ersteren zu betrachten sei. Er umarmte ihn und begrüsste ihn auf jene Art und Weise, wie einfache Menschen untereinander oder aber Kaiser untereinander es zu tun pflegen, und führte ihn in den Senat, ohne dass er dessen Mitglied gewesen wäre, in dem Glauben, nicht durch den Ort den Mann, sondern durch den Mann den Ort zu ehren; er erklärte den Senatoren in allen Einzelheiten, wieviel er jenem Mann im Hinblick auf seine Erziehung schulde, und verabschiedete sich, Hand in Hand mit seinem Lehrer. Was bezweckte er damit? Er wollte nicht nur seine Dankbarkeit für seine Erziehung bekunden, wie man vielleicht 448 Amm. 21,16,4: cum a rhetorice per ingenium desereretur obtunsum. Es finden sich jedoch Hinweise, dass in senatorischen Kreisen das Ideal eines Herrschers, der Amtshandlungen der Magistrate beiwohnt, durchaus noch hochgehalten wurde. So wird dieses Verhalten etwa bei Kaiser Hadrian gelobt; SHA Hadr. 9,7–8. 450 Eine Vorstellung von der Architektur des konstantinopolitanischen Senatsgebäudes zu Julians Zeiten wäre für eine Interpretation der speziellen Konstellation von senatorischen und kaiserlichen Körpern überaus hilfreich; leider gibt es darüber kaum gesicherte Kenntnisse. Der Senat besass nach den frühbyzantinischen Quellen zwei Amtsgebäude: Eins am Forum Konstantins und eines in der unmittelbaren Nähe des Kaiserpalastes am Platz Augustaion, das heute mit der sogenannten Magnaura identifiziert wird. Letzteres war wohl über alle Zeiten das eigentliche Senatsgebäude; dessen Bau wurde möglicherweise noch unter Julian vollendet und in den folgenden Jahrhunderten mehrfach erneuert. Man kann daher annehmen, dass sich die Episoden von Julian im Senat in jenem Gebäude abspielten. Vermutlich handelte es sich dabei um einen basilikalen Bau, der architektonisch in die kaiserlichen Palastanlagen eingebunden war und dadurch auch räumlich den Status des Senats als nicht unabhängige, kaiserliche Institution sichtbar macht. Vgl. dazu BERGER 1995 (Die Senate von Konstantinopel). 451 Maximos von Ephesos, von Julian 362 nach Konstantinopel berufen. 449 115 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis annehmen würde, sondern zugleich alle jungen Menschen in der Welt zum Studium anstacheln; ich möchte sogar hinzufügen, dass er auch die alten Menschen dazu aufforderte, denn viele alte Menschen liessen sich nun zum Lernen anregen. Was nämlich die Herrscher verachten, wird von allen vernachlässigt, was sie aber hochschätzen, wird eifrig geübt.» 452 Mehrere Dinge sind hier interessant: Erst einmal natürlich das auffällige Verhalten Julians. Auch für einen Senator wäre ein plötzliches Aufspringen während einer Sitzung ungewöhnlich gewesen, doch Libanios betont nochmal explizit, dass es sich hier um den Herrscher der Welt handelt. Die Aufmerksamkeit, die Libanios dem bewegten und anfassbaren Kaiser widmet, zeugt von dessen Ungewöhnlichkeit. Aufspringen, entgegenkommen, umarmen und küssen, Händchen halten: Dies sind Bewegungen, die Libanios im Normalfall sozial Gleichgestellten zuschreibt, von Bürger zu Bürger und Kaiser zu Kaiser; doch hier küsst ein Kaiser einen Bürger – einen obskuren Philosophen zudem, keinen ranghohen Würdenträger. Dies bedeutete eine Transgression gleich mehrerer sozialer Ebenen. Womöglich fühlte sich Libanios deshalb verpflichtet, die Episode zu kommentieren. Er liefert ein Erklärungsmodell, das den Kaiser als Philosophen beschreibt und dadurch dessen Verhalten gegenüber seinem ehemaligen Philosophielehrer rationalisiert. Mehr noch: Indem Julian hier eine Vorbildfunktion einnimmt, erfüllt er die Erwartungen, die Libanios an einen guten Herrscher stellt, vollends. 453 Während also Libanios in der Beschreibung des nahbaren Herrschers sehr verständnisvoll und wohlwollend ist, gab es auch andere Stimmen, die sich zu demselben Vorfall äusserten. Die Episode liest sich nämlich beim Geschichtsschreiber Ammian ganz anders: «Oft kam der Kaiser in dieser Zeit in die Kurie, um verschiedene Angelegenheiten zu erledigen, die die vielfachen Anordnungen notwendig machten. Als er eines Tages dort Rechtsfälle untersuchte, wurde ihm gemeldet, aus Asien sei der Philosoph Maximus gekommen; in unschicklicher Hast sprang er daraufhin auf, vergass ganz, wer er war, und ging eiligen Schritts weit aus dem Vestibül hinaus, küsste den Ankömmling und empfing ihn voller Ehrfurcht. Mit unpassender Auffälligkeit führte er ihn mit sich hinein und schien so allzu eifrig nach einem nichtigen Ruhm zu haschen. Er Lib. or. 18, 155–156 (Übers. Fatouros/Krischer/Portmann): λέγοντος δὲ αὐτοῦ καὶ τὰ μὲν ἐπαινοῦντος, τὰ δὲ ἐπιτιμῶντος, τὰ δὲ νουθετοῦντος ἀγγέλλει τις προσιέναι τὸν διδάσκαλον, ἄνδρα Ἴωνα, φιλόσοφον ἐξ Ἰωνίας κεκλημένον, ὁ δὲ ἐκ μέσων ἀναπηδήσας τῶν γερόντων ἔθει πρὸς τὰς θύρας τὸ τοῦ Χαιρεφῶντος πρὸς Σωκράτην πεπονθώς, ἀλλ᾿ ἐκεῖνος μὲν Χαιρεφῶν τε ὢν καὶ ἐν τῇ Ταυρέου παλαίστρᾳ, ὁδὶ δὲ πάντων τε κρατῶν κἀν τῷ μεγίστῳ συνεδρίῳ δεικνὺς ἅπασι καὶ κηρύττων τοῖς ἔργοις ὅτι σοφία βασιλείας τιμιώτερον καὶ ὡς ὅ τι ἐν αὐτῷ καλὸν ἐνείη, τοῦτο δῶρον φιλοσοφίας. περιβαλὼν οὖν καὶ ἀσπασάμενος ᾗ νόμος τοῖς ἰδιώταις ἀλλήλους ἢ βασιλεῦσί γε ἀλλήλους εἰσῆγεν οὐ μετέχοντα τῆς βουλῆς, κοσμεῖνF 304 ἡγούμενος οὐ τὸν ἄνδρα τῷ τόπῳ, τῷ δὲ ἀνδρὶ τὸν τόπον, καὶ διαλεχθεὶς ἐν ἅπασιν οἷος ἐξ οἵου δι᾿ ἐκεῖνον γένοιτο, τῆς δεξιᾶς ἐχόμενος ἀπηλλάττετο. τί διὰ τούτων ποιῶν; οὐκ ἀμοιβάς, ὡς ἄν τις ὑπολάβοι, μόνον ἐκτίνων τῆς παιδείας, ἀλλὰ καὶ τὴν πανταχοῦ νεότητα, προσθείην δ᾿ ἂν καὶ γῆρας, πρὸς παιδείαν παρακαλῶν, ἐπεὶ καὶ γέροντες ἤδη πρὸς μαθήσεις ἐκινήθησαν. πᾶν γὰρ ὑπὸ τῶν ἀρχόντων ἀτιμαζόμενον μὲν ὑφ᾿ ἁπάντων ἀμελεῖται, τιμώμενον δὲ ἀσκεῖται. 453 Auch Julian war davon überzeugt, dass ein Philosoph vor allem Vorbild sein müsse, anstatt nur mit Worten zu lehren; siehe Iul. or. 6 (ad Them.), 266 B–C. Claudius Mamertinus behauptet indes, Julian habe trotz seiner verzichtsvollen persönlichen Lebensführung niemals andere dazu gedrängt, ihm ebenfalls zu folgen; siehe Paneg. lat. 3 (11), 12. 452 116 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis dachte nämlich nicht an den bekannten vortrefflichen Ausspruch Ciceros, mit dem dieser derartige Leute brandmarkt und der folgendermassen überliefert ist: ‹Jene Philosophen schreiben ihren Namen selbst auf die Bücher, die sie über die Verächtlichkeit des Ruhms verfassen. Denn sie möchten schon allein deswegen, weil sie Lob und Adel verachten, sich selbst gelobt und genannt sehen.›» 454 Die so ganz andere Darstellung bei Ammian überrascht: Auch, wenn Ammian grundsätzlich relativ differenziert schreibt, bleibt Julian bei ihm im Grossen und Ganzen ein vorbildlicher Kaiser. Doch hier scheint eine Kontroverse auch unter den Verehrern Julians durchzuscheinen: Das kaiserliche Verhalten wird von Ammian in ähnlicher Weise hinsichtlich Julians Philosophentum interpretiert, aber völlig anders bewertet als bei Libanios. Das aufgeregte kaiserliche Verhalten kommt bei ihm ganz schlecht an: Julians Bewegungen sind indecorus, effusus und intempestivus. Interessant ist auch der Verweis auf den Kuss: Während Libanios lediglich erwähnt, dass Julian Maximos wie einen Standesgenossen begrüsst habe, macht Ammian das innige Küssen (exosculari) explizit. Kaiserliche Küsse waren in der Regel ein fester Bestandteil der salutatio und als solche reserviert für hohe aristokratische Würdenträger. Kaiser küssten in der Regel also nur Senatoren, wobei diese Interaktion stets genau beobachtet wurde. 455 Julians Verhalten erscheint Ammian insgesamt als unnötig auffällig und prahlerisch; die demonstrative Demut des Kaisers wirkt für den Geschichtsschreiber gekünstelt, oberflächlich und kalkuliert. Dies sind Attribute, die Ammian sonst gerne Kaiser Constantius anhängt, während Julian normalerweise das Gegenbild des authentischen Kaisers bildet. 456 Doch in diesem Moment vergass Julian, «wer er war»: Er war aber der Kaiser, und in den Augen Ammians hatte sich ein solcher anders zu verhalten. Die dritte Quelle, die von Julians Eskapaden im Senat berichtet, ist der christliche Geschichtsschreiber Sokrates. 457 Dieser berichtet, dass Julian die Nächte hindurch Reden schrieb, die er danach im Senat hielt; explizit macht Sokrates darauf aufmerksam, dass Julian der einzige Kaiser seit den Zeiten von Julius Caesar sei, der in dieser Versammlung Reden gehalten habe. Dieser historisch absurde Kommentar bringt zur Geltung, dass Julian hier etwas im Gegensatz zu seinen Vorgängern tat, das zur damaligen 454 Amm. 22,7,3 (Übers. Seyfarth): Frequentabat inter haec curiam agendo diuersa, quae diuisiones multiplices ingerebant et cum die quodam ei causas ibi spectanti uenisse nuntiatus esset ex Asia philosophus Maximus, exsiluit indecore et, qui esset, oblitus effuso cursu a uestibulo longe progressus exosculatum susceptumque reuerenter / secum induxit per ostentationem intempestiuam, nimius captator inanis gloriae uisus praeclarique illius dicti immemor Tulliani, quo tales notando ita relatum: ‹ipsi illi philosophi etiam in his libris, quos de contemnenda gloria scribunt, nomen suum inscribunt, ut in eo ipso, quo praedicationem nobilitatemque despiciunt, praedicari de se ac se nominari uelint.› 455 BADEL 2009 (Adventus et salutatio), 164. Insbesondere das Auslassen eines Kusses war brisant; man verstand es als Ausdruck der kaiserlichen Ungnade. Der Kuss auf die Hand oder den Fuss wurde zunächst als Transgression wahrgenommen, in der Proskynese der Spätantike wurde aber der Kuss auf den Mantel zur Norm. 456 Zu Constantius affektiertem Verhalten bei Ammian siehe unten S. 139. 457 Sokr. h.e. 3,1,54. 117 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis Zeit bereits höchst ungewöhnlich war. Zur Art und Weise, wie sich Julian im Senat verhielt, verrät Sokrates nichts. Doch im Zusammenhang mit Julians Hofreform in Konstantinopel erwähnt er, dass diese Massnahmen von wenigen gelobt, von vielen jedoch kritisiert wurden, da durch die Reduktion des Hofzeremoniells die kaiserliche maiestas beeinträchtigt wurde. Damit verweist Sokrates auf einen zeitgenössischen Diskurs, der um Julians Verhalten in Konstantinopel entbrannte. Mit dem Verweis auf die fehlende kaiserliche Würde bekräftigt er zudem die Aussage Ammians, wonach Julian sich unkaiserlich verhielt. 458 Die parallele Überlieferung dieser Episode zeugt von ihrer Wichtigkeit: Der Kaiser war, auch wenn er sich unter die Senatoren mischte, ständig im Zentrum der Aufmerksamkeit. Dazu gehörte auch eine strenge Beobachtung seines körperlichen Verhaltens: Vermeintlich einfache Haltungen und Bewegungen wie Stehen, Gehen, Sitzenbleiben und Aufspringen, der Art und Weise der Begrüssung in Form von Berührungen durch den Kaiser (Küssen, Umarmen, Hände halten) – all diese Momente waren in der römischen Gesellschaft an sich schon bedeutungsgeladen. Bereits seit republikanischer Zeit wurde das Verhalten der Teilnehmer an Senatssitzungen einer äusserst aufmerksamen Beobachtung unterzogen. 459 Besonders brisant musste es folglich sein, wenn nun der Kaiser höchstpersönlich mit Protokollen brach und sich nicht an die unausgesprochenen Regeln hielt, oder diese gar, wie Julian, in demonstrativer Absetzung von seinen Vorgängern, in sein Gegenteil verkehrte. 460 Dies wird auch durch eine andere doppelt überlieferte Episode bezeugt, die während Julians Aufenthalt in Konstantinopel stattfand. In seiner Dankesrede zum Konsulatsantritt lobt Claudius Mamertinus in langen Ausführungen die Sparsamkeit, Authentizität und Zugänglichkeit des Herrschers. Schliesslich kommt er auf den Tag seiner Ernennung zum Konsul zu sprechen. Die designierten Konsuln, Claudius Mamertinus und ein gewisser Nevitta, hätten sich damals in der frühen Morgendämmerung auf den Weg in den Palast gemacht, um den Kaiser zu begrüssen. Doch die beiden konnten nicht voraussehen, was sie dort erwarten würde: 458 Sokr. h.e. 3,1,50–53. Sokrates beschliesst die Episode zudem mit der Bemerkung, dass, selbst wenn die Vertreibung der Friseure und Köche für einen Philosophen angemessen sei, die Unangemessenheit von Julians Verspottung seiner Vorgänger in den Caesares sich weder für einen Philosophen noch einen Kaiser zieme; siehe dazu Kapitel «Kontrastprogramm Julian». 459 Vgl. dazu BARGHOP 1994, 85: «Im Sitzen, im Stehen, im Gehen, im Niederknien, im Handreichen, in allen diesen elementaren Regungen des senatorischen Körpers entfaltete sich eine wortlose Kommunikation, in der Rangund Machtunterschiede symbolisch zum Ausdruck kamen. Jede elementare Veränderung der eigenen Körperhaltung im Verhältnis zum anderen galt dabei als Geste der Unterlegenheit. Das Aufstehen und das Beiseitetreten waren Bewegungen des Respektserweises.». Für Bewegung und Gestik im republikanischen Rom siehe auch CORBEILL 2004, speziell 109 f.; MEISTER 2012, 227–30. 460 Die symbolische Schlagkraft etwa der Positionierung auf Augenhöhe von Kaisern und Senatoren ist nicht zu verachten. So beschreibt etwa bereits Plinius in seinem Panegyrikus auf Trajan (Plin. paneg. 71,1–3), wie dieser aufstand, zu den einzelnen Senats-Kandidaten hinging und sie küsste. Dass der Princeps letztlich auf derselben Ebene stand, wie die Kandidaten, sei ein ungewohnter Anblick gewesen. 118 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis «Man meldete unsere Ankunft dem Herrscher, der sich zu diesem Zeitpunkt gerade den Besuchern widmet, die ihm ihre Morgenaufwartung machen. Sogleich sprang er von seinem Thron auf, als sei man ihm zuvorgekommen, mit aufgeregter und bestürzter Miene – so, wie ich selbst hätte aussehen können, wäre ich meinem Herrscher zu spät entgegengeeilt. Nachdem sich die Heerscharen von Leuten, die uns vorausgingen, nur mit Mühe hatten zurückdrängen lassen, strengte er sich an, uns möglichst weit entgegenzugehen. Da, unter freudigem Beifall aller – heilige Gottheit! Mit welchem Mund, mit welcher Stimme sagte er da: ‹Ave, hochangesehener Konsul!› Er würdigte uns des Kusses – von jenem herrlichen Mund, der durch seine Gespräche mit der Gottheit geheiligt war, und er gab uns die Rechte – jene ruhmvolle Rechte, unsterbliches Unterpfand der Vortrefflichkeit und Treue.» 461 Der Fokus des Panegyrikers liegt in diesem Abschnitt ganz auf der Hexis 462 des Kaisers. Dieselben Bewegungsmuster, die Julian bereits bei seinem Freund Maximos an den Tag legte, werden auch hier hervorgehoben: Aufspringen, Entgegenkommen, Kuss und Händedruck. 463 Mamertinus beschreibt auch die «gequälte» Miene des Kaisers, die eher für einen Untergebenen gegenüber dem Kaiser als umgekehrt angebracht wäre. 464 Die Hervorhebung von Julians Gesichtszügen lässt sich in eine lange Tradition der Beobachtung der kaiserlichen Miene stellen. Bereits in frühester Prinzipatszeit wurden die Senatoren zu intensiven Beobachtern der Gesichtsausdrücke des Kaisers. Dies zeigt sich besonders deutlich in den Annalen des Tacitus: Sein Porträt des Tiberius zeigt, wie sich die Senatoren nicht mehr an den Worten oder Gesten des Kaisers zu orientieren suchten, sondern vor allem auf seine Mimik blickten, um seine wahre Gesinnung zu erkennen und seine Verstellkunst zu durchblicken. 465 Je mehr Worte und performative Akte als manipulierbar empfunden wurden, desto stärker richtete man also den Fokus auf die Mimik, jenen letzten Ort scheinbar authentischer Aussagen. Der Gesichtsausdruck, so die herrschende Vorstellung, konnte weniger gut lügen als der Rest des Princeps und wurde somit zum «authentischen» Ausdruck der wahren Gesinnung des Herrschers. 466 Diese Beobachtung des Gesichts und der Augen des Kaisers begegnet in den verschiedenen Quellen zu 461 Paneg. lat. 3 (11), 28,3–4 (Übers. Müller-Rettig): Adventare nos principi forte tum danti operam salutatoribus nuntiatur. Statim e solio tamquam praeceptus exsiluit vultu trepido atque satagente, qualis meus esse potuisset, si principi serus occurrerem. Aegre remotis populi qui nos praegrediebatur agminibus, ut quam longissime nobis obviam procederet laboravit. Illic gaudentibus cunctis, pro sancta divinitas! quo ore, qua voce ‹Ave› inquit, ‹consul amplissime›. Dignatus osculo oris illius divinis adfatibus consecrati dexteram dedit, illam dexteram, immortale pignus virtutis et fidei. 462 Zur Arbeitsdefinition von «Hexis» siehe oben, S. 22. 463 Im Gegensatz zum Kuss für Maximos handelte es sich hier jedoch um einen Kuss für Senatoren. Dadurch, und durch den offiziellen Kontext der salutatio, waren die Küsse in dieser Situation durchaus angebracht. Die Betonung der Rechten des Kaisers bezeugt ein weiteres Mal die Bedeutung kaiserlicher Hände. 464 Nach der Meinung von GUTZWILLER 1980 (Claudius Mamertinus [1942]), 222, handelt es sich bei vultu trepido atque satagente um einen sehr starken Ausdruck: satagere sei in der Bedeutung «in Not sein» ein Wort, das vornehmlich in der Komödie vorkomme. 465 Siehe Tac. ann. 1,12,3; 3,15,2; 4,34,2; 4,59,2. 466 Vgl. dazu MEISTER 2012, 251–55; CORBEILL 2004, 140–67. 119 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis Julian und anderen spätantiken Kaisern mehrfach, wenn etwa bei Ammian die gallischen Soldaten versuchen, in den Augen des jungen Caesars Julian sein wahres Wesen zu erblicken. 467 Die Szene fand im Raum der morgendlichen salutatio am Kaiserhof statt; die Schar der Anwesenden überschnitt sich wohl zu grossen Teilen mit dem Adressatenkreis der Rede, die Mamertinus anschliessend in der curia der Stadt hielt. 468 Mamertinus mag mit seiner Beschreibung im Panegyrikos übertrieben haben, doch gänzlich frei erfunden kann die Episode nicht gewesen sein. 469 Er überliefert denn auch die Reaktion der Anwesenden auf Julians Verhalten. Deren Begeisterung scheint kaum Grenzen gekannt zu haben: «Wie sehr liess das Volk doch seiner grossen Freude ungebunden freien Lauf, als du deinen Konsuln dein Lächeln schenktest! Da sahen wir Gesichter voller Bewunderung, starr vor Staunen, vielerlei Ausdrucksformen in den Haltungen der Menge in ihrer frohen Ausgelassenheit, unterschiedliche Arten der Bewegungen ihrer Leiber. Die ungehemmte Freiheit, Lob zu spenden, liess die Freudenrufe in bunter Regellosigkeit erschallen. Die Menge sprang und tanzte ausgelassen ohne Ende. Gefühle allzu grosser Freude achten nicht auf Schicklichkeit und Würde. Die Togen, wie sie da flatterten, die Leiber, wie sie froh umhersprangen – all dies trug sich zu, fast ohne dass die Menschen selbst es überhaupt wahrnahmen. Zügellose Freude und Jubel hatten jegliche Zurückhaltung des Volkes, jegliche Scheu vor dir besiegt.» 470 Die Szene wirkt ekstatisch. Die Toga flattern zu lassen, galt als gängige Geste der Zustimmung. 471 Doch die umherspringenden Leiber (exsultatium corporum) und der zügellose Jubel sprechen eine eindeutige Sprache. Die ungehemmte Freude, die Mamertinus hier beschreibt, scheint den Erfolg von Julians 467 Amm. 15,8,15–16. Weitere Beispiele: Amm. 25,4,22; Paneg. lat. 3 (11), 28,3; Paneg. lat. 3 (11), 6,4; Lib. or. 1, 129–130; Iul. or. 12 (mis.), 351 A; Greg. Naz. or. 5, 21; Greg. Naz. or. 5, 23; Ioh. Mal. 13,18. Vgl. auch für Constantius: Amm. 21,16,19; für Konstantin: Paneg. lat. 6 (7), 17. 468 Vgl. Paneg. lat. 3 (11), 30,1: «Es mag vielleicht überflüssig erscheinen, was ihr selbst gesehen habt, nochmals auszusprechen» (superfluum forte videatur quae vosmet ipsi vidistis iterare.) – Für eine Rekonstruktion des genauen Tagesablaufs siehe GUTZWILLER 1980, 229 f. 469 Dass die Aktion im Voraus abgesprochen war, ist jedoch eine Möglichkeit. ibid., 218-221, macht darauf aufmerksam, dass Mamertinus in den wenigen Stunden zwischen Begrüssung und Senatssitzung Claudius Mamertinus kaum die morgendlichen Ereignisse in seine Rede hätte einbauen können. Natürlich besteht immer die Möglichkeit einer nachträglichen Einarbeitung der Ereignisse zur Veröffentlichung der Rede, doch die fraglichen Kapitel sind ohne grosse Lücken nicht wegzudenken. Gutzwiller vermutet daher einen kalkulierten Empfang. Dafür spreche auch, dass der demonstrative Akt der Zurschaustellung von civilitas schon lange unübliche Gebräuche voraussetzte, deren Absprache unumgänglich gewesen seien. Das Ziel der Scharade sieht Gutzwiller darin, Julian beim Volk durch seine vorgebliche Spontanität und Zwanglosigkeit beliebt zu machen. Dieser Verdacht ist einleuchtend, jedoch nicht zu beweisen. Die Tatsache, dass das kaiserliche Verhalten gemischte Gefühle auslöste, bleibt davon ohnehin unberührt. 470 Paneg. lat. 3 (11), 29,1–3 (Übers. Müller-Rettig): In quantam laxatus est populus te consulibus tuis adridente laetitiam! Vidimus attonitos admirantium vultuss, multiformes laetantium status, varios corporum motus. Clamores inconditos profundebat laudandi effusa libertas. Tripudiabat crebris saltibus multitudo. Nimiae laetitiae decoris sunt et gravitatis immemores. Illa iactatio togarum, illa exsultatio corporum nescientibus paene hominibus excitabatur. Omnem modestiam populi, omnem verecundiam tui gaudia effrena superaverant. 471 Vgl. etwa Plin. paneg. 73,1. 120 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis civilitas- und clementia-Demonstration zu bezeugen. Die Anwesenden lasen die kaiserliche Hexis bei Mamertinus also richtig und nahmen sie in positiver Weise auf. Diese civilitas ist indes noch nicht erschöpft, denn Julian geht buchstäblich noch einen Schritt weiter: «Und so bietet er sich gleich als Begleiter an und schreitet einher, beidseits umrahmt von den Konsuln in ihrer purpurgesäumten Toga, ohne sich dabei in Art und Farbe seiner Kleidung erheblich von seinen Magistraten zu unterscheiden. Es mag vielleicht überflüssig erscheinen, was ihr selbst gesehen habt, nochmals auszusprechen (man verlangt ja nicht danach, mit den Ohren zu vernehmen, was man schon mit den Augen wahrgenommen hat): doch man muss es schriftlich dokumentieren, muss es in die Geschichtswerke aufnehmen und der Nachwelt übermitteln, was für Wunder sich zugetragen haben, die künftigen Jahrhunderten kaum glaublich erscheinen können. Fast durch die Flügeltüren bis ins Innere des Palastes hinein liess er die Konsulssänften bringen und, als wir der Ehrerbietung und dem Respekt gegenüber ihm den Vorrang einräumten und also jenen der höchsten Würde vorbehaltenen Sitz zurückwiesen, da setze er uns fast mit eigener Hand darauf, mischte sich dann unter die Schar der togatragenden Bürger, und begann, zu Fuss voranzugehen, wobei er seine Schritte sozusagen nach dem Wink des Liktors und Befehl des Wegeordners ausrichtete. Wird das jemand glauben, der kurz zuvor den bekannten Hochmut jener Purpurträger mitangesehen hat, die nur deshalb ihrer Umgebung Ehre zukommen lassen, um nicht Leute verachten zu müssen, die nicht einmal mit Ehren ausgestattet sind?» 472 Der Kaiser geht zu Fuss durch die Stadt. Die Szene erinnert an eine Episode in Plinius’ Panegyrikus, in der Trajan zu Fuss durch Rom ging und besonders nahbar wirkte. 473 Der Eindruck wird noch verstärkt durch den Verweis, dass sich der Kaiser auch rein optisch kaum von den Senatoren unterscheidet. Die Verschiebung der Szenerie unter freien Himmel ermöglichte womöglich auch der einfacheren Bevölkerung Konstantinopels einen Anblick des gehenden Kaisers. Für diese, die sich bis anhin Kaiser wie Konstantin und Constantius gewohnt waren, muss dies ein aussergewöhnlicher Anblick gewesen sein. So setzt auch Claudius Mamertinus, gleich wie Libanios, Kaiser Julian als den Inbegriff des civilis princeps in Kontrast zu der elitär zelebrierten Distanz, die ein Kaiser wie Constantius II. an den Tag legte. Folgt man Mamertinus, scheint Julians neue, eigentümliche Verhaltensweise ein voller Erfolg 472 Paneg. lat. 3 (11), 29,5–30,3 (Übers. Müller-Rettig): Itaque comitem se statim praebet et utrumque latus consulibus, praetextatis tectus incedit, non multum differens a magistratibus suis et genere et colore vestitus. Superfluum forte videatur quae vosmet ipsi vidistis iterare, neque enim auribus expetuntur quae fuerint usurpata luminibus; sed mandanda sunt litteris, inserenda monumentis, mittenda in posteros venturis saeculis vix credenda miracula. Paene intra ipsas palatinae domus valvas lecticas consulares iussit inferri et, cum honori eius venerationique cedentes sedile illud dignitatis amplissimae recusaremus, suis prope nos manibus impositos mixtus agmini togatorum praeire pedes coepit, gradum moderans paene ad lictoris nutum et viatoris imperium. Credet hoc aliquis qui illa purpuratorum vidit paulo ante fastidia? – qui ideo tantum honorem in suos ne inhonores contemnerent conferebant. 473 Siehe dazu Kapitel «‹tamquam figmentum hominis›: Der adventus des Constantius II. in Rom». 121 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis gewesen zu sein: Die Anwesenden lasen den kaiserlichen Habitus richtig und nahmen ihn in positiver Weise auf. Fraglos blendete Mamertinus in seiner Dankesrede etwaige negative Stimmen aus. Dass es solche gab, bezeugt uns wiederum Ammian, der die ganze Szene um einiges differenzierter beschreibt: «Als der Neujahrstag gekommen war, wurden die Namen des Mamertinus und des Nevitta in die Konsularlisten eingetragen. Bei dieser Gelegenheit sah man den Kaiser ohne den üblichen Pomp zusammen mit den Standespersonen bei der Zeremonie zu Fuss einhergehen. Die einen lobten diese Haltung, aber manche fanden sie affektiert und unwürdig.» 474 Ammian geht nicht weiter darauf ein, um welche Personen oder Gruppen es sich dabei handelt, doch dass er die kritischen Stimmen erwähnt, lässt vermuten, dass auch er selbst nicht besonders angetan war von dem sonderbaren Verhalten des Kaisers. Damit ist wiederum dieselbe Episode aus jeweils zwei unterschiedlichen Perspektiven erhalten, die zeigen, dass Julians Verhalten nicht nur in Antiochia, sondern bereits in Konstantinopel gemischte Gefühle hervorrief. Die ganze Episode – vom Empfang der Konsuln über die Begleitung zu Fuss – kennzeichnet einen frühen, aber für die Beobachter prägenden Moment einer Grenzüberschreitung Julians, der das althergebrachte kaiserliche Protokoll wohl sehr bewusst über den Haufen warf. In der durch eine besondere Ausgestaltung des Hofzeremoniells 475 geprägten Spätantike wird eine solche Aktion des Kaisers für alle Uneingeweihten ein Schockmoment gewesen sein, was sich in der mehrfachen und divergierenden Überlieferung der Episode ausdrückt. 476 Als Julian einige Monate später in Antiochia einzog, legte er auch hier gleich von Beginn an ein ebenso auffälliges Verhalten an den Tag. Bereits auf dem Weg von Konstantinopel nach Antiochia gab es nennenswerte Begegnungen: So berichtet etwa Ammian, dass Julian auf dem Weg nach Antiochia in einer Grenzstation den Provinzstatthalter Kelsos, den er noch von seinen Studien in Athen kannte, mit einem Kuss empfing, ihn neben sich im Wagen sitzen liess und so in die Stadt Tarsos einfuhr. 477 Auch der darauffolgende adventus in Antiochia wurde von Ammian beschrieben. Doch eine besonders eigenartige Begegnung liess dieser aus. Libanios, der damals in seiner Heimatstadt auf den Kaiser wartete, konnte seine Vorfreude wohl kaum in Zaun halten. Umso grösser wäre beinahe seine Enttäuschung gewesen, wie er in einem Brief an seinen Freund, den eben genannten Kelsos, schreibt: 474 Amm. 22,7,1 (Übers. Seyfarth): Allapso itaque kalendarum Ianuariarum die cum Mamertini et Neuittae nomina suscepissent paginae consulares, humilior princeps uisus est in officio pedibus gradiendo cum honoratis, quod laudabant alii, quidam ut affectatum et uile carpebant. 475 Siehe dazu Kapitel I. 476 Die Episode fällt auch in denselben Zeitraum, in dem Julian seine beiden Reden gegen die Kyniker hielt, was eine ebenso grobe Missachtung des kaiserlichen Protokolls darstellte (siehe oben S. 77). 477 Amm. 22,9,13. 122 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis «Kaum hatte der Kaiser dich entlassen, da traf er hier ein, und beinahe wäre er wortlos an mir vorübergegangen, da mein Gesicht sich durch das Alter und die Krankheit 478 verändert hatte; aber als sein Onkel und Namensvetter ihm sagte, wer ich bin, da machte er auf seinem Pferd eine wunderbare Bewegung, ergriff meine Rechte und hielt sie fest. Dabei streute er Scherze auf mich, liebenswerter als Rosen, und ich erwiderte sie nach Kräften. Er aber war in beidem bewundernswert, dem, was er sagte, und dem, was er sich sagen liess.» 479 Die Situation ist geprägt von einer gewissen Komik: Es ist schwer vorstellbar, wie Julians «wunderbare Bewegung» und das Halten von Libanios’ Hand vom Pferd herab nicht eine gewisse Unbeholfenheit des Kaisers ausdrückte. Dieser Eindruck wird verstärkt durch die nicht zu unterschätzende Bedeutung, die dem kaiserlichen Handschlag zukommt. 480 Julian selbst behielt sich den Handschlag üblicherweise nur für engste Freunde vor. 481 Julian reagiert hier ähnlich überrascht und situativ wie bereits bei dem (vermeintlich) unvorhergesehenen Anblick der Konsuln Mamertinus und Nevitta. Doch nun scheint es, als wäre er tatsächlich ein wenig mit der Situation überfordert gewesen. Der ganze adventus, der auch von religiösen Wehklagen und Trauergesängen begleitet wurde, entwickelte sich ohnehin bereits in einer ungünstigen Art und Weise. 482 Nun sass der Kaiser da auf dem Pferd, und hielt umständlich die Hand des danebenstehenden Libanios fest. 483 Vielleicht versuchte Julian seinen faux pas gegenüber Libanios wieder gut zu machen, indem er ihm durch eine Einladung zu den Neujahrsfeierlichkeiten 363 eine besondere Ehre erwies. Libanios sollte dazu eine Lobrede anlässlich Julians viertem Konsulatsantritt verfassen (oratio 12). 484 Das tat er natürlich, und es stellte sich als besonders glänzende Rede heraus. Noch Jahre später erinnert sich Libanios in seiner Autobiographie an die Reaktion des Kaisers: 478 Ein nicht näher bekanntes Kopfleiden, worunter er seit seiner Jugend (wo er «vom Blitz getroffen» wurde) leidet und zu dessen Linderung er regelmässig die Hilfe eines Asklepios-Heiligtum in Tarsos aufsucht; vgl. Lib. epist. 12 [727 F]; FATOUROS/KRISCHER 2014 (Libanios. Briefe), 284–88. 479 Lib. epist. 47 [736 F] (Übers. Fatouros/Krischer): Οὐκ ἔφθη σε ἀφεὶς ὁ βασιλεὺς καὶ συνέμιξεν ἐμοὶ καὶ μικροῦ μὲν σιγῇ παρέδραμεν ἠλλοιωμένου μοι τοῦ προσώπου καὶ χρόνῳ καὶ νόσῳ, φράσαντος δὲ τοῦ θείου τε καὶ ὁμωνύμου πρὸς αὐτόν, ὃς εἴην, κίνησίν τε ἐκινήθη θαυμαστὴν ἐπὶ τοῦ ἵππου καὶ τῆς δεξιᾶς λαβόμενος οὐ μεθίει σκώμμασί τε χαριεστάτοις καὶ ῥόδων ἡδίοσιν ἔπαττέ με καὶ αὐτὸν οὐκ ἀπεχόμενον τοῦ σκώπτειν. ὁ δὲ ἀμφοτέροις ἦν θαυμαστός, οἷς τε ἔλεγεν οἷς τε ἠνείχετο. 480 Das Reichen des rechten Armes (dextrarum iuncto) gilt in jedem Fall als Geste besonderer der Freundschaft, Nähe und des Vertrauens; vgl. Badel 2009, 162-163. 481 Siehe Amm. 21,5,11-12: Dem Präfekten Nebridius, den Julian zwar vor seinen wütenden Soldaten schützte, verweigerte er das Reichen der Hand; dies sei seinen Freunden als besonderer Vorzug vorbehalten. 482 Zur Ankunft während des Adonis-Festes siehe oben, S. 52. 483 FATOUROS/KRISCHER 2014, 380 betonen – nach einem eher seltsamen Vergleich mit einer Shakespeare-Stelle – ebenfalls, dass die Episode eine für die Zeit ungeheuerlich anmutende Verachtung des Protokolls von Seiten Julians aufzeigt. Eine solche Geste wäre für Diokletian oder Konstantin undenkbar gewesen. 484 Aus einem Brief des Libanios ist ersichtlich, dass Julian einigen Druck zur rechtzeitigen Veröffentlichung auf ihn ausübte: Lib. epist. 96 [785 F]. 123 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis «Der Kaiser selbst hatte für zahlreiches Publikum gesorgt. Hermes, so behauptete man, nahm sich seines Dieners an und berührte jeden einzelnen Zuhörer mit seinem Stab, auf dass kein Wort wirkungslos verklinge. Auch der Kaiser beteiligte sich: zuerst war ihm die Begeisterung vom Gesicht abzulesen; dann konnte er nicht mehr ruhig sitzen; schliesslich versagte die mühsam bewahrte Selbstbeherrschung, er sprang von seinem Sessel auf und spannte mit den Armen seinen Mantel weit aus. ‹Er verlor die Haltung›, hätte solch ein ungebildeter Lümmel gesagt; wer aber eine richtige Vorstellung von der Würde des Herrschertums besass, konnte sein Benehmen nur als angemessen bezeichnen: Was gibt es Königlicheres, als wenn eines Königs Geist bei der Schönheit des Wortes sich erhebt?» 485 Nun bekamen auch die Antiochener einen «bewegten» (im doppelten Sinne des Wortes) Kaiser zu sehen. Vieles kommt hier kommt nochmals zusammen: Die Betrachtung der Miene des Kaisers verrät seine Zustimmung; wieder springt der Kaiser von seinem Sitz auf; nun ist er es aber, der seinen Mantel ausweitet und somit Zustimmung bekundet. Dieses ausgelassene Verhalten des Kaisers brachte Libanios offensichtlich in Erklärungsnot. Zum ersten Mal nimmt Libanios an dieser Stelle die Kritik auf, die wegen des eigentümlichen kaiserlichen Verhaltens geäussert wurde. Dass der Kaiser «die Haltung verloren» habe, muss eine häufig geäusserte Meinung gewesen sein; ansonsten wäre Libanios nicht darauf eingegangen. Die von gegnerischer Seite aberkannte kaiserliche Würde Julians zeigte sich für Libanios aber in dessen klassischer Bildung: So erklärt Libanios denn auch anschliessend Julians Enthusiasmus durch dessen eigene Erfahrung als Schriftsteller, der ja selbst oft die Nächte durchwachte und Reden verfasste – deshalb könne er wie kaum ein anderer beim Anhören schöner Reden «die Fassung verlieren». 486 Damit schliesst Libanios an das bereits vorhin formulierte Erklärungsmodell an, das den Kaiser nun zwar nicht als Philosophen, aber als Rhetor beschreibt und dadurch dessen Verhalten verständlich macht. Gerade dieses Erklärungsmodell wurde von christlichen Autoren vehement abgewiesen. So etwa für den bereits erwähnten Sokrates, der die Rolle des Philosophen mit der des Herrschers als in der Praxis unvereinbar ansah. 487 Auch Gregor von Nazianz vergass nicht, wie Julian sich bewegte. Er zeigt sich zutiefst irritiert von Julians Habitus: dessen bewegter Nacken und Schultern, sein aufgeregter Blick, unsicherer Gang, lautes Lachen und stockendes Sprechen. Das Bild, das Gregor von Julian vermittelt, Lib. or. 1, 129 (Übers. Wolf): ὡς δὲ ἀπέδυν ὕστατος αὐτοῦ τοῦ βασιλέως, ὅπως ὅτι πλεῖστοι συνέλθοιεν, φροντίσαντος, τὸν Ἑρμῆν ἔφησαν τοῦ θεράποντος κηδόμενον τῇ ῥάβδῳ κινεῖν τῶν ἀκροωμένων ἕκαστον, ὅπως μηδ’ ὁτιοῦν ὄνομα θαύματος ἄμοιρον ἀπέλθῃ. βασιλεὺς δὲ τὰ πρῶτα μὲν τῇ διὰ τῆς μορφῆς ἡδονῇ μηνυομένῃ συνετέλει, ἔπειτα τῷ μέλλειν ἀναπηδᾶν, ἔπειτα, οὐ γὰρ δὴ κατεῖχεν αὑτὸν καὶ σφόδρα πειρώμενος, ἥλατο μὲν ἐκ τοῦ θρόνου, τῆς χλαμύδος δὲ ὁπόσον ἐξῆν, ταῖν χεροῖν ἀνεπέτασεν, ὡς μὲν ἂν εἴποι τις τουτωνὶ τῶν ἀγγάρων, ἐκφερόμενος τοῦ σχήματος, ὡς δ’ ἂν ἀνὴρ εὖ εἰδώς, οἷς ἂν σεμνὴ βασιλεία γένοιτο, ἄρα ἐν τοῖς προσήκουσι μένων· τί γὰρ δὴ βασιλικώτερον τοῦ βασιλέως ψυχὴν πρὸς κάλλη λόγων ἀνίστασθαι. 486 Lib. or. 1, 130. 487 Siehe dazu unten, Kapitel «Kontrastprogramm Julian». 485 124 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis ist das einer nervösen, zuckenden, sich ständig in Bewegung befindlichen Person. Sein Verhalten ist «anormal» (ἀνωμαλία). 488 Die Beschreibung trifft freilich auf den noch jungen Studenten Julian zu. Doch es handelt sich dabei um eine ex post-Beschreibung Gregors, bei der er sein späteres Wissen über den bewegten Kaiser auf ihre Begegnung in Athen rückprojiziert. Diese Beobachtungen lassen Gregor, in der Manier eines Physiognomikers, präzise Urteile über den Charakter des zukünftigen Kaisers fällen. Das unruhige Gebärden und seine ungezügelte Art der Kommunikation verraten eine innere Unruhe, während bei Libanios das aufgeregte Wortgestöber homerische Züge aufwies. Dass man es auch noch beim späteren Augustus Julian mit einem sehr unruhigen Kaiser zu tun hatte, wird auch Gregor zu Ohren gekommen sein, dessen Bruder eine Stelle als Arzt am Hof Julians innehatte. 489 Tatsächlich beschreibt Gregor Julian dann auch als einen lauten, aufgeregten, übertrieben bewegten Kaiser: «War es nicht Ruhm für seine philosophische Bildung, dass er gleich denen unter den früheren Kaisern, welche sich durch ein gesetztes, ruhiges Benehmen auszeichneten und in kritischen Momenten nicht einmal mit den Augen zuckten und nicht eine Spur von Leidenschaft hinterliessen, sich so sehr von Aufregung freihielt und so sehr über den Leidenschaften erhaben war, dass er bei Rechtsprechungen in seinem Palaste erschütternden Lärm schlagen liess, gerade als hätte er nicht anderen in ihrem Leid zu helfen gehabt, sondern als wäre er selbst der Vergewaltigte und Gezüchtigte gewesen?» 490 Hier wird Julians Habitus direkt mit demjenigen seiner unmittelbaren kaiserlichen Vorgänger beschrieben. Tatsächlich war insbesondere Constantius II. noch dafür bekannt, dass er sich in der Öffentlichkeit unbeweglich und teilnahmslos gab. 491 Es lässt sich festhalten, dass Julian ein bewegter Kaiser war, der bewegte. Julians Hexis entsprach nicht den zeitgenössischen Vorstellungen davon, wie sich ein Kaiser zu bewegen hatte. Bereits kleinste Unterschiede im Sitzen, Stehen, Küssen und Gehen schrieben sich in verschiedene Quellen ein, und sehr häufig wird Julian direkt mit seinen unmittelbaren Vorgängern verglichen, deren Verhalten offenbar gänzlich anders wahrgenommen wurde. Die verschiedenen projulianischen Quellen liefern teilweise Erklärungsmodelle für Julians Hexis, die sich zumeist auf seine civilitas beziehen; teilweise halten sie auch nur resigniert fest, dass die kaiserlichen Gebärden gemischte Gefühle hervorriefen. Die spätere 488 Greg. Naz. or. 5, 23; siehe oben, S. 89. Zu diesem für Gregor und seine Familie offenbar sehr unglücklichen Arbeitsverhältnis seines Bruders Caesarius siehe BAUMANN 2018, 106–16. 490 Greg. Naz. or. 5, 21 (Übers. Haeuser): Ἐκεῖνο δὲ πῶς οὐκ ἐπαινετὸν τῆς τοῦ φιλοσόφου παιδεύσεως, ὅτι τοσοῦτον ἀόργητος ἦν, καὶ τῶν παθῶν ὑψηλότερος, κατὰ τοὺς πώποτε τῶν βασιλέων ἀτρέπτους καὶ ἀκινήτους, καὶ μηδ’ ἂν, εἴ τι γένοιτο, τοῦ προσώπου τι παρατρέψαντας, ἢ πάθους ἴχνος ἐπισημαίνοντας· ὥσθ’ ὅτι μὲν βοῶν καὶ σεισμῶν ἐπλήρου τὰ βασίλεια δικάζων, ὥσπερ αὐτὸς ὢν ὁ τυραννούμενος καὶ ζημιούμενος, οὐκ ἄλλοις ταῦτα πάσχουσιν, ἐπαμύνων. 491 Siehe Kapitel ‹«tamquam figmentum hominis»: Der Adventus des Constantius II. in Rom›. 489 125 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis christliche Polemik beschrieb Julians Hexis als Ansammlung unwillkürlicher, nervöser Äusserungen, die physiognomisch zuungunsten des Kaisers ausgewertet werden konnten. Ein unsichtbarer Kaiser Die Kaiserbilder, an deren Genese die unterschiedlichen zeitgenössischen Autoren arbeiteten, sind nur sehr punktuelle Aufnahmen einer sehr viel breiteren Wahrnehmung des Kaisers in der römischen Bevölkerung. Für die einfache Bevölkerung stellte sich zuerst nicht so sehr die Frage, wie sie den Kaiser sahen, sondern ob sie ihn überhaupt sehen konnten. Bei der Lektüre des Misopogon wird ersichtlich, dass sich Julian zumindest in Antiochia von den Spielen im Theater und Hippodrom grundsätzlich fernhielt. Er schränkte die Schauspielkunst auf ein Minimum ein. 492 Dies war ein wesentlicher Reibungspunkt zwischen ihm und der Bevölkerung. Dabei vermied Julian Spiele nicht immer und überall; es sind mehrere Stellen in den Quellen nachweisbar, die auf von Julian ausgeführte Spiele hinweisen: So etwa nach seinem Einzug in Sirmium, oder gar während des Feldzuges in Persien. 493 Dass Julian insbesondere in Antiochia die Spiele vermied, könnte also weniger mit einer Abneigung gegenüber den Spielen zusammenhängen, die aus seiner philosophischen Erziehung resultierte, sondern vielmehr damit, dass er in Antiochia bei jeder Gelegenheit, bei der er sich öffentlich zeigte, dem Spott preisgegeben war. Dieser vermeintliche Ausweg führte aber nur zu weiteren Angriffen. 494 Wie aus dem Misopogon ersichtlich ist, beschränkte sich der Spott nicht nur auf die festlichen Aktivitäten der Kalenden, sondern war ein Phänomen, dem Julian grundsätzlich begegnen konnte; so kritisiert er etwa, dass die Antiochener den Spott auf die öffentlichen Plätze hinaustrugen, oder gar Pamphlete mit Schmähreden in der ganzen Stadt anzutreffen waren. Zuweilen hatte Julian auch keine Wahl, den Spielen fernzubleiben: Die pompa circensis, ein traditionell wichtiges paganes Fest am 3. Januar, an dem die Konsuln Götterbilder tragend oder gar als Götter verkleidet von der Agora in den Circus zogen, muss für Julian ein wichtiges Ereignis gewesen sein, an welchem er vermutlich persönlich teilnahm. Solche Ereignisse boten viele Gelegenheiten für das Volk, mit dem Kaiser in Kontakt zu treten und luden zu Spottversen ein: Wenn Julian die Antiochener rügt, weil sie ihn öffentlich «auf dem Marktplatz» beschimpften, bezieht er sich vielleicht auf den Spott während eines solchen Festzugs. 495 Auch Libanios erwähnt, wie sich im Hippodrom Antiochias die aufgebrachte Menge bei Julian über ihren Hunger beschwerte. 496 Zosimos macht im Verhalten des Kaisers sogar den Hauptgrund für den 492 Iul. or. 12 (mis.), 344 A. Amm. 21,10,1–2 bzw. Eun. frg. hist. 27.3–4. 494 Vgl. Iul. or. 12 (mis.), 344 B. 495 Siehe GLEASON 1986, 110. 496 Lib. or. 18, 195. 493 126 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis Spott der Antiochener aus, die eben von Natur aus schaulustig seien und sich über das Masshalten des Kaisers ärgerten. 497 Circus, Theater und Hippodrom waren für die Bevölkerung ein wichtiger traditioneller Kommunikationsraum. Besonders die gemeinsame Versammlung im Theater bot eine Gelegenheit, bei der ein normaler Bürger einen Blick auf den Kaiser erhaschen und ihm seine Anliegen und Klagen in der anonymen Masse vermitteln konnte. 498 Bei diesen Angelegenheiten boten die architektonischen Voraussetzungen eine aussergewöhnliche Exponiertheit des Kaisers. Besonders das Hippodrom eignete sich angesichts seiner baulichen und szenischen Voraussetzungen ausgezeichnet für institutionalisierte Kommunikation: Der Kaiser sass weithin sichtbar in seiner Loge und konnte von Zehntausenden auf einmal gesehen werden. Das weite Rund des Bauwerks vermittelte den Zuschauern zudem ein gewisses Gefühl der Einheit als Bevölkerung der Stadt, welche durch den Zustand des gemeinsamen Sitzens und gegenseitigen Sehens verstärkt wurde. Im Gegensatz zu einem adventus waren die stunden- oder tagelang andauernden Veranstaltungen im Hippodrom «statische» Angelegenheiten, bei denen der Kaiser ständig beobachtet werden konnte und nicht durch Leibwachen und Amtsträger verdeckt war. In kaum einer Situation war der kaiserliche Körper also so exponiert und sichtbar wie im Hippodrom. 499 Egon Flaig machte auf die Wichtigkeit der Spiele als Konsensritual aufmerksam. 500 Gelegentlich ostentativ das zu tun, was die Untertanen taten (d.h. aufmerksam den Spielen beizuwohnen) konnte als Annäherung des Herrschers an die Beherrschten gelesen werden, was letztlich eine herrschaftsstabilisierende Funktion hatte. Doch wenn sich der Herrscher diesem Ritual entzog und damit wiederholt dem erwünschten «Imago» zuwiderhandelte, konnte ihm die plebs im schlimmsten Fall die Akzeptanz aufkündigen. 501 Zumindest musste ein Kaiser aber mit Kritik und Spott rechnen, wenn er den Spielen nicht oder zu wenig aufmerksam beiwohnte. 502 Spiele waren ebenfalls eine Gelegenheit für die Kaiser, ihre civilitas auszudrücken. 503 Diese kommunikative Funktion musste in den Provinzstädten, die mit dem Kaiser nur selten in Kontakt treten konnten, von besonderer Wichtigkeit sein. 504 Julian scheint es vermieden zu haben, sich dieser traditionellen Form der Kommunikation mit der Antiochenischen Öffentlichkeit auszusetzen. Dabei war ihm selbst bewusst, dass seine Vorgänger im Amt 497 Zos. 3,11,4–5. Als paganer Autor ignoriert Zosimos die religiösen Konflikte und übergeht auch die Fehler in Julians Wirtschaftspolitik. 498 LEHNEN 1997 (Adventus principis), 193–95. 499 PFEILSCHIFTER 2013, 344. 500 FLAIG 2019, 83. 501 Ibid., 111–15. 502 So wurde nach der Überlieferung der Historia Augusta etwa Mark Aurel bereits vom Volk verspottet, weil er die Angewohnheit hatte, im Circus zu arbeiten: SHA Marc. Aur. 15,1. 503 Vgl. WALLACE-HADRILL 1982 (Civilis Princeps: Between Citizen and King), 38: Dies hänge damit zusammen, dass das Theater und die spectacula in der frühen Kaiserzeit in gewisser Weise die comitia als «offizielle» Versammlung des populus Romanus ersetzten: Spiele boten die beste Gelegenheit, den Willen des Volkes zum Ausdruck zu bringen. 504 LEHNEN 1997, 194 f. 127 Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis sich diesbezüglich ganz anders verhielten: Er macht selbst Anspielungen auf Constantius und Gallus, die sich den Spielen in Antiochia genüsslich hingaben. 505 Julian versuchte sich auch hier von seinen Vorgängern abzusetzen. Was aber für Julian ein Anzeichen für Genusssucht ist, wurde von den Antiochenern als wichtige Anerkennung seitens des Kaisers gesehen. Diese hielt ihnen der neue Kaiser vor, der zugleich in den aristokratischen, d.h. für die Bevölkerung nicht zugänglichen Räumen von Konsuln und Rhetoren wie Mamertinus und Libanios seiner Bürgernähe gerühmt wurde. Julian war gab sich für die Antiochener als unsichtbarer Kaiser, der den traditionellen Kommunikationsräumen fernblieb, während er noch in Konstantinopel demonstrativ mit seinen Konsuln zu Fuss durch die Strassen ging und seine civilitas feiern liess. Zwischenfazit Es lassen sich unterschiedliche Kaiserbilder ausmachen, die in der Julian-freundlichen Tradition vorkamen. Grundsätzlich einig war man sich bezüglich Julians asketischer Lebensweise, die sogar unter Julian-feindlichen Quellen zuweilen Anerkennung findet. Jedoch zeigt sich, dass auch unter Julians Bewunderern nicht jeder Aspekt seines Habitus wohlwollend aufgenommen wurde. Die verschiedenen Autoren versuchten, jeder auf seine Art, aus dem vielschichtigen Kaiser schlau zu werden und projizierten für sie verständliche, lobenswerte Rollen auf ihn: So ist Julian bei Ammian in erster Linie Soldat, bei Libanios ist Julian Hellenist und Ausbund an civilitas. Während Libanios durch diese Brille weniger Probleme hatte, Julians Verhalten unter Konsuln einzuordnen, zeigt sich Ammian in derselben Beschreibung sehr viel distanzierter. Auch unter den Soldaten kam Julians philosophisches Gehabe schlecht an, und er musste darauf achten, sie bei Laune zu halten; ansonsten lief er Gefahr, sich aufgrund seiner wahrgenommenen griechischen Herkunft und seines Intellektualismus von seinen Soldaten zu entfremden. Die Bevölkerung Antiochias wünschte sich indes vor allem einen Herrscher, der die Wirtschaft wieder in Schwung bringt; man interessierte sich nicht für Julians militärische und noch viel weniger für seine philosophischen Leistungen. Dass Julian den zum Teil hungernden Antiochenern seine asketische Lebensweise nahebringen wollte, kam – wenig überraschend – ganz schlecht an und zeigt eine gewisse Realitätsferne des Kaisers an. 505 Iul. or. 12 (mis.), 340 A (Übers. Giebel). 128 V. Das spätantike Kaiserzeremoniell Ein Herrscher tritt selten allein auf. Herrscherkörper sind daher nicht isoliert zu betrachten; sie sind eingebunden in ein Zeremoniell, welches die Sichtbarkeit des Herrschers, seine Entourage und im Normalfall eine gewisse Menge an Pomp und Luxus umschliesst. Es markiert den Herrscherkörper als etwas Besonderes und erhebt ihn zum Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Regeln des Zeremoniells galten auch für Julian: Als Kaiser konnte er sich den gängigen Formen kaiserlicher Repräsentation nicht entziehen. Das spätantike Kaiserzeremoniell ist in der althistorischen Forschung bereits eingehend untersucht worden. Die Ausgestaltung der kaiserlichen Repräsentation seit Diokletian und Konstantin wurde dabei häufig als besonders ausgeprägt im Vergleich zu früheren Epochen gesehen. Um die Konflikte um Kaiser Julian besser verstehen zu können, lohnt es sich, einen genaueren Blick auf diesen Kontext zu werfen. Neben einer allgemeinen Darstellung der wichtigsten Aspekte kaiserlichen Repräsentation liegt der Fokus im Folgenden insbesondere auf dem kaiserlichen Habitus und seiner Einbettung im spätantiken Kaiserzeremoniell. Die Begriffe «Herrscherzeremoniell» und «Kaiserzeremoniell», gelegentlich auch «(kaiserliches) Protokoll» und andere werden in der Forschung zum spätantiken Kaisertum zumeist synonym verwendet; weiter wird auf eine klare Unterscheidung zwischen Herrscher‑ und «Hofzeremoniell» weitgehend verzichtet. 506 Mit dem Kaiserzeremoniell ist allgemein die öffentliche Lebens- und Amtsführung der römischen Kaiser gemeint, welches wiederum in ein Hofzeremoniell eingebunden war, welches ausser dem Kaiser auch alle anderen am Hof lebenden und arbeitenden Personen umfasste. 507 Die Funktionen des Zeremoniells waren also einerseits auf die Person des Herrschers gerichtet, andererseits auf die Struktur und Kommunikation innerhalb des Hofes und zwischen dem Kaiser und seinen Untergebenen. Das Kaiserzeremoniell hatte die klare Unterscheidung zwischen dem Kaiser und seinen Untergebenen sowie die Erhöhung des Herrschers zum Ziel, welche häufig auch mit der Schaffung eines überweltlichen Nimbus um die Person des Kaisers einherging. Damit diente es auch zur Bekräftigung und Legitimation der kaiserlichen Herrschaft. Zugleich wurde aber auch ein religiöses Bedürfnis der Bevölkerung erfüllt, eine gottähnliche Gestalt zu verehren. Das Zeremoniell regelte die Beziehung zwischen der irdischen und der göttlichen Ordnung, sowie es auch die Kommunikation zwischen dem Herrscher und seinen Untergebenen am Hof und ausserhalb des Hofes regelte. 508 Die drückte sich insbesondere durch die 506 Vgl. etwa die RAC-Artikel «Kaiserzeremoniell» (2001), «Hofzeremoniell» (1994), sowie auch «Herrscherbild» und «Herrschaftszeichen» (1988), die wechselseitig aufeinander verweisen und sich inhaltlich mehrheitlich überschneiden. 507 BRAKMANN 1994 (s.v. «Hofzeremoniell»), 1. Da die vorgestellten Begriffe nicht sinnvoll voneinander zu trennen sind, wird im Folgenden der Begriff «Kaiserzeremoniell» unter Einschluss aller anderen Termini verwendet. 508 WHITBY 2001 (s.v. «Kaiserzeremoniell»), 1136 f. 129 Das spätantike Kaiserzeremoniell rituelle Gestaltung jedes öffentlichen Auftretens des Kaisers aus und umfasste Kleidung, Schmuck, Bewegung, Haltung, Transport und Begleitung des Kaisers. Orientalismus-Diskurse in der Tetrarchie In zwei klassisch gewordenen Aufsätzen, die später in einem Band zusammengefasst wurden, 509 untersuchte Andreas Alföldi in den 30er-Jahren das tetrarchische Kaiserzeremoniell und die Veränderungen in der kaiserlichen Repräsentation unter Diokletian. Seine Untersuchungen zum Hofzeremoniell, römischen Herrschaftsinsignien und anderen spätantiken kaiserlichen Repräsentationsformen sind bis heute einflussreich. Aufgrund des toposhaften Charakters der antiken Beschreibungen von Diokletians angeblichen Neuerungen sah er diese als nicht authentisch an und machte die «tatsächliche Ausgestaltung des monarchischen Zeremoniells» zum Thema seines ersten Aufsatzes. Alföldi zeichnet darin die Vorbedingungen für das spätantike Kaiserzeremoniell innerhalb der römischen Tradition nach, die teilweise bis in die Zeit des Prinzipats zurückreichen, um aufzuzeigen, dass die angeblichen Neuerungen Diokletians in Wahrheit der Kulminationspunkt einer langen Entwicklung waren. Insbesondere verfolgte Alföldi die Entwicklung des Huldigungsaktes der Proskynese, die von ihm als eine zusammengesetzte Handlung definiert wurde, in welcher «küssen» und «zu-Füssen-fallen» inbegriffen waren. 510 Er zeigte auf, dass sie bereits im frühen Prinzipat begann und sich spätestens unter Kaiser Commodus durchgesetzt hat, sodass Diokletian kaum als Urheber der Einführung des Kniefalls angesehen werden könne. 511 Untersuchungen über die adoratio vor den Kaiserbildern, die Akklamationen gegenüber dem Herrscher, den Paradezug durch die Stadt und dessen Angleichung an den Triumph, über den Gebrauch von Sänften und Wagen sowie über weitere Attribute des Zeremoniells beschliessen den ersten Teil von Alföldis Werk. In allen Bereichen zeichnet er eine lange Entwicklung nach, welche unter Diokletian oft nur einen neuen Höhepunkt erreichte. Anschliessend an die Darstellung der Gesamtentwicklung des Kaiserzeremoniells fasste Alföldi in seinem zweiten Aufsatz die Herrschaftsinsignien ins Auge. Detailliert beschrieb er die kaiserlichen Repräsentationsformen und ihrer Entwicklung. Dazu gehören Amtsabzeichen, das Triumphalkostüm und die Feldherrentracht, sowie die Attribute, die im Zusammenhang mit der Krönung wichtig sind, wie der Purpurmantel und das Diadem. Es dürfe, so Alföldi, nicht vergessen werden «dass die Zeremonien der Thronbesteigung im Altertum überall nichts weiter als ein Ankleiden gewesen sind». 512 Mit der Über- 509 ALFÖLDI 1980. Ibid., 46 f. 511 Ibid., 53–59, speziell 58. 512 Ibid., 168. 510 130 Das spätantike Kaiserzeremoniell windung des bürgerlichen Charakters des Prinzipats sei der Feldherrenmantel als purpura zur ausschliesslichen Verkörperung des Kaisertums geworden, welches fortan anstatt der auctoritas der Person und dem consensus der Bürger als Machtsymbol die Herrschaft rechtfertigte. 513 Eine Neuerung sah Alföldi jedoch interessanterweise im militärischen Charakter von Julians Erhebung zum Augustus. Obwohl er für die Krönung mit dem Torques und der damit «untrennbaren» Schilderhebung Vorläufer annimmt, ist diese Art der Erhebung erstmals für Julian für das Jahr 360 nachweisbar. Diese militärische Form der Kaiserkrönung sei noch im 5. Jahrhundert mit der christlichen Zeremonie verbunden worden und habe das Krönungsritual des Mittelalters wesentlich mitgeprägt. 514 In einem zweiten Teil macht Alföldi dann auf die im Laufe der Kaiserzeit zunehmende Sakralisierung der Kaiserherrschaft aufmerksam, neben der juristischen Festlegung von sakralen Herrschaftsbegriffen auch durch eine immer häufigere Übernahme von religiösen Beinamen in die Kaisertitulatur oder die Siegernamen, welche im Lauf der Zeit von Titeln, die im Rahmen spezifischer Siege verliehen wurden, zu Beinamen, welche eine allgemeine Sieghaftigkeit des Herrschers ausdrücken. Der Erhöhung des Monarchen in eine geradezu göttliche Sphäre durch Kaiserkult und Insignien ist ein weiterer Abschnitt gewidmet, insbesondere denjenigen Attributen, die nach Alföldi direkt aus dem hellenistischen Königskult übernommen sind. Als «bewegende Kräfte der Entwicklung» erkannte Alföldi schliesslich zwei in der gesamten Entwicklung der Kaiserzeit wirkende, gegensätzliche Kräfte: «Der Gegensatz der herrschenden Stadtgemeinde und der unterjochten Ökumene, des orientalischen und okzidentalischen Geistes, der Zwiespalt der Lebensform in Stadt und Land, die territoriale Verschiedenheit der beiden Reichsteile waren hier zugleich am Werke; Dynamik und Statik, organischer Aufbau und mechanische Gliederung, juristische und religiöse Grundlegung, Freiheit und Bindung fochten miteinander ihren ewigen Kampf.» 515 Die Entwicklung des Zeremoniells sei dabei wechselhaft durch die Ausschläge des Pendels nach den beiden Seiten hin bestimmten gewesen. Doch im Verlauf der Entwicklung zur Spätantike attestierte Alföldi eine zunehmende Bürokratisierung, welche «die Erbsünde einer jeden Bürokratie, den übertreibenden Kult der Formeln» mit sich brachte. 516 In den kaiserlichen Auftritten stellte Alföldi mit der zunehmenden Formelhaftigkeit auch eine Steigerung der materiellen Pracht fest. Einerseits in der Kunst, als dekorativer Ersatz für die lebensgetreue Darstellung, andererseits im echten Leben, durch die zunehmende Notwendigkeit des Herrschers, einer «primitiven Menge» zu imponieren, d.h. das Volk und auch die Gesandten der Barbarenvölker durch effektvolle Gold- und Edelsteinpracht des Thronsaals, durch Kostüme und Waffenrüstung der Kaiser, des Personals und der Leibwache zu beeindrucken. 517 Dennoch, oder gerade darum, sah Alföldi 513 ALFÖLDI 1980, 169. Ibid., 169–73. 515 Ibid., 272. 516 Ibid., 273. 517 Ibid., 274. 514 131 Das spätantike Kaiserzeremoniell im spätantiken Zeremoniell des «Dominats» ein «Zurücksinken von der alten Kulturhöhe auf eine weit primitivere Stufe» 518. Zugleich sei der Herrscherbegriff des Dominates, sein Zeremoniell und seine Attribute stark orientalisch durchsetzt oder hellenistisch gefärbt. Orientalisiert sei «die Religion und das Denken», die «polychrome Kunstindustrie der barbarischen Edelsteininkrustation», das Walten von Eunuchen am Kaiserhofe «wie in asiatischen Königssitzen». Auch die moderne Forschung beschränkte sich lange Zeit darauf, die spätantiken Entwicklungen aus dem Wirken orientalischer Vorbilder zu erklären. 519 Tatsächlich bezeichnen die antiken Quellen – darunter Aurelius Victor, Eutropius und Ammian – Diokletian als inventor einer neuen höfischen Sitte nach persischem Vorbild: Als omnium primus habe Diokletian die Proskynese, den unterwürfigen Kniefall der Untertanen vor dem Herrscher, sowie ein üppig verziertes Kaisergewand und Schuhwerk eigeführt, nachdem zuvor eine normale Begrüssung und lediglich ein Purpurmantel üblich gewesen seien. 520 Die Neuerungen werden durchgehend negativ gesehen, auch wenn Diokletian etwa im Falle von Aurelius Victor ansonsten positiv bewertet wird. Auch wenn Alföldi die angeblichen Neuerungen des spätantiken Kaiserzeremoniells als lange Entwicklung seit den Anfängen der römischen Kaiserzeit entlarvte, reproduzierte er am Ende so den antiken Diskurs von «orientalischem» Luxus, welcher in den zeitgenössischen Quellen den neuen Herrschaftsformen ab Diokletian unterstellt wurde. In der Folge wurde das spätantike Kaiserzeremoniell in der Forschung weitgehend als starres Diktat gesehen, in welchem dem Kaiser als abgeschotteten, «unbewegten Beweger» relativ geringen Handlungsspielraum zukam. Diese allzu starre Sicht wird in der neueren Forschung jedoch zunehmend infrage gestellt. 521 Unnahbare Herrscher Für Alföldi stellte das religiöse Zeremoniell die Essenz der römischen Monarchie dar, während das republikanische Element, das Verhalten des Princeps als einfacher Bürger, eine untergeordnete Modifikation war. 522 Nur ein winziger Bruchteil der Bevölkerung, der Senat, kümmerte sich tatsächlich um derlei Dinge. So sei etwa das Auftreten des Kaisers als Princeps und civis in den ersten beiden Jahrhunderten n. Chr. im Wesentlichen auf eine intime Verhaltensweise gegenüber den Senatoren und anderen Eliten beschränkt gewesen. Die Millionen Einwohner des Römischen Reichs wären dagegen von Anfang an dem Kaiser gegenüber nichts als Untertanen gewesen. Weiter betonte Alföldi die «physische Unmöglichkeit» eines wirklich zwanglosen Verkehrs zwischen Kaiser und seinen Untertanen bereits zu Prinzipatszeiten, und macht darauf aufmerksam, dass das immer wieder betont bürgerlich-einfache 518 ALFÖLDI 1980, 275. WINTERLING 2002 (s.v. «Zeremoniell [4]»), 774. 520 Aur. Vict. Caes. 39,1–8; Eutrop. 9,26; Amm. 15,5,18. 521 PFEILSCHIFTER 2013, 86. Siehe dazu unten, Kapitel «Kontrastprogramm Julian». 522 Vgl. ALFÖLDI 1980, 25–28. 519 132 Das spätantike Kaiserzeremoniell Verhalten gegenüber der «Freunde» des Kaisers in Wahrheit nur gegenüber seinem Hofgesinde gepflegt wurde. 523 Zur sakral-theologischen Prägung des Verkehrs zwischen Kaiser und Untertan brauche man nicht gleich das orientalische Gottkönigtum nach Rom «herüberzupflanzen»; bereits die Prinzipatszeit sei durch eine sakrale Erhöhung des Amts des Augustus «unendlich hoch» über alle anderen hinweg geprägt gewesen. 524 Gegen eine solche Deutung sprach sich später Wallace-Hadrill aus. 525 In Alföldis Sichtweise gerate die tatsächliche Ambivalenz der römischen Kaiserherrschaft aus dem Blick. Das römische Kaisertum gründe trotz der stetig zunehmenden monarchischen Elemente auf der Prinzipats-Idee, welche im Grunde durch eine (rituelle) Ablehnung (recusatio) der Herrschaft durch jeden neuen Herrscher markiert ist. Augustus und seine Nachfolger hätten gerade durch die Ablehnung von Ämtern und Ehren für ihre Herrschaft geworben. Dabei sei die recusatio nicht nur bei der Akklamation zum Herrscher relevant gewesen, sondern ein sich durchgehend durch die Herrschaftszeit ziehendes Phänomen, etwa in der Ablehnung von Triumphzügen und -bögen. So etwas habe es in den hellenistischen Monarchien und in der Republik nicht gegeben. 526 Man dürfe im Verhalten der römischen Elite im Umgang mit dem Herrscher eine grosse Portion «voluntary self-deceit» nicht vernachlässigen. Die senatorischen Quellen seien zwar einseitig in ihren Anforderungen an eine gute Kaiserherrschaft, doch sie zeigen auch, dass die meisten Kaiser sich an diese Anforderungen gehalten haben. Zudem habe die Anthropologie gelehrt, dass auch ein oberflächlich anmutendes Ritual nicht vorschnell zu verwerfen, sondern als Ausdruck einer tatsächlichen Wahrheit im Kern einer Gesellschaft zu erkennen möglich sei. 527 Dennoch bleibt die Beobachtung von Alföldi im Kern relevant: Auch, wenn der Kaiser im Umgang mit der senatorischen Elite gewisse Elemente einer Vorstellung von civilitas zelebrierte, so beschränkte sich dieses Verhalten grundsätzlich auf eben jene elitären Kreise. Demgegenüber fassen wir eine andere Art des Verhaltens in der «echten» Öffentlichkeit, d.h. ausserhalb des geschützten Rahmens der kaiserlichen Residenzen, die, wie Alföldi betont hat, für den einfachen Bürger unzugänglich blieben. Der gewöhnliche Mann hingegen, so hielt Alföldi fest, musste schon glücklich sein, wenn er einen freundlichen Blick des Princeps im Vorübergehen auffangen konnte. 528 Diese Tendenz mag ihre Wurzeln bereits in frühesten Prinzipatszeiten haben, doch wurde sie mit der fortschreitenden Ausgestaltung des Kaiserzeremoniells insbesondere in der Spätantike immer gewichtiger. 523 ALFÖLDI 1980, 27. Ibid., 29. 525 WALLACE-HADRILL 1982; explizit in Bezug auf Aldöldi: 36 526 Ibid., 36 f. 527 Ibid., 36. 528 ALFÖLDI 1980, 25; vgl. auch den Bezug auf die antike Terminologie, in der salutari immer mit dem Begriff des Princeps und adorari mit dem des Dominus unzertrennlich verbunden gewesen sei: ibid., 39. 524 133 Das spätantike Kaiserzeremoniell In der Spätantike wurde die generelle Sichtbarkeit der Herrscher mit fortschreitender Entwicklung der Ausgestaltung des Zeremoniells und der zunehmenden Palastkultur immer stärker eingeschränkt. Der zurückgezogene Herrscher war für die Bevölkerung selbst der aktuellen kaiserlichen Residenzstadt im Alltag nicht zugänglich. Der Palast wurde immer mehr zur grundlegenden kaiserlichen Einrichtung, dessen Ausbau zuweilen auch kritisiert wurde. 529 Auch für Mitglieder der gebildeten Elite wurde der Zugang zum kaiserlichen Palast immer weiter begrenzt; ein Umstand, der sich auch in den Quellen niederschlug. 530 Die Isolation des Kaisers, dem man sich nur über den langen und mühsamen Weg seiner Beamten nähern konnte und der, sobald er sich ausserhalb des Palastes bewegte, durch ein sorgfältig geordnetes Gefolge geschützt wurde, erhöhte seinen gottähnlichen Status. 531 Für die einfachen Bürgerinnen und Bürger galt dieser eingeschränkte Zugang zum Herrscher freilich noch in weitaus grösserem Masse. Doch es gab eine seltene, jedoch zentrale Ausnahme, bei der die Bevölkerung als Gruppe mit dem Herrscher in Kontakt treten konnte: Der Kaiser zeigte sich seinen Untergebenen bei den Spielen in Hippodrom, Circus und Theater. Auf die Wichtigkeit von Circus, Theater und Hippodrom als Kommunikationsraum für die Bevölkerung und die damit verbundene Funktion der Spiele als Konsensritual wurde oben bereits aufmerksam gemacht. 532 Wenn Julian im Misopogon darauf verweist, dass seine Vorgänger den Gang zu den Spielen nicht so mieden wie er, kommt das nicht von ungefähr: Constantius und Gallus gaben tatsächlich öfters Spiele für das Volk. Auch Ammian verweist auf prunkvolle Spiele, welche Constantius in Arelate und in Rom gab. 533 Der Applaus bei Spielen war ein wichtiger Gradmesser für die Zustimmung bei der Bevölkerung. 534 Dies schien auch Konstantin ernst zu nehmen: Eunapios berichtet davon, dass der Kaiser aufgrund des spärlichen Beifalls im Theater von Byzantion deprimiert wurde. 535 Solche Gelegenheiten, den Kaiser zu sehen, waren relativ selten, und so erwartete die Bevölkerung der Städte bei einem Besuch des Kaisers solche Veranstaltungen von ihm. Doch zwischen diesen Ereignissen war der Kaiser nicht sichtbar und unzugänglich im Palast abgeschirmt. Wenn er sich dann zeigte, war dies jedes Mal ein besonderes Schauspiel: Insbe- 529 Etwa im Panegyrikus des Claudius Mamertinus an Julian (Paneg. lat. 3 (11), 29,5–30,3); vgl. DAGRON 1974 (Naissance d'une capitale), 94 f. 530 So beschwerte sich etwa Eunapios, dass er für seine Recherchen zu Kaiser Gratian keinen Zugang zum kaiserlichen Palast erhielt, in welchen Informationen äusserst streng gehütet würden: Eun. frg. hist. 50. Etwa zur gleichen Zeit erwähnt Pseudo-Aurelius Victor das verborgene Privatleben des Kaisers Theodosius, dessen Details, «wie man sagt», dem Hof vorbehalten sind und sich dadurch den Blicken und Ohren der Menschen entziehen: (Ps.-)Aur. Vict. epit. Caes. 48,18–19. 531 WHITBY 2001, 1145 Andererseits entstand durch die vielen militärischen Kampagnen der Spätantike das Phänomen der «reisenden Kaiser», welches neue, stark formalisierte Möglichkeiten zu einer Begegnung zwischen Volk und Kaiser bei der Ankunft in und Abreise aus den Provinzstädten eröffnete; siehe unten, S. 135. 532 Siehe oben, Kapitel «Ein unsichtbarer Kaiser». 533 Amm. 14,5,1–2; Amm. 16,10,13–16. 534 MARCONE 2020, 332 bezeichnet die Spiele als «opinion poll». 535 Eun. vit. soph. 6,2,8–9. Vgl. auch die Episode bei Malalas, nach der Licinius wütend auf die schimpfende Menge im Hippodrom Antiochias war und auf sie schiessen liess: Ioh. Mal. 12,49. 134 Das spätantike Kaiserzeremoniell sondere Diokletian war dafür bekannt, sich bei seinen immer seltener werdenden Auftritten in besonders prächtigen Kleidern und Umgebung von Prunk zu zeigen. 536 Malalas überliefert, dass Diokletian in Antiochia während der olympischen Spiele in der Tracht eines Alytarchen auftrat – womit er nun in eigener Aussage als olympischer Spielleiter und nicht mehr als Kaiser handelte. 537 Der Wechsel zwischen Rückzug in den Palast und prächtig inszenierten öffentlichen Auftritten war ein Spiel des Wechsels zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, den die Kaiser der tetrarchischen und konstantinischen Zeit zu spielen verstanden. Dies zeigt sich nicht nur bei den Auftritten im Circus und Theater: Ankunft und Abreise des Kaisers in und aus einer Stadt war ebenfalls jedes Mal ein sorgfältig inszeniertes Ereignis: Besonders dem adventus fiel in den zeitgenössischen Quellen besondere aufmerksam zuteil. Der spätantike Adventus Besonderes Gewicht erlangte in der Spätantike jede Form des Ankommens, insbesondere der adventus in eine Stadt, welcher nicht nur auf Seiten des Kaisers, sondern auch der Bevölkerung in Form der Akklamation und dem Entgegengehen durchstrukturiert war. 538 Die Bedeutung des adventus zeigt sich insbesondere darin, dass nach einem konfliktreichen Herrschaftsantritt der Empfang eines Kaisers in eine neue Stadt gewissermassen als Akzepttanzzeremonie fungieren konnte. In diesem Sinne wurde Julian in den Augen der Bevölkerung der jeweiligen Städte gerade erst durch den adventus zum neuen Herrscher erhoben. 539 Es lohnt sich daher, diese Form kaiserlichen Auftretens näher zu beleuchten. Gelegenheiten, bei denen der populus in eine mehr oder weniger direkte Interaktion mit dem Kaiser treten konnte, waren rar. Doch durch die reisenden Kaiser des 3. und frühen 4. Jahrhunderts ergab sich für die Bewohner der Provinzstädte ab und zu eine Möglichkeit zu einer solchen Begegnung. Der Kaiser, der normalerweise unsichtbar ist, wurde durch den adventus sichtbar und mutierte zum deus 536 Vgl. WHITBY 2001, 1143; vgl. auch BROWNING 1975, 7 f.: «When they [Diokletian und seine Nachfolger] did appear, they were raised high above the heads of the crowd, surrounded by guards in glittering armour, preceded by trumpeters. Clad in purple from head to foot, resplendent in jewels, the emperor did not deign to notice the applause of his loyal subjects. Immobile, gazing into space, trying to look twice his size, he posed as a superman. His every movement was surrounded by protocol and ceremony. He was addressed in terms more appropriate to a god than to a man.» 537 Ioh. Mal. 12,44. Das besonders in Antiochia bedeutende Amt bestand in der Leitung der olympischen Spiele. Malalas beschreibt, wie das ansonsten weisse Kleid des Alytarchen bei Diokletian purpurfarben war. Indem Diokletian dieses Kleid anlegte, legte er mit dem kaiserlichen Ornat auch sein Amt ab. 538 BRAKMANN 1994, 1. 539 In diesem Sinne MACCORMACK 1981, 48: «From the public, civilian point of view, Julian's accession consisted not of the moment of acclamation, or the moment of inner struggle for inspiration and lucidity that Julian himself described; such a comprehension of the moment of accession still lay in the future, and that moment came to be crystallised in the ceremony of accession.» 135 Das spätantike Kaiserzeremoniell praesens. 540 Die zeremoniell ausgestaltete kaiserliche Ankunft war einer der seltenen Berührungspunkte des Kaisers und der Bewohner der Provinzstädte. 541 Insbesondere die viel reisenden Kaiser der Tetrarchie und der konstantinischen Dynastie boten häufigen Anlass zu prachtvollen adventus-Zeremonien, deren visuelle Wirkkraft in den zeitgenössischen Quellen ausgiebig behandelt wird. Dabei stand auch der Körper des Kaisers im Zentrum der Aufmerksamkeit. Bourdieu betonte die Funktion des Leibes, insbesondere bei der Inszenierung grosser Massenveranstaltungen, durch bestimmte Haltungen damit verbundene Gefühle und Gedanken heraufzubeschwören – eine Funktion, die in allen Gesellschaftsordnungen systematisch ausgenutzt werde. 542 Jedes Mal, wenn ein Kaiser von einer Stadt zu einer anderen reiste, wurde die Ankunft des Kaisers am neuen Ort als grosses Ereignis wahrgenommen. 543 Durch das gehäufte Auftreten dieses Ereignisses musste der adventus zwangsläufig mit der Zeit feste Formen erhalten und stabilere Erwartungen in den Beteiligten wecken. 544 Dies führte unter anderem dazu, dass die kaiserliche Ankunft in verschiedenen Phasen vonstattenging, welcher unterschiedliche Möglichkeiten der Kontaktaufnahme zwischen Herrscher und Beherrschten bot. Dementsprechend lässt sich in den spätantiken Quellen ein Ablauf in zwei Teilen ausmachen: Eine Phase, in der sich der Kaiser der Stadt nähert und ausserhalb der Stadtmauern empfangen wird, und eine andere, welche innerhalb der Mauern stattfindet und durch einen direkten Austausch zwischen Bevölkerung und Herrscher besteht. 545 Während diesen beiden Phasen befand sich der Herrscher in zwei unterschiedlichen modi: Zuerst wurde der Herrscher als 540 BADEL 2009, 167; 171 f. Die Anwesenheit des Kaisers versprach, wenn auch nicht zwingend, diverse Vorteile für eine Stadt in der Form von kaiserlichen beneficia; siehe dazu HALFMANN 2009 (Les cités du monde romain, bénéficiaires de la visite impériale). 542 BOURDIEU 1980, 116. 543 MACCORMACK 1981, 18, bezeichnete den adventus als zeremoniellen «par excellence» der Spätantike, weil er im Gegensatz etwa zum Herrschaftsantritt oder Tod eines Kaisers ein Ereignis darstellte, das in der Regierungszeit der meisten Herrscher vergleichsweise häufig stattfand. 544 Diesem Umstand entsprechend begann der adventus auch im fortschreitenden spätantiken Zeitalter zu verschwinden, vor allem im Westen (einer der letzten Einzüge in eine Stadt im Westen war derjenige des Honorius in Rom 404). Doch auch die byzantinischen Kaiser des Ostens verliessen mit der Zeit ihre Residenz in Konstantinopel nicht mehr und gaben daher keinen Anlass mehr für einen adventus. Jedoch wurde der kaiserliche adventus hier ersetzt durch die Ankunft von Kaiserbildern, die als stellvertretend für den Herrscher galten, sowie von Heiligenreliquien und Bischöfen; vgl. BALDOVIN 2017 (s.v. «Prozession»), 410 f.; WHITBY 2001, 1153 f.; MACCORMACK 1972 (Change and Continuity in Late Antiquity), 748. 545 MACCORMACK 1981, 25; vgl. aber auch LEHNEN 1997, der noch genauer zwischen fünf verschiedenen Phasen des spätantiken adventus unterscheidet: Vorbereitungen, occursus (Einholung des Kaisers durch die Stadt), introitus (Einzug des Kaisers in die Stadt), Handlungen in der Stadt (Kaiseropfer) und Abschluss (Einzug des Kaisers in den Palast, Veranstaltung von Spielen). BADEL 2009, 158–62, macht auf die Wichtigkeit der salutatio, die Begrüssung durch hohe Würdenträger und die Klientel, bei jedem adventus aufmerksam. Diese mache in der Spätantike eine Wandlung in ihrem ursprünglich zivilen Charakter zugunsten einer sakralen adoratio durch. Während die aristokratische salutatio zu republikanischen Zeiten und bei den frühen Kaisern noch vor den Stadttoren stattfand, verschob sie sich in den Provinzstädten der Spätantike in den Palast. Dadurch markierte der Palast jedoch nicht mehr das Ende des adventus; der Grossteil des adventus habe erst nach der Audienz im Palast statt541 136 Das spätantike Kaiserzeremoniell übernatürliches Wesen begrüsst, doch zu einem späteren Zeitpunkt konnte man sich dem weltlichen Herrscher nähern. So bot die Zeremonie des adventus Anlass, unterschiedliche Herrschertugenden in klar getrennten Abläufen auszudrücken. Es vollzog sich ein Wechsel im Ausdruck von divinitas (bzw. pietas bei christlichen Kaisern) zu civilitas (bzw. humilitas), der sich auch in die zeitgenössischen Panegyriken eingeschrieben hat: Die Anreise und Ankunft der Kaiser in der unmittelbaren Umgebung der Stadt wurde immer als übernatürliches Ereignis, während der Tetrarchie gar als Epiphanie der Herrscher als göttliche Wesen, dargestellt. Doch ab einem gewissen Punkt änderte sich der Kontext, der Herrscher war nahbar und für Bitten und Klagen der Bevölkerung empfänglich. 546 Das Element der Verehrung des Kaisers als übernatürliches Wesen trat unter den Tetrarchen besonders deutlich hervor. Den tetrarchischen Panegyrikern und Künstlern bot sich bei einem kaiserlichen adventus die Gelegenheit, die göttliche Überhöhung des Kaisers darzustellen und zu erklären, wie auf unterschiedliche Weise göttliche und kaiserliche Herrschaft voneinander abhingen. 547 Die zeitgenössischen Panegyriker waren geschult, einen kaiserlichen adventus als solche Epiphanie wahrzunehmen. 548 Besonders anschaulich ist die Beschreibung des Treffens von Diokletian und Maximian in Mailand in einem Panegyrikus des Jahres 291. Nach einer eindrücklichen Beschreibung der Reise über die Alpen folgt die gemeinsame Ankunft der beiden Kaiser als Epiphanie zweier ich Licht gehüllter Götter. 549 Aus den Panegyriken lässt sich der Begriff deus praesens als Kernelement dieser Repräsentation der tetrarchischen Zeremonie herausarbeiten. 550 Charakteristisch für die «anwesende Gottheit» ist die gefunden (so etwa auch beim adventus des Maximian und Diokletian in Milan 291). Die nunmehr sakral gestaltete salutatio stand also technisch gesehen immer noch zu Beginn des Umzugs. Nur in Rom galt weiterhin eine republikanische Tradition der salutatio, die ausserhalb der Tore stattfand. Auch beim adventus Constantius' II. findet sich keine Erwähnung einer salutatio innerhalb des Palasts. 546 Diese Möglichkeit war freilich nur den lokalen Eliten vorbehalten, welche jedoch im allgemeinen Verständnis als Stellvertreter für die gesamte Stadtbevölkerung galten. Der Herrscher traf also auf eine geordnete und organisierte Körperschaft von Bürgern, an deren Spitze ihre Würdenträger standen, mit denen Geschäfte abgewickelt werden konnten. Gleichzeitig dient die Anwesenheit der breiten Bevölkerung dazu, einen consensus omnium auszudrücken, der für die meisten klassischen und spätantiken Theorien über legitime Regierung grundlegend war. Ein Redner, der den Kaiser begrüsste, spielte eine entscheidende Rolle bei diesem Ausdruck der Zustimmung, denn er sprach nach dem zeitgenössischen Verständnis im Namen aller; vgl. MACCORMACK 1981, 21. 547 LEHNEN 1997, 69; MACCORMACK 1981, 23; MACCORMACK 1972, 726 f. Auch ALFÖLDI 1980, 88, verwies darauf, dass der adventus sakrale Züge annahm, indem der Herrscher als Erlöser und Weltbeglücker begrüsst wurde. 548 MACCORMACK 1981, 25 f. spricht von einer «trained method of perception» im Gegensatz zu reiner Schmeichelei der Panegyriker. 549 Paneg. lat. 11 (3), 10,4. Bereits die Geschwindigkeit, mit der die beiden Herrscher reisen, wird durch einen göttlichen Elan (divus impetus) beschrieben. Dies war ein allgemeiner panegyrischer Topos bei der Reise von Herrschern (siehe LEHNEN 1997, 72 f.). So sollen die Menschen den Eindruck gehabt haben, dass die beiden Kaiser – in ebenfalls typischer Lichtmetaphorik – in den Wagen der Sonne und des Mondes fahren durften (Paneg. lat. 11 (3), 8,3; vgl. auch die Ankunft Konstantins in Britannien 310: Paneg. lat. 6 (7), 7,5). Dabei änderte sich auch das eigentlich unerbittliche Winterwetter in sanfte Frühlingswehen und Sonnenstrahlen, die die Kaiser begleiteten (9,2). Zur tetrarchisch-konstantinischen Lichtmetaphorik und ihren Ursprüngen siehe LEHNEN 1997, 74. 550 So bereits 1935 ALFÖLDI 1980, 215 f., dann (1939) STRAUB 1964, 185., MACCORMACK 1981, 22; LEHNEN 1997, 69– 71 137 Das spätantike Kaiserzeremoniell übernatürliche Erhabenheit der Person, die aber zeitgleich als Mensch greifbar bleibt und Empfänger von Reden und dem Beifall des «Mannes auf der Strasse» ist. 551 Der Panegyrikus von 291 überliefert den Empfang von sichtbaren Göttern: «[…] man rief Jupiter nicht nach überlieferter Vorstellung an, sondern den sichtbaren und gegenwärtigen Gott, ganz in der Nähe; nicht an den Ankömmling aus der Fremde, sondern an Herkules den Imperator richtete man sein Gebet.» 552 Auf diese Weise wird das pragmatische historische Ereignis der Ankunft in eine Stadt in einen Ausdruck der pietas und Übermenschlichkeit umformuliert. 553 So konnte den Handlungen der Kaiser eine erhöhte, allgemeine Bedeutung zugeschrieben werden. Der Panegyrikus von 291 schreibt Diokletian und Maximian eine allgegenwärtige Anwesenheit zu: «[…] wo ihr auch weilt, mögt ihr euch auch allein in einen Palast zurückgezogen haben: eure Göttlichkeit ist überall zugegen, und alle Länder, alle Meere sind von euch erfüllt.» 554 Die universelle Anwesenheit des Herrschers wird auch durch die Aussendung der Kaiserbilder in alle Gegenden des Reichs ausgedrückt. Auf diese Weise konnte denn auch ein bestimmtes historisches Ereignis wie die Ankunft in eine Stadt zum Ausdruck einer kaiserlichen Eigenschaft werden, der allgemeine Gültigkeit zugeschrieben wird. Individuelle, persönliche Eigenschaften werden von verallgemeinerten überschattet, die auf jeden Kaiser angewendet werden können. Die nachkonstantinische Porträtkunst zeigt in der Regel ein «kaiserliches» Gesicht, nicht mehr das Gesicht eines Individuums, während im 3. Jahrhundert und früher der einzelne Kaiser als Individuum dargestellt worden war. 555 Damit einher geht ein Verlust der Kenntlichkeit der nachkonstantinischen Herrscher sowohl in Panegyrik wie in der Porträtkunst: Individuelle Charakteristiken werden durch allgemeine überschattet, welche letzten Endes auf jeden Kaiser übertragbar waren. Auch auf Münzbildern wird es nach Kon- 551 MACCORMACK 1981, 26. Paneg. lat. 11 (3), 10,5 (Übers. Müller-Rettig): non opinione traditus sed conspicuus et praesens Iuppiter cominus invocari, non advena sed imperator Hercules adorari. 553 MACCORMACK 1981, 32 f., sah in den tetrarchischen Panegyriken den Versuch einer konfliktfreien Vereinigung der göttlichen und der weltlichen Sphäre. Nach ihr kulminierten und endeten die pietas-Darstellungen mit dem Eintritt in die Stadt. Damit liege eine klar definierte Theorie der letztlich göttlichen Natur der kaiserlichen Macht vor, die zeitgleich die Menschlichkeit des Herrschers intakt liess. Dies möge der Grund dafür sein, dass das Phänomen auch unter den christlichen Kaisern fortbestand. Dieselbe Trennung erkannte sie auch in den tetrarchischen Porträts, welche, von soldatischer Präzision und Realismus geprägt, gänzlich ohne Hinweise auf Göttlichkeit ausgekommen seien, da die Tetrarchen ihre pietas und felicitas in sich trugen (siehe ibid., 29–32). 554 Paneg. lat. 11 (3), 14,3 (Übers. Müller-Rettig): ubicumque sitis, in unum licet palatium concesseritis, divinitatem vestram ubique versari, omnes terras omniaque maria plena esse vestri. 555 MACCORMACK 1981, 38. 552 138 Das spätantike Kaiserzeremoniell stantin immer schwieriger, einzelne Herrscher zu unterscheiden (ausser bei sehr spezifischen Charakteristika wie Julians Bart). Individualität war weniger wichtig als das allgemeine Herrscherbild: Der spätantike Kaiser wurde an seinen Insignien, nicht an seinem Gesicht erkannt. 556 In der Herrschaft von Konstantin dem Grossen sind somit einige Veränderungen in der adventus-Zeremonie erkennbar, durch die sich der erste christliche Kaiser klar von seinen tetrarchischen Vorgängern absetzte. Aber trotz diesen Veränderungen wurde die klare Trennung der göttlichen und menschlichen Sphäre, die unter der Tetrarchie etabliert worden ist, im Kern unter Konstantin beibehalten und von den nachkonstantinischen Generationen ausgebaut. Jedoch weicht unter den christlichen Kaisern die Ansicht, dass der kaiserliche Einzug analog zur göttlichen Epiphanie zu sehen sei, zugunsten der Betonung der kaiserlichen Würde durch die Pracht des Kaiserzeremoniells. 557 «tamquam figmentum hominis»: Der Adventus des Constantius II. in Rom Der adventus blieb auch für die konstantinischen Nachfolger von Bedeutung. Der einleitend bereits geschilderte adventus des Constantius II. in Rom im April 357 bildet ein besonders anschauliches Beispiel dafür, wie sich konstantinische Kaiser inszenieren liessen. Dieser wird vom Historiker Ammian aufs eindrücklichste geschildert: «Also wurden umfangreiche Vorbereitungen getroffen, dann durcheilte er zur Zeit der zweiten Präfektur des Orfitus die Stadt Ocriculum, stolz auf die ihm erwiesenen Ehrungen und umgeben von furchterregenden Kriegsscharen. So geleitet, setzte er seinen Weg wie an der Spitze einer Schlachtreihe fort, und aller Augen richteten sich auf ihn, ohne den Blick abzuwenden. So näherte er sich der Stadt und blickte mit heiterer Miene auf die Ehrenbezeigungen des Senats und die ehrwürdigen Gestalten patrizischer Herkunft […]. Dann wandte er sich der Plebs zu und staunte, in welch grosser Menge Menschen jeder Art und aus allen Gegenden der Welt in Rom zusammenströmten. Als wollte er den Euphrat oder den Rhein durch den Glanz seiner Waffen schrecken, liess er die Feldzeichen auf beiden Seiten voranziehen. Er selbst sass allein auf einem goldenen Wagen, der im Schmuck bunter, glänzender Edelsteine erstrahlte und mit dessen Glanz sich ein bestimmtes wechselndes Licht zu vermischen schien. Hinter dem bunten Zug, der voranschritt, umgaben den Kaiser die aus Purpurfäden gewebten Drachenzeichen, die an der Spitze vergoldeter und mit Edelsteinen verzierter Lanzen angebracht waren. Sie blähten sich mit weit geöffnetem Rachen im Winde und sahen so aus als ob 556 MACCORMACK 1972, 722 Spannend ist dagegen ein vermeintliches Brieffragment (Fr. 177 [Bidez] vgl. dazu BIDEZ 1960, 177; DEMANDT 1997, 14), in welchem Julian einen Maler kritisiert, weil ihn dieser seiner Meinung nach nicht kenntlich genug porträtierte. Ist der Brief authentisch, stellte dies ein weiteres Moment dar, in welchem Julian in Bezug auf seinen Körper entgegen der Konvention seiner Vorgänger agierte. 557 WHITBY 2001, 1153; MACCORMACK 1981, 35–39. 139 Das spätantike Kaiserzeremoniell sie gereizt züngelten, und ihre Schweife schlängelten sich im Wind. Zu beiden Seiten des Kaisers schritten in doppelter Reihe Bewaffnete mit Schild und Helmbusch, strahlend im Glanz der schimmernden Panzer, dazwischen Panzerreiter, die sogenannten Clibanarier, mit Helmvisier, geschützt durch Harnisch und mit ehernem Wehrgehenk gegürtet. Man hätte sie für Standbilder halten können, die des Praxiteles 558 Hand geglättet hatte, nicht aber für Männer. Dünne Metallplatten, die sich dem Körper anschmiegten, umgaben ihre Glieder, so dass sich diese Eisenkleidung allen Bewegungen der Gelenke anpasste, die notwendig waren; so dicht war die Verbindung der einzelnen Teile gefügt.» 559 Hier ist die erste Phase des adventus erkennbar, in der sich der Kaiser der Stadt nähert und von der Bevölkerung in einer klar abgestuften Reihenfolge begrüsst wird: Als erstes die lokalen Eliten – in diesem Fall die Senatoren Roms und weitere, patrizische Adlige – danach der stadtrömische plebs. Der Historiker Ammian, der sich in der Passage unmittelbar zuvor negativ über den Triumph-ähnlichen Einzug des Kaisers geäussert hatte, hebt einen besonderen Fokus auf den militärischen Prunk, den Constantius in seiner Entourage mit sich führt. Doch die eindrückliche Darstellung der künstlich wirkenden Soldaten ist nur ein Vorgeschmack auf den nun folgenden Beschrieb von Constantius: «Glückverheissende Zurufe begrüssten den Kaiser, und er erschauderte nicht bei dem Widerhall, den Berge und Ufer zurückwarfen, sondern zeigte sich so unbeweglich, wie man ihn auch in seinen Provinzen sah. Sooft er durch eins der hohen Tore fuhr, bückte er sich, obwohl von kleiner Statur, sonst richtete er wie mit gepanzertem Hals den leuchtenden Blick geradeaus und wandte das Gesicht weder nach rechts noch nach links. Wie ein menschliches Standbild schwankte er nicht, wenn ein Rad einen Stoss verursachte, und er spuckte nicht aus und rieb oder wischte sich nicht die Nase, und nie sah man ihn auch nur eine Hand bewegen. Freilich nahm er diese Haltung bewusst ein, doch waren dies und manches andere im diesseitigen 558 Der berühmte griechischen Bildhauer (370-320 v.Chr.) aus Athen, dessen Werke in römischer Zeit in grosser Zahl kopiert wurden; besonders bekannt ist u.a. die Marmorstatue der Aphrodite in Knidos. 559 Amm. 16,10,4–8 (Übers. Seyfarth): Vt igitur multa quaeque consumpta sunt in apparatu … secunda Orfiti praefectura transcurso Ocriculo elatus honoribus magnis stipatusque agminibus formidandis tamquam acie ducebatur instructa omnium oculis in eum contuitu pertinaci intentis. cumque urbi propinquaret, senatus officia reuerendasque patriciae stirpis effigies […]. unde cum se uertisset ad plebem, stupebat, qua celebritate omne, quod ubique est hominum genus, confluxerit Romam et tamquam Euphraten armorum specie territurus aut Rhenum altrinsecus praeeuntibus signis insidebat aureo solus ipse carpento fulgenti claritudine lapidum uariorum, quo micante lux quaedam misceri uidebatur alterna. eumque post antegressos multiplices alios purpureis subtegminibus texti / circumdedere dracones hastarum aureis gemmatisque summitatibus illigati / hiatu uasto perflabiles et ideo uelut ira perciti sibilantes caudarumque uolumina reliquentes [sic] in uentum. et incedebat hinc inde ordo geminus armatorum / clipeatus atque cristatus corusco lumine radians nitidis loricis indutus sparsique catafracti equites, quos clibanarios dictitant, personati thoracum muniti tegminibus et limbis ferreis cincti, ut Praxitelis manu polita crederes simulacra, non uiros. quos lamminarum circuli tenues apti corporis flexibus ambiebant per omnia membra diducti, ut, quocumque artus necessitas commouisset, uestitus congrueret iunctura cohaerenter aptata. 140 Das spätantike Kaiserzeremoniell Leben Anzeichen für eine überdurchschnittliche Selbstbeherrschung, die, wie man zu verstehen gab, ihm allein zustand.» 560 Kurz darauf hielt der Kaiser jeweils eine Rede in der Kurie an die Senatoren und eine auf der Rostra an das Volk. Später liess er im Circus Reiterspiele geben und besichtigte anschliessend die Denkmäler der altehrwürdigen Stadt. 561 Die Auftreten des Constantius musst auf den antiken Beobachter besonders beeindruckend gewirkt haben. Das unnatürliche, statueske Auftreten des Kaisers beschreibt Ammian auch noch an weiteren Stellen: Dass man ihn in der Öffentlichkeit weder den Mund noch die Nase wischen, oder gar ausspucken oder das Gesicht nach einer Seite wenden sah, wird fünf Bücher später, in einer Zusammenstellung von Constantius’ Tugenden und Laster anlässlich der Beschreibung seines Todes, noch einmal hervorgehoben. 562 Zudem habe es Constantius verstanden, überall die Würde der kaiserlichen Autorität (imperatoriae auctoritatis coturnum) zur Geltung zu bringen, und Streben nach Volksgunst habe er aus seiner stolzen und hohen Gesinnung (elato animo… et magno) abgelehnt. 563 Die fast wörtliche Übernahme Ammians von Xenophon, dem griechischen Geschichtsschreiber, ist bereits Straub aufgefallen. 564 Xenophon beschreibt in seiner sogenannten Kyrupädie, einem Werk über das Leben des Kyros, Gründers des Perserreichs, den persischen Hofstil aus der Sicht eines Griechen: «Ich glaube, bei Kyros entdeckt zu haben, dass sich die Herrschenden seiner Meinung nach nicht nur dadurch von den Beherrschten unterscheiden müssen, dass sie tüchtiger sind als diese, sondern dass sie ihre Umgebung auch bezaubern müssen. Also entschied er sich dafür, die medische Kleidung zu tragen, und überredete auch seine Umgebung dazu, diese Kleidung anzulegen. Er glaubte nämlich, dass sie körperliche Mängel verhülle und ihre Träger besonders schön und gross erscheinen lasse. Sie hatten nämlich auch solche Schuhe, bei denen man, ohne dass es auffiel, etwas unterlegen konnte, so dass man grösser aussah, als man in Wirklichkeit war. Er liess auch das Untermalen der Augen zu, damit sie schöner erschienen, als sie es in Wirklichkeit waren, und gestattete das Schminken, damit die Haut schöner aussah, als 560 Amm. 16,10,9–11 (Übers. Seyfarth): Augustus itaque faustis uocibus appellatus non montium litorumque intonante fragore cohorruit talem se tamque immobilem, qualis in prouinciis suis uisebatur, ostendens. nam et corpus perhumile curuabat portas ingrediens celsas et uelut collo munito rectam aciem luminum tendens nec dextra uultum nec laeua flectebat tamquam figmentum hominis nec, cum rota concuteret, nutans nec spuens aut os aut nasum tergens uel fricans manumue agitans uisus est umquam. quae licet affectabat erant tamen haec et alia quaedam in citeriore uita patientiae non mediocris indicia, ut existimari dabatur, uni illi concessae. 561 Amm. 16,10,13–17. Die genauen zeitlichen Abläufe bleiben unklar. Nach dem Betreten der Stadt (Proinde Romam ingressu) hielt Constantius nach Ammian Reden auf dem Forum, hielt sich im Palatium auf und gab Reiterspiele. Das Aufführen von Spielen dürfte der finalen Phase des spätantiken adventus entsprechen und somit den glanzvolle Abschluss der Festivitäten darstellen (vgl. LEHNEN 1997, 187–95), bei der der Kaiser weniger formell auftrat und für Bitten und Klagen aus der Bevölkerung zugänglich war. Die Anschliessende Besichtigung der Stadt war wohl nicht mehr Teil des offiziellen adventus. 562 Amm. 21,16,7. 563 Amm. 21,16,1. 564 STRAUB 1964, 184 f. 141 Das spätantike Kaiserzeremoniell sie es von Natur aus war. Er sorgte auch dafür, dass sie in der Öffentlichkeit nicht ausspuckten oder sich schneuzten und sich nicht umdrehten, um nach irgend etwas zu sehen, damit es nicht so scheine, als ob sie darüber erstaunt sein könnten. Er meinte, alle diese Massnahmen trügen dazu bei, dass ihr Ansehen in den Augen der Untergebenen erhöht werde.» 565 Die «Bezauberung» der Umgebung wird von Xenophon in fast schon apologetischer Weise als Grundvoraussetzung der Herrschaft eines Königs beschrieben. Das persische Zeremoniell wird durch den Charakter der Kyrupädie als Fürstenspiegel für griechische Monarchen rationalisiert. 566 Als wichtigste Techniken werden die Absonderung des Herrschers, seine Unnahbarkeit, vor allem aber der zeremonielle Prunk genannt, welcher in erster Linie die Funktion hat, die Untergebenen zu beeindrucken. So reduziert Kyros bewusst die Zugänglichkeit zu ihm, da durch den hohen Andrang der Volksmassen, die anfangs noch freien Zugang zu Kyros genossen, seine Freunde nicht zu ihm gelangten und er keine Zeit mehr für anderes hatte. In der Folge nahm Kyros an ihn gerichtete Anfragen nur noch indirekt über seine «Freunde» an. 567 Die Anstellung von Eunuchen wird mit ihrer grösseren Treue aufgrund fehlender familiärer Bindungen begründet. 568 Am interessantesten ist jedoch die Beschreibung eines besonders prunkvollen Aufzugs (ἐξέλᾰσις), der nach Ansicht und Darstellung des Xenophon hauptsächlich dazu dient, in den Untergebenen Ehrfurcht zu wecken und seine Herrscherwürde (σεμνότης) zu erhöhen, wobei der Anblick durch seine grosse Pracht «allen ihm [Kyros] wohlgesinnten Menschen einen besonders schönen, allen missgünstigen einen besonders unangenehmen Anblick» bieten sollte. Auch bei dieser Gelegenheit wird die eingeschränkte Zugänglichkeit zum Herrscher während der Zeremonie detailliert geschildert, welche wiederum seine Autorität erhöht. 569 Die Parallelen zwischen Ammians Beschreibung von Constantius’ Auftritt und Xenophons Beschreibung des persischen Hofstils sind tatsächlich unverkennbar 570. Für Straub ist der Vergleich Ammians trotz literarischer Abhängigkeit gerechtfertigt, denn «gleichartige Eindrücke verlangen eine ähnliche Xen. Kyr. 8,1,40–42 (Übers. Nickel): Καταμαθεῖν δὲ τοῦ Κύρου δοκοῦμεν ὡς οὐ τούτῳ μόνῳ ἐνόμιζε χρῆναι τοὺς ἄρχοντας τῶν ἀρχομένων διαφέρειν, τῷ βελτίονας αὐτῶν εἶναι, ἀλλὰ καὶ καταγοητεύειν ᾤετο χρῆναι αὐτούς. στολήν τε γοῦν εἵλετο τὴν Μηδικὴν αὐτός τε φορεῖν καὶ τοὺς κοινῶνας ταύτην ἔπεισεν ἐνδύεσθαι· — αὕτη γὰρ αὐτῷ συγκρύπτειν ἐδόκει εἴ τίς τι ἐν τῷ σώματι ἐνδεὲς ἔχοι, καὶ καλλίστους καὶ μεγίστους ἐπιδεικνύναι τοὺς φοροῦντας· καὶ γὰρ τὰ ὑποδήματα τοιαῦτα ἔχουσιν ἐν οἷς μάλιστα λαθεῖν ἔστι καὶ ὑποτιθεμένους τι, ὥστε δοκεῖν μείζους εἶναι ἢ εἰσί· —καὶ ὑποχρίεσθαι δὲ τοὺς ὀφθαλμοὺς προσίετο, ὡς εὐοφθαλμότεροι φαίνοιντο ἢ εἰσί, καὶ ἐντρίβεσθαι, ὡς εὐεὐοφθαλμότεροι φαίνοιντο ἢ εἰσί, καὶ ἐντρίβεσθαι, ὡς εὐ χροώτεροι ὁρῷντο ἢ πεφύκασιν. ἐμελέτησε δὲ καὶ ὡς μὴ πτύοντες μηδὲ ἀπομυττόμενοι φανεροὶ εἶεν, μηδὲ μεταστρεφόμενοι ἐπὶ θέαν μηδενός, ὡς οὐδὲν θαυμάζοντες. πάντα δὲ ταῦτα ᾤετο φέρειν τι εἰς τὸ δυσκαταφρονητοτέρους φαίνεσθαι τοῖς ἀρχομένοις. 566 WALLACE-HADRILL 1982, 33, mit dem Verweis, dass dies bereits Cicero aufgefallen sei. 567 Xen. Kyr. 7,5,37–56. 568 Xen. Kyr. 7,5,57–65. 569 Xen. Kyr. 8,3,1–23; Ehrfurcht wecken: Xen. Kyr. 1; beschränkte Zugänglichkeit: Xen. Kyr. 19–22. 570 Wobei Xenophon in der oben zitierten Stelle von den Mitgliedern des persischen Hofes spricht, die nicht spucken, schnäuzen oder sich drehen dürfen. Aus den anderen stellen ist jedoch ersichtlich, dass Xenophons Kyros von seinen Gefolgsleuten dasselbe würdevolle Verhalten verlangt, welche ihn auszeichnet. 565 142 Das spätantike Kaiserzeremoniell Darstellung». Die sich in der späten Kaiserzeit ständig wiederholende Zurschaustellung von Pomp und Gepränge bei kaiserlichen Zeremonien rechtfertige die einheitliche Berichterstattung auch bei anderen Autoren. «Hier musste der Topos dem Typos entsprechen, die literarische der politischen Tradition.» 571 Die Xenophon-Stelle war dem gebildeten Leser Ammians vermutlich bekannt. Die im Wortlaut so ähnliche Beschreibung kommt einer Parallelisierung zwischen Constantius und dem persischen Grosskönig Kyros nahe. Damit handelt es sich um eine weitere Instanz, in welcher eine «persische Sitte» im Zusammenhang mit dem Auftritt eines römischen Kaisers heraufbeschwört wird. Die Stelle bei Ammian kann als Aktualisierung der schon in Bezug auf Diokletian gängigen Orientalismus-Debatte gelesen werden, welcher nun auch auf das konstantinische Kaiserhaus angewendet wird. Die implizite Kritik ergibt sich aus der Verbindung des pompösen Auftrittes und Gebärens des Kaisers mit den als «tyrannisch» gesehenen persischen Vorbildern (wobei Kyros bei Xenophon durchaus noch eine positive Figur war). Ammians Beschreibung von Constantius adventus muss daher ebenfalls in den zeitgenössischen Orientalismus-Diskurs verortet werden. Zur Hervorhebung des besonderen Eindrucks des spätantiken kaiserlichen adventus lohnt sich ein Vergleich mit Zeremonien aus der früheren Kaiserzeit. Der Einzug von Kaiser Trajan im Jahr 99 in Rom ist ausführlich im Panegyrikus des jüngeren Plinius geschildert. 572 Plinius hebt im gesamten Panegyrikus immer wieder die besonders ausgeprägte civilitas und moderatio des Kaisers hervor. So überrascht es auch nicht, dass der feierliche Stadteinzug ebenso zur Veranschaulichung dieser Tugenden des Kaisers dient. Trotz der Tendenz ist ein Vergleich sinnvoll, denn es handelt sich einerseits um dasselbe Genre wie die bisher zur Untersuchung der adventus-Zeremonie benutzten Quellenstellen der Panegyrici latini, andererseits präsentiert sich uns einen vergleichbaren Rahmen wie beim adventus des Constantius: Der im Krieg erfolgreiche Kaiser zieht in einem triumphalen Einzug in die Stadt Rom ein. Die Atmosphäre und das Verhalten des Kaisers werden von Plinius ganz anders dargestellt. Es beginnt schon damit, dass Kaiser Trajan zu Fuss die Stadt betritt, anstatt in einem Wagen (oder noch schlimmer: auf den Schultern der Untertanen). 573 Allein durch seine Gangart hebt sich Trajan also bereits positiv von seinen Vorgängern ab. Doch noch wichtiger ist die demonstrative Nahbarkeit des Kaisers: Trajan küsst die Senatoren zur Begrüssung, was allgemeine Zustimmung erntet. 574 Ganz besonders lobt Plinius aber das Bad des Kaisers in der Menge: «Doch noch grösseren Eindruck machte, dass du langsam und freundlich weitergingst, ganz wie die wogende Menge der Schaulustigen es gestattete, dass das herbeiströmende Volk auch 571 STRAUB 1964, 184 f. Plin. paneg. 20–23. 573 Plin. paneg. 22,1–2. 574 Plin. paneg. 23,1; vgl. auch Plin. paneg. 71,1–3 (Trajan küsst neue Konsularen, im Gegensatz zu seinen Vorgängern, die lediglich die Hand zum Kusse hinhielten.); Plin. paneg. 86,3 (Trajan küsst einen aus dem Amt scheidenden Freund.). 572 143 Das spätantike Kaiserzeremoniell dich, ja dich besonders eng umdrängte, dass du gleich am ersten Tag in Rom jedermann vertrauensvoll an deine Seite liessest. Denn keine Schar von Leibwächtern schirmte dich ab, sondern es umringten dich die erlauchtesten Männer, bald Senatoren, bald Ritter, je nachdem, aus welchem Stand gerade die grössere Zahl sich zusammengetan hatte. So folgtest du den Liktoren, die schweigsam und ohne Druck den Weg bahnten. Denn die Soldaten waren, was ihre äussere Erscheinung und was die ruhige, disziplinierte Haltung betraf, vom Volke nicht zu unterscheiden.» 575 Das Verhalten des Kaisers bei der besonderen Situation des adventus wird anschliessend von Plinius als Eigenschaft Trajans verallgemeinert: So wird der Akt des Küssens in Kontrast zu Trajans Vorgängern gesetzt. Trajan verzichte allgemein auf den Kniefall der Untergebenen und erwiderte ihren Kuss nicht lediglich mit der Hand, aus «Scheu vor der Rechten», sondern liess sich die Wange küssen. 576 Der neue Kaiser bewegt sich auch anders. Die Principes vor Trajan gingen laut Plinius nie zu Fuss. Der Status als Kaiser änderte aber nichts an Trajans früheren Gewohnheiten und an seiner «Freude an körperlicher Anstrengung». Trajan schreitet auf dem gleichen Erdboden wie seine Untergebenen, und gerade diese Bodenständigkeit hebt ihn «bis zu den Sternen» empor. 577 Damit einher ging auch ein betont nahbares Verhalten des Kaisers: «Wenn der Princeps mitten durchs Volk geht, können die Leute ungehindert stehenbleiben, auf ihn zugehen, ihn begleiten, ihn überholen. Dein Auftreten unter uns verstehst du nicht als Hulderweis, und für ein Gespräch mit dir stellst du keine Rechnung aus. Wer zu dir getreten ist, geht ein Stück an deiner Seite, und den Endpunkt der Unterhaltung bestimmt in allen Fällen das Taktgefühl des andern, nicht herrische Ungeduld deinerseits.» 578 575 Plin. paneg. 23,1–3 (Übers. Kühn): Gratum erat cunctis, quod senatum osculo exciperes, ut dimissus osculo fueras; […] gratius tamen, quod sensim et placide et quantum respectantium turba pateretur incederes, quod occursantium populos te quoque, te immo maxime artaret, quod primo statim die latus tuum crederes omnibus. Neque enim stipatus satellitum manu sed circumfusus undique nunc senatus, nunc equestris ordinis flore, prout alterutrum frequentiae genus invaluisset, silentes quietosque lictores tuos subsequebare; nam milites nihil a plebe habitu tranquillitate modestia differebant. 576 Plin. paneg. 24,2 Die dexterae verecundia dürfte eine Anspielung auf Domitian oder Caligula sein, welche den Kuss der Senatoren nur auf die Hand bzw. den Fuss entgegennahmen. 577 Plin. paneg. 24,5. 578 Plin. paneg. 24,2–3 (Übers. Kühn): Non tu civium amplexus ad pedes tuos deprimis, nec osculum manu reddis; manet imperatori quae prior oris humanitas, dexterae verecundia. Incedebas pedibus, incedis; laetabaris labore, laetaris, eademque illa omnia circa te, nihil ⟨in⟩ ipso te fortuna mutavit. Liberum est ingrediente per publicum principe subsistere occurrere, comitari praeterire: ambulas inter nos non quasi contingas, et copiam tui non ut imputes facis. Haeret lateri tuo quisquis accessit, finemque sermoni suus cuique pudor, non tua superbia facit. 144 Das spätantike Kaiserzeremoniell Ob der Kaiser wirklich für alle Anwesenden so zugänglich war, darf bezweifelt werden; Plinius selbst erwähnt zumindest beim adventus lediglich Senatoren und Ritter an der Seite des Kaisers. 579 Das Privileg, auch sonst neben dem Kaiser her zu spazieren und mit ihm Gespräche zu führen, wird wohl genauso den lokalen Eliten vorbehalten gewesen sein. Dennoch zeigen sich in der Beschreibung von Trajans adventus und allgemeinem Verhalten ein grundsätzlich anderes Bild als im adventus des Constantius, trotz identischem Kontext und Lokalität. Der Kontrast zwischen der Beweglichkeit eines zu Fuss gehenden Trajans einerseits, zum starren, auf einem Wagen möglichst unbeweglich stehenden Constantius andererseits ist augenfällig. Trajan badet in der Menge des Volkes; das Fehlen einer Leibgarde, die den Kaiser vom Volk abschirmt, wird besonders betont. Die Soldaten Trajans sind bei Plinius von normalen Bürgern kaum zu unterscheiden, während die Soldaten in schimmernder Rüstung, welche Kaiser Constantius gleich in doppelter Reihe umgaben, für Ammian wie Praxiteles-Statuen anmuten. Beide Autoren schliessen letztlich vom Besonderen auf das Allgemeine: Beide lesen in Auftritt und Verhalten ihres jeweiligen Herrschers bestimmte, in beiden Fällen sehr unterschiedliche, kaiserliche Tugenden hinein und verknüpfen diese mit divergierenden Herrschaftsvorstellungen: Bewegtheit, herzliche Zuneigungsbekundung und Zugänglichkeit als Ausdruck von civilitas; Unbeweglichkeit und Unnahbarkeit als Zeichen von maiestas. Kaiserliche Statuen und statueske Kaiser Die «Statuenhaftigkeit», welche Ammian in Bezug auf Constantius adventus so stark betont, verdient als Phänomen kaiserlicher Repräsentation eine gesonderte Betrachtung. Das Vokabular, das Ammian benutzt, ist eindeutig auf Porträtkunst ausgelegt: Zuerst wird die gepanzerte Leibgarde des Kaisers als simulacra von der Hand des Praxiteles beschrieben; daraufhin die unbewegliche Haltung, der starr geradeaus gerichtete Blick und die Standfestigkeit des Kaisers selbst, welche an figmentum hominis erinnert. 580 Auch bei anderen Autoren wird eine solche Erscheinung des Kaisers und seiner Entourage hervorgehoben. Tatsächlich finden sich sogar bereits in den Lobreden des Caesars Julian auf seinen Augustus Assoziationen von Constantius und seinen Soldaten als Statuen. In seiner ersten Lobrede auf Kaiser Constantius beschreibt Julian – nicht als erster, wie er betont, jedoch in der Hoffnung, als erster der Realität gerecht zu werden – die atemberaubende Rüstung der Soldaten. Diese habe Constantius als erster Kaiser so herstellen lassen und auch gleich selbst getragen, um den Umgang damit seinen Soldaten beizubringen. Die Rüstung Soldaten beschreibt Julian sehr detailliert, und dessen Beschreibung ähnelt der Beschreibung Ammians sehr: Die Soldaten sassen auf den Pferden «wie Statuen» 579 Zudem spricht Plinius bezeichnenderweise nicht von der plebs, sondern vom populus bzw. den cives, vor allem aber nos, die sich dem Kaiser nähern durften – das dürfte eine sehr elitäre Sicht sein. 580 Amm. 16,10,8 bzw. 9–11. 145 Das spätantike Kaiserzeremoniell (ἀνδριάντας), insbesondere die Metallmaske, die das Gesicht bedeckte, liess die wie «glitzernde Statuen» erscheinen (ἀνδριάντος λαμπροῦ καὶ στίλβοντος). 581 Auch im zweiten Panegyrikus (Über die Taten des Kaisers oder Über die Königsherrschaft) kommt dasselbe Bild der statuesken Infanterie nochmal vor. 582 Da Constantius dieselbe Rüstung trug, lässt sich das Bild auch auf den Kaiser übertragen. Die Angleichung von Constantius und den ihn umgebenden Soldaten an Statuen ist also ein Umstand, welcher unterschiedlichen zeitgenössischen Autoren aufgefallen ist, 583 und von Constantius höchstwahrscheinlich bei passenden zeremoniellen Anlässen, wie adventus oder profectio, bewusst inszeniert wurde. Dabei scheint es sich aber um ein Phänomen zu handeln, welches nicht erst bei Constantius fassbar ist. Bereits sein Vater Konstantin gab sich bei seinem triumphalen Einzug in die Stadt Rom 45 Jahre zuvor ähnlich unbeweglich: Laut Eusebius sei der Kaiser nach seinem Sieg über Maxentius von den Jubelrufen der stadtrömischen Bevölkerung begrüsst worden; aus seiner «frommen Scheu» heraus gab er sich unberührt und erhob sich nicht. 584 Das statueske Auftreten scheint dann auch für zukünftige Dynastien Schule gemacht zu haben. So veranlasst etwa die Prozession von Kaiser Honorius zum Anlass seines vierten Amtsantrittes als Konsul 398 in Mailand seinen Panegyriker zu einem Vergleich mit einem ägyptischen Kultbild. 585 Die Art und Weise, wie Constantius und andere spätantike Kaiser ihre Körper in der Öffentlichkeit inszenieren, ist also für die antiken Betrachter nicht mehr weit entfernt von den tatsächlich steinernen oder bronzenen Porträts der Kaiser. Die Kausalität der imitatio des Kaisers durch seine Kaiserbilder scheint für die spätantiken Autoren beinahe umgekehrt oder zumindest in beide Richtungen zu verlaufen: Der Kaiser versucht, seine eigenen Bildnisse nachzuahmen. Dieser Sachverhalt legt folglich eine genauere Betrachtung der konstantinischen Kaiserbilder nahe. Alföldi erkannte in der unpersönlichen und säkularen Regelung des spätantiken Kaiserzeremoniells Parallelen zu dem zunehmenden Verlust des Individualismus des Herrschers in der Porträtkunst seit dem 3. Jahrhundert. Demnach gingen die persönlichen Merkmale der herrschenden Person zugunsten von 581 Iul. or. 1 (Const.), 37 C–38 A. Iul. or. 3 (De regno), 57 C. 583 Unbeweglichkeit, die durch Kleidung verursacht wird, veranlasst nebenbei bemerkt auch noch moderne Beobachter zu Vergleichen mit Statuen, insbesondere, wenn besagte Kleidung vor allem von Statuen bekannt ist. So vergleicht Dirk Barghop die durch ihre überkomplexe Toga in der Bewegung eingeschränkten Senatoren Roms als «wandelnde Statuen»: BARGHOP 1994, 81–87, speziell 85. 584 Eus. vita Const. 1,39,3 (Übers. Schneider). 585 «Auch heute: Welche Gewänder, welche Augenweide eines staunenswerten Festzugs haben wir sehen dürfen, als du bereits mit der römischen Toga drapiert noch schöner als gewohnt durch die Volksscharen der Ligurer zogst und auf hohem Sitz zwischen weissgewandeten Kohorten getragen wurdest, während auserwählte Mannen auf ihren Schultern die göttliche Last trugen! So präsentiert Memphis seine Gottheiten dem versammelten Volk, aus dem Tempel kommt das Götterbild, klein ist es zwar, doch eine grosse Zahl von Priestern im Leinengewand ächzt, wenn die Tragestange ihnen aufgelegt wurde, und bestätigt durch ihren Schweiss, dass sie einen Gott trägt.» Claud. cons. Hon. 565–574 (Übers. Weiss/Wiener). Den Vergleich mit Ammian zieht auch MACCORMACK 1972, 737 f. 582 146 Das spätantike Kaiserzeremoniell unpersönlichen, streng geregelten Gesten, Worten, Kostümen und Schmuck zurück. So sei der «Zwang der Formen», die «starre Feierlichkeit», die sich in der Kunst zeige, auch in den tatsächlichen Auftritten der Herrscher «im Leben selbst» erstrebt worden. 586 In der älteren Forschung wurde auch allgemein eine gewisse «kristalline Starrheit» der spätantiken Porträtkunst attestiert. 587 Der Rückgang der individuellen Kenntlichkeit des Herrschers in seinen Porträts drückte sich auch durch eine zunehmende Einheitlichkeit der verschiedenen Kaiserbilder aus. Nicht von ungefähr sind Zuschreibungen der Porträts der Tetrarchie und der folgenden Kaiserdynastien häufig unsicher. Einzelbeschreibungen werden in der Forschung deshalb mehrheitlich zugunsten einer Untersuchung der allgemeinen stilistischen Vorstellungen von Kaiserporträts vermieden. Grund dafür sind die auffällige Einheitlichkeit der Porträts: Individuelle Züge und Kenntlichkeit der Herrscher gehen stark zurück. Dagegen erkannte die Porträtforschung in den spätantiken Kaiserbildern die Absicht, allgemeine Vorstellungen über das Kaisertum über die Porträtkunst zu vermitteln. In der similitudo der tetrarchischen Kaiserporträts drücke sich abgesehen von der Zurschaustellung der concordia der verschiedenen Herrscher auch der allgemeine, unvergleichliche Rang des Herrschers an sich aus. Damit gelten die tetrarchischen Kaiserbilder als Ausdruck der zeitgenössischen staatspolitischen Vorstellungen. 588 In dieser Hinsicht erwies sich die tetrarchische Porträtkunst auch stilbildend für die zukünftigen Kaiserbilder. So sind etwa auch die Porträts der folgenden konstantinischen Dynastie oft nur schwer voneinander zu unterscheiden und selten sicher zu identifizieren. Ein bekanntes Beispiel sind die beiden kolossalen Köpfe, die sich heute in den kapitolinischen Museen in Rom befinden. 589 Während der Marmorkopf im Hof relativ eindeutig als Konstantin identifiziert werden kann, ist sich die Forschung bezüglich dem Bronzekopf uneinig, ob es sich dabei ebenfalls um Konstantin oder um seinen Sohn Constantius II. handelt. 590 Einen weiteren Eindruck von der fortgesetzten similitudo erhält man auch bei Betrachtung der Illustrationen in dem weniger bekannten sogenannten Chronographen von 354: In zwei Zeichnungen, die einen sitzenden und einen stehenden Konsul mit jeweils prächtiger Ausgestaltung der Kleidung und insignia zeigen, werden heute Constantius II. (sitzend) und Julians Bruder Gallus (stehend) erkannt, während Mommsen 1850 ursprünglich noch Constantius II und Constans als die Dargestellten ansah. 591 586 ALFÖLDI 1980, 273 f.. Als Beispiel nennt Alföldi den bei Ammian beschriebenen Auftritt des Constantius in Rom 357. 587 DELBRUECK 1978, 5 f. 588 ENGEMANN 1988, 972 f. 589 Siehe Abb. 6 bzw. 8. 590 L'ORANGE 1984 (Das spätantike Herrscherbild von Diokletian bis zu den Konstantin-Söhnen 284–361 n. Chr), 79, identifizierte den Bronzekoloss mit Constantius, während VARNER 2012, 183, ihn als späten Konstantin ansieht. 591 Siehe Abb. 10–11. DIVJAK/WISCHMEYER 2014 (Das Kalenderhandbuch von 354. Der Chronograph des Filocalus), 85–90 gehen bei den Darstellungen des Chronographen davon aus, dass diejenige des sitzenden Konsuls einen höheren Rang symbolisiert als die des stehenden. 147 Das spätantike Kaiserzeremoniell Somit ist weniger eine Zäsur zwischen den Darstellungen von paganen und christlichen Herrschern festzustellen, wie man vermuten könnte, sondern vielmehr zwischen den kaiserzeitlichen und den tetrarchischen Kaiserbildern: Die Neuerungen in der Darstellungsform wurden von den christlichen Nachfolgern der Tetrarchen übernommen; insbesondere die Auffassung des von den übrigen Menschen isolierten, über Beherrschte wie Besiegte hoch erhabenen Kaisers. Selbst die grundsätzlichen religionspolitischen Aussagen tetrarchischer Herrscherbilder, in denen die Herrscher als Erwählte der Götter erschienen, die ihnen Imperium und Siege verliehen, lebten unter christlichen Kaisern weiter. Die zunehmende Christianisierung unter Konstantin und seinen Söhnen hat sich somit nicht auf die wesentlichen herrschaftsbezogenen Aussagen der Herrscherbilder ausgewirkt. 592 Dennoch gibt es klar fassbare Veränderungen zwischen der tetrarchischen und der konstantinischen Porträtkunst. Seit Konstantin näherten sich die Herrscherporträts in ihrem Stil wieder den vortetrarchischen, «gallienischen» Porträt-Stil an, indem Konstantin nun wieder als göttlich inspirierter Herrscher mit wallendem Haar und himmelwärts gerichtetem Blick dargestellt wird. 593 An den konstantinischen Kaiserporträts wird in der modernen archäologischen Forschung häufig eine gewisse «Entrücktheit» und «Erhabenheit» konstatiert, welche die Statuen ausstrahlten. 594 Insbesondere die Kolossalstatue Konstantins wird dafür gerne herangezogen. In diesem und den anderen bildlichen Darstellungen der konstantinischen Dynastie erkannte etwa H.P. L’Orange eine divina maiestas, Ausdruck des Übermenschlichen und Numinösen, das als ikonische Formel aus der Tetrarchie für das konstantinische Kaiserhaus übernommen worden sei und in langer Sicht sogar grundlegend auf das Kaiserbild des Mittelalters einwirkte. 595 L’Orange sprach in diesem Zusammenhang von einem ganz neuen, konstantinischen Herrscherbild, einem sogenannten «typos hieros». Dieser sei im Verlauf der Zeit zu einer «Kaiseridee ohne Kaiserpersönlichkeit» geworden: Lockenbogen und Bartlosigkeit gehörten fortan zum Schema, dem sich neue Herrscher beim Regierungsantritt anzupassen hatten. 596 Dieser «typos hieros» sei auch von Ammian in der Beschreibung von Constantius’ adventus erkannt worden, dessen statuarisch unbewegliche Haltung eben diesen Typus ausdrückte, der dem zeremoniellen Herrscherstil der Spätantike angehörte. 597 Die Gefahr einer modernen Überinterpretation sollte gerade bei materiellen Porträts nie aus den Augen verloren werden. Einen tatsächlichen Einblick in das Innenleben eines Kaisers bieten seine Porträts, 592 ENGEMANN 1988, 967 f. MACCORMACK 1981, 38. 594 So etwa ENGEMANN 1988, 978 f., der im Zusammenhang mit den konstantinischen Porträts auch betont, dass hier ausnahmsweise Vergleiche mit der literarischen Überlieferung, d.h. Ammians Beschreibung von Constantius’ adventus, zulässig sind. 595 L'ORANGE 1984, 78. 596 Ibid., 79. 597 Ibid., 83. 593 148 Das spätantike Kaiserzeremoniell trotz mancher Versuche in diese Richtung, letztlich nicht – schon gar nicht für den modernen Betrachter. 598 Dass es sich aber bei der Wahrnehmung der konstantinischen Porträtkunst als Ausdruck einer gewissen überweltlichen Persönlichkeit nicht bloss um eine moderne Interpretation handelt, legt eine Stelle bei Eusebius nahe, den die neuen Porträts Konstantins zu einer Erwähnung veranlassten: «Eine wie grosse Kraft des Glaubens aber in seiner Seele verwurzelt war, das kann man auch aus Folgendem ersehen: Auf Goldmünzen liess er sein eigenes Porträt in der Weise einprägen, dass er den Eindruck machte nach oben zu blicken nach Art eines Mannes, der mit ausgebreitet Armen zu Gott betet. Solche Prägungen waren in der ganzen οἰκουμένη der Römer im Umlauf. In einigen Städten wurde er in den kaiserlichen Gebäuden selbst auf der Vorderseite des Eingangsbereichs auf einigen aufgestellten Porträtbildern stehend dargestellt, wobei er hinauf in den Himmel blickt, beide Arme ausgestreckt in der Haltung eines Betenden.» 599 Eusebius liefert hier eine Anleitung zur Lesung der neuen Porträts, die mit grossen Augen himmelwärts blickend eine gewisse Überweltlichkeit des Herrschers ausdrücken sollen. Ein «emporgerichteter Blick» erkannte Ammian auch an der Person des Constantius; 600 es handelt sich dabei um ein Merkmal, welches zeitgenössische Beobachter bei den Kaisern der konstantinischen Dynastie sowohl an den Porträtstatuen wie auch am «echten» Kaiser wiedererkannten. Dem neuen Herrscherbild entsprechen auch die konstantinischen Panegyriken, die regelmässig auf die «göttliche» körperliche Schönheit als Ausdruck seiner Tugenden und Nähe zum Göttlichen verweisen. 601 Die zunehmende Erhöhung des Kaisers bewirkt in dieser Lesung auch einen wachsenden Abstand zwischen Herrscher und Beherrschten auch in der darstellenden Kunst. Neben den abgehobenen Porträts drückt sich dies insbesondere auch in der Disposition der kaiserlichen Körper auf Denkmälern aus. 602 Ein gutes Beispiel dafür liefern die Friese auf dem Konstantinsbogen in Rom. Das Fries der Nordseite zeigt eine oratio Konstantin nach seinem adventus in die Stadt. 603 Konstantin, dessen Gesicht heute fehlt, ist zentral auf der Rednerbühne positioniert und ist die einzige Person, die frontal dargestellt ist, während alle anderen Anwesenden im Profil zu sehen sind. Der Kaiser ist also 598 Für die einzige Art und Weise, wie man sich anhand eines Porträts einen tatsächlichen Einblick in das «Innenleben» eines Kaisers machen kann, verweise ich auf das Beispiel der Bronzebüste von Konstantin/Constantius in Abb. 9. 599 Eus. vita Const. 4,15 (Übers. Schneider): Ὅση δ’ αὐτοῦ τῇ ψυχῇ πίστεως ἐνθέου ὑπεστήρικτο δύναμις, μάθοι ἄν τις καὶ ἐκ τοῦδε λογιζόμενος, ὡς ἐν τοῖς χρυσοῖς νομίσμασι τὴν αὐτὸς αὐτοῦ εἰκόνα ὧδε γράφεσθαι διετύπου, ὡς ἄνω βλέπειν δοκεῖν ἀνατεταμένου πρὸς θεὸν τρόπον εὐχομένου. τούτου μὲν οὖν τὰ ἐκτυπώματα καθ’ ὅλης τῆς Ῥωμαίων διέτρεχεν οἰκουμένης. ἐν αὐτοῖς δὲ βασιλείοις κατά τινας πόλεις ἐν ταῖς εἰς τὸ μετέωρον τῶν προπύλων ἀνακειμέναις εἰκόσιν ἑστὼς ὄρθιος ἐγράφετο, ἄνω μὲν εἰς οὐρανὸν ἐμβλέπων, τὼ χεῖρε δ’ ἐκτεταμένος εὐχο μένου σχήματι. 600 Amm. 21,16,19. 601 Paneg. lat. 6 (7), 17,1–4. Vgl. auch Paneg. lat. 6 (7), 21,4–6: Konstantin erkennt sich in der Gestalt des Apollon, da er wie jener jung und wunderschön (pulcherrimus) sei. 602 ENGEMANN 1988, 981, mit dem Verweis, dass diese Entwicklung bereits von Plinius beschrieben wurde. 603 Siehe Abb. 7. 149 Das spätantike Kaiserzeremoniell durch seine Hexis, seiner stehenden Haltung, Körpergrösse und den frontalen, d.h. in die Ferne gerichteten Blick deutlich von den anwesenden Senatoren abgehoben. Dies geht über eine einfache Markierung des Herrschers hinaus; die anderen Friesdarstellungen des Bogens bilden eine Komposition, die eine abgehobene, übernatürliche Natur des Herrschers betonen. 604 Einzig die sitzenden Statuen, welche die Rednerbühne flankieren und mit Mark Aurel und Trajan identifiziert werden, sind ebenfalls frontal dargestellt. Die gemeinsame frontale Darstellung lässt Konstantin gemeinsam mit den «guten» Kaisern einer goldenen Vergangenheit im Verbund stehen; er wird gar selbst in dem Schema einer kaiserlichen Statue gezeigt. Auch an anderen Stellen auf dem Bogen wird Konstantin in ähnlicher Weise und in Relation mit Mark Aurel dargestellt. 605 Dieses «Vokabular des Statuesken» ist bereits unter Konstantin zu einem Grundsatz der kaiserlichen Repräsentation geworden. 606 Es ist dasselbe statueske Verhalten, dass auch Constantius bei seinem Einzug in Rom an den Tag legte. Zwischenfazit Die tetrarchische und konstantinische Porträtkunst bildete das Vorbild für die Kaiserporträts des 4. und frühen 5. Jahrhunderts, mit dem Ergebnis, dass die Kaiserporträts zum Ausdruck der Tatsache wurden, dass nun nicht mehr die Person des Kaisers, sondern sein Amt der Stellung Gottes angenähert wurde. Durch das Zurückstellen der Kenntlichkeit der Einzelperson und das Hervorheben von allgemeinen herrscherlichen Attributen verschiebt sich der Fokus von der historischen Person des Herrschers auf das unabhängig von ihr bestehende, göttliche Amt an sich. 607 Die neue Art der Darstellung korrespondiert auch stark mit den zeitgenössischen Panegyriken, insofern als in beiden Medien eine klar definierte Theorie der letztlich göttlichen Natur der kaiserlichen Macht ausgedrückt wird, ohne aber die menschliche Natur der Person in Frage zu stellen. 608 Diese neue Trennung zwischen der Person und dem Amt des Kaisers erlaubte es den Porträtkünstler sowie den Panegyrikern, die konkrete Wirkungsmacht der Anwesenheit des Kaisers auch bei tatsächlichen historischen Ereignissen in einem religiös überhöhten Rahmen auszudrücken, dabei aber die Menschlichkeit des Herrschers intakt zu lassen. Dies 604 Vgl. MACCORMACK 1981, 35–37; vgl. auch MACCORMACK 1972, 731–33 für eine Besprechung des Ostfrieses mit der Darstellung von Konstantins adventus in Rom 312: Der Einzug Konstantins wird hier mit einem darüber liegenden Rundbild in Verbindung gebracht, dass den Aufstieg seiner Schutzgottheit Sol in einer Quadriga aus dem Meer zeigt. Die Darstellung wird damit zu etwas Besonderem, denn durch die Verbindung des adventus von Sol – nicht mehr Jupiter wie unter den Tetrarchen – und Kaiser ist eine Ausdrucksfigur, die sowohl in der Panegyrik als auch in der Kunst verwendet wurde, um die divinitas des Kaisers zu verkünden und seine Ankunft als kosmisches Ereignis darzustellen. 605 Vgl. STEWART 2003 (Statues in Roman Society), 115. 606 Ibid., 116. 607 Vgl. ENGEMANN 1988, 972 f.: «An die Stelle der Aussage ‹dies ist Antoninus Pius (der Kaiser)› trat jetzt: ‹dies ist der Kaiser (Valentinian II)›». 608 MACCORMACK 1981, 33. 150 Das spätantike Kaiserzeremoniell dürfte ein wichtiger Grund gewesen sein, weshalb diese Darstellungsformen die folgende Christianisierung des römischen Herrscherhauses überdauerten. Bereits im Prinzipat waren die Bilder des Kaisers zum Teil «wirklicher» als reale Körper. 609 Auch in der Spätantike wurde die Präsenz des Kaisers in der Bevölkerung zumeist durch Statuen vermittelt, welche kaiserliche Tugenden wie Dauerhaftigkeit und Unsterblichkeit, (Halb)-Göttlichkeit und ästhetische Perfektion darzustellen vermochten. 610 Dabei zeigt sich eine zunehmende Angleichung der Erscheinungen von Kaiser und seinen Bildnissen, jedoch in einer überraschenden Richtung: Nicht die Bildnisse wurden «realer», sondern die natürlichen Kaiserkörper wurden «unwirklicher», um so zu erscheinen wie seine göttlich inspirierten Porträts. So erklärt sich, dass sich der lebende Kaiser schliesslich in Form dieser Statuen präsentierte oder präsentiert wurde: Sie waren zu einem grossen Teil die Realität seiner sichtbaren Präsenz in der Öffentlichkeit. Man war sich gewohnt, in ihnen die Tugenden der dargestellten Kaiser abzulesen, und die kaisernahe literarische Tradition unterstützte diese Lesung aktiv. Damit hatte der «echte» kaiserliche Körper wiederum das Potential, durch Annahme eines statuesken Habitus eben jene Konnotationen auszudrücken und zu bestätigen. 609 610 MEISTER 2012, 218. STEWART 2003, 112. 151 VI. Des Kaisers neue Kleider Die Körper des Princeps In seiner 2012 publizierten Dissertation widmet sich Jan Meister der Thematik des Herrscherkörpers im Prinzipat und der frühen Kaiserzeit. 611 Ausgehend von der Arbeit von Ernst Kantorowicz untersucht Meister den monarchischen Herrscherkörper, wie er im republikanischen Rom mit Octavian zum ersten Mal auftrat. Nach Kantorowicz existierte der monarchischer Körper in der Frühen Neuzeit sozusagen zweimal: Einmal als «body natural», d.h. der natürliche, individuelle Körper des Herrschers, der von der Person nicht trennbar ist; und einmal als «body politic», d.h. den symbolischen, durch königliche Insignien gekennzeichneten, nicht austauschbaren und daher von der Person des Herrschers unabhängigen königlichen Körper. 612 Dass dies auf das frühe Prinzipat nicht zutrifft, zeigt Meister in seiner Monographie: Er vertritt die These, dass es im Prinzipat keine Trennung zwischen «body politic» und «body natural» gab: Der Körper des Princeps war zugleich auch die Verkörperung der Monarchie. Nach Meisters These manifestierte sich die Institution des Prinzipats zuerst im Körper der frühen augusti, da die Möglichkeiten fehlten, durch Kleidung oder Insignien einen Monarchen, den es offiziell nicht gab, zu markieren. Der Princeps habe sich in Habitus und damit im Aussehen und Verhalten der Senatsaristokratie anpassen müssen. Dies stand jedoch im Widerspruch zu seiner tatsächlichen Position, denn allen war bewusst, dass der Kaiser trotz seinem ähnlichen Aussehen über den übrigen Senatoren stand. Es war eine merkwürdige und historisch in dieser Form wohl einzigartige Situation, dass der Herrscher nicht als Herrscher in Erscheinung treten durfte. Auf methodischer Ebene hat das Auswirkungen auf den Habitus des Kaisers. So konstatiert Meister: «Wenn man das Verhalten eines Senators als Habitus umschreibt, als eine zur zweiten Natur gewordenen Handlungsdisposition, so muss man konstatieren, dass der Princeps keinen Habitus hatte. Er war ein Herrscher, der einen Nichtherrscher zu spielen suchte, und was dabei besonders problematisch war: Er selbst und seine Umgebung waren sich dessen völlig bewusst.» 613 Indem Meister seinen Überlegungen eine bourdieusche Definition von «Habitus» zugrunde legt, zeigt er auf, dass ein «guter» Princeps sich in das bestehende aristokratische Symbolsystem einfügte, in dem sich Statusunterschiede nicht in den Körpern der Senatoren widerspiegelte, sondern in der normierenden Kleidung und der Dispositionen der Körper untereinander ausdrückte. 614 Der Princeps inszenierte sich als privatus und eignete sich bewusst republikanische Verhaltensweisen und Äusserlichkeiten an. Ein Habitus im Sinne Bourdieus ist das nicht. Denn ein Habitus sei eben gerade nicht etwas, was man sich aus bewusstem politischem Kalkül einfach aneignen 611 MEISTER 2012. KANTOROWICZ 2016. 613 MEISTER 2012, 223. 614 Ibid., 225–30. 612 152 Des Kaisers neue Kleider kann, sondern eine als natürlich und selbstverständlich empfundene Disposition, die einem quasi «in Fleisch und Blut» übergegangen ist. 615 Respektsbezeugungen des Princeps waren als Höflichkeitsbekundungen zu verstehen, die nicht die tatsächlichen Machtverhältnisse abbildeten. Dies konnte zu unangenehmen Situationen führen, in denen korrektes Verhalten zwischen Princeps und Senatoren oder dem populus nicht klar vorgegeben war. 616 Der bescheidene Schein-Habitus war nur eine bewusst eingenommene Rolle, eine Performanz, deren Existenz allen Beteiligten bewusst war. 617 Doch gerade dadurch wurde der Körper des Princeps zu einem ganz besonderen. Da der Körper von republikanischen Normen nicht tangiert gewesen sei, habe er einen Spielraum geboten, die Monarchie sichtbar werden zu lassen, ohne dabei in direkten Konflikt mit den Vorstellungen der res publica zu kommen. Meister vertritt die These, dass die Aristokratie die Definitionshoheit über den bisher normfreien Körper des Princeps an neue, nun ebenfalls herrschaftsrelevante Bevölkerungsgruppen zu verlieren drohte, während dieser zur Projektionsfläche von charismatischen Vorstellungen in der Bevölkerung und beim Heer wurde. Aristokratische Quellen berichten von einem starkem Interesse des einfachen Volkes an dem Kaiserkörper und der damit verbundenen charismatischen Legitimation des Herrschers, und es sei mit zahlreichen Gerüchten und Erzählungen zu rechnen, die auf breiter Basis mündlich tradiert wurden. 618 Meister vermutet daher, dass die – nicht selten auch mythischen – Vorstellungen vom Körper des Princeps sich in den im Reich verteilten Herrscherstatuen manifestierten und so «wirklicher» als der reale Princeps wurden, der sich weiterhin am senatorischen Habitus orientierte. 619 Was er real verkörperte, sei so nicht mehr als authentisch angesehen worden – er sei eben zum «Körper ohne Habitus» geworden. Meisters Studie beschränkt sich in zeitlicher Hinsicht auf die späte Republik und das Prinzipat bis in hadrianische Zeit. In einem kurzen Ausblick auf die weiteren Entwicklungen konstatiert er eine mit der Zeit schleichende Veränderung im Auftreten des Princeps, das sich zunehmend den tatsächlichen Machtstrukturen anglich. Dies geschah einerseits aufgrund einer Gewöhnung an den Princeps, während parallel dazu die republikanischen Normen zunehmend verblassten. Andererseits wurde mit der Zeit die traditionelle Scheidung zwischen öffentlich und privat mit der Herausbildung eines kaiserlichen 615 MEISTER 2012, 231; vgl. dazu etwa BOURDIEU 1980, 116: «Le sens pratique, nécessité sociale devenue nature, convertie en schèmes moteurs et en automatismes corporels, est ce qui fait que les pratiques, dans et par ce qui en elles reste obscur aux yeux de leurs producteurs et par où se trahissent les principes transsubjectifs de leur production, sont sensées, c'est-à-dire habitées par un sens commun. C'est parce que les agents ne savent jamais complètements ce qu'ils font que ce qu'ils font a plus de sens qu'ils ne le savent.» 616 MEISTER 2012, 231–33. Unter anderem führte dies auch dazu, dass etwa Augustus solche unkontrollierten Begegnungsmomente mit Volk und Senatoren bewusst vermied; siehe dazu Meisters Kapitel «Die geschlossene Sänfte des Augustus» (239–41). Die entsprechende Sueton-Passage wurde auch bereits zuvor von Dirk Barghop eingehend untersucht: BARGHOP 1994, 13–16; 96–112. 617 MEISTER 2012, 247. 618 Ibid., 136 f. 619 Ibid., 193–217. 153 Des Kaisers neue Kleider Hofes in Frage gestellt: Die Machtdemonstrationen, die der Kaiser als Hausherr unternahm, erhielten zunehmend öffentlichen Charakter. 620 Nimmt man nun einen grossen Sprung vom frühen Prinzipat zur Spätantike und wirft einen Blick auf das massiv ausgestaltete kaiserliche Zeremoniell unter der Tetrarchie sowie der konstantinischen Dynastie, wird man feststellen müssen, dass sich in Bezug auf die Repräsentation von Kaiser und Kaisertum einiges verändert hat. In Anbetracht der von Meister aufgestellten These, dass das frühe Prinzipat keinen «body politic» aufzuweisen hatte, lässt sich festhalten, dass sich ein solcher im 4. Jahrhundert etablierte. Die Spätantike kannte bereits zwei Formen des kaiserlichen Körpers. Das heisst, dass sich die Kaiser spätestens seit der Tetrarchie ganz bestimmten Herrschaftsformen «mit Haut und Haar» zu unterwerfen hatten. Der Herrschaftsantritt wurde zur wortwörtlichen «Bekleidung» eines Amtes, was sich unter anderem in den neuen Formen der Krönungszeremonien, fest etablierten kaiserlichen Trachten und Insignien und letztlich auch im Aussehen und körperlichen Verhalten der Herrscher ausdrückte. Dies hat nicht zu bedeuten, dass dies eine neue Erfindung der Spätantike gewesen ist: Analog zu der zunehmenden Ausgestaltung des Kaiserzeremoniells veränderten sich auch die Vorstellungen vom Herrscherkörper schleichend, aber letztlich grundlegend. Eine Situation wie im frühen Prinzipat, in der ein Herrscher ohne Habitus herrschte, war auf Dauer nicht stabil und entwickelte sich natürlich, über Umwege und individuelle Experimente, durch allmähliche Gewöhnung, schleichende Veränderungen in sozialen und politischen Strukturen und Erwartungshaltungen verschiedener Gruppen, in eine institutionalisierte Form der Herrschaft. Der Herrscherkörper machte diese Entwicklung zwangsläufig mit; so ist der Herrscherkörper in der Spätantike strukturell nicht mehr ohne das Herrscherzeremoniell denkbar, Dieser Umstand wird auch von den zeitgenössischen Quellen bezeugt. Die Hinweise sind zahlreich, wenn auch subtil: So berichtet Ammian von einer Reihe von Gerichtsverfahren wegen Majestätsbeleidigungen (maiestatis crimen) in der Stadt Ankyra, denen Julian gezwungenermassen als Richter vorstand. 621 Dabei sei jemand von seinem persönlichen Feind angeklagt worden, sich ein seidenes Purpurgewand anfertigen zu lassen. 622 Julian durchschaute den Betrugsversuch und reagierte souverän, indem er dem Angeklagten auch noch ein paar purpurne Schuhe zukommen liess, «damit er verstehe, 620 MEISTER 2012, 247–49. Amm. 22,9,8–12. 622 Das Tragen des Purpurs war dem Kaiser allein vorbehalten; der alleinige Besitz eines solchen wurde als Schwerverbrechen geahndet. Jedoch war dies auch ein gängiges Mittel zur Denunzierung persönlicher Feinde; nach Ammian handelte es sich auch hier bei den meisten Anklagen um haltlose Anschuldigungen unter verfeindeten Personen zum Ziel des persönlichen Profits. 621 154 Des Kaisers neue Kleider was die unbedeutenden Lumpen ohne die höchste Macht wert sind». 623 Auch Libanios erwähnt, vielleicht inspiriert durch dasselbe Ereignis, dass Julian nicht viel auf den Purpur gab. Dieser müsse zwar jeder Kaiser unbedingt tragen, doch er trug ihn so wie jede andere Kleidung. 624 Zugleich verkündet Libanios auch, dass Majestätsbeleidigung unabhängig von der beleidigten Person ein Verbrechen sei; denn auch wenn es sich um eine schwache Persönlichkeit handelt (wie in seinen Augen Constantius), verdiene dessen Position als Kaiser dennoch Respekt. 625 Malalas schliesslich berichtet, wie Diokletian das Amt des Alytarchen übernahm, indem er seine purpurnes Gewand durch ein weisses ersetzte und mit dem kaiserlichen Ornat zugleich auch die Kaiserherrschaft ablegt: «Und es war in Antiocheia eben dieser Diokletianus Alytarch, indem er den kaiserlichen Ornat ablegte und nach der Beendigung der Olympischen Spiele die Stellung eines Kaisers aufgab; er sagte: ‹Ich habe die Kaiserherrschaft abgelegt, und ich habe die Tracht des unsterblichen Zeus getragen.›» 626 Das Kaisertum wird also zunehmend als «Amt» wahrgenommen, dass es zu «bekleiden» gelte (und das man im Falle Diokletians auch ablegen kann). Auch wenn der Kaiser stirbt und auch wenn die Nachfolgeregelung weiterhin ein gefährliches Moment in der Kontinuität der Dynastien gewesen war, wurde die Institution des Kaisertums an sich nicht mehr hinterfragt. 627 Der «body politic» war etabliert; der Herrscherkörper an sich war nicht mehr an eine spezifische Persönlichkeit gebunden. Im spezifischen Fall von Julian heisst das, dass er mit seinem Herrschaftsantritt in ein relativ neues, jedoch detailliert ausgestaltetes System eintrat, das man als das konstantinische Kaiserzeremoniell bezeichnen kann, das noch in wesentlichen Zügen, besonders hinsichtlich der Repräsentation des Kaisers und seiner öffentlichen Auftritte, auf tetrarchischen Vorgängern beruhte. Wie die Forschung zeigte, kam auch dieses neue Zeremoniell nicht plötzlich mit Diokletian auf und ist auch nicht mit einer exogenen «Orientalisierung» zu erklären, sondern basiert wiederum auf Traditionen, die bereits eine lange Entwicklung hinter sich haben. Das Kaiserzeremoniell bestand als in seinen Grundzügen schon lange in einer stabilen Form, und war mit entsprechenden Erwartungshaltungen verknüpft. Dieses Zeremoniell 623 Amm. 22,9,11: ut sciri possit sine uiribus maximis quid pannuli proficient leues. Lib. or. 18, 191–192. Sokrates berichtet, dass Julian bereits als Student stets in einfacher Bekleidung bei seinem Lehrer Mardonios verkehrte: Sokr. h.e. 3,1,9. 625 Lib. or. 16, 37. 626 Ioh. Mal. 12,44: καὶ ἀλυτάρχησεν ἐν Ἀντιοχείᾳ ὁ αὐτὸς Διοκλητιανὸς ἀποθέμενος τὸ βασιλικὸν σχῆμα καὶ μετὰ τὸ πληρῶσαι τὰ Ὀλύμπια οὐχ εἵλετο βασιλεῦσαι λέγων, ὅτι· ‘ἀπεθέμην τὴν βασιλείαν καὶ ἐφόρεσα σχῆμα τοῦ ἀθανάτου Διός.’ καὶ ἔκτοτε ἔμεινεν οὕτως. τελευτᾷ δὲ ἰδίῳ θανάτῳ ὢν ἐνιαυτῶν οβʹ. 627 Dies bedeutet nicht, dass die Rolle des Kaisers gegenüber den verschiedenen sozialen und religiösen Gruppen im Reich nicht immer wieder neu verhandelt wurde; insbesondere mit dem zunehmenden Einfluss der christlichen Kirche musste das Verhältnis von Kaiser und Kirche und deren jeweils zuständigen Herrschaftsgebiete neu definiert werden. Dies widerspricht jedoch nicht dem hier angeführten Tatbestand; auch in diesen «Neuverhandlungen» zeigt sich gerade durch die Absteckung von klar definierten Einflussphären, dass das Kaisertum als Institution nicht mehr wegzudenken war. 624 155 Des Kaisers neue Kleider umfasste den Herrscherkörper als zentrale, visuelle Ausprägung des Kaisertums und gab damit den Handlungsspielraum für jeden neuen Kaiser vor. 628 Bourdieu beschrieb den Habitus als «System von Grenzen», innerhalb dessen der Akteur aber durchaus erfinderisch sein kann, so dass seine Reaktionen keineswegs immer schon im Voraus bekannt sind. Der so entwickelte Lebensstil komme der Arbeit eines Künstlers gleich, der trotz der Unvorhersehbarkeit seines Werks immer nur aus vorhandenem schöpfen kann. 629 Dies trifft auch auf den kaiserlichen Habitus Julians zu: Julian hatte innerhalb des mehr oder weniger eng abgesteckten Handlungsspielraums des spätantiken Kaiserzeremoniells zu agieren; dabei stiess er immer wieder auf Grenzen, und in seinem Verhalten und den dahinterliegenden Überlegungen lässt sich der Versuch ausmachen, diese Grenzen bewusst auszuloten, wenn nicht gar zu durchbrechen. Dies lässt sich nur unbefriedigend auf eine besonders individualistische Veranlagung des Kaisers reduzieren: Viel wichtiger war für Julian die bewusste Absetzung von seinen Vorgängern. Diese Absetzung demonstrierte er auf vielfältige Weise und auf mehreren Ebenen der Repräsentation: Julians Habitus, der sich in seinem Äusseren und in seinem Verhalten gegenüber anderen äusserte, war die wohl unmittelbarste, visuelle Manifestation dieses Bedürfnisses. Weniger mittelbar, aber für die gebildete Reichselite und nachfolgende Generationen umso zentralere Ausprägung war Julians religiös-philosophisches Selbstverständnis, das er unter anderem in seinen zahlreichen Schriften theoretisch begründete. Schliesslich drückte sich der Wille zur Absetzung auch durch eine personelle Reduzierung des Hofzeremoniells, das in den Quellen einhellig eng mit seinem Vorgänger Constantius assoziiert wird. Seine teils in traditionellen Vorstellungen verankerte, teils persönlich ausgearbeitete Philosophenherrscher-Ideologie zwang Julian zu einer strengen Unterscheidung zwischen dem göttlichen und dem körperlichen Anteil des Herrschers. Die Göttlichkeit beschränkte sich in Julians Schriften auf das Amt des Kaisers: Auch wenn er zuweilen auf seine göttliche Berufung verweist, so ist dies eine Berufung zur Bekleidung des Amtes, und dies sollte insbesondere der Wiederherstellung der traditionellen Werte dienen. Zugleich betont Julian in seinen Schriften stets die im fehleranfälligen Körper ausgedrückte Menschlichkeit auch des Herrschers, während er diese «Bodenständigkeit» im Sinne einer althergebrachten civilitas und modesta in seinem vorgeblich zwanglosen Verhalten gegenüber anderen auszudrücken versuchte. Darin ist ein bewusstes Kalkül sichtbar, denn er berief sich auf Tugenden, welche in den Jahrzehnten für die kaiserliche Repräsentation immer weniger relevant wurden. Im Auftreten seiner Vorgänger Constantius und Konstantin wurden andere kaiserlichen Tugenden ausgedrückt, die 628 In diesem Sinne muss Alexander Demandt widersprochen werden, wenn vom «frühbyzantinischen Kaisertum» des 4. Jahrhunderts spricht, das durch das Fehlen jeglicher höfischen Etikette und einer absoluten persönlichen Uneingeschränktheit des Herrschers gekennzeichnet sei, wie das eigenwillige Verhalten Julians lehre: DEMANDT 1997, 246–52. Dabei handelt es sich um eine rein strukturalistische Argumentation, die die Zwänge des Kaiserzeremoniells und damit des kaiserlichen Habitus ausblendet. 629 BOURDIEU 1997, 33. 156 Des Kaisers neue Kleider sich als leicht adaptierte Übernahme der bereits in tetrarchischen Auftritten vermittelten Tugenden beschreiben lassen: divinitas und eine religiös konnotierte maiestas waren hierbei die zentralen Elemente, die auch in den unbewegten, statuarischen Körpern, der demonstrativen Abwesenheit jeglicher Anteilnahme am Geschehen und der Unnahbarkeit der Kaiser besonders zur Geltung kam. 630 Freilich muss auch hier differenziert werden: Es lassen sich Momente finden, in denen die konstantinischen Vorgänger Julians ihre Menschenliebe, Demut und Genügsamkeit demonstrieren; doch taten sie dies nicht unbedingt in den Augen einer breiten Öffentlichkeit. Schliesslich setzen auch Ammian, Libanios und Claudius Mamertinus Kaiser Julian, als den Inbegriff des civilis princeps, immer wieder in Kontrast zu der elitär zelebrierten Distanz, die ein Kaiser wie Constantius an den Tag legte. Julian war nicht von Beginn an dazu bestimmt gewesen, später Herrscher zu werden, im Gegensatz etwa zu seinem Vorgänger Constantius II. Was aus seiner Zeit vor der Erhebung zum Caesar bekannt ist, lässt eher darauf schliessen, dass er, abgesehen von längeren Momenten der Isolation in der Jugend, vor allem im Umfeld einer intellektuellen Elite sozialisiert worden war. Die illusio, d.h. der «Glaube an das Spiel», kann im Sinne Bourdieus einerseits durch die Zugehörigkeit «von Geburt an», anderseits durch einen langwierigen Prozess der Anpassung und Kooptation ausgedrückt werden. 631 Dass Julian nicht «von Geburt an» zum Kaiser erzogen worden war, und auch nach seiner Erhebung zum Caesar oder gar nach der Aushebung zum Augustus nicht lange dafür Zeit hatte, sich an seine neue Rolle als Herrscher der Welt zu gewöhnen, dürfte Auswirkungen auf seine Anpassungsfähigkeit und sein Verhalten auf dem kaiserlichen Feld gehabt haben. Die Konflikte, die sich daraus ergaben, drückten sich einerseits durch seinen Körper aus, andererseits wurden sie auch in seinen Körper hineingelesen. Durch sein Verhalten – wenn er etwa im Misopogon auf den unvollkommenen menschlichen Körper des Kaisers verweist – zerstörte er die illusio eines übermenschlichen, unfehlbaren Herrschers. Zugleich leugnete er die Diskrepanz zwischen realer Person und Amt des Kaisers, zwischen «body natural» und «body politic», indem er den Purpur als reine Maskerade bezeichnet und seinen unvollkommenen Körper als alternativlos für einen guten Herrscher darstellt. Der spätantike Herrscherkörper war aber nicht mehr einfach identisch mit dem natürlichen Körper des Kaisers, sondern entwickelte sich zunehmend zum überindividuellen Bestandteil des Kaiserzeremoniells; der Handlungsspielraum des einzelnen Herrschers für abweichende, ‹individuelle› Verkörperungen der kaiserlichen Rolle wurden zunehmend eng. 630 Vgl. BROWNING 1975, 132: «Throughout [Julian’s] reign there was a conflict between the role of ‹democratic prince›, which he wished to play, and that of a remote half-divine ruler, which the mass of his subjects expected, and which may have been what the situation called for.» 631 BOURDIEU 1980, 113 f. 157 Des Kaisers neue Kleider Ein bärtiger Kaiser in einem «Zeitalter der Glattrasur»? Zuweilen stösst man in der Forschung auf die Aussage, dass Julian durch seinen Bart die gängige Modeerscheinung der kaiserlichen Glattrasur missachtete. So habe er sich selbst in seinem Misopogon als barttragender Kaiser in einem «clean-shaven age» stilisiert. 632 «Beard-watching was a traditional sport at Antioch», stellt auch Maude Gleason fest und liefert einige Anekdoten mit bärtigen oder rasierenden Kaisern in Antiochia. 633 Tatsächlich scheint es einen Unterschied gemacht zu haben, ob ein Kaiser rasiert oder bärtig auftrat, denn dies wurde von der Bevölkerung wahrgenommen und rezipiert. Häufig weisen die Quellen auf die glattrasierten Wangen der konstantinischen Herrscher hin. Nach Ammian waren die Wangen von Constantius «regelmässig rasiert und von hübschem Glanz.» 634 Julian war nicht der einzige barttragende Kaiser des späten 3. und 4. Jahrhunderts. So sind unter anderem Diokletian, Maximian und Galerius in der Porträtkunst und auf Münzbildern häufig bärtig dargestellt; auch nach Julian tragen gemäss Münzprägung regelmässig Kaiser des West- und des Ostreichs einen Bart. 635 Julians Bart muss demnach auch nicht zwingend als Zeichen seiner Apostasie gelten, denn auch spätantike christliche Kaiser nach Julian trugen noch Bärte. 636 Doch die Kaiser der konstantinischen Dynastie waren scheinbar tatsächlich durchgehend glattrasiert. Auch die Frisur schien ein einendes Element gewesen zu sein. Die Frisuren Konstantins werden in der Forschung häufig als stilbildend für seine Nachfolger geschrieben und ihrer Ausgestaltung grosse Relevanz zugeschrieben. 637 Während sich Julian also durch seinen Bart auffällig von seinen unmittelbaren Nachfolgern absetzte, lässt sich hingegen bezüglich der heute noch fassbaren ikonographischen Repräsentation des Kaisers überraschenderweise feststellen, dass die Unterschiede zu seinen Vorgängern minimal sind. Die Münzbilder des Caesars Julian unterscheiden sich in ihrer frühen Form in keiner Weise von denjenigen seines Bruders Gallus. Die überlieferte Ikonographie zeigt ihn als einen rasierten und schönen, typischen jugendlichen Vertreter des konstantinischen Kaiserhauses. 638 Es ist nicht überraschend, dass Julian in den frühen Münzbildern ebenfalls auf diese Art repräsentiert wird. Julian wurde auch in seiner physischen Erscheinung dem erwarteten Caesarenbild angepasst: Auch Julian musste sich kurzfristig dieser 632 DOWNEY 1939, 305. GLEASON 1986, 113. 634 Amm. 21,16,19 (Übers. Seyfarth): rasis assidue genis lucentibus ad decorem. 635 FLECK 2008, 58; DEMANDT 1997, 114. 636 FLECK 2008, 147-148. 637 Vgl. etwa VARNER 2012, 183; FLECK 2008, 57f.; DELBRUECK 1978, 36–39; 40 f. 638 DELBRUECK 1978, 24, sieht ihn als Verkörperung eines zeitgenössischen Modetypus des höfisch-eleganten Jünglings. Eine Beschreibung des Äusseren von Gallus liefert auch Ammian (Amm. 14,11,28): Er bezeichnet ihn mit weichen, blonden Haaren und einem gerade erst sprossenden, zarten Bart als schon früh würdevoll aussehenden Jüngling. Einen weiteren Eindruck von der zeitgenössischen Wahrnehmung von Gallus’ Aussehen liefert der Chronograph von 354 (Abb. 10), der ihn mit ähnlicher Physiognomie und Frisur wie Constantius II. zeigt. 633 158 Des Kaisers neue Kleider Mode beugen: Die Rasur und Einkleidung, die Julian als designierter Caesar am Hof des Constantius über sich ergehen lassen musste, blieb ihm in schlechter Erinnerung. 639 Als Caesar besass Julian wohl auch nicht die alleinige Hoheit über seine eigene Münzprägung. Doch auch bei späteren Münzen sind, abgesehen von der zunehmenden Bärtigkeit, kaum Unterschiede zu gängigen ikonographischen Motiven feststellbar. Erst ab 361 wird Julian als Augustus hauptsächlich bärtig dargestellt. Tatsächlich lässt sich in der Entwicklung der Münzen Julians sehr gut eine «Chronologie des Bartes» erstellen, denn mit zunehmendem Alter (und wohl auch mit zunehmender Selbstständigkeit bis hin zur Machtübernahme und darüber hinaus) wird sein Bart auf den Münzen immer länger. 640 Spätestens mit den Münzprägungen aus Antiochia ab 361 erscheint sein Bart, im Gegensatz zu seiner früheren Gesichtsbehaarung, die eher an die Bärte der Soldatenkaiser erinnert, sehr lang, strähnig und spitz zulaufend. 641 Der weitere ikonographische Befund bezüglich Julian ist sehr überschaubar. Abgesehen von einem exagium, einem Medaillon, einigen Gemmen und interessanterweise einem sasanidischen Felsrelief gibt es ausserhalb der Münzprägung keine zweifelsfrei mit Julian identifizierbaren Porträts. 642 Eine sicher zu identifizierende kaiserliche Statue Julians wäre überaus interessant hinsichtlich der Frage, ob sich Julian an der gängigen Ikonographie des Kaiserzeremoniells orientierte, oder ob er eigene Wege ging und mit der Darstellung von maiestas und divinitas brach. Dass heute durchgehend alle Porträts, die zuweilen Julian zugeschrieben werden, einen Philosophen oder Priester darstellen, ist auch für die Rezeptionsgeschichte Julians bezeichnend. Sollten auch nur einige wenige dieser Porträts tatsächlich Kaiser Julian zeigen, würde dies einen klaren Bruch mit der spätantiken Kaiser-Ikonographie bedeuten, der sich in der numismatischen Evidenz so nicht fassen lässt. Während sich die Münzen Julians durch den Bart abheben, bleibt die restliche Gestaltung – inklusive der Haartracht des Kaisers – erstaunlich traditionell. 643 Hier stellt sich die Frage, inwiefern Julian für 639 Iul. or. 5 (ad Ath.) 5. 274 C–D; siehe oben, S. 99. FLECK 2008, 41; GILLIARD 1964, 136. GARCÍA RUIZ 2018 (Julian’s Self-Representation in Coins and Texts) unterscheidet vier Phasen der Münzprägung: (1) Julian als Caesar in Gallien (355– 360): glattrasiert; (2) Julian als selbsternannter Augustus, Februar 360–Februar 361: doppeltes Perlendiadem; (3) Julian Augustus vom Frühjahr 361– Frühjahr 362: kurzer Bart; (4) Julian Augustus vom Dezember 361–Juni 363: langer Bart. Vgl. Abb. 2–5. 641 RIC VIII Antioch 212; siehe Abb. 5. 642 Vgl. den Katalog von FLECK 2008: exagium: Nr. 23; Medaillon: Nr. 25; römische Gemmen: Nr. 62, 64, 65; sasanidisches Relief: Nr. 68; sasanidische Gemme: Nr. 69. Insbesondere das sasanidische Felsrelief, das den besiegten/toten Julian unter Sapur II. liegend darstellt, ist in diesem Zusammenhang besonders interessant, da es, zusammen mit demselben Motiv auf einer sasanidischen Gemme, das einzige nicht-römische Porträt des Kaisers darstellt. Auch hier ist der Kaiser durch einen langen Bart gekennzeichnet. Vgl. dazu TRÜMPELMANN 1975 (Triumph über Julian Apostata). 643 Daraus schloss etwa FLECK 2008, 145 f., dass Julian an den klassischen Repräsentationsschemata festhielt. Seine Münzbildnisse demonstrierten, wie wichtig Julian die eigene Repräsentation inklusive der Zurschaustellung seiner Machtinsignien war. Zu weit geht aber die Annahme, dass Julian die Erwartungshaltungen der Bevölkerung an kaiserliche Repräsentation erfüllt habe, während er seine persönlichen und intellektuellen Vorlieben nur in seinem Umfeld oder auf Papier auslebte. Wie gezeigt wurde, eckte Julian selbst bei seinen Verehrern mit der 640 159 Des Kaisers neue Kleider die detaillierte Ikonographie seiner Münzen verantwortlich war. Während die Münzprägung von allen Ausprägungen des Kaiserbildes in der Forschung noch am ehesten als «top-down»-Mitteilung angesehen wird, 644 bleibt die Möglichkeit bestehen, dass Prägestätten sich an eine bewährte Ikonographie hielten und – ähnlich wie die pro-julianischen Autoren – versuchten, den Kaiser in ein gängiges und verständliches Schema zu pressen. Kontrastprogramm Julian Julians Körper war einer ständigen, intensiven Beobachtung durch die Anwesenden ausgesetzt: Seine Frisur und sein Bart waren für seine Freunde Zeichen seiner philosophischen Gesinnung, für seine Gegner Zeichen der Apostasie, für eine grosse Mehrheit der Bevölkerung ein Objekt des Spotts. Die Miene des Kaisers wurde als Ausdruck seiner authentischen Gefühlslage, seine Augen als Zeichen seiner Intelligenz von Konsuln sowie Soldaten beobachtet; seine Hände verrieten seinen Freunden und Feinden seine Beschäftigung als Schriftsteller und opfernder Priester. Sein ungezwungenes Verhalten gegenüber Freunden, sein demütiges zu-Fuss-Gehen und seine aufgeregten Bewegungen während Reden wurde sowohl gelobt als auch scharf kritisiert. Bei jeder passenden Gelegenheit wurde der Habitus von Julian mit dem seiner Vorgänger verglichen, die sich von ihm auch in Aussehen und Verhalten gänzlich unterschieden. Zumindest während öffentlicher Auftritte musste er die Hoheit über seinen Körper sozusagen abgeben, denn dieser wurde in Form eines «body politic» als die fleischgewordene römische Monarchie inszeniert. Egon Flaig weist darauf hin, dass der Kaiser gegenüber den unterschiedlichen Akzeptanzgruppen unterschiedliche, zum Teil inkompatible Rollen zu spielen hatte, und dass es bei der Kopräsenz mehrerer Gruppen zu Krisen kommen konnte. 645 Solche Krisen löste Julian in beinahe allen Interaktionsräumen aus. Das Problem bestand darin, dass Julian als Kaiser versuchte, sich einen priesterlichen, philosophischen und soldatischen Habitus anzueignen bzw. zu bewahren, während die Situation eine gewisse Anpassung an seine neue Rolle als Kaiser verlangt hätte. Ein Kaiser hatte sich in den Augen anderer wie Verachtung des kaiserlichen Protokolls und der Infragestellung der maiestas häufig an, und bei der Bevölkerung Antiochias kann von einem kompletten Scheitern der kaiserlichen Repräsentation gesprochen werden. Da halfen auch die konstantinisch angehauchten Münzen nicht mehr viel. Vgl. auch LÓPEZ SÁNCHEZ 2012 (Julian and his coinage: a very Constantinian Prince) und VARNER 2012, die beide auf die zunehmende Abweichung in den Darstellungen hinweisen. 644 BURGERSDIJK/ROSS 2018, 9. 645 FLAIG 2019, 201: «Die Gehorsamsmodalitäten aller drei massgeblichen politischen Sektoren widersprachen einander grundsätzlich. Der Kaiser musste mindestens vier nicht nur unterschiedliche, sondern konträre, im Ernstfalle kontradiktorische Rollen spielen: Er sollte Primus inter pares gegenüber dem Senat sein, gütiger und zugleich umfangreicher Interaktion zugänglicher Monarch gegenüber der Plebs urbana; den Truppen sollte er der beste Chef sein, den hellenistischen Städten sollte er sich als gottähnlicher, also charismatischer Mensch präsentieren. Die Autoritätstypen und Gehorsamsmodalitäten waren untereinander unverträglich. Obschon die Unverträglichkeit meist nicht ersichtlich und akut wurde, reichte ihre Latenz aus, um die Kommunikation zwischen den Gruppen krisenanfällig zu halten. Sie verschärfte sich bei Kopräsenz; denn wenn der Kaiser mit mehreren präsenten Gruppen interagierte, kollidierten die diversen Einforderungen.» 160 Des Kaisers neue Kleider ein Kaiser zu verhalten, und ein Kaiser hatte auch wie ein Kaiser auszusehen. 646 Doch schon der erste Blick, den die Bevölkerung der Provinzstädte auf ihren neuen Kaiser erhaschen konnte, war ein Kontrastprogramm zu dem gewohnten Bild der statuesken Kaiser. Die Beschreibungen Ammians zu der adventus-Zeremonie des Constantius und denjenigen des Julian auf seinem Weg nach Osten könnten unterschiedlicher nicht sein: Einerseits der göttliche, unnahbare und unbewegte Constantius, andererseits der bürgernahe, bewegte Julian. Ironischerweise kann gerade der adventus des Constantius in Rom, der so häufig als Beleg für die Entrückung des Kaisers herangezogen wird, ebenso als Beispiel dafür gesehen werden, wie kaiserliche Distanz und Volksnähe erfolgreich vereint werden konnten. 647 Denn nach der abgehobenen, unbewegten Einfuhr in die Stadt erzählt Ammian erzählt auch davon, wie Constantius den Senat besuchte, wie er eine öffentliche Rede hielt, wie er bei den Spielen das Volk scherzen liess, und wie er die Bauten Roms wie ein Tourist besichtigte. Der Kaiser konnte sich offenbar binnen kurzer Zeit und gegenüber demselben Personenkreis in sehr unterschiedlich erscheinender Weise verhalten. 648 Auch Julian setzte nicht auf völlig abwegige Herrschertugenden. Auch einige seiner Vorgänger und Nachfolger werden etwa für ihre civilitas, aber auch für ihre soldatisch-athletischen Leistungen, ihren genügsamen Lebensstil und ihre rhetorische Begabung gelobt. Doch Julian scheiterte in einer erfolgreichen Kombinierung dieser sich oft widersprechenden Rollen. Dies mag ein Ergebnis von falsch gesetzten Schwerpunkten sein: Julian orientierte sich seit seiner Jugend, entsprechend seinen Vorbildern aus einer goldenen, paganen Vergangenheit, an Tugenden, die im Begriff waren, für einen Herrscher immer weniger wichtig zu sein oder sich zumindest in ihrer Bedeutung und praktischen Anwendung veränderten. Ein guter Krieger und Rhetor zu sein, mag für seine homerischen Vorbilder genug gewesen sein, doch für einen spätantiken römischen Kaiser waren dies nicht mehr unbedingt die zentralen Tugenden. 649 646 Dabei gab es immer einen gewissen Handlungsspielraum, und gewisse Neuerungen im «Stil» und Aussehen eines Kaisers konnten sich zu jeder Zeit als neue Modeerscheinung im gesamten Reich verbreiten (vgl. MARCONE 2020, 332 zum «style» eines römischen Kaisers, den er als «degree of adherence» an einen ungeschriebenen Verhaltenskodex beschreibt, der letztlich auf «shared expectations» beruhe). Freilich musste dieser «Stil» des Kaisers richtig gelesen werden: Ein Bart wurde erst zu einem «Philosophenbart», wenn man auch den entsprechenden «Lifestyle» vorzuweisen hatte; vgl. die Ausführungen von ZANKER 1995 (Die Maske des Sokrates), 211 f. bezüglich dem «Bildungsbart» Hadrians. 647 So etwa PFEILSCHIFTER 2013, 99–104. 648 Siehe ibid., 103 f.: «Der joviale Gestus musste die Ehrfurcht vor dem entrückten Herrscher keineswegs unterminieren, die Kombination zweier verschiedener Rollen konnte tatsächlich zum Erfolg führen, so wie ihn Constantius II. in Rom erfahren hatte. Allein, auf den richtigen Ton, die passende Dosierung kam es an, und die waren nicht in jeder Situation von jedem Kaiser ohne weiteres zu finden.» Welchen Kaiser Pfeilschifter in Bezug auf Letzteres im Kopf hatte, lässt er an dieser Stelle offen. Julian ist wohl einer der offensichtlichen Verdächtigen. 649 Ex post betrachtet, scheint die weitere Entwicklung des Kaiserzeremoniells dies zu bestätigen: Die Nachfolgenden Herrscher werden sich immer weniger auf dem Schlachtfeld zeigen, und immer mehr in ihre Paläste zurückziehen. Einen Höhepunkt erreicht dies in den gänzlich unnahbaren Herrschern des byzantinischen Ostens. 161 Des Kaisers neue Kleider Bereits seit Prinzipatszeiten wurde der Kaiser je nach Kontext und Publikum unterschiedlich dargestellt und rekurrierte auf verschiedene, in ihrer Natur geradezu «gegnerische» Vorstellungen davon, was ein idealer Princeps zu sein habe, welche Tugenden er besitzen müsse, wie er zu erscheinen und aufzutreten habe. 650 Die Tugenden civilitas und modestia zielten jedoch im Idealfall nicht einzig auf eine schmale Elite, sondern auf die gesamte Bevölkerung ab, der damit demonstriert wurde, dass der Princeps, indem er sich civilis zeigt, auch diese Bürgerschaft in ihrer bestehenden Hierarchie respektiert und stärkt. In der Realität war jedoch der angebrachte Grad an civilitas stets von der jeweils adressierten Akzeptanzgruppe abhängig: Gegenüber Soldaten verhielt sich ein Princeps höchst selten civiliter, gegenüber dem Volk schon öfters, am häufigsten aber gegenüber den Eliten. 651 Auch Julian betonte in verschiedenen Kontexten verschiedene Aspekte des kaiserlichen Tugendkatalogs. Doch nicht immer wählte er das richtige Verhalten, und seine Vorstellungen waren trotz seiner inszenierten Bürgernähe von einem gewissen Elitismus geprägt. So hatte er eine spezifische Vorstellung davon, was Bürgernähe zu bedeuten habe: Die civilitas schien der Kaiser vor allem gegenüber seinen engen Bekannten sowie lokalen Würdenträgern zu beweisen, währendem er sich für die breite Bevölkerung rarmachte. Indem er den traditionellen Begegnungsorten von Kaiser und Volk fernblieb, beraubte er diese einer wichtigen Interaktionsmöglichkeit, was insbesondere in Antiochia zu grossem Unmut führte. Das Volk war es sich gewohnt, den Kaiser zu ganz bestimmten Anlässen zu sehen, ihn aber sonst nur selten zu Gesicht zu bekommen. Julian kehrte dieses Prinzip auf den Kopf, indem er den Spielen fernblieb, dafür aber mit seinen befreundeten Konsuln zu Fuss durch die Stadt ging. Julian tat also eigentlich nichts, das für seine Zeitgenossen unverständlich gewesen oder gar verrückt erschienen wäre: Sein Verhalten und Aussehen entsprach der gängigen Ikonographie und Verhaltensweise, die man zu dieser Zeit von kynischen Philosophen, von paganen Priestern oder von militärischen Befehlshabern gewohnt war bzw. erwartete. Sein Habitus war zu jeder Zeit «lesbar», und den meisten Betrachtern scheint die von Julian intendierte Lesart bekannt gewesen zu sein. Was jedoch in den Augen von Julians Zeitgenossen nicht funktionierte, war die Kombination all dieser Rollen, wie sie Julian versuchte. Dies lässt sich explizit in den Quellen nachweisen. So machte etwa Sokrates auf ein grundsätzliches Problem in der Verbindung der philosophischen und herrscherlichen Rolle bei Julian aufmerksam: Ein Kaiser könne zwar durchaus Philosoph sein, solange dies bedeutet, dass er sich in seiner Dies waren Tendenzen, die sich bereits seit langer Zeit entwickelten, und die sich spätestens seit der diokletianischen Tetrarchie zunehmend manifestierten. Zu Lebzeiten Julians war diese Entwicklung freilich noch nicht absehbar – hier stellt sich die im Zusammenhang mit Julian immer wieder im Raum stehende Frage, wie sich das römische Kaisertum unter Julian weiterentwickelt hätte, wären seine Pläne nicht durch seinen frühen Tod zum Erliegen gekommen. 650 Vgl. MEISTER 2012, 196, freilich in Bezug auf das Prinzipat, jedoch auch in Berufung auf Alföldis These der seit jeher im Prinzipat vorliegenden «gegnerische Richtungen» im Verkehr mit dem Princeps. 651 PFEILSCHIFTER 2013, 102. 162 Des Kaisers neue Kleider Vernunft und Selbstbeherrschung übt. Jedoch könne ein Philosoph niemals Kaiser sein, da er in durch deren Imitation sein eigentliches Ziel verfehlen würde. 652 Es lässt sich festhalten, dass Julian sich in seinem Habitus in vielerlei Hinsicht als regelrechtes Kontrastprogramm zu seinen Vorgängern auszeichnete. Natürlich muss davon ausgegangen werden, dass sich die zahlreichen Momente, in denen sich Julian nicht «danebenbenahm», sondern die alltäglichen Erwartungen an ein würdevolles kaiserliches Benehmen erfüllte, nicht in die Quellen niederschrieben. Doch über alle Quellen hinweg findet sich eine auffallende Häufung von Momenten der Eskalation, die vermuten lässt, dass Julian systematisch die Erwartungen seines Umfelds enttäuschte. Ein jeder Kaiser musste in der Ausarbeitung seines individuellen Herrschaftsstils sehr behutsam vorgehen und immer darauf bedacht sein, sich bei den relevanten Akzeptanzgruppen Zustimmung zu verschaffen. In der neueren Forschung wird denn auch die ältere Vorstellung eines allzu starren spätantiken Zeremoniells in Frage gestellt zugunsten einer stärkeren Betonung der situationsbezogenen Interaktionen des Herrschers mit den verschiedenen Akzeptanzgruppen, welche gewisse Freiheiten voraussetzt und den Kaiser nicht mehr nur als «Gefangener seines Palasts» erscheinen lässt. 653 Jedoch lässt sich nicht bestreiten, dass der Kaiser als Spitze der Gesellschaft und Verkörperung der Monarchie in seinen Handlungsoptionen zu einem hohen Grad eingeschränkt war, wollte er das soziale Gefüge, welches ihm seine Macht verleiht, nicht aufs Spiel setzten. Dies bedingt ein gewisses Festhalten am tradierten Zeremoniell. Richtiges kaiserliches Verhalten kam also einem Balanceakt gleich. Dass dabei manchmal Irrwege eingeschlagen wurden, war unvermeidlich. 654 Doch solange die Botschaften, die durch Aussehen und Verhalten kommuniziert wurden, in ein akzeptables Schema von kaiserlichem Auftreten passten, konnten sie Erfolg haben. Julian scheint jedoch den akzeptablen Handlungsrahmen regelmässig gesprengt zu haben. Damit riskierte er jedes Mal, ganze Akzeptanzgruppen, oder wenigstens deren wesentliche Vertreter, zu entfremden. Wenn er das tat, bekam er es etwa in Form von Kritik und Spott umgehend zu spüren. 652 Sokr. h.e. 3,1,58–59. Die Verspottung seiner Vorgänger, wie sie Julian mit seinen Caesares betrieben habe, sei hingegen weder für einen Kaiser noch für einen Philosophen angebracht. Später (Sokr. h.e. 7,23,6–8) macht Sokrates jedoch interessanterweise auf eine gelungene Vereinigung von Kaiserherrschaft und Philosophentum bei Theodosius II. aufmerksam, wobei er dessen Selbstbeherrschung explizit mit Julian vergleicht, der trotz seiner philosophischen Ambitionen seine Wut gegenüber den Antiochenern nicht im Zaun halten konnte. 653 In diesem Sinne etwa PFEILSCHIFTER 2013, 85–99, v.a. 98: Die in der Forschung gängigen Vorstellungen vom spätantiken/byzantinischen Zeremoniell der Abschottung seien übertrieben und stark von der Quellenlage wie dem sehr viel später verfassten «Zeremonienbuch» beeinflusst. Dabei seien Durchbrüche des Zeremoniells möglich und häufig gewesen. Der Kaiser sei nicht beherrscht vom Diktat eines Hofprotokolls. Einige Seiten später gesteht Pfeilschifter aber dennoch den sehr viel enger begrenzten «Devianzspielraum» des Kaisers bezüglich gewisser «kultureller Normen» ein, der sich durch die dauernde soziale Kontrolle und den spezifischen Verhaltensanforderungen seiner Kommunikationspartner ergibt (330). 654 WEBER/ZIMMERMANN 2003, 35 verweist in diesem Zusammenhang auf Kaiser Nero als Beispiel eines «unzeitgemässen Herrschaftsverständnis». Das Kaiser Julian als weiteres naheliegendes Beispiel in diesem Zusammenhang nicht erwähnt wird, überrascht. 163 Schluss Um die Zeit der Verfassung der vorliegenden Arbeit jährt sich der 1700. Geburtstag von Kaiser Julian. Bis heute übt Julian als der «letzte pagane Kaiser» eine ungebrochene Faszination aus und weckt Emotionen, die von glühender Bewunderung bis zu starker Ablehnung reichen. 655 Im Mittelpunkt des Interesses steht normalerweise das religiöse Wesen Julians; die Konfliktlinien zwischen ihm und seinen Zeitgenossen werden meistens anhand seiner Religionspolitik untersucht. Doch Julian war in vielfacher Hinsicht ein merkwürdiger Kaiser, der nicht so richtig in das gängige Kaiserzeremoniell passen wollte. Die modernen Reaktionen über sein Verhalten und äusserliches Auftreten beschränken sich meistens jedoch auf Verwunderung, wenn nicht Irritation – die oft harschen Urteile über Julians Schrift Misopogon und deren nebensächliche Behandlung in diversen Julian-Biographien legen davon ein beredtes Zeugnis ab. In dieser Arbeit habe ich den Versuch gewagt, das «Phänomen Julian» aus einer ganz neuen, nämlich körpergeschichtlichen Perspektive zu untersuchen. Für einen Kaiser, der unter anderem für seinen verhassten Bart und seinen die zeitgenössischen Meinungen spaltenden Habitus bekannt wurde, lag eine solche Perspektive meiner Meinung nach auf der (tintengeschwärzten) Hand. Die Analyse von Julians Selbstzeugnissen und den weiteren zeitgenössischen Quellen zu Julian, sowie die Kontextualisierung von Kaiser Julian innerhalb des zeitgenössischen Kaiserzeremoniells, führte mich zu folgenden Ergebnissen: Die Frage, ob Julian den kaiserlichen Habitus «sprengte» oder ausserhalb eines solchen stand, ist zu verneinen. Auch Julian ist nur innerhalb des spätantiken kaiserlichen Habitus zu verstehen, der mit dem zeitgenössischen Kaiserzeremoniell verwoben war. Julian tat an sich nichts Unvorstellbares: Er sah vermutlich nicht viel anders aus als andere, weniger kontroverse Kaiser vor und nach ihm, und er berief sich in seinem Verhalten und Auftreten auf traditionelle kaiserliche Tugenden, die zu einem gewissen Grad auch im spätantiken kaiserlichen Habitus noch ihre Gültigkeit hatten. Dennoch gab es innerhalb dieses Rahmens klare Grenzüberschreitungen, die sich nicht allein durch den Topos der Quellen erklären lässt. Julian kombinierte verschiedene inkompatible Rollen, er interpretierte kaiserliche Tugenden in seinem Sinne neu, und er setzte dabei falsche Schwerpunkte. Sein Bart allein war noch kein Problem, denn auch andere Kaiser vor und nach ihm trugen Bärte, doch Julian gab zu verstehen, dass sein Bart anders gelesen werden müsse. Er demonstrierte durch seine körperliche Hexis eine Art von civilitas in Situationen, in denen seine Vorgänger ihre Unnahbarkeit, ihre divinitas und maiestas inszenierten; währenddessen liess er dieselbe civilitas in jenen Kontexten vermis- 655 Vgl. REBENICH/WIEMER 2020. 164 Schluss sen, in denen sie von seinen Vorgängern demonstrativ zelebriert wurde: Theater, Circus und Hippodrom. Auf diese Weise erfüllte er gewisse Anforderungen an einen Kaiser und seinen Körper nicht, und in diesem Sinne kann man auch von einem «Scheitern» von Julians Körperkonzeption sprechen. Julians Habitus führte letztlich zu Konflikten mit beinahe allen relevanten Akzeptanzgruppen des Reichs. Zwar lieferte Julian selbst in seinen religiös-philosophischen Schriften eine theoretische Begründung für sein Verhalten; darin gab er auch konkrete Anleitungen, wie sein Verhalten und sein Äusseres, das sich an einer zeitgenössischen Philosophen-Ikonographie orientierte, zu lesen sei. Diese Erklärungsmodelle wurden von seinen Anhängern in Teilen rezipiert; doch sie reichten bei weitem nicht aus, um sein Auftreten für eine Mehrheit der Untergebenen akzeptabel oder wenigstens verständlich zu machen. Dies liegt einerseits daran, dass Julian mit seinen traditionalistischen religiösen Vorstellungen den religiösen Zeitgeist verfehlte; andererseits auch daran, dass seine elitären und weltfremden religiös-philosophischen Konzepte für den Grossteil der Bevölkerung nicht zugänglich oder besonders attraktiv war. Es gab erhebliche Diskrepanzen zwischen Julians Philosophie und der «echten Welt», in der er als Kaiser zu regieren hatte. Julians Anhänger versuchten, ein akzeptables Kaiserbild zu schaffen, indem sie jeweils diejenigen Aspekte Julians betonten, welche für sie verständlich oder besonders opportun waren. Doch Julian zeigte sich in seinem Verhalten oft sehr viel komplexer und schwieriger einzuordnen, als dies selbst seinen Anhängern lieb war. So ist auch in der pro-julianischen Überlieferung teilweise Verwirrung oder punktuelle Ablehnung des kaiserlichen Habitus zu fassen. Julians Gegner benutzten den kontroversen kaiserlichen Habitus gleich von Beginn an, um den unliebsamen Apostaten zusätzlich zu diskreditieren. Nach Julians Tod entbrannte zwischen christlicher und paganer Seite ein Kampf um die religiöse Deutungshoheit über das «Phänomen Julian»; der Körper des Kaisers spielte dabei ebenfalls eine Rolle, da er als Leinwand für alle möglichen Projektionen diente. Der Konflikt zwischen Kaiser und Untergebenen lässt sich letztlich nur verstehen, wenn man bedenkt, dass sich mit der zunehmenden Ausbildung des Kaiserzeremoniells in der Spätantike auch die Vorstellungen vom Herrscherkörper veränderten: In den Worten des Mediävisten Kantorovicz gesprochen, etablierte sich in Ansätzen etwas, was als «body politic» bekannt ist: Ein unpersönlicher, unsterblicher Herrscherkörper, der vom natürlichen, individuellen und physischen Körper der Person des Herrschers unabhängig die Institution der Monarchie verkörperte. Die Anzeichen dafür sind vielfältig: Die Art, wie über das Kaisertum gesprochen wurde, dass zunehmend als Amt verstanden wurde; die zunehmende Ausgestaltung des kaiserlichen Körpers mit insignia und dessen zeremonielle Inszenierung als ein besonderer Körper; schliesslich die spezifischen Ansprüche, die von den relevanten Akzeptanzgruppen des Römischen Reichs an den Herrscherkörper gestellt wurden, die jeder neue Kaiser erfüllen musste, um seine maiestas zu wahren. Insbesondere der letzte Punkt wurde Kaiser Julian zum Verhängnis: Er passte sich in vielerlei Hinsicht den Erwartungen nicht an und versuchte, Traditionen in seinem Sinne 165 Schluss neu zu interpretieren; dies hatte bei seinen Anhängern der paganen, intellektuellen Elite mässigen Erfolg, scheiterte aber bei der übrigen Bevölkerung. Indem Julian immer wieder die Diskrepanzen zwischen seinem «body natural» und dem «body politic» aufzeigte – in seinem Verhalten, aber auch in seinen Schriften – zerstörte er die illusio, die ihn zum selbstverständlichen Herrscher des Römischen Reichs machte. 656 Auf eine Psychologisierung Kaiser Julians wurde in dieser Arbeit bewusst verzichtet. Was im kaiserlichen Kopf tatsächlich vor sich ging, wenn er die Bevölkerung durch sein Auftreten verunsicherte und schockierte und mit der Kritik und dem Spott aus dem eigenen Umfeld und dem Volk konfrontiert wurde, kann nicht beantwortet werden. Doch die Verfassung eines Werkes wie dem Misopogon lässt zumindest wenig Zweifel daran, dass die Situation den Kaiser nicht einfach kalt liess. Darauf hätte er auch verzichten können. Das Julian bereits als Caesar von Beginn seiner Herrschaft an unter Spott zu leiden hatte, wissen wir dank Ammian, und es ist wahrscheinlich, dass sich der spätere Spott auf den Augustus nicht nur auf die Stadt Antiochia und die Zeit der Kalenden beschränkte. Ständig für sein Aussehen verspottet zu werden, lässt wohl auch einen Kaiser nicht immer unberührt. Es ist gut vorstellbar, dass Julian ab einem gewissen Punkt der Kragen platzte; womöglich war es die Überzeugung von seiner eigenen tugendhaften σωφροσύνη, die ihn nicht zu härteren Mitteln der Bestrafung greifen liess. Durch die Verfassung des Misopogon konnte er, in seiner eigenen Vorstellung zumindest, den Kopf hochhalten. Trotz der vielseitigen Kritik hielt er bis zum Ende an seiner Erscheinung und den damit verbundenen Idealen fest. Der Kaiser wahrte also – wenn die Formulierung gestattet ist – im wahrsten Sinne des Wortes sein Gesicht. Vielleicht ging es Julian am Ende, wenn er bei seinen öffentlichen Auftritten in Antiochia den Spott aus der Menge vernahm, nicht viel anders als dem stolzen Kaiser aus Andersens Märchen, der sich am Ende der Geschichte ebenfalls dem Spott seiner Untergebenen ausgesetzt sah: «‹Er hat ja gar nichts an!› rief zuletzt das ganze Volk. Und das kroch in den Kaiser, denn ihm schien, sie hätten recht, aber er dachte: Jetzt muss ich während der Prozession durchhalten. Und dann hielt er sich noch stolzer, und die Kammerherren gingen und trugen die Schleppe, die gar nicht da war.» 657 656 Weiterführend wäre etwa zu untersuchen, ob und wie sich eine weitere Verfestigung des «body politic» im spätantiken Kaiserzeremoniell unter den Nachfolgern Julians nachzeichnen lässt. 657 ANDERSEN o. J., 158. 166 Quellenverzeichnis Die Abkürzungen antiker Autoren und Werktitel basieren auf dem Abkürzungsverzeichnis des Neuen Paulys (DNP) bzw. des Reallexikons für Antike und Christentum (RAC). Der griechische und lateinische Text folgt grundsätzlich den gebräuchlichen Standardeditionen. Die Textgrundlage für die Schriften des Augustus Julian ist die Edition NESSELRATH, für alle anderen Schriften Julians BIDEZ/ROCHEFORT/LACOMBRADE. Die Nummerierung der Reden Julians richtet sich ebenfalls nach BIDEZ/ROCHEFORT/LACOMBRADE, bzw. nach RAC. Die Nummerierung der Panegyrici latini richtet sich nach der Edition MÜLLER-RETTIG. Die Nummerierung der Briefe richtet sich nach der jeweils zitierten Edition (WEIS für die Briefe Julians, FATOUROS/KRISCHER für Libanios. Beide Editionen bieten eine vollständige Konkordanzliste zur Nummerierung der jeweiligen Standardeditionen BIDEZ bzw. FÖRSTER). Zeitschriften werden grundsätzlich nach den Richtlinien der Année Philologique abgekürzt. Neuauflagen sind mit hochgestellten Zahlen markiert; bei Nachdrucken ist das Jahr der Erstveröffentlichung in eckigen Klammern angegeben. Quelleneditionen Amm. Marc. 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(?), Kapitolinische Museen, Rom. Abb. 7: Oratio von Konstantin d. Gr. in Rom. Ausschnitt des Nordfrieses des Konstantinsbogen, Rom. Abb. 9: Innenansicht des Bronzekopfs, Kapitolinische Museen, Rom. Abb. 10–11: Illustrationen von Gallus (oben, stehend) und Constantius II. (unten, sitzend) als Konsuln, im Chronographen von 354.