«Ein Affe im Purpur»
Eine körpergeschichtliche Betrachtung
von Kaiser Julians Herrschaft
Masterarbeit von Michael Stadler
E-Mail: michael.stadler@students.unibe.ch
Matrikel-Nr.: 13-124-458
Betreut durch Prof. Dr. Jan B. Meister
Universität Bern
Historisches Institut
Abteilung für Alte Geschichte & Rezeptionsgeschichte der Antike
2021
Inhaltsverzeichnis
Einleitung ................................................................................................................................................. 3
Thema und Fragestellung .................................................................................................................... 5
Die Quellen .......................................................................................................................................... 7
I.
Methodik und Terminologie .......................................................................................................... 12
Antike Körper .................................................................................................................................... 13
Habitus .............................................................................................................................................. 15
Interaktionsräume und Akzeptanzgruppen ...................................................................................... 23
Kaiserbilder ........................................................................................................................................ 26
II.
Julians Philosophen-Herrscherkörper ........................................................................................... 31
«Eine Doppelnatur voll Widerstreit»: Körper und Seele in Julians Neuplatonismus ........................ 32
Vor- und Gegenbilder ........................................................................................................................ 46
Zwischenfazit ..................................................................................................................................... 50
III.
Der «Barthasser» ....................................................................................................................... 51
Aufstellungskontext........................................................................................................................... 51
Moderne Urteile ................................................................................................................................ 53
Textanalyse ........................................................................................................................................ 56
Antike Reaktionen auf den Misopogon ............................................................................................. 76
Der Misopogon im Kontext der Kalenden ......................................................................................... 79
Zwischenfazit ..................................................................................................................................... 83
IV.
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis .............................................................. 85
Schriftliche Porträts: Julians Aussehen in der literarischen Tradition............................................... 85
Ein Affe und ein Ziegenbock: Spott auf Julian ................................................................................... 94
Die vielen Gesichter Julians ............................................................................................................. 106
Zwischenfazit ................................................................................................................................... 128
V.
Das spätantike Kaiserzeremoniell ............................................................................................... 129
Orientalismus-Diskurse in der Tetrarchie........................................................................................ 130
1
Unnahbare Herrscher ...................................................................................................................... 132
Der spätantike Adventus ................................................................................................................. 135
«tamquam figmentum hominis»: Der Adventus des Constantius II. in Rom .................................. 139
Kaiserliche Statuen und statueske Kaiser........................................................................................ 145
Zwischenfazit ................................................................................................................................... 150
VI.
Des Kaisers neue Kleider ......................................................................................................... 152
Die Körper des Princeps .................................................................................................................. 152
Ein bärtiger Kaiser in einem «Zeitalter der Glattrasur»? ................................................................ 158
Kontrastprogramm Julian ................................................................................................................ 160
Schluss ................................................................................................................................................. 164
Quellenverzeichnis .............................................................................................................................. 167
Quelleneditionen ............................................................................................................................. 167
Bibliographie ................................................................................................................................... 170
Abbildungsverzeichnis ..................................................................................................................... 175
2
Einleitung
«Vor vielen Jahren lebte ein Kaiser, der schöne neue Kleider so ungeheuer gern hatte, dass er
all sein Geld ausgab, um recht geputzt zu sein. Er machte sich nichts aus seinen Soldaten,
machte sich auch nichts aus dem Theater und nichts daraus, in den Wald hinauszufahren
ausser, um seine neuen Kleider zu zeigen. Er hatte ein Kleid für jede Stunde des Tages, und
ebenso wie man von einem König sagt, er sei im Rate, sagte man hier immer: ‹Der Kaiser ist
im Kleiderschrank!›» 1
So beginnt Hans Christian Andersen sein bekanntes Kunstmärchen Des Kaisers neue Kleider. Er lehrt
darin seine kleinen und grossen Leserinnen und Leser, dass hinter der Fassade, hinter dem Prunk der
schönen Kleidung des Kaisers und seinem prächtigen Zeremoniell nichts weiter steckt als ein Mensch.
Das Märchen lehrt auch, dass Äusserlichkeiten manchmal nichts weiter als soziale Konventionen sind
– ein Spiel, das alle mitspielen – und dass eine Situation ganz schnell ins Komische abgleiten kann,
wenn jemand die Illusion dieses Spiels offenbart.
Der Kennerin und dem Kenner des römischen Kaisertums werden gewisse Assoziationen mit dem
prunkvoll ausgestalteten Kaiserzeremoniell des späten 3. und 4. Jahrhunderts n. Chr. nicht allzu fern
sein. In dieser Zeit, die aus den Wirren der Soldatenkaiserzeit hervorging, erreichte die Ausgestaltung
der kaiserlichen Repräsentation in vielerlei Sicht neue Höhepunkte. Die Idee, dass hinter dem erhabenen, ja gottgleichen Auftreten mancher spätantiken Kaiser, hinter den vielen Schichten von Prunk, Performanz und Entourage, irgendwo ein (allzu) menschlicher Körper steckte, war jedoch manchen zeitgenössischen Autoren nicht fremd.
Als Kaiser Constantius II. am 28. April 357 in Rom einzog, war das – wie immer bei einem kaiserlichen
Einzug – ein aussergewöhnliches Ereignis. Der spätantike Geschichtsschreiber Ammianus Marcellinus
(im Folgenden Ammian) hielt das Spektakel in eindrücklicher Weise für die Nachwelt fest. 2 Er beschreibt den Kaiser als vollkommen unbewegt, «wie ein menschliches Standbild»; er drehte sich nicht,
spuckte nicht, rieb sich weder die Nase, noch bewegte er auch nur eine Hand. Auch an anderen Stellen
in seinem Geschichtswerk verweist Ammian auf das unnatürlich anmutende, statueske Auftreten des
Kaisers, der in der Öffentlichkeit niemals schnäuzte, auf den Boden spuckte oder auch nur das Gesicht
hin- oder her wandte. 3 Das der Herrscher des Römischen Reichs nicht einfach vor seinen Bewunderern
auf den Boden spuckte, mag auf den ersten Blick nicht weiter verwundern. Dennoch bedarf die Art und
Weise, wie Constantius seinen Körper in der Öffentlichkeit inszenierte, einer Erklärung: Starr, unbe-
1
ANDERSEN o. J. (Gesammelte Märchen), 151.
Amm. 16,10,9–11.
3
Amm. 21,16,7.
2
3
Einleitung
weglich, mit teilnahmslosem Blick in die Ferne – nicht mehr weit entfernt von den tatsächlich steinernen oder bronzenen Porträts des Kaisers. 4 Es scheint fast so, als würde der Kaiser versuchen, seine
eigenen Bildnisse nachzuahmen, anstatt umgekehrt. Freilich wusste der Historiker Ammian diesen statuesken Körper des Kaisers zu lesen, indem er ihn als Ausdruck eines erhabenen kaiserlichen Gleichmuts interpretierte.
Zur gleichen Zeit erntete ein junger Caesar, der letzte überlebende Verwandte des Constantius, der für
ihn grosse Erfolge im Kampf gegen Barbareneinfälle in Gallien erzielte, für sein Aussehen nur Spott.
Ammian überliefert uns die boshafte Polemik am Hofe des Constantius: Als Ziegenbock statt Mensch,
als struppiger Maulwurf und als Affen im Purpur wurde er von seinen Feinden am Hof bezeichnet. 5
Sein Name war Flavius Claudius Iulianus. Nur fünf Jahre später ist eben dieser junge Mann der neue
Alleinherrscher des Römischen Reichs. Doch dieser erwies sich schnell als bemerkenswert andersartig
als seine Vorgänger: Kaiser Julian war ein bewegter Herrscher, unruhig in seinen Bewegungen; er hielt
öffentliche Reden, setzte sich unter die Senatoren, ging zu Fuss durch die Strassen, küsste und umarmte seine Freunde in aller Öffentlichkeit. Für die Bewohner des Römischen Reichs, insbesondere der
Städte Konstantinopel und Antiochia, die eben noch mit dem unbeweglichen, unnahbaren, entrückten
Kaiser Constantius zu tun hatten, war dieser Kaiser ein starkes Kontrastprogramm zu der Zeit davor.
Julian wollte kein «Kaiser im Kleiderschrank» sein, sondern ein «Kaiser im Rate».
Doch Julians Verhalten im Senat von Konstantinopel, sein Auftritt in der curia und den Strassen Antiochias, ja nur schon sein äusseres Erscheinungsbild stiessen auf starke Ablehnung bei seinen Untergebenen. Man erachtete sein Aussehen und Verhalten als eines Herrschers nicht würdig. Gerade die Bevölkerung Antiochias hatte ihre liebe Mühe mit dem neuen Kaiser. Nicht nur sein Verhalten, sondern
auch das äussere Erscheinungsbild Julians entsprachen nicht dem althergebrachten kaiserlichen Habitus. Ein langer Bart, lange Haare und tintengeschwärzte Finger kontrastierten in jeglicher Hinsicht mit
seinen glattrasierten Vorgängern. So erntete der junge Kaiser, statt Lob für seine tugendhafte, asketische Haltung, für seine als unkultiviert wahrgenommene Lebensweise vor allem Verachtung. Gemeine
Spottverse wurden über den «elenden Bart und seinen Träger» verfasst; diese trieben den Kaiser
schliesslich so weit, ein Werk mit dem Titel «Der Barthasser» zu verfassen und zu veröffentlichten.
Darin entschuldigt sich der Kaiser auf ironische Art und Weise für sein groteskes Auftreten, und fängt
dabei gleich bei seinem Gesicht an: Er könne verstehen, dass sein läuseverseuchtes Dickicht von Bart
nicht gut ankomme; es hindere ihn ja sogar beim Essen und Küssen, und verschlimmere sein ohnehin
schon nicht besonders schönes Gesicht. 6
4
Siehe Abb. 8.
Amm. 17,11,1.
6
Iul. or. 12 (mis.), 338 B–C.
5
4
Einleitung
Der «Barthasser», den Julian wohl zähneknirschend kurz vor seiner Abreise aus der ihm so wenig geneigten Stadt verfasst hatte, ist nicht nur eines der überaus seltenen Selbstzeugnisse eines römischen
Kaisers, sondern auch eine der wohl ungewöhnlichsten Schriften des Altertums überhaupt. Auf eine
nie dagewesene Weise verspottet sich der Weltherrscher darin selbst. Kein Kaiser, weder vor noch
nach Julian, produzierte je ein vergleichbares Selbstzeugnis. Dies sollte aber der letzte grössere Skandal
Julians bleiben, denn der Kaiser kehrte aus seinem Perserfeldzug nie mehr zurück. So bliebt Julian der
Nachwelt schliesslich als bärtiger und bewegter Kaiser in Erinnerung, der nicht richtig in das zeitgenössische Bild eines Monarchen passen wollte. Die Bevölkerung des Römischen Reichs war an ein anderes
kaiserliches Auftreten, an einen anderen Herrscherkörper gewöhnt.
Thema und Fragestellung
Der Körper des Monarchen ist ein besonderer Körper, denn er verkörpert auch die Monarchie als Institution. Dies hat bereits Ernst Kantorowicz in seiner Studie «The King’s Two Bodies» eindrücklich dargelegt. 7 Ein Spezifikum monarchischer Körper ist es, dass sie nicht allein auftreten, sondern in ein spezielles Zeremoniell eingebettet sind, welches die Sichtbarkeit des Herrschers, seine Entourage und im
Normalfall eine gewisse Menge an Pomp und Luxus umschliesst. Doch bei genauer Betrachtung zeigen
sich in unterschiedlichen Epochen und kulturellen Kontexten substanzielle Unterschiede im Verständnis dessen, was den Körper eines Herrschers oder einer Herrscherin ausmacht. Diese Vorstellungen
verweisen auf unterschiedliche Konzeptionen von Herrschaft oder der Monarchie als Institution.
Die vorliegende Arbeit reiht sich in das Forschungsfeld der antiken Körpergeschichte, speziell antiker
Herrscherkörper, ein. Unterdessen liegen auch für die römische Antike einige wenige Studien vor, die
sich mit dem Körper des Princeps auseinandersetzen. Doch insbesondere für spätantike Herrscher sind
körperhistorische Untersuchungen bisher grösstenteils ausgeblieben. Das frühe Prinzipat zeichnete
sich unter anderem dadurch aus, dass man nicht auf eine lange monarchische Tradition zurückblicken
konnte und somit Möglichkeiten für neue Traditionsbildungen bestanden; hingegen konnte die spätantike römische Monarchie bereits auf eine solche zurückgreifen. Freilich war die Institutionalisierung
der Kaiserherrschaft auch in der Spätantike noch nicht abgeschlossen. Raum für Experimente war immer noch gegeben.
Obwohl die aussergewöhnliche Persönlichkeit Julians, des «letzten paganen Kaisers», bereits in unzähligen Monographien, Sammelbänden und Aufsätzen in beinahe allen Facetten untersucht worden ist
und sich auch weiterhin grosser Beliebtheit unter Althistorikern erfreut, wurde der Ansatz, die spezifische Bedeutung des Herrscherkörpers zu untersuchen, noch nie in Bezug auf Kaiser Julian umgesetzt.
Dieser Befund ist überraschend, denn eine körpergeschichtliche Herangehensweise an einen in seinem
7
KANTOROWICZ 2016 (The King's Two Bodies [1957]).
5
Einleitung
Äusseren und Verhalten so auffälligen Herrschers scheint naheliegend. Dass die wohl berüchtigtste
Schrift Julians selbst als «Barthasser» betitelt ist, spricht für sich selbst. Doch gerade die Beschäftigung
mit dieser Schrift kam in der Vergangenheit nur selten über die Erstellung eines Psychogramms des
Autors, eine Untersuchung als Propagandaschrift oder eine Analyse der literarischen Form hinaus. Julians Bart wurde als kuriose Ausprägung seiner religiösen Gesinnung meistens eher am Rande oder
allenfalls in ikonographischen Studien behandelt, die sich zuweilen auf nicht sicher zu identifizierenden
Porträtstatuen stützen.
Diese Lücke in der althistorischen und körpergeschichtlichen Forschung möchte ich mit der vorliegenden Arbeit füllen. Dabei interessiert mich, was für einen Bezug Julian als Herrscher zu seinem Körper
hatte und wie er mit ihm umging, wie dieser Körper von seinen Untergebenen wahrgenommen wurde,
und schliesslich, wie sich die Konflikte in einem grösseren Kontext erklären lassen. Konkret werde ich
mich in der vorliegenden Arbeit an folgenden drei Leitfragen orientieren: (1) Lässt sich in Julians umfangreichem Gesamtwerk eine theoretische Körperkonzeption fassen? Falls ja: Wie sieht diese aus und
wie passt sie in Julians persönliches Weltbild? (2) Wie ging Julian in der Praxis mit seinem Körper um,
und welche Reaktionen rief dies in seinem Umfeld, bei seinen Untergebenen und bei seinen Gegnern
hervor? (3) Wie reiht sich Julians körperlicher Habitus in den Kontext des spätantiken Kaiserzeremoniells ein – und kann man möglicherweise von einem Scheitern von Julians Herrscherkörper-Konzeption
sprechen?
Diesen Leitfragen entspricht grob auch die Struktur der vorliegenden Arbeit: Den Beginn macht ein
Kapitel, in welchem die gewählte methodische Herangehensweise und die relevante Terminologie geklärt wird. Insbesondere wird darin die Logik der «Herrscherkörper» sowie Pierre Bourdieus’ HabitusTheorie ausgelegt, welche den theoretischen Hintergrund dieser Arbeit bilden. Im zweiten Kapitel beginnt die Quellenarbeit, wobei zuerst anhand der religiös-philosophischen Abhandlungen Julians sein
ideales Herrscherbild und seine daraus abgeleitete Körperkonzeption herausdestilliert und in seinem
(bzw. dem zeitgenössischen neuplatonischen) Weltbild verortet werden soll. Denn, obwohl Julians religiöse Vorstellungen und seine Religionspolitik explizit nicht im Fokus dieser Arbeit sind, kommt eine
Herausarbeitung von Julians Herrscher(körper)-Konzeption natürlich nicht um eine Beschäftigung mit
seiner persönlichen Interpretation des Neuplatonismus herum. Julians berühmter Satire, dem
«Barthasser» oder Misopogon, wird anschliessend ein eigenes Kapitel gewidmet, da diese Schrift für
eine körpergeschichtliche Analyse des Kaisers zentral ist. Der Misopogon bildet die Schnittstelle zwischen Julians Selbstverständnis und den Erwartungen einer städtischen Bevölkerung an ihren Kaiser
und fungiert daher, nach der Lektüre seiner philosophischen Texte, als «Reality-Check». Er wird deshalb einer eingehenden Textanalyse unterzogen. Im nächsten Teil folgt ein Sprung von der theoretischen auf eine praktische Ebene, indem andere zeitgenössische Quellen hinzugezogen und auf Hin-
6
Einleitung
weise untersucht werden, die auf Julians tatsächliches öffentliches Auftreten schliessen lassen, insbesondere auf die Art und Weise, wie dieses Auftreten von seinen Zeitgenossen gelesen wurde. Dabei
wird einerseits die Thematik des Spotts zentral sein, andererseits werden die verschiedenen «Kaiserbilder», die sich in den Quellen manifestierten, untersucht. Im fünften Kapitel wird der thematische
Rahmen ausgeweitet und der Kontext des spätantiken Kaiserzeremoniells beleuchtet, mit dem Ziel, die
spezifischen Erwartungen der Bevölkerung an das Auftreten und Aussehen des Kaisers herauszuarbeiten und in ihrer Bedeutung und Wichtigkeit für die Herrschaftsakzeptanz zu verstehen. Im finalen Kapitel schliesslich richtet sich der Blick wieder auf Julian und darauf, wie er innerhalb des zeitgenössischen Kaiserzeremoniells zu verorten ist. Die Frage lautet dann, inwiefern Julian in der gegebenen,
aber eingeschränkten Bewegungsfreiheit des kaiserlichen Zeremoniells agierte, welche Grenzüberschreitungen es gab und inwiefern Julians Herrscherkörper die Erwartungshaltung seiner Zeitgenossen
erfüllte – oder eben nicht.
Die Quellen
Die jeweiligen Quellen werden an passender Stelle in Detail besprochen. Dennoch soll vorerst ein kurzer Überblick über das für diese Arbeit in Betracht gezogene Quellenmaterial gegeben werden. Die
Quellenlage zu Kaiser Julian ist durch ihre zum Teil stark ideologische Färbung nicht unproblematisch.
Dem Geschichtsschreiber Ammian als eine der Hauptquellen zu Julian wird in der Forschung zuweilen
noch ein sehr objektiver Stil attestiert. Doch allgemein können auch historiographische Werke ebenso
stark ideologisch gefärbt sein wie andere Quellen. Auch bei Geschichtsschreibern zeigen sich üblicherweise klare Sympathien und Abneigungen für den einen oder anderen Herrscher, auch wenn diese im
Normalfall weniger explizit formuliert werden. Die weiteren Quellen stellen grösstenteils entweder
Panegyriken oder intellektuelle und religiöse Invektiven dar, bei denen die Dispositionen des Autors
bereits durch die Gattung vorgegeben sind. Diese Tendenzen dringen auch und zuweilen besonders
bei denjenigen Quellenstellen durch, die sich mit dem Körper des Herrschers auseinandersetzen. Aufgrund der gattungsbedingten Topoi ist also sicherlich ein kritisches Lesen von Invektiven und Panegyriken nötig. Doch auch ideologisch gefärbte und tendenziöse Quellen können wertvolle Hinweise liefern – vielleicht weniger über den Kaiser selbst, dafür über das spezifische Kaiserbild, das in den jeweiligen Kreisen vorherrschte: Beispielsweise lassen sich aus der Panegyrik Hinweise auf die Art und Weise
erschliessen, wie der Kaiser wahrgenommen wurde, indem untersucht wird, welche Aspekte des kaiserlichen Habitus besonders hervorgehoben und in welchen Kategorien kaiserliche Auftritte bewertet
wurden. In diesem Sinne kann Panegyrik als ein Modus der Wahrnehmung gesehen werden, der viel
7
Einleitung
über zeitgenössische Erwartungen verraten kann, die an den Herrscher herangetragen wurden. 8 Dennoch ist ein unkritischer Vergleich zwischen toposübergreifenden Personenbeschreibungen etwa in
einem Panegyrikus und in einem Geschichtswerk, oder gar ein unreflektierter Vergleich einer schriftlichen Beschreibung mit einem rundplastischen oder numismatischen Porträt, unzulässig. Dies gilt insbesondere, wenn durch den Vergleich der «Realismus» eines Porträts überprüft werden soll, wie dies
in der älteren Forschung und zuweilen auch in neueren, archäologischen Publikationen geschieht. 9
Die Besonderheit der Quellenlage für Julian ergibt sich durch die ungewöhnliche Tatsache, dass es sich
bei Julian um einen Kaiser handelt, der Selbstzeugnisse in relativ grosser Zahl produzierte, die auch
grösstenteils erhalten geblieben sind. Julians Zeugnisse lassen sich in verschiedene Kategorien ordnen:
Neben der grossen Zahl an Briefen verfasste Julian bereits als Caesar Panegyriken, später als Augustus
religiös-philosophische Abhandlungen, die sich in der Form von Götter-Hymnen oder von Invektiven
gegen unliebsame zeitgenössische Philosophen oder ganze religiöse Gruppen, insbesondere natürlich
das Christentum, äussern können. Einige Briefe Julians haben auch eher den Charakter eines Rundschreibens oder richten sich an ganze Städte oder Organisationen statt Einzelpersonen. Schliesslich
verfasste der Kaiser auch Satiren, die sich aufgrund ihres Inhalts und ihrer Form von den anderen Werken des Kaisers noch einmal absetzen. Im Rahmen dieser Arbeit stehen in erster Linie die beiden Götter-Mythen Hymne an König Helios und Hymne an die Göttermutter und die beiden Invektiven Gegen
Herakleios und Gegen die ungebildeten Hunde, sowie die Satiren Symposion und ganz besonders der
Misopogon im Zentrum. Julians Panegyriken, Briefe und weitere Rundschreiben werden bei Bedarf
hinzugezogen.
Zu den zeitgenössischen Quellen zu Julian lässt sich feststellen, dass sich beinahe alle an mindestens
einem Punkt mit dem Aussehen und den Gebärden des Kaisers befassen. Für die pagane Tradition ist
wohl an erster Stelle das epochale Geschichtswerk Ammians zu nennen. Obwohl die ersten 14 Bücher
dieses Werkes nicht erhalten ist, sind die Bücher, die Julian betreffen, vollständig überliefert. In diesen
nimmt Julian eine zentrale Rolle ein; tatsächlich sind 9 von den 18 überlieferten Büchern auch dem
Kaiser gewidmet. Die Reden und Briefe des berühmten antiochenischen Intellektuellen und Rhetors
Libanios bilden einen weiteren, massiven Korpus von Texten, die sich mit Libanios’ persönlichem Helden Julian befassen, worunter auch persönliche Korrespondenzen mit dem Kaiser zu finden sind. Neben diesen beiden Werken werden weitere pagane Autoren hinzugezogen, darunter der Panegyrikus
8
In diesem Sinne bereits MACCORMACK 1981 (Art and ceremony in late antiquity), 26: «We are not dealing so
much with flattery and eulogy – although this is also the case – as with a trained method of perception.»
9
Dieses Vorgehen zeigte sich bereits bei DELBRUECK 1978 (Spätantike Kaiserporträts [1933]), indem er systematisch die «trockenen, aber anscheinend genauen Signalements» bei den byzantinischen Chronisten Johannes
Malalas und Kedrenos Georgios zum Vergleich mit archäologischen Kaiserporträts heranzieht, aber auch neuere
Forschung ist von diesem Vorgehen nicht gefeit: So scheint es nach wie vor einen Trend zu geben, Julians Münzbilder undifferenziert zu Vergleichen mit seinen angeblichen Rundplastiken heranzuziehen; siehe dazu generell
FLECK 2008 (Die Portraits Julianus Apostatas), 57.
8
Einleitung
des Konsuls Claudius Mamertinus, die Historia Augusta und schliesslich auch die teilweise nur fragmentarisch erhaltene Viten, Historien und Brevaria von Eunapios, Aurelius Victor, Eutropius und andere; das chronologische Schlusslicht dieser Gruppe bildet Zosimos. Auf Seiten der christlichen Autoren sind vor allem die zeitgenössischen Invektiven gegen Julian zu nennen, allen voran die «Kampfreden» von Gregor von Nazianz, dazu auch die Lieder des Ephraem des Syrers. Zentral für die christliche
Tradition Julians sind ebenfalls christliche Historiographien und Kirchengeschichten, insbesondere diejenigen des Sokrates (Scholatikos) und Sozomenos, dazu noch Theodoret und Philostorg. Zuweilen
werden auch nicht-zeitgenössische Quellen, etwa byzantinische Chroniken des 6. (Malalas) und des 12.
Jahrhunderts (Zonaras) hinzugezogen. Diese werden aber in erster Linie zum Vergleich oder zur Überprüfung unterschiedlicher Julian-Traditionen genutzt.
Neben den literarischen stellen die materiellen Quellen zu Julian einen eigenen Problemkreis dar.
Grundsätzlich sollten alle verfügbaren Quellen der kaiserlichen Repräsentation miteinbezogen werden,
d.h. auch Rundplastiken, Reliefs, Münzbilder etc. Es versteht sich von selbst, dass für eine körpergeschichtlich ausgelegte Arbeit die Miteinbeziehung materieller Porträts besonders relevant ist. Problematisch wird es aber, wenn der Grossteil der Porträtstatuten nicht mit Sicherheit identifizierbar ist.
Tatsächlich sind die rundplastischen Bildnisse Julians in ihrer Identifikation fast durchgehend umstritten. In älteren Publikationen werden viele Bildnisse noch ohne Vorbehalte mit Julian identifiziert, doch
die Forschung ist diesbezüglich vorsichtiger geworden. Die Unvereinbarkeit der meisten von Julians
angeblichen Bildnissen mit seinen Münzporträts ist bereits früh aufgefallen. In der älteren Forschung
wurde dies jedoch zumeist mit einem angeblichen Zerfall der Bildhauerkunst in der Spätantike erklärt. 10 Unterdessen sind jedoch bereits einige früher einhellig mit Julian identifizierten Bildnisse als
Fehlzuschreibungen identifiziert worden, so etwa die bekannten Pariser Statuen. Neuere Publikationen zu Julians Ikonographie stellen unterdessen den Grossteil des Korpus an angeblichen Julian-Porträts in Frage. 11 Dies ist für die vorliegende Arbeit problematisch; die Gefahr, dass ein bestimmtes
Porträtbild fälschlicherweise mit Julian identifiziert worden ist, und auf dieser falschen Identifikation
darauf eine arbeitsrelevante These aufgebaut wird, ist gross (auch wenn die Nichtigkeit der Identifikation vielleicht nie erkannt oder bewiesen werden könnte). Aufgrund dessen wird in dieser Arbeit ein
konservativer Ansatz verfolgt, indem nur solche Porträts hinzugezogen werden, die mit absoluter Sicherheit identifiziert werden können. Ich folge dabei der Arbeit von Thorsten Fleck, der eine vollständige Zusammenstellung und eingehende, kritische Überprüfung aller angeblicher Julian-Porträts der
10
11
ALFÖLDI 1978 (Einige Porträts des Kaisers Julian Apostata (1962)), 298 bzw. 299.
So etwa FLECK 2008.
9
Einleitung
Antike unter Einbezug der jeweiligen Forschungsdiskussion vorgelegt hat. 12 Das Resultat fällt dabei relativ ernüchternd aus: Abgesehen von den Münzen, einigen wenigen Gemmen und einem sasanidischen Felsrelief lassen sich keine Bildnisse zweifellos mit Julian identifizieren. 13 Mit der Unsicherheit
der Identifikation eines Grossteils von Julians plastischen Kaiserbildern begründe ich den überwiegenden Fokus dieser Arbeit auf Schriftquellen. Schriftliche Porträts können zweifellos Julian zugeordnet
werden – auch wenn die Beschreibungen darin zuweilen genauso unzuverlässig und uneinheitlich sein
mögen wie die variantenreichen, angeblichen Julian-Statuen. Während aber für Julian kaum verwertbare plastische Porträts zur Verfügung stehen, sieht dies in Bezug auf seine Vorgänger anders aus: Im
Zusammenhang mit der Rekonstruktion des spätantiken kaiserlichen Habitus werden konstantinische
Porträtstatuen eine zentrale Rolle spielen.
Damit bleiben noch die Münzbilder Julians. Diese weichen jedoch in ihrer Ikonographie zumindest des
Kaiserporträts kaum von gängigen Mustern ab; Münzbilder, die Julian als Caesar darstellen sind zuweilen nicht von den Darstellungen etwa seines Bruders Gallus oder seiner Vorgänger im Caesaren-Amt
zu unterscheiden. Auf den späteren Münzen Julians ist natürlich die Darstellung des Bartes von besonderem Interesse; anhand der zunehmend länger werdenden Gesichtsbehaarung kann etwa eine
«Chronologie des Bartes» erstellt werden. 14 Julians Münzporträts werden auch in den Schriftquellen
nicht thematisiert. Spott auf Julians Münzen lässt sich zwar in mehreren Quellen fassen; jedoch handelt
es sich dabei immer um das revers der Münzen. Quellen, die sich über Julians äussere Erscheinung
mokieren, vergehen sich bemerkenswerterweise nie an seinen Münzbildern. Dies könnte damit zusammenhängen, dass Julian letztlich in seinen Münzbildern an den klassischen Repräsentationsschemata festhält, wie zumindest die frühen Münzen nahelegen. Insgesamt lässt sich in Bezug auf die
Münzbilder festhalten, dass der Einheitlichkeit der Ikonographie eine Heterogenität in den Details der
physiognomischen Darstellung Julians entgegensteht. Selbst die Gestaltung des Bartes als einzige persönliche Note auf Julians Münzbildern zeigt sich in erheblichen Variationen. Obwohl dies bekannt ist,
ist festzustellen, dass sich in der Forschung die häufige Vorgehensweise etabliert hat, sich genau jene
Prägungen herauszusuchen, die dem zu untersuchenden (materiellen oder literarischen) Porträt am
nächsten kommt. 15 Dies kann freilich nicht das Ziel einer körpergeschichtlichen Arbeit sein. Während
Julians Münzbilder aufgrund ihrer Heterogenität auch für die Porträtforschung eher von geringem
12
FLECK 2008. Die handliche Monografie ist die vollständigste Sammlung aller (antiken) Objekte, die in der Forschung als Bildnis Julians identifiziert werden oder worden sind.
13
Ibid., 17.
14
GILLIARD 1964 (Notes on the Coinage of Julian the Apostate), 136.
15
Vgl. die Beispiele bei FLECK 2008, 57; als «geradezu als absurd zu bezeichnen» sei denn auch die zuweilen anzutreffende Methode, auf verschiedene Münzbilder zurückzugreifen, um sich der jeweiligen physiognomischen
Charakteristika von Augen-, Nasen- und Mundbildungen «wie Mosaiksteinchen» zu bedienen und sich so nach
Belieben ein passendes Münzporträt Julians für Vergleiche zusammenzustellen.
10
Einleitung
Wert sind, 16 handelt es sich dabei im Gegensatz zu den rundplastischen Porträts um klar identifizierbare Kaiserbilder. Sie werden deshalb zuweilen als Vergleichsmaterial miteinbezogen. Jedoch würde
es den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen, im Detail auf Julians numismatischen Befund einzugehen.
16
So zumindest FLECK 2008, 16.
11
I. Methodik und Terminologie
Um in der vorliegenden Untersuchung möglichst präzise arbeiten zu können, müssen vorerst einige
zentrale Begriffe geklärt werden. Was das Spezifische an Herrscherkörpern ausmacht, ist dabei noch
schneller erklärt als die Frage, was denn ein Körper eigentlich ist, was alles dazugehört und was nicht,
schliesslich inwiefern Körper – darunter Herrscherkörper – überhaupt historisch zu fassen sind.
Die Frage, was ein Körper ist, ist eine vermeintlich einfach zu beantwortende Frage, welche sich bei
genauerer Betrachtung jedoch als ausserordentlich komplex erweist. Der Körper begegnet uns gewissermassen als Paradox: Obwohl jeder zu wissen glaubt, was damit gemeint ist, vermag doch niemand
eine Definition zu geben, die über jeden Zweifel erhaben ist. Den zuweilen ambivalenten Bezug, den
wir auch heute noch zu unserem Körper haben, zeigt sich in unscheinbaren Formulierungen: Wir haben
einen Körper. Doch inwiefern wir einen Körper haben oder ein Körper sind, ist eine philosophische
Frage, die das Problem der Trennung vom Subjekt und Körper in sich trägt. Damit erschwert sie bereits
eine körpergeschichtliche Arbeit. Eine pragmatische Herangehensweise ist die, sich auf den phänomenologischen Aspekt des physischen Körpers zu beschränken, indem man den Körper als «anthropomorphe Masse» bezeichnet, die mit der Haut als äusserste Grenze endet. Eine solche Definition trägt
jedoch der Tatsache keine Rechnung, dass der Körper nicht nur in seiner Masse, sondern auch in seiner
Bewegung und in seiner Ausschmückung wahrgenommen wird. Körper üben durch Haltung, Bewegung,
Mimik, Stimme und Geruch eine Wirkung auf den Betrachter aus. Auch durch Bekleidung und «Dekoration» des Körpers etwa in Form von Schmuck, Bemalung oder Parfüm kann das Körperbewusstsein
über die Haut als Grenze hinausgehen. Lukas Thommen bemerkt einleitend in seinem Handbuch Antike
Körpergeschichte, dass «das Bedeutungsfeld des Körpers mit all seinen biologischen und sozialen Implikationen beinahe unermesslich ist», 17 Maren Lorenz spricht von den «schier unendlichen Assoziationsketten» des Körpers. 18 Besonders innerhalb der Humanwissenschaften stösst man seit den 80erJahren des 20. Jahrhunderts auf hitzige, zuweilen durch postmoderne Ideen angeregte Debatten. Die
Problematik wird auch mit der Zeit nicht weniger komplex – im Gegenteil: Neue Möglichkeiten in den
Bereichen Medizin, Genetik, Bioengineering, aber auch im Bereich der Computertechnologie, der Entkörperung des eigenen Ichs in virtuellen Welten, schliesslich auch der Intelligenz- und Bewusstseinsforschung, stellen fortlaufend alte Tatsachen und Überzeugungen hinsichtlich des Körpers und der Körperlichkeit in Frage. Dies macht ebenfalls die Problematik des Körpers als historisches Forschungsobjekt aus.
17
18
THOMMEN 2007 (Antike Körpergeschichte), 14.
LORENZ 2000 (Leibhaftige Vergangenheit), 32.
12
Methodik und Terminologie
Antike Körper
In ihrem Aufsatz Warum das ganze Theater mit dem Körper? von 1996 bemerkt die Mediävistin Caroline Bynum gleich zu Beginn: «In gewissem Sinn ist es natürlich falsch, ‹den Körper› zum Thema zu
machen. ‹Der Körper› ist entweder überhaupt kein eigenes Thema, oder er umfasst so gut wie alle
Themen.» 19 In der Geschichtswissenschaft stellt sich seit längerem ganz grundsätzlich die Frage, ob
und inwiefern der Körper überhaupt historisches Objekt sein kann. Auf theoretischer Ebene scheint
der Körper zwischen zwei Extrempositionen zu oszillieren: Einerseits kann man den Körper als historische Invariante betrachten, «als biologische Grundlage menschlicher Existenz» – in dem Fall hat der
Körper als solcher keine Geschichte. Oder man geht davon aus, dass die Wahrnehmung des Körpers
rein diskursiv vermittelt ist, da sich die Kategorien, in denen er gedacht wird, laufend ändern. Der Körper hätte damit sehr wohl eine Geschichte. Wie Jan Meister jedoch bemerkt, führt diese Annahme
ebenfalls zu einem gravierenden Problem: Folge man dieser Prämisse einer rein diskursiv vermittelten
Wahrnehmung und Formung des Körpers, «so wird es de facto unmöglich zu definieren, was der Körper eigentlich ist – der Körper wird zu einem reinen Diskurs, der völlig losgelöst von jeglicher materiellen Essenz funktionieren kann».
20
Maren Lorenz legt den Fokus ihrer Einführung in die Körperge-
schichte denn auch auf diesen Gegensatz zwischen «Essentialismus» und «sozialem Konstruktivismus»;
sie beschreibt diese beiden Positionen aber nicht als einheitliche Lager, sondern als idealtypische Pole
auf einem ganzen Spektrum von Körperkonzeptionen. Der Gegensatz der unterschiedlichen Ansätze
entspreche auch dem «epistemologischen science war um Moderne versus Postmoderne» oder sogar
der alten philosophischen Debatte um «Natur» und «Kultur», womit immer auch spezifische Vorstellungen über Geschlecht und Geschlechter-Rollen verbunden seien. Lorenz selbst kritisiert beide Konzepte, die auch unter der Begrifflichkeit «Realismus» versus «Nominalismus» auftreten, als Extrempositionen. Pathologisierung der Abweichungen von der Norm und normative Rigidität einerseits, die
Postulierung von «anything goes» und das Verschwinden aller Realität und Materialität anderseits
seien die Risiken dieser Polarisierung und erklärten die ungewöhnliche Emotionalität der Debatte. 21
Solche Klippen gilt es zu umschiffen, doch glücklicherweise finden sich diese Extrempositionen in der
modernen Körpergeschichte äusserst selten. Körpergeschichte (body history) an sich ist eine noch relativ junge Disziplin, die sich in den 1980er-Jahren als breit angelegtes Forschungsfeld entfaltete. 22 Sie
wird häufig mit dem Aufkommen der «Neuen Kulturgeschichte» (new cultural history) assoziiert, welche im Zuge des sogenannten «cultural turn» im deutschen Sprachraum in den 1980ern und 90ern
19
BYNUM 1996 (Warum das ganze Theater mit dem Körper?), 1. Im Folgenden beleuchtet sie die Diversität des
Begriffs in verschiedenen human- und naturwissenschaftlichen Disziplinen bis in die 1990er-Jahre.
20
Die Formulierungen stammen von MEISTER 2012 (Der Körper des Princeps), 13 f., der sich freilich von beiden
Extrempositionen distanziert.
21
LORENZ 2000, 22f.; 31.
22
THOMMEN 2007, 10.
13
Methodik und Terminologie
entstand, in Opposition zur bisher dominanten Sozialgeschichte. 23 Dabei setzte nun auch in Deutschland ein, was im englischen Sprachraum bereits eingetreten war: Ein wachsendes Interesse an den
Methoden und Theorien der Kulturanthropologie. Dazu kam ein Trend zu vermehrter Beschäftigung
mit feministischen bzw. Gender-Debatten. Die verschiedenen Strömungen werden zuweilen unter
dem Terminus «Neue Kulturgeschichte» zusammengefasst, zuweilen wird die Kulturgeschichte aber
auch als Subdisziplin neben anderen verstanden; inwiefern sich die «Neue Kulturgeschichte» von der
«historischen Anthropologie» oder sogar von «Körpergeschichte» unterscheidet, ist nicht immer
klar. 24
In letzter Zeit geriet die Thematik des Körpers in der Alten Geschichte zunehmend in den Fokus – das
Feld bleibt aber insgesamt nach wie vor relativ klein. 25
Einen handbuchartigen Überblick zu antiker Körpergeschichte auf Deutsch bietet Lukas Thommen, der
sich auf knappen 140 Seiten unter Auslassung einiger wichtiger Themenfelder der Körpergeschichte
mit Körperlichkeit in der griechischen und römischen Antike beschäftigt. 26 Vorzugsweise wird die Thematik antiker Körper jedoch Sammelbänden abgehandelt, deren Format sich für die ungewöhnlich
breite Themenvielfalt historischen Körpern anbietet. 27 Nur wenige Monographien beschäftigen sich
mit den Körpern der römischen Aristokratie – zu nennen wären hier die historisch-anthropologische
Studie von Dirk Barghop 28, die Arbeit von Anthony Corbeill 29 und in neuerer Zeit vor allem die Arbeiten
von Jan Meister; von ihm stammt auch die bisher einzige Abhandlung über die spezielle Problematik
des Herrscherkörpers im Prinzipat. 30 Die Aufnahme seines Artikels zu antiker Selbstsorge im RAC 31 sowie der (neu auch in deutscher Übersetzung vorliegende) vierte Band von Michel Foucaults «Sexualität
und Wahrheit» 32 dürfen ebenfalls zu den neuesten Meilensteinen der antiken Körpergeschichte gerechnet werden. Davon abgesehen bietet gerade die Spätantike – trotz vielversprechender Aspekte
wie der Christianisierung des Reichs und einem stark ausgebauten Herrscherzeremoniell – einen Themenbereich, der in körpergeschichtlicher Perspektive noch kaum bearbeitet wurde. Peter Browns
bahnbrechende Studie zur sexuellen Entsagung im frühen Christentum bildet hier eine prominente
23
MEISTER 2014 (Cultural History and Body History in German Ancient History), 118.
Ibid., 119.
25
Für eine umfassende Darstellung des aktuellen Forschungsstands zur antiken Körpergeschichte siehe
BORSCH/MEISTER 2022 (Idealisiert, sexualisiert, materialisiert, politisiert).
26
THOMMEN 2007.
27
BORSCH/MEISTER 2022, 10–12.
28
BARGHOP 1994 (Forum der Angst).
29
CORBEILL 2004 (Nature Embodied).
30
MEISTER 2012.
31
MEISTER 2020 (s.v. «Selbstsorge»).
32
FOUCAULT 2019 (Die Geständnisse des Fleisches).
24
14
Methodik und Terminologie
Ausnahme. 33 Zudem bilden Entstehung und Entwicklung des spätantiken Kaisertums, sowie sein Fortleben in den monarchischen Herrschaften des frühen Mittelalters, den Gegenstand eines SNFEccellenza-Projektes der Universität Bern unter der Leitung von Jan Meister, welches sich die Untersuchung von Herrscherkörpern im langen Zeitraum vom 2. bis zum 8. Jahrhundert n. Chr. zum Ziel gesetzt
hat. 34
Unter Beachtung des komplexen geschichtswissenschaftlichen Körper-Diskurses gilt in der vorliegenden Arbeit eine Arbeitsdefinition von Körper, die möglichst breit gefasst ist. Dies soll es ermöglichen,
Aspekte von Körperlichkeit in den Quellen zu fassen, die unter einer zu engen Definition von «Körper»
nicht erfasst werden könnten. «Körper» soll in dieser Arbeit daher gleichbedeutend sein mit dem
«menschlichen Leib» 35 sowohl in seinen physischen, d.h. die anthropomorphe Materie betreffenden,
als auch in seinen diskursiven vermittelten Aspekten und in den aus der sozialen Umwelt «inkorporierten» Eigenschaften des Körpers. In diesem Sinne soll der «Körper» sowohl in seiner inneren Wahrnehmung durch das Subjekt sowie in seiner äusseren Wahrnehmung durch andere untersucht werden. Die
äussere Erscheinung beinhaltet deutlich mehr als das reine organische Material, was gemeinhin unter
«Körper» verstanden wird: Neben dem «eigentlichen» Körper umfasst sie auch die Kleidung, die den
Körper umgibt und dessen äussere Wahrnehmung beeinflussen kann; dasselbe gilt auch für Schmuck
und Insignien. Zusätzlich soll der Körper auch in seiner Haltung und Bewegung betrachtet werden;
schliesslich wird der Körper auch nicht in Isolation, sondern in Relation zu anderen Körpern betrachtet:
Positionierung und Interaktion, die auch performative Formen annehmen können. Der Fokus liegt also
auf dem Gesamtensemble, das die Erscheinung von Körpern in der alltäglichen Praxis bestimmt.
Gleichzeitig ermöglicht eine solch breit angelegte Perspektive Grenzziehungen in der jeweiligen Zeit
selbst in die Untersuchung miteinzubeziehen. Wenn von «Körperkonzeptionen» die Rede ist, sind damit bestimmte gesellschaftliche oder individuelle Körpervorstellungen oder Auffassungen von der
Rolle und der Wichtigkeit des Körpers gemeint. Dies können z.B. Vorstellungen von idealen Körpern,
vom Verhältnis zwischen Körper und Geist oder von der Rolle des Körpers für eine bestimmte Lebensführung sein.
Habitus
Um im Folgenden die eben dargestellte Komplexität der körperlichen Aspekte der spätantiken Kaiserherrschaft fassen zu können, ist die Anwendung eines geeigneten theoretischen Modells erforderlich,
33
BROWN 1991 (Die Keuschheit der Engel).
https://hist.unibe.ch/forschung/forschungsprojekte/herrscherkoerper/index_ger.html (03.05.2021).
35
Die deutsche Sprache bietet mit dem Begriff «Leib» einen Vorteil, den man in den meisten europäischen Sprachen nicht hat, da damit spezifisch der menschliche Körper gemeint ist, im Gegensatz zu Abstraktionen anhand
des Begriffs «Körper» etwa als politische Körperschaft; vgl. LORENZ 2000, 32–34, die auch auf die seit den 1980ern
diskutierte Dichotomie zwischen «Körper» und «Leib» verweist.
34
15
Methodik und Terminologie
das der umfassenden Thematik gerecht wird. Das Habitus-Konzept des französischen Soziologen Pierre
Bourdieu (1930–2002) bietet sich dazu an, wie bereits diverse körpergeschichtliche Arbeiten demonstriert haben. 36 Um den Begriff «Habitus» verwenden zu können, soll im Folgenden kurz dargestellt
werden, was darunter verstanden wird und wie er in der vorliegenden Arbeit verwendet wird.
Bourdieu ging davon aus, dass Subjekte die Welt, in der sie leben, in ihr eigenes Handeln «einverleiben». Sein Hauptaugenmerk lag dabei auf standes- oder klassenspezifischen Existenzbedingungen, die
sich in Verhalten und Wahrnehmung der Akteure einschreiben. Als habitus verstand er die für die Subjekte selbstverständliche Art, sich in einem bestimmten sozialen Feld zu verhalten, zu sprechen und zu
bewegen. Die Besonderheit des Habitus liegt darin, dass er nicht einseitig durch die soziale Umwelt
geformt wird, sondern diese gleichzeitig auch strukturiert. Die Existenzbedingungen einer bestimmten
sozialen Klasse «konditionieren» den Habitus, der schliesslich als «System dauerhafter und übertragbarer Dispositionen» zugleich als «strukturierte» und «strukturierende Struktur» fungiert. 37 Auf diese
Weise kann der Habitus auch als die Wechselwirkung zwischen Subjekt und sozialer Welt gesehen werden. Die soziale Realität existiert nach Bourdieu sozusagen zweimal, «in den Sachen und in den Köpfen,
in den Feldern und dem Habitus, innerhalb und ausserhalb der Akteure». 38 Der Habitus ist aber nicht
als Set von «Regeln» zu verstehen: Er schafft vielmehr die Grundlagen zur Erzeugung und Ordnung von
Praktiken und Repräsentationen, ohne dass diese bewusst oder objektiv «geregelt» wären; diese sind
zwar aufeinander kollektiv abgestimmt und «orchestriert», ohne jedoch das Produkt eines «Dirigenten» zu sein. 39 In der zeitlichen Dimension beschreibt Bourdieu den Habitus einerseits als ein Produkt
der Geschichte, andererseits als Ort der ständigen Aktualisierung dieser Geschichte in der Form spezi-
36
Prominente althistorische Beispiele sind BARGHOP 1994; CORBEILL 2004; MEISTER 2012. Es bleibt jedoch eine gewisse Herausforderung, Bourdieu zu verstehen und seine Methodik auf antike Verhältnisse anzuwenden. Bourdieus Konzepte sind zuweilen schwer zu fassen, da sie häufig über sein Werk verteilt sind. Eine vollständig ausdifferenzierte Darlegung des komplexen Habitus-Modells würde so den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Eine gewisse Vereinfachung und Auswahl von Bourdieus Theorien ist daher unumgänglich; die folgenden
Darstellungen sollten in diesem Sinne verstanden werden.
37
BOURDIEU 1980 (Le sens pratique), 88: «Les conditionnements associés à une classe particulière de conditions
d'existence produisent des habitus, systèmes de dispositions durables et transposables, structures structurées
prédisposées à fonctionner comme structures structurantes […].» Vgl. auch BOURDIEU/WACQUANT 1992
(Réponses), 97: «l'habitus, système socialement constitué de dispositions structurées et structurantes qui est
acquis par la pratique et constamment orienté vers des fonctions pratiques.»
38
BOURDIEU/WACQUANT 1992, 103: «L'existence humaine, l'habitus comme social fait corps, est cette chose du
monde pour laquelle il y a un monde: ‹le monde me comprend, mais je le comprends›, disait à peu près Pascal.
La réalité sociale existe pour ainsi dire deux fois, dans les choses et dans les cerveaux, dans les champs et dans
les habitus, à l'extérieur et à l'intérieur des agents.»
39
BOURDIEU 1980, 88: «[…] en tant que principes générateurs et organisateurs de pratiques et de représentations
qui peuvent être objectivement adaptées à leur but sans supposer la visée consciente de fins et la maîtrise expresse des opérations nécessaires pour les atteindre, objectivement ‹réglées› et ‹régulières› sans être en rien le
produit de l'obéissance à des règles, et, étant tout cela, collectivement orchestrées sans être le produit de l'action
organisatrice d'un chef d'orchestre.»
16
Methodik und Terminologie
fischer Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata. Dadurch gewährleistet der Habitus die Erhaltung gewisser Praktiken über Zeiträume hinweg stärker, als dies formale Regeln und explizite Normen
gewährleisten können. 40
Das soziale «Feld», dem ein bestimmter Habitus zugehörig ist, wird von Bourdieu zuweilen auch mit
einem Spiel verglichen – in dem Sinne, dass es durch eine bestimmte illusio (von lat. (il)ludere: «täuschen» bzw. «spielen») der Spieler zusammengehalten wird: Eine einverleibte und damit auch nicht
bewusst reflektierte Selbstverständlichkeit, einen «Sinn für das Spiel», der den Einzelnen in einer bestimmten Situation ohne rationales Kalkül richtig handeln lässt. Es beschreibt einen Zustand der Vertiefung in ein Spiel, bei dem vergessen geht, dass es sich um ein Spiel handelt. Der «Sinn» des Spiels
sorgt dabei dafür, dass dieses bei den Spielern einen subjektiven Sinn in Form von Bedeutung, Daseinsgrund und Orientierung erhält. Durch das Involviert-sein entsteht die Illusion bestimmter Dringlichkeiten und Bedrohungen. Bourdieu zieht dabei durchaus Vergleiche zu Gesellschaftsspielen oder sportlichen Wettkämpfen, um diesen praktischen Sinn zu erläutern. 41 Die Zugehörigkeit zu einem bestimmen
Feld ist somit von einem bestimmten «Glauben» abhängig, der entweder, in seiner «vollkommensten»
Form die Zugehörigkeit von Geburt an darstellt, oder alternativ durch einen langwierigen Prozess der
Kooptation und Initiation, der «einer zweiten Geburt gleichkommt». 42 Dieser praktische Glaube ist
kein «Gemütszustand» oder eine Anerkennung von gewissen Dogmen und Lehren, sondern in den
Worten Bourdieus ein «Zustand des Leibes». 43
Damit kommt dem Körper in der Habitus-Theorie eine zentrale Rolle zu. Bei der «Einverleibung» der
Umwelt durch die Subjekte handelt es sich mitnichten um eine blosse Metapher: Die umgebende Welt
wird tatsächlich in der Form kultur- und standesspezifischer Verhaltensmuster inkorporiert und manifestiert sich in den Körpern der Akteure, etwa in der Form von ästhetischen Empfindungen und bestimmten Körpertechniken – der Habitus als «social fait corps». 44 Die Besonderheit des Körpers drückt
sich dabei in seiner Fähigkeit aus, durch die Einnahme einer bestimmten Haltung und durch bestimmte
40
BOURDIEU 1980, 91: «Produit de l'histoire, l'habitus produit des pratiques, individuelles et collectives, donc de
l'histoire, conformément aux schèmes engendrés par l'histoire; il assure la présence active des expériences passées qui, déposées en chaque organisme sous la forme de schèmes de perception, de pensée et d'action, tendent, plus sûrement que toutes les règles formelles et toutes les normes explicites, à garantir la conformité des
pratiques et leur constance à travers le temps.» Wichtig ist hier, dass der Habitus durchaus normgebunden ist,
aber eben durch «implizite» Normen.
41
Ibid., 111–34; siehe auch 134–39.
42
Ibid., 113 f.
43
Ibid., 115: «La croyance pratique n'est pas un ‹état, d'âme› ou, moins encore, une sorte d'adhésion décisoire
à un corpus de dogmes et de doctrines instituées (‹les croyances›), mais, si l'on permet l'expression, un état de
corps.»
44
BOURDIEU/WACQUANT 1992, 103. Nach LORENZ 2000, 87, gründet Bourdieus Habitus-Konzept in erster Linie auf
dem «körperlichen Kapital», auch wenn dieser Aspekt in historischen und soziologischen Studien oft übersehen
wird und die anderen Kapitalformen («ökonomisch», «sozial», «kulturell» und «symbolisch») meist im Vordergrund stehen.
17
Methodik und Terminologie
Bewegungen und Gesten spezifische Gefühle und Gedanken, im Endeffekt sogar die ganzen dem Habitus zugrundeliegenden Wertesysteme anzuzeigen und heraufzubeschwören. 45 Das bedeutet auch,
dass die soziale Welt in einer körperlichen Interaktion sinnlich wahrnehmbar wird. Die «objektiven»
sozialen Bedingungen werden, indem sie über den Habitus inkorporiert werden, in eigene, subjektive
Konstruktionen umgeformt. 46 In diesem Zusammenhang benutzt Bourdieu auch den Begriff der körperlichen «Hexis» und meint damit eine inkorporierte, zur stabilen Art und Weise der Körperhaltung,
des Redens, Gehens und damit des Fühlens und Denkens gewordene «politische Mythologie.» 47 Der
Habitus als inkorporierte Erfahrung des Subjekts mit der sozialen Welt schlägt sich also nicht nur im
Körper nieder, und der Körper fungiert auch nicht nur als ein Medium, in dem sich der Habitus ausdrückt; vielmehr ist der Körper als Speicher sozialer Erfahrung wesentlicher Bestandteil des Habitus. 48
Im Gegensatz zu Konzepten wie «Performanz» zeichnet sich Bourdieus Habitus auch dadurch aus, dass
er nicht bewusst wahrgenommen wird oder gar einstudiert werden kann. Er wirkt als selbstverständlicher Bestandteil des authentischen Körpers unbewusst und strukturierend auf das Verhalten der Subjekte ein. Bourdieu spricht vom «praktischen Sinn» als «naturgewordene gesellschaftliche Notwendigkeit», welche durch «motorisierte Schemata und automatische Körperreaktionen» dafür sorgen, dass
Praktiken überhaupt erst sinnvoll erscheinen – weil die Handelnden nie ganz genau wissen, was sie tun,
45
Die Zusammenfassung von CORBEILL 2004, 109 («Simply put, socioeconomic origins determine body language.»)
stellt freilich eine starke Verkürzung des Habitus-Konzeptes dar, da damit das Wechselseitige Verhältnis des Körpers zur sozialen Umwelt vernachlässigt wird. Interessant an Bourdieus Konzept ist jedoch gerade die Fähigkeit
des Körpers, die durch das soziale Feld bestimmten Symbolsysteme durch spezifische Verhaltensweisen zu aktualisieren und lebendig zu halten.
46
Vgl. KRAIS/GEBAUER 2014 (Habitus), 76; siehe auch 33 f.: «Bourdieu macht vielmehr darauf aufmerksam, dass
bei allen vermeintlich ‹mentalen Akten› – Intention, Wille, Erwartung, Haltung, Dispositionen – der Körper beteiligt ist; dies gilt gerade dann, wenn der Habitus als Erzeugungsprinzip betrachtet wird. In Anknüpfung an Aristoteles verweigert Bourdieu die scharfe Trennung zwischen ‹physisch› und ‹psychisch›, wenn es um den auf Erfahrung gegründeten Habitus, um den praktischen Sinn und das soziale Handeln geht.» In diesem Sinne könnte
man in der Habitus-Konzeption auch ein Lösungsvorschlag für die besprochene Problematik des Körpers sehen,
indem man den Habitus als Schnittstelle zwischen einer diskursiven und einer essenziellen Körperlichkeit versteht.
47
BOURDIEU 1980, 117 f.: «L'hexis corporelle est la mythologie politique réalisé, incorporée, devenue disposition
permanente, manière durable de se tenir, de parler, de marcher, et, par là, de sentir et de penser. L'opposition
entre le masculin et le féminin se réalise dans la manière de se tenir, de porter le corps, de se comporter sous la
forme de l'opposition entre le droit et le courbe (ou le courbé), entre la fermeté, la droiture, la franchise (qui
regarde en face et fait front et qui porte son regard ou ses coups droit au but) et, de l'autre côté, la retenue, la
réserve, la souplesse. Comme en témoigne le fait que la plupart des mots qui désignent des postures corporelles
évoquent des vertus et des états d'âme, ces deux rapports au corps sont gros de deux rapports aux autres, au
temps et au monde et, par là, de deux systèmes de valeurs.» Bourdieu verwendet «Habitus» und «Hexis» bis zu
einem gewissen Grad synonym, obschon Hexis noch einmal körperbetonter als der umfassendere Habitus erscheint; vgl. MEISTER 2012, 41, Anm. 131; BARGHOP 1994, 80–95; siehe auch unten, Anm. 63.
48
KRAIS/GEBAUER 2014, 75.
18
Methodik und Terminologie
hat ihr Tun mehr Sinn, als sie selber wissen. 49 Jedoch umfasst der Habitus auch einen bewussten Umgang mit dem Körper. Kalkulierte oder einstudierte Bewegungen und Positionierungen des Körpers im
Raum, die etwa dem gesellschaftlichen Habitus entgegenstehen (z.B. die übertriebenen oder lächerlich
anmutenden Bewegungen eines Schauspielers, oder ein demonstratives Sitzenbleiben, wenn andere
sich erheben), beziehen sich gerade durch die Kontrastierung auf eben diesen. Sie stehen in diesem
Sinne nicht ausserhalb des Habitus, denn sie machen nur innerhalb des durch ihn strukturierten Symbolsystems Sinn. Für Bourdieu ist es keineswegs ausgeschlossen, dass Reaktionen des Habitus von einer strategischen Bedeutung begleitet sind, die ganz bewusst diejenigen Operationen zu realisieren
trachtet, die der Habitus auf andere Weise realisiert. 50 Damit ist eine gewisse Bewegungsfreiheit innerhalb der unsichtbaren Zwänge des Habitus gegeben; gleichzeitig werden dem Verhalten der Subjekte aber auch Grenzen gesetzt. Bourdieu bezeichnete den Habitus denn auch als «System von Grenzen»: Wer den Habitus einer Person kennt, der spüre oder wisse intuitiv, welches Verhalten dieser
Person verwehrt ist. Aber innerhalb dieser seiner Grenzen kann das Subjekt durchaus erfinderisch sein.
Der Habitus bezeichnet keinen Determinismus, die Reaktionen der Subjekte sind keineswegs immer
vorauszusehen. 51
Indem der Habitus über die einzelnen Subjekte hinweg auf ganze soziale Gruppen Einfluss hat, kann er
gemeinschaftsbildend wirken. 52 Die Körper innerhalb einer bestimmten Klasse reproduzieren so jederzeit die Institutionen, denen sie zugehören. Nach Bourdieu machen sich alle sozialen Ordnungen systematisch die Möglichkeit des Körpers und der Sprache zunutze, als Speicher für Gedanken zu fungieren. Diese können allein dadurch abgerufen werden, dass der Körper in eine bestimmte Gesamthaltung gebracht wird, welche die damit assoziierten Gefühle und Gedanken heraufbeschwören. 53 Der
49
BOURDIEU 1980, 116: «Le sens pratique, nécessité sociale devenue nature, convertie en schèmes moteurs et en
automatismes corporels, est ce qui fait que les pratiques, dans et par ce qui en elles reste obscur aux yeux de
leurs producteurs et par où se trahissent les principes transsubjectifs de leur production, sont sensées, c'est-àdire habitées par un sens commun. C'est parce que les agents ne savent jamais complètements ce qu'ils font que
ce qu'ils font a plus de sens qu'ils ne le savent.»
50
Ibid., 89: «S'il n'est aucunement exclu que les réponses de l'habitus s'accompagnent d'un calcul stratégique
tendant à réaliser sur le mode conscient l'opération que l'habitus réalise sur un autre mode, à savoir une estimation des chances supposant la transformation de l'effet passé en objectif escompté, il reste qu'elles se définissent
d'abord, en dehors de tout calcul, par rapport à des potentialités objectives, immédiatement inscrites dans le
présent, choses à faire ou à ne pas faire, à dire ou à ne pas dire […]»
51
BOURDIEU 1997 (Die verborgenen Mechanismen der Macht [1992]), 33.
52
Vgl. KRAIS/GEBAUER 2014, 37. Auf den Begriff «Klassenhabitus» wird jedoch in dieser Arbeit verzichtet, da er so
bei Bourdieu so nicht vorkommt (auch wenn der Klassenbegriff bei ihn durchaus eine Rolle spielt) und durch die
ideologisch aufgeladene und historisch befangene Begrifflichkeit von «Klasse» nur umständlich auf antike Verhältnisse übertragbar ist. Die Idee, dass bestimmten sozialen Gruppen ein distinktiver Habitus eigen ist, bleibt
indes bestehen.
53
BOURDIEU 1980, 116: «Tous les ordres sociaux tirent systématiquement parti de la disposition du corps et du
langage à fonctionner comme dépôts de pensées différées, qui pourront être déclenchées à distance et à retardement, par le simple fait de replacer le corps dans une posture globale propre à évoquer les sentiments et les
pensées qui lui sont associés, dans un de ces états inducteurs du corps qui, comme le savent les comédiens, font
surgir des états d'âme.»
19
Methodik und Terminologie
Habitus als «praktischer Sinn» lässt den «objektivierten Sinn» in den Institutionen aufleben – in diesem
Sinne hält der Habitus Institutionen quasi am Leben, «entreisst sie dem Zustand des toten Buchstabens», indem er es ermöglicht, Institutionen zu «bewohnen» (habiter). 54 Erst durch den Habitus finden
Institutionen so ihre volle Erfüllung: Die Möglichkeit zur Inkorporation, welche es ermöglicht, die «performative Magie des Sozialen» ernst zu nehmen, mache den König, den Bankier, den Priester zur
menschgewordenen Erbmonarchie, Finanzkapitalismus und Kirche. 55
Es stellt sich noch die Frage, ob und wie ein spätantiker Habitus – oder in der Tat jeder Habitus einer
vergangenen, nicht mehr beobachtbaren Kultur – überhaupt gefasst werden kann. Für eine körpergeschichtliche Arbeit ist eine Definition von Körper und Habitus nur insoweit brauchbar, als die relevanten Aspekte in den Quellen fassbar sind. Thomas Späth vertritt in einem Aufsatz von 2006 56 die These,
dass das Interesse für erlebte Wirklichkeiten von vergangenen Kulturen, deren Lebenswelt grösstenteils durch hinterlassene Texte fassbar ist, auch textanalytische Ansätze fordert und damit gleichzeitig
die Frage nach den Autoren dieser Texte stellt – «allerdings nicht nach deren ‹Meinung› und nicht nach
Autoren als Individuen, vielmehr nach Autoren als gesellschaftlich-diskursiv konstituierte Schreibende.» 57 Späth geht davon aus, dass die Autorinnen und Autoren eines Textes durch das «Wörterbuch» ihrer Sprache und seiner Zeit konstituiert sind, und sich somit neben ihren persönlichen Ansichten auch ganze Symbolsysteme in einen Text einschreiben. Jeder Text fasse schlussendlich nicht eine
Bedeutung, sondern eine «Pluralität von Bedeutungen». 58 Den Begriff «Diskurs» definiert Späth einerseits in Anlehnung an Michel Foucault als «ein Ensemble von Regeln, die den Wahrnehmungshorizont,
die Aussage- und Denkmöglichkeiten, die Subjektpositionen – aber darüber hinaus auch die Handlungsperspektiven zu erklären versuchen.» 59 Andererseits schlägt er vor, unter Diskurs ebenfalls die
54
BOURDIEU 1980, 96: «[…] l'habitus comme sens pratique opère la réactivation du sens objectivé dans les institutions […]. L’habitus […] est ce qui permet d'habiter les institutions, de se les approprier pratiquement, et par
là de les maintenir en activité, en vie, en vigueur, de les arracher continûment à l'état de lettre morte, de langue
morte, de faire revivre le sens qui s'y trouve déposé, mais en leur imposant les révisions et les transformations
qui sont la contrepartie et la condition de la réactivation.» Das Wortspiel «habiter les institutions» funktioniert
in der deutschen Übersetzung nicht mehr.
55
Ibid.: «Mieux, il est ce par quoi l'institution trouve sa pleine réalisation: la vertu de l'incorporation, qui exploite
la capacité du corps à prendre au sérieux la magie performative du social, est ce qui fait que le roi, le banquier,
le prêtre sont la monarchie héréditaire, le capitalisme financier ou l'Église faits homme.» Zu Recht weist Jan
Meister in Bezug auf diese Aussage Bourdieus darauf hin, dass Bedeutungsverschiebungen innerhalb des Habitus
durchaus möglich sind, insbesondere in der (nicht näher definierten) «Postmoderne», in der sich traditionelle
Strukturen und Statussymbole verändern und ein Bankdirektor eben nicht mehr «menschgewordenes Finanzkapital» sei, da er potentiell mehrmals im Leben den Beruf wechseln kann. Dieser Umstand bestärke jedoch nur die
Funktion des Körpers als authentischer Ausdruck der eigenen Identität – den Körper kann man nicht auswechseln
– aber auch als Prestigeobjekt und gar als Indikator von Macht und Status zunehmend bedeutsam; siehe MEISTER
2012, 16 f.
56
SPÄTH 2006 (Geschlechter – Texte – Wirklichkeiten).
57
Ibid., 42.
58
Ibid., 65 f.
59
Ibid., 67 f. Damit entspreche der Diskurs ebenfalls den «Regeln» der Bedeutungszuweisung bei Clifford Geertz
und den «Symbolsystemen» und «Kategorien» bei Marshall Sahlins.
20
Methodik und Terminologie
«Praxis des kulturellen Handelns» zu verstehen, das als «durch die diskursiven Regeln bestimmtes und
zugleich den Diskurs formierendes Handeln zu verstehen ist.» «Diskurs» beschränke sich also nicht auf
Sprache oder sprachliches Handeln, sondern umfasse die Regeln gesellschaftlich-kulturellen Handelns
generell. Besonders durch letztere Präzisierung kommt Späths Verständnis von «Diskurs» Bourdieus
«Habitus» sehr nahe. 60 In diesem Verständnis besteht die Chance auf einen Zugriff: Indem sich die
kulturelle Praxis in Texte einschreibt, können diese durch Textanalyse untersucht werden. Die Quellenlage ist freilich nicht nur auf literarische Texte beschränkt; wie weiter unten dargestellt wird, befinden sich gerade literarische und materielle Kaiserbilder in einem engen Beziehungsgeflecht, in welchem wechselseitige Bezugnahmen und Einflüsse geschehen. 61 Die Auswahl der zu untersuchenden
körpergeschichtlichen Aspekte muss angesichts der für die Antike notorisch schwierige Quellenlage
bezüglich kulturgeschichtlichen Themen pragmatisch geschehen: Sie geschieht abhängig davon, was
in den Quellen überhaupt an körperlichen Perspektiven fassbar ist. Alle zur Verfügung stehenden Quellengattungen werden herangezogen. Die dadurch gegebene Vielfalt ist zugleich Herausforderung und
Chance, denn sie erlaubt einen umfassenden Zugang und Erkenntnisse, die bei einer einseitigen Fokussierung auf spezifische Gattungen nicht möglich wären.
Wenn der Habitus einer bestimmten sozialen Gruppe zugehörig ist, stellt sich die Frage, was für eine
Art von Habitus dann dem spätantiken römischen Kaiser als absoluten Machthaber zu eigen ist. Monarchische Körper sind, wie gesagt, besondere Körper. An der Spitze der Hierarchie stehend, verkörpert der Kaiser eine einzigartige Position, die gerade durch Aspekte des Habitus wie Kleidung und Insignien, aber auch in der Relation des kaiserlichen Körpers zu den ihn umgebenden Körpern sichtbar
wird und die dessen hervorgehobene Position anzeigen. Aus den Quellen ist zudem ersichtlich, dass
der spätantike Herrscher sich zusätzlich durch eine besondere Art der Bewegung und Haltung von seiner Umgebung absetzt und so seinen besonderen Status signalisiert. 62 Es wäre jedoch verfehlt, von
einem «isolierten» kaiserlichen Habitus zu sprechen. Dies würde der Theorie Bourdieus widersprechen,
die ja besagt, dass der Habitus in der Inkorporation und Aktualisierung der sozialen Umwelt besteht
und damit nicht auf das Subjekt beschränkt ist, sondern gerade in den vielfältigen Aktionen auf dem
sozialen Feld sichtbar wird und seine Wirkung entfaltet. Gerade der spätantike Kaiser ist kaum ohne
sein Umfeld zu denken: Sein Hof, seine Entourage, seine Leibwache und die verschiedenen Gruppen,
mit denen er jederzeit auf die eine oder andere Weise in Kontakt steht. Das Kaisertum dürfte in den
Worten Bourdieus als «belebte Institution» verstanden werden; der Kaiser «verkörpert» (im durchaus
60
Die Begriffe «Wahrnehmungshorizont, Aussage- und Denkmöglichkeiten» erinnern stark an die vom Habitus
gewährleisteten «schèmes de perception, de pensée et d'action» bei Bourdieu.
61
Siehe unten Seite 26.
62
So etwa bei Constantius’ Verhalten beim adventus, vgl. Amm. 16,10,9–11.
21
Methodik und Terminologie
wörtlichen Sinne) das Kaisertum. Der Kaiser steht nicht isoliert, sondern in einem komplexen, wechselhaften Beziehungsgeflecht, wobei er zu jeder Zeit im Fokus der Aufmerksamkeit steht und dadurch
sozusagen das Gravitationszentrum des Feldes verkörpert. In diesem Sinne hat also auch Kaiser Julian
Teil an einem über seine Position hinausgehenden, überindividuellen und zugleich elitären GruppenHabitus. Die Besonderheit der kaiserlichen Position wird überdies noch dadurch verstärkt, dass der
Kaiser in ganz unterschiedlichen Situationen mit verschiedensten Gruppen interagieren musste. Der
Kaiser bildete dadurch nicht lediglich das «Gravitationszentrum» eines einzigen sozialen Feldes, sondern zeitgleich ganz verschiedener: Seine herausragende Position war genauso stark in die sozialen
Felder des kaiserlichen Hofes eingebunden wie in diejenigen der politischen, intellektuellen und religiösen Elite oder des Heeres.
Wie wird der Begriff Habitus in dieser Arbeit angewandt? Nach den vorgestelltem Konzept Bourdieus
umfasst der Habitus grundsätzlich alles, was mit dem menschlichen Körper in Verbindung steht: Einerseits das Aussehen, darunter die unveränderlichen (Physiognomie, Hautfarbe, körperliche Behinderungen etc.) und die veränderlichen Bestandteile (Frisur, Gesichtsbehaarung, aber auch Kleidung,
Schmuck etc.), andererseits das körperliche Verhalten (Bewegung, Haltung, Positionierung gegenüber
anderen Körpern, etc.). In diesem Sinne wird «Habitus» auch in dieser Arbeit als Synthese von Aussehen und Verhalten verstanden, als bestimmte Erscheinung oder Auftreten einer Person, das von anderen Subjekten «gelesen» wird. Dennoch macht eine Trennung von Aussehen und Bewegung auf theoretischer Ebene Sinn, da auch die Quellen diese beiden Aspekte häufig trennen. 63
Die Wendung «kaiserlicher Habitus» wird im Zuge der Betonung der Eingebundenheit des Kaisers in
das kaiserliche Zeremoniell verwendet. Der Kaiser ist das Kaisertum; der «kaiserliche Habitus» ist demnach in der Praxis auch nicht sinnvoll vom «Habitus des Kaisers» zu trennen. Dennoch werden im Folgenden beide Ausdrücke verwendet, um auf verschiedene Aspekte aufmerksam zu machen: Einerseits
soll Julians «Habitus» das individuelle Aussehen und Verhalten des Kaisers betonen, freilich ohne den
Kaiser als isoliert und unabhängig von seiner sozialen Umwelt zu denken; andererseits soll der «kaiserliche Habitus» auch unabhängig von Julian und anderen Einzelpersönlichkeiten die gängigen, verständlichen und erwartbaren Äusserlichkeiten und Verhaltensweisen der Kaiser betonen, ohne jedoch den
63
Siehe oben Anm. 47: Bourdieu hebt im Zusammenhang mit dem Begriff «Hexis» spezifisch die Art des Stehens,
Sprechens und Gehens, der Körperhaltung und die Blickrichtung hervor. Dies kann so gelesen werden, dass
«Hexis» noch stärker auf die physische Präsenz, Positionierung und Bewegung des Körpers, aber auch die (räumliche) Relation zu anderen Körpern hinweist. Folglich müsste der Habitus im allgemeineren Sinne auch das
äussere das allgemeine Verhalten, Sprechen und Denken, sowie das äussere Erscheinungsbild, inklusive Kleidung
und insignia, miteinbezieht und so als Überbegriff für Aussehen und Bewegung gedacht ist. Andererseits scheint
Bourdieu die Begriffe «Hexis» und «Habitus» tatsächlich oft synonym zu benutzten und verhindert somit eine
scharfe Trennung der beiden Begriffe. Auf eine eindeutige analytische Trennung der Begriffe wird deshalb auch
in dieser Arbeit verzichtet
22
Methodik und Terminologie
individuellen Spielraum der Einzelpersonen und auch möglicherweise dem kaiserlichen Habitus entgegengesetzte Verhaltensformen auszuschliessen. Inwiefern Julians «Habitus» und der spätantike «Kaiserhabitus» miteinander korrespondieren bzw. vereinbar sind, wird sich zeigen.
Interaktionsräume und Akzeptanzgruppen
Der Kaiser trat an unterschiedlichen Orten und Zeiten und aus unterschiedlichen Anlässen mit unterschiedlichen Gruppen oder Individuen in Kontakt. All diese Situationen der Interaktion zwischen Kaiser
und Untergebenen waren geprägt von einer unterschiedlichen Nähe bzw. Distanz zwischen Herrscher
und Beherrschten, und dadurch durchzogen von spezifischen Erwartungen, die in Bezug auf das Verhalten des Herrschers gestellt wurden.
Der kaiserliche Hof bezeichnet den intimsten Interaktionsraum um den Kaiser und besteht aus seiner
unmittelbaren Gefolgschaft: Familienmitglieder, enge Freunde, vertraute Eunuchen und andere Diener, Sklaven und Leibwachen. Dieser Raum zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass er dem Kaiser
folgt: Wohin er sich auch begab, der römische Kaiser war praktisch immer von einer spezifischen Konfiguration seines Hofstaats umgeben. Doch auch wenn dieser Raum sich durch einen begrenzten Radius um den Kaiser herum auszeichnet, ist er dennoch keineswegs «privat»; als wirklich privat wären
höchstens die Schlafgemächer des Kaisers zu bezeichnen. 64
Daneben gab es Situationen, die sich in einem «aristokratischen» oder spezifischer «senatorischen
Raum» abspielten, d.h. in einem geschützten Rahmen unter Ausschluss der breiten Öffentlichkeit, aber
im Beisein von Personen, die nicht zur unmittelbaren Gefolgschaft des Kaisers gehören: Dies ist etwa
bei Besuchen des Kaisers im Senat Konstantinopels der Fall, aber auch wenn der Kaiser Mitglieder der
lokalen Elite an seinen Hof einlädt. Die Personen dieses Interaktionsraumes (lokale politische und intellektuelle, zuweilen auch religiöse Eliten) gehören nicht zum kaiserlichen Hof, haben jedoch in einigen Fällen begrenzen Zugang zu diesem und traten manchmal sogar in direkten Kontakt zum Kaiser.
Dieser Raum folgt dem Kaiser nicht, und Gelegenheiten zur Begegnung waren bestimmte Anlässe und
Lokalitäten gebunden.
Drittens bezeichnet «öffentlich» einen Interaktionsraum, in welcher der Kaiser im Beisein einer breiten,
anonymen Öffentlichkeit agiert, also beispielsweise von der einfachen Stadtbevölkerung beobachtet
64
Auf die komplexe Debatte bezüglich der Terminologie von «öffentlich» und «privat», bzw. deren entsprechenden, aber in ihrer Bedeutung nicht einfach zu übertragenden antiken Begriffe («privatus» und «publicus»),
möchte ich nicht weiter eingehen. Eine Unterscheidung zwischen «häuslich» und «städtisch», wie sie GOLDBECK
2010 (Salutationes) in Bezug auf die für diese Arbeit durchaus relevante Interaktionssituation der salutatio verwendet, bietet sich für den von ihn Untersuchten Zeitraum der Republik und frühen Kaiserzeit an; für die spätantiken Verhältnisse greift diese Dichotomie jedoch bereits zu kurz.
23
Methodik und Terminologie
wird. 65 Damit ist nicht eine reichsweite Öffentlichkeit gemeint, die im Sinne einer modernen Gesellschaft jederzeit über den Kaiser informiert wäre. «Öffentlich» ist im städtischen Kontext zu verstehen
und beschränkt sich somit auf die jeweilige Stadt, in der sich der Kaiser befindet, und ihr Umland. Im
Gegensatz zum Hof, der dem Kaiser überallhin folgt, und dem aristokratischen Raum, dem sich der
Kaiser oftmals nicht entziehen kann, ist diese Form der Öffentlichkeit austauschbar: Wenn der Kaiser
in die nächste Stadt weiterzieht, ändert sich der Kontext gänzlich.
Einen letzten, gerade für die Frühphase von Julians Karriere besonders relevanten Interaktionsraum
lässt sich schliesslich im Heer ausmachen. Die die komplexen Interaktionen zwischen Kaiser und Heer
bildet einen «militärischen» Interaktionsraum mit einer besonderen (auch physischen) Nähe zwischen
Soldaten und Heerführer und damit ganz eigenen Regeln und Erwartungshaltungen an den Kaiser.
Die Grenze zwischen den Interaktionsräumen ist zuweilen fliessend. So lässt sich beobachten, dass
eine kaiserliche Zeremonie im Normalfall verschiedene abgestufte Formen von «Öffentlichkeit» durchläuft. Ein Beispiel dafür ist die spätantike adventus-Zeremonie, welche üblicherweise mit einer salutatio der Eliten und Klientelen oft bereits vor den Toren der Stadt begann. Diese war im antiken Verständnis nicht «öffentlich». Erst der direkt anschliessende Weg durch die Stadt, zuweilen auch zu Fuss,
wurde als «öffentlich» gesehen, auch wenn die direkten Interaktionsmöglichkeiten einzelner Mitglieder der plebs stark eingeschränkt waren. Schliesslich mündete ein adventus normalerweise in einer
öffentlichen Rede sowie in einer abgeschlossenen Ansprache vor den lokalen Eliten unter Ausschluss
der Öffentlichkeit (die aber im antiken Verständnis dennoch als öffentlich galt).
Die unterschiedlichen Interaktionsräume werden belebt von verschiedenen Gruppen, die sich durch
eine jeweils unterschiedliche Erwartungshaltung dem Kaiser gegenüber auszeichnen. Der Kaiser hatte
sich an diese ihm gegenüber gestellten Erwartungen in seinem Verhalten zu orientieren, um Akzeptanz
für seine Herrschaft zu gewinnen: Selbst als Alleinherrscher ist er eingebunden in ein sogenanntes
«Akzeptanzsystem». Egon Flaig definierte in seiner bahnbrechenden Studie 66 zu Usurpationen im Römischen Reich gleich vier verschiedene «Rollen» der frühen Kaiser: «Der Kaiser musste mindestens
vier nicht nur unterschiedliche, sondern konträre, im Ernstfalle kontradiktorische Rollen spielen: Er
sollte Primus inter pares gegenüber dem Senat sein, gütiger und zugleich umfangreicher Interaktion
zugänglicher Monarch gegenüber der Plebs urbana; den Truppen sollte er der beste Chef sein, den
65
Zur Zusammensetzung dieser schwer fassbaren Gruppe, welche von spätantiken Chronisten und Historikern
zumeist als anonyme Masse wahrgenommen wurde, siehe in die Einschätzungen von PFEILSCHIFTER 2013 (Der Kaiser und Konstantinopel), 295–300. Pfeilschifter bezieht sich dabei ausschliesslich auf die Bevölkerung Konstantinopels, doch lassen sich seine Überlegungen besonders bezüglich Zusammensetzung, antiker Wahrnehmung
und Möglichkeiten des in-Kontakt-Tretens etwa durch Akklamationen, problemlos auf andere grössere Städte
des Römischen Reichs übertragen.
66
FLAIG 2019 (Den Kaiser herausfordern).
24
Methodik und Terminologie
hellenistischen Städten sollte er sich als gottähnlicher, also charismatischer Mensch präsentieren.» 67
Diese Rollen definierte Flaig für den Kontext des frühen Prinzipats, in welchem der Bezug des Kaisers
auf die Stadt Rom einerseits, für die zum Teil weit entfernten Provinzen andererseits eine andere Situation als in der Spätantike nach der Gründung Konstantinopels darstellte. So war Julian in seinem ganzen Leben vermutlich nie in Rom; doch die Grossstädte des Ostens waren ihm bestens bekannt, und
er war in ihnen bestens bekannt. Zudem ist aus den spätantiken Quellen der kaiserliche Hof als wichtige Komponente der kaiserlichen Herrschaft, in der eigene Regeln gelten, gut fassbar. Dass sich Flaigs
Modell eines Akzeptanzsystem jedoch gewinnbringend auch an spätantike, sogar byzantinische Verhältnisse anpassen lässt, zeigte sich bereits in jüngeren Studien. 68 Für den in dieser Arbeit relevanten
Zeitraum bietet sich ebenfalls eine Neudefinierung der relevanten Akzeptanzgruppen an: Anstatt römischem Senat, plebs urbana, hellenistischen Städten und Heer richtet sich der Fokus daher auf die
vier Gruppen, mit denen Julian als Herrscher regelmässig interagierte: Der kaiserliche Hof, die lokalen
städtischen Eliten, die lokale städtische Bevölkerung und das Heer.
Die zentrale Beobachtung Flaigs bezüglich der Akzeptanzgruppen bleibt aber bestehen: Verschiedene
Gruppen formulieren gegenüber dem Kaiser unterschiedliche Erwartungen, an deren Erfüllung der Kaiser grundsätzlich gebunden ist. Dass dies nicht immer so einfach ist, stellte Flaig ebenfalls fest: «Die
Autoritätstypen und Gehorsamsmodalitäten waren untereinander unverträglich. Obschon die Unverträglichkeit meist nicht ersichtlich und akut wurde, reichte ihre Latenz aus, um die Kommunikation
zwischen den Gruppen krisenanfällig zu halten. Sie verschärfte sich bei Kopräsenz; denn wenn der Kaiser mit mehreren präsenten Gruppen interagierte, kollidierten die diversen Einforderungen.» 69
Die einzige Gruppe, die normalerweise Texte über den Kaiser produziert, ist diejenige der politischen,
intellektuellen oder religiösen Elite. Dies gilt nach wie vor auch für die Spätantike: Panegyriker und
Geschichtsschreiber, sowie die Verfasser von (meist religiös motivierten) Invektiven, gehören durchgehend der lokalen Elite an und treten nicht selten als Vertreter einer klar definierten Gruppe auf.
Manchmal können aus diesen Elite-Texten jedoch Rückschlüsse auf das Kaiserbild in den anderen
Gruppen geschlossen werden. So lesen wir bei Ammian über internen Spott am Hof des Constantius,
der sich gegen den jungen Caesar Julian richtet; derselbe erwähnt auch den Spott der Bevölkerung
Antiochias, von dem wir auch bei anderen Autoren lesen. Ammian war zudem bei Julians Feldzügen
mit dabei und kann so auch die Sicht der Soldaten auf den Kaiser wiedergeben.
67
FLAIG 2019, 201 Die Formulierung der ersten Edition lautete ursprünglich: «den hellenistischen Städten sollte
er sich gar als erschienener Gott präsentieren.»
68
PFEILSCHIFTER 2013; DIEFENBACH 1996 (Frömmigkeit und Kaiserakzeptanz im frühen Byzanz). Pfeilschifter weist
auch explizit auf die die Formung einer neuen Akzeptanzgruppe in Form der Bevölkerung Konstantinopels als
neuer Kaiserresidenz hin (1–40). Zu Zeit Julians war dies aber noch nicht der Fall, da die zur Zeit Julians noch
relativ neue und – im Vergleich etwa zu Antiochia – weitaus kleinere Metropole noch weit davon entfernt war,
einzige und permanente Kaiserresidenz zu sein.
69
FLAIG 2019, 201.
25
Methodik und Terminologie
Im Falle von Kaiser Julian kommt die Besonderheit hinzu, dass er auch selber Texte produziert hat, die
erhalten geblieben sind. Während die meisten von Julians Selbstzeugnissen in den Rahmen von ElitenDiskursen gehören, da es sich hauptsächlich um eine Kommunikation mit der intellektuellen Elite handelt, liegt im Falle des Misopogon eine direkte Kommunikation des Kaisers mit der Gruppe der (breiten)
Öffentlichkeit vor. In allen Fällen muss aber konsequent quellenkritisch vorgegangen und die Tendenzen der Autoren herausgearbeitet werden.
Kaiserbilder
Römische Autoren scheinen sich besonders für die physische Erscheinung der Herrscher und anderer
wichtiger Personen zu interessieren – ein Trend, der sich in der frühen Kaiserzeit entwickelte und bis
zur Spätantike nur stärker werden sollte. In der lateinsprachigen Literatur entwickelte sich die physische Beschreibung der Kaiser zu einem grundlegenden Bestandteil vieler biographisch-historischer
Schriften. 70 Dass physische Beschreibungen von Einzelpersonen in der historiographischen, biographischen oder auch fiktionalen Literatur auch eine Art von «Porträt» sind, ist in der neueren antiken Körpergeschichte eine gängige These. 71 Dabei stellt sich unweigerlich eine wichtige Frage: Bestehen die
verschiedenen literarischen Darstellungen von Kaisern, die kaiserlichen Münzbilder und die plastischen
Kaiserporträts unabhängig voneinander, oder nehmen sie aufeinander Bezug?
Die Bedeutung der Interaktion zwischen Kaiser und Akzeptanzgruppen, die Egon Flaig in seiner Studie
herausgearbeitet hat, wurde bereits vor einiger Zeit von Gregor Weber und Martin Zimmermann in
einem Sammelband aufgegriffen, um eine Neudefinition des Begriffs «Repräsentation» zu konstruieren, die insbesondere dazu dienen sollte, den Begriff der «Propaganda» in Bezug auf das römische
Kaisertum zu ersetzen. 72 In der Einleitung legen sie die Probleme dar, die sich bei einer unkritischen
Anwendung des Propaganda-Begriffs auf antike Verhältnisse ergeben. In Anlehnung an Flaig weisen
sie in Bezug auf das frühe Prinzipat auf die dialektischen Prozesse zwischen Anregung «von oben» und
Reaktion «von unten» hin, sowie auf das aus heutiger Sicht kaum zu durchdringende Geflecht kommunikativer Strukturen, innerhalb deren die unterschiedlichen Erwartungshaltungen im Wechselspiel zwischen Herrscher und Beherrschten formuliert werden. Sie verweisen auch auf die Arbeiten von Andreas Alföldi, dem dieser Sachverhalt bereits sehr früh aufgefallen ist und bei dem sich dies in seiner
Verwendung des Begriffes «monarchische Repräsentation» niederschlug. 73 Im Sinne Alföldis betonen
die Herausgeber die ständige und kontinuierliche Steigerung der Huldigungen und Ehren, «die nicht
vom Kaiser gefordert wurden, sondern allmählich und in Folge ständiger Wiederholung von Seiten der
70
BORSCH 2019 (Schriftliche Bildnisse), 61.
Ibid., 50.
72
WEBER/ZIMMERMANN 2003 (Propaganda – Selbstdarstellung – Repräsentation im römischen Kaiserreich des 1.
Jhs. n.Chr).
73
ALFÖLDI 1980 (Die monarchische Repräsentation im römischen Kaiserreiche [1970]).
71
26
Methodik und Terminologie
unterschiedlichen Schichten der Bevölkerung übernommen wurden.» In diesem Sinne war Propaganda
nach modernem Verständnis zur Durchsetzung der Herrscherideologie nicht nötig, denn «Habitus, Gestus und Ornat wurden ebenso wie die dahinter stehenden Ideologeme mit Blick auf den Zuspruch der
Beherrschten gestaltet». 74 Das bedeutete auch, dass der Kaiser in seiner Selbstdarstellung nicht völlig
frei war, sondern in seinem Handeln jederzeit die Zustimmung der verschiedenen Gruppen antizipieren musste. Für die tatsächliche Notwendigkeit der Kaiser, ihrer Herrschaft eine wahrnehmbare Gestalt zu geben, eigne sich nach Meinung jedoch der Begriff der Repräsentation viel besser als Propaganda: «Repräsentation» wird von den Herausgebern in einem erweiterten Sinne so verstanden, dass
er sowohl die bildlichen als auch textlichen Abbildungen von Herrschaftsidealen umfasst. 75 Repräsentation sei nach diesem Verständnis «die symbolische, in Text und/oder Bild übersetzte Wiedergabe der
Position, die eine Person oder Gruppe innerhalb der sozialen Schichtung der Gesellschaft einnimmt,
wobei ebenfalls die mit dieser Stellung verbundenen und konnotierten Ideale, Werte und Normen
mehr oder weniger umfangreich und explizit artikuliert werden.» 76
In diesem Sinne sind Kaiserbilder intertextuell. Das Beispiel verdeutlicht die Notwendigkeit, alle literarischen Genres heranzuziehen und sie nicht lediglich in ihren (oft widersprüchlichen) Inhalten zu vergleichen, sondern in Bezug zueinander zu stellen und sie als Teil eines gemeinsamen Prozesses der
kaiserlichen Repräsentation zu sehen. Eine Bevorzugung von historiographischen Quellen aufgrund
vermeintlich grösserer Objektivität und Wahrheitsgehalt wäre in diesem Sinne irreführend, da die unterschiedlichen Quellengattungen nicht nur mit der Person des Kaisers, sondern auch untereinander
in einem ständigen Dialog stehen. Die Annahme eines Dialoges zwischen Herrscher und Beherrschten
begegnet auch in der Studie von Jan Meister: Das Bild des Princeps sei nur bedingt von ihm selbst,
sondern in stetem Austausch mit seinen Untergebenen konstruiert worden. Meister widerspricht dem
anachronistischen Bild einer zentral gesteuerten Propaganda, die das Bild eines «idealen» Herrschers
kreiere und bei den Beherrschten einen Glauben an dieses Bild erzeuge. 77 Stattdessen betont er, unter
Einbezug der modernen Interaktionstheorie, die doppelte Erwartungshaltung beim Senden von Botschaften, bei dem der «Sender» bereits die Erwartungshaltung der «Empfänger» antizipiert und in die
Botschaft einfliessen lässt. 78 Ebenfalls in Anlehnung an Flaig hebt er die Rolle der verschiedenen Akzeptanzgruppen hervor, deren unterschiedlich konstruierte Herrschaftsvorstellungen einerseits den
74
WEBER/ZIMMERMANN 2003 (Propaganda, Selbstdarstellung und Repräsentation), 35.
Ibid., 36: «Bei der allgemeineren Definition können auch Architektur, Texte unterschiedlicher Art, Bilder, Denkmäler, Gastmähler usw., ja letztlich alle mit dem Kaiser, Magistraten oder Privatpersonen in Verbindung stehenden oder auf sie bzw. ihre gesellschaftliche und soziale Stellung verweisenden Handlungen, Materialien und
Texte einbezogen werden.»
76
Ibid.
77
Die Anachronismen dieses Modells lägen darin, dass ihm doch die moderne Vorstellung eines «Staates» zugrunde liegt, dem eine «Öffentlichkeit» gegenübersteht, die ersterer propagandistisch zu beeinflussen sucht;
beide Konzepte, seien der Antike jedoch fremd gewesen.
78
MEISTER 2012, 197.
75
27
Methodik und Terminologie
Herrscher in unterschiedliche Rollen drängen, sich jedoch andererseits in erster Linie nicht im Herrscher selbst, sondern in dessen Bildern manifestierten: «Die Kaiserbilder waren im ganzen Reich präsent und stellten damit gewissermassen eine Vervielfältigung des kaiserlichen Körpers dar, der sich so
in den unterschiedlichsten Kontexten und Rollen präsentieren und repräsentieren konnte.» 79
In der älteren Forschung war der Begriff des «Herrscherbildes» noch den physischen Porträts eines
Herrschers vorbehalten, d.h. rundplastische Bildnisse, Münzbilder u. ä.. 80 Neuere Beiträge wie der von
Jan Meister legen jedoch eine Ausweitung des Begriffes sowie eine eher kulturgeschichtliche Betrachtung der Herrscher- oder Kaiserbilder nahe. In einem Sammelband von 2018 schlagen Diederik P. Burgersdijk und Alan J. Ross das Konzept einer «shared culture» vor, um der Komplexität der spätantiken
Kaiserbilder in den unterschiedlichen Quellengattungen gerecht zu werden. 81 In der Einführung machen die Herausgeber auf die für die kaiserliche Machterhaltung wichtige Rolle aufmerksam, die dem
Herrscherbild und dessen Ausbreitung in die Peripherien des Reichs, wo der Kaiser selbst oft nicht
anwesend sein kann, zukam. Entgegen der Ansicht früherer Forschung sprechen sie sich, so wie auch
Jan Meister bereits in Bezug auf die Kaiserporträts, gegen die Annahme einer Verbreitung des Herrscherbildes als einfaches «top-down movement» aus – also der Idee, dass das Herrscherbild im Wesentlichen nach der Vorstellung des Kaisers gefertigt und deren Verbreitung zentralistisch koordiniert
sei, und damit einer Form der kaiserlichen Propaganda entspreche. 82 Dagegen halten die Herausgeber
– ähnlich wie bereits Jan Meister – fest, dass das spätantike literarische Kaiserbild nicht vom Kaiser
selbst geformt wird, sondern von einer kompetitiven Gruppe gebildeter Eliten, welche das Kaiserbild
aufnahmen, bearbeiteten und wiedergaben (mit Julian als möglicher Ausnahme). Dies geschehe innerhalb einer grossen Bandbreite verschiedener Genres: Panegyrik, Historiographie, säkulare und geistliche Invektiven. Sender und Empfänger der Herrscherbilder waren Teil einer gemeinsamen «shared
culture», innerhalb derer «image-making» in verschiedenen Richtungen geschieht. Der Kaiser selbst
habe dabei ironischerweise kaum Einfluss auf das Kaiserbild, obwohl er immer wieder als Verkörperung der Kaiserherrschaft dargestellt werde. 83
Mit diesem Ansatz verschreiben sich die Herausgeber einem «representational turn» zu, welcher im
Verlauf der letzten Jahrzehnte an Fahrt aufgenommen habe. Dieser lasse sich auf praktisch alle Arten
von Medien anwenden, also auf materielle sowie literarische «imperial figures». 84 So war die Gattung
79
MEISTER 2012, 200.
Vgl. etwa den RAC-Artikel von ENGEMANN 1988 (s.v. «Herrscherbild»).
81
BURGERSDIJK/ROSS 2018 (Imagining Emperors in the Later Roman Empire).
82
Das alte Bild einer Pyramide, an deren Spitze der Kaiser steht, möchten die Autoren freilich nicht verwerfen.
Jedoch verweisen sie darauf, dass die strukturelle Integrität dieser Pyramide durch jede einzelne Schicht garantiert werde, und nicht allein durch die Spitze vorgegeben sei (BURGERSDIJK/ROSS 2018 (Introduction), 1 f.).
83
Ibid., 2. Die Empfänger werden indes als «subordinate on any level within the elite» konkretisiert, also unter
Ausschluss der einfachen Bevölkerung.
84
Ibid., 8.
80
28
Methodik und Terminologie
der Geschichtsschreibung genauso damit beschäftigt, ein nuanciertes Bild vergangener Kaiser zu entwerfen, entweder um sie zu verurteilen, zu rehabilitieren oder bestehende Bilder derselben Subjekte
neu zu gestalten, wie die Panegyrik. Letztere hingegen war eindeutig dazu bestimmt, ein klar positives
Bild des aktuellen Kaisers zu präsentieren. Gleichzeitig diente die Panegyrik aber auch dazu, ehemalige
Kaiser, die dem angesprochenen Kaiser oder gar dem Redner nicht gefielen, zu verurteilen. Die lange
vorherrschende Sichtweise der Forschung habe in der Panegyrik in erster Linie kaiserliche Propaganda
gesehen (eine Sichtweise, die nach den Herausgebern momentan dank intensiver Erforschung von politischer Kommunikation wieder Aufwind erhalte). Demgegenüber betonten neuere Ansätze, dass der
Panegyriker durchaus eine eigene Agenda durchblicken lässt und damit eine Rolle als Erzieher wahrnimmt, indem er als Vertreter bestimmter Gruppen dem Kaiser deren Weltsicht empfiehlt. 85 Neben
Historiographie und Panegyrik integrieren die Herausgeber aber auch Gesetzgebung, Numismatik und
schliesslich archäologisches Material in das Spektrum der «shared culture».
Der Ansatz hat einiges für sich, denn er löst das Problem der ansonsten unvereinbaren Quellengattungen, die sich auf so vielfältige Weise mit dem Bild des Kaisers befassen, indem er den Dialog der verschiedenen Genres in den Fokus bringt. Dadurch werden etwa die unterschiedlichen Kaiserbilder in
Historiographie und Panegyrik komplementär: Ein bekannter Topos der spätantiken Historiographie
besagt, dass diese sich ausschliesslich mit Kaisern der Vergangenheit beschäftigt. Die aktuelle Herrschaft sei stattdessen Gegenstand der Panegyrik. Historiker endeten ihre Geschichtswerke normalerweise mit den aktuell regierenden Kaisern und dem Verweis, dass über alles Weitere zu berichten andere zuständig wären, und dies zudem in einem «erhabeneren Stil» geschehen müsse. 86 Indem sie
nahelegen, dass sie nicht weitergehen können, übergeben sie in gewissem Sinne das Thema der aktuellen Regierung an den Panegyriker. Auf diese Weise wird suggeriert, dass die Panegyrik eine Gattung
ist, die im Anschluss an die Geschichte gelesen werden sollte, die beiden Genres also zeitlich komplementär sind. 87
85
BURGERSDIJK/ROSS 2018, 8. Anders hingegen die Sicht von PFEILSCHIFTER 2013, 99, der die Panegyrici latini des 4.
Jahrhunderts als reine Selbstauffassung und offizielle Aussendarstellung des Kaisers betrachtet: Abgesehen davon, dass es immer eine «dumme Idee» gewesen sei, öffentlich den regierenden Kaiser zu kritisieren, seien die
Panegyrici ohnehin meist vom Hof für bestimmte Anlässe bestellt gewesen, oder der Redner habe versucht, sich
den Kaiser geneigt zu machen, entweder für sein eigenes Fortkommen oder im Dienst anderer, etwa seiner Gemeinde. Diese Überlegungen haben ihre Berechtigung, sprechen jedoch den Panegyrikern zu wenig eigenen
Handlungsspielraum zu. Sicher lässt sich behaupten, dass Lobreden gegenüber dem Kaiser ein Balanceakt zwischen Lobpreisung und der vorsichtigen Formulierung von Ansprüchen waren.
86
Eutrop. 10,18,3: nam reliqua stilo maiore dicenda sunt; Amm. 31,16,9: ad maiores moneo stilos. Bei Ammian
wird zuweilen darauf hingewiesen, dass er sich mit seiner Formulierung möglicherweise an Eutropius anlehnt.
Etwas aus dem Rahmen fällt Aur. Vict. Caes. 42,20-25, der den aktuell regierenden Constantius II. noch einer
kritischen Überprüfung seiner Vorzüge und Nachteile unterzieht.
87
BURGERSDIJK/ROSS 2018, 12–15, speziell 13. Das bei Ammian durchscheinende «literarische Gesetz», dass die
Gegenwart nur in panegyrischer Form geschildert werden dürfe, erkannte bereits STRAUB 1964 (Vom
Herrscherideal in der Spätantike [1939]), 153.
29
Methodik und Terminologie
Die in diesem Kapitel vorgestellten verschiedenen Konzepte, die in den letzten Jahren zur Erfassung
der Darstellung und Vermittlung der kaiserlichen Herrschaft in Bild und Text vorgeschlagen wurden –
«shared cultural image», Kaiser- oder Herrscherbild, kaiserliche Repräsentation – sind sich im Grundsatz sehr ähnlich: Der Fokus liegt einerseits auf der Entstehung von Kaiserbildern im Zuge einer dialogartigen Interaktion zwischen Herrscher und Beherrschten, die sich in verschiedenen Gruppen mit unterschiedlichen Erwartungshaltungen formieren, welche wiederum vom Kaiser antizipiert werden. Andererseits wird die zur Erfassung dieser Kaiserbilder notwendige Miteinbeziehung aller verfügbaren
Quellengattungen betont. Um den vorgestellten methodischen Überlegungen gerecht zu werden, soll
im Folgenden der Begriff «Kaiserbild» also für jene Repräsentation der kaiserlichen Herrschaft in literarischer, numismatischer und archäologischer Form stehen, die durch verschiedenste Akteure dialogartig formuliert wird. 88 Das Kaiserbild besteht in diesem Sinne aus einem Konglomerat aus verschiedensten Erwartungshaltungen, die von unterschiedlichsten Akteuren und Gruppen an den Kaiser
herangetragen werden, welcher diese in eine adäquate Repräsentation der kaiserlichen Herrschaft
umzusetzen versucht. Dieser Dialog spiegelt sich über die verschiedenen Quellengattungen hinweg,
kann sich aber auch in einzelnen Quellen niederschlagen und im besten Falle von Historiker*innen
erkannt und ausgewertet werden. Dies bedeutet nicht, dass der Kaiser nicht versuchen konnte, die
Meinungsbildung spezifischer Gruppen zu seinen Gunsten zu beeinflussen oder neue Akzente in der
Darstellung der kaiserlichen Herrschaft zu setzen. Jedoch war diese versuchte Beeinflussung kein einfaches «top-down movement», sondern konnte nur in Antizipation der Reaktionen dieser Gruppen
geschehen. Allzu experimentierfreudige Abweichungen von den Erwartungen der Bevölkerungen können in diesem Sinne auch scheitern, indem bestimmte Gruppen ihre Akzeptanz ganz oder teilweise
entziehen können.
Der Begriff «Kaiserbild» dient also dazu, nachzuzeichnen, wie sich der kaiserliche Habitus in den diversen Quellengattungen eingeschrieben hat. Zugleich kann untersucht werden, wie verschiedene Ausprägungen des kaiserlichen Habitus tradiert wurden, sich mit der Zeit wandelten oder neu bewertet
und interpretiert wurden. Materielle und literarische Quellen sollen demnach im Verbund betrachtet
werden. Um dennoch eine gewisse Struktur und Übersichtlichkeit der Untersuchung zu gewährleisten,
werden im Folgenden jedoch die verschiedenen Quellengattungen dennoch vorerst voneinander getrennt betrachtet; anschliessend werden sie aber im letzten Teil zu einem Gesamtbild kombiniert. 89
88
Die Festlegung auf «Kaiserbild» ist der pragmatische Versuch zur Wahrung von Einheitlichkeit. Der in seiner
Bedeutung hier skizzierte Begriff «Kaiserbild» wird daher synonym zu «Herrscherbild» verwendet. Dies ergibt
sich im Kontext des römischen Kaisertums zwangsläufig, da der Herrscher immer der Kaiser ist. Werden im Folgenden Begriffe wie «Herrscherbild», «kaiserliche Repräsentation» o.ä. benutzt, handelt es sich dabei um Verweise auf die im entsprechenden Kontext zitierte Fachliteratur. Der Begriff «Porträt» behalte ich aber der Präzisierung halber lediglich materiellen Kaiserbildern vor (rundplastische Statuen, Reliefs, Münzbilder etc.).
89
Dies entspricht im Übrigen auch der Empfehlung von Weber und Zimmermann für das Vorgehen bei der Erschliessung der herrscherlichen Repräsentation.
30
II. Julians Philosophen-Herrscherkörper
Julian blieb der Nachwelt als ein Philosophenkaiser in Erinnerung; dieses Signum hängt ihm auch in der
modernen Forschung zuweilen noch an. 90 Sein reicher Fundus an philosophischen Schriften ist als umfangreiches Selbstzeugnis eines römischen Kaisers einzigartig und überragt in dieser Hinsicht das Werk
Mark Aurels. Sein Œuvre, in welchen er sein distinktiv neuplatonisches Weltbild vermittelt, umfasst
verschiedenste Gattungen: Panegyriken, Streitschriften, Satiren und religiöse Lobeshymnen an Götter.
Ein Leitmotiv von Julians umfangreichem Gesamtwerk ist sein ständiges Bestreben, den Titel eines Philosophen zu tragen, oder zumindest eines Adepten der Philosophie, als idealer Schüler des «göttlichen» Jamblichos. 91 Auch Julians Kosmologie und Anthropologie erstreckt sich über seine verschiedenen Schriften hinweg. Sein besonderes Interesse scheint dem Grenzbereich zwischen dem unwandelbaren geistigen und dem veränderlichen materiellen Kosmos gegolten zu haben. Dabei lässt sich der
Versuch erkennen, die bei der Entstehung der sinnlich wahrnehmbaren Körper wirkenden demiurgischen Kräfte möglichst Präzise zu erfassen und zu beschreiben. 92 Als das Werk eines selbsternannten
und zumindest teilweise von seinen Zeitgenossen anerkannten Philosophenherrschers, ist es natürlich
unumgänglich, dieses in einer Arbeit über Julians Körperkonzeption miteinzubeziehen und zu fragen,
was der Körper in Julians philosophischen Schriften für eine Rolle spielt.
Im Folgenden soll versucht werden, Julians spezifische Konzeptionen zur Bedeutung des Körpers für
den Menschen, und speziell für den Herrscher, aus seinen philosophischen Schriften herauszudestillieren. 93 Dabei wird im Einzelnen auf eine genaue Nachzeichnung der einzelnen Lehren innerhalb der
neuplatonischen Tradition verzichtet. Dies hat zwei Gründe: Einerseits scheint es so, dass sich Julian
ziemlich beliebig beim verfügbaren Spektrum neuplatonischer Autoren bediente und sich daraus eine
– über seine Schriften hinweg nicht immer einheitliche – Seelenlehre «zusammenbastelte», die in den
einzelnen Texten meistens einem bestimmten Ziel dient. Das Zurückführen einzelner Aussagen auf bestimmte Schulen wäre deshalb auch im Kontext dieser Arbeit ein unnötiger Aufwand. Da es darüber
hinaus in diesem Kapitel ausschliesslich um Julians persönliche Körperkonzeptionen gehen soll, dürfte
es vertretbar sein, sein Gesamtwerk in einer gewissen Isolation zu betrachten. Schliesslich kann Kaiser
90
Vgl. REBENICH/WIEMER 2020 (Introduction: Approaching Julian), 1: «a philosopher in an emperor’s garb».
91
DE VITA 2011 (Giuliano imperatore filosofo neoplatonico), 13.
92
RIEDWEG 2018 (§ 119. Kaiser Julian), 1401.
Ziel dieses Kapitels ist es dezidiert nicht, Julians komplexe religiöse Vorstellungswelt in ihrer Ganzheit nachzuzeichnen; die folgenden Darstellungen sind daher stark vereinfachend und beanspruchen auf keinen Fall Vollständigkeit oder das Ziel eines tieferen Verständnisses von Julians Religion. Auch die Kontextualisierung in das
zeitgenössische neuplatonische Gedankengut muss oberflächlich und rudimentär bleiben. Für eine vertiefte Beschäftigung mit Julians neuplatonischer Welt verweise ich an entsprechenden Stellen auf die relevante Literatur;
als Grundlage zu einem vertieften Verständnis und einer Einordnung von Julian in die zeitgenössische philosophische Tradition sei grundsätzlich auf die Arbeit von Maria Carmen de Vita verwiesen.
93
31
Julians Philosophen-Herrscherkörper
Julian durchaus auch als selbstständige Autorität in dem weiten Feld des Neuplatonismus betrachtet
werden.
Im Fokus stehen im Folgenden Julians religiöse Götterhymnen (Hymne an die Göttermutter = or. 8 und
Hymne an König Helios = or. 11), seine Streitreden gegen die Kyniker (Gegen Herakleios = or. 7 und
Gegen die ungebildeten Hunde = or. 9), Julians Briefwechsel mit dem Philosophen Themistios (Brief an
Themistios = or. 6) und sein Brief an den Priester Theodoros (ep. 89a/b). Für die Besprechung von
Julians Vor- und Gegenbilder wird zudem seine Satire Symposion/Caesares (or. 10) zentral sein. Bewusst ausgelassen wird hingegen noch Julians wohl berühmteste Schrift, der Misopogon (or. 12), da
es sich dabei nicht um eine systematische religiös-philosophische Abhandlung handelt und sie im dritten Teil dieser Arbeit eine gesonderte Behandlung erfährt.
«Eine Doppelnatur voll Widerstreit»: Körper und Seele in Julians Neuplatonismus
Untersucht man Julians Schriften hinsichtlich körperbezogener Aspekte, fällt der erste Eindruck eher
ernüchternd aus. Julian interessierte sich kaum für den Körper als solchen, oder anders ausgedrückt:
nur indirekt. Der menschliche Körper nimmt in seinen Schriften eine zwar durchaus prominente Rolle
ein, jedoch dient er meistens nur als Negativfolie zur göttlichen Seele. Julians Körperkonzeption kann
dementsprechend auch nur hinsichtlich seiner Vorstellungen zur menschlichen Körper-Seele-Dialektik
erörtert werden. Hinweise zu Julians Vorstellungen über das Verhältnis von Seele und Körper sind denn
auch zahlreich und über sein ganzes Werk verstreut; eine einheitliche Reflexion über die Natur der
Seele fehlt in den Schriften des Kaisers. Es scheint so, als ob sich Julian auf einige wenige, für ihn interessante Vorlagen verliess und eine mehr oder weniger gezielte Auswahl innerhalb der nachplotinischen Seelenlehre traf. 94
So finden sich auch in Julians Schriften Bezüge zum Körper fast ausschliesslich im Zusammenhang mit
seiner Seelen-Konzeption, welche wiederum nur im Kontext seiner umfangreichen und komplexen
neuplatonischen Kosmologie verstanden werden kann. Innerhalb der zeitgenössischen neuplatonischen Schulen gab es Divergenzen bezüglich der Seelenlehre, die unter anderem die Frage der Anzahl
der Seelen, ihre mögliche Unterscheidung in verschiedene Klassen und die Unterscheidung zwischen
menschlichen, tierischen und pflanzlichen Seelen betrafen. Julian wird diese Kontroversen mitbekommen haben, denn er reflektiert verschiedene Vorstellungen, ohne sich ausdrücklich für eine zu entscheiden. 95
94
DE VITA 2011, 202.
95
Dafür mag es mehrere Gründe geben. Vorstellbar ist etwa, dass Julian den Unterschied zwischen den verschiedenen Doktrinen zu mildern versucht, indem er sie als «Varianten» der neuplatonischen Seelenlehre nebeneinanderstellt. Zum Streit über die Natur der Seele innerhalb der neuplatonischen Schule vgl. DE VITA 2011, 207 ff.;
zum Streit zwischen der Schule Plotins und des Jamblichos um die Vorstellungen des «Herabsteigens» der Seelen
in die Körper, siehe 213.
32
Julians Philosophen-Herrscherkörper
Die unterschiedlichen neuplatonischen Lehren vereinte eine monistische Welterklärung mit einem ersten Prinzip des absoluten Einen, das oft mit Platons Idee des Guten gleichgesetzt wurde. Das von Plotin
begründete Modell, an welchem sich Julian dabei orientiert, weist im Kern die klassischen neuplatonischen Lehren auf: Ein mehrstufiges Derivationsmodell des Kosmos, beginnend mit dem ersten Prinzip
des «Einen» (τὸ ἕν), aus welchem sich stufenweise der «Geist» oder «Intellekt» (νοῦς) und die «Seele»
(ψυχή) ergibt, welche schliesslich die sinnlich wahrnehmbare Welt konstituiert. 96 Das Urprinzip wird
zumeist in Form einer negativen Theologie ausgedrückt, da es gedanklich und sprachlich nicht fassbar
ist. Platons Ideenlehre wird in dem Sinne adaptiert, dass der νοῦς alle Gegenstände und Eigenschaften
der sichtbaren Welt als Prototypen enthält. Für das Individuum zentral ist eine Ethik des intellektuellen
Aufstiegs der Seele durch Techniken wie Selbsterkenntnis und der Ablehnung von allem dazu überflüssigen, als eine Art Ähnlichwerdung mit Gott. Im späteren Neuplatonismus mit Porphyrios und
Jamblichos wurden Elemente der traditionellen paganen Religion, vor allem Elemente aus dem Epos
und Mythos sowie Mysterienreligionen in das System inkorporiert. Eine besondere Rolle kam ebenfalls
der Theurgie als Methode für die «Rückkehr» der Seele zu. 97
Julian knüpft mit seiner komplexen Kosmologie, die Helios als die oberste (und letztlich einzige) Gottheit ins Zentrum der Welt stellt, an gängige neuplatonische Vorstellungen an. Die Welt und alle Lebewesen sind, in einem vielschichtig abgestuften System, Emanationsformen von Helios, der selbst auch
nur als Verkörperung des obersten, unnennbaren Prinzips gilt. 98 In der Beschreibung dieser Kosmologie bedient sich Julian einer typisch neuplatonischen Lichtmetaphorik, um die Authentizität seiner
Überlegungen zu beweisen. Besonders deutlich kommt dies in seiner Hymne an König Helios (oratio
11) zur Geltung. 99 In der Schrift unternimmt Julian den Versuch, vom «sichtbaren» auf das «unsichtbare» zu schliessen: Das Licht als unkörperliche Emanation der Sonne lasse darauf schliessen, dass die
Sonne als Quelle des Lichtes ebenfalls unkörperlich sein muss. Als «unbefleckte Kraftäusserung des
Geistes» erfüllt die Sonne damit als Mittelpunkt des Himmels die ganze Welt mit dieser geistigen
Kraft. 100 Die Sonne spiegelt damit die Rolle des Schöpfergottes Helios wieder, der sein Licht im gesam-
96
Das System ist zuweilen auch unter dem Begriff «Emanationsmodell» bekannt. Obwohl dieser umstritten ist,
kann er jedoch eine gewisse Vorstellung von der komplexen Funktionsweise des Systems vermitteln.
97
Vgl. HORN 2018 (§ 112. Überblick), 1249–51.
98
Eine zum besseren Verständnis sehr hilfreiche graphische Übersicht von Julians Kosmologie, mit den jeweiligen
Sphären und den darin wirkenden Kräften und Gottheiten, findet sich in der deutschen Edition von ASMUS 1908
(Kaiser Julians philosophische Werke), 177.
99
Fast schon märchenhaft mutet Julians verträumte Erinnerung an seine Kindheit zu Beginn der Rede an: Er sei
schon seit seiner frühesten Jugend durch das ätherische Licht des Mondes fasziniert gewesen, den er in wolkenlosen Nächten im Freien beobachtete: «Das himmlische Licht umstrahlte mich überall, es weckte mich und regte
mich zum Schauen an.» (Τοῦ δὲ ὅτι με τὸ οὐράνιον πάντη περιήστραπτε φῶς ἤγειρέ τε καὶ παρώξυνεν ἐπὶ τὴν
θέαν). Als er später seinen ersten Bart bekam, habe er schon als ausgemachter Sternseher gegolten: Iul. or. 11
(in Sol.), 131 A.
100
Iul. or. 11 (in Sol.), 133 D–134 B.
33
Julians Philosophen-Herrscherkörper
ten Universum verbreitet und somit den intellektuellen (d.h. denkenden) Gottheiten die Kraft zukommen lässt, die letztlich auch das Eine, als die oberste Idee des Guten (dessen Spross Helios ist), den
intelligiblen (d.h. bloss denkbaren) Göttern oder Substanzen zukommen lässt. 101 Diese göttliche Kraft
dringt auch bis in die Welt des Werdens hinein, d.h. die Erde mit ihren menschlichen und tierischen
Bewohnern, die von allen Sphären am weitesten von dem einen Urprinzip des Guten entfernt ist. 102
Die Seele der Menschen ist dabei als Manifestation dieses göttlichen Lichts ebenfalls auf das Gute ausgerichtet. Das göttliche Licht dient dabei den Seelen als Fahrzeug für den Abstieg in die Schöpfung und
verbindet sie zugleich ständig mit der Gottheit. 103 Doch zugleich ist die Seele der nicht-göttlichen, materiellen Welt ausgesetzt. In dem komplexen System ist das Verhältnis von Körper und Seele in erster
Linie von Gegensätzlichkeit und Konflikten geprägt:
«Denn seine [des Menschen] Natur ist eine Doppelnatur voll Widerstreit, nämlich ein Gemisch
von Seele und Körper, wovon jene göttlich, dieser aber dunkel und finster ist. Es scheint daher
ein Kampf und ein Zwiespalt in ihr obzuwalten. Wegen dieser Eigenart stimmen ja auch nach
der Behauptung des Aristoteles weder unsere Freuden, noch unsere Leiden miteinander überein. Denn was der einen von den beiden in unserer Brust wohnenden Naturen angenehm ist,
das ist der ihr entgegengesetzten schmerzhaft.» 104
Diese «Doppelnatur» des Menschen ist ein durchgängiger Topos in Julians Schriften. Die Idee einer
zum Göttlichen strebenden Seele und eines an die materielle Welt gebundenen Körpers war fest im
zeitgenössischen neuplatonischen Diskurs verankert und findet sich bei verschiedensten Autoren wieder. Für Julian war die Existenz jedes Menschen durch einen inneren Konflikt geprägt, der grosses –
101
Iul. or. 11 (in Sol.), 133 A–B.
Iul. or. 11 (in Sol.), 141 D–142 B. Vgl. auch Iul. or. 9 (c. Cyn.), 182 C–D, wo Julian das Geschenk des Prometheus
an die Menschheit in Form eines Feuerstrahls erwähnt, worunter nichts anderes zu verstehen sei als die Verteilung der Vernunft. Die Kraft des Prometheus sei zwar über alle Lebewesen gleichsam verteilt worden, doch nur
der Mensch sei im Gegensatz zu den Pflanzen und Tieren fähig gewesen, neben der reinen Existenz und Beseeltheit auch mit einer vernünftigen Seele ausgestattet zu werden.
103
Iul. or. 11 (in Sol.), 152 A–B. Wie de Vita bemerkt, verweist das von Julian verwendete Vokabular auf das
kulturelle Milieu der pneumatischen Schule; jedoch nicht nur in seiner ursprünglichen medizinisch-wissenschaftlichen Bedeutung des Begriffs, sondern auch in einer philosophisch-theurgischen Bedeutung, die in den neuplatonischen Schulen weiter verbreitet war. Nach dieser zweiten Bedeutung, die von den chaldäischen Orakeln vermittelt wurde, bezeichnet der Begriff πνεῦμα (mit dem eng verwandten ὄχεμα) nicht mehr den Lebensatem des
Menschen, sondern eine Hülle oder ein Vehikel der Seele: Ein ätherischer oder leuchtender Körper, mit dem sie
während des Abstiegs in die Sinneswelt bedeckt ist und auf den die wohltuenden Wirkungen der theurgischen
Praktiken ausgeübt werden. Vgl. DE VITA 2011, 217–23, insb. 218 f.
104
Iul. or. 11 (in Sol.), 142 D (Übers. Asmus): Ταῦτα μὲν οὖν περὶ τὸν ἄνθρωπον οὐχ ὧδε ἔχει· διττὴ γάρ ἐστι
μαχομένη φύσις εἰς ἓν κεκραμένη, ψυχῆς καὶ σώματος, τῆς μὲν θείας, τοῦ δὲ σκοτεινοῦ τε καὶ ζοφώδους, ἔοικέ
τε εἶναι μάχη τις καὶ στάσις. Ἐπεὶ καὶ Ἀριστοτέλης φησὶ διὰ τὸ τοιοῦτο μηδὲ τὰς ἡδονὰς ὁμολογεῖν μηδὲ τὰς
λύπας ἀλλήλαις | ἐν ἡμῖν· τὸ γὰρ θατέρᾳ, φησί, τῶν ἐν ἡμῖν φύσεων ἡδὺ τῇ πρὸς ταύτην ἀντικειμένῃ πέφυκεν
ἀλγεινόν.
102
34
Julians Philosophen-Herrscherkörper
seelisches und körperliches – Leid verursacht. 105 Die Rolle des Körpers ist daher grundsätzlich negativ
behaftet. Hinweise dafür finden sich in seinen Schriften zuhauf, und es wäre eine müssige Aufgabe, sie
in ihrer Gesamtheit aufzuzählen.
Jedoch zeigt sich in der Art und Weise, wie Julian die Beziehung von Körper und Seele in seinen Schriften umschreibt, eine gewisse Ambivalenz. Diese ist eine mögliche Folge der divergierenden neuplatonischen Lehren, deren sich Julian bedient. So lassen sich in seinem Werk durchaus auch Passagen ausmachen, die eine eher körperfreundliche Ansicht vermitteln.
Ein solches Beispiel bildet Julians Hymne an die Göttermutter, die Julian zum Anlass des GöttermutterFestes zwischen dem 21. und 27. März 362 wohl in einer Nacht verfasst hat. 106 Sie ist im Wesentlichen
eine neuplatonische Interpretation des Attis-Mythos, der von der Göttermutter Kybele geliebt wird.
Der Mythos wird von Julian erklärt als Allegorie für die kreative Intelligenz, die in einem ständigen
Prozess von der transzendenten Welt in die materielle hinabsteigt und wieder zurückgeführt wird. Die
in der Hymne an König Helios im Wesentlichen negative Vorstellung einer Seele, die in ihrer vollen
Entfaltung durch den Körper behindert wird, wird in der Hymne an die Göttermutter durch eine «friedlichere» Vision eines organischen Ganzen ausgeglichen, das ein menschliches Individuum ausmacht.
Hier beschreibt Julian, wie das Seelenheil letzten Endes auch für den Körper vorteilhaft ist:
«Wenn sich nämlich die Seele vollständig den Göttern hingibt und alles, was sie angeht, den
höheren Gewalten anheimstellt, und wenn dann die frommen Übungen sich hieran anschliessen und die göttliche Satzungen diesen den Weg weisen, so dass fürderhin nichts Hemmendes
und Hinderndes mehr vorhanden ist […], dann erstrahlt in ihnen (den Seelen) auf einmal das
göttliche Licht, und vergöttlicht verleihen sie dann dem ihnen von Natur angeborenen Lebenshauch eine gewisse Spannkraft, und eben diese wird von ihnen gewissermassen gestärkt und
gekräftigt und so dem ganzen Körper förderlich.» 107
In diesem Sinne seien auch beinahe alle Krankheiten des Körpers auf seelische Ursachen zurückzuführen. Übungen zur Reinhaltung der Seele haben somit einen indirekten, aber nachhaltigen positiven
Einfluss auf die körperliche Verfassung. Interessanterweise sind es jedoch meistens gerade gewisse
105
Vgl. auch die «Mittelstellung» des Menschen zwischen göttlich und sterblich: Iul. or. 9 (c. Cyn.), 184 A. Maria
De Vita macht in der Dualität zwischen Körper und Seele und der von Julian konzipierten Negativität alles Körperlichen neben den neuplatonischen auch zusätzliche Einflüsse aus der chaldäischen und hermetischen Tradition aus, die ganz von der Bösartigkeit der Materie beherrscht wird; siehe DE VITA 2011, 210.
106
Lib. or. 18, 157; Iul. or. 8 (in Matr. Deor.), 178 D bezeugt, dass er die Schrift spontan in einer Nacht verfasst
hatte.
107
Iul. or. 8 (in Matr. Deor.), 178 B–C (Übers. Asmus): Ὅταν γὰρ ἡ ψυχὴ πᾶσαν ἑαυτὴν δῷ τοῖς θεοῖς, ὅλα τὰ καθ’
ἑαυτὴν ἐπιτρέψασα τοῖς κρείττοσιν, ἑπομένης, οἶμαι, τῆς ἁγιστείας καὶ πρό γε ταύτης τῶν θείων θεσμῶν
ἡγουμένων, ὄντος οὐδενὸς λοιπὸν τοῦ ἀπείργοντος καὶ ἐμποδίζοντος […] πάντα γάρ ἐστιν ἐν τοῖς θεοῖς καὶ
πάντα περὶ αὐτοὺς ὑφέστηκε καὶ πάντα τῶν θεῶν ἐστι πλήρη –, αὐτίκα μὲν αὐταῖς ἐλλάμπει τὸ θεῖον φῶς,
θεωθεῖσαι δὲ αὗται τόνον τινὰ καὶ ῥώμην | ἐπιτιθέασι τῷ συμφύτῳ πνεύματι, τοῦτο δὲ ὑπ’ αὐτῶν στομούμενον
ὥσπερ καὶ κρατυνόμενον σωτηρίας ἐστὶν αἴτιον ὅλῳ τῷ σώματι.
35
Julians Philosophen-Herrscherkörper
körperliche Verzichtübungen, die zu ebenjener Reinigung der Seele beitragen sollen. Ganz zentral stellt
Julian dabei gewisse Diätvorschriften in Form von Speise-Verboten und -Geboten ins Zentrum, deren
detaillierte Ausführung einen grossen Teil der Hymne ausmachen, wo sie quasi als praktische Empfehlungen den komplizierten theoretischen Ausführungen zum Wesen der Göttermutter angehängt
sind. 108 Die Erklärung für die individuellen Vorschriften ist relativ simpel: Verzichten solle man auf alle
Dinge, die in der Erde wachsen (Rüben, Samen, etc.; eine Ausnahme bilden Granatäpfel, die ebenfalls
verboten sind), da die Erde unrein ist. 109 Erlaubt sind Hingegen alle Nahrungsmittel, die – wie die Seele
es tut – «nach der Sonne streben» (Früchte, Kräuter etc.). Verboten ist auch Fisch, weil man Fische
auch nicht den Göttern opfert, da man sie nicht züchtet und pflegt wie Nutztiere; aber auch, weil sie
Tiere der Tiefe sind (und damit weit entfernt von der göttlichen Sonne). Essen soll man auch kein
Schwein, weil auch dieses Tier «irdisch» ist. Andere Dinge dürfe man nicht essen, da sie heilig sind
(Äpfel, einige Vögel). 110
Die Passage ist Teil des vorletzten Abschnitts der Hymne an die Göttermutter über die korrekte Art der
Sühnung und wurde im Hinblick auf eine Rekonstruktion von Julians medizinischen Kenntnissen weithin untersucht; um die therapeutische Wirksamkeit der mit dem Attis-Kult verbundenen Diätvorschriften zu rechtfertigen, wird die gleiche Heilung des Körpers von mehr oder weniger schweren Krankheiten als Folge der Bekehrung der Seele zum Göttlichen dargestellt. 111 Solche Diätvorschriften sind in der
neuplatonischen Philosophie durchaus gängig; 112 man bediente sich auch bereits medizinischer Begriffe, um die Legitimität ihrer Diätbeschränkungen, insbesondere der Fleischabstinenz, zu demonstrieren. Bei keinem der vorangegangenen Philosophen findet sich jedoch eine ähnliche Beschreibung
der psychischen und physiologischen Prozesse, welche die therapeutische Wirksamkeit des Ritus bestimmen. Ein besonders interessantes Element bei Julian ist in diesem Zusammenhang auch durch die
Erwähnung des sogenannten «Pneuma», oder des vitalen Atems gegeben, der von Julian als eine Art
Zwischenorgan oder Stütze der Seele dargestellt wird, die es ihr erlaubt, mit dem Körper zu kommunizieren und ihm wohltuende Einflüsse zu übertragen: Ein Konzept, das zur Zeit des Kaisers bereits eine
108
Speise-Verbote: Iul. or. 8 (in Matr. Deor.), 173 D–177 D; Speise-Gebote: 177 D–178 D.
Das Verbot von Granatäpfeln wird damit zusammenhängen, dass die Frucht in der Antike allgemein als Fruchtbarkeitssymbol gesehen wurde.
110
Dass diese Ernährungsgebote auch den Zeitgenossen zuweilen seltsam vorkamen, belegt Julian selbst. So
nennt er Spottreden der «Irrgläubigen», die offenbar in Umlauf waren: «Die Schösslinge der Kräuter, sagen sie,
isst man, wogegen man jedoch die Wurzelgewächse, z.B. Rüben, meidet. So isst man, sagen sie, Feigen, nicht
aber zugleich auch Granatäpfel und andere Äpfel.» (Iul. or. 8 (in Matr. Deor.), 174 B (Übers. Asmus)). Er selbst
habe solche Spottreden in seiner Jugend im Munde geführt.
111
DE VITA 2011, 218 Für Julians positives Verhältnis zur Medizin sprechen u.a. seine enge Beziehung zu seinem
Leibarzt Oreibasios. Siehe auch Julians Ärzte-Gesetz (Iul. epist. 56, 398 B), in welchem er seine positive Haltung
gegenüber der Medizin ausdrückt.
112
Nach BROWNING 1975 (The Emperor Julian), 143, würden Julian und andere Neuplatoniker verschiedene Ernährungsgebote aus unterschiedlichen Kulten zusammenführen und vereinheitlichen, um damit bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen und eine Einheit unter den neuplatonischen Heiden zu schaffen.
109
36
Julians Philosophen-Herrscherkörper
lange Tradition biologischer, medizinischer, philosophischer und religiöser Studien aufweisen
konnte. 113
In eine ähnliche Richtung gehen Julians Überlegungen zur Bedeutung des Körpers als Besitz und Instrument der Seele. Diese Gedanken formuliert er besonders prägnant in zwei Reden, die eine kritische
Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Kynismus darstellen: Die Rede Gegen den Kyniker Herakleios (über die Frage, wie ein Hund leben solle, und ob es ihm anstehe, Mythen zu dichten) sowie die
Rede Gegen die ungebildeten Hunde, die er in kurzem Abstand im Jahr 362 in Konstantinopel hielt. 114
Die Rede gegen Herakleios war Julians Reaktion auf eine Rede des Kynikers Herakleios, zu der Julian
eingeladen worden war und die ihn tief enttäuscht hatte. 115 Darin entwirft er einen faszinierenden
Muster-Mythos, der einem solchen in Julians Augen misslungenen Versuch des Herakleios entgegengesetzt wird. In diesem nimmt Julian zwar Attribute des traditionellen Kaiserbilds auf, etwa die Menschenliebe (φιλανθρωπία) des Kaisers und seine Sonderstellung in der Politik des Imperiums, aber
diese werden zurückgebunden an eine neuplatonische Anthropologie und Theologie. 116 Die Rede Gegen die ungebildeten Hunde reagierte ebenfalls auf einen heute unbekannten ägyptischen Kyniker, der
Julian als «gekrönten Diogenes» persiflierte, wie sich aus Julians Antwort rekonstruieren lässt. Diesem
wollte Julian beweisen, dass Diogenes ebenso göttlich inspiriert gewesen sei, wie er selbst. Die beiden
Reden wurden von Julian vermutlich in halböffentlicher Atmosphäre gehalten und werden häufig als
typisches Beispiel für Julians Vernachlässigung des normalen kaiserlichen Protokolls gesehen, was von
einigen Zeitgenossen nicht gutgeheissen wurde. 117
Julians Verhältnis zum Kynismus war ein schwieriges: Einerseits sprach sich Julian explizit für eine Vereinheitlichung der verschiedenen Strömungen der Philosophie aus – so, wie es nur eine Wahrheit gebe,
gebe es auch nur eine Philosophie. 118 Andererseits hatte er für die in seinen Augen blasphemischen
Äusserungen der zeitgenössischen Kyniker wenig Verständnis. 119 In der ersten der beiden Reden kritisiert Julian unter anderem die philosophischen Auffassungen des (Pseudo-)Kynikers Herakleios. Dabei
113
Vgl. Anm. 103.
Lib. or. 17, 16.
115
Eun. frg. hist. 25,3. Eunapios nennt für beide Reden den Kyniker Herakleios als Adressat, was aber eher unwahrscheinlich ist; vgl. NESSELRATH 2020 (Julian’s Philosophical Writings), 47.
116
SCHRAMM 2013 (Freundschaft im Neuplatonismus), 345.
117
Vgl. BROWNING 1975, 141.
118
Vgl. Iul. or. 9 (c. Cyn.), 184 C: Man solle die Philosophie nicht in viele Stücke zerreissen oder Teile zerschneiden
oder aus der einzigen Philosophie viele Philosophien machen wollen. Die Selbsterkenntnis, die von den Göttern
vorgelebt wird, ist dabei in jedem Fall das höchste anzustrebende Gut; siehe Iul. or. 9 (c. Cyn.), 184 B–C. Diese
besteht nach Julian im Wesentlichen in der Erkenntnis, dass der Mensch nicht nur aus einem Körper, sondern
auch einer Seele besteht (die einen Körper zur Verfügung hat), deren Fähigkeiten es im Folgenden zu prüfen
gelte; siehe Iul. or. 9 (c. Cyn.), 183 A–B. Julian ist hier ganz Ausdruck der wachsenden Idee eines «paganen Monotheismus» oder Henotheismus.
119
Vgl. etwa BROWNING 1975, 141: Die Kyniker der Spätantike hätten sich dem allgemeinen Trend der Vereinheitlichung der verschiedenen Schulen widersetzt und stattdessen als «anarchistic drop-outs of ancient society» die
114
37
Julians Philosophen-Herrscherkörper
stellt er eine Untersuchung über die Natur des Kynismus an und entlarvt den zeitgenössischen Kynismus als entartete Form der Philosophie, die in der Gesellschaft lediglich für Unruhe sorgte. 120 Nach
Julian waren die würdigen Kyniker der Vergangenheit wie Krates und Diogenes ganz anders: Sie verehrten die Götter und wandten sich nicht der Mythenbildung zu, um andere Menschen zu belehren. 121
In diesem Zuge entwickelt Julian auch eine Vorstellung davon, wie ein Kyniker auszusehen habe. Er
hebt lange Haare, den Mantel und einen Stab als Erkennungsmerkmale des Kynikers hervor, mit denen
sich Herakleios zu Unrecht schmückt. 122 Julian macht klar, dass dies alles reine Äusserlichkeiten sind
und kritisiert, was er als oberflächlich vorgetäuschte Askese bei seinen kynischen Zeitgenossen ansieht.
Dasselbe Argument findet sich auch in der Rede Gegen die ungebildeten Hunde. 123 Diesem vermeintlich ostentativen asketischen Schwindel stellt Julian das wahre Ideal kynischen Lebens gegenüber. Die
modernen Kyniker wollten einen abgekürzten Weg einschlagen, doch zu wahrer Selbsterkenntnis gelange man nur, wenn man sich nach innen und nach der Gottheit richtet. Ein wahrer Kyniker müsse
dies tun, und zudem bedürfe er einem ganz bestimmten Umgang mit dem Körper:
«Er verschmäht die überflüssigen Speisen, er enthält sich des Liebesgenusses. Fühlt er aber
ein dringendes körperliches Bedürfnis, haftet er nicht sklavisch an der herrschenden Meinung
und wartet nicht erst auf den Koch, auf die Saucen und den Fettdampf und sieht sich auch
nicht lange nach einer Phryne, einer Lais, nach der Frau, dem hübschen Töchterchen oder der
Sklavin des einen oder des andern um. Nein, mit den ihm zufällig zu Gebote stehenden Mitteln
sucht er seine körperlichen Bedürfnisse zu befriedigen und sich dessen, was ihn belästigt zu
entledigen, und dann schaut er von dem Gipfel des Olymp herab auf die andern, ‹die auf der
Ate Flur im Dunkel sich irrend ergehen› und für ganz wenige Genüsse all die Strafen erleiden
müssen, welche die erfinderischen Dichter in ihren Schilderungen an die Ufer des Kokytos und
des Acheron verlegen. Dies ist der kürzeste Weg. Er (der Kyniker) muss eben selbst auf einmal
ganz aus sich selbst heraustreten und erkennen, dass er ein göttliches Wesen ist, und er muss
seinen Geist unangefochten und unentwegt im Reiche der göttlichen, unbefleckten und reinen
Städte unsicher gemacht, indem sie geltende Werte und Institutionen verspotteten; dadurch seien sie gewissermassen ein Sicherheitsventil für die intellektuelle Unzufriedenheit der Zeit gewesen. Ihre destruktive Kritik an
der traditionellen Religion hätte sie zuweilen auch in die Nähe der Christen gebracht, so dass etwa Gregor von
Nazianz einige von ihnen mit Respekt behandelte.
120
Vgl. Iul. or. 7 (c. Heracl.), 224 A–B: Interessanterweise gibt Julian den unruhestiftenden Kynikern den Namen
«Verzichter», was auch der Begriff sei, den die Galiläer (= Christen) für die umherziehenden, bettelnden Asketen
(= Mönche) benutzten.
121
Die Verurteilung des Kynismus bei gleichzeitiger Hochhaltung eines «wahren» Kynismus, der in der Vergangenheit praktiziert wurde, war bereits in der Philosophie der Kaiserzeit nicht unüblich: Epiktet äussert sich, aus
einer stoischen Perspektive, ähnlich.
122
Iul. or. 7 (c. Heracl.), 223 C–D; Iul. or. 7 (c. Heracl.), 225 A. Schlimmer noch: Die Kyniker würden auch weitere
ungebildete Menschen dazu überzeugen, sich mit einem langen Stab, einem Mantel und langem Haupthaar zu
versehen und sich den Untugenden der Ignoranz und Unverschämtheit hinzugeben: Iul. or. 7 (c. Heracl.), 225 B.
123
Iul. or. 9 (c. Cyn.), 200 D–201 A.
38
Julians Philosophen-Herrscherkörper
Gedanken festhalten, um seinen Körper sich gar nicht kümmern, ihn, um mit Heraklit zu reden,
für ‹noch wegwerfenswerter halten als den Mist›, und seine Bedürfnisse mit den am leichtesten zu beschaffenden Mitteln befriedigen, so lange der Gott ihm den Körper wie ein Werkzeug
zu gebrauchen befiehlt.» 124
Was Julian hier für den idealisierten Kyniker der alten Tage beschreibt, entspricht natürlich seinem
eigenen asketischen Ideal, wie er es auch in den Götterhymnen, die er ja in grosser zeitlicher Nähe zu
den Kyniker-Reden verfasst hatte, konstruiert. Dies macht im Zusammenhang mit der Unteilbarkeit
der Philosophie, die er ebenfalls in der Rede Gegen die ungebildeten Hunde formuliert, auch Sinn, denn
die Selbsterkenntnis als höchstes Ziel aller (redlichen) Philosophien könne nur auf diese Weise erreicht
werden. 125 Die an dieser Stelle besonders abwertende Sichtweise gegenüber dem Körper wird jedoch
ein wenig relativiert durch den eher pragmatischen Umgang mit dem Körper und den körperlichen
Bedürfnissen, den Julian wohl auch mit Rücksicht auf die bekannte Lebensweise des idealen Kynikers
Diogenes formuliert hat. Diogenes von Sinope war für seine demonstrative Schamlosigkeit und seinen
ungezwungenen Umgang mit körperlichen Bedürfnissen bekannt. Dies gibt Julian auch zu; wenn aber
Diogenes auf offener Strasse seine Notdurft verrichtete oder furzte, so habe er dies freilich nur getan,
um die Scheinheiligkeit der Leute zu offenbaren, die diese natürlichen Dinge im Verborgenen tun, doch
auf dem Markt in aller Öffentlichkeit gegen die Moral verstossen. 126 Deswegen übte Diogenes jedoch
noch lange keinen laschen Umgang mit seinem Körper: Nach Julian habe dieser seinen Körper unablässig Mühsalen ausgesetzt, um seine natürliche Rüstigkeit zu stärken. Ziel dieser körperlichen Abhärtung sei es gewesen, zu vermeiden, dass der Körper in irgendeiner Form die Seele belästigen könnte.
Als angenehmer Nebeneffekt habe der Körper des Diogenes dadurch eine Mannhaftigkeit erlangt, wie
sie nicht einmal die zeitgenössischen Athleten erreichen konnten. 127
In derselben Rede erinnert sich Julian auch an eine Begegnung mit einem «echten» Kyniker in seiner
Jugend – selbst er habe diesen damals unwillkürlich verspottet, da ihm der Anblick des ungepflegten
Iul. or. 7 (c. Heracl.), 226 A–C (Übers. Asmus): φεύγει τὰς περιττὰς τροφάς· ἀποστρέφεται δὲ τὰ ἀφροδίσια.
Βιαζομένου δὲ τοῦ σώματος οὐ δόξῃ προστέτηκεν οὐδὲ περιμένει τὸν μάγειρον καὶ τὰ ὑποτρίμματα καὶ τὴν
κνίσσαν, οὐδὲ τὴν Φρύνην οὐδὲ τὴν Λαΐδα οὐδὲ τὴν τοῦ δεῖνα περιβλέπεται γαμετὴν οὐ|δὲ τὸ θυγάτριον οὐδὲ
τὴν θεράπαιναν, ἀλλ’ ὡς ἔνι μάλιστα ἐκ τῶν προστυχόντων ἀποπλήσας τὴν θεραπείαν τοῦ σώματος καὶ τὸ
ἐνοχλοῦν ἐξ αὐτοῦ παρωσάμενος ἄνωθεν ἐκ τῆς Ὀλύμπου κορυφῆς ἐπιβλέπει τοὺς ἄλλους Ἄτης ἐν λειμῶνι κατὰ
σκότον ἠλάσκοντας, ὑπὲρ ὀλίγων παντάπασιν ἀπολαύσεων ὑπομένοντας ὅσα οὐδὲ παρὰ τὸν Κωκυτὸν καὶ τὸν
Ἀχέροντα θρυλλοῦσιν οἱ κομψότεροι τῶν ποιητῶν. Ἡ σύντομος ὁδός ἐστιν αὕτη· δεῖ γὰρ αὐτὸν ἀθρόως
ἐκστῆναι ἑαυτοῦ καὶ γνῶναι ὅτι θεῖός ἐστι καὶ τὸν νοῦν μὲν τὸν ἑαυτοῦ ἀτρύτως καὶ ἀμετακινήτως συνέχειν ἐν
τοῖς θείοις καὶ ἀχράντοις καὶ καθαροῖς νοήμασιν, ὀλιγωρεῖν δὲ πάντη τοῦ σώματος καὶ νομίζειν αὐτὸ κατὰ τὸν
Ἡράκλειτον κοπρίων ἐκβλητότερον, ἐκ τοῦ ῥᾴστου δὲ αὐτῷ τὰς θεραπείας ἀποπληροῦν, ἕως ἂν ὁ θεὸς ὥσπερ
ὀργάνῳ τῷ σώματι χρῆσθαι ἐπιτάττῃ.
125
Siehe oben, Anm. 118.
126
Iul. or. 9 (c. Cyn.), 202 B–C.
127
Iul. or. 9 (c. Cyn.), 194 D–195 B.
124
39
Julians Philosophen-Herrscherkörper
Mannes nur traurig vorkam. Doch nun hat Julian scheinbar erkannt, dass diese öffentliche Entwürdigung einem Leben des Genusses, der Pflege des Magens, der Liebe zum Körper und der sexuellen Freizügigkeit, die allesamt im Verborgenen zelebriert werden, weit überlegen ist. 128 Doch dieses Verhalten
ist nicht etwa an sich rühmlich. Es ist nur erlaubt, wenn es aus einer Position der höchsten philosophischen Selbsterkenntnis heraus geschieht. So habe Diogenes selbst einen Jungen, der in aller Offenheit
furzte, mit seinem Stock geschlagen und getadelt, dass er noch nichts geleistet hätte, was ihn zu einem
solchen Verhalten berechtigte. 129 Das Furzen muss man sich, in Julians Augen, erst verdienen.
Interessant ist jedoch auch die Formulierung des Körpers als Werkzeug der Seele. Einen solch «technischen» Zugang zum Körper bezeugt Julian ebenfalls in seiner Rede Gegen die ungebildeten Hunde:
«Beim Körper unterscheidet man zunächst verschiedene Teile, wie die Augen, die Füsse und
die Hände; zu diesen Teilen kommen aber gleichzeitig noch andere Dinge hinzu, wie die Haare,
die Nägel, der Schmutz und andere Ausscheidungen der Art, ohne die der menschliche Körper
unmöglich bestehen kann. Würde man nun nicht über einen Menschen lachen, der die Nägel
oder die Haare oder den Schmutz und die übelriechenden Ausscheidungen und nicht vielmehr
die wertvollsten und ernst zu nehmenden Organe als Körperteile betrachtete? Hiebei [sic]
kommen aber in erster Linie die Sinneswerkzeuge und unter diesen eben vor allem diejenigen
in Betracht, welche uns in höherem Grade zur Erkenntnis dienlich sind, wie die Augen und die
Ohren. Denn diese Organe sind dem Verstande förderlich, sei es nun, dass sie der im Körper
eingegrabenen Seele dazu behilflich sein sollen, dass sie schneller gereinigt wird und sich der
reinen und unverrückten Denkkraft bedienen kann, oder sei es, dass sich die Seele, wie einige
glauben, die Eindrücke gleichsam durch derartige Kanäle zuleitet. Denn dadurch, so sagt man,
dass sie die einzelnen Wahrnehmungen sammelt und mittelst des Gedächtnisses zusammenhält, erzeugt sie die Wissenschaften. Ich aber bin der Ansicht, dass, wenn es nicht so ein mangelhaftes oder bei aller Vollkommenheit doch durch viele andere und vielgestaltige Einflüsse
beeinträchtigtes Organ gäbe, das die Aufnahme der von aussen kommenden Eindrücke bewerkstelligte, überhaupt keine Aufnahme des Wahrnehmbaren zustande kommen
könnte.» 130
128
Iul. or. 9 (c. Cyn.), 198 A–C.
Iul. or. 9 (c. Cyn.), 197 C–D.
130
Iul. or. 9 (c. Cyn.), 189 B–D (Übers. Asmus): Οὐκοῦν ἐπειδὴ σώματος μέρη μέν ἐστιν, οἷον ὀφθαλμοί, πόδες,
χεῖρες, ἄλλα δὲ ἐπισυμβαίνει, τρίχες, ὄνυχες, ῥύπος, τοιούτων περιττωμάτων γένος, ὧν ἄνευ σῶμα ἀνθρώπινον
ἀμήχανον εἶναι, πότερον οὐ γελοῖός ἐστιν 〈ὁ〉 μέρη νομίσας ὄνυχας ἢ τρί|χας ἢ ῥύπον καὶ τὰ δυσώδη τῶν
περιττωμάτων, ἀλλ’ οὐ τὰ τιμιώτατα καὶ σπουδαῖα, πρῶτον μὲν τὰ αἰσθητήρια καὶ τούτων αὐτῶν ἅττα συνέσεως
ἡμῖν ἐστι μᾶλλον αἴτια, οἷον ὀφθαλμούς, ἀκοάς; Ὑπουργεῖ γὰρ ταῦτα πρὸς φρόνησιν εἴτε ἐγκατορωρυγμένῃ τῇ
ψυχῇ, ὡς ἂν θᾶττον καθαρθεῖσα δύναιτο τῇ καθαρᾷ χρῆσθαι καὶ ἀκινήτῳ τοῦ φρονεῖν δυνάμει, εἴτε, ὥσπερ
τινὲς οἴονται, καθάπερ δι’ ὀχετῶν τοιούτων εἰσφερούσης τῆς ψυχῆς. | Συλλέγουσα γάρ, φησί, τὰ κατὰ μέρος
αἰσθήματα καὶ συνέχουσα τῇ μνήμῃ γεννᾷ τὰς ἐπιστήμας.
129
40
Julians Philosophen-Herrscherkörper
Diese Passage steht ziemlich isoliert innerhalb einer Erörterung Julians über die Gründerväter der Philosophie und der Platz der Kynismus darin, was auch durch den folgenden Satz Julians hervorgehoben
wird, dass diese Erörterung mit seinem gegenwärtigen Thema überhaupt nichts zu tun habe, bevor er
sich wieder der Einteilung der kynischen Philosophie widmet. Vermutlich ist die Passage als Analogie
zu den verschiedenen Wegen zur Erkenntnis innerhalb der Philosophie zu verstehen. 131 Doch auch für
sich alleine gesehen ist die Stelle spannend, denn sie bestärkt Julians rein funktionale Betrachtungsweise des Körpers, der in erster Linie ein Instrument der Seele ist. Doch trotz der Mangelhaftigkeit des
Körpers ist die Seele von jedem Körper zum Erkenntnisgewinn von ihm abhängig. Die Dualität zwischen
Körper und Seele wird ähnlich wie in der Hymne an die Göttermutter als eine beidseitig gewinnbringende Symbiose bezeichnet – unter der Bedingung, dass die Seele die absolute Oberhand und Kontrolle über den Körper und seine Bedürfnisse behält. 132 Erst diese völlige Kontrolle des Körpers, wie sie
etwa beispielhaft durch den asketischen Lebensstil des Diogenes erreicht werden kann, macht für Julian die wahre Freiheit des Menschen aus. Denn man dürfe sich nicht für frei halten, solange man dem
Magen und den anderen Organen noch untertan sei. 133
Die Rede Gegen Herakleios ist recht lang und geht um einiges weiter als eine einfache Antwort an den
Kyniker. Abgesehen von den Ausführungen über Diogenes ist der von Julian entworfene «Muster-Mythos» wohl das Kernstück der Rede. Dieser erzählt die Geschichte eines reichen Hirten mit vielen Ländereien, der sein Erbe an seine nutzlosen, gierigen und gottlosen Söhne abgibt, welche es schnell zugrunde wirtschaften, und eines Knaben, der von den Göttern auserwählt wird, das Erbe wiederherzustellen. Dies ist ziemlich offensichtlich als Metapher für die Geschichte von Konstantin, seinen Söhnen
und ihm selbst zu verstehen. Im Mythos zerstören die Söhne das Erbe des Vaters durch das Niederreissen der ohnehin schon vernachlässigten Heiligtümer und richteten untereinander ein Blutbad an. Der
vernachlässigte Knabe ist jedoch ein Spross des Helios und trägt daher das Feuer oder den Funken des
Gottes in sich, der ihn dazu beruft, die Welt wieder in Ordnung zu bringen. 134 Zu diesem Zwecke nehmen sich die Götter des Jungen an. Er wird von ihnen ausgerüstet und mit der Mahnung entsandt, dass
131
ASMUS 1908, 79, vermutete daher einen ausgefallenen Satz über die Einteilung der Philosophie, der den Vergleich ihrer Teile mit denjenigen des Körpers einleitete. Er und ROCHEFORT 1963 (L'Empereur Julien. Œuves
complètes), 156 verweisen im Zusammenhang mit dieser Textstelle auch auf Iul. or. 7 (c. Heracl.), 215 C–216 C,
wo Julian ebenfalls auf die Teile oder Werkzeuge der Philosophie zu sprechen kommt. Dieser Überzeugung ist in
jüngerer Zeit auch DE VITA 2011, 206, die den psychologischen Exkurs als Parallelität zwischen der Struktur der
Philosophie und eines lebenden Organismus beschreibt, die beide aus harmonisch integrierten Abschnitten bestehen.
132
Dies macht für Julian auch das wesentliche Unterscheidungsmerkmal zwischen den Menschen und den Tieren
aus, da bei diesen die Seele und der Körper gleichwertig seien, beim Menschen aber die Seele in ihrer Gesamtheit
oder in einzelnen Aspekten dem Körper überlegen sei; siehe Iul. or. 9 (c. Cyn.), 194 B–C.
133
Iul. or. 9 (c. Cyn.), 196 C.
134
Iul. or. 7 (c. Heracl.), 229 C–230 B. In dem Mythos sind viele interessante Bezüge zur stoischen Pneuma-Lehre
zu finden, denn der «Funke» des Helios kann als dieses lebensspendende Prinzip gesehen werden. Auf diese
Bezüge kann hier nicht vertieft eingegangen werden; vgl. dazu DE VITA 2011, 207; SCHRAMM 2013, 335; vgl. auch
Anm. 103.
41
Julians Philosophen-Herrscherkörper
ihm der Leib nur zu diesem Zwecke, der Widerherstellung seines Stammhauses, gegeben worden
sei. 135
Die anfänglich unvollständige Rüstung – er besitzt zu Beginn lediglich Schwert, Schild und Lanze, aber
keinen Helm 136 – wird als Metapher für Julians rein militärische Ausbildung, ohne tiefere philosophische oder politische Einsicht, gelesen. 137 Von Helios erhält er im Zuge des Mythos eine Fackel, von
Athene Gorgoneion und Helm und von Hermes einen goldenen Stab. 138 Das sind einerseits Herrschaftsinsignien, aber sie stehen auch für allgemein menschliche Eigenschaften wie Erleuchtung, Klugheit und
Gerechtigkeit – Tugenden also, die man durch das Praktizieren von Philosophie erlangt. Zugleich wird
der Held aber auch mit Weisheit «ausgerüstet», denn die Götter Helios und Athene unterweisen den
zukünftigen Regenten noch darüber, wie er als zukünftiger Herrscher mit Freunden und Untergebenen
umzugehen habe. 139 Gegenüber Freunden sollte ein ungekünsteltes, auf Symmetrie bedachtes Verhalten an den Tag gelegt werden; darin ist das Tugendideal des aristokratischen, freien Mannes beschrieben, der unter seinesgleichen ganz einfach, direkt und ungezwungen verkehrt. 140 Aus demselben Ideal
der Menschenliebe (φιλανθρωπία) wird auch das Verhalten des Herrschers gegenüber den Beherrschten abgeleitet: Das traditionelle Herrscherattribut kommt dem Kaiser aufgrund seiner Mittelstellung
zwischen den Göttern und seinen Untergebenen zu. Der Kaiser ist dadurch aber nicht automatisch –
wie bei Themistios – tugendhaft, sondern, wie das zuvor angesprochene Beispiel des Constantius vor
Augen führt, anfällig für menschliche Schwächen. Der Herrscher unterscheidet sich als Mensch mit
einer stets veränderlichen Seele und einem für die Affekte anfälligen Körper keineswegs von seinen
Untergebenen. 141 Die Rede gibt so gelesen einen Einblick in Julians Herrscherkörper-Konzeption: Der
Herrscher nimmt eine besondere, göttlich sanktionierte Stellung in der sozialen Welt ein. Doch über
seinen Körper ist er stets an die Menschheit gebunden und unterscheidet sich konzeptionell nicht von
seinen Untergebenen: Auch ein Herrscherkörper ist den körperlichen Gelüsten und Gebrechen ausgeliefert, und es gilt ihm ebenso wie allen anderen Menschen, sich durch eine möglichst strenge Ausrichtung auf den «göttlichen Funken» in ihnen, sich an der göttlichen Welt zu orientieren, während man
die Affekte des Körpers kontrolliert. Auch das Bild des Kaisers als «Götterspross» unterscheidet den
Kaiser nicht per se von anderen Menschen: Nach neuplatonischer Vorstellung ist jeder Mensch aufgrund seines rationalen Seelenteils ein Spross der Götter. Die Rolle des Kaisers ist insofern eine besondere, als er durch das göttliche Los in die herrschende Familie hineingeboren wurde, also durch Geburt
135
Iul. or. 7 (c. Heracl.), 234 C.
Iul. or. 7 (c. Heracl.), 230 C; Iul. or. 7 (c. Heracl.), 231 C.
137
SCHRAMM 2013, 338. In der Metapher sind auch Anklänge an den Perseus-Mythos auszumachen; vgl. 330.
138
Iul. or. 7 (c. Heracl.), 234 A–B.
139
Iul. or. 7 (c. Heracl.), 233 C–D.
140
So SCHRAMM 2013, 333.
141
Ibid., 343.
136
42
Julians Philosophen-Herrscherkörper
von den Göttern auserwählt. Das heisst dezidiert nicht, dass er von göttlicher Abstammung ist, sondern
lediglich ein Mensch in einem besonderen, göttlich sanktionierten Amt.
Dass diese «bodenständige» Auffassung der Herrschaft nicht selbstverständlich ist und auch auf offene
Kritik stiess, zeigte sich bereits zu den Zeiten, als Julian noch Caesar war, in einer Auseinandersetzung
mit dem Philosophen Themistios. Der Brief an Themistios ist vermutlich die früheste Schrift, in der sich
eine philosophische Konzeption von Julian fassen lässt. 142 Julians Brief ist eine Antwort auf einen vorangegangenen (aber verlorenen) Brief des Philosophen Themistios, 143 der zu dieser Zeit am Hof von
Constantius tätig war. Der Inhalt des Briefes lässt sich durch den Beginn von Julians Brief rekonstruieren: Offenbar hatte Themistios grosse Hoffnungen für Julians beginnende Herrschaft geäussert: Er
hatte Julians Position mit der von Herakles und Dionysos verglichen, die durch die Vereinigung von
Königtum und Philosophie Recht und Ordnung in der ganzen Welt verbreitet hatten und allgemein
grosse Erwartungen an den jungen Caesar gestellt. 144 Julian aber äussert schnell seine Befürchtung,
dass er ihnen nicht gerecht werden könnte. Insbesondere die Vergleiche mit den göttlichen Vorbildern
lehnt er ab – er könne sich ja nicht einmal mit seinen menschlichen Vorbildern messen:
«Schon in früherer Zeit überlief mich bei dem Gedanken, ich müsse einst mit einem Alexander
und Markus und anderen ausgezeichneten Tugendhelden in die Schranken treten, ein kalter
Schauder und eine ganz unbeschreibliche Furcht, ich möchte nach dem Urteil der Welt hinter
der Mannhaftigkeit des einen gänzlich zurückbleiben und die vollendeten Tugenden des anderen auch nicht im entferntesten erreichen.» 145
Im Verlauf des Briefes lehnt Julian die philosophischen Erörterungen von Themistios bezüglich einer
göttlichen Auswahl des Herrschers deutlich ab. Dabei dringen bereits die philosophischen Differenzen
zwischen der mystischen, neuplatonischen Tradition Julians (die das Christentum verurteilt) zu dem
eher aristotelisch orientierten, sozial-aktiven (christenfreundlichen) Hellenismus des Themistios
durch. 146 Julians Vorstellung eines Philosophenherrschers war gänzlich nach innen ausgerichtet. Die
142
Die Datierung ist umstritten: Die ältere Forschung datierte den Brief auf Ende 361 in die Zeit nach Julians
Erhebung zum Augustus, wohingegen sich in neuerer Zeit vermehrt Stimmen für eine Verfassung in der Zeit direkt
nach Annahme des Caesaren-Amtes aussprechen, d.h. gegen Anfang 356: Zuletzt NESSELRATH 2020, 42; dieser
folgt dabei SWAIN 2013 (Themistius, Julian and Greek Political Theory under Rome), 58; ebenfalls für eine Frühdatierung in das Jahr 355 ist HEATHER/MONCUR 2001 (Politics, Philosophy, and Empire in the Fourth Century), 139.
143
Verfasst vermutlich direkt nach der Annahme des Caesaren-Amtes durch Julian. Für eine Rekonstruktion des
Inhalts siehe SWAIN 2013, 55 f., zur Datierung 58.
144
In den rekonstruierten Inhalten des vorangegangenen Briefes an Julian sieht Swain eine gewisse «get a job»Mentalität, die wohl den jungen Caesar dazu bewegen sollte, seine Studien abzulegen und sich auf das neue
Herrscheramt zu konzentrieren; vgl. SWAIN 2013, 62. Zum allgemein schwierigen Verhältnis zwischen Julian und
Themistios siehe auch HEATHER/MONCUR 2001, 138-142.
145
Iul. or. 6 (ad Them.), 253 A–B (Übers. Asmus): καί μοι πάλαι μὲν οἰομένῳ πρός τε τὸν Ἀλέξανδρον καὶ τὸν
Μάρκον, καὶ εἴ τις ἄλλος γέγονεν ἀρετῇ διαφέρων, εἶναι τὴν ἅμιλλαν φρίκη τις προσῄει καὶ δέος θαυμαστόν,
μὴ τοῦ μὲν ἀπολείπεσθαι παντελῶς τῆς ἀνδρείας δόξω, τοῦ δὲ τῆς τελείας ἀρετῆς οὐδὲ ἐπ᾿ ὀλίγον ἐφίκωμαι.
146
HEATHER/MONCUR 2001, 142; siehe auch BROWNING 1975, 129.
43
Julians Philosophen-Herrscherkörper
soziale Rolle des Philosophen beschränkte sich bei Julian auf dessen Vorbildfunktion. Der Philosoph
müsse seine Worte durch Taten bestärken und anderen mit gutem Beispiel vorangehen. 147 Dies war
das Ideal, dem Julian seit seinen Jugendjahren nachstrebte. Dazu gehört freilich auch, nach guter neuplatonischer Manier, dass man zugunsten seiner Seele allem Körperlichen entsagen muss:
«Da hörst du doch, dass man, wenn man auch von Natur bloss ein Mensch ist, der Willensrichtung nach göttlich und ein Dämon sein und alles Sterbliche und Tierische vollständig aus der
Seele verbannen soll, abgesehen von all demjenigen, was wegen der Erhaltung des Körpers
notwendig darin bleiben muss.» 148
Auch während seiner Herrschaft als Augustus setze Julian die Prioritäten noch deutlich zugunsten des
kontemplativen Lebens: So erklärt er in der Rede gegen Herakleios stolz, dass für ihn die Gotteserkenntnis ein weit höheres Ziel sei, als es die Kaiserherrschaft je sein könnte. 149 In seiner Rede Gegen
die ungebildeten Hunde macht Julian die Hauptaufgabe eines Philosophen darin aus, genau in Erfahrung zu bringen, was man einerseits der Seele, andererseits dem Körper zuzugestehen habe und darauf
zu achten, dass man der Seele stets eine führende Rolle gegenüber dem Körper zuspreche. 150
Im Brief an Themistios misst sich ein junger Julian bereits sehr früh mit einem der prominentesten
paganen Intellektuellen seiner Zeit. Ein möglicher Antwortbrief des Themistios zeigt, dass sich Themistios nach der «Schelte» Julians (und seiner Erhebung zum Augustus) in seinen philosophischen Ansichten zumindest temporär an Julian anpasste. 151 Der Brief wird in der Forschung zuweilen als früher Ausdruck für Julians Renegatentum gesehen, der «not bothered by protocol or etiquette […] general ‹disconnect› with expected codes» beweise. 152 Man findet darin bereits die gleiche eigentümliche Mischung aus Bescheidenheit und Selbstbewusstsein, die für den Misopogon so typisch sein wird und die
gleichen Leitfiguren (Mark Aurel und Alexander der Grosse), die in den Caesares so prominent hervortreten werden.
Hinsichtlich Julians Selbstverständnis ist auch seine Rolle als pontifex maximus wichtig. In einem Brief,
verfasst um die Jahreswende 362/363 in Antiochia, wendet sich Julian als solcher an den paganen
147
Iul. or. 6 (ad Them.), 266 B–C.
Iul. or. 6 (ad Them.), 259 A–B (Übers. Asmus): Ἀκούεις ὅτι, κἂν ἄνθρωπός τις ᾖ τῇ φύσει, θεῖον εἶναι χρὴ τῇ
προαιρέσει καὶ δαίμονα, πᾶν ἅπλως ἐκβαλόντα τὸ θνητὸν καὶ θηριῶδες τῆς ψυχῆς, πλὴν ὅσα ἀνάγκη διὰ τὴν
τοῦ σώματος παραμένειν σωτηρίαν.
149
Iul. or. 7 (c. Heracl.), 222 B–C.
150
Iul. or. 9 (c. Cyn.), 190 A–B.
151
Der Brief ist nur in arabischer Übersetzung in Form des sogenannten «Risalat» überliefert, doch diese Identifikation ist umstritten: Überzeugende Argumente für eine Identifikation mit jener arabischen Tradition und für
dessen Funktion als Antwort auf Julians Brief liefert Simon Swain (vgl. SWAIN 2013, 42–52, zur Überlieferung in
der arabischen Tradition; 87–91, zum Verhältnis der beiden Briefe), der auch erstmals beide Dokumente in einer
Edition zusammengebracht und übersetzt hat.
152
Ibid., 58.
148
44
Julians Philosophen-Herrscherkörper
Priester Theodoros. Das Schreiben zerfällt in zwei Brieffragmente, die von der neueren Forschung einhellig als Fragmente eines einzigen Briefes angesehen werden. 153 In dem Schreiben teilt Julian dem
Priester seine Ernennung zum Oberpriester von Asien mit und gibt ihm den Auftrag, die Priester in
jeder Stadt zu inspizieren und zu unterweisen. 154 In den beiden Fragmenten umreisst Julian unter anderem seine eigene Legitimation als religiöser Gesetzeswächter sowie die Voraussetzungen, Eigenschaften und Aufgaben eines paganen Klerus. Julian erarbeitet in dem Schreiben die Tugenden, die er
für das priesterliche Amt als Voraussetzung betrachtet. Bei einem Vergleich mit Julians zweitem Panegyrikus an Constantius, den er noch als Caesar verfasste, zeigt sich, dass diese mit den darin geäusserten Königstugenden übereinstimmen. Der Brief drückt daher im Wesentlichen Julians Selbstverständnis als Kaiser und pontifex maximus aus: Das Amt des Oberpriesters steht für Julian über allen anderen
politischen Ämtern, die er in seiner Position als Kaiser in sich vereinigt. 155
Im Kontext der vorliegenden Arbeit sind vor allem seine Überlegung bezüglich der priesterlichen Reinheit interessant, die er im Detail entwickelt und Theodoros für seine neue Aufgabe mit auf den Weg
gibt. Der in Julians philosophischen Schriften erörterte Widerstreit zwischen Seele und Körper gilt auch
für Priester. Auch diese bestünden ja nicht aus Seelen allein; dem Menschen, der zum Priestertum
gelangt ist, müsse man daher gewisse Zugeständnisse machen, solange er ausserhalb des Kultdienstes
in den Heiligtümern ist. 156 Dennoch stellt Julian klare Regeln für die Vorbereitung zum Priesterdienst
auf; so z.B. eine räumliche Trennung vom weltlichen Leben und «Reinigungen» (καθαρμοί), die jeweils
vor Betreten des Heiligtumes zu vollziehen sind. Während des Aufenthalts im Heiligtum soll er sich mit
Philosophie beschäftigen, und während der ganzen Zeit weder ein Haus noch den Markt betreten. 157
Im Heiligtum sei es dem Priester vergönnt, prachtvolle Gewänder zu tragen; in der Öffentlichkeit jedoch nur gewöhnliche, unauffällige Kleidung. 158 Priester müssten sich zudem von unreiner Sprache
fernhalten: Dies gilt einerseits für das Lesen von unreinen Werken, andererseits auch für das Aussprechen oder auch nur das Anhören von Anstössigkeiten und Obszönitäten. 159 Wohl auch als Konsequenz
davon scheint für Julian das Fernbleiben von jeglichen Theateraufführungen ganz besonders wichtig
zu sein; diese seien für Priester absolut unpassend – verboten hätte er dies sogar, wenn es ihm möglich
153
Iulian. Imp. ep. 47 & 48; siehe dazu SCHRAMM 2013, 384; WEIS 1973 (Julian); BIDEZ 1960 (L'Empereur Julien.
Œuves complètes.), 102.
154
Iul. epist. 48, 452 D–483 A. Eingangs erwähnt Julian, dass es sich bei diesem Brief um eine persönliche Mitteilung handelt. Der Brief wird jedoch von der Forschung dennoch zumeist als Rundschreiben (Enzyklika) an die
gesamte Reichspriesterschaft benannt; ein solches verfasste Julian wohl ebenfalls.
155
So die These von SCHRAMM 2013, 383–97.
156
Iul. epist. 48, 302 C.
157
Iul. epist. 48, 302 D–303 B.
158
Iul. epist. 48, 303 B.
159
Iul. epist. 48, 300 C–D.
45
Julians Philosophen-Herrscherkörper
gewesen wäre. Die einzige Ausnahme bilden die heiligen Spiele, bei denen Frauen die Anwesenheit
untersagt ist. 160
All diese Reinheitsgebote gelten in der Konsequenz auch für Julian in seiner Rolle als pontifex maximus.
Diese mögen zeitlich auf den Götterdienst begrenzt gewesen sein; doch wie sich zeigen wird, verbrachte Julian einen Grossteil seiner Zeit mit kultischen Handlungen – so sehr, dass er dafür auch von
paganen Autoren wie etwa Ammian zuweilen kritisiert wurde. Während all dieser Zeit hielt sich Julian
wohl an die von ihm formulierten Reinheitsgebote. Dieses Verhalten des Kaisers barg ein grosses Konfliktpotential, das sich spätestens während seines Aufenthaltes in Antiochia entladen sollte, wie im
folgenden Teil der Arbeit gezeigt werden wird.
Vor- und Gegenbilder
Wer sich mit Kaiser Julian beschäftigt, der weiss um sein grosses Vorbild: Kaiser Mark Aurel regierte
von 161 bis 180 n. Chr. und ging als Philosophenkaiser in die Geschichte ein. In den Quellen zu Julian,
darunter auch seinen Selbstzeugnissen, gibt es viele Hinweise auf diese Vorbildfunktion Mark Aurels.
Bereits im Brief an Themistios, den Julian als Caesar verfasste, wähnt er Mark Aurel und Alexander den
Grossen als ideale Herrscher, deren Grösse er selbst nie erreichen könnte. 161 Doch in einer seiner späteren Schriften stellt Julian Mark Aurel ganz besonders ins Zentrum.
Das Symposion oder Kronia, auch bekannt unter dem Namen Caesares (oratio 10), nimmt eine besondere Stellung unter den philosophischen Schriften Julians ein. Als Satire gehört sie in dieselbe Kategorie
wie der Misopogon, der im nächsten Teil gesondert behandelt wird. Doch die Caesares sind in erster
Linie eine Abhandlung von Julians philosophischen Konzepten; als solche liefern sie anschauliche Indizien zu Julians Vorstellungen eines idealen Philosophenherrschers sowie seiner kaiserlichen Vor- und
Gegenbilder. In diesem Sinne können sie zu seinen philosophischen Schriften gerechnet werden. Insbesondere ist darin die Darstellung von Julians Vorgänger und Vorbild Mark Aurel zentral, der als der
ideale Philosophenherrscher eine wichtige Rolle in der Satire einnimmt. Als Negativfolie zu seinem
Helden lässt Julian jedoch auch Konstantin auftreten. Spannenderweise thematisiert Julian im Zusammenhang mit seinen Vor- und Gegenbildern explizit körperliche Themen, weshalb sich ein Blick in die
ohnehin interessante Schrift lohnt. 162
160
Iul. epist. 48, 304 B–D. Dasselbe Verhalten legt Julian auch Arkasios, dem Oberpriester von Galatien nahe: Iul.
epist. 39, 430 B.
161
Iul. or. 6 (ad Them.), 253 A–B; vgl. oben S. 43.
162
Die allgemeine Fixierung auf körperliche Aspekte in den Caesares führte bisweilen auch dazu, in dem Text
eine gewisse versteckte Lüsternheit Julians zu erkennen, der durch seinen fanatischen Hass auf alle Sexualität
gerade dadurch besonders auf fehlgeleitetes sexuelles Verhalten fixiert war; vgl. BOWERSOCK 1982 (The Emperor
Julian on his predecessors), 162 f.
46
Julians Philosophen-Herrscherkörper
In der Satire, die vermutlich für die Saturnalien 362 verfasst wurde, 163 lässt Julian die olympischen Götter einen Wettbewerb veranstalten, um den besten menschlichen Herrscher auszuwählen. Dafür lassen sie die wichtigsten historischen Kaiser des Römischen Reichs, dazu Julius Caesar und als Ehrengast
Alexander den Grossen, nacheinander auftreten und Reden halten. Anschliessend unterziehen die Götter sie einer kritischen Prüfung ihres Charakters, während der sie heikle Fragen beantworten müssen;
dies alles unter den spöttischen Kommentaren des Silens (ein Satyr und Erzieher des Dionysos). Während Alexander den Titel des grössten Feldherrn erhält, ist es am Ende der strahlende Mark Aurel, der
den Wettbewerb gewinnt, während Konstantin der Grosse, der als «Anhänger des Genusses» ohnehin
nur zur bis zur Vorhalle zugelassen wurde, von Julian regelrecht zerpflückt wird. 164
Während es an der Rede viel zu besprechen gäbe, ist aus körpergeschichtlicher Perspektive vor allem
die Darstellung Mark Aurels interessant. Bereits der erste Auftritt des Philosophenkaisers ist ganz auf
sein Erscheinungsbild fixiert:
«Da wurde Marcus berufen und trat ein: Ganz ehrwürdig sah er aus, im Ausdruck seiner Augen
und in seinem Gesicht spiegelten sich die Mühen, die er auf sich genommen hatte. Es zeigte
sich an ihm eine besondere innere Schönheit, wie er so ganz schlicht und schmucklos daherkam. Er trug einen sehr langen Bart, seine Kleidung war einfach und bescheiden, und wegen
seiner sparsamen Ernährung war sein Körper ganz durchscheinend und von innen her leuchtend, wie, so möchte ich sagen, reinstes und sonnenklares Licht.» 165
Julian imaginiert Mark Aurel als den idealen Philosophen, den er auch in seinen Reden gegen die Kyniker beschreibt: Schmucklos, bärtig, asketisch. Doch sein Körper ist keineswegs degeneriert; im Gegenteil: Mark Aurels Körper mag zwar durchscheinend sein – dies könnte in satirischer Weise hinsichtlich
seiner knappen Ernährung tatsächlich auch mit einem zwinkernden Auge zu verstehen sein – doch dies
liegt vor allem an einem von innen strahlendem Licht, das auf Mark Aurels vollkommene seelische
Reinheit verweist. Man erinnere sich an die ausgiebige Lichtmetaphorik in Julians religiösen Texten,
und auch daran, dass Julian davon überzeugt ist, dass sich der Körper durch die Reinheit der Seele
ebenfalls gesund und kräftig halten lässt, wie er in der Göttermutter-Hymne darlegt. Während also
bereits das Äussere Mark Aurels erahnen lässt, dass es sich dabei um eine besondere Persönlichkeit
handelt, wird dies kurz darauf durch dessen Worte auch bestätigt. Nachdem die anderen historischen
163
WRIGHT 1949 (The Works of the Emperor Julian [1913]) datierte die Schrift auf 361; in der neueren Forschung
wird eher das Jahr 362 präferiert: MÜLLER 1998 (Die beiden Satiren des Kaisers Julianus Apostata. Symposion oder
Caesares, und Antiochikos oder Misopogon), 37 f.; RIEDWEG 2018, 1400.
164
MÜLLER 1998, 46.
165
Iul. or. 10 (symp.), 317 C–D (Übers. Giebel): Ἐπεὶ δὲ καὶ ὁ Μάρκος κληθεὶς παρῆλθε, σεμνὸς ἄγαν, ὑπὸ τῶν
πόνων ἔχων τά τε ὄμματα καὶ τὸ πρόσωπον ὑπό τι συνεσταλμένον, κάλλος δὲ ἀμήχανον ἐν αὐτῷ τούτῳ
δεικνύων, ἐν ᾧ παρεῖχεν ἑαυτὸν ἄκομψον καὶ ἀκαλλώπιστον – ἥ τε γὰρ ὑπήνη βαθεῖα παντάπασιν ἦν αὐτῷ καὶ
τὰ ἱμάτια λιτὰ καὶ σώφρονα, καὶ ὑπὸ τῆς ἐνδείας τῶν τροφῶν ἦν αὐτῷ τὸ σῶμα διαυγέστατον καὶ
διαφανέστατον ὥσπερ αὐτὸ οἶμαι τὸ | καθαρώτατον καὶ εἰλικρινέστατον φῶς.
47
Julians Philosophen-Herrscherkörper
Persönlichkeiten durch Silens Spott in ihre Schranken verwiesen wurden, fordert er auch Mark Aurel
zu einem verbalen Duell heraus; doch dieser hält sich um einiges besser als seine Vorgänger. Zuerst
beeindruckt er bereits alle anwesenden, indem er auf die Frage des Hermes, was ihm als höchstes Ziel
erscheint, antwortet: «Die Götter nachzuahmen». 166 Davon sind bereits alle anwesenden Götter überzeugt; nur Silen lässt nicht locker und hackt nach:
«‹Also nein, beim Dionysos, ich will diesen schlauen Sophisten nicht so leicht davonkommen
lassen. Sag mir doch, warum isst du denn Brot und trinkst Wein und nicht Nektar und Ambrosia
wie wir?› Marcus erklärte: ‹Wenn ich sagte: die Götter nachzuahmen, dann meinte ich nicht
Speise und Trank. Ich ernährte meinen Körper, weil ich überzeugt war – vielleicht nicht mit
Recht – auch eure Körper bedürften der Nahrung, und zwar aus dem Rauch der Opfer. Also
ich habe nicht geglaubt, ich sollte euch in dieser Hinsicht nachahmen, sondern in eurer Gesinnung.› Einen Augenblick lang fand Silen keine Worte, es war, als hätte er einen Tiefschlag bekommen. Dann aber sagte er: ‹Das hast du ja durchaus nicht abwegig formuliert. Nun sage mir
aber auch noch, was du tatsächlich meinst mit der Nachahmung der Götter.› Und Marcus antwortete: ‹Selbst möglich geringe Bedürfnisse zu haben und möglichst vielen Gutes tun!› Darauf Silen: ‹Du willst doch nicht sagen, dass du gar keine Bedürfnisse hast!› Marcus gab zur
Antwort: ‹Ich selbst benötige gar nichts, aber dieser arme Körper hier, der braucht wohl ein
bisschen was.›» 167
Damit verschlug es dem Silen erst einmal gänzlich die Sprache. Als er sie wieder fand, fügte er noch ein
paar halbherzige Fragen bezüglich der schwierigen Familienverhältnisse des Kaisers an, doch der Sieger
war bereits klar. Gleich anschliessend gilt es noch Konstantin zu befragen. Doch dieser liefert ein gänzlich anderes Herrscherbild als der asketische Mark Aurel. So richtet sich Silen an ihn:
«‹Und was war für dich das Schönste?› ‹Vieles anzuhäufen und vieles auszugeben, um die
eigenen Vergnügungen und die meiner Freunde zu befriedigen.› Da lachte Silen laut heraus: ‹Gerade als ob du ein Bankier und Geldwechsler sein wolltest – und du hast dich dabei so
Iul. or. 10 (symp.), 333 C (Übers. Giebel): «Τὸ μιμεῖσθαι τοὺς θεούς.»
Iul. or. 10 (symp.), 333 C–334 A (Übers. Giebel): «Ἀλλ’ οὐ μὰ τὸν Διόνυσον ἀνέξομαι τούτου τοῦ σοφιστοῦ. Τί
δήποτε γὰρ ἤσθιες» εἶπε «καὶ ἔπινες οὐχ ὥσπερ ἡμεῖς ἀμβροσίας τε καὶ νέκταρος, ἄρτου δὲ καὶ οἴνου;» «Ἀλλ’
ἔγωγε» εἶπεν «οὐχ ᾗπερ οὖν ᾤμην τοὺς θεοὺς μιμεῖσθαι, ταύτῃ προσεφερόμην σιτία καὶ ποτά· τὸ σῶμα δὲ
ἔτρεφον, ἴσως μὲν ψευδῶς, πειθόμενος δὲ ὅτι καὶ τὰ ὑμέτερα σώματα δεῖται τῆς ἐκ τῶν ἀναθυμιάσεων τροφῆς.
Πλὴν οὐ κατὰ ταῦτά γε ὑμᾶς εἶναι μιμητέους, ἀλλὰ κατὰ τὴν διάνοιαν ὑπέλαβον.» Ὀλίγον ὁ Σειληνὸς ὥσπερ
ὑπὸ πύκτου δεξιοῦ πληγείς «Εἴρηται μέν σοι τοῦτο» εἶπε «τυχὸν οὐκ ἀτόπως, ἐμοὶ δέ» ἔφη, «τοῦτο φράσον· τί
ποτε ἐνόμιζες εἶναι τὴν τῶν θεῶν μίμησιν;» καὶ ὅς· «Δεῖσθαι μὲν ὡς ἐλαχίστων, εὖ ποιεῖν δὲ ὡς ὅ τι μάλιστα
πλείστους.» «Μῶν οὖν» εἶπεν «οὐθενὸς ἐδέου;» καὶ ὁ Μάρκος· «Ἐγὼ μὲν οὐθενός, ἴσως δὲ τὸ σωμάτιόν μου
μικρῶν.»
166
167
48
Julians Philosophen-Herrscherkörper
weit vergessen, dass du das Leben eines Kochs oder eines Schönheitskünstlers führtest! Darauf deuteten ja schon länger deine Haarpracht und dein Äusseres hin, doch jetzt überführt
dich auch deine eigene Erklärung.›» 168
Konstantin fungiert in den Caesares als eindeutige Negativfolie zu Mark Aurel. Indem sich Konstantin
am Ende auch noch die Tryphe und Asotia, Göttinnen des Vergnügens und der Liederlichkeit, als
Schutzpatroninnen auserwählt, und sich obendrein noch Jesus anschliesst, zu dem er auch seine Söhne
führt, wird Konstantin als das absolute moralische Gegenbild Mark Aurels konstruiert. 169 Dies drückt
sich, neben den schlechten Antworten des Kaisers, insbesondere durch sein Äusseres aus: Dieses, und
vor allem seine Haare, überführen seine innere moralische Verwerflichkeit. Er ist ein Kaiser, der den
Körper über die Seele stellt, während Mark Aurel erkannt hat, was der Körper wirklich ist: Ein Instrument, das man erhalten muss, aber nicht unbedingt pflegen.
Julian projiziert in den Caesares also eindeutig seinen neuplatonischen Idealkörper auf Mark Aurel. In
Anbetracht solch klarer Präferenzen stellt sich die Frage, ob sich Julian auch hinsichtlich seiner äusseren Erscheinung an seinem allgemein bekannten Vorbild orientierte. Insbesondere der Bart scheint
darauf hinzuweisen. Es lassen sich indes keine Quellen finden, die dies explizit bestätigen würden. Jedoch entspricht der von Julian dargestellte Mark Aurel einer Philosophen-Ikonographie, wie sie in der
Spätantike durchaus gängig war. Ein langer Bart, ungeschorenes Haar bzw. Kahlheit, eine vernachlässigte Körperpflege und dazu das traditionelle Pallium wurden eng mit philosophischen Lebensweisen
assoziiert. 170 Zudem greift Julian mit der Schmähung der Haartracht und des allgemeinen Aussehens
Konstantins auch direkt die kaiserliche Repräsentation seiner Vorgänger an: Wie noch gezeigt werden
wird, zeichnete sich gerade die konstantinische Dynastie durch stark homogene Kaiserbilder aus, so
dass etwa die Porträtstatuen von Konstantin und seinen Söhnen heute kaum auseinandergehalten
werden können. 171 Julian war also eindeutig auf der Suche nach Alternativen für einen kaiserlichen
Habitus. Während Alexander, der durch seine Bartlosigkeit und lockigen Haare bereits durch Julians
konstantinische Vorgänger als mögliches Vorbild in der Selbstdarstellung vereinnahmt worden war,
war Mark Aurel für Julian, der sich ebenfalls als Philosophenkaiser verstand, natürliches Vorbild auch
bezüglich der Stilisierung des Äusseren. Die Caesares könnten in dieser Hinsicht als Erklärung für das
Iul. or. 10 (symp.), 335 B (Übers. Giebel): «Σὺ δὲ τί καλὸν ἐνόμισας;» «Πολλά» εἶπε «κτησάμενον πολλὰ
χαρίσασθαι ταῖς τε ἐπιθυμίαις ταῖς ἑαυτοῦ καὶ ταῖς τῶν φίλων ὑπουργοῦντα.» Ἀνακαγχάσας οὖν ὁ Σειληνὸς
μέγα «Ἀλλ’ ἦ τραπεζίτης εἶναι» ἔφη «θέλων ἐλελήθεις σεαυτόν, ὀψοποιοῦ καὶ κομμωτρίας βίον ἔχων; ᾐνίττετο
δ’ αὐτὰ πάλαι μὲν ἥ τε κόμη τό τε εἶδος, ἀτὰρ νῦν καὶ ἡ γνώμη σοῦ κατηγορεῖ.»
169
Für MÜLLER 1998, 46 ist die Verächtlichkeit Julians gegenüber seinem Vorgänger «fast körperlich zu spüren».
170
Zur Ikonografie der «Philosophenbärte» siehe DANGUILLIER 2001 (Typologische Untersuchungen zur Dichterund Denkerikonographie in römischen Darstellungen von der mittleren Kaiserzeit bis in die Spätantike).
171
Siehe Kapitel «Kaiserliche Statuen und statueske Kaiser» unten.
168
49
Julians Philosophen-Herrscherkörper
Auftreten Julians, das wohl zum Zeitpunkt der Verfassung bereits für einigen Aufruhr gesorgt hat, gedacht sein. 172
Zwischenfazit
Julian hatte viele Gesichter, und viele davon spiegeln sich in seinem umfassenden philosophischen
Werk wider. Julian wollte Philosoph sein, wurde jedoch vom Schicksal zum Herrscher gemacht – dies
ist zumindest die Selbststilisierung, die sich in seinen philosophisch-religiösen Schriften ausdrückt. 173
So fühlte sich Julian zwar als Herrscher über das Römische Reich durch die Gottheit zu Höherem berufen, blieb dabei aber letztlich auch in seinem Selbstverständnis ein Mensch. 174 Diese Menschlichkeit
empfand er jedoch als etwas Negatives: Seine Materialität und Erdgebundenheit drückt sich in neuplatonischer Manier in seinem Körper aus. Er fühlt sich darin gefangen und durch ihn in seiner vollen
Seelen-Entfaltung gehindert. Die Lösung für das Dilemma sah er in einer Reinigung (κάθαρσις) und
Reinhaltung des Körpers. Gelingt diese, profitiere davon nicht nur die Seele, denn durch die volle Entfaltung seiner seelischen Kräfte würde zugleich auch der Körper gestärkt werden. Körper und Seele
können so aus dem Widerstreit in eine Harmonie geführt werden. In seiner Rolle als pontifex maximus
orientierte sich Julian für diese Reinigung an priesterlichen, heidnischen Reinheitsgeboten. Diese unterschieden sich von der christlichen Askese, wie sie etwa seine Vorgänger im Amt praktizierten. In
seiner asketischen Lebensweise gedachte er aber zugleich seiner Vorbildfunktion als Philosoph, der in
seinem Verhalten anderen den Weg zu weisen hat, während er sich an seinen eigenen Vorbildern orientierte.
172
Zur Vorbildfunktion von Mark Aurel und Alexander dem Grossen, aber auch anderen historischen oder mythischen Persönlichkeiten (etwa die römischen Könige Romulus und Numa Pompilius), siehe allgemein VARNER 2012
(Roman Authority, Imperial Authoriality and Julian’s Artistic Program); BOWERSOCK 1982.
173
Diese wirkt zumindest teilweise glaubwürdig, beachtet man Julians frühen Lebensweg (für eine sympathische,
wenn auch überaus spekulative Nachzeichnung von Julians Jugendjahren siehe etwa die entsprechenden Kapitel
in der Biografie von BROWNING 1975). Das bedeutet natürlich nicht zwingend, dass er die unerwartete Chance auf
die Kaiserherrschaft nicht guthiess. Seine recusatio imperii, die sowohl Ammian wie auch er selbst gerne betonen,
war letztlich ein gängiger Topos des gemässigten Herrschers.
174
BROWNING 1975, 133 f., macht darauf aufmerksam, dass Julian trotz der Beharrung auf seine Menschlichkeit
letztlich ein (besonders) autokratischer Herrscher blieb, dessen Idee einer letztlich ja doch göttlichen Herrschaft
des Kaisers den abgehobenen, strengen platonischen Philosophenherrscher verriet. Nach seiner Meinung macht
die Verbindung von Julians weltfremden Zügen mit seiner durchaus genuinen Einfachheit und Direktheit letzten
Endes die Inkonsistenzen in seinem Charakter aus, die den Kaiser überhaupt erst zu einer so spannenden historischen Figur machten.
50
III.
Der «Barthasser»
Nach der Betrachtung von Julians philosophisch-religiösen Selbstzeugnissen und der daraus abgeleiteten Rekonstruktion seines idealen «Herrscherkörpers» folgt nun der Sprung auf die praktische Ebene,
indem die Episode von Julians konfliktreichem Aufenthalt in Antiochia untersucht wird. Das Kernstück
des Kapitels bildet dabei eine Analyse von Julians bisher bewusst noch ausgeklammerter Schrift Misopogon. Darin sollen die wesentlichen Punkte herausgearbeitet werden, in denen das Selbstverständnis des Kaisers und dessen Ausdruck in seinem Habitus mit den Erwartungen der Bevölkerung kollidierte. Anders als die theoretischen und dichterischen Schriften Julians ist dieses eigentümliche Selbstzeugnis besonders aussagekräftig bezüglich der Konfliktsituation, die sich zwischen Kaiser und städtischer Bevölkerung ergab. Der Misopogon ist ein Zeitdokument, in welchem das tatsächliche Auftreten
(und dessen Scheitern) in der berühmten Stadt des Ostens fassbar wird. So kann die Schrift als die
Schnittstelle zwischen den persönlichen, theoretischen Überlegungen Julians und der tatsächlichen
Praxis gesehen werden (da die Äusserungen Julians ein Spiegel der antiochenischen Reaktionen sind)
und soll auch in dieser Hinsicht analysiert werden. In einem zweiten Schritt sollen dann die Quellen
anderer Autoren hinzugezogen werden, um die wesentlichen Punkte von Julians Umgang mit seinem
Körper herauszuarbeiten, welche für die zeitgenössischen Autoren besonders prägnant waren. Die
Frage, die dabei im Vordergrund steht, ist die, inwieweit Julian sein Auftreten und Verhalten durch
seine philosophisch-religiösen Überzeugungen erklärt, und inwiefern dieses von seinen Zeitgenossen
auch in diesem Sinne verstanden, bzw. akzeptiert oder abgelehnt wurde.
Aufstellungskontext
Im Sommer 362 zog Julian in Antiochia ein. Dies sollte die letzte grössere Station des Kaisers sein, bevor
er zu seinem fatalen Perserfeldzug aufbrach. Antiochia war die Hauptstadt Syriens und im Gegensatz
zum vergleichsweise noch jungen Konstantinopel das traditionelle kulturelle Zentrum der ganzen Region. Deswegen, und auch wegen ihrer strategischen Bedeutung aufgrund ihrer Nähe zum verfeindeten sasanidischen Grossreich, war sie eine beliebte Residenzstadt vieler Kaiser. Der unter Diokletian
erbaute kaiserliche Palast auf der Insel des Orontes war weltberühmt. 175 Insbesondere die direkten
Vorgänger Julians hielten sich häufig und lange in Antiochia auf, so bereits Diokletian, der die Stadt
175
Die Stadt und ihr Palast wurde sogar von einem zeitgenössischen chinesischen Besucher beschrieben; siehe
DOWNEY 1974 (A history of Antioch in Syria from Seleucus to the Arab conquest), 322; BERGER 2011 (Konstantinopel), 174–76, für eine Übersetzung des chinesischen Berichts, in dem sich der Besucher u.a. über die fremde Art
der Haartracht und Bekleidung der Stadtbewohner wundert.
51
Der «Barthasser»
mehrfach zu seinem Hauptquartier machte. 176 Auch Constantius machte Antiochia zu seiner Residenzstadt. 177 Dieser Kaiser schien sogar ein besonders gutes Verhältnis zu der Stadt gehabt zu haben: Julian
selbst überliefert, dass die Stadt sich nach ihm unbenannte. 178 Auch Julians Bruder Gallus kannten die
Antiochener bestens; er wurde von Constantius als Caesar hier eingesetzt. Doch zwischen Gallus und
der städtischen Elite gab es grosse Konflikte, die mit denen Julians vergleichbar sind. 179
Julian hatte grosse Hoffnungen in die griechischsprachige Stadt gesetzt, die er sich als Hochburg des
traditionellen Hellenismus vorstellte – oder von der er zumindest die Hoffnung hatte, sie zu einer solchen machen zu können. 180 Doch der Plan scheiterte vollkommen. 181 Bereits sein adventus in die Stadt
war von einem schlechten Omen geprägt: Ammian berichtet, etwas widersprüchlich, dass Julian einerseits von einer gewaltigen Masse willkommen geheissen wurde, die ihn als heilbringendes Gestirn begrüsste. 182 Doch er erwähnt auch Wehklagen und Trauergesänge, die im Zusammenhang mit dem Adonis-Fest nach althergebrachtem Ritus zu hören waren und Julians adventus in ein trauriges Licht rückten. 183 Das schlechte Omen sollte sich als wahr erweisen: Julians Aufenthalt in der Stadt war geprägt
von Missverständnissen, Konflikten und am Ende von gegenseitiger Abneigung, Hohn und Spott. Nur
wenige Monate nach seiner Ankunft verliess er die Stadt mit einer ungeheuren Wut auf sie und ihre
Bewohner, und er hinterliess ihnen eine Schmährede, wie man sie bis anhin von einem Kaiser noch
nicht gesehen hatte.
176
DOWNEY 1974, 317 f.
Ibid., 356.
178
Iul. or. 1 (Const.), 40 D. Julian nennt den neuen Namen der Stadt nicht, und es gibt keine weiteren Belege für
diese Umbenennung, aber für DOWNEY 1974, 356 gab keinen Grund, an Julians Aussage zu zweifeln.
179
Gallus war der älteste Sohn des Julius Constantius, Bruder von Constantius II. Ammian zeichnet in seinem 14.
Buch ein äusserst negatives Bild von ihm und dessen Aufenthalt in der Stadt. Zu den Konflikten, die vor allem auf
Versorgungsproblemen beruhten, siehe BROWNING 1975, 59–62. Zum unterschiedlichen Vorgehen zwischen den
beiden Brüdern in Antiochia siehe GLEASON 1986 (Festive Satire: Julian's Misopogon and the New Year At Antioch),
118.
180
Siehe Lib. or. 15, 52: Julian wollte Antiochia zu einer «Stadt aus Marmor machen» (eine Anspielung auf Augustus). Zu Julians grosser Vorfreude auf die Stadt vgl. BROWNING 1975, 149; siehe auch dessen anschauliche Beschreibung der Stadt, ihrer Kultur und Wirtschaft auf den vorausgehenden Seiten .
181
So auch die einhellige Meinung in der Forschung; z.B. BROWN 1991, 328 bezeichnet Julians Vision für Antiochia
als heidnische Stadt als ein «totgeborenes Kind».
182
Amm. 22,9,13–14. Man beachte in diesem Zusammenhang auch die Lichtmetaphorik (salutare sidus illuxisse),
die an Julians neuplatonisches Gedankengut erinnert (vgl. auch die sehr ähnliche Beschreibung von Julians adventus in Vienne: Amm. 15,8,21–22). Es ist gut möglich, dass Ammian in solchen Beschreibungen ein «offizielles»
kaiserliches Narrativ übernahm (ohne, dass dies ein Hinweis auf kaiserliche «Propaganda» sein müsste). Das Bild
des Lichtes und des Sternes, der auf die Menschen scheint, erscheint in den Quellen auffällig häufig im Zusammenhang mit den adventus Julians; sie ähnelt der früheren tetrarchischen Metaphorik, ist aber weniger ausgearbeitet und systematisch; vgl. MACCORMACK 1981, 49 f.. Zum spätantiken adventus siehe allgemein Kapitel «Der
spätantike Adventus» unten.
183
Amm. 22,9,15.
177
52
Der «Barthasser»
Die Rede wurde öffentlich ausgestellt; die einzige Angabe dazu liefert uns der byzantinische Chronist
Malalas: Nachdem er die Rede gehalten habe, sei sie ausserhalb des Palastes am sogenannten «Tetrapylon der Elefanten» in der Nähe der Rhegia als Inschrift für alle sichtbar angebracht worden. 184 Damit
hinterliess Julian ein für alle Öffentlichkeit sichtbares und auch der Nachwelt erhaltenes Denkmal einer
sehr persönlichen Körperlichkeit.
Moderne Urteile
Die Ausführungen über Julians eigene ästhetische Mängel, die zuweilen bis unter die Gürtellinie gehen
(im wahrsten Sinne des Wortes) lösen zuweilen auch noch bei modernen Leserinnen und Lesern ablehnende Reaktionen und Unverständnis aus. Als prägnantes Beispiel lässt sich etwa das negative Zeugnis des Philologen Friedhelm Müller heranziehen, dem «das Lächeln ‹gefriert› […] auf den versteinernden Gesichtszügen, wenn der kaiserliche (!) Autor in pure Geschmacklosigkeit abgleitet.» Julian beweise einen «Mangel an common sense», welcher schliesslich auch seine «weitgehende Erfolglosigkeit
in praktisch allen Bemühungen als Regent» erkläre. 185 Durch die Schrift stelle sich Julian selbst nur als
«Trottel» dar, mit einem «Mangel an Stil» und einer «Weltfremdheit oder Realitätsferne»; sein Auftritt
in der Öffentlichkeit sei «nur als fehlerhaft, als würdelos und als geschmacklos» zu bezeichnen. Als
«oberster Repräsentant und Herrscher des Weltreichs» sei Julian somit «sicherlich nicht geeignet». 186
Müller bleibt mit seinen harschen Worten eher eine Ausnahme. Für Bidez schmälerte der «masochiste
du Misopogon» seine Grösse letztlich keineswegs und Schwächen werden durch ihn verständlich. 187
Davon abgesehen irritierte Julians Satire die ältere Forschung eher: Bereits 1939 bezeichnete Johannes
Straub den Misopogon als «eines Kaisers nicht würdig», 188 gleichzeitig sah Glanville Downey die Schrift
als «proof of a wildly fantastic mind» oder als «cry of a misunderstood soul». 189 Auf jeden Fall sei die
Verfassung einer solchen Schrift «one of the most incredible things that a Roman emperor, supposed
184
Ioh. Mal. 13,19.
MÜLLER 1998, 52 f. Weiter: «Da mag man es noch als (witzige?) Übertreibung goutieren, wenn er von seinem
ungepflegten Bart berichtet, in dem ‹die Läuse umherlaufen wie Tiere in der Fallgrube›, aber wenn er mit der
Beschreibung seiner abstossenden Körperlichkeit dann ungeniert unter die Kleidung vorstösst, um von seiner
zottigen Körperbehaarung zu reden und sich für das Fehlen von Warzen gleichsam zu entschuldigen, ‹dann hört
der Spass auf›, so möchte man ihm zurufen. Wo ‹der Spass aufhört›, das ist die jedem ‹normalen Menschen›
(wenngleich unbewusst) mehr oder weniger deutlich als unüberschreitbar bekannte Grenze, die weder logisch
zu beweisen noch ‹geodätisch› auszumessen, aber dennoch im sozialen Miteinander des täglichen Lebens verbindlich und gültig ist.»
186
Ibid., 63 f. Dies sind nur einige der besonders prägnanten Beispiele für Müllers harte Urteile, die über seine
Einleitung und den Anmerkungsapparat zu seiner deutschen Übersetzung des Misopogons reichlich verteilt sind.
Vgl. schon allein die Urteile zu Kapitel 3 (338 B–339 C) des Misopogon (MÜLLER 1998, 217): «an und für sich sympathisch»; «doch eher eine Entgleisung des jungen Mannes»; ein unerträglicher «Verstoss gegen ‹Stil› und Geschmack»; «kein besonders günstiges Zeichen seiner Einsichtsfähigkeit und Intelligenz»; man komme bei kurzem
Nachsinnen auf die Begriffe «Verblendung und Fanatismus».
187
BIDEZ 1932 (L'Empereur Julien. Œuves complètes), 154.
188
STRAUB 1964, 259 f., Anm. 73.
189
DOWNEY 1939 (Julian the Apostate at Antioch), 309.
185
53
Der «Barthasser»
to be in his right senses, ever did»; Julians Persönlichkeit und charakteristische Veranlagungen erklären
für Downey nur unzureichend das Bild «of an emperor descending into the market-place like a journalist, matching joke for joke with the crowd and describing to them, incidentally, how there had been
only one occasion in his life when he had vomited.» 190 Dennoch stiess Downey eine vor allem in der
italienischen Forschung rezipierte Lesart des Misopogon als Propaganda-Schrift an, die auch die Bevölkerung anderer Städte des Reichs erreichen und so den Misserfolg des Antiochia-Aufenthaltes erklären
sollte. Durch einen Vergleich mit Julians Brief an die Athener kam Downey zum Schluss, dass beide
Quellen als Versuch der Beeinflussung einer breiten öffentlichen Meinung mit den damals vorhandenen Mitteln zu verstehen seien. Der Misopogon sei damit mehr als ein «hysterical outburst», sondern
ein durchdachtes (wenn auch erfolgloses) Mittel der Propaganda. 191
Der Misopogon wird auch in der modernen Forschung zu einem Grossteil als Kuriosum wahrgenommen. Robert Browning widmet der Schrift in seiner Julian-Biographie gerade mal eine halbe Seite und
sieht darin «an extraordinary exercise in public relations and a revelation of the complexity of Julian's
mind.» 192 Joseph Vogt attestiert dem Autor einen «völligen Mangel an Charme»; 193 für Hans-Ulrich
Wiemer gehört der Misopogon zu den «merkwürdigsten Texten, die römische Kaiser verfasst haben»; 194 auch Stefan Rebenich betont, dass «no other Roman emperor has ever publicly exposed himself in this way»; 195 für Arnaldo Marcone ist der Misopogon «certainly the most unusual document
written by an emperor to have come down to us (and not only from the ancient world).» 196
Eine gängige Deutung liest den Misopogon als Psychogramm seines Autors, in welchem sich mehr oder
weniger die Frustration des Kaisers im Zerwürfnis mit den Einwohnern Antiochias niederschlug. In dieser Sicht gilt der Misopogon als Schlüsseldokument für die Unausgeglichenheit und Weltfremdheit seines Autors.
Dennoch versucht die Forschung ab den 1980er-Jahren, den Misopogon kulturell-historisch zu verstehen und lehnt ihn nicht mehr pauschal als anstössig oder verrückt ab. Anders als die Lesung als reichsweite Propaganda im Sinne Downeys legte Maud Gleason eine Interpretation des Misopogon vor, die
gerade den antiochenischen Kontext hervorhebt. 197 Damit wehrt sie sich auch gegen eine allzu einfache Psychologisierung des Kaisers. 198 Sie setzt die Entstehung der Schrift in den Kontext der festlichen
190
DOWNEY 1939, 310.
Ibid., speziell 312–314. Siehe auch DOWNEY 1974, 380–96.
192
BROWNING 1975, 158.
193
VOGT 1978 (Kaiser Julian über seinen Oheim Constantin den Grossen), 235.
194
WIEMER 1998 (Ein Kaiser verspottet sich selbst: Literarische Form und historische Bedeutung von Kaiser Julians
‹Misopogon›), 733.
195
REBENICH/WIEMER 2020, 9.
196
MARCONE , 340.
197
GLEASON 1986.
198
Vgl. ibid., 106, die treffende Feststellung: «Of course the emperor had a psyche. But the emperor's psyche
was not what his subjects saw.»
191
54
Der «Barthasser»
Aktivitäten um die Jahreswende und interpretiert den Misopogon als eine Reaktion des Kaisers auf die
verbalen Attacken seiner Untergebenen. Gleason interpretiert den Misopogon damit als kaiserliches
Strafedikt, als Ersatz für manifestere Sanktionen, und setzt ihn in eine lange Tradition von kaiserlichen
Reaktionen auf Unmut in der Bevölkerung. Es handle sich beim Misopogon in erster Linie um einen
Versuch der Kommunikation zwischen Kaiser und Untergebenen – der aber letztlich fehlgeschlagen
sei. Maude Gleason wirft damit viele interessante Punkte auf und nimmt in Ansätzen eine kulturhistorische Perspektive ein. Jedoch verzichtet sie auf eine eingehende Textanalyse.
Hans-Ulrich Wiemer hat sich in seiner Untersuchung eine Analyse der literarischen Form zum Ziel gesetzt, mit Fokus auf die innere Struktur des Textes. 199 Die Zwiespältigkeit, die den modernen Interpretationen des Misopogon eigen ist, lässt sich nach Wiemer durch eine genauere Betrachtung von Aufbau und Gedankengang der Schrift erklären. Demnach besteht die Schrift aus zwei Teilen: Der erste
Teil stelle die «echte» Satire dar, in denen die Hauptthemen der Mässigung des Kaisers einerseits und
den Ausschweifungen der Antiochener in witziger (Selbst-)Ironie behandelt werden. Dann folgt ein
plötzlicher Bruch, indem die Schrift die Form einer «Scheltrede» einnimmt, und die witzige Ironie einem sarkastischen Hohn und unverhüllten Anklagen weicht. Ob die zwei Teile jedoch auch zwei verschiedenen Adressaten entsprachen, bleibt indes unklar: Als hauptsächliche Adressaten sieht auch
Wiemer die Antiochener in ihrer Gesamtheit, auch wenn eine reichsweite Verbreitung unvermeidbar
war und daher wohl auch antizipiert wurde. 200
In eine ähnliche kulturhistorische Richtung wie Maude Gleason und ebenfalls mit Fokus die literarische
Form geht schliesslich Tom Hawkins, der den Misopogon in seiner Monographie ebenfalls in den Kontext der Kalenden des Januars stellt; bei ihm steht der Misopogon in der langen Tradition der jambischen Dichtung, die sich auf Form und Inhalt des Misopogon auswirken. 201 Als bisher einziger Autor
befasst er sich auch eingehend mit der Bedeutung des Bartes und der körperlich-geschlechtlichen Invektiven im Text.
Neben diesen Ansätzen ist eine spezifisch körpergeschichtliche Auswertung der so zentralen und vielfältigen körperbezogenen und sexualdiskursiven Inhalte des Misopogon bisher ausgeblieben. Deswegen soll im Folgenden der Misopogon hinsichtlich der teilweise brachialen Körperlichkeit untersucht
werden. Dabei werden mehrere Ziele verfolgt: Einerseits wird die Schrift – soweit überhaupt möglich
– auf Hinweise zu Julians tatsächlichem Habitus untersucht. 202 Wichtiger ist aber der Versuch, Julians
199
WIEMER 1998.
Ibid., 736–39.
201
HAWKINS 2014 (Iambic poetics in the Roman Empire).
202
Die «Tatsächlichkeit» von Julians Habitus kann bedingt durch den Misopogon herausgearbeitet werden. Jedoch sollte nicht vergessen werden, dass die satirische Reaktion Julians auf die Reaktionen der Antiochener bereits zwei Schritte von der «Realität» von Julians Verhalten entfernt ist. Dies begründet den Fokus vor allem auf
die Herausarbeitung der Diskurse, und nur in zweiter Linie auf etwaiges reales Verhalten des Kaisers.
200
55
Der «Barthasser»
Schrift auf die diskursiven Aspekte hin zu untersuchen, die für sein Selbstverständnis zentral waren. Es
wird sich zeigen, inwiefern die im Misopogon geäusserten Inhalte den in Julians philosophischen Schriften postulierten Idealen decken.
Textanalyse
Körper und Gesicht
Bereits der Titel der Schrift ist bezeichnend: Der überlieferte und durch zeitgenössische Quellen gesicherte Titel lautet vollständig Des Kaisers Julians Antiochikos, oder: Der Barthasser (Ἰουλιανοῦ
Αὐτοκράτορος Ἀντιοχικὸς ἢ Μισοπώγων). 203 Der erste Teil des Titels kündigt in ironischer Weise eine
Lobrede auf die Stadt und ihre Bevölkerung an. Der zweite Teil lässt Interpretationsspielraum offen:
Ob mit dem «Barthasser» Julian selbst gemeint ist, der seinen eigenen Bart hasse, 204 oder ob es sich
auf die Bevölkerung Antiochias bezieht, mag bewusst offengelassen sein.
Das kurze Proömium der Schrift beginnt mit einem Verweis auf die griechischen Dichter Archilochos
und Alkaios, die – im Vergleich zu Anakreon – sich an ihren Schmähern durch die Kunst der Dichtung
rächten. 205 Julian gibt zu verstehen, dass es ihm als Kaiser so wie auch jeder Privatperson unterdessen
gesetzlich verboten ist, öffentliche Schmähschriften zu verbreiten; auch Vers und Musik kämen aufgrund der mangelnden Ausbildung der Adressaten nicht in Frage. Woran in aber niemand hindere, sei
die Verfassung einer Anklage in Prosaform an ihn selbst. 206 Zu tadeln gäbe es bei ihm ja genug. Im
Folgenden beginnt die Selbstpersiflage mit den Vorwürfen gegen die Lebensweise und das Auftreten
des Kaisers. Diese richten sich zunächst gegen die «äusseren Dinge»: 207
«So fange ich gleich an mit meinem Gesicht. Das ist schon von Natur aus nicht besonders schön
und ansprechend geraten, ihm fehlt auch die jugendliche Frische – und ich, in meiner widerborstigen, bornierten Art, verschlimmere das Ganze noch, indem ich dieses Dickicht von einem
Bart hinzufüge, anscheinend aus purem Rachegelüst, einzig deshalb, weil mich die Natur nicht
mit Schönheit bedacht hat. Aus dem gleichen Grunde finde ich mich auch mit den Läusen ab,
die darin herumwimmeln, als sei es ein Gebüsch für solche Tierlein. Gierig zu essen oder mit
203
Der Doppeltitel wird bezeugt von Greg. Naz. or. 5, 41; Amm. 22,14,1–3; Sokr. h.e. 3,17,9; Zon. 3,12.
Soz. 5,19,2–3 nennt nur Misopogon als Titel.
204
So WIEMER 1998, 740.
205
Insbesondere Archilochos von Paros war in der Antike bekannt für seine Fähigkeit, seine Feinde durch
Schmähschriften in Form von jambischen Versen in den Selbstmord zu treiben. Verweise auf ihn sind auch noch
in der römisch-kaiserzeitlichen Dichtung häufig; vgl. HAWKINS 2014, 1–7.
206
GIEBEL 2016 (Julian Apostata. Das Kaiserbankett. Der Barthasser), 70, Anm. 131 lässt die Vermutung offen, ob
es sich bei der Formulierung «an sich persönlich zu schreiben» (εἰς […] ποιητὴν) um eine Anspielung an Marc
Aurels Selbstbetrachtungen (Τὰ εἰς ἑαυτόν) handelt.
207
Iul. or. 12 (mis.), 340 B: τὰ μὲν ἔξω. WIEMER 1998, 740 f., spricht in diesem Zusammenhang von der vita publica
und der vita privata des folgenden Abschnitts. Auf eine Diskussion über die problematische Begrifflichkeit von
«privat» und «öffentlich» in der Antike möchte ich an dieser Stelle nicht eingehen; vgl. dazu auch die Überlegungen zur Terminologie oben, Kapitel «Interaktionsräume und Akzeptanzgruppen».
56
Der «Barthasser»
weit offenem Mund zu trinken muss ich mir verkneifen, denn ich habe aufzupassen, dass ich
nicht versehentlich mit dem Brot auch meine Haare verspeise. Was das Küssen und Geküsstwerden angeht, so macht mir das am wenigsten Kummer. Obwohl natürlich ein Bart dabei,
wie auch sonst, recht hinderlich ist, denn er erlaubt nicht, dass sich, wie bei glatten Wangen,
‹zart Lippe an Lippe drückt›, wie einer unserer Dichter sagt, der mit Hilfe von Pan und Kalliope
den Daphnis besungen hat. Ihr meint, man müsse aus meinem Bart Seile flechten! Nun, ich
bin bereit dazu, wenn ihr nur auch Kraft genug habt, sie zu ziehen und die Borstigkeit euch
nicht die Hände ruiniert, ‹die zarten und ungeübten›. 208 Es soll keiner annehmen, ich fühlte
mich angegriffen durch eure Verulkungen. Ich liefere euch ja selbst den Anlass dazu, indem
ich einen Bart trage wie ein Ziegenbock, während ich mein Kinn doch glatt und zart haben
könnte, so wie die hübschen Jungen und die Frauen allesamt, die von der Natur mit Liebreiz
bedacht sind. Ihr eifert ja noch im Alter euren eigenen Söhnen und Töchtern nach, mit eurem
verwöhnten Lebensstil und euren verzärtelten Gewohnheiten, und ihr bemüht euch sorgsam,
glatt und fein auszusehen und zeigt eure Männlichkeit gerade nur an den Haaren auf dem
Kopf, nicht wie ich an Kinn und Wangen.» 209
In diesem ersten Abschnitt steckt bereits sehr viel. Es ist bezeichnend, dass sich der allererste Kritikpunkt, den der Kaiser bezüglich seiner Person erwähnt, auf sein Äusseres bezieht. Als besonderes Charakteristikum wird der Bart hervorgehoben, der der Schrift den Titel gab, und dem im weiteren Verlauf
der Schrift eine prominente Rolle zukommen wird. 210 Dass das Gesicht des Kaisers an «jugendlicher
Frische» zu wünschen übrigliesse, liegt wohl kaum an Julians Alter – dieser war zum Zeitpunkt der
Verfassung der Rede gerade einmal einunddreissig Jahre alt. 211 Auch an anderer Stelle stilisiert sich
208
Hom. Od. 21,150–151; vgl. zur Bedeutung dieser Anspielung unten S. 68 ff.
Iul. or. 12 (mis.), 338 B–339 A (Übers. Giebel): Τούτῳ γὰρ οἶμαι φύσει γεγονότι μὴ λίαν καλῷ μηδὲ εὐπρεπεῖ
μηδὲ ὡραίῳ ὑπὸ δυστροπίας καὶ δυσ|κολίας αὐτὸς προστέθεικα τὸν βαθὺν τουτονὶ πώγωνα, δίκας αὐτὸ
πραττόμενος, ὡς ἔοικεν, οὐδενὸς μὲν ἄλλου, τοῦ δὲ μὴ φύσει γενέσθαι καλόν. Ταῦτά τοι διαθεόντων ἀνέχομαι
τῶν φθειρῶν ὥσπερ ἐν λόχμῃ τῶν θηρίων, ἐσθίειν δὲ λάβρως ἢ πίνειν χανδὸν οὐ συγχωροῦμαι· δεῖ γὰρ οἶμαι
προσέχειν μὴ λάθω καὶ συγκαταφαγὼν τὰς τρίχας τοῖς ἄρτοις. Ὑπὲρ δὲ τοῦ φιλεῖσθαι καὶ φιλεῖν ἥκιστα ἀλγῶ·
καίτοι καὶ τοῦτο ἔχειν ἔοικεν ὁ πώγων ὥσπερ τὰ ἄλλα λυπηρόν, οὐκ ἐπιτρέπων καθαρὰ λείοις καὶ διὰ τοῦτο
οἶμαι γλυκερωτέροις χείλεσι χείλη προσμάττειν, ὅπερ ἤδη τις ἔφη τῶν ἐργασαμένων ξὺν τῷ Πανὶ καὶ τῇ
Καλλιόπῃ εἰς τὸν Δάφνιν ποιήματα. Ὑμεῖς δέ φατε δεῖν καὶ σχοινία πλέκειν ἐνθένδε· καὶ ἕτοιμος παρέχειν, ἢν
μόνον ἕλκειν δυνηθῆτε καὶ μὴ τὰς ἀτρίπτους ὑμῶν καὶ μαλακὰς χεῖρας ἡ τραχύτης αὐτῶν δεινὰ ἐργάσηται.
Νομίσῃ δὲ μηδεὶς δυσχεραίνειν ἐμὲ τῷ σκώμματι· δίδωμι γὰρ αὐτὸς τὴν αἰτίαν ὥσπερ οἱ τράγοι τὸ γένειον ἔχων,
ἐξὸν οἶμαι λεῖον αὐτὸ ποιεῖν καὶ ψιλόν, ὁποῖον οἱ καλοὶ τῶν παίδων ἔχουσιν ἅπασαί τε αἱ γυναῖκες, αἷς φύσει
πρόσεστι τὸ ἐράσμιον. Ὑμεῖς δὲ καὶ ἐν τῷ γήρᾳ ζηλοῦντες τοὺς ὑμῶν αὐτῶν υἱέας καὶ τὰς θυγατέρας ὑπὸ
ἁβρότητος βίου καὶ ἴσως ἁπαλότητος τρόπου λεῖον ἐπιμελῶς ἐργάζεσθε, τὸν ἄνδρα ὑποφαίνοντες καὶ
παραδεικνύντες διὰ τοῦ μετώπου καὶ οὐχ ὥσπερ ἡμεῖς ἐκ τῶν γνάθων.
210
Hinweise auf seinen Bart sind zahlreich, und finden sich über das ganze Werk verteilt: 338 B–339 C; 349 C; 360
D; 365 D; daneben en passant 355 D; 358 A; 364 B.
211
Die Verfassung muss im Anschluss an die Neujahrsfeierlichkeiten 363 stattgefunden haben. Julian erwähnt,
dass die Antiochener die Last seiner Gegenwart bereits sieben Monate ertragen (344 A) Julian hielt seinen adventus irgendwann im Juli 362 (DOWNEY 1974; WIEMER 1998, 736, Anm. 17: 18. Juli), was für eine Verfassung im
Januar oder Februar 363 spricht. Julians Geburtstag war irgendwann im Mai/Juni 321. Somit ergibt sich das Alter
209
57
Der «Barthasser»
Julian älter, wenn er von sich als «Mann in vorgerückten Jahren» spricht, der seine Gewohnheiten nicht
mehr ändern könne. Man sähe ihm das Alter auch an, da er ja bereits weisse Haare unter den schwarzen habe. 212 Dabei zieht er einen Gegensatz zu den Antiochenern, die so jung wirken wollen wie ihre
Söhne und Töchter. Ein Verweis darauf, dass Julian älter wirkte, als er war, findet sich – in positiver
Weise – auch bei Ammian (Julian sei «an Tugend älter als an Jahren» gewesen.) 213
Die Beschreibungen des mit Läusen verseuchten Bartes sind derb und provozierend. Dass ihn der Bart
einerseits beim zügellosen Essen, andererseits beim Küssen hindert, ist bereits ein erster Verweis auf
die asketische Lebensführung des Kaisers, die er im Folgenden noch detaillierter ausführen (bzw. parodieren) wird. So gesehen ist Julians Bart sogar hilfreich, um jegliche Ausschweifungen zu verhindern.
Der Bart wird somit vom Symbol zum Beweis für Julians asketischen Lebensstil. In diesem ersten Abschnitt liefert uns Julian auch bereits die ersten konkreten Hinweise auf die Spottverse, die offenbar in
Antiochia zirkulierten und bis zu ihm durchgedrungen sind (dass er einen Bart trage wie ein Ziegenbock: ὥσπερ οἱ τράγοι τὸ γένειον). 214 Anschliessend richtet sich der Fokus auch direkt auf Julians weitere Körperbehaarung:
«Aber nicht genug, dass mein Bart so lang ist, ich habe dazu auch noch eine wüste Haarmähne
auf dem Kopf, meine Haare und Nägel sind selten geschnitten und meine Finger schwarz von
Tinte. Und wenn ich euch ein Geheimnis verraten soll: Auch auf meiner Brust ist ein dichter,
zottiger Wald von Haaren, wie beim Löwen, der unter den Tieren der König ist. Noch niemals
habe ich mich dort glatt geschabt – so ein störrischer und primitiver Typ bin ich – und ich habe
mich auch nicht anderswo an meinem Körper zart und weich gemacht. Ich würde es euch auch
verraten, wenn ich irgendwo eine Warze hätte wie [Kimon], 215 aber, es tut mir leid, ich habe
keine.» 216
In dem der Kaiser von der Beschreibung seiner Gesichtsbehaarung, die für alle sichtbar war, nun die
Aufmerksamkeit auf den kaiserlichen Körper unterhalb der Kleidung richtete, überschritt er damit eine
klare Grenze. Der Vergleich mit einem Löwen ist freilich zweideutig zu lesen: Einerseits reiht er sich in
von einunddreissig Jahren bei der Abfassung der Schrift. Vgl. die Chronologie bei SEECK 1906 (Zur Chronologie
und Quellenkritik des Ammianus Marcellinus), 514 und KIENAST 2017 (Römische Kaisertabelle), 309.
212
Iul. or. 12 (mis.), 366 B.
213
Amm. 25,4,7: uirtute senior quam aetate.
214
Siehe dazu unten, Kapitel «Ein Affe und ein Ziegenbock: Spott auf Julian».
215
Giebel übersetzt hier «Cicero», dessen Beiname nach Plutarch (Plut. vit. Cic. 1) von einer Warze in Form einer
Kichererbse (cicer) herrührt, die einer seiner Vorfahren gehabt haben soll. Im griechischen Text ist aber «Kimon»
(Κίμωνι) überliefert.
216
Iul. or. 12 (mis.), 339 B–C (Übers. Giebel): Ἐμοὶ δὲ οὐκ ἀπέχρησε μόνον ἡ βαθύτης τοῦ γενείου, ἀλλὰ καὶ τῇ
κεφαλῇ πρόσεστιν αὐχμός, καὶ ὀλιγάκις κείρομαι καὶ ὀνυχίζομαι, καὶ τοὺς δακτύλους ὑπὸ τοῦ καλάμου τὰ
πολλὰ ἔχω μέλανας. Εἰ δὲ βούλεσθέ τι καὶ τῶν ἀπορρήτων μαθεῖν, ἔστι μοι τὸ στῆθος δασὺ καὶ λάσιον ὥσπερ
τῶν λεόντων, οἵπερ βασιλεύουσι τῶν θηρίων, οὐδὲ ἐποίησα λεῖον αὐτὸ πώποτε διὰ δυσκολίαν καὶ
μικροπρέπειαν, οὐδὲ ἄλλο τι μέρος τοῦ σώματος εἰργασάμην λεῖον οὐδὲ μαλακόν. Εἶπόν γ’ ἂν ὑμῖν, εἴ τις ἦν μοι
καὶ ἀκροχορδὼν ὥσπερ τῷ Κίμωνι· νυνὶ δὲ οὐκ ἔστι, καὶ συγγινώσκετε.
58
Der «Barthasser»
selbstironischer Weise in die lange Liste der Tiervergleiche ein, die bezüglich Julians Körperbehaarung
immer wieder herangezogen wurden. 217 Andererseits dürfte der Verweis auf die maiestas des Löwen
«der unter den Tieren der König ist» ebenso ein Anklang an die bereits etablierte Verbindung der Behaarung mit Männlichkeit bedeuten. Der Verweis auf Julians zottelige «Mähne» wird sogleich wieder
im Gegensatz zu der Weichheit einer rasierten Brust gesetzt, auf die Julian verzichtet; die Weichheit
steht damit nicht mehr nur im Gegensatz zur Behaarung, sondern auch zur maiestas und der natürlichen Autorität der Mächtigen über die Schwachen: Die Tiere (θηρία), über die der Löwe herrscht, erinnern wiederum an die Läuse, die sich in Julians Bart tummeln, als «Gebüsch für solche Tierlein.» Sein
Bart verbindet Julian mit dem natürlichen maiestas des Löwen, während die Antiochener auf die lästige Rolle von Läusen reduziert werden, die Julian belästigen, aber wie einen Löwen eben nicht weiter
einschränken. 218
Interessant ist hier auch der Verweis auf die vermeintlich ungepflegten, geschwärzten Finger des Kaisers: Diese weisen ihn als Schriftsteller aus, und zwar einen, der selbst Hand anlegt, anstatt einem
Schreiber zu diktieren. Es könnte durchaus sein, dass der Kaiser hier auch auf Spott aus dem Volk oder
seiner Umgebung reagiert. Auf jeden Fall ist es ein Hinweis darauf, dass auch die Hände des Kaisers
der Beobachtung der Untergebenen unterlagen. Dass die einfache Stadtbevölkerung dem Kaiser jedoch nahe genug kam, um seine Hände auf die Länge der Fingernägel hin zu beurteilen, ist unwahrscheinlich. Wahrscheinlicher ist, dass es sich bei den geschwärzten Finger Julians lediglich um einen
rhetorischen Hinweis zu seiner Arbeit als Schriftsteller handelt. Doch auch unter diesem Vorbehalt
bleibt die Beobachtung bestehen, dass gewisse Tätigkeiten für kaiserliche Hände, als pars pro toto also
für den Kaiser selbst, als nicht geeignet oder jedenfalls nicht üblich gesehen wurden – ansonsten würde
die Bemerkung wenig Sinn machen. Einen weiteren Hinweis auf Julians Finger findet sich auch bei Libanios. In einer Rede zum Antritt des vierten Konsulats von Julian in Antiochia lobt Libanios die Opfertätigkeit des Kaisers, die dieser nicht etwa durch andere ausführen lässt, sondern selbst in die Hand
nimmt. Von den vielen nötigen Tätigkeiten dafür würden die Finger des Kaisers zeugen. Für Julian sei
die Vorstellung absurd, Anweisungen an seine Statthalter von Hand zu schreiben, jedoch seine Pflicht
gegenüber den Göttern nicht mit der eigenen Hand zu bewerkstelligen. 219
217
Vgl. Kapitel «Tiervergleiche» unten.
Vgl. HAWKINS 2014, 279. Er verweist in diesem Zusammenhang auch auf die orthographische und phonetische
Ähnlichkeit von λεῖος, «glatt» zu λέων, «Löwe». Ob der Bart deshalb wirklich als ein «aggressive symbol warning
the people of Antioch of his wrath» darstellt, sei dahingestellt.
219
Lib. or. 12, 82.
218
59
Der «Barthasser»
Spiele
Kaiserliche Hände standen also ebenso wie der Rest des kaiserlichen Körpers unter strenger Beobachtung. 220 Zusätzlich zu dessen äusseren Erscheinungsbild gereichte aber offenbar auch sein öffentliches
Auftreten – d.h. seine Abwesenheit – zu reichlich Unmut in der Bevölkerung:
«Doch ich sage euch noch etwas: Als ob es mir noch nicht genügte, einen solch unkultivierten
Körper zu haben, pflege ich auch noch eine ganz unmögliche Lebensweise. Ich halte mich fern
von Theater und Zirkusspielen, einfältig wie ich bin, und ich lasse an meinem Hof auch keine
Komödienaufführungen zu, ausser an Neujahr, solch ein Banause bin ich, gebärde mich gerade
wie ein Mann vom Land, der seine Pachtsumme von seinem kleinen Gütchen an einen gestrengen Herrn abliefern muss. Und wenn ich einmal ins Theater gehe, dann wie einer, der ein
fälliges Sühneopfer ableistet. Ich verfüge über niemanden – und dies, obwohl ich schliesslich
als grosser König gelte – der gleichsam als mein Ober- oder Unterbefehlshaber die Schauspieler und die Wagenlenker überall im Reich unter sich hat. So habt ihr's bis vor kurzem ja gesehen und erinnert euch nun ‹an seine Jugend, an seine gewinnende Herzens- und Sinnesart›.» 221
Damit dürfte, abgesehen vom Bart des Kaisers, der wesentliche Streitpunkt zwischen Kaiser und Bevölkerung angesprochen worden sein, denn das Fehlen des Kaisers im Theater und Circus fiel für die
Bevölkerung Antiochias scheinbar besonders ins Gewicht. In der Zurückgezogenheit des Kaisers spiegle
sich seine unkultivierte Lebensweise genauso wie in der Vernachlässigung seiner Körperpflege, wenn
nicht noch schlimmer. Während seines Aufenthaltes in Antiochia schien Julian tatsächlich in erster Linie insbesondere durch seine Abwesenheit in der Öffentlichkeit geglänzt zu haben. Die Ausnahme an
Neujahr, auf die sich Julian hier bezieht, verweist höchstwahrscheinlich auf den Anlass der karnevalesken Festlichkeiten, in dessen Kontext die Schrift überhaupt verfasst wurde. Julian versäumt es in diesem Zusammenhang auch nicht, sich in Kontrast zu seinem Vorgänger zu setzen, der scheinbar eine
220
Dass diese Beobachtung zuweilen auch als übertrieben kritisiert wurde, sieht man bei Ammian. Im
Zusammenhang mit den Denunziationen Julians am Hof des Constantius listet er einige historische Beispiele, bei
denen aufgrund von Neid grossen Männern gewisse Laster angedichtet worden seien: So hätten die Neider von
Pompeius an ihm die lächerliche und alberne Kleinigkeit beobachtet, dass er sich in einer charakteristischen
Weise mit einem Finger am Kopf kratzte, und dies auf seine angeblich zerstreute Art zurückgeführt
(Amm. 17,11,4). Der gängige Topos, dass verweichlichte Männer sich nur mit einem Finger am Kopf kratzten, um
ihre Frisur nicht zu zerstören, findet sich auch bei kaiserzeitlichen Autoren wie Plutarch (Plut. vit. Caes. 4); zur
Kontextualisierung in republikanischen Männlichkeits-Invektiven siehe MEISTER 2012, 57–63.
221
Iul. or. 12 (mis.), 339 C–D (Übers. Giebel): φράσω μὴν ἕτερον. Ἐμοὶ γὰρ οὐκ ἀπόχρη τὸ σῶμα εἶναι τοιοῦτο,
πρὸς δὲ καὶ δίαιτα παγχάλεπος ἐπιτηδεύεται· Εἴργω τῶν θεάτρων ἐμαυτὸν ὑπ’ ἀβελτηρίας, οὐδὲ εἴσω τῆς αὐλῆς
παραδέχομαι τὴν θυμέλην ἔξω τῆς νεομηνίας τοῦ ἔτους ὑπ’ ἀναισθησίας, ὥσπερ τινὰ φόρον ἢ δασμὸν
εἰσφέρων καὶ ἀπο|διδοὺς ἄγροικος ὀλίγα ἔχων οὐκ ἐπιεικεῖ δεσπότῃ· καὶ τότε δὲ εἰσελθὼν τοῖς ἀφοσιουμένοις
ἔοικα. Κέκτημαι δὲ οὐδένα – καὶ ταῦτα βασιλεὺς ἀκούων μέγας –, 〈ὃς〉 καθάπερ ὕπαρχος ἢ στρατηγὸς διὰ πάσης
τῆς οἰκουμένης ἄρξει τῶν μίμων καὶ τῶν ἡνιόχων· ὅπερ ὑμεῖς ὁρῶντες ὀλίγῳ πρότερον ἀναμιμνήσκεσθε νῦν
ἥβης ἐκείνης νοῦ τε ἐκείνου καὶ φρενῶν.
60
Der «Barthasser»
viel grössere Begeisterung für die lokale öffentliche Unterhaltung bewies: Gemeint ist natürlich
Constantius II., der nur zwei Jahre zuvor in Antiochia residierte, bevor er von hier aus gegen Julian in
den Krieg auszog. 222 Weiter verweist Julian in ironischer Weise auf die erinnerte Jugend seines Vorgängers, der natürlich bei seinem letzten Aufenthalt in Antiochia bereits älter war als Julian es jetzt war. 223
Gleich anschliessend macht er diesen Gegensatz zu seinem Vorgänger noch expliziter:
«Das war nun wohl ein schwerwiegender und klarer Beweis meiner schnöden Lebensart, und
ich will euch noch einen weiteren dazu liefern: Die Pferderennbahn ist mir so verhasst wie den
Schuldnern der Marktplatz. Nur selten besuche ich sie, an den Feiertagen, und ich verbringe
nicht den ganzen Tag dort, wie es mein Vetter tat, mein Onkel und mein Bruder. Sechs einzelne
Durchläufe halte ich gerade noch aus, und auch das nicht mit der Miene eines Sportbegeisterten oder, beim Zeus, wie einer, dem das nicht ganz und gar zuwider ist – ich bin froh, wenn
ich wieder gehen darf.» 224
An dieser Stelle geht er nicht nur auf Constantius (seinen Vetter), 225 sondern auch auf seinen gleichnamigen Onkel Julian und seinen Bruder Gallus ein. Damit stellt sich Julian auch innerhalb der eigenen
Familie als Sonderling dar. Der Vergleich mit Gallus und Constantius ist naheliegend; Gallus wurde von
den Antiochenern als von Constantius eingesetzter Caesar in einer ähnlichen Funktion erlebt, und
Constantius war der letzte Kaiser vor Julian, den die Antiochener zu Gesicht bekamen. 226 Es bleibt also
vorerst festzuhalten, dass Julian drei wichtige öffentliche Bereiche – Circus, Theater und Hippodrom –
mied, in welchen der Kontakt zwischen Kaiser und Bevölkerung besonders intensiv war und die traditionelle Orte ritualisierter Kommunikation zwischen Kaiser und Volk waren, der sich Julian offenbar
222
Die profectio im Herbst 361, vgl. KIENAST 2017.
Constantius II. (* 7. Aug. 317) war bei seinem letzten Aufenthalt in Antiochia (361) vier- oder fünfundvierzig
Jahre alt.
224
Iul. or. 12 (mis.), 340 A (Übers. Giebel): Ἦν μὲν οὖν ἴσως καὶ τοῦτο βαρὺ καὶ δεῖγμα ἐναργὲς μοχθηρίας τρόπου,
προστίθημι δὲ ἐγώ τι καινότερον ἀεί· Μισῶ τὰς ἱπποδρομίας ὥσπερ οἱ χρήματα ὠφληκότες τὰς ἀγοράς.
Ὀλιγάκις οὖν εἰς αὐτὰς φοιτῶ ἐν ταῖς ἑορταῖς τῶν θεῶν οὐδὲ διημερεύω, καθάπερ εἰώθεσαν ὅ τε ἀνεψιὸς ὁ
ἐμὸς καὶ ὁ θεῖος καὶ ὁ ἀδελφὸς ὁ ὁμοπάτριος. Ἓξ δὲ τοὺς πάντας θεώμενος δρόμους – οὐδὲ αὐτοὺς ὡς ἄν τις
ἐρῶν τοῦ πράγματος ἢ ναὶ μὰ Δία μὴ μισῶν αὐτὸ μηδὲ ἀποστρεφόμενος – ἄσμενος ἀπαλλάττομαι.
225
GIEBEL 2016, 72, Anm. 136., verweist auf einen curator ludorum im Dienste Constantius’, einen «Eventmanager», der bei der Ankunft eines Kaisers übliche, glanzvolle Spiele zu veranstalten hatte. Einen direkten Hinweis
auf ein solches Amt unter Constantius findet sich in den Quellen nicht. Spezielle Beamte, die für die Ausführung
der Spiele zuständig sind, sind jedoch für die gesamte Kaiserzeit und Spätantike belegt: Vgl. SGUAITAMATTI 2012
(Der spätantike Konsulat), 157–96. Es ist gut vorstellbar, dass ein solcher der Hofreform Julians kurz nach seinem
Herrschaftsantritt in Konstantinopel (siehe unten, S. 99 f.) zum Opfer gefallen und entlassen worden ist.
226
Bezüglich seines Onkels Julius Constantius ist die Gegenüberstellung verwunderlich, denn Julian hatte zu seinem Onkel, den er als comes Orientis eingesetzt hatte und mit dem er in regelmässigem Briefkontakt stand, ein
gutes Verhältnis und die beiden traten wohl oft gemeinsam in Antiochia auf. Bei der Bevölkerung Antiochias
schien Julius Constantius, der sich von Julian von einem Christen wieder zum Paganismus konvertieren liess auch
ebenso unbeliebt gewesen zu sein; er wurde offenbar zusammen mit Julian und seinen Freunden verspottet (Iul.
or. 12 (mis.), 365 B–C). Christliche Quellen berichten zudem davon, dass Julius durch eine göttliche Strafe in Form
einer Krankheit dahingerafft wurde: Ephr. Syr. hymn. c. Iulian. 4,3–4; Philostorg. h.e. 7,10,3; Theod. h.e. 3,13.
223
61
Der «Barthasser»
entzog. Mit diesem Tadel beschliesst Julian dann einstweilen die Beschreibung seiner «äusseren» Auftritte. Doch diese seien nicht das einzige, mit denen er die Antiochener vor den Kopf gestossen habe.
Der «Krieg gegen den Magen»
Als nächstes widmet sich Julian den «inneren Dingen» 227 seiner Herrschaft:
«Da gibt es durchwachte Nächte auf einem Strohsack, ein Essen, bei dem Schmalhans Küchenmeister ist – was mich bitter macht und schlecht aufgelegt gegenüber einer Stadt, die so im
Luxus schwelgt. Aber ich habe mir nicht, um euch zu ärgern, solche Essgewohnheiten auferlegt. Schon in meiner Kindheit überkam mich eine schreckliche und unvernünftige Verblendung, die mich dazu brachte, Krieg gegen meinen Bauch zu führen, dem ich nicht erlaube, sich
mit allem Essbaren vollzustopfen.» 228
Damit beginnt Julian seine Inszenierung als Asket. Seine Askese drückt sich in erster Linie durch seine
Schlaf- und Essgewohnheiten aus, welche ihn zum natürlichen Feind einer Stadt mache, die im Luxus
lebe (τρυφώσα πόλις). Der Unterschied wird noch pointierter durch die folgende Aussage, dass sich
Julian «seltener als andere Leute» übergeben muss – wohl eine Anspielung auf die Exzesse der Antiochener. 229 Der «Krieg gegen den Bauch» (τῇ γαστρὶ πολεμεῖν) ist eine interessante Formulierung. An
die kriegerische Ansage wird sogleich ein Beispiel aus der Zeit, in der Julian als Caesar in Gallien tätig
war, angehängt. Dies sei das einzige Mal seit Herrschaftsantritt gewesen, bei dem er sich übergeben
musste – freilich nicht aufgrund von Völlerei, sondern durch einen eigentümlichen Unglücksfall. Nach
einer überraschend pittoresken Beschreibung des Pariser Winterlagers auf der Insel der zugefrorenen
Seine, 230 folgt eine Darstellung von Julians Versuch, sich gegen die Kälte abzuhärten. Er habe auf eine
übliche Fussbodenheizung verzichtet, da er sich an die Kälte gewöhnen wollte. Aufgrund der aussergewöhnlichen Winterskälte liess er sich an einem gewissen Punkt dennoch glühende Kohle ins Schlafgemach bringen. Durch die Wärme taute jedoch der Frost der Wände, die den Caesar einschläferten
und beinahe ersticken liessen. Nachdem man ihn ins Freie gebracht hatte, erbrach Julian auf Anraten
seiner Ärzte die letzte Mahlzeit (eine sehr geringe Menge), worauf er ihm gleich besser gegangen sei. 231
Iul. or. 12 (mis.), 340 B: τὰ δὲ ἔνδον. Vgl. Anm. 207.
Iul. or. 12 (mis.), 340 B (Übers. Giebel): Ἀλλὰ τὰ μὲν ἔξω ταῦτα – καίτοι πόστον εἴρηταί μοι μέρος τῶν ἐμῶν
εἰς ὑμᾶς ἀδικημάτων; –, τὰ δὲ ἔνδον ἄγρυπνοι νύκτες ἐν στιβάδι· καὶ τροφὴ παντὸς ἥττων κόρου πικρὸν ἦθος
ποιεῖ καὶ τρυφώσῃ πόλει πολέμιον. Οὐ μὴν ὑμῶν γ’ ἕνεκα τοῦτο ἐπιτηδεύεται παρ’ ἐμοῦ, δεινὴ δέ τις ἐκ
παιδαρίου με καὶ ἀνόητος ἀπάτη προκαταλαβοῦσα τῇ γαστρὶ πολεμεῖν ἔπεισεν, οὐδὲ ἐπιτρέπω πολλῶν
ἐμπίπλασθαι σιτίων αὐτῇ.
229
Iul. or. 12 (mis.), 340 C: Ὀλιγάκις οὖν ἐμοὶ τῶν πάντων ἐμέσαι συνέβη, καὶ μέμνημαι αὐτὸ παθών, ἐξ ὅτου
Καῖσαρ ἐγενόμην, ἅπαξ ἀπὸ συμπτώματος, οὐ πλησμονῆς.
230
Iul. or. 12 (mis.), 340 C–341 B, womöglich als einleitende Erklärung für Julians Verhalten in einem ausserordentlich kalten Winter.
231
Iul. or. 12 (mis.), 341 C–342 A (Übers. Giebel): Ὡς οὖν ἐν τούτοις ἀγριώτερος ἦν τοῦ συνήθους, ἐθάλπετο δὲ
τὸ δωμάτιον οὐδαμῶς, οὗπερ ἐκάθευδον, ὅνπερ εἰώθει τρόπον ὑπογαίοις καμίνοις τὰ πολλὰ τῶν οἰκημάτων
ἐκεῖ θερμαίνεσθαι, καὶ ταῦτα ἔχον εὐτρεπῶς πρὸς τὸ παραδέξασθαι τὴν ἐκ τοῦ πυρὸς ἀλέαν – συνέβη δὲ οἶμαι
227
228
62
Der «Barthasser»
Der Exkurs vereint zwei verschiedene Aspekte von Julians Wesen, auf welche er besonders stolz zu sein
scheint: Einerseits seine körperliche Widerstandsfähigkeit gegen klimatische Einflüsse, andererseits
seine betonte Zurückhaltung bei der Nahrungsaufnahme. Dass Julian sich Kohle bringen liess, wird als
klare Ausnahme in einem besonders harten Winter dargelegt. Die Angst vor den Wasserdämpfen war
indes zu dieser Zeit eine weit verbreitete, und nicht selten wurde der unerklärbare Tod wichtiger Personen auf solche Phänomene zurückgeführt – die Gefahren einer Kohlenmonoxid-Vergiftung, die hierbei wohl eine wesentlich grössere Rolle gespielt haben dürfte, war zu jener Zeit freilich noch unbekannt. 232 Die geringe Menge an Erbrochenem ist wiederum ein Verweis auf Julians massvolle Ernährung, womit die Episode abschliessend in den Zusammenhang von Julians Askese eingebunden wird.
Mit den vielen Verweisen auf seine asketische Lebensweise greift Julian Themen auf, die er in seinen
philosophischen Texten bereits ausgelegt hat, insbesondere in seinen beiden Reden gegen die Kyniker.
In diesem Sinne zeigt sich im Bereich der privaten Lebensführung eine grosse Konsistenz über die verschiedenen Schriften Julians hinweg. Der Antiheld des Misopogon führt Krieg gegen seinen Magen,
nicht nur was die Menge betrifft, sondern auch die Auswahl an Nahrungsmitteln. Dieses selektive Verhalten äussert sich jedoch in einer sehr frugalen Ernährung, die im Gegensatz zu der besonders raffinierten Verköstigung der Antiochener steht. So kritisiert der antiochenische Zwischenrufer Julians naive Idee, dass die Stadt bereits ausreichend ernährt sei, wenn er nur genügend Korn zur Verfügung
stelle. Doch damit nicht genug:
«Kürzlich beklagte sich jemand, es gäbe weder genügend Fisch noch Geflügel auf dem Markt.
Da setztest du ein maliziöses Lächeln auf und sagtest, Brot, Wein und Oliven reichten für eine
wohlanständige Stadt, mit Fleisch finge schon die Schwelgerei an. Von Fisch und Geflügel überhaupt nur zu reden, sei schon höchste Ausschweifung – mehr als bei den Freiern in lthaka! 233
καὶ τότε διὰ σκαιότητα τὴν ἐμὴν καὶ τὴν εἰς αὑτὸν πρῶτον, ὡς εἰκός, ἀπανθρωπίαν· ἐβουλόμην γὰρ ἐθίζειν
ἐμαυτὸν ἀνέχεσθαι τὸν ἀέρα ταύτης ἐνδεῶς ἔχοντα τῆς βοηθείας –, ὡς δὲ ὁ χειμὼν ἐπεκράτει καὶ ἀεὶ | μείζων
ἐπεγίνετο, θερμῆναι μὲν οὐδὲ ὣς ἐπέτρεψα τοῖς ὑπηρέταις τὸ οἴκημα, δεδιὼς κινῆσαι τὴν ἐν τοῖς τοίχοις
ὑγρότητα, κομίσαι δὲ ἔνδον ἐκέλευσα {πῦρ κεκαυμένον} καὶ λαμπροὺς 〈ἔτι〉 ἀποθέσθαι φανοὺς κεκαυμένους.
Οἱ δέ, καίπερ ὄντες οὐ πολλοί, παμπληθεῖς ἀπὸ τῶν τοίχων ἀτμοὺς ἐκίνησαν, ὑφ’ ὧν κατέδαρθον· ἐμπιπλαμένης
δέ μοι τῆς κεφαλῆς ἐδέησα μὲν ἀποπνιγῆναι, κομισθεὶς δὲ ἔξω, τῶν ἰατρῶν παραινούντων ἀπορρῖψαι τὴν
ἐντεθεῖσαν ἄρτι τροφήν, οὔτι μὰ Δία πολλὴν οὖσαν, ἐξέβαλον, καὶ ἐγενόμην αὐτίκα ῥᾴων, ὥστε μοι γενέσθαι
κουφοτέραν τὴν νύκτα καὶ τῆς ὑστεραίας πράττειν ὅτιπερ ἐθέλοιμι.
232
Vgl. etwa die möglichen Erklärungen für Jovians Tod bei Eutropius (10,18,1): Jovian starb nach allgemeinem
Glauben entweder an der Überladung des Magens infolge seiner üblichen Völlerei, an den Dämpfen einer frischen Tünche von Kalk in seinem Schlafgemach, oder – ähnlich wie die Episode bei Julian – aufgrund von glühender Kohle, die er wegen eines besonders strengen Frostes anzünden liess.
233
Julian assoziiert die Antiochener mit den Freiern der Penelope in der Odyssee, d.h. Männer, die den ganzen
Tag auf Kosten anderer schlemmten.
63
Der «Barthasser»
Und wem Schweine- und Hammelbraten nicht behagten [wie diesen], meintest du, der tue
gut daran, sich mit Gemüse zu begnügen.» 234
Die Unzufriedenheit mit den vorhandenen Nahrungsmitteln führt Julian als weiteren Beweis für das
luxuriöse Leben der Antiochener an. 235 Die Passage schliesst an eine Beschreibung der erfolglosen Versuche Julians zur Regulierung des ausser Kontrolle geratenen Marktes von Antiochia an, das dadurch
zeitweise grösseren Hungerkrisen ausgesetzt war. Verantwortlich für das Scheitern war freilich nicht
Julian selbst, sondern die Gier und Gesetzeslosigkeit der Geschäftsleute, Ladenbesitzer und Stadtmagistrate. Solche Passagen werden zuweilen als Hinweis darauf gelesen, dass der junge Kaiser die wirtschaftliche Situation in Antiochia nicht nur nicht verstand, sondern er sie auch nur durch seine moralische Brille zu betrachten gewillt war. 236 Dies mag zutreffend sein. Auf jeden Fall muss eine solche Aussage, ob sie tatsächlich bereits im Vorfeld durch Julian geäussert wurde, oder erst im Kontext des Misopogon gelesen wurde, als Schlag ins Gesicht für viele hungernde Antiochener gewirkt haben. 237
Der Pariser Exkurs hat neben der Darstellung von Julians Askese auch noch eine weitere Funktion: Er
dient als Vorlage für eine Besprechung des Wesens der Kelten, das sich von dem der Antiochener so
grundsätzlich unterscheidet. Denn im Gegensatz zu diesen seien die Kelten, die in Caesar Julians Armee
dienten, und die er auch mit sich nach Antiochia gebracht hatte, von einer so bäurischen Art (ἡ Κελτῶν
[…] ἀγροικία), dass sie die seine einfacher ertrügen. Natürlich sei er selbst aber ein Stein des Anstosses
in einer so glänzenden Stadt wie Antiochia, in der es viele Tänzer, Flötenspieler und Mimen gäbe –
dafür aber keinen Respekt vor den Regierenden. 238 Die Missachtung der kaiserlichen Autorität und die
luxusversessene Lebensführung verbindet Julian in ironischer Weise mit der mannhaften Art der Antiochener. Darüber würden unreife Jungen vielleicht rot werden; aber für gestandene Männer, wie es
Iul. or. 12 (mis.), 350 B–C (Übers. Giebel): Ἐκεῖνο δέ σου χάριεν, ὅτι οὐδὲ ὅπως ἰχθὺς ἐν τῇ πόλει πετραῖος
ἔσται σκοπεῖς· ἀλλὰ καὶ πρῴην μεμφομένου τινὸς ὡς οὔτε ἰχθυδίων οὔτε ὀρνίθων πολλῶν εὑρισκομένων ἐν
ἀγορᾷ, τωθαστικὸν μάλα ἐγέλασας, ἄρτου καὶ οἴνου καὶ ἐλαίου τῇ σώφρονι πόλει δεῖν φάμενος, κρεῶν δὲ ἤδη
τῇ τρυφώσῃ· τὸ γὰρ καὶ ἰχθύων καὶ ὀρνιθίων λόγον ποιεῖσθαι πέρα τρυφῆς εἶναι καὶ ἧς οὐδὲ τοῖς ἐν Ἰθάκῃ
μνηστῆρσι μετῆν ἀσελγείας· ‚ὅτῳ δὲ οὐκ ἐν ἡδονῇ κρέα ὕεια καὶ προβάτεια σιτεῖσθαι, τῶν ὀσπρίων ἁπτόμενος
εὖ πράξει.’
235
Grundsätzlich galt Fisch und Geflügel in der Antike als besonders luxuriös; dass die Antiochener angeblich mit
dem Schweine- und Hammelfleisch nicht zufrieden sind, beweist also (für Julian) deren Verschwendungssucht.
In diesem Zusammenhang mag man an die religiösen Ernährungsgebote, die Julian in seiner Hymne an die Göttermutter nur wenige Monate zuvor veröffentlichte, erinnert werden. Inhaltlich finden sich Widersprüchlichkeiten: Schweinefleisch, hier als bescheidene Nahrung im Vergleich zu Fisch und Geflügel, verbietet Julian in der
Hymne. Dies könnte dadurch erklärt werden, dass die Ernährungsgebote in der Hymne im Zusammenhang mit
dem religiösen Fest der Göttermutter zu verstehen sind.
236
MÜLLER 1998, 228 Julian bedient hier eher einen antiken Topos als eine echte Ursachenanalyse zu machen.
237
Claudius Mamertinus behauptet, dass Julian trotz seiner Sparsamkeit ein umgänglicher Kaiser gewesen ist,
der das Privatleben seiner Bürger respektierte und sogar dafür sorge, dass seine Untergebenen Annehmlichkeiten im Überfluss geniessen können: Paneg. lat. 3 (11), 12. Der Misopogon ist der wohl grösste Beweis, dass es
sich dabei vor allem um Wunschdenken seitens des Konsuls gehandelt hat.
238
Iul. or. 12 (mis.), 342 A–B: Ἀλλ’ ἡ Κελτῶν μὲν ταῦτα ῥᾷον ἔφερεν ἀγροικία, πόλις δὲ εὐδαίμων καὶ μακαρία
καὶ πολυάν|θρωπος εἰκότως ἄχθεται, ἐν ᾗ πολλοὶ μὲν ὀρχησταί, πολλοὶ δὲ αὐληταί, μῖμοι δὲ πλείους τῶν
πολιτῶν, αἰδὼς δὲ οὐκ ἔστιν ἀρχόντων.
234
64
Der «Barthasser»
die Antiochener seien, schicke es sich, die Nächte durchzufeiern und dabei die Gesetze zu missachten. 239
Mit dieser Überleitung beginnt der Teil der Rede, in welcher Julian die Idee, dass zwischen ihm und
den Antiochenern ein moralischer Abgrund klaffe, in eine konkrete Begrifflichkeit überführt. Die zwei
zentralen Begriffe, die er dazu einführt, sind das von ihm verfochtene Ideal der «Mässigung» in allen
Bereichen (σωφροσύνη), und im Gegensatz dazu die von den Antiochenern verherrlichte «Freiheit»
(ἐλευθερία). Vergleicht man Julians Kritik an der übertriebenen Freiheitsliebe der Antiochener mit Julians philosophischen Texten, fällt auf, dass Julian der Debatte ein Freiheitskonzept zugrunde legt, das
sich in seinen Augen diametral von demjenigen der Antiochener unterscheidet. Für den Philosophen
Julian ist ein Verständnis von Freiheit der Antiochener insofern «falsch», als dass sie darunter das Ignorieren jeglicher sozialen Konventionen zum alleinigen Ziel der Bedürfnisbefriedigung verstehen. Wie
Julian aber bereits in seinen Invektiven gegen die Kyniker ausführte, bedeutet wahre Freiheit in seinen
Augen gerade das Gegenteil: Nur die absolute Kontrolle der Seele über den Körper und all seine Bedürfnisse bedeutet die wahre Freiheit, und diese erreicht man nur über den asketischen Lebensstil
eines Philosophen. Ansonsten bleibe man seinem Magen untertan. 240
Der Vorwurf, dass die Freiheit bei den Antiochenern über alle Tugenden gelte, wird durch einen anonymen Zwischenredner, den Julian von nun an häufiger sprechen lässt, gleich bestätigt. Unmittelbar
nach der Darlegung der Unterschiedlichkeit der Kelten und Antiochener – mit Verweis auf die Schönheit und Gepflegtheit der letzteren – meldet sich sogleich der fiktive Zwischenrufer:
«‹Hast du etwa geglaubt, dass deine bäurischen Manieren, dein grämliches Einsiedlertum und
deine ungeschliffene Art eben dazu passen? O du Ausbund an Unbelehrbarkeit und Schmähsucht, ist es so töricht und einfältig, dein Seelchen, das unbedarfte Leute weise nennen, dass
du glaubst, es mit Mässigung und Sittsamkeit schmücken und herausputzen zu müssen? Da
bist du auf dem Holzweg!›» 241
Indem der Zwischenrufer das von Julian verfochtene Ideal der σωφροσύνη vollständig zurückweist,
entwickelt er es dabei im Folgenden vollständig in seiner anspruchsvollen Vielschichtigkeit. Besondere
Aufmerksamkeit erhält dabei das Fernbleiben von allerlei Vergnügungen sowohl im privaten wie auch
Iul. or. 12 (mis.), 342 B: Ἐρυθριᾶν γὰρ πρέπει τοῖς ἀνάνδροις, ἐπεὶ τοῖς γε ἀνδρείοις – ὥσπερ ὑμεῖς – ἕωθεν
κωμάζειν, νύκτωρ ἡδυπαθεῖν, ὅτι τῶν νόμων ὑπερορᾶτε μὴ λόγῳ διδάσκειν, ἀλλὰ τοῖς ἔργοις ἐνδείκνυσθαι.
240
Iul. or. 9 (c. Cyn.), 196 C.
241
Iul. or. 12 (mis.), 342 D–343 A (Übers. Giebel): «Τὴν δὴ σὴν ἀγροικίαν καὶ ἀπανθρωπίαν καὶ σκαιότητατούτοις
ἁρμόσειν ὑπέλαβες; οὕτως ἀνόητόν ἐστί σοι καὶ φαῦλον, ὦ πάντων ἀνθρώπων ἀμαθέστατε καὶ
φιλαπεχθημονέστατε, τὸ λεγόμενον ὑπὸ τῶν ἀγεννεστάτων σῶφρον τουτὶ ψυχάριον, ὃ δὴ σὺ κοσμεῖν καὶ
καλλωπίζειν σω|φροσύνῃ χρῆναι νομίζεις; οὐκ ὀρθῶς […]»
Das abwertend gemeinte Deminutiv ψυχάριον kennzeichnet womöglich eine beiläufige Polemik gegen Julians
Überordnung der Seele über den Körper, der inneren Werte gegenüber der körperlichen Lust, die allein die Antiochener interessiert, siehe MÜLLER 1998, 221.
239
65
Der «Barthasser»
im öffentlichen Leben. Wie bereits erwähnt war die Abwesenheit des Kaisers im Theater und Hippodrom einer der wesentlichen Reibungspunkte zwischen ihm und der antiochenischen Bevölkerung. Julian erklärt (durch das rhetorische Instrument des fiktiven Zwischenrufers) diese Zurückhaltung aufgrund seiner ausgeprägten «Mässigung» (σωφροσύνη):
«Und wenn man auch dies als das Werk der Sittsamkeit ansieht: sich von allen Vergnügungen
fernzuhalten, auch wenn sie nicht ausgesprochen unziemlich sind oder tadelnswert erscheinen in der Öffentlichkeit, aus der Überzeugung heraus, dass man im Privatleben und in häuslicher Abgeschiedenheit nicht massvoll leben kann, wenn man sich im öffentlichen Leben, unter den Augen aller, gern gehen lässt und dem Vergnügen im Theater frönt.» 242
Interessant ist die Unterscheidung zwischen den zwei Bereichen, die Julian hier macht. Der Kaiser befand sich wohl ausserhalb seiner persönlichen Schlafgemächer niemals wirklich in einem privaten
Raum, da er als Kaiser zu jeder Zeit im Zentrum der Aufmerksamkeit stand. 243 Julian ignoriert seinen
besonderen Status durch die Aussage, dass er sich in einen privaten Bereich zurückziehen könnte, in
dem er tun und lassen könne, wie es ihm beliebe. Doch für die Augen der breiten Bevölkerung Antiochias gab es durchaus nur klar begrenzte Momente, bei denen der Kaiser «öffentlich» sichtbar war,
und diese beschränkten sich auf seine Auftritte im Theater und bei den Spielen. Die Besonnenheit und
Mässigung Julians durchdringe sein Wesen jedoch so sehr, dass er es sich nicht leisten könnte, ein
solches «Doppelleben» zu führen. Seine Mässigung drückt sich zudem auch darin aus, dass er sich nicht
als «Herr» (δεσπότης) ansprechen lässt, obwohl die Antiochener sich diese Anrede bereits (durch Julians Vorgänger ist wohl die Implikation) gewöhnt waren. 244
Dieses Ideal der Mässigung trägt der Kaiser also an die Bevölkerung Antiochias heran, welche jedoch
nicht einmal dazu in der Lage ist, dieses intellektuell zu verstehen, geschweige denn praktisch anzuwenden. 245 Gerade so viel Einsicht rechnet Julian seinem antiochenischen Zwischenrufer noch an, dass
er diese Tragödie zu erkennen vermag. Unter dieser Voraussetzung bringe der Kaiser natürlich nur
Verderben über sich und die Stadt, denn die antiochenische Liebe zur Freiheit verträgt sich grundsätzlich nicht mit einer solchen Art der «Knechtschaft», die da in Form der kaiserlichen Ansprüche über die
Stadt hineinbricht. Indem Julian die Bühnenkunst einschränkt und Schauspieler und Tänzer entlässt,
Iul. or. 12 (mis.), 343 B–C (Übers. Giebel): εἰ δὲ καὶ τοῦτό τις ἔργον θεῖτο σωφροσύνης, ἀπέχεσθαι πάσης
ἡδονῆς οὐ λίαν ἀπρεποῦς οὐδὲ ἐπονειδίστου δοκούσης ἐν τῷ φανερῷ, πεπεισμένος ὡς οὐκ ἔστιν ἰδίᾳ
σωφρονεῖν {οἴκοι} καὶ λάθρᾳ τὸν δημοσίᾳ καὶ φανερῶς ἀκόλαστον εἶναι θέλοντα καὶ τερπόμενον τοῖς θεάτροις.
243
Vgl. dazu in Kapitel «Interaktionsräume und Akzeptanzgruppen» oben die Überlegungen der verschiedenen
Formen von «Öffentlichkeit», denen ein Kaiser ausgesetzt war.
244
Iul. or. 12 (mis.), 343 C–D. Der Antiochenische Zwischenrufer empfindet es jedoch als pure Heuchelei, dass
der Kaiser sie dennoch zwingt, den Beamten und Gesetzen zu gehorchen (oder eben als «Sklaven» zu dienen).
Dass dies freilich kein Widerspruch ist, wird wohl von Julian so in seiner Ironie beabsichtigt gewesen sein.
245
Vgl. Iul. or. 12 (mis.), 343 A: Die Antiochener wüssten gar nicht, was diese Sittsamkeit überhaupt sei; sie hörten
nur ihren Namen, ohne das Ding selbst zu sehen.
242
66
Der «Barthasser»
ruiniere er die Stadt. 246 Ein solches Spieleverbot ist indes von keiner anderen Quellen überliefert. Womöglich hallt in dieser Anklage noch die Erinnerung an Julians grosses Vorbild Mark Aurel nach: In der
Historia Augusta wird überliefert, dass der Kaiser des 2. Jahrhunderts ebenfalls ein schwieriges Verhältnis zu der Stadt Antiochia hatte, und ihnen im Zuge einer Strafmassnahme Schauspiele und öffentliche Veranstaltungen verbot, und die Stadt zudem dadurch bestrafte, dass er sie nicht besuchte, als
er sich in Syrien aufhielt. 247 Dass Julian die Historia Augusta bekannt war, ist unwahrscheinlich, 248 aber
die Erinnerung an diese Massnahme dürfte noch lebendig gewesen sein. Indem Julian überdies auch
selbst keine Aufführungen veranstaltete, war wohl auch ein wesentlicher Wirtschaftszweig der Stadt
beeinträchtigt worden, womit sich der lamentierte Ruin der Stadt erklärt. Für Julian liegt die Erklärung
freilich ganz woanders: Das luxussüchtige und laszive Verhalten der Antiochener steht in seinen Augen
der Durchsetzung seiner vernünftigen Gesetze im Weg.
Die Ausführungen müssen auch in einem grösseren Kontext verstanden werden. Julian sah sein philhellenisches Idealbild durch die Realität in Antiochia bedroht, und der Misopogon lässt sich als ein
Versuch der Erklärung für diese offensichtliche Diskrepanz lesen. 249 Im Misopogon verfolgt Julian unter
anderem das Ziel, die Bevölkerung Antiochias als ausserhalb der hellenischen Welt stehend darzustellen. 250 Julian hatte eine klare Vorstellung davon, was «Hellenismus» konstituierte, und als Kaiser und
pontifex maximus fühlte er sich verpflichtet, bei der Wiederherstellung und Verteidigung der Integrität
dieses Systems die Führung zu übernehmen. 251 Um die Mitte des 4. Jahrhunderts wurden die Begriffe
«Hellene» und «Hellenismus» von christlichen Autoren generell als abwertende Bezeichnungen für
Heiden und Heidentum verwendet. In diesem Sinne stellte der Hellenismus eine religiöse Kategorie
dar. Die Forschung zu Julian zeigte jedoch, wie Julian diese Verwendung begeistert aufnahm und erweiterte, und sie dem heidnischen Hellenismus als die gute, reine, traditionelle und gebildete Kultur
entgegenstellte. Der Hellenismus wurde so zum kulturellen Gegenbild eines degenerierten Christentums. 252 In diesem Sinne können auch Julians Ausführungen bezüglich der übertriebenen Liebe zur
Freiheit (ἐλευθερία) der Antiochener verstanden werden, die sich im Gegensatz zu der traditionellen
Sittsamkeit (σωφροσύνη) Julians als völlig übertrieben herausstellt.
Julian spielt mit der Begrifflichkeit und stellt sie auf den Kopf: Der Begriff der Freiheit war seit jeher ein
Schlüsselbegriff für politische Diskurse in der griechischen Welt, insbesondere im von Julian verehrten
246
Iul. or. 12 (mis.), 344 A.
SHA Marc. Aur. 25,8–11.
248
Die Datierung der Schrift ist hochumstritten, mit einem terminus post quem 360/61 (nach Aurelius Victor) und
einem terminus ante quem vor 525.
249
Julian selbst macht die Enttäuschung, die er – trotz seiner thrakischen Abstammung – über sein zerstörtes Bild
der «Kinder Griechenlands» Antiochias verspürt, explizit; vgl. Iul. or. 12 (mis.), 367 C.
250
Siehe dazu allgemein TIERSCH 2018 (A Dispute – About Hellenism?).
251
Vgl. Julians Aussagen, dass das Priesteramt wichtiger als das Kaiseramt sei: Iul. epist. 48, 296 C; vgl. auch Lib.
or. 12, 80.
252
HAWKINS 2014, 281.
247
67
Der «Barthasser»
Athen. Doch indem Julian seine Hingabe zu den Göttern als «Sklaverei» (δουλεία) bezeichnet, und die
«Freiheit» der Antiochener in Verbindung mit ihrer lasziven Lebensart stellt, wendet er eine strategische Verkehrung der Begriffe zu seinen Gunsten an. Indem er den antiochenischen Zwischenrufer
seine σωφροσύνη, im Verständnis der Antiochener nichts weiter als Prüderie, vollständig ablehnen
lässt, entfaltet er ihr gesamtes Bedeutungsspektrum. 253 Dabei wird klar, dass neben dem Verzicht auf
weltliches Vergnügen vor allem die devote Götterverehrung in Zentrum eines tugendhaften Lebens
steht. Aus Julians Sicht sind die verkommenen Auswüchse der antiochenischen «Freiheit» das Resultat
ihrer Ablehnung der traditionellen Religion. 254 Das Christentum wird somit zum moralisch verkommenen Gegenbild eines kulturellen Hellenismus und kann von Julian mit allerlei Negativbildern behaftet
werden.
Männlichkeit
Besonders eindeutig und für aller Augen sichtbar zeigt sich der moralische Abgrund zwischen dem Kaiser und den Antiochenern an der äusseren Erscheinung. Die Borstigkeit des Kaisers und die Weichheit
der Antiochener sind hochgradig moralisch aufgeladen. Mit vorgetäuschter Verwirrung beklagt Julian
bereits früh in der Rede, dass die Männer von Antiochia so vollständig enthaart, so dekadent gepflegt
sind, dass ein Traditionalist wie er die alten Männer als solche nicht erkennen kann:
«Und alle seid ihr gut aussehend, stattlich, mit weicher Haut und glatten Wangen – ob jung
oder alt wetteifert ihr miteinander um das paradiesische Leben der Phäaken, um oft gewechselte Kleider und warme Bäder und Betten 255 anstatt euch göttlichen Rechts zu befleissigen.» 256
In Antiochia scheint die ganze Welt auf dem Kopf zu stehen, und das «gender bending» der Antiochener ist ein sichtbarer Ausdruck davon. Eine andere Manifestation der ausser Kontrolle geratenen Freiheit macht Julian in der mangelhaften Kontrolle der Frauen der Stadt aus: Die Frauen seien frei und
ungebunden; schlimmer noch, ihnen sei sogar die Erziehung der Kinder überlassen worden, womit
diese dazu verdammt wären, zu ebenso moralisch verkommenen Erwachsenen heranzuwachsen: eher
Sklaven als Männer. 257 Die übertriebene Freiheit nimmt aber noch groteskere Züge an. Zugegebenermassen recht amüsant ist die Stelle, in der Julian beschreibt, wie die Freiheit sich angeblich selbst auf
die Tiere in der Stadt erstreckt: Die Esel und Kamele der Stadt dürften demnach ungehindert durch die
253
Iul. or. 12 (mis.), 343 A–343 C.
Für eine detailliertere Darstellung der von Julian «missbrauchten» Begrifflichkeit und den Zusammenhang mit
den religiösen Differenzen vgl. HAWKINS 2014, insb. 286–89.
255
Hom. Od. 8,245–249.
256
Iul. or. 12 (mis.), 342 C–D (Übers. Giebel): καλοὶ δὲ πάντες καὶ μεγάλοι καὶ λεῖοι καὶ ἀγένειοι, νέοι τε ὁμοίως
καὶ πρεσβύτεροι ζηλωταὶ τῆς εὐδαιμονίας {καὶ} τῶν Φαιάκων, εἵματά τ’ ἐξημοιβὰ λοετρά τε θερμὰ καὶ εὐνὰς
ἀντὶ τῆς ὁσίας ἀποδεχόμενοι.
257
Iul. or. 12 (mis.), 356 B–C.
254
68
Der «Barthasser»
eigentlich nur den Menschen vorbehaltenen Säulenwandeln schreiten, und niemand würde sie je in
ihrer Freiheit einschränken. 258 Das Ignorieren der Gender-Grenzen trägt nach dieser Logik zu einer verkehrten und gesellschaftskorrodierenden Freiheit bei. Der Ursprung von diesem Chaos ist die Transgression der zur Weiblichkeit neigenden antiochenischen Männern, die den Umsturz der gesamten
geordneten Gesellschaft nach sich zieht: In diesem Fall eine Stadt, in der sogar die Frauen und Tiere
ausser Kontrolle sind. «Mann-Sein» ist damit für Julian von inhärent gesellschaftsstabilisierender Bedeutung.
Die vielfachen Verweise auf die Verweichlichung und Effeminiertheit der Bevölkerung Antiochias, im
Gegensatz zu Julians rustikaler Männlichkeit, bildet das rhetorische Kernelement des Misopogon. Die
– trotz der Verpackung in ironische Selbstkritik – unverhohlenen Angriffe auf die fehlende Männlichkeit
der Antiochener ist die zentrale Strategie, die Julian anwendet, um den gegen ihn gerichteten Spott
aufzunehmen und zu verarbeiten. Gleich von Beginn an wird das grundlegende Thema der Schrift aufgenommen: Die Gegenüberstellung von Julian mit seiner (männlichen) Borstigkeit und Ungepflegtheit,
und den (unmännlichen) verweichlichten Antiochenern. 259 Julians Bart wird zum Ausdruck der puren,
reifen Männlichkeit, die er der Bartlosigkeit von Jungen und Frauen gegenüberstellt. In diese Kategorie
wirft er im Folgenden die (männlichen, erwachsenen) Antiochener, indem er ihnen unterstellt, sich in
ihrem Äusseren und ihrem Lebensstil an ihren Söhnen und Töchtern zu orientieren. Die androgynen
Männer Antiochias sind so glatt und geschmeidig, dass es schwierig ist, die alten Männer von den Mädchen zu unterscheiden. Julian reproduziert damit einen Diskurs, der für die römische Antike durchaus
gängig war: Die Verbindung von Männlichkeit mit einem «harten», zurückhaltenden und anspruchslosen Lebensstil, und die Gegenübersetzung einer Weiblichkeit, die sich durch «Weichheit» (hier in
durchaus körperlichem Sinne) und einem angenehmen, luxuriösen Leben auszeichnet. Die Haare auf
dem Kopf, besonders aber an Kinn und Wangen, werden dabei zum Ausdruck und Signal jener reinen
Männlichkeit. Die allzu gepflegte Erscheinung der Antiochener wird ebenso toposhaft mit einem entsprechenden luxuriösen, den Dienst an den Göttern vernachlässigenden Lebensstil verbunden. Durch
die wiederholte Betonung der Weichheit (λεῖος) und Bartlosigkeit (αγένειος) wird die fehlende Männlichkeit, zugleich aber auch die moralische Verkommenheit der antiochenischen Bürger hervorgehoben. 260
Die vielen Anspielungen auf die glattrasierten Wangen war eine Reaktion Julians auf die Spottverse der
Antiochener, die es dem Kaiser nahelegten, sich doch endlich zu rasieren. Durch den Nachweis der
258
Iul. or. 12 (mis.), 355 B–C.
Iul. or. 12 (mis.), 338 B–339 A, siehe oben S. 57.
260
Vgl. Julians Brief an Libanios nach seiner Abreise aus Antiochia, in dem Julian seinem Freund Libanios nahelegt,
dass bei den Menschen die Tendenz vorherrscht, über ihre Tugenden zu erröten, sich aber mit ihren schlimmsten
Eigenschaften zu brüsten, darunter die Schwäche von Geist und Körper (μαλακίᾳ γνώμης και σώματος): Iul.
epist. 24, 400 A.
259
69
Der «Barthasser»
Unsittlichkeit in der äusseren Erscheinung der Antiochener dreht Julian deren Invektive gegen seine
Borstigkeit, die sein unkultiviertes Wesen widerspiegelt, kurzerhand um. Zugleich gibt er zu verstehen,
dass er sich durch seine zottelige «Mähne» lediglich in seiner Rolle als machtvoller Herrscher bestätigt
fühlt. 261 Neben der genannten Verbindung mit der maiestas des Löwen schwingt hier natürlich ebenso
ein Verweis auf die besondere Männlichkeit des Tieres mit (denn nur männliche Löwen haben eine
Mähne).
Die vielfältige Lesart und Doppelbödigkeit von Julians Metaphern und literarischen Anleihen wird somit deutlich. Der Verweis auf die zarten Hände der Antiochener, den Julian zu Beginn der Rede macht,
ist ein weiteres solches Beispiel. 262 Der Unterschied zwischen den weichen Händen der Antiochener
und der Rauheit von Julians Bart (an dem sie sich verletzen würden, würden sie tatsächlich Seile daraus
flechten) reiht sich in die lange Liste von Invektiven gegen die effeminierte Lebensweise der Stadtbevölkerung ein. Man mag dabei auch nochmal an die von Tinte und Opferblut verfärbten, ungepflegten
Finger Julians denken, der es sich gewohnt ist, bei den täglich zu verrichtenden Dingen selbst Hand
anzulegen 263 Diese stehen in ihrer Zähigkeit ebenfalls gegenüber den zarten, empfindlichen Händen
der Antiochener. 264
Ein weiterer Aspekt der Geschlechter-Dichotomie drückt sich für Julian im unterschiedlichen Verhalten
gegenüber den Liebesdingen aus, das er und die Bewohner Antiochias an den Tag legen. Den Antiochenern wird wohl, genauso wie den zeitgenössischen Autoren, aufgefallen sein, dass Julian nach seiner kurzen Ehe mit Helena keine weitere Frau zur Gattin nahm. Dass dies in der Bevölkerung negativ
bewertet wurde, lässt eine Passage des Misopogon vermuten, in der Julian den fiktiven Antiochener
über das Liebesleben des Kaisers zu Wort kommen lässt:
261
Iul. or. 12 (mis.), 339 B–C, siehe oben, S. 58.
Iul. or. 12 (mis.), 338 D, mit dem Verweis auf Hom. Od. 21,150–151; siehe oben, S. 57.
263
Siehe oben, S. 59
264
Tom Hawkins sieht in Julians homerischer Anspielung (‹die zarten und ungeübten› Hände der Antiochener)
eine latente Drohung: Der Verweis erinnere an das Scheitern von Leiodes, dem ersten von Penelopes Freiern,
der in der Odyssee erfolglos versucht, Odysseus' Bogen zu spannen, da seine Hände zu verzärtelt und weich
waren (Hom. Od. 21,150–151). Diesen Bezug verstärke Julian an anderer Stelle nochmal, wo er im Zusammenhang mit seinen Ernährungsgeboten die verwöhnten Antiochener mit den Freiern der Penelope assoziiert, die
den ganzen Tag auf Kosten anderer schlemmten (Iul. or. 12 (mis.), 350 B–C, siehe oben, S. 63). Julian selbst werde
dadurch zu Odysseus, und zwar in einer gefährlichen Phase, kurz bevor er seine Identität offenbart und die Freier
allesamt umbringt. Das Wissen darüber, was im Epos als nächstes geschieht, wirke so als latente Bedrohung für
die Bürger Antiochias (siehe HAWKINS 2014, 277). Es lassen sich tatsächlich gewisse Verbindungslinien zwischen
dem Helden der Odyssee und dem Anti-Helden des Misopogon ziehen: Beide sind gerade erst am Ort des Geschehens angekommen und bestenfalls lauwarm empfangen worden. Beide wollen die soziale Ordnung wiederherstellen, werden jedoch nicht als rechtmässiger Herr (an)erkannt. Natürlich verstärkt die Verbindung mit dem
Mythos zugleich auch noch einmal die Darstellung der Antiochener als «gescheiterte» Männer, denen die Virilität
des Kaisers gegenübergestellt wird, der sich mit der besonderen Männlichkeit des Odysseus assoziiert. Es bleibt
aber fraglich, inwiefern diese Allusion (sowie die vielen weiteren literarischen Anspielungen Julians) über den
Horizont des weniger belesenen Teils der Bevölkerung Antiochias hinausging. Zudem war Odysseus für Julian
kein vollkommenes Vorbild; seine Wehklagen erschienen Julian für nicht bewundernswert (vgl. Iul. or. 4 (Salutius), 250 A–B).
262
70
Der «Barthasser»
«Wer kann sich aber damit abfinden: Du bist gewohnt, nachts allein zu schlafen, und so gibt
es keine Möglichkeit, dein raues und unzivilisiertes Wesen etwas zu mildern. Allenthalben sind
alle Wege verschlossen, die dir zu einer liebenswürdigeren Art verhelfen könnten. Und das
Schlimmste an all diesen Übeln: Du hast gar noch Freude daran, ein solches Leben zu führen
und fühlst dich noch bestätigt durch die allgemeinen Vorwürfe. Und dann ärgerst du dich,
wenn du etwas dergleichen zu hören bekommst? Du solltest vielmehr denen dankbar sein die
dich aus Wohlwollen auf so witzige Art in ihren Versen ermahnen, dir die Wangen zu glätten
und dann dieser zum Frohsinn geneigten Stadt lauter schöne Dinge zu präsentieren – mit dir
selbst angefangen: Schauspieler, Tänzer, Frauen, die sich nicht zieren, Knaben, die mit Frauen
an Schönheit wetteifern, Männer, die nicht nur an den Wangen glatt sind, sondern überall am
Körper, so dass sie denen, die mit ihnen zusammenkommen, noch weicher als Frauen erscheinen, dazu Feste und Umzüge, aber bei Gott nicht solche frommen, bei denen man sittsam sein
muss. Von denen haben wir genug, solche aus der guten alten Zeit, sie stehen uns bis
oben!» 265
Die sexuelle Abstinenz des Kaisers wird hier ohne Umschweife mit seiner Abneigung gegenüber Rasur
und Theaterbesuch in Verbindung gebracht. Demgegenüber steht die bunte Gruppe von Schauspielern,
Frauen, androgynen Knaben und glattrasierter Männer. Dass Knaben und Männer in ihrer Schönheit
und Glattheit mit den Frauen wetteifern, geht Hand in Hand mit den zügellosen, gottlosen Festen der
Antiochener. Dagegen wird Julians Keuschheit als besondere Ausdrucksform seiner Männlichkeit stilisiert, denn im Gegensatz zu den hemmungslosen Antiochenern beweist er die nötige Selbstkontrolle
dazu. Was mit dem Verweis auf Odysseus und die Freier bereits implizit ausgedrückt wurde, macht
Julian mithilfe eines weiteren Mythos noch wesentlich expliziter: Er rezitiert eine Anekdote über den
Namensgeber der Stadt, Antiochos I., der von einer krankhaften Liebe für seine Stiefmutter verzehrt
wurde. 266 Der «gliederzehrende» 267 Liebeskummer raubte dabei dem jungen Mann die Gesundheit
und Körperkraft. Nur sein Leibarzt erkannte diesen Zusammenhang, denn er wusste, «dass oft keine
Iul. or. 12 (mis.), 345 C–346 B (Übers. Giebel): Ἀλλ’ ἐκεῖνο τίς ἀνέξεταί σου; καθεύδεις ὡς ἐπίπαν νύκτωρ
μόνος, οὐδέ ἐστιν οὐδέν, ὅ σου τὸν ἄγριον καὶ ἀνήμερον μαλάξει θυμόν, ἀποκέκλεισται δὲ πάσῃ πανταχοῦ
πάροδος γλυκυθυμίᾳ· καὶ τὸ μέγιστον τῶν κακῶν, ὅτι τοιοῦτον ζῶν βίον εὐφραίνῃ καὶ πεποίησαι τὰς κοινὰς
κατάρας ἡδονήν. Εἶτα ἀγανακτεῖς, εἴ του τὰ τοιαῦτα ἀκούεις, ἐξὸν εἰδέναι χάριν τοῖς ὑπ’ εὐνοίας ἐμμελέστερόν
σε νουθετοῦσιν ἐν τοῖς ἀναπαίστοις ἀποψιλῶσαι μὲν τὰς παρειάς, καλὰ δὲ – ἀπὸ σαυτοῦ πρῶτον ἀρξάμενον –
δεικνύειν πάντα τῷ δήμῳ τῷ φιλογέλωτι τῷδε θεάματα, μίμους, ὀρχηστάς, ἥκιστα αἰσχυνομένας γυναῖκας,
παιδάρια περὶ κάλλους ἁμιλλώμενα ταῖς γυναιξίν, ἄνδρας ἀπεψιλωμένους οὔτι τὰς γνάθους μόνον, ἀλλὰ καὶ
ἅπαν τὸ σῶμα, λειότεροι τῶν γυναικῶν ὅπως φαίνοιντο τοῖς ἐντυγχάνουσιν, ἑορτάς, πανηγύρεις; Οὔτι μὰ Δία
τὰς ἱεράς, ἐν αἷς χρὴ σωφρονεῖν· ἅλις μὲν γὰρ ἐκείνων ἐστίν, ὥσπερ τῆς δρυός, καὶ πολὺς ὁ κόρος αὐτῶν.
266
Iul. or. 12 (mis.), 347 A–348 B. Julian spricht davon, dass Seleukos I. die Stadt nach dessen Sohn benannt habe,
während er die Stadt in Wahrheit nach seinem Vater Antiochos benannte (MÜLLER 1998, 225).
267
γυιοκόροι μελεδῶναι (347 C). Julian schreibt das Zitat Homer zu, aber es stammt von Hesiod (MÜLLER 1998,
225).
265
71
Der «Barthasser»
leibliche Schwäche, sondern eine seelische Krankheit die Ursache für körperliches Siechtum» war. 268
Dass sich der «Volkscharakter» der Antiochener auf diese Gründungsfigur zurückführen lasse, habe
Julian aber zu spät erkannt. 269 Er wisse ja, dass die Menschen, gleich den Pflanzen, ihre charakteristischen Eigenschaften an ihre Nachkommen über lange Zeit hinweg weitergeben, und daher die Lebensweise der Menschen der ihrer Vorfahren ähnlich ist. 270
Natürlich hat Julian auch für diese Erzählung eine passende Antithese in Bezug auf seine eigene Person
parat. Er selbst entstamme ja einem Geschlecht aus der Gegend Moesia, zwischen Thrakern und
Paioniern an den Ufern der Donau, das von jeher «ganz und gar bäurisch, rau, ungehobelt, uncharmant,
verbohrt in seinen Ansichten [sei] – alles Zeichen einer schrecklichen Unkultiviertheit.» 271
Der Krieger des Westens
Dem anonymen Zwischenrufer legt Julian in der Folge auch die Vermutung in den Mund, dass Julian
bei der Gesetzgebung wohl auch diese seine barbarischen Freunde im Kopf gehabt habe – wobei kein
Unterschied zwischen seinem thrakischen Geschlecht und den Galliern des Westens gemacht wird –
anstatt der Antiochener:
«Du hast wohl geglaubt, du gibst Gesetze für die Thraker, deine Volksgenossen oder für die
unzivilisierten Gallier, die dich zum Kampf gegen uns trainierten, als einen Mann von altem
Schrot und Korn, wenn nicht gar als Marathonkämpfer, aber auf jeden Fall als einen knorrigen
Typ aus der guten alten Zeit – einfach unausstehlich, ein Mensch ohne jede Lebensart.» 272
Die soldatische Erziehung Julians, die eben noch nicht ganz, aber schon fast an einen Marathonkämpfer
heranreicht, lässt ihn in den Augen der Antiochener unausstehlich erscheinen. 273 Bei den Kelten
hingegen fühlte sich Julian besser aufgehoben. In einem langen Abschnitt 274 reminisziert er seine Zeit
in Gallien mit seinen keltischen Soldaten. Er beschreibt, wie er seit Erreichen des Mannesalters in den
Iul. or. 12 (mis.), 347 C (Übers. Giebel): ὅτι πολλάκις οὐκ ἀσθένεια σώματος, ἀλλ’ ἀρρωστία ψυχῆς αἰτία
γίνεται τηκεδόνος τῷ σώματι. – Im Folgenden habe der Arzt seinen Verdacht bestätigt, indem er den Gesichtsausdruck des jungen Prinzen bei der Anwesenheit von (männlichen und weiblichen) Schönheiten, inklusive der
Königin, beobachtete. Als die Sache ans Licht kam, ist es schliesslich dem Antiochos erlaubt worden, die Königin
zur Frau zu nehmen.
269
Iul. or. 12 (mis.), 346 D–347 A.
270
Iul. or. 12 (mis.), 348 B. MÜLLER 1998, 226 verweist in seine Anmerkungsapparat darauf, dass der Exkurs auf
die Vererbungslehre und der Vergleich mit Pflanzen eher spöttisch als seriös wissenschaftlich gemeint ist, da es
im Falle der Antiochener um Eigenschaften des Charakters geht, welche für den Philosophen Julian eher Sache
der Erziehung und der Selbsterziehung seien, im Gegensatz zu den äusserlichen (körperlichen) Merkmalen.
271
Iul. or. 12 (mis.), 348 D (Übers. Giebel): πᾶν ἄγροικον, αὐστηρόν, ἀδέξιον, ἀναφρόδιτον, ἐμμένον τοῖς
κριθεῖσιν ἀμετακινήτως, ἃ δὴ πάντα ἐστὶ δείγματα δεινῆς ἀγροικίας.
272
Iul. or. 12 (mis.), 350 C–D (Übers. Giebel): Ταῦτα ἐνόμισας Θρᾳξὶ νομοθετεῖν, τοῖς ἑαυτοῦ πολίταις, ἢ τοῖς
ἀναισθήτοις Γαλάταις; οἵ σε ἐπαιδοτρίβησαν καθ’ ἡμῶν πρίνινον, σφενδάμνινον, οὐκέτι μέντοι καὶ
Μαραθωνομάχον, ἀλλ’ Ἀχαρνέα μὲν ἐξ ἡμισείας, ἀηδῆ δὲ ἄνδρα παντάπασι καὶ ἄνθρωπον ἄχαριν.
273
Der Begriff Marathonkämpfer ist hochaufgeladen und eröffnet ein weiteres diskursives Feld. Er verweist auf
die seit der Antike berühmte Schlacht bei Marathon von 490 v.Chr., in der Athener und Plataier unter Miltiades
die zahlenmässig überlegenen Perser besiegten.
274
Iul. or. 12 (mis.), 359 B–361 B.
268
72
Der «Barthasser»
unwegsamen Wäldern unter Germanen und Kelten weilte und dabei ihre kämpferische und kühne Art
annahm «wie ein Jäger, der mit der mit wilden Tieren umgeht und allmählich ihre Art annimmt». 275
Die kämpferischen Barbaren verabscheuten dabei sexuelle Ausschweifungen und das Theater. Stolz
erinnert sich Julian, wie er für seine militärischen Tugenden gefeiert wurde: Die Kelten hätten ihn
aufgrund der Ähnlichkeit ihrer Charaktere geliebt, und liessen sich nicht davon abhalten, für ihn die
Waffen zu ergreifen und trugen seinen Ruhm bis über die Grenzen Galliens hinaus:
«Und was das Grösste war: eine ruhmvolle Kunde drang von dort [bei den Kelten] zu euch –
alle bekräftigten laut, ich sei tapfer, weise, gerecht, ein schrecklicher Gegner im Krieg, aber im
Frieden besonnen, umgänglich und milde.» 276
Julian stellt sich hier auf eine Ebene nicht nur mit den Kelten, die für ihn kämpfen, sondern mit den
gegnerischen Germanen. Auch mit dem Verweis auf seine thrakische Herkunft ist diese Ähnlichkeit
wohl in erster Linie ironisch zu verstehen. Indem er sogar die Barbaren des Nordwestens als wesentlich
tugendhafter als die verkommenen Antiochener darstellt, konstruiert er eine weitere Invektive gegen
letztere. Der Verweis auf die gemässigte Lebensweise der Kelten mag indes bei den Antiochenern wohl
eher schlecht angekommen sein, da sie sich über das skandalöse Verhalten der fremden keltischen
Soldaten erbosten, die sich in der Stadt betranken und die Unmengen an Opferfleisch verschlangen,
die Julians religiöser Eifer produzierte. 277 Das barbarische Wesen von Julian wird dann gleich anschliessend wieder mit den antiochenischen Vorlieben kontrastiert:
«Wäre es nicht besser, der Markt duftete nach Parfüm, wenn du darüber gehst, im Geleit einer
Schar von hübschen Jungen, auf die sich die Blicke der Bürger richten, und umgeben von einem Reigen schöner Frauen, wie diejenigen, die bei uns alle Tage ihre Reize zur Schau stellen?
– Und ich sollte schmachtenden Blickes die Augen überall umherschweifen lassen, damit ich
euch schön vorkomme, wenn auch nicht in der Seele, so doch von Angesicht. Für euch kommt
ja die wahre Seelenschönheit aus dem Wohlleben.» 278
Iul. or. 12 (mis.), 359 B (Übers. Giebel): ἀνὴρ ἀγριώτερος ἐκείνου καὶ θρασύτερος τοσούτῳ καὶ αὐθαδέστερος.
Iul. or. 12 (mis.), 360 C–D (Übers. Giebel): ὃ δὲ δὴ μέγιστον, ἐκεῖθεν εἰς ὑμᾶς ἐφέρετο πολὺ καὶ μέγα τὸ ἐμὸν
ὄνομα, καὶ ἐβόων πάντες ἀνδρεῖον, συνετόν, δίκαιον, οὐ | πολέμῳ μόνον ὁμιλῆσαι δεινόν, ἀλλὰ καὶ εἰρήνῃ
χρήσασθαι δεξιόν, εὐπρόσιτον, πρᾷον.
277
Vgl. Amm. 22,13,6–7, der das masslose Verhalten und Konsum der «Petulanten und Kelten» im Zusammenhang mit Julians ebenso masslos übertriebenen Tieropfern kritisiert.
278
Iul. or. 12 (mis.), 350 D–351 A (Übers. Giebel): Οὐ κρεῖττον ἦν ὀδωδέναι μύρων τὴν ἀγορὰν βαδίζοντός σου
καὶ παῖδας ἡγεῖσθαι καλούς, εἰς οὓς ἀποβλέψουσιν οἱ πολῖται, καὶ χοροὺς γυναικῶν, ὁποῖοι παρ’ ἡμῖν ἵστανται
καθ’ ἑκάστην ἡμέραν; Ἐμὲ δὲ ὑγρὸν βλέπειν ῥιπτοῦντα πανταχοῦ τὰ ὄμματα κατόπιν, ὅπως ὑμῖν καλός οὔτι τὴν
ψυχήν, ἀλλὰ τὸ πρόσωπον ὀφθείην.
275
276
73
Der «Barthasser»
Der Abschnitt, der den Kontrast zu Julians Erziehung als Kämpfer in Gallien darstellt, greift nochmal
das Motiv der verweiblichten, luxusversessenen Antiochener auf, das Julian bereits weiter oben formuliert hat. Doch hinter der offensichtlichen rhetorischen Strategie steckt noch mehr: Julian scheint
genuin stolz auf seinen militärischen Ruf und seine Herkunft gewesen zu sein.
Interessant ist der Hinweis darauf, dass Julian seinen Blick nicht umherschweifen lässt: Dies erinnert
an die unbewegliche Haltung, die Julians Vorgänger bei öffentlichen Auftritten an den Tag legte, und
die den Antiochenern daher bekannt sein müsste. Während ein starrer, unbeirrbar geradeaus gerichteter Blick die erhabene Selbstkontrolle und maiestas eines Herrschers anzeigen konnte, 279 richtet Julian seinen Blick jedoch zu Boden:
«Mir hat aber mein Erzieher beigebracht, auf dem Weg zur Schule die Augen auf den Boden
zu heften. Im Theater war ich nicht, bevor ich nicht mehr Haare am Kinn hatte als auf dem
Kopf und selbst in diesem Alter geschah es nicht nach eigenem Wunsch und Willen: drei- oder
viermal war es, müsst ihr wissen, da beorderte mich der Herrscher dorthin, ‹um seinem Patroklos etwas Gutes zu tun›: er, der mein Angehöriger, mein Blutsverwandter war. Ich war damals
noch Privatmann.» 280
Dieselbe Bedeutung des gesenkten Blickes, den er von seinem Mentor anerzogen bekam, gab Julian
bereits in seinem Brief an die Athener zum Ausdruck: Er habe auch als designierter Caesar nicht an den
Hof des Constantius gepasst, denn er sei eben nicht umherschauend und stolzierend einhergegangen,
sondern mit zum Boden gerichtetem Blick, wie es ihm anerzogen wurde. 281
Der Hinweis auf seinen Erzieher dient als Einleitung zu einem längeren Teil, in welchem Julian seine
jugendliche Erziehung durch Mardonios beschreibt. 282 Diese soll als Entschuldigung für Julians Fehlverhalten dienen, denn es sei ihm eben von früh auf anerzogen worden, sich anstatt weltlichen Vergnügen
der literarischen und philosophischen Bildung zu widmen. Sein Erzieher habe ihm nahegelegt, dass
man keine echten Pferderennen und Tänze zu sehen brauche, da sie in den homerischen Epen viel
schöner und sowieso in männlicherer Manier beschrieben seien. So weit ging sein Erzieher, dass er
Julian glauben machte, sogar die Bäume und Pflanzen seien bei Homer weit anregender, als sie es in
der Realität je sein könnten. 283 Skandalös wird es aber erst richtig, als Julian die barbarische Herkunft
279
Siehe unten S. 145.
Iul. or. 12 (mis.), 351 A–B (Übers. Giebel): Ἐμὲ δὲ ὁ παιδαγωγὸς ἐδίδασκεν εἰς γῆν βλέπειν ἐς διδασκάλους
φοιτῶντα· θέατρον 〈δ’〉 οὐκ εἶδον πρὶν μᾶλλον κομῆσαι τῆς κεφαλῆς τὸ γένειον, ἐν ἐκείνῳ δὲ τῆς ἡλικίας ἰδίᾳ
μὲν καὶ κατ’ ἐμαυτὸν οὐδέποτε, τρίτον δὲ ἢ τέταρτον, εὖ ἴστε, Πατρόκλῳ ἐπίηρα φέρων ἅρχων ἐπέταττεν,
οἰκεῖος ὢν ἐμοὶ καὶ ἀναγκαῖος, ἐτύγχανον δὲ ἰδιώτης ἔτι.
281
Vgl. Iul. or. 5 (ad Ath.) 274 C–D.
282
Iul. or. 12 (mis.), 351 B–353 A.
283
Iul. or. 12 (mis.), 351 D. Die Realitätsferne, die Julian dadurch preisgibt, wirkt wohl nicht nur «aus heutiger
Sicht und Einsicht durchaus fragwürdig» (MÜLLER 1998, 229); die Stelle wirkt offensichtlich ironisch gemeint.
280
74
Der «Barthasser»
des Erziehers verrät: Ein Skythe sei er gewesen, und obendrein noch den gleichen Namen wie der persische General des Xerxes getragen haben. 284 Ausserdem sei er ein Eunuch gewesen – ein Wort, das
man vor zwanzig Monaten nur zu häufig hörte und zu respektieren hatte, während es nun stattdessen
zu Schimpf und Schande gebraucht wird. 285 Julian macht seine Erziehung für den jetzigen Streit mit
den Antiochenern verantwortlich: Da niemand wusste, dass Julian einst Kaiser sein würde, sei er auch
nicht zum Herrscher erzogen worden. 286
Schliesslich wird ersichtlich, dass Julian im Misopogon viele verschiedene, zum Teil auch konträre Rollen in seiner Person vereinen wollte:
«Wenn ich mir's recht überlege, komme ich darauf, dass ich noch manch andere unverzeihliche Sünden auf mich geladen habe. Ich komme da zu einer freien Stadt, die einen verwilderten
Haarwuchs nicht ertragen kann, und ich ziehe dort ein, unrasiert, mit langem Bart, als ob es
keinen Barbier gäbe. Man hätte glauben können, da käme so ein Typ aus der Komödie, der
griesgrämige Alte oder der aufgeblasene Soldat. Dabei hätte ich, mit ein wenig Schönheitspflege, in jugendlicher Frische erscheinen und mich in einen Jüngling verwandeln können,
wenn auch nicht an Jahren, so doch im Gehabe und mit einem zart geglätteten Antlitz.» 287
Hier kommt alles nochmal zusammen: Der Bart und die ungepflegte Erscheinung werden mit soldatischem Auftreten oder der Person eines «Alten» verbunden, der auch als erfahrener Philosoph verstanden werden kann. 288 Doch während sich Julian in ironischer Weise als Soldat oder alter Mann in den
Augen der Antiochener darstellt, kehrt er auch dieses Argument in seiner Logik um, indem dieses Verhalten als authentischer Ausdruck seiner Persönlichkeit dargestellt wird; während die Persönlichkeit,
die die Antiochener von ihm erwarteten, nur mit künstlichem Aufwand und einer Kaschierung seines
wahren Charakters zu erreichen wäre. So könnte er wie ein gepflegter Jüngling aussehen und sich so
verhalten wie einer (wie dies etwa seine Vorgänger gemacht haben, die er an anderen Stellen als Kaiser
darstellt, die den Ansprüchen der Antiochener genügten). Doch dies wäre ein Betrug an seiner wahren
284
Der Name des Mardonios bleibt in der Schrift ungenannt, da Julian im Misopogon allgemein – wohl gattungsbedingt – auf die Nennung von Eigennamen verzichtet.
285
Iul. or. 12 (mis.), 352 B. Dadurch erinnert Julian an einen offenbar allgemein verbreiteten Kritikpunkt an der
Regierung des Constantius, der sich von seinen Hofeunuchen zu stark beeinflussen oder gar manipulieren liess;
siehe unten, Kapitel «Spott am Hof».
286
Iul. or. 12 (mis.), 352 C–353 A.
287
Iul. or. 12 (mis.), 349 C (Übers. Giebel): Ἐγὼ δὲ ἐννοήσας εὑρίσκω καὶ ἕτερα δεινὰ ἐμαυτὸν C εἰργασμένον.
Πόλει γὰρ προσιὼν ἐλευθέρᾳ, τὸν αὐχμὸν τῶν τριχῶν οὐκ ἀνεχομένῃ, ὥσπερ οἱ κουρέων ἀποροῦντες ἄκαρτος
καὶ βαθυγένειος εἰσέδραμον· ἐνόμισας ἂν Σμικρίνην ὁρᾶν ἢ Θρασυλέοντα, δύσκολον πρεσβύτην ἢ στρατιώτην
ἀνόητον, ἐξὸν φανῆναι τῷ καλλωπισμῷ παῖδα ὡραῖον καὶ γενέσθαι μειράκιον, εἰ μὴ τὴν ἡλικίαν, τὸν τρόπον γε
καὶ τὴν ἁ|βρότητα τοῦ προσώπου.
288
Dies sind archetypische Rollen aus der Komödie. Hier drückt Julian aus, dass es sich dabei aus der Sicht der
Antiochener um Rollen im Sinne von einstudierten und vorgespielten Persönlichkeiten handelt. Vorgeblich beweist Julian damit ein wenig Gespür für den Eindruck der Affektiertheit, die sein Auftreten in der Bevölkerung
auslösen musste. Doch die Stelle ist ironisch zu verstehen: Julian begibt sich hier auf das Niveau der Antiochener,
die alles durch die Theater-Brille sehen.
75
Der «Barthasser»
Persönlichkeit. In seinen Kyniker-Reden entwirft Julian das Bild eines «Pseudo-Kynikers», der sich mit
langem Haar, Bart und Mantel schmückt, um den Eindruck eines Philosophen zu erwecken. 289 Julian
war aber davon überzeugt, dass sein Äusseres «authentischer» Ausdruck seiner wahren philosophischen Gesinnung ist.
Antike Reaktionen auf den Misopogon
Die unglückliche Episode in Antiochia schrieb sich auf unterschiedliche Weise in die Geschichte ein.
Dass der Kaiser in Antiochia Spott ausgesetzt war und darauf auf unkonventionelle Weise reagierte,
lässt sich in beinahe jeder Quelle zu Julian nachweisen. Doch die Erklärungen für die Konfliktsituation
und die Reaktionen auf die Verfassung des Misopogon fallen bei den zeitgenössischen Autoren zum
Teil sehr unterschiedlich aus. Interessanterweise lässt sich hier nicht einfach ein Unterschied zwischen
wohlwollender paganer und ablehnender christlicher Tradition ausmachen. Die Reaktionen der christlichen Autoren sind in ihrem Urteil über die Verfassung des Misopogon auffällig mild, wenn nicht gar
lobend, während pagane Autoren teilweise zurückhaltend auf die Verfassung der berüchtigten Schrift
reagieren. In der paganen Geschichtsschreibung äussert sich vor allem Ammian ausführlicher zu der
Verfassung des Misopogon:
«Als er den entsprechenden Befehl [ein Höchstpreisedikt für Nahrungsmittel] erliess, legte der
Rat von Antiochia offen dar, dass er ihn für den Augenblick nicht befolgen konnte, aber trotzdem liess der Kaiser von seinem Vorsatz nicht ab, ähnlich wie sein Bruder Gallus, allerdings
ohne Gewalt anzuwenden. Darum war er von nun an auf diese Leute als seine Widersacher
und Trotzköpfe böse und verfasste ein Pamphlet, das er ‹Antiochense› oder ‹Barthasser›
nannte. Hierin zählte er feindlichen Sinnes Vorwürfe gegen die Stadt auf und dichtete noch
manches hinzu. Als er erfuhr, dass man hiernach auf ihn viele üble Witze machte, sah er sich
gezwungen, für den Augenblick gute Miene zum bösen Spiel zu machen, kochte aber innerlich
vor Wut.» 290
Das genaue Verhältnis von Ursache und Wirkung ist bei Ammian etwas unklar: Der Misopogon erscheint bei ihm in erster Linie als Reaktion auf seine Gegner im Stadtrat, während die üblen Witze aus
der Bevölkerung erst danach zu ihm drangen. Dies macht wenig Sinn, da der Misopogon mehrfach
289
Vgl. oben, S. 38.
Amm. 22,14,1–3 (Übers. Seyfarth): et Antiochensi ordine id tunc fieri, cum ille iuberet, non posse aperte
monstrante nusquam a proposito declinabat, Galli similis fratris licet incruentus. quocirca in eos deinceps saeuiens
ut obtrectatores et contumaces uolumen composuit inuectiuum, quod Antiochense uel Misopogonem appellauit,
probra ciuitatis infensa mente dinumerans addensque ueritati complura. post quae multa in se facete dicta
comperiens coactus dissimulare pro tempore ira sufflabatur interna.
290
76
Der «Barthasser»
bereits auf den öffentlichen Spott eingeht. 291 Dies mag ein Versehen sein. Persönlich äussert sich Ammian nicht zu Sinn oder Unsinn des Misopogon. Da der Erwähnung aber eine Kritik an den unvernünftigen, «nur aus Sucht nach Popularität getroffenen» Massnahmen Julians vorausgeht, stellt die ganze
Episode Julian Handeln in Antiochia in ein eher unvorteilhaftes Licht. 292 Interessant ist der Vergleich
mit Gallus, dessen Handeln in Antiochia Ammian ebenfalls grundsätzlich kritisiert; Julian verzichtet
aber zumindest auf Gewaltanwendung.
Sehr viel weniger explizit geht Libanios auf Julians Reinfall in Antiochia ein. In seinen vielen Reden, die
Julian gewidmet sind, nimmt seine Heimatstadt natürlich einen grossen Platz ein, und er thematisiert
auch mehrfach die Auseinandersetzungen zwischen den Antiochenern und Julian. Doch während sich
Libanios diesbezüglich ganz auf die Auseinandersetzungen in Bezug auf die Nahrungsmittelkrise und
die religiösen Konflikte fokussiert, erwähnt er den Spott der Antiochener, aber auch Julians Misopogon
nur selten, und dann nur indirekt oder am Rande. In seinem Epitaph auf Julian (oratio 18) erzählt Libanios von einer Rede, durch die der Kaiser die Stadt für ihren Ungehorsam bestrafte. Die Rede ist für
Libanios ein Ausdruck der Milde: Obwohl es in der Hand des Kaisers gelegen hätte, Folter und Todesstrafen zu verhängen, wehrte er sich nicht in seiner Rolle als Herrscher, sondern mit den Mitteln des
Redners. 293 Interessanterweise nennt Libanios die Rede, deren Name(n) von anderen Autoren stets
überliefert werden, nicht; er räumt ihr allgemein auffällig wenig Platz ein, obwohl er die rhetorischen
Fähigkeiten seines Helden normalerweise gerne lobt. Dies ist auch der einzige direkte Hinweis auf eine
solche Rede des Kaisers; Libanios erwähnt diese also erst mit einigem zeitlichen Abstand zum ersten
Mal. In den beiden orationes, die Libanios zum Anlass von Julians Abreise aus Antiochia verfasste, thematisiert er zwar eingehend den verfehlten Spott der Antiochener, doch erwähnt keine Rede. Nur sehr
implizit macht er auf eine Reaktion des Kaisers aufmerksam, wenn er die Antiochener tadelt, dass sie
die Sache selbst in die Hand hätten nehmen sollen und die Intriganten bestrafen, so dass der Kaiser
gar nicht erst darauf hätte reagieren müssen. 294
Ähnliche Überlegungen bezüglich einer milden Variante der kaiserlichen Bestrafung finden sich interessanterweise auch bei christlichen Autoren: Für Sokrates ist der Misopogon das kleinere Übel, das
Julian von schlimmeren Taten abhielt, indem er seine Wut darin ausdrücken konnte. Dazu fügt er noch
291
Irritiert durch diesen Umstand sind auch MARCONE 2020, 342 und GLEASON 1986, 113, Anm. 64.
Amm. 22,14,1–2. Dies ist eine der vielen Stellen, wo Ammian seinen ansonsten gelobten Helden eindeutig
kritisiert. Zur scharfen Kritik an Gallus vgl. 14,1,1–9.
293
Lib. or. 18, 198. Der Verweis auf eine «Rede» ist interessant, denn die Schrift dürfte wohl kaum vorgetragen
worden sein. Libanios nennt in diesem Zusammenhang auch ein früheres Beispiel, bei dem Julian bereits durch
seine rhetorischen Fähigkeiten einen unverschämten Römer abgestraft hätte. Damit ist ein gewisser, ansonsten
unbekannter Nilus (Neilos) gemeint; die Schrift, auf die sich Libanios bezieht, ist ein offener Brief des Julian an
eben diesen Nilus: Iul. epist. 29.
294
Lib. or. 16, 30.
292
77
Der «Barthasser»
an, dass der Kaiser der Stadt durch die Schrift einen bleibenden Makel hinterliess. 295 Damit bleibt Sokrates gegenüber der Thematik relativ sachlich. 296 Deutlich positiver ist die Beurteilung des Sozomenos:
«Die Händler suchten daraufhin das Weite, und die Nahrungsmittel wurden knapp. Die Bewohner von Antiochien, die das als ein Unglück empfanden, beschimpften den Kaiser und rissen ihre Witze über seinen Bart, der so lang sei, und über die Münze, die mit dem Bild eines
Stieres geprägt war: die ganze Welt sei wie die geschlachteten Stiere unter seiner Führung zu
Fall gebracht worden, höhnten sie. Zuerst wurde Julian wütend und drohte Antiochien
schlecht zu behandeln, und er bereitete seine Übersiedlung nach Tarsus vor. Aber sein Zorn
verrauchte gänzlich, und er rächte sich nur mit Worten für die Kränkungen, indem er eine
glänzende und höchst ironische Rede gegen die Antiochener hielt, der er den Titel ‹Barthasser›
gab.» 297
Der Grund dafür ist unklar. Vielleicht wollte er sich von Sokrates absetzen und ein eigenes literarisches
Urteil abgeben. 298 Wahrscheinlicher ist aber, dass er eine pagane Überlieferung als Quelle benutzte. 299
Das nur fragmentarisch überlieferte Geschichtswerk des Eunapios von Sardes lobte bereits Julians
Rede gegen Herakleios in den höchsten Tönen, 300 und es ist sehr wahrscheinlich, dass er dem Misopogon ein ebenso positives Urteil zukommen liess. Einen letzten Hinweis auf eine pagane Tradition findet
sich bei Zosimos, der zugleich das letzte antike Urteil zum Misopogon liefert: 301
«Indem sie nun unerhörte Schimpfwörter über ihn ausstiessen, beleidigten sie den Herrscher;
der wehrte sich wohl, legte aber den Einwohnern keine Strafe auf, verfasste vielmehr eine
ungemein witzige, gegen sie und die Stadt gerichtete Scottise, die so viel mit Ironie gemischte
Bitterkeit enthielt, dass sie genügte, über die ganze Welt hin die Vorwürfe gegen die Antiochener zu verbreiten. Sie bereuten übrigens ihr Vergehen und der Kaiser kam gerechtermassen der Stadt zu Hilfe, indem er ihr eine grosse Anzahl von Curialen genehmigte; […]. Iulianus
295
Sokr. h.e. 3,17,9. Einige Bücher später jedoch zieht Sokrates zum Vergleich mit Theodosius noch einmal Julian
hinzu, der ihm dabei als Beispiel für fehlende Selbstkontrolle dient, da er seine Wut (ὀργή) gegen die Spötteleien
der Antiochener nicht im Zaun halten konnte (Sokr. h.e. 7,22).
296
Zur allgemein relativ differenzierten und gut informierten Darstellung Julians bei Sokrates siehe NESSELRATH
2001 (Kaiserlicher Held und Christenfeind), 35-41.
297
Soz. 5,19,2–3 (Übers. Hansen): ἢ ἔδει τιμήματι τὰ ἐπ’ ἀγορᾶς ὤνια πωλεῖσθαι προσέταξεν. ἐκφυγόντων δὲ
τῶν καπήλων τὰ μὲν ἐπιτήδεια ἐπέλιπεν, Ἀντιοχεῖς δὲ δεινὸν τοῦτο ποιούμενοι τὸν βασιλέα ὕβριζον καὶ εἰς τὸν
πώγωνα αὐτοῦ ὡς βαθὺς εἴη ἐπέσκωπτον καὶ εἰς τὸ νόμισμα, ὅτι ταύρου εἶχεν εἰκόνα. τὸν γὰρ κόσμον ἐπίσης
τῶν ὑπτίων ταύρων ὑπ’ αὐτῷ ἡγεμόνι ἀνατετράφθαι ἐπετώθαζον. ὁ δὲ τὰ πρῶτα ὀργισθεὶς ἠπείλει Ἀντιοχέας
κακῶς ποιήσειν, καὶ εἰς Ταρσὸν μετοικίζεσθαι παρεσκευάζετο. ὑπερφυῶς δέ πως τοῦ θυμοῦ μεταβαλλόμενος
λόγοις μόνοις τὴν ὕβριν ἠμύνατο, κάλλιστον καὶ μάλα ἀστεῖον λόγον, ὃν Μισοπώγωνα ἐπέγραψε, κατὰ
Ἀντιοχέων διεξελθών.
298
Die knappe Überlegung bei NESSELRATH 2001, 41.
299
Eine weitere Erklärung könnte die allgemeine Kritik an der lasterhaften Stadt Antiochia in der späteren christlichen Tradition sein; vgl. etwa die Predigten des Chrysostomos in der Stadt.
300
Eun. frg. hist. 25,3.
301
Die byzantinischen Autoren Malalas und Zonaras behandeln beide die Verfassung der Schrift und ihre Umstände, doch liefern dazu keinerlei Urteil ab.
78
Der «Barthasser»
traf auch noch viele andere gute und richtige Massnahmen und rüstete sich dann zum Kriege
gegen die Perser.» 302
Dass es zu einer solchen Versöhnung kam, ist durch die Quellenlage hinreichend widerlegt. Interessant
ist der Verweis auf die weltweite (d.h. reichsweite) Verbreitung des Misopogon, der auf eine gezielte
Dissemination der Rede auch über Antiochia hinaus hindeutet.
Der Misopogon im Kontext der Kalenden
Handelt es sich demnach beim Misopogon tatsächlich um eine Bewältigungsstrategie Julians zur Erklärung und persönlichen Verarbeitung der massiven Diskrepanz zwischen seinen hellenistischen Idealen
und der brutalen Realität, die ihm in Antiochia begegnete? 303 Maude Gleason sprach sich bereits 1986
gegen eine solche Interpretation des Misopogon als psychologisches Kuriosum aus und stellte die Frage,
ob ein kaiserliches Dokument überhaupt je so ungewöhnlich sein kann, dass dessen Verfassung und
Veröffentlichung nicht in einen bestimmten sozialen Kontext eingebettet werden kann. Auch beim Misopogon spreche bereits die Tatsache, dass er öffentlich ausgestellt wurde, eher für eine Funktion der
Kommunikation statt einer persönlichen Bewältigungsstrategie des Kaisers. 304 Sie sprach sich daher für
eine Erklärung des Misopogon im Zusammenhang mit den Kalenden des Januars aus. 305 Das pagane
Neujahrsfest war von einem karnevalesken Charakter geprägt und traditionellerweise ein Raum für
ausgelassene Feste, in denen soziale Konventionen gekippt oder auf den Kopf gestellt wurden und
auch Spott gegen die Obrigkeit geäussert werden konnte. Hinweise für ein solches Fest finden sich
etwa bei Libanios: In seinen beiden nachträglichen Reden an Julian und die Antiochener erwähnt er
jeweils ein religiöses Fest, in dessen Zusammenhang üble Spottverse gefallen sind und unangebrachte
Tänze aufgeführt wurden. 306 Folgt man Libanios, beschränkte sich das skandalöse Treiben auf den
Raum des Hippodroms. Auch in Julians Misopogon finden sich Hinweise, dass der Spott auf gewisse
Lokalitäten begrenzt war:
«Die Gesetze wirken ja nur Respekt einflössend durch die Obrigkeit; daraus folgt aber, dass
jeder, der einen der Regierenden schmäht, darüber hinaus auch die Gesetze mit Füssen tritt.
Zos. 3,11,5 (Übers. Veh/Rebenich): Ἀφέντες τοίνυν φωνὰς ἀλλοκότους ἐλύπησαν· ὃ δὲ ἠμύνατο, τιμωρίαν
φωνὰς ἀλλοκότους ἐλύπησαν· ὃ δὲ ἠμύνατο, τιμωρίαν μὲν οὐδεμίαν ἔργῳ αὐτοῖς ἐπιθείς, λόγον δὲ ἀστειότατον
εἰς αὐτούς τε καὶ τὴν πόλιν συνθείς, ὃς τοσαύτην ἐν ἑαυτῷ μετ’ εἰρωνείας ἔχει πικρίαν ὥστε πανταχοῦ γῆς
ἤρκεσε τὰ Ἀντιοχέων ὀνείδη διενεγκεῖν· ἀλλ’ ἐκείνοις μὲν ὑπὲρ ὧν ἔπταισαν μετεμέλησεν, ὁ δὲ βασιλεὺς
βοηθήσας τὰ εἰκότα τῇ πόλει καὶ πλῆθος πολὺ παραδοὺς βουλευτῶν […] ἄλλα τε πολλὰ καλῶς καὶ δικαίως
οἰκονομήσας, ἐπὶ τὸν κατὰ Περσῶν παρεσκευάζετο πόλεμον.
303
In diese Sinne etwa BROWNING 1975, 158.
304
GLEASON 1986, 106.
305
Ibid., 107 f.
306
Lib. or. 15, 19; Lib. or. 16, 35–36.
302
79
Der «Barthasser»
Dass euch ein solches Verhalten Spass macht, das beweist ihr deutlich bei mehr als einer Gelegenheit, nicht zum wenigsten auf den öffentlichen Plätzen und im Theater. Bei der Volksmasse erlebt man es durch ihr Klatschen und Beifallsgeschrei, und was die Ratsherren angeht,
so besitzen sie wegen der Unsummen, die sie für diese Art von Vergnügungen aufgewendet
haben, mehr allgemeines Ansehen und Popularität, als Solon der Athener durch seine Begegnung mit dem Lyderkönig Kroisos gewann.» 307
Julian macht öffentliche Plätze und das Theater als diejenigen Orte aus, an denen die Polemik gegen
ihn besonders zelebriert wird. Die Reaktion darauf sei tosender Beifall bei der Masse der Bevölkerung
gewesen. Zugleich lässt Julian anklingen, dass sich die örtlichen Magistrate durch die Finanzierung solcher Anlässe grosse Popularität erkauften. Solche Veranstaltungen im Theater und bei öffentlichen
Spielen waren ein wichtiger traditioneller Kommunikationsraum, bei dem die Bevölkerung mit dem
Herrscher in Kontakt treten konnte. Während der Kalenden war Spott zudem kein unübliches Phänomen. Dass Julian grundsätzlich keinen Spielen beiwohnte, aber an Neujahr eine Ausnahme machte, ist
ein Hinweis, dass die Spottverse im Theater, auf die er sich bezieht, ebenfalls in den Kontext von Neujahr zu setzen sind; ebenso der Hinweis, dass es sich um organisierte Veranstaltungen handelt. Maude
Gleason rekonstruierte die Ereignisse der Neujahrsfeierlichkeiten anhand des Misopogon und lieferte
so eine Erklärung für die Häufung der Anapäste der Bevölkerung. 308
In dieselbe Kerbe schlägt auch Tom Hawkins. Er betrachtet den Misopogon selbst als Schrift, die nur
im Kontext der Kalenden zu verstehen ist und verknüpft ihn mit der langen Tradition der sogenannten
«jambischen Dichtung». Die jambische Dichtung war ein Modus in der Form von Spottgedichten, der
in der römischen Antike auf prominente griechische Dichter wie Archilochos von Paros (7. Jahrhundert
v.Chr.) zurückgeführt wurde. 309 Darunter fielen vor allem Texte, die in Form von beissendem Spott eine
Abrechnung mit persönlichen Feinden darstellte. Wie Hawkins zeigt, ist diese Art der Dichtung von
einem grundsätzlichen Interesse am verweiblichten männlichen Körper geprägt, der sich besonders
gut für Invektiven eignet. 310 Insbesondere die römischen kaiserzeitlichen Prosa-Autoren verfolgten
meistens das Ziel, ihrer eigenen überlegenen Männlichkeit Geltung zu verschaffen, während ihren
Feinden eine solche abgesprochen wird. 311 Dies ist letztlich auch das, was Julian mit seinem Misopogon
versucht: Indem er die Spötteleien der Antiochener aufgreift, benutzt er sie als Ausgangspunkt, um die
Iul. or. 12 (mis.), 342 B–C (Übers. Giebel): Καὶ γὰρ οἱ νόμοι φοβεροὶ διὰ τοὺς ἄρχοντας, ὥστε ὅστις ἄρχοντα
ὕβρισεν, οὗτος ἐκ περιουσίας τοὺς νόμους κατεπάτη|σεν. Ὡς δὲ ἐπὶ τούτοις εὐφραινόμενοι δῆλον ποιεῖτε
πολλαχοῦ μέν, οὐχ ἥκιστα δὲ ἐν ταῖς ἀγοραῖς καὶ ἐν τοῖς θεάτροις, ἀπὸ μὲν τῶν κρότων καὶ ἀπὸ τῆς βοῆς ὁ
δῆμος, οἱ δὲ ἐν τέλει τῷ γνωριμώτεροι μᾶλλον εἶναι καὶ ὀνομάζεσθαι παρὰ πᾶσιν ἀφ’ ὧν εἰς τὰς τοιαύτας ἑορτὰς
ἐδαπάνησαν ἢ Σόλων ὁ Ἀθηναῖος ἀπὸ τῆς πρὸς Κροῖσον τὸν Λυδῶν βασιλέα συνουσίας.
308
GLEASON 1986, 108–13.
309
Vgl. HAWKINS 2014, 1–23. Tatsächlich referiert Julian selbst zu Beginn des Misopogon (Iul. or. 12 (mis.), 337 A)
unter anderem auf den Dichter Archilochos und positioniert sich somit in eben dieser Tradition.
310
HAWKINS 2014, 18 f.
311
Ibid., 21–23.
307
80
Der «Barthasser»
Antiochener selbst als effeminierte, moralisch verkommene Weichlinge darzustellen, während er sich
seinen Bart als das unmittelbarste Zeichen seines eigenen, männlichen Kodex zurechtlegt, der hellenische Tradition und philosophische Strenge bezeugt. 312
Während also Julians Text als jambischer Text gelesen werden kann, kombiniert der Kaiser die Rhetorik
der jambischen Dichtung mit der Logik der Kalenden, die traditionelle Normen zeitweise auf den Kopf
stellt. Er spielt dabei mit der Thematik der Ausnahmesituation, in der zeitlich begrenzt die normalen
Regeln des gesellschaftlichen Umgangs ausgehebelt oder gar in ihr Gegenteil verkehrt werden: Der
Kaiser akzeptiert vorgeblich seine vorübergehende Rolle als Zielscheibe des karnevalistischen Humors,
nur, um seine permanente Stellung während der normalen Zeit als endgültige Autorität und Schiedsrichter für das gesamte Reich zu stärken. 313 Zugleich unterstellt er den Antiochenern ein standardmässiges karnevaleskes Verhalten: Julian macht stark, dass übermässiger Konsum und sexuelle Aktivitäten
für ihn nicht in Frage kommen (sie werden ja durch seinen Bart verhindert). Auch andere körperliche
Funktionen wie Erbrechen kommen bei ihm höchst selten vor, wie er durch den seltsamen Exkurs mit
der Episode in Paris zu verstehen gibt. Sex, Konsum und Erbrechen sind jedoch, wie Hawkins treffend
bemerkt, alles Aktivitäten, die im Zusammenhang mit den ausgelassenen festlichen Aktivitäten der
Kalenden zu gängigen Phänomenen werden. 314 Doch Julian stellt die Antiochener als Volk dar, das einen generellen Hang zu solchen Eskapaden an den Tag legt: Selbstbeherrschung und Mässigung sind
nach Julians Ausführungen der Stadt fremd, in der die Dekadenz regiert. Während also Antiochia während der Feierlichkeiten der Kalenden die traditionellen Werte des bürgerlichen Lebens demonstrativ
und spielerisch in ihr Gegenteil verkehrt, ist Julian der Meinung, dass die Feierlichkeiten im Jahr 363 zu
weit gingen, und er beschuldigt die Stadt, sich regelmässig dieser Art von ausschweifendem Verhalten
hinzugeben. 315
In diesem Sinne lässt sich zumindest ein Teil des antiochenischen Spotts, aber auch Julians Antwort
darauf, im Kontext der Kalenden verorten. Betrachtet man auch andere Zwischenfälle, in denen Julians
Verhalten Kritik erntete, fällt auf, dass sich viele der Episoden ebenfalls im Zeitraum um die Kalenden
bewegen: Sein sonderbares Verhalten während der Einweihung der neuen Konsuln in Konstantinopel
am 1. Januar 362 ist ein solches Beispiel. 316 So ganz «normal» wird der Misopogon dennoch nicht. Dies
hängt mit verschiedenen Punkten zusammen. Einerseits reagierte der Kaiser mit der Schrift nachträglich auf die Ereignisse der Kalenden. Die Verfassung wird in der Forschung zumeist gegen Ende Januar
312
HAWKINS 2014, 263.
Ibid., 266.
314
Ibid., 276 f.
315
Ibid., 289.
316
Siehe unten, Kapitel «Ein bewegter Kaiser». Der Amtsantritt der Konsuln fand seit dem Jahr 153 v.Chr. an den
Kalenden des Januars statt, dem ersten Tag des römischen Jahres; vgl. SGUAITAMATTI 2012, 137.
313
81
Der «Barthasser»
oder Februar datiert, also in eine Zeit, in der die Neujahrsfeierlichkeiten bereits vorüber waren. 317 Darüber hinaus, und dies wird in den Augen der Bevölkerung das grösste Problem gewesen sein, war es
der Kaiser persönlich, der sich hier eine Tradition aneignete, bei der er eigentlich Empfänger und nicht
Sender des Spottes hätte sein müssen. Wie Maude Gleason bemerkt, hatten die Ausnahmesituation
der Kalenden auch eine gesellschaftsbildende Funktion. Die hierarchische Struktur der römischen Gesellschaft wurde kurzzeitig aufgelöst, und Rollenbilder wurden verkehrt: Männer benahmen sich wie
Frauen, Sklaven wurden zu Herren, und die sozialen Eliten wurde durch despektierlichen Spott kurzzeitig von ihrem Podest heruntergeholt. Dies war im Endeffekt eine Bestärkung der bestehenden Strukturen. 318 Im Jahr 363 nutzten die Einwohner von Antiochia die Lizenz des Festes voll aus, indem sie ihre
aufgestaute Frustration über die gescheiterten religionspolitischen und wirtschaftlichen Massnahmen
des Kaisers über das Ventil der Kalenden auslassen konnten. Solche Umkehrungen der sozialen Hierarchie sind bei karnevalesken Festen üblich, und sie beruhen immer auf der Annahme, dass nach der Zeit
des Karnevals wieder der normale Anstand und die hierarchischen Strukturen gelten werden. Doch das
funktionierte nur, wenn die Verspotteten auch mitspielten und ihre kurzzeitige unterlegene Rolle hinnahmen. Doch Julian, an der Spitze der Hierarchie stehend, nahm den Spott nicht einfach auf, sondern
warf ihn auf seine Spötter zurück. Der Kaiser machte sich über seine Untergebenen lustig und sprach
ihnen ihre Männlichkeit und moralische Integrität ab. Er zeigte sich als schlechter Verlierer. 319 Julian
reagierte damit auch auf ein situationsbedingtes Verhalten der Bevölkerung, das traditionell begründet war und eigentlich nicht hätte sanktioniert werden dürfen – und zwar mit endgültigen Konsequenzen: Die Stadt wäre wohl bei erfolgreicher Rückkehr des Kaisers nicht mehr länger seine syrische Residenzstadt geblieben. 320
Ohne allzu tief in das heute nicht mehr fassbare Innenleben einer historischen Person abtauchen zu
wollen, wird es wohl nicht zu weit gehen zu behaupten, dass Julian nach Monaten der direkten Angriffe
317
WIEMER 1998, 736, Anm. 17 datiert die Schrift zwischen dem 18. Januar und dem 18. Februar; RIEDWEG 2018,
1400 sogar in die zweite Februarhälfte.
318
GLEASON 1986, 112.
319
Ironisch liest sich deshalb ein Brief Julians an seinen Onkel, in welchem er jenem rät, sich nicht gegen die
Beleidigungen eines Feindes zu wehren: «Denn es entspricht zwar dem Wesen eines vornehmen, hochgesinnten
Mannes, üble Nachrede hinnehmen zu müssen, aber nicht, üble Nachrede zu äussern. Denn wie Geschosse, die
man gegen eine richtige, feste Mauer schleudert, nicht an ihr haften, sie nicht erschüttern, nicht in ihr steckenbleiben, sondern mit verstärkter Wucht auf den Werfer zurückprallen, so kann auch jede über einen redlichen
Mann ausgegossene Beschimpfung, Verleumdung und ungerechtfertigte Unbill ihn selbst überhaupt nicht berühren, sondern sie wenden sich gegen ihren Urheber.» (Iul. epist. 12 (Übers. Weis)).
320
Iul. or. 12 (mis.), 364 D: Julian plante, nach einem erfolgreichen Feldzug Tarsos zu seinem neuen Hauptquartier
in Syrien zu machen. Darüber hinaus berichtet Ammian auch davon, dass er den Antiochener zur Strafe einem
Alexander aus Heliopolis, der für seinen Jähzorn bekannt war, die Rechtsprechung in Antiochia übertrug; vgl.
Amm. 23,2,3–5. Sokr. h.e. 3,17,1–10 erzählt von Julians ursprünglichem Plan, von Antiochia nach Tarsos zurückzukehren, da er auf die spottenden Antiochener wütend war. Der Kaiser habe sich dann aber umentschieden und
stattdessen den Misopogon verfasst.
82
Der «Barthasser»
auf sein Äusseres wohl schlicht und ergreifend beleidigt war. Unter den Gründen, die ihn zum Verlassen der Stadt bewegen, nennt Julian die antiochenische Abneigung gegen sein Äusseres an erster Stelle:
«Aber da euch nun einmal mein langer Bart missfällt und meine unfrisierten Haare, und meine
Abneigung, ins Theater zu gehen und meine Forderung nach frommem Betragen in den Tempeln und mehr als all das meine beständige Anwesenheit bei Gerichtsverhandlungen und
meine Zumutung, das unlautere Gewinnstreben vom Marktplatz zu verbannen –, da euch dies
alles so missfällt, überlasse ich euch freiwillig eure Stadt.» 321
In diesem Sinne trafen wohl die Satiren, die die Antiochener auf ihn abfeuerten «wie Pfeile», den Kaiser
ebenso wie die tatsächlichen Geschosse der Perser wenige Monate später. 322
Zwischenfazit
Julian ist in seinem Misopogon zugleich männlicher Soldat, asketischer Philosoph und authentischer,
volksnaher und milder Herrscher. Damit nimmt Julian in seinem Selbstzeugnis bereits die verschiedenen Rollen vorweg, in denen seine ihm freundlich gesinnten Zeitgenossen ihn vor und nach seinem
Tod darstellen werden. Ob der Misopogon wesentlich auf Julians Bild bei Ammian und Libanios eingewirkt hat, ist indes fraglich: Beide Autoren vermeiden direkte Verweise auf die Schrift Julians; sie wird
von beiden nur am Rande erwähnt und dann meist nur indirekt.
Wie aus der Lektüre des Misopogon ersichtlich wurde, versinnbildlicht Julians Bart den Unterschied
zwischen seiner idealen Selbstbeherrschung und Mässigung (σωφροσύνη) einerseits, der Hingabe der
Antiochener zum Exzess (beschrieben als eine extreme Form der ἐλευθερία) andererseits. Diese beiden Begriffe sind im Misopogon sehr viel prominenter als in allen anderen Werken Julians. Der Bart
bildet den Dreh- und Angelpunkt dieser Opposition: Julian beginnt von einem Punkt der vorgeblichen
Einigkeit über die Hässlichkeit seines Bartes, benutzt dann aber schnell seine unattraktive Gesichtsbehaarung zur Demonstration des unüberwindbaren moralischen Abgrunds zwischen seiner philosophischen Verankerung in der traditionellen griechischen Ethik und der diesen Tugenden diametral entgegengesetzten Gewohnheiten der Antiochener. Durch ihre falsch gesetzten Prioritäten und ihre geschlechtsdiffundierende Verhaltensweise erodieren sie zugleich soziale Grenzen, die eine anständige
Iul. or. 12 (mis.), 365 D–366 A (Übers. Giebel): ἐπεὶ δὲ ὑμᾶς ἥ τε βαθύτης ἀπαρέσκει τοῦ γενείου καὶ τὸ
ἀτημέλητον τῶν τριχῶν καὶ τὸ μὴ παραβάλλειν τοῖς θεάτροις καὶ τὸ ἀξιοῦν ἐν τοῖς ἱεροῖς εἶναι σεμνοὺς καὶ πρὸ
τούτων ἁπάντων ἡ περὶ τὰς κρίσεις ἡμῶν ἀσχολία καὶ τὸ τῆς ἀγορᾶς εἴργειν τὴν πλεονεξίαν, ἑκόντες ὑμῖν |
ἐξιστάμεθα τῆς πόλεως.
322
Vgl. den Spott eines fiktiven Antiocheners bei Iul. or. 12 (mis.), 344 B: ἡμεῖς δὲ αὐτὸ διὰ τῆς ἡμῶν αὐτῶν
εὐτραπελίας ἐξειργασάμεθα, βάλλοντές σε τοῖς σκώμμασιν ὥσπερ τοξεύμασι. Σὺ δέ, ὦ γενναῖε, πῶς ἀ|νέξῃ τὰ
Περσῶν βέλη, τὰ ἡμέτερα τρέσας σκώμματα (Übers. Giebel: «Wir werden damit fertig mit unserem Witz und
unserer Schlagfertigkeit und schiessen unsere Satiren auf dich ab wie Pfeile. Du aber, tapferer Held, wie willst du
die Geschosse der Perser ertragen, wenn du schon bei unseren Sticheleien zitterst.»). Diese Passage liest sich mit
dem Wissen um Julians Schicksal tatsächlich sehr ironisch.
321
83
Der «Barthasser»
Gesellschaft zusammenhalten. Demgegenüber erfährt Julians raue Art in der Umformung in eine kriegerische und zugleich asketische Männlichkeit eine moralische Aufwertung, gegenüber der barbarischen Dekadenz, die er in Antiochia vorfand. In diesem Sinne verteidigt er seine ungepflegte Erscheinung auch als Ausdruck seines Strebens nach Selbstbeherrschung durch Übung in Mässigung.
Das zentrale asketische Ideal im Misopogon ist schliesslich bemerkenswert konsistent mit Julians Ausführungen zur korrekten Lebensführung, wie er sie in seinen philosophischen Reden entwirft. Insbesondere die zahlreichen Verweise auf Körperlichkeit erscheinen durch Julians frühere Überlegungen
bezüglich des Verhältnisses von Körper und Seele in einem neuen Licht. Der Misopogon wird somit erst
im Vergleich mit Julians philosophischem Gesamtwerk wirklich verständlich. Voreilige Schlüsse über
den absonderlichen Charakter des Werks können auf diese Weise vermieden werden.
84
IV.
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
In diesem Teil soll einerseits untersucht werden, welche Aspekte von Julians Lebensführung, seiner
äusseren Erscheinung und seinem Umgang mit dem eigenen Körper sich in den Quellen fassen lassen,
und andererseits, welche Reaktionen Julians Auftreten und Verhalten bei seinen Zeitgenossen hervorrief. Ziel ist es, herauszufinden, wie der Körper Julians von seinen Zeitgenossen gelesen wurde, und
inwiefern diese Lesungen dem Selbstbild von Kaiser Julian ent- oder widersprachen. Betrachtet man
Julians Wirkungsgeschichte und Erinnerungskultur als christlichen Apostaten, so würde man eine klare
Trennung zwischen positiver paganer und negativer christlicher Tradition erwarten. Dies wird zu überprüfen sein. Den Anfang macht eine Untersuchung nicht etwa des tatsächlichen Aussehens Julians,
jedoch der überlieferten literarischen und numismatischen Porträts des Kaisers. Das besondere Augenmerk liegt dabei auf der Herausarbeitung etwaiger Traditionen, wie sie in unterschiedlichen Kreisen etabliert wurden. Thematisch eng mit der äusseren Erscheinung verbunden ist dann auch das
nächste Thema: Der Spott auf Kaiser Julian muss als wesentliches Element der Überlieferung zu dem
Kaiser näher beleuchtet werden. Dabei wird einerseits nach Inhalt, andererseits nach den Urhebern
des Spotts gefragt. Schliesslich werden unter Einbezug aller verfügbaren Quellen die «vielen Gesichter» Kaiser Julians in der Überlieferung herausgearbeitet. Die «Gesichter» stehen dabei für unterschiedliche Repräsentationsformen Julians, die einem einheitlichen Kaiserbild Julians entgegenstehen.
Dabei wird einerseits die Rezeption seiner von ihm selbst stilisierten Rollen in den zeitgenössischen
Quellen untersucht, andererseits werden die Konfliktlinien zwischen dem kaiserlichen Habitus und den
Untergebenen nachgezeichnet werden, indem die Hexis und fehlende Sichtbarkeit des kaiserlichen
Körpers untersucht werden.
Schriftliche Porträts: Julians Aussehen in der literarischen Tradition
Bisher wurden die literarischen Beschreibungen von Kaiser Julians Äusserem noch nicht behandelt.
Wie Kaiser Julian tatsächlich ausgesehen hat, ist heute freilich nicht mehr zu rekonstruieren – weder
anhand der literarischen Beschreibungen noch durch die Betrachtung von Münz- oder rundplastischen
Porträts – und selbstverständlich auch nicht das Ziel dieser Arbeit. Doch das heisst nicht, dass die literarischen Beschreibungen des Gesichts und des Körpers des Kaisers nicht zu gebrauchen wären. In
ihnen ist grundsätzlich zweierlei ersichtlich: Erstens, wie der Kaiser auf seine Zeitgenossen gewirkt hat.
Zweitens, wie das literarische Kaiserbild in der Folge tradiert wurde. Wenn im Folgenden also die literarischen Kaiserbilder vorgestellt und verglichen werden, geht es nicht etwa darum, das «reale» Erscheinungsbild von Kaiser Julian herauszudestillieren (so wie das in der Forschung zuweilen tatsächlich
versucht wird), sondern um die Beantwortung der beiden Fragen nach dem individuellen und zeitgenössischen Eindruck und dem erinnerten Bild an den Kaiser.
85
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
Im Vergleich zu anderen antiken Figuren sind zu Julian relativ viele literarische Kaiserbilder 323 überliefert. Zeitgenössische Nachrichten zu Julians Aussehen finden sich – abgesehen von den Selbstbeschreibungen im Misopogon – bei Ammian und bei Gregor von Nazianz, in geringem Ausmass ausserdem bei
Pseudo-Aurelius Victor und dem Panegyrikus des Claudius Mamertinus. Beschreibungen von Autoren,
die Julian nie zu Gesicht bekommen haben, finden sich beim Kirchenhistoriker Sokrates und beim byzantinischen Chronisten Johannes Malalas. 324 Die Selbstbeschreibungen im Misopogon wurden bereits
ausgewertet, und bei genauerer Betrachtung verraten sie trotz der Fixierung auf das schäbige Äussere
des Kaisers überraschend wenig über das Aussehen des Kaisers: Dass er einen Bart und ungepflegte
Haare hat, lange Fingernägel und keine Warze sind die wesentlichen Informationen. 325 Somit stehen
sich als zeitgenössische Porträts lediglich die Beschreibung beim Geschichtsschreiber Ammian und
beim Theologen Gregor von Nazianz in scharfem Kontrast gegenüber.
Die früheste überlieferte zeitgenössische Beschreibung von Julian findet sich im Panegyrikus eines
Claudius Mamertinus. Dieser, ein ansonsten unbekannter Gallier und praefectus praetorio Illyriens,
wurde von Julian im Jahre 362 zum Konsul befördert. Mit einer Rede an Kaiser Julian bedankte sich
dieser für die erhaltene Ehre. Mamertinus’ Beschreibungen von Julians Äusseren sind jedoch recht
spärlich und beschränken sich auf den starken Nacken, den Bart und die strahlenden Augen des Kaisers. 326
Eine wesentlich ausführlichere Beschreibung von Julians Aussehen überliefert Ammian, der dies typischerweise in sein Fazit über Person und Herrschaft des Kaisers im Zusammenhang mit dessen Tod
einbaut. Die Beschreibung seines Helden Julian – ist wenig überraschend – recht positiv:
«Seine Gestalt und sein Gliederbau waren folgendermassen: Er war mittelgross, sein Haar war
weich und wie gekämmt, und er trug einen struppigen, spitz zulaufenden Bart. Seine funkelnden Augen waren hübsch und liessen auf einen scharfen Verstand schliessen. Die Augenbrauen waren zierlich, die Nase sehr gerade, der Mund etwas zu gross, und die Unterlippe
hing etwas herab. Sein Hals war kräftig und gebogen, die Schultern waren muskulös und breit.
323
Siehe die Definition oben Kapitel «Kaiserbilder». An dieser Stelle sei für die folgenden Passagen nochmals
darauf verwiesen, dass im Rahmen dieser Arbeit literarische Beschreibungen ebenso unter die Begrifflichkeit von
Porträt gefasst werden wie Münzporträts und Rundplastiken; siehe dazu BORSCH 2019, 49–51.
324
Daneben gibt es noch einige weitere obskure, aber wenig ergiebige Textstellen bei den byzantinischen Autoren Kedrenos Georgios und einem Pseudo-Kodinos, die in dieser Arbeit nicht beachtet werden. Eine Auflistung
aller einschlägigen Textstellen zu Julians Aussehen (ausser Sokrates), inkl. italienischer Übersetzung, bietet CALZA
1972 (Iconografia romana imperiale), 74–81.
325
Vgl. auch FLECK 2008, 28, der den Selbstbeschreibungen Julians für die Porträtforschung nur von geringem
Wert ansieht.
326
Vgl. Paneg. lat. 3 (11), 6,4. Das männlich-brachiale Bild, das Mamertinus von Julian entwirft, ist dennoch in
einem anderen Zusammenhang interessant: Siehe unten, Kapitel «Ein asketischer Soldatenkaiser».
86
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
Vom Kopf bis zu den Zehen war sein Gliederbau symmetrisch, und aus diesem Grund verfügte
er über Kraft und war ein guter Läufer.» 327
Die Beschreibung ist kurz und im Vergleich zu den Darstellungen anderer Kaiser bei Ammian nicht weiter auffällig (bis auf den struppigen Spitzbart). Vergleicht man die Stelle mit anderen kurzen Hinweisen
zu Julians Aussehen desselben Autors, stellt man geringfügige Widersprüchlichkeiten fest. So beschreibt Ammian Julian als mittelgross, an anderer Stelle im Zusammenhang mit seinem Einzug in Konstantinopel als von kleiner Statur. 328 Die breiten und muskulösen Schultern stehen im Widerspruch zu
dem antiochenischen Spott über den Zwerg mit den schmalen Schultern (wobei Ammian hier kein eigenes Urteil, sondern lediglich die Spottverse wiedergibt). 329 In der Hervorhebung der funkelnden Augen ist Ammian hingegen konsistent. So schildert Ammian die Erhebung des Julian zum Caesar, bei
dem er durch die Soldaten eingehend betrachtet wurde:
«Es ist kaum zu schildern, mit wie grosser Freude alle mit wenigen Ausnahmen der Entscheidung des Kaisers zustimmten und den Cäsar mit gebührendem Respekt aufnahmen, der im
Glanz des kaiserlichen Purpurs strahlend dastand. Lange und eingehend betrachteten sie seine
Augen, die zugleich strahlend und furchtbar waren, und sein Antlitz, das in der Erregung
hübsch aussah, und suchten so zu ergründen, wie er in der Zukunft sein werde, als hätten sie
die alten Schriften durchstudiert, deren Lektüre die innerste Seele durch körperliche Kennzeichen erkennen lehrt.» 330
Die Passage ist interessant, da sie ein Ritual der Zustimmung durch die Soldaten beschreibt, zu dem
offenbar auch die Inspektion der neuen Caesaren gehört. Vermutlich dient sie aber vor allem Ammian
selbst als Gelegenheit, den Caesaren zu charakterisieren. Dass Ammian selbst mit den physiognomischen Lehren der Zeit bekannt war, wird seit langem angenommen. Die wenigen Hinweise zu Julians
Gesicht und Körper bei Ammian können in diesem Sinne auch als Hinweise an physiognomisch gebil-
327
Amm. 25,4,22 (Übers. Seyfarth): Figura tali situque membrorum: mediocris erat staturae capillis tamquam
pexis et mollibus, hirsuta barba in acutum desinente uestitus, uenustate oculorum micantium flagrans, qui mentis
eius argutias indicabant, superciliis decoris et naso rectissimo, ore paulo maiore, labro inferiore demisso, opima
et incurua ceruice, umeris uastis et latis, ab ipso capite usque unguium summitates liniamentorum recta compage,
unde uiribus ualebat et cursu.
328
Amm. 22,2,5: exiguo corpore. Eunapios (Eun. frg. hist. 28,1) beschreibt Julian als übernatürlich grossgewachsen. Dies ist jedoch ein reiner Topos: Zusammen mit körperlicher Schönheit (die ebenfalls typisch ist für den
hagiographischen Diskurs) ist übernatürliche Grösse eine der wichtigsten Eigenschaften der eunapischen Heiligen; siehe BECKER 2013 (Eunapios aus Sardes), 66–68. Ebenfalls von kleiner Statur ist Julian bei Pseudo-Aurelius
Victor: (Ps.-)Aur. Vict. epit. Caes. 43.
329
Amm. 22,14,3: Ridebatur enim […] homo breuis umeros extentans angustos.
330
Amm. 15,8,15–16 (Übers. Seyfarth): immane quo quantoque gaudio praeter paucos Augusti probauere
iudicium Caesaremque admiratione digna suscipiebant imperatorii muricis fulgore flagrantem. cuius oculos cum
uenustate terribiles uultumque excitatius gratum diu multumque contuentes, qui futurus sit, colligebant uelut
scrutatis ueteribus libris, quorum lectio per corporum signa pandit animarum interna.
87
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
dete Leser gemeint sein. Somit werden auch mit unscheinbaren Hinweisen, etwa die gerade Nase Julians, bestimmte Botschaften übertragen, die in zeitgenössischen physiognomischen Schriften erläutert werden (im Falle der geraden Nase beispielsweise (Lebens-)Kraft und Aufmerksamkeit). 331
Auch die Vorstellung, dass die Augen ein Fenster zur Seele sind, war indes ein gängiger antiker Topos. 332 Ammians mehrfache Betonung der Schönheit der funkelnden Augen, die den Kaiser brennend
oder leuchtend (flagrans) erscheinen lassen, sind dennoch bemerkenswert. Eine ähnliche Lichtmetaphorik verwendet auch Claudius Mamertinus in seinem Panegyrikus: Darin beschreibt er die Augen des
Caesar Julian als flammende Sterne (micantia sidereis ignibus lumina). 333 Die Lichtmetaphorik entspricht dabei einem durchaus gängigen zeitgenössischen Topos, der auf einen typisch spätantiken,
göttlich inspirierten Herrschertypus verweist.
Ammians Beschreibungen von Julians Aussehen sind also im Ganzen durchaus positiv, aber nicht übertrieben. Vergleicht man diese etwa mit der Beschreibung des Körpers von Constantius, dessen Regierung und Person von Ammian tendenziell negativ bewertet wird, so muss man feststellen, dass auch
Julians Vorgänger als recht ansehnlich beschrieben wird. 334 Die Beschreibungen Ammians, der Kaiser
Julian vermutlich auch persönlich zu Gesicht bekam, 335 wirken dadurch relativ glaubhaft. 336 Jedoch
sind sie auch relativ allgemein gehalten: Neben dem Bart bildet lediglich die hängende Unterlippe ein
individuelles Charakteristikum. Die funkelnden Augen und der kräftige Oberkörper – zwei Charakteristika, die sich auch in Claudius Mamertinus‘ Panegyrikus wiederfinden – wirken toposhaft. Ammians
Beschreibung überliefert also keine wesentlichen Spezifika, wie sie etwa für die Porträtforschung von
Nutzen sein könnten. 337
331
Eine Zusammenstellung von Julians äusseren Merkmalen bei Ammian und ihre jeweiligen Bedeutungsauslegungen in der zeitgenössischen Physiognomik findet sich bei EVANS 1935 (Roman Descriptions of Personal
Appearance in History and Biography), 74. Zudem bietet Evans in Appendix B auch eine Zusammenstellung aller
Porträts bei Sueton, der Historia Augusta und Ammian, jeweils inklusive einschlägiger Textstellen in den zeitgenössischen physiognomischen Schriften; für Ammian siehe 83–85.
332
Die Vorstellung, dass das Gesicht und vor allem die Augen den animus spiegeln, ist bereits bei Cicero gut
belegt. Dies ist aber nicht mit der Physiognomik zu verwechseln, die etwa nach Ps.-Aristoteles nicht nach den
momentanen Gefühlsregungen sucht (die Cicero im Gesicht erkennt), sondern nach permanenten Charakterdispositionen; vgl. MEISTER 2012, 53-57; für die entsprechenden Quellenstellen zu Cicero siehe 251, Anm. 1078.
333
Paneg. lat. 3 (11), 6,4.
334
Vgl. Amm. 21,16,19, siehe unten S. 152.
335
Ammian bekam Julian zum ersten Mal als Caesar in Gallien zu Gesicht (vgl. unten Anm. 420). Ob er ihn in
dieser Zeit auch persönlich kennenlernte, ist nicht belegt. Er nahm auch an Julians Feldzug gegen Sapor II. teil,
den er im Stil eines Augenzeugenberichtes wiedergibt.
336
Was hier auf die literarischen Porträts bezogen wird, wird Ammian in der Forschung grundsätzlich hoch angerechnet: Auch die differenzierte Darstellung seines Helden Julians, wo sich sowohl positive als auch negative
Urteile finden lassen, verleihen dem Geschichtswerk eine gewisse Aura der Glaubwürdigkeit; vgl. etwa NESSELRATH
2001, 31.
337
So das Urteil von FLECK 2008, 31.
88
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
Zu dieser allgemeinen, eher schmeichelhaften Beschreibungen Ammians steht die Invektive von Gregor von Nazianz in krassem Gegensatz. Eine Begegnung in Athen 355 war vermutlich die einzige Gelegenheit Gregors, Julian persönlich zu Gesicht zu bekommen. 338 Später, nach Julians Tod, verfasste Gregor zwei Invektiven, die als Kampfreden wider Kaiser Julian bekannt sind: orationes 4 und 5. 339 In oratio
5 erinnert sich Gregor, wenig nostalgisch, an das Bild, das der junge Julian während ihrer gemeinsamen
Zeit in Athen abgab:
«Den Charakter Julians lernte man kennen auf Grund der Erfahrungen in der Zeit, da er sich in
seiner Herrschaft frei fühlte; allerdings mir war er in mancher Beziehung schon längst bekannt,
da ich mit ihm in Athen zusammengekommen war. […] Ich habe mir damals von dem Manne
kein unrichtiges Bild gemacht, obwohl ich ja nicht zu seinen Vertrauten gehört hatte. Sein
anormales Benehmen und seine ganz eigenartige Erscheinung liess mich über ihn prophezeien;
wer gut beobachtet, dürfte ja der beste Prophet sein. Keinen guten Charakter schien mir zu
verraten sein wenig fester Nacken, seine zuckenden, schaukelnden Schultern, seine leidenschaftlichen, unruhigen Augen, sein aufgeregter Blick, sein nervöser, unsicherer Gang, seine
Nase, die Hochmut und Geringschätzung zeigte, sein verächtlicher Gesichtsausdruck, der die
gleiche Gesinnung verriet, sein ungezügeltes, erschütterndes Lachen, sein unbegründetes Zunicken und Abweisen, sein stockendes, durch Atmen unterbrochenes Sprechen, sein ungeordnetes, törichtes Fragen, seine nicht besseren Antworten, Keinen guten Charakter schien mir
zu verraten sein wenig fester Nacken, seine zuckenden, schaukelnden Schultern, seine leidenschaftlichen, unruhigen Augen, sein aufgeregter Blick, sein welche sich widersprachen und
Klarheit, Konsequenz und Bildung vermissen liessen.» 340
338
Julian verbrachte den Sommer 355 in Athen, wo er wohl vornehmlich als Schüler des Priskos in neuplatonische
Theurgie eingeführt wurde. Gregor bewegte sich in ganz anderen Kreisen; ob die beiden Kontakt hatten, ist nicht
belegt. Allerdings wird Julian als letzter naher Verwandter des Kaisers als Ehrengast in Athen empfangen und von
Gregor kritisch beobachtet worden sein; vgl. BROWNING 1975, 64 f. Eine weitere Begegnung fand möglicherweise
im Jahr 362 statt, als der Kaiser unterwegs von Konstantinopel nach Antiochia auch in Nazianz Halt machte. Dass
Gregor zu dieser Zeit auch in Nazianz war, ist jedoch eher unwahrscheinlich; vgl. BAUMANN 2018 (‹Götter in Gottes
Hand›), 138.
339
Die Reden werden üblicherweise nach Julians Tod 363 datiert, d.h. um 364/5. Für eine Besprechung der verschiedenen Datierungsmöglichkeiten siehe VAN NUFFELEN 2020 (The Christian Reception of Julian), 363; BAUMANN
2018, 153.
340
Greg. Naz. or. 5, 23 (Übers. Haeuser): Ταῦτα τοῖς μὲν ἄλλοις ἡ πεῖρα παρέστησε, καὶ ἡ δυναστεία προλαβοῦσα
τὴν ἐξουσίαν· ἐμοὶ δὲ καὶ πόῤῥωθεν τρόπον τινὰ ἑωρᾶτο, ἐξ οὗ τῷ ἀνδρὶ συνεγενόμην Ἀθήνῃσιν. […] Τότε τοίνυν
οὐ φαῦλος ἐγὼ τοῦ ἀνδρὸς εἰκαστὴς οἶδα γενόμενος, καίτοι γε οὐ τῶν εὖ πεφυκότων περὶ ταῦτα εἷς ὤν. Ἀλλ’
ἐποίει με μαντικὸν ἡ τοῦ ἤθους ἀνωμαλία, καὶ τὸ περιττὸν τῆς ἐκστάσεως· εἴπερ μάντις ἄριστος, ὅστις εἰκάζειν
οἶδε καλῶς. Οὐδενὸς γὰρ ἐδόκει μοι σηζειν οἶδε καλῶς. Οὐδενὸς γὰρ ἐδόκει μοι σημεῖον εἶναι χρηστοῦ αὐχὴν
ἀπαγὴς, ὦμοι παλλόμενοι καὶ ἀνασηκούμενοι, ὀφθαλμὸς σοβούμενος καὶ περιφερόμενος, καὶ μανικὸν βλέπων,
πόδες ἀστατοῦντες καὶ μετοκλάζοντες, μυκτὴρ ὕβριν πνέων καὶ περιφρόνησιν, προσώπου σχηματισμοὶ
καταγέλαστοι τὸ αὐτὸ φέροντες, γέλωτες ἀκρατεῖς τε καὶ βρασματώδεις, νεύσεις καὶ ἀνανεύσεις σὺν οὐδενὶ
λόγῳ, λόγος ἱστάμενος καὶ κοπτόμενος πνεύ ματι, ἐρωτήσεις ἄτακτοι καὶ ἀσύνετοι, ἀποκρίσεις οὐδὲν τούτων
ἀμείνους, ἀλλήλαις ἐπεμβαίνουσαι καὶ οὐκ εὐσταθεῖς, οὐδὲ τάξει προϊοῦσαι παιδεύσεως.
89
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
Das Bild Julians, das uns Gregor liefert, bildet in mancherlei Hinsicht das polare Gegenteil zu dem Eindruck, der bei der Lektüre von Ammian entsteht. Dabei stellt Gregor interessanterweise weniger das
äussere Erscheinungsbild, sondern vielmehr die Gestik und Körperhaltung des jungen Mannes in den
Fokus. In diesem Sinne sind die beiden Porträts hinsichtlich Julians Aussehen schwer miteinander zu
vergleichen. 341 Julians wenig fester Nacken und seine schaukelnden Schultern vermitteln jedoch ein
ganz anders Bild als der kräftige Hals und die muskulösen Schultern bei Ammian. Möglicherweise verweist Gregor hier bereits auf den antiochenischen Spott über die schmalen Schultern des Kaisers.
Diese Beobachtungen lassen Gregor, in der Manier eines Physiognomikers, auf dessen Handwerk er
mit seiner Bemerkung über die Prophetie anspielt, präzise Urteile über den Charakter des zukünftigen
Kaisers fällen. Freilich schreibt Gregor in einer Retrospektive und kann daher die angeblichen physiognomischen Erkenntnisse durch tatsächliche spätere Taten belegen, auch wenn er darauf besteht, dass
es Leute geben würde, die bezeugen könnten, dass er schon damals in Julians Verhalten das kommende Unglück für den römischen Staat heraufbeschwor. 342 Das Bild, das Gregor von Julian vermittelt,
ist das einer nervösen, zuckenden, sich ständig in Bewegung befindlichen Person. Sein Verhalten ist
«anormal» (ἀνωμαλία). Die unruhigen Augen und der aufgeregte Blick verraten eine innere Unruhe,
wohingegen die funkelnden Augen bei Ammian auf Julians scharfen Verstand schliessen lassen.
Beide Autoren, Ammian und Gregor, liefern damit in ihrer Funktion und Bewertung völlig unterschiedliche Ansichten desselben Kaisers. Beide schreiben aus eigener Erfahrung, jedoch veröffentlichten sie
ihre Beschreibungen erst nach dem Tod Julians. Damit werden unterschiedliche Traditionen fassbar,
die sich nach dem Tod des Kaisers formten und miteinander in Konkurrenz traten. Für eine Tradition
in christlichen Kreisen, die Gregor angestossen hat, lässt sich die Beschreibung Julians in der Historia
ecclesiastica des Sokrates Scholastikos heranziehen: Dieser übernahm Gregors Beschreibung gute
achtzig Jahre später im Wortlaut. 343 Für eine pagane Tradition lässt sich lediglich noch auf die Epitome
de Caesaribus eines unbekannten paganen Autors, bekannt als Pseudo-Aurelius Victor, verweisen. In
dem Geschichtswerk wird im Zusammenhang mit dem Tod Julians eine differenzierte Bewertung des
Kaisers vorgenommen. Bezüglich des Aussehens wird lediglich darauf verwiesen, dass Julian körperlich
fit und kräftig, aber von kleiner Statur war – was im Wesentlichen dem Bild von Ammian entspricht. 344
Damit bleibt als letztes relevantes Zeugnis zu Julians Aussehen noch dasjenige des Johannes Malalas.
Der byzantinische Chronist ist für seine Kaiserporträts bekannt: Bereits die schiere Anzahl von beinahe
einhundert Kurzbeschreibungen von römischen Kaisern, Heroen und Heiligen in den Chronographia ist
341
Einen direkten Vergleich macht etwa BROWNING 1975, 65 f., kommt dabei aber lediglich zum Schluss, dass hier
derselbe Mann durch unterschiedliche Linsen gesehen wird. Auch FLECK 2008, 28, sieht die unterschiedlichen
Beschreibungen vor allem von der jeweiligen religiösen Gesinnung der Autoren abhängig.
342
Greg. Naz. or. 5, 24.
343
Sokr. h.e. 3,23,18–26.
344
(Ps.-)Aur. Vict. epit. Caes. 43,6.
90
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
eindrücklich. Fast jede relevante Person in seinem Werk wird in kurzer, stark schematisierter Form in
seiner äusserlichen Erscheinung beschrieben. 345 Darunter findet sich auch ein schriftliches Porträt von
Kaiser Julian:
«Nach der Regierung des Constantius aber wurde Julian der Apostat, der früher Caesar geworden war, der Verwandte eben dieses Constantius, unter dem Konsulat des Mamertinus und
Nevitta Kaiser. Er regierte sieben Jahre. Er war aber beredt, klein von Statur, mit einer starken
Brust, schön, hatte eine ausgeprägte Nase und wunderbare Augen. Er wurde Apostat geheissen, weil er die Lehre seiner Vorfahren verleugnet hatte, die der Christen, und ein Hellene
(=Heide) geworden war. Er war aber ein Freund und Zeitgenosse des Libanios, des hochberühmten Sophisten von Antiocheia.» 346
Betrachtet man diese Textstelle in Isolation und vergleicht sie mit den Beschreibungen anderer antiker
Autoren, wirkt die Passage auf den ersten Blick irritierend: Einerseits lassen sich einige bemerkenswerte Ähnlichkeiten mit der paganen Tradition ausmachen. So fällt die bereits bei Ammian und in der
Epitome de Caesaribus beschriebene geringe Körpergrösse auf. Ebenso passt die starke Brust gut zu
dem kräftigen Oberkörper bei Ammian und Claudius Mamertinus, während die «wunderbaren Augen»
(εὐόφθαλμος) an die leuchtenden Augen bei den paganen Autoren erinnern. Doch bei aller Konsistenz
zu den gängigen Charakterisierungen Julians scheint etwas ganz Zentrales zu fehlen: Der Bart. Dieser
Befund wird umso merkwürdiger, wenn man sich die Porträts der Vorgänger Julians anschaut: Bei den
barttragenden Kaisern Diokletian, Maximian und Galerius versäumt es Malalas nicht, deren Gesichtsbehaarung zu erwähnen. 347 Auch bei anderen Kaisern, die für ihre Barttracht bekannt waren, wird
diese erwähnt, so etwa der «schöne Bart» Mark Aurels. 348 Das Fehlen des charakteristischen Bartes
bei Julian wirkt daher seltsam. Zwei mögliche Erklärungen kommen dafür in Frage: Einerseits könnte
Malalas nichts mehr von Julians Bart gewusst haben. Andererseits könnte der Grund für den fehlenden
345
Auf die Bedeutung dieser eindrucksvollen Porträtsammlung, insbesondere auf die Quellenfrage, kann in dieser Arbeit nicht vertieft eingegangen werden. Für eine jüngere Untersuchung der schriftlichen Porträts von Malalas siehe BORSCH 2019, speziell zu den Kaiserporträts siehe CARRIÉ 2006 (Traditionalisme culturel et renouveau
historiographique).
346
Ioh. Mal. 13,18 (Übers. Thurn/Meier): Μετὰ δὲ τὴν βασιλείαν Κωνσταντίου ἐβασίλευσεν Ἰουλιανὸς ὁ
παραβάτης, ὁ πρῴην γενόμενος καίσαρ, ὁ συγγενὴς τοῦ αὐτοῦ Κωνσταντίου, ἐπὶ τῆς ὑπατείας Μαμερτίνου καὶ
Νεβήττα· ὅστις ἐβασίλευσεν ἔτη ζʹ. ἦν δὲ ἐλλόγιμος κοντός, εὔστηθος, εὔθετος, εὔρινος, εὐόφθαλμος· ὅστις
ἐκλήθη παραβάτης, διότι ἀρνησάμενος τὸ δόγμα τῶν αὐτοῦ προγόνων, τὸ τῶν χριστιανῶν, γέγονεν Ἕλλην. ἦν
δὲ φίλος καὶ ὁμόχρονος Λιβανίου τοῦ περιβοήτου σοφιστοῦ Ἀντιοχείας. Die Kursivsetzung kennzeichnet Textteile, die bereits in der Standartedition THURN aus dem sogenannten Barrocianus, einer slawischen Parallelüberlieferung der Chronographia, ins Griechische rückübersetzt und in den Text aufgenommen wurden. Dabei handelt es sich genau um die körpergeschichtlich relevanten Zeilen, was die Einordnung der entsprechenden Stelle
noch zusätzlich erschwert. Zur Tradition und Forschungsgeschichte von Malalas siehe die Einleitung zur Edition
THURN/MEIER 2009 (Johannes Malalas).
347
Diokletian: «eisgraues Kinn» (Ioh. Mal. 12,37); Maximian: «stattlicher Bart» (12,45); Galerius: «dichter Bart»
(12,47).
348
Ioh. Mal. 11,28.
91
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
Bart in der Art und Weise liegen, wie Malalas Kaiser porträtiert und welche Aussagen er mit seinen
Beschreibungen machte. 349 Die erste Möglichkeit wird bestärkt durch die Tatsache, dass Malalas über
die Verfassung des «Barthassers» Bescheid wusste, den Namen der Schrift aber nicht überliefert, und
er ihren Inhalt als Schmähung der Antiochener als Aufrührer zusammenfasst. Den Spott der Antiochener, den Malalas ebenfalls erwähnt, erklärt er auch nur durch die religiösen Differenzen. 350 Ist es also
möglich, dass das Wissen über Julians Bart nicht mehr weiter tradiert wurde?
Weitet man den Blick auch auf die anderen schriftlichen Porträts bei Malalas aus, wird ersichtlich, dass
seine Beschreibungen in stark schematischer Art und Weise über mythische Heroen (insgesamt 30,
vornehmlich des trojanischen Krieges) über die römischen Kaiser der Vergangenheit bis hin den zeitgenössischen Herrschern zur Zeit des Malalas reicht (insgesamt 100, dazu noch lediglich zwei ApostelPorträts). Vergleicht man dabei die einzelnen Porträts mit überlieferten Beschreibungen in anderen
entsprechenden Texten, etwa für homerische Helden, zeigen sich oft grosse Unterschiede. 351 Im Falle
der Kaiserporträts sind die direkten Übereinstimmungen mit erhaltenen früheren Schriften ebenfalls
gering. 352 Das unterschiedliche Porträt bei Julian ist also kein Sonderfall. Erstaunlich ist jedoch, dass
Malalas keine Vorbehalte hat, einen bei seinen christlichen Zeitgenossen verhassten paganen Kaiser
mit einer Vielzahl von eindeutig positiven Merkmalen zu belegen: Julian wird mit den Adjektiven
εὔστηθος, εὔθετος, εὔρινος, εὐόφθαλμος beschrieben, also – die redundante Formulierung wörtlich
mitübersetzt – als «schönbrustig, schöngestalt, schönnasig, schönäugig». Dies bestätigt den Verdacht,
dass Malalas zumindest Beschreibungsmerkmale aufgegriffen haben könnte, die in paganen Kontexten
kursierten. 353
Die Besonderheit bei Malalas besteht darin, dass alle Porträtierten – seien es Heroen, christliche Heilige oder Kaiser – in der gleichen, nach ähnlichen Kriterien gestalteten Weise präsentiert werden. Vergleicht man andere Porträts bei Malalas, gelangt man zur Feststellung, dass seine Porträts allgemein
einen recht «netten» Eindruck machen: Neben Julian sind auch andere Kaiser wie etwa Nero, die normalerweise unter Christen ausserordentlich schlecht wegkommen, in keineswegs abfälliger, ja sogar
349
Die Frage ist auch eng mit der Frage nach den Quellen Malalas’ verbunden. Für eine Diskussion der Debatte,
die zwischen «direkte Übernahme aus einer oder mehreren Vorlagen» und «freie Erfindung» schwankt, siehe
BORSCH 2019, 54–56 Dazu kommt das oben erwähnte Problem der Textüberlieferung.
350
Ioh. Mal. 13,19.
351
Eine Erklärung für die Unterschiede in den Heroen-Porträts bei Malalas liefert BORSCH 2019, 68: Nach ihm
erfüllen die Beschreibungen von mythischen Heroen ein Bedürfnis nach Greifbarkeit und Anschaulichkeit und
tragen so dazu bei, die homerische Vorlage (in frei abgewandelter Form) für das zeitgenössische Publikum aufzubereiten.
352
Eine Gegenüberstellung der Beschreibungen des Malalas mit denen des Sueton und der Historia Augusta hat
CARRIÉ 2006, 201 f., vorgenommen. Er teilt sie in die Kategorien «teilweise widersprüchlich», «stark widersprüchlich», «praktisch gegensätzlich», «komplementär» oder – hierbei handelt es sich bezeichnenderweise um die
meisten Fälle – «ohne nähere Berührungspunkte».
353
BORSCH 2019, 72. Zu den Spuren von Ammians Porträts in der byzantinischen Chronistik vgl. BLECKMANN 2007
(Vom Tsunami von 365 zum Mimas-Orakel: Ammianus Marcellinus als Zeithistoriker und die spätgriechische
Tradition), 20–22.
92
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
positiver Weise dargestellt. Jonas Borsch subsumiert diese Erkenntnis unter der generellen Tendenz
zur Vereinheitlichung bei Malalas: Durch die stetige Wiederholung entstehe somit «ein kohärentes Bild
des Kaisertums an sich, hinter dem die individuellen Personen letztlich zurücktreten.» Eine zentrale
Funktion der Porträts sei damit die Vermittlung einer von der lange zurückliegenden Vergangenheit
bis in die Gegenwart reichenden Stabilität und Kontinuität – mit dem positiven Höhepunkt der Regierungszeit Justinians. 354 Tatsächlich erweckt die Lektüre von Malalas einen Eindruck der Kontinuität der
Kaiserherrschaft. Dies zeigt sich auch darin, dass Malalas viele Regierungsübergänge wesentlich einfacher und konfliktfreier darstellt, als sie in der Realität stattgefunden haben. Indem zudem über alle
Kaiser dasselbe Netz der schematischen Körperbeschreibung gespannt wird, wird dieser Eindruck noch
verstärkt. Interessant ist dabei zudem die Idee, dass der einzelne Kaiser durch die Vermittlung der
Kontinuität der Kaiserherrschaft als Person zurücktritt: Das Amt scheint bei Malalas beinahe unabhängig von der Person zu existieren. So ist auch zu erklären, wieso Julian, als legitimer Nachfolger und auch
letzter Kaiser aus der Dynastie des bei Malalas hochgelobten Konstantins, relativ positiv dargestellt
wird. 355
Und Julians Bart? Die Möglichkeit bleibt bestehen, dass ein kaiserlicher Bart für Malalas nichts besonders Auffälliges darstellte, auch wenn seine «Lieblingskaiser» zumeist bartlos daherkommen. Die Konflikte, die sich zwischen Julian und der Bevölkerung aufgrund der Apostasie des Kaisers ergaben, sind
für Malalas wesentlich wichtiger. Hielt sich Malalas bezüglich des Aussehens des Kaisers tatsächlich an
eine pagane Überlieferung, könnte es damit zusammenhängen, dass der Bart auch bei paganen Schriftstellern wie Ammian zwar erwähnt, aber nicht unbedingt ins Zentrum der Aufmerksamkeit gestellt
wird. Jedoch beziehen sich christliche Invektiven nur zu gerne auf die ungepflegte Gesichtsbehaarung
des Kaisers. Die Frage, wie Julian bei Malalas der Bart abhandengekommen ist, kann hier jedoch nicht
abschliessend beantwortet werden.
Die so ganz unterschiedlichen Beschreibungen der verschiedenen Autoren – insbesondere Gregor und
Ammian – werden in der Forschung zumeist mit der persönlichen Zu- oder Abneigung der jeweiligen
paganen bzw. christlichen Autoren gegenüber Julian erklärt, wobei die Beschreibung Ammians zumeist
in Kontrast zu derjenigen des Gregors als «realistischer» eingeschätzt wird. 356 Ergiebiger als die Frage
nach dem Realismus der Beschreibung, der in letzter Instanz ohnehin nicht überprüft werden kann, ist
jedoch die Beobachtung der unterschiedlichen Traditionsbildung: In der wörtlichen Übernahme von
354
BORSCH 2019, 76.
Was dennoch seltsam ist, ist die grosse Aufmerksamkeit, die Malalas dem paganen Julian widmet: Über acht
Absätze widmet sich Malalas den Leben und Tod Julians (Ioh. Mal. 18–25), während beispielsweise sein Vorgänger Constantius II., immerhin ein Christ und ein Sohn des von Malalas hochgelobten Konstantins, genau einen
Absatz Passage (17) und zudem keine physische Beschreibung erhielt.
356
Für FLECK 2008, 29–31 sind die Beschreibungen beider Autoren von geringem Nutzen für die Porträtforschung,
wobei Gregors Passage gleich doppelt wertlos ist, da sie neben dem Fokus auf Bewegung auch nur zur Diffamierung von Julians Andenken dient.
355
93
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
Gregors Porträt in der christlichen Geschichtsschreibung und zumindest teilweisen Überschneidungen
innerhalb der paganen Tradition lässt sich ein Kampf um die Deutungshoheit über das Erbe des letzten
paganen Kaisers sehen. Insbesondere von Seiten Gregors ist ein Bemühen zur «Entzauberung» des
Apostaten erkennbar. 357
Ein Affe und ein Ziegenbock: Spott auf Julian
In der Selbstverspottung des Misopogon sind einige konkrete Schmähungen festzumachen, die unter
der antiochenischen Bevölkerung zu hören waren und die bis zum Kaiser durchgedrungen sind: Dass
man aus seinem Bart Seile flechten sollte, ist ein solches Beispiel, welches Julian mit der Formulierung
«ihr meint» einleitet und mehrfach erwähnt. 358 Dass Julian einen Bart trägt wie ein Ziegenbock, schien
ebenfalls eine geläufige Lästerung gewesen sein. Spott und Hohn ist aber nicht nur im Misopogon das
zentrale Thema, sondern scheint ein Phänomen gewesen zu sein, das Julian auf seiner ganzen politischen Laufbahn begleitete: Bereits als Caesar wurde er am kaiserlichen Hof denunziert und verhöhnt,
und auch von seinen eigenen Soldaten wurde Julian zuweilen verspottet; neben Hinweisen auf zusätzlichen Spott in anderen Städten bildete Antiochia somit nur den Höhepunkt einer kuriosen Leidensgeschichte eines verschmähten Herrschers. Im Folgenden gilt die Aufmerksamkeit eben jenem Spott: Einerseits sollen die relevanten Spötteleien, die gefasst werden können, näher beleuchtet werden. Dabei
gilt das Hauptaugenmerk den (reichhaltigen) Sticheleien in Bezug auf Julians Körper. Andererseits wird
untersucht, welche Gruppen den Kaiser wie und aus welchen Gründen verspotteten. Dabei stellt sich
auch die Frage, inwiefern sich Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Gruppen identifizieren lassen und wie diese möglicherweise zusammenhängen.
Tiervergleiche
Die Spötteleien gegen Julian gehen in zwei verschiedene Richtungen: Einerseits wird Julian in verschiedenen Kontexten als unkaiserlicher Stubenhocker und «Grieche» verspottet, was auf seine philosophische Ausbildung in Athen und anderen wichtigen Städten des Ostens abzielt. Die überwiegende Mehrheit der Spottverse auf Julian, die in den Quellen fassbar sind, bezieht sich aber auf das Aussehen des
Kaisers. Zentraler Angriffspunkt bildet hierbei natürlich sein Bart, aber auch seine weitere Körperbehaarung. Besonders prägnant erscheinen dabei die schillernden Tiervergleiche: Julian wird als Affe
oder affenartiges Wesen, Ziegenbock und Maulwurf bezeichnet; nur Julian selbst wähnt sich im Misopogon eher als Löwe. Die meisten Spottverse werden von Ammian überliefert, der alle genannten
Tierbegriffe an verschiedenen Stellen erwähnt. Bei Ammian lässt sich also öffentlicher Spott fassen,
357
358
BAUMANN 2018, 208.
Iul. or. 12 (mis.), 338 D; Iul. or. 12 (mis.), 360 D.
94
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
der nicht durch Julians eigene Schrift gefiltert wurde. 359 Die chronologisch frühesten Hinweise auf
Spott gegen Julian, und insbesondere auf sein Äusseres, finden sich bereits in Ammians 17. Buch. In
diesen beschreibt Ammian die glorreichen Taten Julians in Gallien. Doch offenbar erntete der Caesar
dafür am kaiserlichen Hof nur wenig Lob:
«Diese Nachrichten gelangten an den Hof des Constantius, denn der Cäsar musste wie ein
Unterbeamter über alle Vorgänge an den Augustus berichten. Daraufhin zogen alle, die im
Palast grösseren Einfluss besassen – bereits als gelehrte Professoren der Schmeichelkunst –
seine richtigen Entscheidungen und ihre erfolgreiche Durchführung ins Lächerliche. In ihrer
faden Art und Weise liessen sie Äusserungen laut werden wie: ‹Dieser Ziegenbock, der gar
kein Mensch ist, macht sich durch seine Siege unbeliebt.› Sie hechelten Julian durch, weil er
behaart war, und nannten ihn einen ‹geschwätzigen Maulwurf›, einen ‹Affen im Purpur› und
einen ‹griechischen Federhelden› und ähnliches mehr. Wie Klingelmänner liessen sie sich vor
den Ohren des Kaisers vernehmen, der solches und ähnliches gern hörte, und versuchten,
seine Leistungen mit unverschämten Reden zu überschütten. Sie schalten ihn lässig furchtsam
und einen Stubenhocker, der seine Taten umsonst mit gefälligen Worten ausschmücke. Aber
so etwas geschah damals nicht zum erstenmal [sic]. Stets ist nämlich gerade der grösste Ruhm
dem Neid ausgesetzt.» 360
Die Häufung an tierischen Vergleichen ist auffällig und in den meisten Fällen selbsterklärend. 361 Es
scheint, als hätte von den Tiervergleichen vor allem der Ziegenbock eine grössere Karriere eingeschlagen: Der Ziegenbart, der auch im Misopogon begegnet, kommt bei Ammian gleich zweimal in unterschiedlicher Begrifflichkeit und Kontext vor: Zuerst am Hof des Constantius (capella), dann im Spott
der Bevölkerung in Antiochia (barba hircina). Julian als spitzbärtigen Ziegenbock zu bezeichnen, mag
359
GLEASON 1986, 113, bemerkte, dass Julian im Misopogon auf den bei Ammian überlieferten besonders harschen Spott nicht reagiert.
360
Amm. 17,11,1 (Übers. Seyfarth): Haec cum in comitatu Constantii subinde noscerentur – erat enim necesse
tamquam apparitorem Caesarem super omnibus gestis ad Augusti referre scientiam – omnes, qui plus poterant
in palatio, adulandi professores iam docti recte consulta prospereque completa uertebant in deridiculum talia
sine modo strepentes insulse: «in odium uenit cum uictoriis suis capella, non homo» ut hirsutum Iulianum
carpentes appellantesque «loquacem talpam» et «purpuratam simiam» et «litterionem Graecum» et his
congruentia plurima. atque ut tinnacula principi resonantes audire haec taliaque gestienti / uirtutes eius obruere
uerbis impudentibus conabantur ut segnem incessentes et timidum et umbratilem gestaque secus uerbis
comptioribus exornantem.
361
Etwas mysteriös erscheint der Begriff des «geschwätzigen Maulwurfs» (loquax talpa), der nur bei Ammian
und nur im Kontext des höfischen Spottes vorkommt. Nach BROWNING 1975, 95, ist der Witz heute nicht mehr
nachvollziehbar; DEMANDT 1997 (Das Privatleben der römischen Kaiser), 114, vermutet dahinter einen Hinweis
auf Julians «spitzen Mund». Ein solcher ist jedoch nicht überliefert; Ammian spricht lediglich von Julians herabhängende Unterlippe. Vergleicht man die Stelle mit dem Misopogon, in dem Julian seine ungeschnittenen Fingernägel erwähnt, könnte sich der Spott als Hinweis auf Julians wohl schon als Caesar lang gewachsenen Nägel
beziehen, die an die Krallen eines Maulwurfs erinnerten (für den Hinweis danke ich Thomas Gartmann).
95
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
aufgrund seines Auftretens naheliegend gewesen sein. Dies wurde ihm auch in der christlichen Rezeption zum Verhängnis: Der syrische Dichter und Theologe Ephraem verfasste vier Hymnen gegen Julian,
die er wohl kurz nach dessen Tod veröffentlichte. Darin schmäht er gehässig über Bart des Kaisers: Er
bezeichnet Julian, der die Keuschheit verleugnet habe, als «Bock und Priester» für die heidnischen
Liebesgöttinnen, für die er seinen Bart trage. 362 Und er singt weiter:
«Die Böcke vom Geschlecht * jenes Ziegenbockes — mit mächtigen Locken * und stinkenden
Bärten — umringten den Schwarzen, [Julian] * der auf die Ehe herabsah, — der sich weihte
und läuterte * für seine schändliche (Göttin); — die Scharen der Linken [die Gegner der Kirche]
* stachelten mit ihren Orakeln — den Bock an, dass er auszog * und in Persien zum Schlachtopfer wurde.» 363
Den Ausdruck entlehnt Ephraem der Vision Daniels, in der Alexander der Grosse unter dem Bild eines
zotteligen Ziegenbocks erscheint. Die Böcke mit den langen Haaren und stinkenden Bärten sind als die
(neuplatonischen) Philosophen zu verstehen, die Julian um sich scharte. 364 In christlicher Manier wird
der Bart Julians zusammen mit Philosophenbärten allgemein als Ausdruck eines zügellosen Heidentums uminterpretiert. 365
Während also der «Ziegenbock» in der Antike eine breite Rezeption erhielt, durchlief der «Affe im
Purpur» womöglich eine ganz besondere Überlieferungsgeschichte, auf die jedoch in der bisherigen
Forschung noch nicht verwiesen wurde: In einer Ausgabe der Adagia von 1508, einer neuzeitlichen
Sammlung antiker Sprichwörter von Erasmus von Rotterdam, findet sich der Eintrag «Simia in purpura».
Erasmus liefert dazu auch eine Erklärung: Der Ausdruck komme bei verschiedenen Gelegenheiten zum
Ausdruck, so etwa in der Anwendung auf Menschen, deren wahre Natur auch durch das Tragen feiner
Kleidung nicht verdeckt werden kann, oder in solchen, denen eine ihnen unangemessene Würde zuteilwird, oder auch allgemein für die unpassende Schmückung von hässlichen Dingen. «Was», so fragt
Erasmus zum Schluss, «könnte lächerlicher sein als ein Affe in purpurnen Kleidern?» 366
362
Ephr. Syr. hymn. c. Iulian. 2,5.
Ephr. Syr. hymn. c. Iulian. 2,9 (Übers. Beck).
364
Dieselbe Kritik auch bei Sokr. h.e. 3,1,55–56.
365
FLECK 2008, 147f., weist jedoch zu Recht darauf hin, dass ein Bart eines Herrschers in erster Linie Ausdruck
seiner philosophischen Gesinnung war und mit Bildung und Askese verbunden wurde; somit konnten später auch
nicht wenige christliche Kaiser einen Bart tragen, ohne dafür kritisiert zu werden. Zur Zeit Julians waren christliche Kaiser jedoch bisher nur glattrasiert aufgetreten, was Ephraems Interpretation erklärt.
366
ERASMUS 1508 (Erasmi Roterodami Adagiorum Chiliades Tres, Ac Centuriae Fere Totidem), 75 verso: Πίθεκος
ἐν πορφύρα. Simia in purpura, in uarios usus potest adhiberi paroemia, nempe uel in hos, qui tametsi magnifico
cultu sint ornati, tamen cuiusmodi sint, ex ipso uultu moribusque cognoscit[ur], vel in hos, quibus dignitas
indecora additur, uel quoties rei per se foedæ, ascititia, peregrinaque orname[n]ta indecenter admouentur. Quid
enim tam ridiculum, q[uam] simia uestita purpurea ueste?
In einer späteren Ausgabe von 1515 fügte Erasmus der Erklärung noch hinzu, dass sich dieser Spruch besonders
für Leute am Hof und für Kleriker bezieht.
363
96
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
Erasmus gibt keine Quelle für die Herkunft des Sprichworts an; dass er dabei jedoch Ammian im Kopf
hatte, ist auch hinsichtlich seiner Interpretation sehr naheliegend. Der Ausspruch fand danach um 1515
in leicht abgewandelter Form (simia purpurata) Eingang in einen illustrierten Fürstenspiegel für Franz
I., als Legende zu einer Illustration eines unbekannten Malers aus Lyon. 367 Es ist unwahrscheinlich, dass
auch der Autor dieses Werkes, bzw. der Zeichner der Illustrationen, Kaiser Julian im Kopf hatte; doch
die recht amüsante Darstellung eines Affen im Purpurgewand (der passenderweise auch neben einem
Baum mit Äpfeln steht, die für Julian heilig waren) 368 wäre wohl bei Julians Spöttern ausserordentlich
gut angekommen.
Die extensive Liste von tierischen Schmähungen, die Ammian liefert, ergänzt er später in seinem Werk
im Zusammenhang mit den Konflikten in Antiochia um weitere, mythologische Begriffe:
«Man verhöhnte ihn als Kerkops, als Zwerg, der seine schmalen Schultern ausreckte und einen
Bocksbart trug und gewichtig einherschritt, als ob er der Bruder des Otus und Ephialtes wäre,
deren hohen Wuchs Homer ins Unermessliche erhebt. Auch nannte man ihn ‹Opferdiener›
statt ‹Opferpriester›, wobei viele auf die Menge seiner Opfertiere anspielten, und man beschuldigte ihn zu Recht, weil er, um sich damit zu brüsten, anstelle der Priester ohne Massen
geweihte Gegenstände trug und sich freute, wenn ihn Scharen von Weibern begleiteten. Obwohl er sich aus diesen und ähnlichen Gründen ärgerte, schwieg er trotzdem hierzu, verbarg
seine Empörung im Innern und führte die feierlichen Zeremonien weiter aus.» 369
Die seltsamen cercops-Vergleiche gehören vermutlich in dieselbe Kategorie wie der Vergleich mit einem Affen. Sie gehören ebenfalls zu den Spottversen, auf welche Julian im Misopogon nicht eingeht.
Der Kerkops, den Ammian als homo brevis näher beschreibt, ist eine Figur, die in verschiedenen Versionen in der griechischen Mythologie auftaucht. In jedem Fall handelt es sich dabei um Störenfriede;
bei Ovid sind sie entsetzlich behaart und haben Stummelbeine. 370 Ob die Antiochener diese Version
367
Siehe Abb. 1. Die Illustration entstammt wahrscheinlich einem Maler aus dem Umfeld des «Maître aux piedsbots» oder aus dem Atelier von Jean Pérreal, Maler am Hof von Ludwig XII. Sie ist durch eine Beischrift ergänzt,
die auf die eitle Prahlerei und Heuchelei verweist (Simia purpurata Inanem gloriam [et] hypochrisim praefigurans), und referiert damit sehr wahrscheinlich auf den Spruch bei Erasmus. Die Zeichnungen wurden in der Woodner Family Collection aufbewahrt, einige, darunter fol. 36 verso mit dem simia purpurata, befinden sich im Besitz
der National Gallery of Art. Zum Manuskript siehe MASSING 1990 (Du texte à l'image), 284–285 (8A); SCHAB 1973
(Woodner Master Collection II); zur spezifischen Illustration siehe MASSING 1995 (Erasmian Wit and Proverbial
Wisdom), 97 f.. Die Zeichnung ist frei zugänglich unter https://www.nga.gov/collection/art-objectpage.86042.html#inscription.
368
Vgl. oben S. 36.
369
Amm. 22,14,3 (Übers. Seyfarth): ridebatur enim ut Cercops homo breuis umeros extentans angustos et
barbam prae se ferens hircinam grandiaque incedens tamquam Oti frater et Ephialtis, quorum proceritatem
Homerus in immensum extollit, itidemque uictimarius pio sacricola dicebatur ad crebritatem hostiarum
alludentibus multis et culpabatur hinc opportune, cum ostentationis gratia uehens licenter pro sacerdotibus sacra
stipatusque mulierculis laetabatur. et quamquam his paribusque de causis indignaretur, tacens tamen motumque
in animi retinens potestate sollemnia celebrabat.
370
Vgl. GLEASON 1986, 113.
97
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
vor Augen hatten, ist nicht bekannt; passend wäre sie für den bärtigen und auch bei Ammian nachweisbar eher kurzgewachsenen Kaiser allemal. 371 Dass sich Julian zudem grösser machte, als er war,
und der Vergleich mit den für ihre enorme Grösse bekannten homerischen Figuren Otus und Ephialtes,
ist zudem eine Schmähung, die sich im karnevalesken Kontext wohl auch besonders zur Nachäffung
eignete. 372 So attackierten die Antiochener mit solchen Ausdrücken die auctoritas des Kaisers, indem
sie ihn als behaarte, affenartige Imitation eines Menschen imaginieren.
Spott am Hof
Neben der Frage, wie Julian verspottet wurde, muss auch untersucht werden, wo und von welchen
Gruppen dieser Spott geäussert wurde. Folgt man Ammian, so scheint der Hof von Constantius ein sehr
früher Brutplatz für Diffamierungen Julians gewesen zu sein. Julian wusste von diesen Machenschaften
am Hof. 373 Der Bart, der Julian vor seiner Erhebung zum Caesar am Hofe des Constantius abrasiert
wurde, war ihm offenbar nachgewachsen, vielleicht erinnerte man sich am Hof aber einfach noch an
den Philosophenbart, den der junge Julian von Athen mitbrachte. An die Episode der Rasur erinnerte
sich Julian auch auf seinem späteren Feldzug gegen Constantius noch genau, und er liess auch die
Athener in seinem Schreiben an ihre Stadt davon wissen:
«Wenig später aber, als <der Kaiser wieder> in der Nähe war (da sich auch die Sache mit Silvanus erledigt hatte), wurde <mir> schliesslich Zugang zum Hof gegeben, und die sprichwörtliche ‹Thessalische Überzeugung› <auf mich> angewendet. Denn da ich mich standhaft dem
Beziehungsnetz im Palast entzog, versammelten sie sich wie in einem Friseursalon, schnitten
<mir> den Bart ab, zogen <mir> einen Mantel an und verwandelten <mich> so, wie sie damals
dachten, in einen höchst lächerlichen Soldaten. Denn nichts von dem Firlefanz der Ausgestossenen passte zu mir; ich ging ja nicht wie jene einher, umherschauend und stolzierend, sondern mit dem Blick zur Erde, wie es mir angewöhnt worden war von dem Betreuer, der mich
erzog. Nun, damals zog ich ihren Spott auf mich, wenig später aber ihr Misstrauen, <und>
schliesslich entflammte entsprechend grosser Neid.» 374
371
Amm. 22,2,5.
Nach HAWKINS 2014, 293 f., ist der Vergleich mit cercopes ein traditionelles Element der jambischen Dichtung
und geht bis auf Archilochos zurück; auch bei Cassius Dio und Lukian finden sich solche Vergleiche. Die Antiochener hätten so eigenständig ein traditionelles jambisches Thema mobilisiert. Die spöttische Verbindung einer besonders starken Behaarung mit groben mythischen Gestalten, die man sich affenartig dachte, ist aber auch für
den Usurpator Firmus belegt, der den Namen Cyclops getragen haben soll: SHA quadr. tyr. 4,1; siehe DEMANDT
1997, 111.
373
Dies ist einem Brief an seinen Freund und Leibarzt Oreibasios zu entnehmen, in dem er sich über die Hofintrigen gegen ihn beschwert: Iul. epist. 20, 384 D. Auch in seinem Brief an die Athener nennt er das «Mannweib»,
den Kämmerer und Küchenchef des Constantius, womit der Hofeunuch Eusebius gemeint ist, als Hofintrigant,
der auch für den Tod seines Bruders Gallus verantwortlich gewesen sei: Iul. or. 5 (ad Ath.) 272 C.
374
Iul. or. 5 (ad Ath.) 274 B–D (Übers. Stöcklin-Kaldewey): Μικρὸν δὲ ὕστερον ἐπελϑόντος τούτου (καὶ γάρ τοι
καὶ τὰ περὶ Σιλουανὸν ἐπέπρακτο), λοιπὸν εἴσοδός τε εἰς τὴν αὐλὴν δίδοται, καὶ τὸ λεγόμενον ἡ ϑετταλικὴ
372
98
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
Münzbilder aus dieser Zeit zeigen Julian noch ohne Bart, 375 doch hielten sich diese Möglicherweise
einfach noch an die gängige Ikonographie eines jungen Caesars; es ist gut vorstellbar, dass sich Julian
bereits auf seinen gallischen Feldzügen zumindest einen kurzen Soldatenbart wachsen liess. Doch auch
wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, assoziierte man Julian mit einem langen Bart, der wiederum
auf seine frühere Betätigung als Philosoph verwies.
Julian hatte also offensichtlich einigen Groll gegenüber dem kaiserlichen Hof angestaut. Die Situation
muss daher ziemlich angespannt gewesen sein, als Julian diesen Hofstaat mit seinem Aufstieg zum
Augustus und dem Tod des Constantius, spätestens aber bei seiner Ankunft in Konstantinopel am 11.
Dezember 361, übernahm. Diese Spannung entlud sich, als Julian nur kurz nach seiner Ankunft in der
östlichen Hauptstadt eine grundlegende Hofreform durchführte, die sich insbesondere in der Entlassung etlicher Bediensteter äusserte. Nach Ammian war es ein Friseur, der bei Julian den letzten Strick
reissen liess: Die prachtvolle Kleidung, und den völlig übertriebenen Lohn des Friseurs, nach dem sich
Julian bei ihm erkundigte, waren ihm Anlass genug, sämtliche der überteuerten Diener, darunter vor
allem die Friseure und Köche, zu entlassen. 376 Friseure und Köche erwähnt auch Libanios explizit unter
der Unmenge nichtsnutziger Diener, darunter auch die Tafeldiener und die Eunuchen, die Julian aus
dem Palast vertrieb. 377
Neben den erwartbar positiven Darstellungen bei Ammian und Libanios veranlasste die Säuberungsaktion auch unerwartete Reaktionen bei späteren, christlichen Autoren: Sokrates erwähnt ebenfalls
die Entlassung von Eunuchen, Friseuren und Köchen. 378 Dabei habe Julian auch den besonders verhassten Eunuchen Eusebius zum Tode verurteilen lassen. 379 In diesem Vorgehen sieht Sokrates eine
Verletzung der maiestas des Kaisers: Die Friseure und Köche zu vertreiben, wäre an sich für einen Philosophen löblich, für einen Kaiser gehöre sich dies jedoch nicht. Einen weiteren Verweis auf die Entlassung der Friseure und Köche findet sich schliesslich beim byzantinischen Historiker Zonaras, womit die
περιβάλλεται πειϑανάγκη. Ἀρνουμένου γάρ μου τὴν συνουσίαν στερεῶς ἐν τοῖς βασιλείοις, οἱ μὲν ὥσπερ ἐν
κουρείῳ συνελϑόντες ἀποκείρουσι τὸν πώγωνα, χλανίδα δὲ ἀμφιεννύουσι καὶ σχηματίζουσιν, ὡς τότε
ὑπελάμβανον, πάνυ γελοῖον στρατιώτην. Οὐδὲν γάρ μοι τοῦ καλλωπισμοῦ τῶν καϑαρμάτων ἥρμοζεν· ἐβάδιζον
δὲ οὐχ ὥσπερ ἐκεῖνοι περιβλέποντες καὶ σοβοῦντες, ἀλλ’ εἰς γῆν βλέπων, ὥσπερ εἰϑίσμην ὑπὸ τοῦ ϑρέψαντός
με παιδαγωγοῦ. Τότε μὲν οὖν αὐτοῖς παρέσχον γέλωτα, μικρὸν δὲ ὕστερον ὑποψίαν, εἶτα ἀνέλαμψεν ὁ
τοσοῦτος φϑόνος. Zur antiken Redewendung der «thessalischen Überzeugung» im Sinne einer «Überredung
unter Androhung von Gewalt» siehe REBENICH 1993 (He Thettalike peithanagke). Zum auf den Boden gerichteten
Blick vergleiche sein ebenso geschildertes Verhalten im Misopogon siehe oben, S. 74.
375
Siehe Abb. 2.
376
Amm. 22,4,9–10.
377
Lib. or. 18, 130.
378
Sokr. h.e. 3,1,50–52. Als Grund für die Entlassung der Eunuchen soll Julian den Tod seiner Frau angegeben
haben.
379
Sokr. h.e. 3,1,43–49. Dies ist in den Augen des Sokrates ein kalkuliertes Mittel zur Steigerung seiner Popularität gewesen, da die Bevölkerung Konstantinopels unter den Gewalttätigkeiten der Eunuchen unter Eusebius gelitten hätten. Zudem habe Julian Eusebius immer noch für den Tod seines Bruders Gallus verantwortlich gemacht
(vgl. Iul. or. 5 (ad Ath.) 4. 272 C).
99
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
Erinnerung an Julians Hofreform bis ins 12. Jahrhundert belegt ist. Er scheint sich auf eine Tradition zu
berufen, die Elemente von Ammian und Sokrates vereint: Einerseits erboste sich Julian über die luxuriöse Kleidung der Friseure und Köche; andererseits interpretiert Zonaras die Episode als Ausdruck von
Julians Philosophentum. 380
Dass Julians Hofreform an sich von verschiedenen Autoren grundsätzlich positiv bewertet wird, hängt
damit zusammen, dass bei dessen Vorgänger Constantius von den Zeitgenossen ein «Eunuchen-Problem» konstatiert wurde. 381 Für die Bewunderer und die Schmäher Julians drückte sich in seinen Reformbemühungen in erster Linie eine philosophische Gesinnung aus; dies wird Julian wohlwollend hingenommen haben. Doch hinter den Entlassungen steckt freilich mehr: Sie waren höchstwahrscheinlich
hochgradig machtpolitisch und finanziell motiviert: Einerseits entledigte sich Julian wohl nicht nur der
Köche, Sekretäre und Friseure, sondern auch wesentlich einflussreicherer Personen, denen er nicht
vertraute oder die ihm offen feindselig gegenüberstanden. Daneben sparte Julian wohl durch die Verkleinerung des Hofstaates tatsächlich auch eine Menge Geld. Askese mag eine Rolle gespielt haben,
doch Julian hatte auch einen Perserkrieg zu finanzieren. Es lassen sich Hinweise finden, dass Julian
tatsächlich finanzielle Probleme zu bewältigen hatte, was sich etwa auch in einer gewissen Knausrigkeit gegenüber seinen Soldaten ausdrückte. Um glaubwürdig zu bleiben, musste er vor allem gegenüber dieser wichtigen Gruppe die Demonstration von Prunk und Luxus vermeiden.
Spott im Heer
Die Gunst der Soldaten stand für Julian, der sich gerne als Haudegen und beliebter militärischer Anführer inszenierte, in Wahrheit wohl öfters auf Messers Schneide. Ammian, der Julian gerne als erfolgreichen Militär darstellt, überliefert eine für den Caesar Julian unangenehme Situation, in der seine
Soldaten in Gallien beinahe meuterten, nachdem ihnen aufgrund einer von Julian fehlgeleiteten Versorgung der Proviant ausging. 382 Im Zuge des Aufruhrs nannten sie Julian unter anderem einen «Asianer» [Asianus], ein «Griechlein» [Graeculum] und einen «Dummkopf unter dem Deckmantel der Wissenschaft» [specie sapentiae stolidus]. Dies sind alles Verweise auf seine östliche Herkunft und auf
seine griechische Ausbildung. Damit stehen sie in enger Verbundenheit zu dem Spott am Hof des
380
Zon. 3,12: Einerseits erzählt er die Episode des übertrieben gut gekleideten Friseurs, auf den Julian mit dem
Ausspruch reagiert haben soll, er habe nach einem Friseur, keinem Senator gerufen. Auch die Kleidung eines
Kochs sei Julian negativ aufgefallen, worauf er diesen mit seinem herbeigerufenen persönlichen Koch vergleichen
liess. Auf seine Frage, welcher der beiden denn nun wie ein Koch aussehe, fiel die Wahl der Anwesenden auf den
weniger luxuriös gekleideten, worauf Julian den anderen entliess.
381
Amm. 21,16,16 schreibt, dass Constantius in höchstem Grad den Frauen, Eunuchen und anderen Höflingen
hörig war. Dies kritisiert er auch bereits im Zusammenhang mit dem höfischen Spott gegen Caesar Julian. Auch
Claudius Mamertinus (Paneg. lat. 3 (11), 19,3–4) polemisiert in seinem Panegyrikus auf Julian offen über den
verruchten Kreis der Höflinge, der aus Frauen oder den in seinen Augen unmenschlichen, unnatürlichen Eunuchen bestand, die «bis vor kurzem» die guten Männer vom Hof verdrängten. Vgl. auch Paneg. lat. 3 (11), 11, zur
Verschwendung der bisherigen Kaiser bzw. Iul. or. 5 (ad Ath.) 4. 272 C, wo sich Julian selbst über das «Mannweib»
Eusebius beschwert (siehe oben, Anm. 373).
382
Amm. 17,9,3–7.
100
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
Constantius, wo Julian ebenfalls aufgrund seiner östlichen Herkunft und Bildung verspottet wurde. 383
Einen der Spottverse übernimmt Ammian sogar in seiner vollen Länge: Darin kommt die Beschwerde
über die brutalen Bedingungen bei Schnee und Frost zur Geltung, zu der jetzt noch der Hunger dazukommt. Dazu wird auch der schon lange ausbleibende Sold beklagt. 384 Dass Ammian gerade in dieser
Hinsicht der Kritik an seinem Helden solchen Raum gibt, ist auffällig. Er bezeichnet die Klagen der Soldaten auch als angemessen, da sie tatsächlich erschöpft gewesen waren und nicht ausreichend entlohnt wurden. Julian habe unter Geldsorgen gelitten, da Constantius ihm aus böser Absicht zu wenig
Mittel zur Verfügung stellte. Die Situation wird in der besonders prekären Lage, als sich Julian zum
Feldzug gegen seinen ehemaligen Patron entschloss und ihm der Geldhahn vollends zugedreht wurde,
nicht besser gewesen sein. Bezeichnend ist die von Ammian im selben Zusammenhang überlieferte
Episode, in der Julian von seinem durch Constantius eingesetzten Notar gerügt wurde, als er einem
Soldaten eine Münze gab, damit sich dieser den Bart scheren konnte. 385 In dieser Hinsicht könnte die
betont asketische Lebensweise, die Julian bereits als Caesar demonstrativ vorlebte, auch ein Mittel
gewesen sein, um die Stimmung unter den Soldaten nicht noch zu verschlechtern und sich mit ihnen
als Opfer der kaiserlichen Finanzpolitik zu inszenieren. Ob Julians Plan aufging, bleibt unklar; am Ende
oblag es den Soldaten, den Habitus ihres Caesars zu lesen und zu interpretieren. Julian hatte wenig
Kontrolle darüber, wie sein Körper von den Soldaten gelesen wurde; im Falle von Unzufriedenheit
wurde er zu einem graeculum reduziert. Inwiefern dabei die Gefolgsmänner des Constantius, die dieser seinem Caesar zur Seite stellte, eine Rolle gespielt haben, muss offenbleiben; doch die Möglichkeit
einer Verbindung besteht allemal. 386
Spott in der Stadt
Es ist sehr gut vorstellbar, dass Julian nach langen Jahren der Diffamierung und Intrigen gegen ihn nicht
ohne eine gewisse Genugtuung den Hof von seinen Widersachern säuberte. Doch wie sich zeigen sollte,
brach der Spott auf den Kaiser dadurch nicht ab, sondern erreichte in der Stadt Antiochia sogar einen
383
Die Begriffe asianus und graeculus waren im Gegensatz zur attischen Schlichtheit im Sinne einer hochmütigen,
orientalisierenden Gesinnung sehr negativ bedacht; siehe SEYFARTH 1978–1983 (Ammianus Marcellinus), 311. Es
ist fraglich, inwiefern Constantius, der mit Julian verwandt war, der ebenfalls aus Illyrien stammte und zumindest
eine rudimentäre griechische Bildung genoss, damit nicht auch beleidigt worden wäre; es darf aber davon ausgegangen werden, dass die Spötter am Hof genug in der Heuchelei geübt waren, um zu wissen, wie weit sie
diesbezüglich gehen durften.
384
Amm. 17,9,4–5: ‹Quo trahimur spe meliorum abolita olim quidem dura et perpessu asper- rima per niues
tolerantes et acumina crudelium pruinarum? sed nunc (pro nefas!) cum ultimis hostium fatis instamus fame
ignauissimo mortis genere tabescentes. et ne qui nos turbarum existimet concitores, pro uita loqui sola testamur
non aurum neque argentum petentes, quae olim nec contrectare potuimus nec uidere, ita nobis negata, uelut
contra rem publicam tot suscepisse labores et pericula confutatis!›
385
Amm. 17,9,6–7. Dabei handelte es sich womöglich um eine Form der depositio barbae eines jungen Soldaten.
Der Notar Gaudentius wurde Julian von Constantius als Spion mitgegeben. Julian liess ihn später hinrichten
(Amm. 22,11,7).
386
Zu Constantius’ Misstrauen, seiner Spionage und den Einschränkungen von Julians Handlungsspielraum siehe
BROWNING 1975, 72–74.
101
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
neuen Höhepunkt. Viele der Spottverse, die Julian als Kaiser über sich ergehen lassen musste, dürften
ihm bereits von früher bekannt gewesen sein. So lassen sich etwa die – später von Ephraem aufgenommenen – Ziegenbock-Vergleiche, denen sich die Antiochener bedienten, bereits am Hof des
Constantius nachweisen. Gewisse Verbindungslinien lassen sich auch zwischen dem höfischen Spott
und demjenigen von Julians Soldaten, der auf dessen griechische Herkunft abzielt, ziehen. War der
Spott ursprünglich noch auf das Umfeld des regierenden Kaisers begrenzt, scheint Julian nun mit breit
gesätem öffentlichem Spott konfrontiert zu sein. 387 Dies wirft die Frage auf, ob es zwischen den Hofintrigen und dem populären Spott auf den Kaiser einen Zusammenhang gegeben hat – entweder in
Form einer Diffusion von elitären in populäre Kreise oder gar in Form einer gezielten Schmutzkampagnen von Julians politischen Gegnern, die besonders erfolgreich verlief. 388
Allein die Feststellung der sich ähnelnden Schmähungen am Hof, Heer und in Antiochia ist freilich noch
kein Beweis für eine elitäre Manipulation der wütenden Antiochener, zumal auch andere Kaiser vor
Julian wurden als Ziegenböcke verspottet wurden. 389 Hinweise zu antiken Theorien über gezielte
Spottkampagne lassen sich bei Libanios finden, der sich aber explizit dagegen ausspricht. Libanios verfasste zum Anlass des Abzugs Julians aus Antiochia gleich zwei inhaltlich parallele Reden: Oratio 15,
die Gesandtschaft an Julian, und oratio 16, An die Antiochener über die Wut des Kaisers. Zwei unterschiedliche Perspektiven einnehmend, versuchte Libanios verzweifelt, die beiden Parteien wieder zu
versöhnen. 390 Seine Strategie beruht dabei im Wesentlichen darauf, den Spott auf den Kaiser als peripheres, randständiges Phänomen darzustellen: In seiner Scheltrede an die Antiochener (oratio 16)
spricht Libanios lediglich von Einzeltätern, die den Kaiser beleidigten: Nur eine Handvoll Bettler, Verbrecher und Beutelschneider seien es gewesen, die den Kaiser durch ihre Respektlosigkeit und Frechheit verärgerten. Die eigentliche Schuld, die sich die Antiochener aufgeladen haben, läge darin, dass
sie sich nicht zusammenrauften und diese Gruppe von Denunzianten ordentlich aufrieben. 391 Gleichzeitig bittet Libanios in seinem Schreiben an den Kaiser um Vergebung für die Geschehnisse auf dem
Markt; der Spott im Hippodrom sei aber lediglich auf einige Schurken zurückzuführen, die angeblich
387
Julian verweist mehrfach auf die öffentlichen Plätze und das Theater als Räume, in denen die Majestätsbeleidigung besonders grassiert; siehe oben S. 75.
388
Ziel politischer Schmutzkampagnen ist es häufig nicht, die geäusserten Vorwürfe zu beweisen, sondern vielmehr den Gegner dazu zu bringen, sich dazu zu äussern. So gesehen wäre die Verfassung des Misopogon ein
durch die Gegner Julians gezielt herbeigeführter Fehler des Kaisers gewesen.
389
Sueton erwähnt im Zusammenhang mit einer Beschreibung von Caligulas aussehen, dass dieser trotz Kahlheit
am ganzen restlichen Körper besonders haarig war (hirsutus cetera). Deswegen konnte es für jemanden tödlich
enden, wenn er in Anwesenheit des Kaisers das Wort «Ziege» (capra) in den Mund nahm (Suet. Cal. 50,1). Auch
Tiberius wurde öffentlich als «alter Ziegenbock» geschmäht, der «den Ziegen ihre Schamteile leckt» (hircum
vetulum capreis naturam ligurire) – wobei hier weniger das Äussere des Kaisers, sondern die Verbindung von
Tiberius’ Alterssitz Capri mit den Ziegen (caprae) den Witz ausmacht (Suet. vit. Tib. 45).
390
Sokr. h.e. 3,17,7–8 erwähnt die zwei Reden von Libanios, versichert aber, dass beide nie öffentlich vorgetragen wurden.
391
Lib. or. 16, 28–33. Damit lässt Libanios aber auch implizit durchblicken, dass der Kaiser selbst nicht auf diese
Beleidigungen hätte reagieren sollen; vgl. oben S. 77.
102
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
kurz davor sind, gefasst und bestraft zu werden. 392 Die Gegenüberstellung der Situation auf dem Markt
und im Hippodrom wird von Julian im Misopogon so nicht wiedergegeben, der zwischen dem Spott auf
dem Markt und bei den Spielen keinen Unterschied macht.
Das Ziel von Libanios ist es hier einerseits, die Schmähungen am Kaiser auf eine kleine Gruppe zu beschränken, und andererseits, diese als Bande von Verbrechern hinzustellen, um so die oberen Schichten Antiochias aus dem Schussfeld zu nehmen. Die Glaubwürdigkeit dieser Aussagen schwächelt freilich sehr am Eigeninteresse von Libanios. Der Abzug des Kaisers dürfte in Antiochia gewiss gemischte
Gefühle hinterlassen haben. Seine Gegner werden sich gefreut haben, doch der drohende Statusverlust Antiochias als kaiserliche Residenzstadt in Syrien muss für die Eliten der Stadt tatsächlich bedrohlich gewirkt haben. Vor allem für den gebürtigen Antiochener Libanios brach mit der Abreise des Kaisers eine Welt zusammen, denn er hatte sich von der Anwesenheit des religiös gleichgesinnten Kaisers
in seiner Heimatstadt viel erhofft. 393 So versuchte er, die Stadt für Julian wieder attraktiver zu machen,
indem er den öffentlichen Spott auf kleine randständige Verbrecherbanden begrenzte, die zu besonderen Anlässen und lokal begrenzt zuschlugen. In dem Sinne wäre natürlich auch die antiochenische
Elite von den Verfehlungen ausgenommen, die sich ja unterdessen auf die Suche nach den Tätern gemacht habe.
Tatsächlich lässt aber bereits die Lektüre des Misopogon Libanios’ These zweifelhaft erscheinen. Julian
selbst prangert die «Ratsherren» an, die die Spässe der Volksmassen finanzierten. 394 Zudem erwähnt
er stadtweite Pamphlete, die sich gegen den «elenden Bart und seinen Träger» richten. 395 In diesem
392
Lib. or. 15, 75.
Libanios war sich sehr bewusst, wie wichtig es für Antiochia war, in der Gunst des Kaisers zu stehen. Da er
durch Geburt, Ausbildung und Beruf eng mit der kurialen Klasse von Antiochia verbunden war, hatte der Sophist
ein Interesse daran, den reibungslosen Ablauf des kaiserlichen Aufenthaltes sicherzustellen; vgl. MARCONE 2020,
336.
394
Iul. or. 12 (mis.), 342 B–C. Vgl. auch SZIDAT 1981 (Zur Wirkung und Aufnahme der Münzpropaganda (lul. Misop.
355 d)), 27 f., der Libanios’ Aussagen keine Glaubwürdigkeit schenkt, da der Kaiser die Antiochener in ihrer Gesamtheit anspricht; er vermutet ebenfalls Hintermänner am Werk, da die Schmähungen zu verbreitet sowie thematisch zu einheitlich und eine zu gezielte Antwort auf dessen eigene Vorstellungen waren, um als spontane
Äusserungen des populus gelten zu können. Er vermutet Kleriker und Kurialen als Drahtzieher für die Schmähreden, die sich geschickter Personen der unteren Volksschichten als Mittelsmänner bedienten.
395
Iul. or. 12 (mis.), 364 B.
393
103
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
Zusammenhang droht er auch ziemlich direkt allen Verfassern, Verbreitern und Lesern dieser Lästerungen mit Strafen. 396 Hinweise auf organisierten Spott finden sich auch beim Kirchenhistoriker Theodoret, der davon berichtet, dass Julian die Anführer eines Zuges verhaften liess, der ihn verspottete. 397
Noch eindeutiger ist jedoch eine Episode, in der eine gewisse Diakonissin namens Publia ihren Jungfrauen-Chor mehrfach zu Spottgesängen auf den Kaiser anleitet, worauf Julian die Frau zusammenschlagen liess. 398 Auch wenn solche Berichte tendenziös sind, sind es mögliche Hinweise auf zumindest
teilweise organisierten Spott durch einflussreiche Personen. Davon scheint Julian die Spottverse der
Menge jedoch zu unterscheiden, denn diesbezüglich relativiert er seine Drohungen sogleich, wenn er
im Gegensatz zu den Pamphleten die Schmähungen, die «privat und öffentlich» geäussert werden,
gewähren lassen und explizit keine Gewalt oder Gefängnisstrafen anwenden will. 399
Handelte es sich bei dem Spott auf Julian um ein allgemeines Massenphänomen, wäre es unwahrscheinlich, dass sich dieser nur auf den Raum Antiochia beschränkte. 400 Und tatsächlich lassen sich
auch Hinweise auf Spott in anderen Städten ausfindig machen. Ammian berichtet von einer Reihe von
Gerichtsverfahren wegen Majestätsbeleidigungen (maiestatis crimen) in der Stadt Ankyra, denen Julian gezwungenermassen als Richter vorstand. 401 Sozomenos berichtet über den Hass Julians gegen die
Stadt Caesarea. 402 Libanios warnt Julian zudem davor, dass er von den Bewohnern der Stadt Tarsos, in
der Julian nach erfolgreichem Perserfeldzug zu residieren plante, 403 keine andere Behandlung als von
den Antiochenern erwarten würde: Beinahe vorwurfsvoll erscheint seine rhetorische Frage, ob denn
der Kaiser, falls auch in Tarsos eine freche Bemerkung fallen sollte, gleich wieder in die nächste und
dann übernächste Stadt weiterziehen wolle. 404 Zugleich spricht Libanios in seiner Scheltrede an die
396
Iul. or. 12 (mis.), 364 A–B; vgl. auch Iul. or. 12 (mis.), 366 C. In dieser bedrohlich wirkenden Anschuldigung
scheint der sonst so ironische Ton des Misopogon zurückzutreten, indem alle, die sich an der Verbreitung und
sogar am passiven Anhören der (scheinbar laut vorgelesenen) Pamphlete beteiligen, eines Verbrechens schuldig
gemacht werden. GIEBEL 2016, 69, Anm. 128 bzw. 108, Anm. 206 vermutet ein Gesetz gegen libelli famosi, öffentlich verbreitete, meist anonyme Schmähschriften, auf das sich Julian bereits in seinem Proömium bezieht, wenn
er erwähnt, dass es ihm gesetzlich verboten sei, seine Gegner öffentlich anzugreifen. Nach dem Gesetz seien
nicht nur der Verfasser, sondern auch die Verbreiter unter Strafe gestellt gewesen. Schmähungen gegen den
Kaiser waren ein crimen laesae maiestatis, welche insbesondere bei den christlichen Kaisern nach Julian streng
bestraft wurden, bis hin zur Todesstrafe. So drohte etwa nach einem Gesetz des christlichen Kaisers Valens 365
jedem die Todesstrafe, der anonyme Schmähschriften nicht sofort ungelesen verbrannte.
397
Theod. h.e. 3,11.
398
Theod. h.e. 3,19.
399
Iul. or. 12 (mis.), 364 B–C. Damit weist der Kaiser nicht zum ersten Mal auf seine besondere Milde hin, die er
nun in Anbetracht der eigentlich bestrafungswürdigen Majestätsbeleidigungen walten lässt.
400
Auch eine zeitliche Einschränkung des Spotts auf die Kalenden des Januars würden zumindest Julians Aufenthalte in Konstantinopel 362/3 bzw. in Vienne 361/2 miteinschliessen – die zahlreichen Feste, die Julian als Caesar
in Gallien erlebte, nicht miteingerechnet.
401
Amm. 22,9,8–12.
402
Soz. 5,4,1–3.
403
Iul. or. 12 (mis.), 364 D.
404
Lib. or. 15, 77: ἀλλ᾿ εἰσὶν οἳ δυσχεραίνουσί τι τῶν σῶν. καὶ γὰρ πατέρας τινές. γένοιτ᾿ ἂν οὖν τι πατέρων
γλυκύτερον; περὶ δὲ Ταρσέων, ὦ βασιλεῦ, πῶς ἔχεις; οὐδεὶς ἐκείνων ἀγροικότερόν τι φθέγξεται; καὶ τίς ἐγγυᾶται
104
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
Antiochener auch von dem Gerücht, dass die wenigen Spötter Julians gar keine Bürger Antiochias gewesen seien. 405 Wiederum steht Libanios’ Aussage im Widerspruch zu Julians: Im Misopogon entrüstet
sich Julian darüber, dass die Antiochener ihre Nachbarsstädte verleumden, indem sie behaupten, dass
die Spottverse in Wirklichkeit von da stammen. Julian verteidigt diese Städte, die dem alten Glauben
treu geblieben seien. 406
Trotz aller Vorbehalte, die man gegen eine Eingrenzung von populärem Spott gegen Julian auf Antiochia haben sollte, lassen die Quellen vermuten, dass Antiochia eine besonders berüchtigte Spott-Kultur
hatte. 407 Nach Sokrates seien die Antiochener natürlich zu Beleidigungen veranlagt. 408 Auch kam es
nach Julian noch öfters zu Konflikten zwischen Stadt und Kaiser: Eunapios überliefert Spottverse der
Antiochener gegen den schönen, aber unheilbringenden Jovian. 409 Malalas berichtet, dass Kaiser Licinius während eines letzten Besuchs im Hippodrom Antiochias von der Menge verschmäht wurde, weil
er der Stadt trotz seiner Ausrufung zum Kaiser nichts geschenkt hatte. Dies ging für die Antiochener
nicht gut aus; der erboste Kaiser liess seine Soldaten glatt auf die Menge schiessen, wodurch 2000
Leute umkamen. 410
Inwiefern Julians einflussreiche Feinde ihre Hand bei dem antiochenischen Desaster im Spiel hatten,
lässt sich nur unzureichend ermitteln. Auf der anderen Seite hatte Julian sich wohl unterdessen bereits
viele Feinde in der Elite der Stadt, aber auch in den eigenen Reihen gemacht. Dass solche Kräfte die
Unzufriedenheit der Bevölkerung noch zusätzlich anheizten, ist gut vorstellbar. Jedoch lässt sich nicht
bestreiten, dass Julian in seinem Auftreten selbst bereits genug Angriffsfläche für die städtische Bevölkerung Antiochiens bot: Sein im Kontrast zu seinen Vorgängern ungepflegt anmutendes Äusseres,
seine übertriebene Askese und sein herablassender Tadel über den kulturellen Zerfall der Stadt bot
reichlich Material für eine ohnehin bereits unzufriedene, von Nahrungsmittelkrisen gebeutelte Stadtbevölkerung.
χρησμός; τί οὖν, ἂν ἐκδράμῃ τι ῥῆμα χαλκοτύπον ἢ σκυτοτόμον, ἢ ὃ τοὺς τοιούτους εἰκός; ζητήσεις πόλιν ἑτέραν
καὶ πάλιν ἄλλην; καὶ τὸ ποῦ δεῖ σε χειμάζειν ἐν τοῖς ὑπηκόοις κείσεται; μήποτε τοσοῦτον ἰσχύσαιμεν. ἀλλ᾿
ἐγκάθιζε τοῖς μὲν βουλομένοις ὡς εὐφραίνων, τοῖς δὲ οὐκ ἐθέλουσιν, ὅπως μάθωσιν ἐθέλειν. δεῖ γὰρ τοὺς μὲν
ἑκόντας γνώμῃ, τοὺς δὲ ἄκοντας ἀνάγκῃ τὰ δέοντα ποιεῖν.
405
Lib. or. 16, 33.
406
Iul. or. 12 (mis.), 361 A
407
PFEILSCHIFTER 2013, 51 spricht von einem ausgeprägten städtischen Selbstbewusstsein der Antiochener, das
nur wenig Toleranz für die Zumutungen des Untertanendaseins unter einem Herrscher erlaubte. Dieses antiochenische «Wir»-Gefühl habe die Bemühungen der dort residierenden spätantiken Kaiser verhindert zu einer
Polarisierung der Bürgerschaft zu ihrem Vorteil durchgehend verhindert.
408
Sokr. h.e. 3,17,1–10.
409
Eun. frg. hist. 29,1.
410
Ioh. Mal. 12,49.
105
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
Die vielen Gesichter Julians
Während Julian von der breiten Bevölkerung und seinen Feinden aufs Korn genommen wurde, bemühte sich die Julian-freundliche Tradition, ein Kaiserbild zu formen, das zumindest den Ansprüchen
der gebildeten Elite genügen sollte. Dabei lassen sich bestimmte Aspekte ausmachen, die besonders
gehäuft und häufig im Verbund auftreten. Besonders die unterschiedlichen Autoren Ammian, Libanios
und Claudius Mamertinus formten dieses Bild des Kaisers, das ihn als besonders rüstigen, asketischen
Kämpfer darstellt und folgten dabei den Bildern, die auch Julian von sich selbst vermittelte. Doch während man sich relativ gut auf einige Tugenden des Kaisers einigen konnte, scheint das praktische Verhalten des Kaisers dieselben Autoren zuweilen auch zu überfordern. Zugleich offenbarten sich abseits
des elitären Diskurses in der einfachen Bevölkerung noch einmal ganz andere Probleme in Bezug auf
die kaiserlichen Auftritte. Im Folgenden werden diese verschiedenen Aspekte von Julians Habitus und
deren Niederschlag in den zeitgenössischen Quellen näher beleuchtet.
Ein asketischer Soldatenkaiser
Kriegerische Leistung und soldatische Zähigkeit nehmen im Misopogon eine grosse Rolle ein. Dass Julian generell ein Auge für das Soldatentum hatte, zeigen auch seine Schriften, die er bereits als Caesar
in Gallien verfasste: In den beiden Panegyriken an seinen Vetter Constantius werden dessen soldatische Tugenden von Julian auffällig hervorgehoben. In seinem ersten Panegyrikus widmet Julian eine
überraschend lange und detaillierte Passage dem körperlichen Regime des Augustus: Er erinnert an
die Erziehung des Constantius, dem seit Knabenalter ein starker, muskulöser, gesunder und schöner
Körper antrainiert worden sei. Während er durch literarische Studien seinen Geist stärkte, trainierte
er seinen Körper durch angemessene Gymnastikübungen. Doch Julian vertieft die Thematik noch weiter und unterscheidet dabei reine Athletik von kriegerischen Übungen, indem er darauf verweist, dass
sich Constantius nicht mit Übungen aufgehalten habe, die nur zur öffentlichen Zurschaustellung geeignet waren; denn was von den professionellen Athleten als die bestmögliche Kondition bezeichnet
werde, habe Constantius als für einen Kaiser, der sich realen Kämpfen stellen muss, ungeeignet betrachtet. Ein solcher müsse sich dagegen mit wenig Schlaf und Nahrung abfinden – in variabler Menge,
Qualität und Häufigkeit – da er seine freie Zeit den militärischen Leibesübungen widmen muss: Tanzen
und Laufen in schwerer Rüstung und Reiten, bis er sich sowohl als Hoplit in Sachen Stärke, Schnelligkeit
und Leichtfüssigkeit sowie auch als Reiter mit allen messen konnte, und freilich wurde auch das Bogenschiessen geübt. 411 Dieselbe Vorbildfunktion gegenüber den Soldaten wird auch im zweiten Panegyrikus Julians an Constantius betont. Darin zählt Julian zu den Eigenschaften eines wahren Herrschers
411
Iul. or. 1 (Const.), 10 C–11 C.
106
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
die Fähigkeit, seine Soldaten durch das eigene Exempel zu inspirieren, und zwar sowohl im Kampf als
auch im militärischen Training zu Friedenszeiten. 412
Der ganze Panegyrikus ist durchzogen von weiteren Verweisen auf den makellosen, soldatischen Körper des Augustus. So habe sich Constantius die Härte seiner Waffen zum Vorbild genommen, wenn er
sich im Krieg gegen die Parther und Meder gegen die Hitze des Sommers stählte. 413 Dank seines aktiven
Lebensstils genoss Constantius zeitlebens beste Gesundheit und verfügte über eine ungewöhnliche
Körperkraft. 414 Er trainierte selbst mit den Soldaten. 415 Die beeindruckende Rüstung der Kavallerie, die
Constantius einführte, lehrte er sich selbst zu tragen, bevor er es seinen Soldaten beibrachte. 416
Das Interesse Julians am soldatischen Leben ist somit bereits seit seiner Zeit als Caesar bezeugt. Natürlich ist der Verweis auf die kriegerischen Leistungen eines Herrschers in einem Panegyrikus zu erwarten
– insbesondere, da Julian ansonsten Mühe hatte, gemeinsame Interessen von ihm und Constantius zu
finden. 417 Auch andere Autoren verweisen auf die sportlichen Leistungen des Constantius: So finden
sich Ammians Beschreibung von Constantius, die in ihrer Gesamtheit wesentlich differenzierter ist,
Zugeständnisse an die gute Gesundheit des Kaisers, die Ammian auf dessen Zurückhaltung beim Essen,
Trinken, Schlaf und seine Enthaltsamkeit zurückführt. 418 Darüber hinaus habe es Constantius auch
meisterhaft verstanden, zu reiten, den Speer zu werfen und mit Pfeil und Bogen zu schiessen; zudem
sei er ein Experte der Fusstruppen-Übungen gewesen. 419
Der Geschichtsschreiber Ammian, der selber einen Grossteil seines Lebens als Soldat gedient hatte, 420
interessiert sich sehr für die militärischen Leistungen der verschiedenen Kaiser. Doch der wahre Kriegs-
412
Iul. or. 3 (De regno), 87 D–88 A.
Iul. or. 1 (Const.), 13 B.
414
Iul. or. 1 (Const.), 16 A.
415
Iul. or. 1 (Const.), 21 C.
416
Iul. or. 1 (Const.), 37 B–38 A.
417
An einigen Stellen wird das Lob tatsächlich etwas zweideutig, etwa, wenn er Constantius weibliche Tugenden
anrechnet: Constantius sei das beste Beispiel für Sittsamkeit, nicht nur für Männer, sondern auch für Frauen in
ihrem Umgang mit Männern. Denn alles, was den Frauen bezüglich der Rechtmässigkeit der Nachkommenschaft
verboten sei, verweigere sich auch Constantius (Iul. or. 1 (Const.), 46 D–47 A). Die Keuschheit ist aber ein Punkt,
in dem die beiden Herrscher offenbar übereinstimmen: Vgl. die Ausführungen von Claudius Mamertinus unten,
Seite 112.
418
Amm. 21,16,5–6: in uita parca et sobria edendi potandique moderatione ualetudinem ita retinuit firmam, ut
raros colligeret morbos, sed eos non procul a uitae periculis. id enim euenite corporibus a lasciuia dimotis et luxu
diuturna experimenta et professiones medendi monstrarunt. somno contentus exiguo, cum id posceret tempus et
ratio, perque spatia uitae longissima impendio castus, ut nec † mare ministro saltem suspicione tenus posset
redargui, quod crimen, etiamsi non inuenit, malignitas fingit in summarum licentia potestatum.
419
Amm. 21,16,7: equitandi et iaculandi maximeque perite dirigendi sagittas artiumque armaturae pedestris
perquam scientissimus.
420
Hinweise zu Ammians Leben finden sich in seinem Geschichtswerk (vgl. etwa die sogenannten «Wir-Berichte»
in den Büchern 23–25). Er diente als protector domesticus unter dem Heermeister Ursicinus in Gallien, wo er
auch Julian kennenlernte, und im Osten; möglicherweise nahm er auch an Julians Feldzug gegen Sapor II. teil.
Zum Leben Ammians siehe SEYFARTH 1978–1983, 15–24.
413
107
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
held ist bei Ammian ganz eindeutig Julian. Bereits als Caesar wird Julian als soldatischer Krieger charakterisiert, der auch mit den Soldaten zusammen trainiert. 421 Seine Kriegsleistungen werden dann
nochmal in Ammians Darstellung über Julians Charakter und Leben zentral hervorgehoben:
«Seine Tapferkeit bezeugen die häufigen Schlachten, seine Kriegserfahrung und seine Ausdauer bei furchtbarer Kälte und Hitze. Wenn man vom Soldaten körperliche, vom Feldherrn
aber geistige Leistung fordert, so hat er selbst einen furchtbaren Feind mit eigener Hand in
kühnem Zweikampf erledigt, und wenn die Unsrigen einmal zurückwichen, hat er sich ihnen
in den Weg geworfen und sie zuweilen ganz allein aufgehalten. Die Königreiche wilder Germanen hat er zerstört und im heissen Staub Persiens in der ersten Linie gefochten und dadurch
das Selbstvertrauen der Truppe gestärkt.» 422
Julian wird hier explizit nicht nur als erfolgreicher Feldherr, sondern auch als kämpferischer Soldat dargestellt, der nicht nur stoisch den Elementen trotzt, sondern auch selbst «Hand anlegt» und sich mit
der Brust voran (obiecto pectore suo) in das Getümmel wirft. Auch Julian selbst trug aktiv zu dieser
Lesung seiner Person bei: In seinem Brief an die Athener instrumentalisiert Julian seine militärischen
Leistungen, indem er sie mit der Untätigkeit seines Feindes Constantius vergleicht:
So geschah es, dass nicht wir, sondern jener triumphierte, obwohl ich kämpfte, jener aber nur
umherreiste und sich nett mit den an der Ister beheimateten Völkern unterhielt. 423
Dieselbe Auslegung begegnet später auch wieder im Misopogon, wenn sich Julian als «Patroklos» des
Constantius bezeichnet, der für ihn in die Schlacht geschickt wird. 424 Dieser und andere Vergleiche verweisen darauf, dass Constantius ihn statt seiner in die Schlacht gegen die Feinde in Gallien geschickt
hatte. Julian wird dadurch zum kämpferischen «Macher», während der Constantius ungerechterweise
von den Leistungen seines Caesars profitiert. Die Darstellung des «Soldaten Julian» wurde also von
421
Vgl. Amm. 21,2,1–2: Ammian beschreibt hier eine Szene in Paris, bei der Julian bei einer Übung, den Schild so
heftig bewegt, dass dieser auseinanderfällt. Die Anwesenden waren durch dieses schlechte Vorzeichen schockiert, doch Ammian lässt Julian schlagfertig reagieren und die Situation retten. Doch die Situation bedeutete
erst einmal eine prekäre Situation, da ein solches Vorkommnis als schlechtes Omen gesehen wurde, und die
Ammian (oder Julian, falls er wirklich so geistesgegenwärtig und schlagfertig war) erst einmal positiv umdeuten
musste.
422
Amm. 25,4,10 (Übers. Seyfarth): Fortitudinem certaminum crebritas ususque bellorum ostendit et patientia
frigorum immanium et feruoris. cumque corporis munus a milite, ab imperatore uero animi poscitur, ipse trucem
hostem ictu confecit audacter congressus ac nostros cedentes obiecto pectore suo aliquotiens cohibuit solus /
regnaque furentium Germanorum excindens et in puluere uaporato Persidis / augebat fiduciam militis dimicans
inter primos.
423
Iul. or. 5 (ad Ath.) 279 D (Übers. Stöcklin-Kaldewey): Συνέβη τοίνυν, ἐμοῦ μὲν ἀγωνισαμένου, ἐκείνου δὲ
ὁδεύσαντος μόνον καὶ φιλίως ἐντυχόντος τοῖς παροικοῦσι τὸν Ἴστρον ἔϑνεσιν, οὐχ ἡμᾶς, ἀλλ’ ἐκεῖνον
ϑριαμβεῦσαι.
424
Iul. or. 12 (mis.), 351 A–B: Julian ist in dieser Anspielung Patroklos, der in der Ilias für Achilles in den Kampf
zog und dabei starb. Vgl. in dieser Hinsicht Amm. 20,8,6, der einen Brief Julians an Constantius erwähnt: «Seit du
mich, den erwählten Cäsar, in das furchtbare Gedröhn der Schlachten jagtest […]». (Übers. Seyfarth: iamque inde
uti me creatum Caesarem pugnarum horrendis fragoribus obiecisti […])
108
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
Julian offiziell propagiert, und zumindest bei den ihm wohlgesinnten Autoren Ammian, Libanios und
Mamertinus wurde diese kriegerische, soldatische Haudegenversion eines Kaisers wohlwollend aufgenommen und reproduziert.
In den Beschreibungen von Ammian und Mamertinus kommt auch eine gewisse brachiale Männlichkeit
zur Geltung. Zwar ist das Talent zum Kampf, die Veranlagung zum Anführer und das stoische Aushalten
Beschwerlichkeiten wie Hitze und Kälte ein gängiger Topos bei der Lobpreisung herrschender Kaiser,
doch bei der Julian positiv gesinnten Tradition scheint dies besonders zur Geltung zu kommen. Dies
kommt besonders stark im Panegyrikus des Claudius Mamertinus 425 zur Geltung, wenn er etwa die
Reaktion der Bewohner Germaniens auf den Kaiser beschreibt:
«Junge Mädchen und Knaben, Frauen und Männer, zitternde Greisinnen und wankende Greise sahen nicht ohne tiefen Schauder und mit Erschütterung den Kaiser unter der
Last der schweren Waffen seinen langen Weg im Lauf zurücklegen; ferner, wie der Atem des
Dahineilenden ohne eine Spur von Erschöpfung schneller ging, wie Bäche von Schweiss über
seinen starken Nacken strömten und wie zwischen dem starrenden Staub, der Bart und Haare
bedeckt hatte, seine Augen als flammende Sterne erstrahlten.» 426
Julian ist hier ein schwitzender, schmutziger Kaiser. Eine fast schon klischeehafte, archaische Männlichkeit drückt sich in dem Bild des schwitzenden, verschmutzten Muskelprotzes mit den schönen Augen aus. Die Julian-nahe Tradition fokussiert sich damit auf die Vermittlung eines besonders «männlichen» Bildes des jungen Kaisers.
Bezeichnend in dieser Hinsicht ist etwa auch die Erhebung Julians zum Augustus durch die Truppen,
wie sie Ammian beschreibt: Nachdem sich die recusatio des Caesars – wie zu erwarten war – als wirkungslos erwies, stellte man fest, dass kein Diadem zur Krönung zur Verfügung stand. Also setzte eine
Suche nach einem passenden Ersatz und damit ein merkwürdiges Hin und Her ein: Zuerst verlangten
die Soldaten ein Stück vom Hals- oder Kopfschmuck seiner Gattin, worauf Julian jedoch darauf bestand,
dass es kein gutes Vorzeichen sei, ihm weiblichen Schmuck anzulegen. Ebenso lehnte er die Brustkette
eines Pferdes ab, da dies einen unvollkommenen Anblick seiner Machtstellung böte. Am Ende einigte
man sich auf den Torques-Ring eines Soldaten. 427 Die Episode ist in vielerlei Hinsicht interessant. Sie
wirkt beinahe spielerisch, und es ist durchaus auch vorstellbar, dass die Atmosphäre unter Julian und
seinen Soldaten, mit denen er zumindest vorgeblich ein enges Verhältnis pflegte, relativ ausgelassen
425
Mamertinus, wahrscheinlich aus Gallien stammend, zeigt in seinem Panegyrikus genaue Kenntnisse von den
Vorgängen in Gallien und scheint vieles selbst miterlebt zu haben; seine genauen Ämter und Funktionen kennen
wir aber nicht; vgl. MÜLLER-RETTIG 2008 (Panegyrici latini), 214.
426
Paneg. lat. 3 (11), 6,4 (Übers. Müller-Rettig): Virgines pueri, feminae <viri>, tremulae anus titubantes senes
non sine magno attoniti horrore cernebant imperatorem longam viam sub gravium armorum onere currentem,
properantis anhelitum sine sensu lassitudinis crebriorem, sudorum rivos per fortia colla manantes, et inter illum
pulveris qui barbam et capillum onerarat horrorem micantia sidereis ignibus lumina.
427
Amm. 20,4,17–18.
109
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
war. Doch dass sich Julian auf einmal um passende insignia scherte, widerspricht dem Bild, das er später von sich und seiner Herrschaft vermitteln sollte. Offenbar war es ihm in der speziellen Situation der
soldatischen Interaktion wichtig, dass eine gewisse maiestas in seiner Erscheinung ausdrückte, welche
er später in anderen Kontexten demonstrativ ablehnen würde. 428 Doch daneben fällt vor allem die
Ablehnung des unmännlichen Schmucks auf: Julian nimmt lieber einen soldatischen, barbarischen
Halsschmuck an, anstatt des Halsschmucks seiner eigenen Frau.
Die Thematik des Herrscherkörpers ist auch in Rom immer mit zeitgenössischen Vorstellungen von
Männlichkeit und Macht verbunden gewesen. 429 Nach Pierre Bourdieu drückt sich in der körperlichen
Hexis eine politische Mythologie aus, die er darin sieht, dass sich der Unterschied zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit in der Art des körperlichen Verhaltens ausdrückt: Wie man sich hält, insbesondere ob man in der Haltung Festigkeit, Geradheit und Zielgerichtetheit ausdrückt. 430 Gerade vor den
Soldaten war es Julian offenbar wichtig, in seinem Verhalten und Aussehen eine besondere Männlichkeit zu wahren, die auch mit seinem Machtanspruch verbunden war. Als junger, unbekannter Caesar
musste er sich wohl tatsächlich erst einmal beweisen, und als sein Führungsanspruch anerkannt wurde,
musste er dieses Bild wahren, um auch seine kaiserliche Autorität zu wahren. Dass Julians Führungsanspruch eine heikle Angelegenheit war, zeigt der überlieferte Spott der Soldaten, die ihn im Zweifelsfalle als Asianus und Graeculus bezeichneten. Einer solchen Lesung musste Julian mit allen Mitteln
entgegenhalten, wollte er seinen Machtanspruch geltend machen.
Neben der besonderen militärischen Stärke und Männlichkeit Julians ist der dritte wesentliche Aspekt,
den die Julian-freundliche Tradition um Libanios, Ammian und Claudius Mamertinus zentral macht,
Julians asketischer Lebensstil. Ammian räumt der Darstellung von Julians Askese einen grossen Raum
in seinem Werk ein. Bereits als Caesar legte Julian gemäss dem Historiker ein bemerkenswertes Verhalten an den Tag – und an die Nacht. Insbesondere in Bezug auf Ernährung und Schlaf zeigte sich
428
Das Ritual einer Schilderhebung und die Krönung mit einem keltischen Torques ist auch an sich bemerkenswert. ALFÖLDI 1980, 169–73, wies darauf hin, dass beides zum ersten Mal bei Julian fassbar ist, danach aber in
Ost-Rom eine lange Karriere machen sollte, und in langer Sicht sogar das kirchliche Krönungsritual des Mittelalters vorwegnahm. Er war jedoch auch überzeugt, dass beide Traditionen schon älter sind. STRAUB 1964, 61 f. sah
in der Darstellung vor allem einen Versuch der Legitimation Julians und daher eine Erfindung Ammians: Die Usurpatoren Prokop und Silvanus traten in Purpur auf (Amm. 15,5,16) und nahmen damit die Erhebung vorweg. Bei
Julian erfolgte die Annahme jedoch erst nach heftigem Widerstand; die Krönung mit Torques wird als Notbehelf
ausgegeben. Darin stecke eine tiefere Bedeutung aufgrund der keltisch-germanischen Wurzeln des Rituals: Durch
die Duldung eines fremden Brauches sei die Zwangslage Julians hervorgehoben worden.
429
Dies führte schon in der Übergangszeit von der späten Republik zum frühen Prinzipat zu Problemen: Die späte
Republik war eine Zeit, in der einzelne Individuen aus den gängigen Normvorstellungen ausbrachen und damit
die übrigen Aristokraten in ihrem Selbstverständnis bedrohten. Der Körper des Princeps wurde so zu einem Problem, da mit ihm auch die gängige Definition von Männlichkeit in Frage gestellt wurde. Wenn sich die Senatoren
im Senat als gleichgestellte, keiner höheren Macht unterworfenen patres begegneten, ergab sich mit der Erhebung der domus augusta über alle anderen ein grundsätzliches Problem der Definition von Männlichkeit. Zur
Thematik von Männlichkeit in Republik und Prinzipat siehe SPÄTH 1994 (Männlichkeit und Weiblichkeit bei
Tacitus), insb. 339–346; SPÄTH 2003 (Väter, Götter, Politik).
430
BOURDIEU 1980, 117 f.; siehe oben, S. 18.
110
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
Julian besonders anspruchslos. So liess er etwa aus einem Büchlein, dass Constantius ihm mit nach
Gallien gab, und dass «sehr grosszügig» die Tafel des Caesars festsetzte, allzu luxuriöse Mahlzeiten
streichen. 431 Doch in seinem Schlafverhalten zeigte er sich noch beeindruckender. Wenn er schlief,
dann natürlich auf dem bescheidenen Lager eines Teppichs, anstatt auf seidenen Kissen. Doch grundsätzlich nutzte er die Nacht zum Arbeiten, und dabei habe er sogar Alexander den Grossen in seiner
nächtlichen Disziplin übertroffen. 432 Die Aversion gegen Schlaf wird von Julian auch selbst in seinen
Panegyriken an Constantius bestätigt. 433 Auch Libanios verweist mehrfach darauf, dass Julian seine Reden nachts verfasste, wobei sich dessen Schlafentzug und Mangelernährung häufig gegenseitig bestärkten. 434 Julian, sind sich die Quellen einig, war ein rastloser Kaiser.
Vor allem aber war Julian für seine Keuschheit berühmt. Libanios betont gerne die sexuelle Abstinenz
des Kaisers. 435 Diese Keuschheit setzt Ammian sogar an erste Stelle der Tugenden Julians, die er zum
Anlass seines Todes aufstellt: Diese habe ihn nach dem Tod seiner Gattin lebenslang abstinent bleiben
lassen, in Gedenken an seine philosophischen und literarischen Vorbilder. Dabei betont Ammian eingehend, dass Julians unverletzte Keuschheit allgemein bekannt war, und dass er von keiner Seite jemals des Verkehrs beschuldigt werden konnte. 436 Dies scheint in der Tat der Fall gewesen zu sein: Auch
in Julian-feindlicher Literatur finden sich kaum Anschuldigungen bezüglich sexueller Ausschweifungen,
während ansonsten beinahe jeder Lebensbereich des Kaisers auseinandergenommen wird. 437 Sogar
Zonaras schreibt noch gute 8. Jahrhunderte nach Julian, wie dessen Frau Eusebia unter der übertriebenen Enthaltsamkeit ihres Gatten litt. 438
431
Amm. 16,5,1–3.
Amm. 16,5,4–8: So habe Julian nur einen Drittel der Nacht mit Schlafen verbracht, die anderen beiden mit
Arbeit und der intellektuellen Beschäftigung. Auch Alexander habe dies so gemacht, doch wandte er dabei einen
Trick an, indem er eine Muschel mit einer silbernen Kugel in der Hand hielt, die, wenn er einschlafen sollte, auf
den Boden fiel und ihn so aufweckte. Julian habe aber eines solchen künstlichen Mittels nicht bedurft. In eine
ähnliche Richtung geht auch die Aussage Ammians, dass Julian ein Gedächtnis hatte, das sich mit denen der
grossen Schriftsteller der Vergangenheit messen konnte, die jedoch ihr Gedächtnis durch das Einnehmen von
Medikamenten verbesserten; Julian brauchte solches Doping natürlich ebenfalls nicht. (Das Ausmass dieser Leistung ist dem Verfasser dieser Arbeit übrigens schmerzhaft bewusst, denn dieser Satz wurde um 1 Uhr früh unter
erheblichem Koffeineinfluss geschrieben.)
433
Iul. or. 1 (Const.), 10 C–11 C; siehe oben S. 106. Vgl. auch Iul. or. 3 (De regno), 87 C: Zu viel Schlaf zieme sich
nicht für einen grossen König.
434
Lib. or. 12, 94–95, mit der Bemerkung, dass Julian den Schlaf gerade dadurch besiegt habe, dass er niemals
Weint trinke oder einen vollen Bauch habe, da diese Dinge schläfrig machen; vgl. auch Lib. or. 18, 175: Während
seine Diener sich abwechselten, um gewisse Ruhezeiten einzuhalten, arbeitete Julian einfach durch; dabei ass er
auch nur das Allernötigste. (Auch dieses Verhalten kann der Verfasser der Arbeit nachvollziehen.)
435
Lib. or. 18, 127–128; Julian konnte aufgrund seiner Keuschheit seine Wohnstatt an die Tempel der Götter
angrenzen lassen; Lib. or. 18, 179: Während andere in der Nacht der Aphrodite frönen, verfasst Julian Reden und
fokussiert sich auf sein Studium.
436
Amm. 25,4,2–3.
437
Die einzige Ausnahme findet sich in den Gesängen Ephraems, wo jedoch Julians Heidentum als Anbetung von
Liebesgöttinnen ausgelegt wird und so automatisch mit angeblichen sexuellen Eskapaden im Kreis seiner Philosophenfreunde verbunden wird: Ephr. Syr. hymn. c. Iulian. 2,5; Ephr. Syr. hymn. c. Iulian. 2,9.
438
Zon. 3,11.
432
111
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
Julians körperliche Askese fügt sich bei den paganen Autoren nahtlos in das soldatische Leben des
Kaisers ein. Besonders Ammian macht dies immer wieder deutlich:
«Die Tugend der Selbstbeherrschung machte noch dadurch erhebliche Fortschritte, dass die
Genügsamkeit im Essen und Schlafen sie förderte. Beides genoss er zu Hause und im Felde nur
sparsam. Im Frieden mussten die, die sich ein wirkliches Urteil bilden konnten, die Sparsamkeit seiner Lebenshaltung und seiner Tafel bewundern, denn es schien, als wolle er bald wieder zum Philosophengewand zurückkehren. Bei den verschiedensten Feldzügen war er zu sehen, wie er zuweilen stehend nach Soldatenart eine magere und billige Mahlzeit einnahm.
Sobald er aber seinen in Strapazen gestählten Körper durch kurzen Schlaf erquickt hatte, erwachte er und kontrollierte in eigener Person die Ablösung der Wachen und Posten, um nach
diesen ernsthaften Aufgaben seine Zuflucht zu den Wissenschaften zu nehmen. Wenn die
nächtlichen Lichter, bei denen er arbeitete, eine Stimme hätten und Zeugnis ablegen könnten,
so würden sie tatsächlich zeigen, dass zwischen ihm und manchen anderen Kaisern ein grosser
Unterschied bestand. Denn diese Zeugen wüssten, dass er Vergnügen nicht einmal im Rahmen
der natürlichen Bedürfnisse Raum gab.» 439
Auch Claudius Mamertinus versucht in seiner Rede, die verschiedenen Aspekte von Julians Umgang
mit seinem Körper harmonisch zu kombinieren: Als Grundsätze von Julians Herrschaft bezeichnet er,
dass er sich «öfters mit dem Kampf befasst als mit dem Essen», dass seine «Bettstatt selbst ohne die
erlaubten und rechtmässigen Ehefreuden reiner ist als das Lager der Vestalinnen», dass er «im Sommer
Alamanniens Staub, im Winter Thrakiens reif [erträgt], auch ohne [sein] Haupt zu schützen!» 440 Körperliche Askese, militärische Stärke und sittenstrenge Keuschheit werden von dem Konsul nahtlos miteinander vereint. In Anbetracht der übermenschlichen Leistungen des Kaisers betont Mamertinus zudem, dass der Kaiser schlicht keine Zeit hatte, sich mit Schlaf, Essen und sogar den natürlichen körperlichen Bedürfnissen zu befassen. 441 Wie auch Ammian betonten auch Mamertinus und Libanios, dass
sich Julian mit normaler Soldatenkost zufriedengibt, während seine Vorgänger sich luxuriös gedeckten
Tafeln hingaben. 442
439
Amm. 25,4,4–6 (Übers. Seyfarth): Hoc autem temperantiae genus crescebat in maius iuuante parsimonia
ciborum et somni, quibus domi forisque tenacius utebatur. namque in pace uictus eius mensarumque tenuitas
erat recte noscentibus admiranda uelut ad pallium mox reuersuri, per uarios autem procinctus stans interdum
more militiae cibum breuem uilemque sumere uisebatur. ubi uero exigua dormiendi quiete recreasset corpus
laboribus induratum, expergefactus explorabat per semet ipsum uigiliarum uices et stationum post haec seria ad
artes confugiens doctrinarum. et si nocturna lumina, inter quae lucubrabat, potuissent uoce ulla testari, profecto
ostenderant inter hunc et quosdam principes multum interesse, quem norant uoluptatibus ne ad necessitatem
quidem indulsisse naturae.
440
Paneg. lat. 3 (11), 13,3. Zur kaiserlichen Keuschheit, die sich weiblichen Tugenden annähert, vgl. Julians Lob
auf Constantius (siehe oben, Anm. 417).
441
Paneg. lat. 3 (11), 14,2–3.
442
Paneg. lat. 3 (11), 11. Dass Julian gewöhnliche Soldatenverpflegung ass, berichtet auch Lib. or. 17, 27.
112
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
Es ist sehr schwer, die einzelnen Aspekte von Julians asketischer Lebensweise zu trennen. Die verschiedenen Aspekte werden häufig in einem Atemzug genannt und nehmen aufeinander Bezug: Wenn Julian nicht schläft, dann, weil er den nächsten kriegerischen Schachzug plant oder die nächste erleuchtete Rede schreibt. Die asketische Trias von Schlafentzug, Keuschheit und frugaler Ernährung scheint
sich gegenseitig zu bestärken, und in der paganen, Julian-freundlichen Tradition kommt diese besonders gut an. In dieser Hinsicht unterscheidet sie sich die Tradition auch wenig von derjenigen der christlichen Vorgänger Julians, bei denen ebenfalls ihre sexuelle Abstinenz, Genügsamkeit beim Essen und
zuweilen auch ihre Schlaflosigkeit gelobt wurden. 443 Dennoch erscheint Julian im direkten Vergleich
bei den paganen Autoren noch eine höhere Stufe der Selbstkontrolle erreicht zu haben. Julians Askese
erscheint beeindruckend, auch noch auf moderne Betrachter. 444
Es zeigt sich, dass in der Julian-freundlichen Tradition wesentliche Aspekte von Julians Charakter, die
er sich auch selbst gerne und oft zuschreibt, aufgenommen wurden. Ammian, Libanios und Claudius
Mamertinus loben gleichermassen den soldatischen, abgebrühten, anspruchslosen und keuschen Kaiser. Einzelne Aspekte werden bei den unterschiedlichen Autoren verschieden betont: So erscheint Julian beim Soldaten Ammian vornehmlich in der Rolle des Kämpfers, während Libanios dessen asketische Lebensweise eher aus der Sicht eines gelehrten Kulturhellenen interpretiert. Doch weitet man
den Blick aus, so ist zu sehen, dass Julians Askese unter den zeitgenössischen Autoren unterschiedliche
Reaktionen hervorrief: Während sie bei seinen Bewunderern gut ankam, tat sich die breite Bevölkerung um einiges schwerer damit, wie an der Episode in Antiochia zu sehen ist. 445 Hans-Ulrich Wiemer
spricht in diesem Zusammenhang vom «Spannungspotential» in der Personalunion von Philosophie
und Kaisertum, das zu Irritationen und Konflikten führte, sobald ein Kaiser versuchte, die Beziehungen
zu seinen Untergebenen nach philosophischen Prinzipien zu gestalten. Solange er sich darauf beschränkte, im Kreis seiner Vertrauten philosophisch zu leben, konnte er des Lobes gewiss sein. Wenn
er jedoch wie Julian versuchte, als Kaiser Philosoph zu bleiben, sah er sich mit den traditionellen Er-
443
Bereits in Konstantins Lobreden wurde die beinahe unfassbare Monogamie des Kaisers gepriesen: Paneg. lat.
7 (6), 4,1; Paneg. lat. 12 (9), 7,5; Paneg. lat. 4 (10), 34,1–2. Bezüglich Constantius II. räumt auch Ammian ein, dass
er ein sparsames und nüchternes Leben führte und durch seine Askese besodners gesund war. Auch schlief er
wenig und war die meiste Zeit seines Lebens enthaltsam: Amm. 21,16,5–6. Der sonst ebenfalls kritische Aurelius
Victor lobt die Zurückhaltung Constantius’ bei Essen und Geschlechtstrieb: Aur. Vict. Caes. 42,23. Auch PseudoAurelius Victor betont dessen Genügsamkeit beim Essen und Trinken und dessen Widerstandskraft gegen Müdigkeit: (Ps.-)Aur. Vict. epit. Caes. 42,18–19.
444
Vgl. BIDEZ 1940 (Julian der Abtrünnige), 370: «Kaum ein Asket hat ihn in der Verachtung der körperlichen Bedürfnisse und Ansprüche übertroffen. Er lebte wahrhaftig nach dem Gesetz seiner Seele.»
445
Das fällt auch MARCONE 2020, 341 f. auf, den diese Diskrepanz überrascht.
113
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
wartungen und Ansprüchen an sein Auftreten und Verhalten konfrontiert, die aus ganz anderen Quellen stammten. 446 Wie aber nun im Folgenden gezeigt werden soll, weckte Julian auch bei seinen Verehrern durch sein Verhalten in der Praxis nicht nur einheitliche Bewunderung, sondern zum Teil auch
sehr gemischte Gefühlte.
Ein bewegter Kaiser
Ein historisches Ereignis wird besonders interessant, wenn es durch eine günstige Quellenlage aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden kann. Ein solcher Fall liegt in einigen Episoden vor, in denen Julian mit den lokalen Eliten in Konstantinopel und Antiochia interagierte. Als Julian etwa als frischgebackener Augustus in Konstantinopel residierte, hatte er zum ersten Mal in diesem Amt mit den
ortsansässigen Senatoren zu verkehren. In diesen aristokratischen Interaktionssituationen war eine
gewisse Erwartungshaltung an das Verhalten des Kaisers gerichtet. Doch wie verschiedene Quellen
berichten, hielt sich Julian während seines Aufenthaltes in Konstantinopel nicht wirklich an soziale
Konventionen. So erinnert sich der antiochenische Redner Libanios in seinem Epitaph auf Julian an
dessen Besuche im Senat:
«Auch hat er dem grossen Senat Besuche abgestattet und die Senatoren an seiner Seite Platz
nehmen lassen, eine Ehre, die sie seit langer Zeit nicht genossen hatten. Denn vor seiner Zeit
wurden die Senatoren zum Palast zitiert, um dort stehend eine kleine Ansprache anzuhören,
während der Kaiser sich keineswegs zum Senat begab, um den Sitzungen beizuwohnen; da er
nicht sprechen konnte, vermied er den Ort, der eines Redners bedurfte. Julian aber, der sicher
reden konnte, wie der tüchtige Redner nach Homer, drängte es geradezu nach solchen Versammlungen, in welchen er jedem, der es verlangte, frei mit ihm zu diskutieren gewährte,
während er selbst bald wenige Worte voll Inhalts, bald ein Gedräng' der Worte wie stöbernde
Winterflocken vorbrachte, wobei er das eine Mal jene homerischen Redner nachahmte, das
andere Mal aber sie gerade in dem Punkt, in dem jeder von ihnen besonderes Ansehen genoss,
übertraf.» 447
Das Verhalten des Kaisers erschien Libanios bemerkenswert, und das ist es in der Tat: Die Senatoren
Konstantinopels waren an ein anderes kaiserliches Benehmen gewöhnt, wie der Vergleich von Libanios
mit Julians Vorgänger ebenfalls nahelegt. Dass Constantius kein guter Redner war, wird auch von anderen Quellen bestätigt: Ammian überliefert, dass Constantius aufgrund seiner stumpfsinnigen Art ein
446
WIEMER 1998, 755.
Lib. or. 18, 154 (Übers. Fatouros/Krischer/Portmann): Εἰσῆλθε καὶ εἰς τὸ συνέδριον καὶ τὴν μεγάλην βουλὴν
περὶ αὑτὸν ἐκάθισε πολὺν δὴ χρόνον ταύτης τῆς τιμῆς ἐστερημένην. εἰς μὲν γὰρ τὸ βασίλειον εἰσεκαλεῖτο
πρότερον ἑστήξουσά τε καὶ μικρὰ ἀκουσομένη, βασιλεὺς δὲ οὐκ ᾔει παρ᾿ αὐτὴν συγκαθεδούμενος· τῷ γὰρ μὴ
δύνασθαι λέγειν ἔφευγε χωρίον δεόμενον ῥήτορος, ὁ δέ, ὥσπερ Ὅμηρος ἔφη τὸν δεινὸν λέγειν, ἀσφαλέως
ἀγορεύων ἐδίωκε τοὺς τοιούτους συλλόγους διδοὺς μὲν τῷ βουλομένῳ παρρησιάσασθαι πρὸς αὐτόν, διεξιὼν
δὲ καὶ αὐτὸς νῦν μὲν παῦρά τε καὶ λιγέως, νῦν δὲ νιφάδεσσιν ἐοικότα χειμερίῃσι τοὺς Ὁμηρικοὺς ἐκείνους
δημηγόρους νῦν μὲν μιμούμενος, νῦν δ᾿ ἐν ᾧπερ ἑκάτερος εὐδοκίμει παριών.
447
114
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
enttäuschender Redner war. 448 Fraglich bleibt, ob dies der Grund war, dass Constantius den Ort mied,
oder ob sich der Kaiser grundsätzlich nicht in den Senat begab, sondern jenen zu sich kommen liess.
Julian hingegen dringt mit seiner Anwesenheit in ein fremdes politisches Feld ein. 449 Doch die an sich
schon besondere Situation wird durch das Verhalten des Kaisers unter den Senatoren in seiner Eigentümlichkeit noch gesteigert. Libanios macht auch auf einen kleinen, aber auffälligen Unterschied in der
Konstellation der senatorischen und des kaiserlichen Körpers aufmerksam: Der Kaiser sass im Palast,
während die Senatoren stehen mussten. Demgegenüber wird Julians Akt des Sitzens unter den ebenfalls sitzenden Senatoren von Libanios positiv hervorgehoben. 450
Der neue Kaiser brach also bereits in seinem alltäglichen Verhalten mit sozialen Konventionen. Doch
eine bestimmte Episode hält Libanios für besonders erwähnenswert:
«Als er einmal eine Rede hielt, in der er Lob, Tadel und Ermahnungen verteilte, kam plötzlich
jemand und meldete die Ankunft seines Lehrers, 451 eines Philosophen aus Ionien, den er zu
sich eingeladen hatte. Da sprang er inmitten der Ältestenversammlung auf und lief zur Tür hin
auf ihn zu, wie es einst mit Chairephon und Sokrates geschehen war; damals hat es sich aber
um Chairephon und die Schule des Taureas gehandelt, hier jedoch um den Herrscher der ganzen Erde und den grossen Senat. Er wollte damit allen zeigen und durch Taten verkünden, dass
die Philosophie ehrwürdiger sei als das Kaisertum und dass alles, was an letzterem wertvoll
ist, als Gabe der ersteren zu betrachten sei. Er umarmte ihn und begrüsste ihn auf jene Art
und Weise, wie einfache Menschen untereinander oder aber Kaiser untereinander es zu tun
pflegen, und führte ihn in den Senat, ohne dass er dessen Mitglied gewesen wäre, in dem
Glauben, nicht durch den Ort den Mann, sondern durch den Mann den Ort zu ehren; er erklärte den Senatoren in allen Einzelheiten, wieviel er jenem Mann im Hinblick auf seine Erziehung schulde, und verabschiedete sich, Hand in Hand mit seinem Lehrer. Was bezweckte er
damit? Er wollte nicht nur seine Dankbarkeit für seine Erziehung bekunden, wie man vielleicht
448
Amm. 21,16,4: cum a rhetorice per ingenium desereretur obtunsum.
Es finden sich jedoch Hinweise, dass in senatorischen Kreisen das Ideal eines Herrschers, der Amtshandlungen
der Magistrate beiwohnt, durchaus noch hochgehalten wurde. So wird dieses Verhalten etwa bei Kaiser Hadrian
gelobt; SHA Hadr. 9,7–8.
450
Eine Vorstellung von der Architektur des konstantinopolitanischen Senatsgebäudes zu Julians Zeiten wäre für
eine Interpretation der speziellen Konstellation von senatorischen und kaiserlichen Körpern überaus hilfreich;
leider gibt es darüber kaum gesicherte Kenntnisse. Der Senat besass nach den frühbyzantinischen Quellen zwei
Amtsgebäude: Eins am Forum Konstantins und eines in der unmittelbaren Nähe des Kaiserpalastes am Platz Augustaion, das heute mit der sogenannten Magnaura identifiziert wird. Letzteres war wohl über alle Zeiten das
eigentliche Senatsgebäude; dessen Bau wurde möglicherweise noch unter Julian vollendet und in den folgenden
Jahrhunderten mehrfach erneuert. Man kann daher annehmen, dass sich die Episoden von Julian im Senat in
jenem Gebäude abspielten. Vermutlich handelte es sich dabei um einen basilikalen Bau, der architektonisch in
die kaiserlichen Palastanlagen eingebunden war und dadurch auch räumlich den Status des Senats als nicht unabhängige, kaiserliche Institution sichtbar macht. Vgl. dazu BERGER 1995 (Die Senate von Konstantinopel).
451
Maximos von Ephesos, von Julian 362 nach Konstantinopel berufen.
449
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Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
annehmen würde, sondern zugleich alle jungen Menschen in der Welt zum Studium anstacheln; ich möchte sogar hinzufügen, dass er auch die alten Menschen dazu aufforderte, denn
viele alte Menschen liessen sich nun zum Lernen anregen. Was nämlich die Herrscher verachten, wird von allen vernachlässigt, was sie aber hochschätzen, wird eifrig geübt.» 452
Mehrere Dinge sind hier interessant: Erst einmal natürlich das auffällige Verhalten Julians. Auch für
einen Senator wäre ein plötzliches Aufspringen während einer Sitzung ungewöhnlich gewesen, doch
Libanios betont nochmal explizit, dass es sich hier um den Herrscher der Welt handelt. Die Aufmerksamkeit, die Libanios dem bewegten und anfassbaren Kaiser widmet, zeugt von dessen Ungewöhnlichkeit. Aufspringen, entgegenkommen, umarmen und küssen, Händchen halten: Dies sind Bewegungen,
die Libanios im Normalfall sozial Gleichgestellten zuschreibt, von Bürger zu Bürger und Kaiser zu Kaiser;
doch hier küsst ein Kaiser einen Bürger – einen obskuren Philosophen zudem, keinen ranghohen Würdenträger. Dies bedeutete eine Transgression gleich mehrerer sozialer Ebenen. Womöglich fühlte sich
Libanios deshalb verpflichtet, die Episode zu kommentieren. Er liefert ein Erklärungsmodell, das den
Kaiser als Philosophen beschreibt und dadurch dessen Verhalten gegenüber seinem ehemaligen Philosophielehrer rationalisiert. Mehr noch: Indem Julian hier eine Vorbildfunktion einnimmt, erfüllt er
die Erwartungen, die Libanios an einen guten Herrscher stellt, vollends. 453
Während also Libanios in der Beschreibung des nahbaren Herrschers sehr verständnisvoll und
wohlwollend ist, gab es auch andere Stimmen, die sich zu demselben Vorfall äusserten. Die
Episode liest sich nämlich beim Geschichtsschreiber Ammian ganz anders: «Oft kam der Kaiser
in dieser Zeit in die Kurie, um verschiedene Angelegenheiten zu erledigen, die die vielfachen
Anordnungen notwendig machten. Als er eines Tages dort Rechtsfälle untersuchte, wurde ihm
gemeldet, aus Asien sei der Philosoph Maximus gekommen; in unschicklicher Hast sprang er
daraufhin auf, vergass ganz, wer er war, und ging eiligen Schritts weit aus dem Vestibül hinaus,
küsste den Ankömmling und empfing ihn voller Ehrfurcht. Mit unpassender Auffälligkeit führte
er ihn mit sich hinein und schien so allzu eifrig nach einem nichtigen Ruhm zu haschen. Er
Lib. or. 18, 155–156 (Übers. Fatouros/Krischer/Portmann): λέγοντος δὲ αὐτοῦ καὶ τὰ μὲν ἐπαινοῦντος, τὰ δὲ
ἐπιτιμῶντος, τὰ δὲ νουθετοῦντος ἀγγέλλει τις προσιέναι τὸν διδάσκαλον, ἄνδρα Ἴωνα, φιλόσοφον ἐξ Ἰωνίας
κεκλημένον, ὁ δὲ ἐκ μέσων ἀναπηδήσας τῶν γερόντων ἔθει πρὸς τὰς θύρας τὸ τοῦ Χαιρεφῶντος πρὸς Σωκράτην
πεπονθώς, ἀλλ᾿ ἐκεῖνος μὲν Χαιρεφῶν τε ὢν καὶ ἐν τῇ Ταυρέου παλαίστρᾳ, ὁδὶ δὲ πάντων τε κρατῶν κἀν τῷ
μεγίστῳ συνεδρίῳ δεικνὺς ἅπασι καὶ κηρύττων τοῖς ἔργοις ὅτι σοφία βασιλείας τιμιώτερον καὶ ὡς ὅ τι ἐν αὐτῷ
καλὸν ἐνείη, τοῦτο δῶρον φιλοσοφίας. περιβαλὼν οὖν καὶ ἀσπασάμενος ᾗ νόμος τοῖς ἰδιώταις ἀλλήλους ἢ
βασιλεῦσί γε ἀλλήλους εἰσῆγεν οὐ μετέχοντα τῆς βουλῆς, κοσμεῖνF 304 ἡγούμενος οὐ τὸν ἄνδρα τῷ τόπῳ, τῷ
δὲ ἀνδρὶ τὸν τόπον, καὶ διαλεχθεὶς ἐν ἅπασιν οἷος ἐξ οἵου δι᾿ ἐκεῖνον γένοιτο, τῆς δεξιᾶς ἐχόμενος ἀπηλλάττετο.
τί διὰ τούτων ποιῶν; οὐκ ἀμοιβάς, ὡς ἄν τις ὑπολάβοι, μόνον ἐκτίνων τῆς παιδείας, ἀλλὰ καὶ τὴν πανταχοῦ
νεότητα, προσθείην δ᾿ ἂν καὶ γῆρας, πρὸς παιδείαν παρακαλῶν, ἐπεὶ καὶ γέροντες ἤδη πρὸς μαθήσεις
ἐκινήθησαν. πᾶν γὰρ ὑπὸ τῶν ἀρχόντων ἀτιμαζόμενον μὲν ὑφ᾿ ἁπάντων ἀμελεῖται, τιμώμενον δὲ ἀσκεῖται.
453
Auch Julian war davon überzeugt, dass ein Philosoph vor allem Vorbild sein müsse, anstatt nur mit Worten zu
lehren; siehe Iul. or. 6 (ad Them.), 266 B–C. Claudius Mamertinus behauptet indes, Julian habe trotz seiner verzichtsvollen persönlichen Lebensführung niemals andere dazu gedrängt, ihm ebenfalls zu folgen; siehe Paneg.
lat. 3 (11), 12.
452
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Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
dachte nämlich nicht an den bekannten vortrefflichen Ausspruch Ciceros, mit dem dieser derartige Leute brandmarkt und der folgendermassen überliefert ist: ‹Jene Philosophen schreiben ihren Namen selbst auf die Bücher, die sie über die Verächtlichkeit des Ruhms verfassen.
Denn sie möchten schon allein deswegen, weil sie Lob und Adel verachten, sich selbst gelobt
und genannt sehen.›» 454
Die so ganz andere Darstellung bei Ammian überrascht: Auch, wenn Ammian grundsätzlich relativ differenziert schreibt, bleibt Julian bei ihm im Grossen und Ganzen ein vorbildlicher Kaiser. Doch hier
scheint eine Kontroverse auch unter den Verehrern Julians durchzuscheinen: Das kaiserliche Verhalten
wird von Ammian in ähnlicher Weise hinsichtlich Julians Philosophentum interpretiert, aber völlig anders bewertet als bei Libanios. Das aufgeregte kaiserliche Verhalten kommt bei ihm ganz schlecht an:
Julians Bewegungen sind indecorus, effusus und intempestivus. Interessant ist auch der Verweis auf
den Kuss: Während Libanios lediglich erwähnt, dass Julian Maximos wie einen Standesgenossen begrüsst habe, macht Ammian das innige Küssen (exosculari) explizit. Kaiserliche Küsse waren in der Regel ein fester Bestandteil der salutatio und als solche reserviert für hohe aristokratische Würdenträger.
Kaiser küssten in der Regel also nur Senatoren, wobei diese Interaktion stets genau beobachtet
wurde. 455 Julians Verhalten erscheint Ammian insgesamt als unnötig auffällig und prahlerisch; die demonstrative Demut des Kaisers wirkt für den Geschichtsschreiber gekünstelt, oberflächlich und kalkuliert. Dies sind Attribute, die Ammian sonst gerne Kaiser Constantius anhängt, während Julian normalerweise das Gegenbild des authentischen Kaisers bildet. 456 Doch in diesem Moment vergass Julian,
«wer er war»: Er war aber der Kaiser, und in den Augen Ammians hatte sich ein solcher anders zu
verhalten.
Die dritte Quelle, die von Julians Eskapaden im Senat berichtet, ist der christliche Geschichtsschreiber
Sokrates. 457 Dieser berichtet, dass Julian die Nächte hindurch Reden schrieb, die er danach im Senat
hielt; explizit macht Sokrates darauf aufmerksam, dass Julian der einzige Kaiser seit den Zeiten von
Julius Caesar sei, der in dieser Versammlung Reden gehalten habe. Dieser historisch absurde Kommentar bringt zur Geltung, dass Julian hier etwas im Gegensatz zu seinen Vorgängern tat, das zur damaligen
454
Amm. 22,7,3 (Übers. Seyfarth): Frequentabat inter haec curiam agendo diuersa, quae diuisiones multiplices
ingerebant et cum die quodam ei causas ibi spectanti uenisse nuntiatus esset ex Asia philosophus Maximus,
exsiluit indecore et, qui esset, oblitus effuso cursu a uestibulo longe progressus exosculatum susceptumque
reuerenter / secum induxit per ostentationem intempestiuam, nimius captator inanis gloriae uisus praeclarique
illius dicti immemor Tulliani, quo tales notando ita relatum: ‹ipsi illi philosophi etiam in his libris, quos de
contemnenda gloria scribunt, nomen suum inscribunt, ut in eo ipso, quo praedicationem nobilitatemque
despiciunt, praedicari de se ac se nominari uelint.›
455
BADEL 2009 (Adventus et salutatio), 164. Insbesondere das Auslassen eines Kusses war brisant; man verstand
es als Ausdruck der kaiserlichen Ungnade. Der Kuss auf die Hand oder den Fuss wurde zunächst als Transgression
wahrgenommen, in der Proskynese der Spätantike wurde aber der Kuss auf den Mantel zur Norm.
456
Zu Constantius affektiertem Verhalten bei Ammian siehe unten S. 139.
457
Sokr. h.e. 3,1,54.
117
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
Zeit bereits höchst ungewöhnlich war. Zur Art und Weise, wie sich Julian im Senat verhielt, verrät Sokrates nichts. Doch im Zusammenhang mit Julians Hofreform in Konstantinopel erwähnt er, dass diese
Massnahmen von wenigen gelobt, von vielen jedoch kritisiert wurden, da durch die Reduktion des
Hofzeremoniells die kaiserliche maiestas beeinträchtigt wurde. Damit verweist Sokrates auf einen zeitgenössischen Diskurs, der um Julians Verhalten in Konstantinopel entbrannte. Mit dem Verweis auf
die fehlende kaiserliche Würde bekräftigt er zudem die Aussage Ammians, wonach Julian sich unkaiserlich verhielt. 458
Die parallele Überlieferung dieser Episode zeugt von ihrer Wichtigkeit: Der Kaiser war, auch wenn er
sich unter die Senatoren mischte, ständig im Zentrum der Aufmerksamkeit. Dazu gehörte auch eine
strenge Beobachtung seines körperlichen Verhaltens: Vermeintlich einfache Haltungen und Bewegungen wie Stehen, Gehen, Sitzenbleiben und Aufspringen, der Art und Weise der Begrüssung in Form von
Berührungen durch den Kaiser (Küssen, Umarmen, Hände halten) – all diese Momente waren in der
römischen Gesellschaft an sich schon bedeutungsgeladen. Bereits seit republikanischer Zeit wurde das
Verhalten der Teilnehmer an Senatssitzungen einer äusserst aufmerksamen Beobachtung unterzogen. 459 Besonders brisant musste es folglich sein, wenn nun der Kaiser höchstpersönlich mit Protokollen brach und sich nicht an die unausgesprochenen Regeln hielt, oder diese gar, wie Julian, in demonstrativer Absetzung von seinen Vorgängern, in sein Gegenteil verkehrte. 460
Dies wird auch durch eine andere doppelt überlieferte Episode bezeugt, die während Julians Aufenthalt in Konstantinopel stattfand. In seiner Dankesrede zum Konsulatsantritt lobt Claudius Mamertinus
in langen Ausführungen die Sparsamkeit, Authentizität und Zugänglichkeit des Herrschers. Schliesslich
kommt er auf den Tag seiner Ernennung zum Konsul zu sprechen. Die designierten Konsuln, Claudius
Mamertinus und ein gewisser Nevitta, hätten sich damals in der frühen Morgendämmerung auf den
Weg in den Palast gemacht, um den Kaiser zu begrüssen. Doch die beiden konnten nicht voraussehen,
was sie dort erwarten würde:
458
Sokr. h.e. 3,1,50–53. Sokrates beschliesst die Episode zudem mit der Bemerkung, dass, selbst wenn die Vertreibung der Friseure und Köche für einen Philosophen angemessen sei, die Unangemessenheit von Julians Verspottung seiner Vorgänger in den Caesares sich weder für einen Philosophen noch einen Kaiser zieme; siehe dazu
Kapitel «Kontrastprogramm Julian».
459
Vgl. dazu BARGHOP 1994, 85: «Im Sitzen, im Stehen, im Gehen, im Niederknien, im Handreichen, in allen diesen
elementaren Regungen des senatorischen Körpers entfaltete sich eine wortlose Kommunikation, in der Rangund Machtunterschiede symbolisch zum Ausdruck kamen. Jede elementare Veränderung der eigenen Körperhaltung im Verhältnis zum anderen galt dabei als Geste der Unterlegenheit. Das Aufstehen und das Beiseitetreten
waren Bewegungen des Respektserweises.». Für Bewegung und Gestik im republikanischen Rom siehe auch
CORBEILL 2004, speziell 109 f.; MEISTER 2012, 227–30.
460
Die symbolische Schlagkraft etwa der Positionierung auf Augenhöhe von Kaisern und Senatoren ist nicht zu
verachten. So beschreibt etwa bereits Plinius in seinem Panegyrikus auf Trajan (Plin. paneg. 71,1–3), wie dieser
aufstand, zu den einzelnen Senats-Kandidaten hinging und sie küsste. Dass der Princeps letztlich auf derselben
Ebene stand, wie die Kandidaten, sei ein ungewohnter Anblick gewesen.
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Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
«Man meldete unsere Ankunft dem Herrscher, der sich zu diesem Zeitpunkt gerade den Besuchern widmet, die ihm ihre Morgenaufwartung machen. Sogleich sprang er von seinem
Thron auf, als sei man ihm zuvorgekommen, mit aufgeregter und bestürzter Miene – so, wie
ich selbst hätte aussehen können, wäre ich meinem Herrscher zu spät entgegengeeilt. Nachdem sich die Heerscharen von Leuten, die uns vorausgingen, nur mit Mühe hatten zurückdrängen lassen, strengte er sich an, uns möglichst weit entgegenzugehen. Da, unter freudigem
Beifall aller – heilige Gottheit! Mit welchem Mund, mit welcher Stimme sagte er da: ‹Ave,
hochangesehener Konsul!› Er würdigte uns des Kusses – von jenem herrlichen Mund, der
durch seine Gespräche mit der Gottheit geheiligt war, und er gab uns die Rechte – jene ruhmvolle Rechte, unsterbliches Unterpfand der Vortrefflichkeit und Treue.» 461
Der Fokus des Panegyrikers liegt in diesem Abschnitt ganz auf der Hexis 462 des Kaisers. Dieselben Bewegungsmuster, die Julian bereits bei seinem Freund Maximos an den Tag legte, werden auch hier
hervorgehoben: Aufspringen, Entgegenkommen, Kuss und Händedruck. 463
Mamertinus beschreibt auch die «gequälte» Miene des Kaisers, die eher für einen Untergebenen gegenüber dem Kaiser als umgekehrt angebracht wäre. 464 Die Hervorhebung von Julians Gesichtszügen
lässt sich in eine lange Tradition der Beobachtung der kaiserlichen Miene stellen. Bereits in frühester
Prinzipatszeit wurden die Senatoren zu intensiven Beobachtern der Gesichtsausdrücke des Kaisers.
Dies zeigt sich besonders deutlich in den Annalen des Tacitus: Sein Porträt des Tiberius zeigt, wie sich
die Senatoren nicht mehr an den Worten oder Gesten des Kaisers zu orientieren suchten, sondern vor
allem auf seine Mimik blickten, um seine wahre Gesinnung zu erkennen und seine Verstellkunst zu
durchblicken. 465 Je mehr Worte und performative Akte als manipulierbar empfunden wurden, desto
stärker richtete man also den Fokus auf die Mimik, jenen letzten Ort scheinbar authentischer Aussagen.
Der Gesichtsausdruck, so die herrschende Vorstellung, konnte weniger gut lügen als der Rest des
Princeps und wurde somit zum «authentischen» Ausdruck der wahren Gesinnung des Herrschers. 466
Diese Beobachtung des Gesichts und der Augen des Kaisers begegnet in den verschiedenen Quellen zu
461
Paneg. lat. 3 (11), 28,3–4 (Übers. Müller-Rettig): Adventare nos principi forte tum danti operam salutatoribus
nuntiatur. Statim e solio tamquam praeceptus exsiluit vultu trepido atque satagente, qualis meus esse potuisset,
si principi serus occurrerem. Aegre remotis populi qui nos praegrediebatur agminibus, ut quam longissime nobis
obviam procederet laboravit. Illic gaudentibus cunctis, pro sancta divinitas! quo ore, qua voce ‹Ave› inquit, ‹consul
amplissime›. Dignatus osculo oris illius divinis adfatibus consecrati dexteram dedit, illam dexteram, immortale
pignus virtutis et fidei.
462
Zur Arbeitsdefinition von «Hexis» siehe oben, S. 22.
463
Im Gegensatz zum Kuss für Maximos handelte es sich hier jedoch um einen Kuss für Senatoren. Dadurch, und
durch den offiziellen Kontext der salutatio, waren die Küsse in dieser Situation durchaus angebracht. Die Betonung der Rechten des Kaisers bezeugt ein weiteres Mal die Bedeutung kaiserlicher Hände.
464
Nach der Meinung von GUTZWILLER 1980 (Claudius Mamertinus [1942]), 222, handelt es sich bei vultu trepido
atque satagente um einen sehr starken Ausdruck: satagere sei in der Bedeutung «in Not sein» ein Wort, das
vornehmlich in der Komödie vorkomme.
465
Siehe Tac. ann. 1,12,3; 3,15,2; 4,34,2; 4,59,2.
466
Vgl. dazu MEISTER 2012, 251–55; CORBEILL 2004, 140–67.
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Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
Julian und anderen spätantiken Kaisern mehrfach, wenn etwa bei Ammian die gallischen Soldaten versuchen, in den Augen des jungen Caesars Julian sein wahres Wesen zu erblicken. 467
Die Szene fand im Raum der morgendlichen salutatio am Kaiserhof statt; die Schar der Anwesenden
überschnitt sich wohl zu grossen Teilen mit dem Adressatenkreis der Rede, die Mamertinus anschliessend in der curia der Stadt hielt. 468 Mamertinus mag mit seiner Beschreibung im Panegyrikos übertrieben haben, doch gänzlich frei erfunden kann die Episode nicht gewesen sein. 469 Er überliefert denn
auch die Reaktion der Anwesenden auf Julians Verhalten. Deren Begeisterung scheint kaum Grenzen
gekannt zu haben:
«Wie sehr liess das Volk doch seiner grossen Freude ungebunden freien Lauf, als du deinen
Konsuln dein Lächeln schenktest! Da sahen wir Gesichter voller Bewunderung, starr vor Staunen, vielerlei Ausdrucksformen in den Haltungen der Menge in ihrer frohen Ausgelassenheit,
unterschiedliche Arten der Bewegungen ihrer Leiber. Die ungehemmte Freiheit, Lob zu spenden, liess die Freudenrufe in bunter Regellosigkeit erschallen. Die Menge sprang und tanzte
ausgelassen ohne Ende. Gefühle allzu grosser Freude achten nicht auf Schicklichkeit und
Würde. Die Togen, wie sie da flatterten, die Leiber, wie sie froh umhersprangen – all dies trug
sich zu, fast ohne dass die Menschen selbst es überhaupt wahrnahmen. Zügellose Freude und
Jubel hatten jegliche Zurückhaltung des Volkes, jegliche Scheu vor dir besiegt.» 470
Die Szene wirkt ekstatisch. Die Toga flattern zu lassen, galt als gängige Geste der Zustimmung. 471 Doch
die umherspringenden Leiber (exsultatium corporum) und der zügellose Jubel sprechen eine eindeutige Sprache. Die ungehemmte Freude, die Mamertinus hier beschreibt, scheint den Erfolg von Julians
467
Amm. 15,8,15–16. Weitere Beispiele: Amm. 25,4,22; Paneg. lat. 3 (11), 28,3; Paneg. lat. 3 (11), 6,4; Lib. or.
1, 129–130; Iul. or. 12 (mis.), 351 A; Greg. Naz. or. 5, 21; Greg. Naz. or. 5, 23; Ioh. Mal. 13,18. Vgl. auch für
Constantius: Amm. 21,16,19; für Konstantin: Paneg. lat. 6 (7), 17.
468
Vgl. Paneg. lat. 3 (11), 30,1: «Es mag vielleicht überflüssig erscheinen, was ihr selbst gesehen habt, nochmals
auszusprechen» (superfluum forte videatur quae vosmet ipsi vidistis iterare.) – Für eine Rekonstruktion des genauen Tagesablaufs siehe GUTZWILLER 1980, 229 f.
469
Dass die Aktion im Voraus abgesprochen war, ist jedoch eine Möglichkeit. ibid., 218-221, macht darauf aufmerksam, dass Mamertinus in den wenigen Stunden zwischen Begrüssung und Senatssitzung Claudius Mamertinus kaum die morgendlichen Ereignisse in seine Rede hätte einbauen können. Natürlich besteht immer die Möglichkeit einer nachträglichen Einarbeitung der Ereignisse zur Veröffentlichung der Rede, doch die fraglichen Kapitel sind ohne grosse Lücken nicht wegzudenken. Gutzwiller vermutet daher einen kalkulierten Empfang. Dafür
spreche auch, dass der demonstrative Akt der Zurschaustellung von civilitas schon lange unübliche Gebräuche
voraussetzte, deren Absprache unumgänglich gewesen seien. Das Ziel der Scharade sieht Gutzwiller darin, Julian
beim Volk durch seine vorgebliche Spontanität und Zwanglosigkeit beliebt zu machen. Dieser Verdacht ist einleuchtend, jedoch nicht zu beweisen. Die Tatsache, dass das kaiserliche Verhalten gemischte Gefühle auslöste,
bleibt davon ohnehin unberührt.
470
Paneg. lat. 3 (11), 29,1–3 (Übers. Müller-Rettig): In quantam laxatus est populus te consulibus tuis adridente
laetitiam! Vidimus attonitos admirantium vultuss, multiformes laetantium status, varios corporum motus.
Clamores inconditos profundebat laudandi effusa libertas. Tripudiabat crebris saltibus multitudo. Nimiae laetitiae
decoris sunt et gravitatis immemores. Illa iactatio togarum, illa exsultatio corporum nescientibus paene
hominibus excitabatur. Omnem modestiam populi, omnem verecundiam tui gaudia effrena superaverant.
471
Vgl. etwa Plin. paneg. 73,1.
120
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civilitas- und clementia-Demonstration zu bezeugen. Die Anwesenden lasen die kaiserliche Hexis bei
Mamertinus also richtig und nahmen sie in positiver Weise auf. Diese civilitas ist indes noch nicht erschöpft, denn Julian geht buchstäblich noch einen Schritt weiter:
«Und so bietet er sich gleich als Begleiter an und schreitet einher, beidseits umrahmt von den
Konsuln in ihrer purpurgesäumten Toga, ohne sich dabei in Art und Farbe seiner Kleidung erheblich von seinen Magistraten zu unterscheiden.
Es mag vielleicht überflüssig erscheinen, was ihr selbst gesehen habt, nochmals auszusprechen (man verlangt ja nicht danach, mit den Ohren zu vernehmen, was man schon mit den
Augen wahrgenommen hat): doch man muss es schriftlich dokumentieren, muss es in die Geschichtswerke aufnehmen und der Nachwelt übermitteln, was für Wunder sich zugetragen
haben, die künftigen Jahrhunderten kaum glaublich erscheinen können. Fast durch die Flügeltüren bis ins Innere des Palastes hinein liess er die Konsulssänften bringen und, als wir der
Ehrerbietung und dem Respekt gegenüber ihm den Vorrang einräumten und also jenen der
höchsten Würde vorbehaltenen Sitz zurückwiesen, da setze er uns fast mit eigener Hand darauf, mischte sich dann unter die Schar der togatragenden Bürger, und begann, zu Fuss voranzugehen, wobei er seine Schritte sozusagen nach dem Wink des Liktors und Befehl des Wegeordners ausrichtete. Wird das jemand glauben, der kurz zuvor den bekannten Hochmut jener
Purpurträger mitangesehen hat, die nur deshalb ihrer Umgebung Ehre zukommen lassen, um
nicht Leute verachten zu müssen, die nicht einmal mit Ehren ausgestattet sind?» 472
Der Kaiser geht zu Fuss durch die Stadt. Die Szene erinnert an eine Episode in Plinius’ Panegyrikus, in
der Trajan zu Fuss durch Rom ging und besonders nahbar wirkte. 473 Der Eindruck wird noch verstärkt
durch den Verweis, dass sich der Kaiser auch rein optisch kaum von den Senatoren unterscheidet. Die
Verschiebung der Szenerie unter freien Himmel ermöglichte womöglich auch der einfacheren Bevölkerung Konstantinopels einen Anblick des gehenden Kaisers. Für diese, die sich bis anhin Kaiser wie
Konstantin und Constantius gewohnt waren, muss dies ein aussergewöhnlicher Anblick gewesen sein.
So setzt auch Claudius Mamertinus, gleich wie Libanios, Kaiser Julian als den Inbegriff des civilis
princeps in Kontrast zu der elitär zelebrierten Distanz, die ein Kaiser wie Constantius II. an den Tag
legte. Folgt man Mamertinus, scheint Julians neue, eigentümliche Verhaltensweise ein voller Erfolg
472
Paneg. lat. 3 (11), 29,5–30,3 (Übers. Müller-Rettig): Itaque comitem se statim praebet et utrumque latus
consulibus, praetextatis tectus incedit, non multum differens a magistratibus suis et genere et colore vestitus.
Superfluum forte videatur quae vosmet ipsi vidistis iterare, neque enim auribus expetuntur quae fuerint usurpata
luminibus; sed mandanda sunt litteris, inserenda monumentis, mittenda in posteros venturis saeculis vix credenda
miracula. Paene intra ipsas palatinae domus valvas lecticas consulares iussit inferri et, cum honori eius
venerationique cedentes sedile illud dignitatis amplissimae recusaremus, suis prope nos manibus impositos
mixtus agmini togatorum praeire pedes coepit, gradum moderans paene ad lictoris nutum et viatoris
imperium. Credet hoc aliquis qui illa purpuratorum vidit paulo ante fastidia? – qui ideo tantum honorem in suos
ne inhonores contemnerent conferebant.
473
Siehe dazu Kapitel «‹tamquam figmentum hominis›: Der adventus des Constantius II. in Rom».
121
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
gewesen zu sein: Die Anwesenden lasen den kaiserlichen Habitus richtig und nahmen ihn in positiver
Weise auf. Fraglos blendete Mamertinus in seiner Dankesrede etwaige negative Stimmen aus. Dass es
solche gab, bezeugt uns wiederum Ammian, der die ganze Szene um einiges differenzierter beschreibt:
«Als der Neujahrstag gekommen war, wurden die Namen des Mamertinus und des Nevitta in
die Konsularlisten eingetragen. Bei dieser Gelegenheit sah man den Kaiser ohne den üblichen
Pomp zusammen mit den Standespersonen bei der Zeremonie zu Fuss einhergehen. Die einen
lobten diese Haltung, aber manche fanden sie affektiert und unwürdig.» 474
Ammian geht nicht weiter darauf ein, um welche Personen oder Gruppen es sich dabei handelt, doch
dass er die kritischen Stimmen erwähnt, lässt vermuten, dass auch er selbst nicht besonders angetan
war von dem sonderbaren Verhalten des Kaisers. Damit ist wiederum dieselbe Episode aus jeweils zwei
unterschiedlichen Perspektiven erhalten, die zeigen, dass Julians Verhalten nicht nur in Antiochia, sondern bereits in Konstantinopel gemischte Gefühle hervorrief. Die ganze Episode – vom Empfang der
Konsuln über die Begleitung zu Fuss – kennzeichnet einen frühen, aber für die Beobachter prägenden
Moment einer Grenzüberschreitung Julians, der das althergebrachte kaiserliche Protokoll wohl sehr
bewusst über den Haufen warf. In der durch eine besondere Ausgestaltung des Hofzeremoniells 475
geprägten Spätantike wird eine solche Aktion des Kaisers für alle Uneingeweihten ein Schockmoment
gewesen sein, was sich in der mehrfachen und divergierenden Überlieferung der Episode ausdrückt. 476
Als Julian einige Monate später in Antiochia einzog, legte er auch hier gleich von Beginn an ein ebenso
auffälliges Verhalten an den Tag. Bereits auf dem Weg von Konstantinopel nach Antiochia gab es nennenswerte Begegnungen: So berichtet etwa Ammian, dass Julian auf dem Weg nach Antiochia in einer
Grenzstation den Provinzstatthalter Kelsos, den er noch von seinen Studien in Athen kannte, mit einem
Kuss empfing, ihn neben sich im Wagen sitzen liess und so in die Stadt Tarsos einfuhr. 477 Auch der
darauffolgende adventus in Antiochia wurde von Ammian beschrieben. Doch eine besonders eigenartige Begegnung liess dieser aus. Libanios, der damals in seiner Heimatstadt auf den Kaiser wartete,
konnte seine Vorfreude wohl kaum in Zaun halten. Umso grösser wäre beinahe seine Enttäuschung
gewesen, wie er in einem Brief an seinen Freund, den eben genannten Kelsos, schreibt:
474
Amm. 22,7,1 (Übers. Seyfarth): Allapso itaque kalendarum Ianuariarum die cum Mamertini et Neuittae
nomina suscepissent paginae consulares, humilior princeps uisus est in officio pedibus gradiendo cum honoratis,
quod laudabant alii, quidam ut affectatum et uile carpebant.
475
Siehe dazu Kapitel I.
476
Die Episode fällt auch in denselben Zeitraum, in dem Julian seine beiden Reden gegen die Kyniker hielt, was
eine ebenso grobe Missachtung des kaiserlichen Protokolls darstellte (siehe oben S. 77).
477
Amm. 22,9,13.
122
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
«Kaum hatte der Kaiser dich entlassen, da traf er hier ein, und beinahe wäre er wortlos an mir
vorübergegangen, da mein Gesicht sich durch das Alter und die Krankheit 478 verändert hatte;
aber als sein Onkel und Namensvetter ihm sagte, wer ich bin, da machte er auf seinem Pferd
eine wunderbare Bewegung, ergriff meine Rechte und hielt sie fest. Dabei streute er Scherze
auf mich, liebenswerter als Rosen, und ich erwiderte sie nach Kräften. Er aber war in beidem
bewundernswert, dem, was er sagte, und dem, was er sich sagen liess.» 479
Die Situation ist geprägt von einer gewissen Komik: Es ist schwer vorstellbar, wie Julians «wunderbare
Bewegung» und das Halten von Libanios’ Hand vom Pferd herab nicht eine gewisse Unbeholfenheit
des Kaisers ausdrückte. Dieser Eindruck wird verstärkt durch die nicht zu unterschätzende Bedeutung,
die dem kaiserlichen Handschlag zukommt. 480 Julian selbst behielt sich den Handschlag üblicherweise
nur für engste Freunde vor. 481
Julian reagiert hier ähnlich überrascht und situativ wie bereits bei dem (vermeintlich) unvorhergesehenen Anblick der Konsuln Mamertinus und Nevitta. Doch nun scheint es, als wäre er tatsächlich ein
wenig mit der Situation überfordert gewesen. Der ganze adventus, der auch von religiösen Wehklagen
und Trauergesängen begleitet wurde, entwickelte sich ohnehin bereits in einer ungünstigen Art und
Weise. 482 Nun sass der Kaiser da auf dem Pferd, und hielt umständlich die Hand des danebenstehenden Libanios fest. 483
Vielleicht versuchte Julian seinen faux pas gegenüber Libanios wieder gut zu machen, indem er ihm
durch eine Einladung zu den Neujahrsfeierlichkeiten 363 eine besondere Ehre erwies. Libanios sollte
dazu eine Lobrede anlässlich Julians viertem Konsulatsantritt verfassen (oratio 12). 484 Das tat er natürlich, und es stellte sich als besonders glänzende Rede heraus. Noch Jahre später erinnert sich Libanios
in seiner Autobiographie an die Reaktion des Kaisers:
478
Ein nicht näher bekanntes Kopfleiden, worunter er seit seiner Jugend (wo er «vom Blitz getroffen» wurde)
leidet und zu dessen Linderung er regelmässig die Hilfe eines Asklepios-Heiligtum in Tarsos aufsucht; vgl. Lib.
epist. 12 [727 F]; FATOUROS/KRISCHER 2014 (Libanios. Briefe), 284–88.
479
Lib. epist. 47 [736 F] (Übers. Fatouros/Krischer): Οὐκ ἔφθη σε ἀφεὶς ὁ βασιλεὺς καὶ συνέμιξεν ἐμοὶ καὶ μικροῦ
μὲν σιγῇ παρέδραμεν ἠλλοιωμένου μοι τοῦ προσώπου καὶ χρόνῳ καὶ νόσῳ, φράσαντος δὲ τοῦ θείου τε καὶ
ὁμωνύμου πρὸς αὐτόν, ὃς εἴην, κίνησίν τε ἐκινήθη θαυμαστὴν ἐπὶ τοῦ ἵππου καὶ τῆς δεξιᾶς λαβόμενος οὐ μεθίει
σκώμμασί τε χαριεστάτοις καὶ ῥόδων ἡδίοσιν ἔπαττέ με καὶ αὐτὸν οὐκ ἀπεχόμενον τοῦ σκώπτειν. ὁ δὲ
ἀμφοτέροις ἦν θαυμαστός, οἷς τε ἔλεγεν οἷς τε ἠνείχετο.
480
Das Reichen des rechten Armes (dextrarum iuncto) gilt in jedem Fall als Geste besonderer der Freundschaft,
Nähe und des Vertrauens; vgl. Badel 2009, 162-163.
481
Siehe Amm. 21,5,11-12: Dem Präfekten Nebridius, den Julian zwar vor seinen wütenden Soldaten schützte,
verweigerte er das Reichen der Hand; dies sei seinen Freunden als besonderer Vorzug vorbehalten.
482
Zur Ankunft während des Adonis-Festes siehe oben, S. 52.
483
FATOUROS/KRISCHER 2014, 380 betonen – nach einem eher seltsamen Vergleich mit einer Shakespeare-Stelle –
ebenfalls, dass die Episode eine für die Zeit ungeheuerlich anmutende Verachtung des Protokolls von Seiten Julians aufzeigt. Eine solche Geste wäre für Diokletian oder Konstantin undenkbar gewesen.
484
Aus einem Brief des Libanios ist ersichtlich, dass Julian einigen Druck zur rechtzeitigen Veröffentlichung auf
ihn ausübte: Lib. epist. 96 [785 F].
123
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
«Der Kaiser selbst hatte für zahlreiches Publikum gesorgt. Hermes, so behauptete man, nahm
sich seines Dieners an und berührte jeden einzelnen Zuhörer mit seinem Stab, auf dass kein
Wort wirkungslos verklinge. Auch der Kaiser beteiligte sich: zuerst war ihm die Begeisterung
vom Gesicht abzulesen; dann konnte er nicht mehr ruhig sitzen; schliesslich versagte die mühsam bewahrte Selbstbeherrschung, er sprang von seinem Sessel auf und spannte mit den Armen seinen Mantel weit aus. ‹Er verlor die Haltung›, hätte solch ein ungebildeter Lümmel
gesagt; wer aber eine richtige Vorstellung von der Würde des Herrschertums besass, konnte
sein Benehmen nur als angemessen bezeichnen: Was gibt es Königlicheres, als wenn eines
Königs Geist bei der Schönheit des Wortes sich erhebt?» 485
Nun bekamen auch die Antiochener einen «bewegten» (im doppelten Sinne des Wortes) Kaiser zu
sehen. Vieles kommt hier kommt nochmals zusammen: Die Betrachtung der Miene des Kaisers verrät
seine Zustimmung; wieder springt der Kaiser von seinem Sitz auf; nun ist er es aber, der seinen Mantel
ausweitet und somit Zustimmung bekundet. Dieses ausgelassene Verhalten des Kaisers brachte Libanios offensichtlich in Erklärungsnot. Zum ersten Mal nimmt Libanios an dieser Stelle die Kritik auf, die
wegen des eigentümlichen kaiserlichen Verhaltens geäussert wurde. Dass der Kaiser «die Haltung verloren» habe, muss eine häufig geäusserte Meinung gewesen sein; ansonsten wäre Libanios nicht darauf eingegangen. Die von gegnerischer Seite aberkannte kaiserliche Würde Julians zeigte sich für Libanios aber in dessen klassischer Bildung: So erklärt Libanios denn auch anschliessend Julians Enthusiasmus durch dessen eigene Erfahrung als Schriftsteller, der ja selbst oft die Nächte durchwachte und
Reden verfasste – deshalb könne er wie kaum ein anderer beim Anhören schöner Reden «die Fassung
verlieren». 486 Damit schliesst Libanios an das bereits vorhin formulierte Erklärungsmodell an, das den
Kaiser nun zwar nicht als Philosophen, aber als Rhetor beschreibt und dadurch dessen Verhalten verständlich macht.
Gerade dieses Erklärungsmodell wurde von christlichen Autoren vehement abgewiesen. So etwa für
den bereits erwähnten Sokrates, der die Rolle des Philosophen mit der des Herrschers als in der Praxis
unvereinbar ansah. 487 Auch Gregor von Nazianz vergass nicht, wie Julian sich bewegte. Er zeigt sich
zutiefst irritiert von Julians Habitus: dessen bewegter Nacken und Schultern, sein aufgeregter Blick,
unsicherer Gang, lautes Lachen und stockendes Sprechen. Das Bild, das Gregor von Julian vermittelt,
Lib. or. 1, 129 (Übers. Wolf): ὡς δὲ ἀπέδυν ὕστατος αὐτοῦ τοῦ βασιλέως, ὅπως ὅτι πλεῖστοι συνέλθοιεν,
φροντίσαντος, τὸν Ἑρμῆν ἔφησαν τοῦ θεράποντος κηδόμενον τῇ ῥάβδῳ κινεῖν τῶν ἀκροωμένων ἕκαστον, ὅπως
μηδ’ ὁτιοῦν ὄνομα θαύματος ἄμοιρον ἀπέλθῃ. βασιλεὺς δὲ τὰ πρῶτα μὲν τῇ διὰ τῆς μορφῆς ἡδονῇ μηνυομένῃ
συνετέλει, ἔπειτα τῷ μέλλειν ἀναπηδᾶν, ἔπειτα, οὐ γὰρ δὴ κατεῖχεν αὑτὸν καὶ σφόδρα πειρώμενος, ἥλατο μὲν
ἐκ τοῦ θρόνου, τῆς χλαμύδος δὲ ὁπόσον ἐξῆν, ταῖν χεροῖν ἀνεπέτασεν, ὡς μὲν ἂν εἴποι τις τουτωνὶ τῶν ἀγγάρων,
ἐκφερόμενος τοῦ σχήματος, ὡς δ’ ἂν ἀνὴρ εὖ εἰδώς, οἷς ἂν σεμνὴ βασιλεία γένοιτο, ἄρα ἐν τοῖς προσήκουσι
μένων· τί γὰρ δὴ βασιλικώτερον τοῦ βασιλέως ψυχὴν πρὸς κάλλη λόγων ἀνίστασθαι.
486
Lib. or. 1, 130.
487
Siehe dazu unten, Kapitel «Kontrastprogramm Julian».
485
124
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
ist das einer nervösen, zuckenden, sich ständig in Bewegung befindlichen Person. Sein Verhalten ist
«anormal» (ἀνωμαλία). 488
Die Beschreibung trifft freilich auf den noch jungen Studenten Julian zu. Doch es handelt sich dabei um
eine ex post-Beschreibung Gregors, bei der er sein späteres Wissen über den bewegten Kaiser auf ihre
Begegnung in Athen rückprojiziert. Diese Beobachtungen lassen Gregor, in der Manier eines Physiognomikers, präzise Urteile über den Charakter des zukünftigen Kaisers fällen. Das unruhige Gebärden
und seine ungezügelte Art der Kommunikation verraten eine innere Unruhe, während bei Libanios das
aufgeregte Wortgestöber homerische Züge aufwies. Dass man es auch noch beim späteren Augustus
Julian mit einem sehr unruhigen Kaiser zu tun hatte, wird auch Gregor zu Ohren gekommen sein, dessen Bruder eine Stelle als Arzt am Hof Julians innehatte. 489 Tatsächlich beschreibt Gregor Julian dann
auch als einen lauten, aufgeregten, übertrieben bewegten Kaiser:
«War es nicht Ruhm für seine philosophische Bildung, dass er gleich denen unter den früheren
Kaisern, welche sich durch ein gesetztes, ruhiges Benehmen auszeichneten und in kritischen
Momenten nicht einmal mit den Augen zuckten und nicht eine Spur von Leidenschaft hinterliessen, sich so sehr von Aufregung freihielt und so sehr über den Leidenschaften erhaben war,
dass er bei Rechtsprechungen in seinem Palaste erschütternden Lärm schlagen liess, gerade
als hätte er nicht anderen in ihrem Leid zu helfen gehabt, sondern als wäre er selbst der Vergewaltigte und Gezüchtigte gewesen?» 490
Hier wird Julians Habitus direkt mit demjenigen seiner unmittelbaren kaiserlichen Vorgänger beschrieben. Tatsächlich war insbesondere Constantius II. noch dafür bekannt, dass er sich in der Öffentlichkeit
unbeweglich und teilnahmslos gab. 491
Es lässt sich festhalten, dass Julian ein bewegter Kaiser war, der bewegte. Julians Hexis entsprach nicht
den zeitgenössischen Vorstellungen davon, wie sich ein Kaiser zu bewegen hatte. Bereits kleinste Unterschiede im Sitzen, Stehen, Küssen und Gehen schrieben sich in verschiedene Quellen ein, und sehr
häufig wird Julian direkt mit seinen unmittelbaren Vorgängern verglichen, deren Verhalten offenbar
gänzlich anders wahrgenommen wurde. Die verschiedenen projulianischen Quellen liefern teilweise
Erklärungsmodelle für Julians Hexis, die sich zumeist auf seine civilitas beziehen; teilweise halten sie
auch nur resigniert fest, dass die kaiserlichen Gebärden gemischte Gefühle hervorriefen. Die spätere
488
Greg. Naz. or. 5, 23; siehe oben, S. 89.
Zu diesem für Gregor und seine Familie offenbar sehr unglücklichen Arbeitsverhältnis seines Bruders Caesarius siehe BAUMANN 2018, 106–16.
490
Greg. Naz. or. 5, 21 (Übers. Haeuser): Ἐκεῖνο δὲ πῶς οὐκ ἐπαινετὸν τῆς τοῦ φιλοσόφου παιδεύσεως, ὅτι
τοσοῦτον ἀόργητος ἦν, καὶ τῶν παθῶν ὑψηλότερος, κατὰ τοὺς πώποτε τῶν βασιλέων ἀτρέπτους καὶ ἀκινήτους,
καὶ μηδ’ ἂν, εἴ τι γένοιτο, τοῦ προσώπου τι παρατρέψαντας, ἢ πάθους ἴχνος ἐπισημαίνοντας· ὥσθ’ ὅτι μὲν βοῶν
καὶ σεισμῶν ἐπλήρου τὰ βασίλεια δικάζων, ὥσπερ αὐτὸς ὢν ὁ τυραννούμενος καὶ ζημιούμενος, οὐκ ἄλλοις
ταῦτα πάσχουσιν, ἐπαμύνων.
491
Siehe Kapitel ‹«tamquam figmentum hominis»: Der Adventus des Constantius II. in Rom›.
489
125
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
christliche Polemik beschrieb Julians Hexis als Ansammlung unwillkürlicher, nervöser Äusserungen, die
physiognomisch zuungunsten des Kaisers ausgewertet werden konnten.
Ein unsichtbarer Kaiser
Die Kaiserbilder, an deren Genese die unterschiedlichen zeitgenössischen Autoren arbeiteten, sind nur
sehr punktuelle Aufnahmen einer sehr viel breiteren Wahrnehmung des Kaisers in der römischen Bevölkerung. Für die einfache Bevölkerung stellte sich zuerst nicht so sehr die Frage, wie sie den Kaiser
sahen, sondern ob sie ihn überhaupt sehen konnten.
Bei der Lektüre des Misopogon wird ersichtlich, dass sich Julian zumindest in Antiochia von den Spielen
im Theater und Hippodrom grundsätzlich fernhielt. Er schränkte die Schauspielkunst auf ein Minimum
ein. 492 Dies war ein wesentlicher Reibungspunkt zwischen ihm und der Bevölkerung. Dabei vermied
Julian Spiele nicht immer und überall; es sind mehrere Stellen in den Quellen nachweisbar, die auf von
Julian ausgeführte Spiele hinweisen: So etwa nach seinem Einzug in Sirmium, oder gar während des
Feldzuges in Persien. 493 Dass Julian insbesondere in Antiochia die Spiele vermied, könnte also weniger
mit einer Abneigung gegenüber den Spielen zusammenhängen, die aus seiner philosophischen Erziehung resultierte, sondern vielmehr damit, dass er in Antiochia bei jeder Gelegenheit, bei der er sich
öffentlich zeigte, dem Spott preisgegeben war. Dieser vermeintliche Ausweg führte aber nur zu weiteren Angriffen. 494
Wie aus dem Misopogon ersichtlich ist, beschränkte sich der Spott nicht nur auf die festlichen Aktivitäten der Kalenden, sondern war ein Phänomen, dem Julian grundsätzlich begegnen konnte; so kritisiert er etwa, dass die Antiochener den Spott auf die öffentlichen Plätze hinaustrugen, oder gar Pamphlete mit Schmähreden in der ganzen Stadt anzutreffen waren. Zuweilen hatte Julian auch keine Wahl,
den Spielen fernzubleiben: Die pompa circensis, ein traditionell wichtiges paganes Fest am 3. Januar,
an dem die Konsuln Götterbilder tragend oder gar als Götter verkleidet von der Agora in den Circus
zogen, muss für Julian ein wichtiges Ereignis gewesen sein, an welchem er vermutlich persönlich teilnahm. Solche Ereignisse boten viele Gelegenheiten für das Volk, mit dem Kaiser in Kontakt zu treten
und luden zu Spottversen ein: Wenn Julian die Antiochener rügt, weil sie ihn öffentlich «auf dem
Marktplatz» beschimpften, bezieht er sich vielleicht auf den Spott während eines solchen Festzugs. 495
Auch Libanios erwähnt, wie sich im Hippodrom Antiochias die aufgebrachte Menge bei Julian über
ihren Hunger beschwerte. 496 Zosimos macht im Verhalten des Kaisers sogar den Hauptgrund für den
492
Iul. or. 12 (mis.), 344 A.
Amm. 21,10,1–2 bzw. Eun. frg. hist. 27.3–4.
494
Vgl. Iul. or. 12 (mis.), 344 B.
495
Siehe GLEASON 1986, 110.
496
Lib. or. 18, 195.
493
126
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
Spott der Antiochener aus, die eben von Natur aus schaulustig seien und sich über das Masshalten des
Kaisers ärgerten. 497
Circus, Theater und Hippodrom waren für die Bevölkerung ein wichtiger traditioneller Kommunikationsraum. Besonders die gemeinsame Versammlung im Theater bot eine Gelegenheit, bei der ein normaler Bürger einen Blick auf den Kaiser erhaschen und ihm seine Anliegen und Klagen in der anonymen
Masse vermitteln konnte. 498 Bei diesen Angelegenheiten boten die architektonischen Voraussetzungen eine aussergewöhnliche Exponiertheit des Kaisers. Besonders das Hippodrom eignete sich angesichts seiner baulichen und szenischen Voraussetzungen ausgezeichnet für institutionalisierte Kommunikation: Der Kaiser sass weithin sichtbar in seiner Loge und konnte von Zehntausenden auf einmal
gesehen werden. Das weite Rund des Bauwerks vermittelte den Zuschauern zudem ein gewisses Gefühl der Einheit als Bevölkerung der Stadt, welche durch den Zustand des gemeinsamen Sitzens und
gegenseitigen Sehens verstärkt wurde. Im Gegensatz zu einem adventus waren die stunden- oder tagelang andauernden Veranstaltungen im Hippodrom «statische» Angelegenheiten, bei denen der Kaiser ständig beobachtet werden konnte und nicht durch Leibwachen und Amtsträger verdeckt war. In
kaum einer Situation war der kaiserliche Körper also so exponiert und sichtbar wie im Hippodrom. 499
Egon Flaig machte auf die Wichtigkeit der Spiele als Konsensritual aufmerksam. 500 Gelegentlich ostentativ das zu tun, was die Untertanen taten (d.h. aufmerksam den Spielen beizuwohnen) konnte als
Annäherung des Herrschers an die Beherrschten gelesen werden, was letztlich eine herrschaftsstabilisierende Funktion hatte. Doch wenn sich der Herrscher diesem Ritual entzog und damit wiederholt
dem erwünschten «Imago» zuwiderhandelte, konnte ihm die plebs im schlimmsten Fall die Akzeptanz
aufkündigen. 501 Zumindest musste ein Kaiser aber mit Kritik und Spott rechnen, wenn er den Spielen
nicht oder zu wenig aufmerksam beiwohnte. 502 Spiele waren ebenfalls eine Gelegenheit für die Kaiser,
ihre civilitas auszudrücken. 503 Diese kommunikative Funktion musste in den Provinzstädten, die mit
dem Kaiser nur selten in Kontakt treten konnten, von besonderer Wichtigkeit sein. 504
Julian scheint es vermieden zu haben, sich dieser traditionellen Form der Kommunikation mit der Antiochenischen Öffentlichkeit auszusetzen. Dabei war ihm selbst bewusst, dass seine Vorgänger im Amt
497
Zos. 3,11,4–5. Als paganer Autor ignoriert Zosimos die religiösen Konflikte und übergeht auch die Fehler in
Julians Wirtschaftspolitik.
498
LEHNEN 1997 (Adventus principis), 193–95.
499
PFEILSCHIFTER 2013, 344.
500
FLAIG 2019, 83.
501
Ibid., 111–15.
502
So wurde nach der Überlieferung der Historia Augusta etwa Mark Aurel bereits vom Volk verspottet, weil er
die Angewohnheit hatte, im Circus zu arbeiten: SHA Marc. Aur. 15,1.
503
Vgl. WALLACE-HADRILL 1982 (Civilis Princeps: Between Citizen and King), 38: Dies hänge damit zusammen, dass
das Theater und die spectacula in der frühen Kaiserzeit in gewisser Weise die comitia als «offizielle» Versammlung des populus Romanus ersetzten: Spiele boten die beste Gelegenheit, den Willen des Volkes zum Ausdruck
zu bringen.
504
LEHNEN 1997, 194 f.
127
Im Auge des Betrachters: Julians Körper in der Praxis
sich diesbezüglich ganz anders verhielten: Er macht selbst Anspielungen auf Constantius und Gallus,
die sich den Spielen in Antiochia genüsslich hingaben. 505 Julian versuchte sich auch hier von seinen
Vorgängern abzusetzen. Was aber für Julian ein Anzeichen für Genusssucht ist, wurde von den Antiochenern als wichtige Anerkennung seitens des Kaisers gesehen. Diese hielt ihnen der neue Kaiser vor,
der zugleich in den aristokratischen, d.h. für die Bevölkerung nicht zugänglichen Räumen von Konsuln
und Rhetoren wie Mamertinus und Libanios seiner Bürgernähe gerühmt wurde. Julian war gab sich für
die Antiochener als unsichtbarer Kaiser, der den traditionellen Kommunikationsräumen fernblieb,
während er noch in Konstantinopel demonstrativ mit seinen Konsuln zu Fuss durch die Strassen ging
und seine civilitas feiern liess.
Zwischenfazit
Es lassen sich unterschiedliche Kaiserbilder ausmachen, die in der Julian-freundlichen Tradition vorkamen. Grundsätzlich einig war man sich bezüglich Julians asketischer Lebensweise, die sogar unter Julian-feindlichen Quellen zuweilen Anerkennung findet. Jedoch zeigt sich, dass auch unter Julians Bewunderern nicht jeder Aspekt seines Habitus wohlwollend aufgenommen wurde. Die verschiedenen
Autoren versuchten, jeder auf seine Art, aus dem vielschichtigen Kaiser schlau zu werden und projizierten für sie verständliche, lobenswerte Rollen auf ihn: So ist Julian bei Ammian in erster Linie Soldat,
bei Libanios ist Julian Hellenist und Ausbund an civilitas. Während Libanios durch diese Brille weniger
Probleme hatte, Julians Verhalten unter Konsuln einzuordnen, zeigt sich Ammian in derselben Beschreibung sehr viel distanzierter. Auch unter den Soldaten kam Julians philosophisches Gehabe
schlecht an, und er musste darauf achten, sie bei Laune zu halten; ansonsten lief er Gefahr, sich aufgrund seiner wahrgenommenen griechischen Herkunft und seines Intellektualismus von seinen Soldaten zu entfremden. Die Bevölkerung Antiochias wünschte sich indes vor allem einen Herrscher, der die
Wirtschaft wieder in Schwung bringt; man interessierte sich nicht für Julians militärische und noch viel
weniger für seine philosophischen Leistungen. Dass Julian den zum Teil hungernden Antiochenern
seine asketische Lebensweise nahebringen wollte, kam – wenig überraschend – ganz schlecht an und
zeigt eine gewisse Realitätsferne des Kaisers an.
505
Iul. or. 12 (mis.), 340 A (Übers. Giebel).
128
V. Das spätantike Kaiserzeremoniell
Ein Herrscher tritt selten allein auf. Herrscherkörper sind daher nicht isoliert zu betrachten; sie sind
eingebunden in ein Zeremoniell, welches die Sichtbarkeit des Herrschers, seine Entourage und im Normalfall eine gewisse Menge an Pomp und Luxus umschliesst. Es markiert den Herrscherkörper als etwas Besonderes und erhebt ihn zum Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Regeln des Zeremoniells galten
auch für Julian: Als Kaiser konnte er sich den gängigen Formen kaiserlicher Repräsentation nicht entziehen. Das spätantike Kaiserzeremoniell ist in der althistorischen Forschung bereits eingehend untersucht worden. Die Ausgestaltung der kaiserlichen Repräsentation seit Diokletian und Konstantin wurde
dabei häufig als besonders ausgeprägt im Vergleich zu früheren Epochen gesehen. Um die Konflikte
um Kaiser Julian besser verstehen zu können, lohnt es sich, einen genaueren Blick auf diesen Kontext
zu werfen. Neben einer allgemeinen Darstellung der wichtigsten Aspekte kaiserlichen Repräsentation
liegt der Fokus im Folgenden insbesondere auf dem kaiserlichen Habitus und seiner Einbettung im
spätantiken Kaiserzeremoniell.
Die Begriffe «Herrscherzeremoniell» und «Kaiserzeremoniell», gelegentlich auch «(kaiserliches) Protokoll» und andere werden in der Forschung zum spätantiken Kaisertum zumeist synonym verwendet;
weiter wird auf eine klare Unterscheidung zwischen Herrscher‑ und «Hofzeremoniell» weitgehend verzichtet. 506 Mit dem Kaiserzeremoniell ist allgemein die öffentliche Lebens- und Amtsführung der römischen Kaiser gemeint, welches wiederum in ein Hofzeremoniell eingebunden war, welches ausser dem
Kaiser auch alle anderen am Hof lebenden und arbeitenden Personen umfasste. 507 Die Funktionen des
Zeremoniells waren also einerseits auf die Person des Herrschers gerichtet, andererseits auf die Struktur und Kommunikation innerhalb des Hofes und zwischen dem Kaiser und seinen Untergebenen. Das
Kaiserzeremoniell hatte die klare Unterscheidung zwischen dem Kaiser und seinen Untergebenen sowie die Erhöhung des Herrschers zum Ziel, welche häufig auch mit der Schaffung eines überweltlichen
Nimbus um die Person des Kaisers einherging. Damit diente es auch zur Bekräftigung und Legitimation
der kaiserlichen Herrschaft. Zugleich wurde aber auch ein religiöses Bedürfnis der Bevölkerung erfüllt,
eine gottähnliche Gestalt zu verehren. Das Zeremoniell regelte die Beziehung zwischen der irdischen
und der göttlichen Ordnung, sowie es auch die Kommunikation zwischen dem Herrscher und seinen
Untergebenen am Hof und ausserhalb des Hofes regelte. 508 Die drückte sich insbesondere durch die
506
Vgl. etwa die RAC-Artikel «Kaiserzeremoniell» (2001), «Hofzeremoniell» (1994), sowie auch «Herrscherbild»
und «Herrschaftszeichen» (1988), die wechselseitig aufeinander verweisen und sich inhaltlich mehrheitlich überschneiden.
507
BRAKMANN 1994 (s.v. «Hofzeremoniell»), 1. Da die vorgestellten Begriffe nicht sinnvoll voneinander zu trennen
sind, wird im Folgenden der Begriff «Kaiserzeremoniell» unter Einschluss aller anderen Termini verwendet.
508
WHITBY 2001 (s.v. «Kaiserzeremoniell»), 1136 f.
129
Das spätantike Kaiserzeremoniell
rituelle Gestaltung jedes öffentlichen Auftretens des Kaisers aus und umfasste Kleidung, Schmuck, Bewegung, Haltung, Transport und Begleitung des Kaisers.
Orientalismus-Diskurse in der Tetrarchie
In zwei klassisch gewordenen Aufsätzen, die später in einem Band zusammengefasst wurden, 509 untersuchte Andreas Alföldi in den 30er-Jahren das tetrarchische Kaiserzeremoniell und die Veränderungen in der kaiserlichen Repräsentation unter Diokletian. Seine Untersuchungen zum Hofzeremoniell,
römischen Herrschaftsinsignien und anderen spätantiken kaiserlichen Repräsentationsformen sind bis
heute einflussreich.
Aufgrund des toposhaften Charakters der antiken Beschreibungen von Diokletians angeblichen Neuerungen sah er diese als nicht authentisch an und machte die «tatsächliche Ausgestaltung des monarchischen Zeremoniells» zum Thema seines ersten Aufsatzes. Alföldi zeichnet darin die Vorbedingungen
für das spätantike Kaiserzeremoniell innerhalb der römischen Tradition nach, die teilweise bis in die
Zeit des Prinzipats zurückreichen, um aufzuzeigen, dass die angeblichen Neuerungen Diokletians in
Wahrheit der Kulminationspunkt einer langen Entwicklung waren. Insbesondere verfolgte Alföldi die
Entwicklung des Huldigungsaktes der Proskynese, die von ihm als eine zusammengesetzte Handlung
definiert wurde, in welcher «küssen» und «zu-Füssen-fallen» inbegriffen waren. 510 Er zeigte auf, dass
sie bereits im frühen Prinzipat begann und sich spätestens unter Kaiser Commodus durchgesetzt hat,
sodass Diokletian kaum als Urheber der Einführung des Kniefalls angesehen werden könne. 511 Untersuchungen über die adoratio vor den Kaiserbildern, die Akklamationen gegenüber dem Herrscher, den
Paradezug durch die Stadt und dessen Angleichung an den Triumph, über den Gebrauch von Sänften
und Wagen sowie über weitere Attribute des Zeremoniells beschliessen den ersten Teil von Alföldis
Werk. In allen Bereichen zeichnet er eine lange Entwicklung nach, welche unter Diokletian oft nur einen neuen Höhepunkt erreichte.
Anschliessend an die Darstellung der Gesamtentwicklung des Kaiserzeremoniells fasste Alföldi in seinem zweiten Aufsatz die Herrschaftsinsignien ins Auge. Detailliert beschrieb er die kaiserlichen Repräsentationsformen und ihrer Entwicklung. Dazu gehören Amtsabzeichen, das Triumphalkostüm und die
Feldherrentracht, sowie die Attribute, die im Zusammenhang mit der Krönung wichtig sind, wie der
Purpurmantel und das Diadem. Es dürfe, so Alföldi, nicht vergessen werden «dass die Zeremonien der
Thronbesteigung im Altertum überall nichts weiter als ein Ankleiden gewesen sind». 512 Mit der Über-
509
ALFÖLDI 1980.
Ibid., 46 f.
511
Ibid., 53–59, speziell 58.
512
Ibid., 168.
510
130
Das spätantike Kaiserzeremoniell
windung des bürgerlichen Charakters des Prinzipats sei der Feldherrenmantel als purpura zur ausschliesslichen Verkörperung des Kaisertums geworden, welches fortan anstatt der auctoritas der Person und dem consensus der Bürger als Machtsymbol die Herrschaft rechtfertigte. 513 Eine Neuerung sah
Alföldi jedoch interessanterweise im militärischen Charakter von Julians Erhebung zum Augustus. Obwohl er für die Krönung mit dem Torques und der damit «untrennbaren» Schilderhebung Vorläufer
annimmt, ist diese Art der Erhebung erstmals für Julian für das Jahr 360 nachweisbar. Diese militärische
Form der Kaiserkrönung sei noch im 5. Jahrhundert mit der christlichen Zeremonie verbunden worden
und habe das Krönungsritual des Mittelalters wesentlich mitgeprägt. 514 In einem zweiten Teil macht
Alföldi dann auf die im Laufe der Kaiserzeit zunehmende Sakralisierung der Kaiserherrschaft aufmerksam, neben der juristischen Festlegung von sakralen Herrschaftsbegriffen auch durch eine immer häufigere Übernahme von religiösen Beinamen in die Kaisertitulatur oder die Siegernamen, welche im Lauf
der Zeit von Titeln, die im Rahmen spezifischer Siege verliehen wurden, zu Beinamen, welche eine
allgemeine Sieghaftigkeit des Herrschers ausdrücken. Der Erhöhung des Monarchen in eine geradezu
göttliche Sphäre durch Kaiserkult und Insignien ist ein weiterer Abschnitt gewidmet, insbesondere denjenigen Attributen, die nach Alföldi direkt aus dem hellenistischen Königskult übernommen sind.
Als «bewegende Kräfte der Entwicklung» erkannte Alföldi schliesslich zwei in der gesamten Entwicklung der Kaiserzeit wirkende, gegensätzliche Kräfte: «Der Gegensatz der herrschenden Stadtgemeinde
und der unterjochten Ökumene, des orientalischen und okzidentalischen Geistes, der Zwiespalt der
Lebensform in Stadt und Land, die territoriale Verschiedenheit der beiden Reichsteile waren hier zugleich am Werke; Dynamik und Statik, organischer Aufbau und mechanische Gliederung, juristische
und religiöse Grundlegung, Freiheit und Bindung fochten miteinander ihren ewigen Kampf.» 515 Die
Entwicklung des Zeremoniells sei dabei wechselhaft durch die Ausschläge des Pendels nach den beiden
Seiten hin bestimmten gewesen. Doch im Verlauf der Entwicklung zur Spätantike attestierte Alföldi
eine zunehmende Bürokratisierung, welche «die Erbsünde einer jeden Bürokratie, den übertreibenden
Kult der Formeln» mit sich brachte. 516
In den kaiserlichen Auftritten stellte Alföldi mit der zunehmenden Formelhaftigkeit auch eine Steigerung der materiellen Pracht fest. Einerseits in der Kunst, als dekorativer Ersatz für die lebensgetreue
Darstellung, andererseits im echten Leben, durch die zunehmende Notwendigkeit des Herrschers, einer «primitiven Menge» zu imponieren, d.h. das Volk und auch die Gesandten der Barbarenvölker
durch effektvolle Gold- und Edelsteinpracht des Thronsaals, durch Kostüme und Waffenrüstung der
Kaiser, des Personals und der Leibwache zu beeindrucken. 517 Dennoch, oder gerade darum, sah Alföldi
513
ALFÖLDI 1980, 169.
Ibid., 169–73.
515
Ibid., 272.
516
Ibid., 273.
517
Ibid., 274.
514
131
Das spätantike Kaiserzeremoniell
im spätantiken Zeremoniell des «Dominats» ein «Zurücksinken von der alten Kulturhöhe auf eine weit
primitivere Stufe» 518. Zugleich sei der Herrscherbegriff des Dominates, sein Zeremoniell und seine Attribute stark orientalisch durchsetzt oder hellenistisch gefärbt. Orientalisiert sei «die Religion und das
Denken», die «polychrome Kunstindustrie der barbarischen Edelsteininkrustation», das Walten von
Eunuchen am Kaiserhofe «wie in asiatischen Königssitzen».
Auch die moderne Forschung beschränkte sich lange Zeit darauf, die spätantiken Entwicklungen aus
dem Wirken orientalischer Vorbilder zu erklären. 519 Tatsächlich bezeichnen die antiken Quellen – darunter Aurelius Victor, Eutropius und Ammian – Diokletian als inventor einer neuen höfischen Sitte
nach persischem Vorbild: Als omnium primus habe Diokletian die Proskynese, den unterwürfigen Kniefall der Untertanen vor dem Herrscher, sowie ein üppig verziertes Kaisergewand und Schuhwerk eigeführt, nachdem zuvor eine normale Begrüssung und lediglich ein Purpurmantel üblich gewesen
seien. 520 Die Neuerungen werden durchgehend negativ gesehen, auch wenn Diokletian etwa im Falle
von Aurelius Victor ansonsten positiv bewertet wird. Auch wenn Alföldi die angeblichen Neuerungen
des spätantiken Kaiserzeremoniells als lange Entwicklung seit den Anfängen der römischen Kaiserzeit
entlarvte, reproduzierte er am Ende so den antiken Diskurs von «orientalischem» Luxus, welcher in
den zeitgenössischen Quellen den neuen Herrschaftsformen ab Diokletian unterstellt wurde. In der
Folge wurde das spätantike Kaiserzeremoniell in der Forschung weitgehend als starres Diktat gesehen,
in welchem dem Kaiser als abgeschotteten, «unbewegten Beweger» relativ geringen Handlungsspielraum zukam. Diese allzu starre Sicht wird in der neueren Forschung jedoch zunehmend infrage gestellt. 521
Unnahbare Herrscher
Für Alföldi stellte das religiöse Zeremoniell die Essenz der römischen Monarchie dar, während das republikanische Element, das Verhalten des Princeps als einfacher Bürger, eine untergeordnete Modifikation war. 522 Nur ein winziger Bruchteil der Bevölkerung, der Senat, kümmerte sich tatsächlich um
derlei Dinge. So sei etwa das Auftreten des Kaisers als Princeps und civis in den ersten beiden Jahrhunderten n. Chr. im Wesentlichen auf eine intime Verhaltensweise gegenüber den Senatoren und anderen Eliten beschränkt gewesen. Die Millionen Einwohner des Römischen Reichs wären dagegen von
Anfang an dem Kaiser gegenüber nichts als Untertanen gewesen. Weiter betonte Alföldi die «physische
Unmöglichkeit» eines wirklich zwanglosen Verkehrs zwischen Kaiser und seinen Untertanen bereits zu
Prinzipatszeiten, und macht darauf aufmerksam, dass das immer wieder betont bürgerlich-einfache
518
ALFÖLDI 1980, 275.
WINTERLING 2002 (s.v. «Zeremoniell [4]»), 774.
520
Aur. Vict. Caes. 39,1–8; Eutrop. 9,26; Amm. 15,5,18.
521
PFEILSCHIFTER 2013, 86. Siehe dazu unten, Kapitel «Kontrastprogramm Julian».
522
Vgl. ALFÖLDI 1980, 25–28.
519
132
Das spätantike Kaiserzeremoniell
Verhalten gegenüber der «Freunde» des Kaisers in Wahrheit nur gegenüber seinem Hofgesinde gepflegt wurde. 523 Zur sakral-theologischen Prägung des Verkehrs zwischen Kaiser und Untertan brauche
man nicht gleich das orientalische Gottkönigtum nach Rom «herüberzupflanzen»; bereits die Prinzipatszeit sei durch eine sakrale Erhöhung des Amts des Augustus «unendlich hoch» über alle anderen
hinweg geprägt gewesen. 524
Gegen eine solche Deutung sprach sich später Wallace-Hadrill aus. 525 In Alföldis Sichtweise gerate die
tatsächliche Ambivalenz der römischen Kaiserherrschaft aus dem Blick. Das römische Kaisertum
gründe trotz der stetig zunehmenden monarchischen Elemente auf der Prinzipats-Idee, welche im
Grunde durch eine (rituelle) Ablehnung (recusatio) der Herrschaft durch jeden neuen Herrscher markiert ist. Augustus und seine Nachfolger hätten gerade durch die Ablehnung von Ämtern und Ehren für
ihre Herrschaft geworben. Dabei sei die recusatio nicht nur bei der Akklamation zum Herrscher relevant gewesen, sondern ein sich durchgehend durch die Herrschaftszeit ziehendes Phänomen, etwa in
der Ablehnung von Triumphzügen und -bögen. So etwas habe es in den hellenistischen Monarchien
und in der Republik nicht gegeben. 526 Man dürfe im Verhalten der römischen Elite im Umgang mit dem
Herrscher eine grosse Portion «voluntary self-deceit» nicht vernachlässigen. Die senatorischen Quellen
seien zwar einseitig in ihren Anforderungen an eine gute Kaiserherrschaft, doch sie zeigen auch, dass
die meisten Kaiser sich an diese Anforderungen gehalten haben. Zudem habe die Anthropologie gelehrt, dass auch ein oberflächlich anmutendes Ritual nicht vorschnell zu verwerfen, sondern als Ausdruck einer tatsächlichen Wahrheit im Kern einer Gesellschaft zu erkennen möglich sei. 527
Dennoch bleibt die Beobachtung von Alföldi im Kern relevant: Auch, wenn der Kaiser im Umgang mit
der senatorischen Elite gewisse Elemente einer Vorstellung von civilitas zelebrierte, so beschränkte
sich dieses Verhalten grundsätzlich auf eben jene elitären Kreise. Demgegenüber fassen wir eine andere Art des Verhaltens in der «echten» Öffentlichkeit, d.h. ausserhalb des geschützten Rahmens der
kaiserlichen Residenzen, die, wie Alföldi betont hat, für den einfachen Bürger unzugänglich blieben.
Der gewöhnliche Mann hingegen, so hielt Alföldi fest, musste schon glücklich sein, wenn er einen
freundlichen Blick des Princeps im Vorübergehen auffangen konnte. 528 Diese Tendenz mag ihre Wurzeln bereits in frühesten Prinzipatszeiten haben, doch wurde sie mit der fortschreitenden Ausgestaltung des Kaiserzeremoniells insbesondere in der Spätantike immer gewichtiger.
523
ALFÖLDI 1980, 27.
Ibid., 29.
525
WALLACE-HADRILL 1982; explizit in Bezug auf Aldöldi: 36
526
Ibid., 36 f.
527
Ibid., 36.
528
ALFÖLDI 1980, 25; vgl. auch den Bezug auf die antike Terminologie, in der salutari immer mit dem Begriff des
Princeps und adorari mit dem des Dominus unzertrennlich verbunden gewesen sei: ibid., 39.
524
133
Das spätantike Kaiserzeremoniell
In der Spätantike wurde die generelle Sichtbarkeit der Herrscher mit fortschreitender Entwicklung der
Ausgestaltung des Zeremoniells und der zunehmenden Palastkultur immer stärker eingeschränkt. Der
zurückgezogene Herrscher war für die Bevölkerung selbst der aktuellen kaiserlichen Residenzstadt im
Alltag nicht zugänglich. Der Palast wurde immer mehr zur grundlegenden kaiserlichen Einrichtung, dessen Ausbau zuweilen auch kritisiert wurde. 529 Auch für Mitglieder der gebildeten Elite wurde der Zugang zum kaiserlichen Palast immer weiter begrenzt; ein Umstand, der sich auch in den Quellen niederschlug. 530 Die Isolation des Kaisers, dem man sich nur über den langen und mühsamen Weg seiner
Beamten nähern konnte und der, sobald er sich ausserhalb des Palastes bewegte, durch ein sorgfältig
geordnetes Gefolge geschützt wurde, erhöhte seinen gottähnlichen Status. 531
Für die einfachen Bürgerinnen und Bürger galt dieser eingeschränkte Zugang zum Herrscher freilich
noch in weitaus grösserem Masse. Doch es gab eine seltene, jedoch zentrale Ausnahme, bei der die
Bevölkerung als Gruppe mit dem Herrscher in Kontakt treten konnte: Der Kaiser zeigte sich seinen
Untergebenen bei den Spielen in Hippodrom, Circus und Theater. Auf die Wichtigkeit von Circus, Theater und Hippodrom als Kommunikationsraum für die Bevölkerung und die damit verbundene Funktion
der Spiele als Konsensritual wurde oben bereits aufmerksam gemacht. 532 Wenn Julian im Misopogon
darauf verweist, dass seine Vorgänger den Gang zu den Spielen nicht so mieden wie er, kommt das
nicht von ungefähr: Constantius und Gallus gaben tatsächlich öfters Spiele für das Volk. Auch Ammian
verweist auf prunkvolle Spiele, welche Constantius in Arelate und in Rom gab. 533 Der Applaus bei Spielen war ein wichtiger Gradmesser für die Zustimmung bei der Bevölkerung. 534 Dies schien auch Konstantin ernst zu nehmen: Eunapios berichtet davon, dass der Kaiser aufgrund des spärlichen Beifalls im
Theater von Byzantion deprimiert wurde. 535 Solche Gelegenheiten, den Kaiser zu sehen, waren relativ
selten, und so erwartete die Bevölkerung der Städte bei einem Besuch des Kaisers solche Veranstaltungen von ihm. Doch zwischen diesen Ereignissen war der Kaiser nicht sichtbar und unzugänglich im
Palast abgeschirmt. Wenn er sich dann zeigte, war dies jedes Mal ein besonderes Schauspiel: Insbe-
529
Etwa im Panegyrikus des Claudius Mamertinus an Julian (Paneg. lat. 3 (11), 29,5–30,3); vgl. DAGRON 1974
(Naissance d'une capitale), 94 f.
530
So beschwerte sich etwa Eunapios, dass er für seine Recherchen zu Kaiser Gratian keinen Zugang zum kaiserlichen Palast erhielt, in welchen Informationen äusserst streng gehütet würden: Eun. frg. hist. 50. Etwa zur gleichen Zeit erwähnt Pseudo-Aurelius Victor das verborgene Privatleben des Kaisers Theodosius, dessen Details,
«wie man sagt», dem Hof vorbehalten sind und sich dadurch den Blicken und Ohren der Menschen entziehen:
(Ps.-)Aur. Vict. epit. Caes. 48,18–19.
531
WHITBY 2001, 1145 Andererseits entstand durch die vielen militärischen Kampagnen der Spätantike das Phänomen der «reisenden Kaiser», welches neue, stark formalisierte Möglichkeiten zu einer Begegnung zwischen
Volk und Kaiser bei der Ankunft in und Abreise aus den Provinzstädten eröffnete; siehe unten, S. 135.
532
Siehe oben, Kapitel «Ein unsichtbarer Kaiser».
533
Amm. 14,5,1–2; Amm. 16,10,13–16.
534
MARCONE 2020, 332 bezeichnet die Spiele als «opinion poll».
535
Eun. vit. soph. 6,2,8–9. Vgl. auch die Episode bei Malalas, nach der Licinius wütend auf die schimpfende Menge
im Hippodrom Antiochias war und auf sie schiessen liess: Ioh. Mal. 12,49.
134
Das spätantike Kaiserzeremoniell
sondere Diokletian war dafür bekannt, sich bei seinen immer seltener werdenden Auftritten in besonders prächtigen Kleidern und Umgebung von Prunk zu zeigen. 536 Malalas überliefert, dass Diokletian in
Antiochia während der olympischen Spiele in der Tracht eines Alytarchen auftrat – womit er nun in
eigener Aussage als olympischer Spielleiter und nicht mehr als Kaiser handelte. 537
Der Wechsel zwischen Rückzug in den Palast und prächtig inszenierten öffentlichen Auftritten war ein
Spiel des Wechsels zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, den die Kaiser der tetrarchischen und
konstantinischen Zeit zu spielen verstanden. Dies zeigt sich nicht nur bei den Auftritten im Circus und
Theater: Ankunft und Abreise des Kaisers in und aus einer Stadt war ebenfalls jedes Mal ein sorgfältig
inszeniertes Ereignis: Besonders dem adventus fiel in den zeitgenössischen Quellen besondere aufmerksam zuteil.
Der spätantike Adventus
Besonderes Gewicht erlangte in der Spätantike jede Form des Ankommens, insbesondere der adventus
in eine Stadt, welcher nicht nur auf Seiten des Kaisers, sondern auch der Bevölkerung in Form der
Akklamation und dem Entgegengehen durchstrukturiert war. 538 Die Bedeutung des adventus zeigt sich
insbesondere darin, dass nach einem konfliktreichen Herrschaftsantritt der Empfang eines Kaisers in
eine neue Stadt gewissermassen als Akzepttanzzeremonie fungieren konnte. In diesem Sinne wurde
Julian in den Augen der Bevölkerung der jeweiligen Städte gerade erst durch den adventus zum neuen
Herrscher erhoben. 539 Es lohnt sich daher, diese Form kaiserlichen Auftretens näher zu beleuchten.
Gelegenheiten, bei denen der populus in eine mehr oder weniger direkte Interaktion mit dem Kaiser
treten konnte, waren rar. Doch durch die reisenden Kaiser des 3. und frühen 4. Jahrhunderts ergab
sich für die Bewohner der Provinzstädte ab und zu eine Möglichkeit zu einer solchen Begegnung. Der
Kaiser, der normalerweise unsichtbar ist, wurde durch den adventus sichtbar und mutierte zum deus
536
Vgl. WHITBY 2001, 1143; vgl. auch BROWNING 1975, 7 f.: «When they [Diokletian und seine Nachfolger] did
appear, they were raised high above the heads of the crowd, surrounded by guards in glittering armour, preceded
by trumpeters. Clad in purple from head to foot, resplendent in jewels, the emperor did not deign to notice the
applause of his loyal subjects. Immobile, gazing into space, trying to look twice his size, he posed as a superman.
His every movement was surrounded by protocol and ceremony. He was addressed in terms more appropriate
to a god than to a man.»
537
Ioh. Mal. 12,44. Das besonders in Antiochia bedeutende Amt bestand in der Leitung der olympischen Spiele.
Malalas beschreibt, wie das ansonsten weisse Kleid des Alytarchen bei Diokletian purpurfarben war. Indem Diokletian dieses Kleid anlegte, legte er mit dem kaiserlichen Ornat auch sein Amt ab.
538
BRAKMANN 1994, 1.
539
In diesem Sinne MACCORMACK 1981, 48: «From the public, civilian point of view, Julian's accession consisted
not of the moment of acclamation, or the moment of inner struggle for inspiration and lucidity that Julian himself
described; such a comprehension of the moment of accession still lay in the future, and that moment came to
be crystallised in the ceremony of accession.»
135
Das spätantike Kaiserzeremoniell
praesens. 540 Die zeremoniell ausgestaltete kaiserliche Ankunft war einer der seltenen Berührungspunkte des Kaisers und der Bewohner der Provinzstädte. 541 Insbesondere die viel reisenden Kaiser der
Tetrarchie und der konstantinischen Dynastie boten häufigen Anlass zu prachtvollen adventus-Zeremonien, deren visuelle Wirkkraft in den zeitgenössischen Quellen ausgiebig behandelt wird. Dabei
stand auch der Körper des Kaisers im Zentrum der Aufmerksamkeit. Bourdieu betonte die Funktion
des Leibes, insbesondere bei der Inszenierung grosser Massenveranstaltungen, durch bestimmte Haltungen damit verbundene Gefühle und Gedanken heraufzubeschwören – eine Funktion, die in allen
Gesellschaftsordnungen systematisch ausgenutzt werde. 542
Jedes Mal, wenn ein Kaiser von einer Stadt zu einer anderen reiste, wurde die Ankunft des Kaisers am
neuen Ort als grosses Ereignis wahrgenommen. 543 Durch das gehäufte Auftreten dieses Ereignisses
musste der adventus zwangsläufig mit der Zeit feste Formen erhalten und stabilere Erwartungen in
den Beteiligten wecken. 544 Dies führte unter anderem dazu, dass die kaiserliche Ankunft in verschiedenen Phasen vonstattenging, welcher unterschiedliche Möglichkeiten der Kontaktaufnahme zwischen Herrscher und Beherrschten bot. Dementsprechend lässt sich in den spätantiken Quellen ein
Ablauf in zwei Teilen ausmachen: Eine Phase, in der sich der Kaiser der Stadt nähert und ausserhalb
der Stadtmauern empfangen wird, und eine andere, welche innerhalb der Mauern stattfindet und
durch einen direkten Austausch zwischen Bevölkerung und Herrscher besteht. 545 Während diesen beiden Phasen befand sich der Herrscher in zwei unterschiedlichen modi: Zuerst wurde der Herrscher als
540
BADEL 2009, 167; 171 f.
Die Anwesenheit des Kaisers versprach, wenn auch nicht zwingend, diverse Vorteile für eine Stadt in der Form
von kaiserlichen beneficia; siehe dazu HALFMANN 2009 (Les cités du monde romain, bénéficiaires de la visite impériale).
542
BOURDIEU 1980, 116.
543
MACCORMACK 1981, 18, bezeichnete den adventus als zeremoniellen «par excellence» der Spätantike, weil er
im Gegensatz etwa zum Herrschaftsantritt oder Tod eines Kaisers ein Ereignis darstellte, das in der Regierungszeit
der meisten Herrscher vergleichsweise häufig stattfand.
544
Diesem Umstand entsprechend begann der adventus auch im fortschreitenden spätantiken Zeitalter zu verschwinden, vor allem im Westen (einer der letzten Einzüge in eine Stadt im Westen war derjenige des Honorius
in Rom 404). Doch auch die byzantinischen Kaiser des Ostens verliessen mit der Zeit ihre Residenz in Konstantinopel nicht mehr und gaben daher keinen Anlass mehr für einen adventus. Jedoch wurde der kaiserliche adventus
hier ersetzt durch die Ankunft von Kaiserbildern, die als stellvertretend für den Herrscher galten, sowie von Heiligenreliquien und Bischöfen; vgl. BALDOVIN 2017 (s.v. «Prozession»), 410 f.; WHITBY 2001, 1153 f.; MACCORMACK
1972 (Change and Continuity in Late Antiquity), 748.
545
MACCORMACK 1981, 25; vgl. aber auch LEHNEN 1997, der noch genauer zwischen fünf verschiedenen Phasen
des spätantiken adventus unterscheidet: Vorbereitungen, occursus (Einholung des Kaisers durch die Stadt), introitus (Einzug des Kaisers in die Stadt), Handlungen in der Stadt (Kaiseropfer) und Abschluss (Einzug des Kaisers
in den Palast, Veranstaltung von Spielen). BADEL 2009, 158–62, macht auf die Wichtigkeit der salutatio, die Begrüssung durch hohe Würdenträger und die Klientel, bei jedem adventus aufmerksam. Diese mache in der Spätantike eine Wandlung in ihrem ursprünglich zivilen Charakter zugunsten einer sakralen adoratio durch. Während
die aristokratische salutatio zu republikanischen Zeiten und bei den frühen Kaisern noch vor den Stadttoren
stattfand, verschob sie sich in den Provinzstädten der Spätantike in den Palast. Dadurch markierte der Palast
jedoch nicht mehr das Ende des adventus; der Grossteil des adventus habe erst nach der Audienz im Palast statt541
136
Das spätantike Kaiserzeremoniell
übernatürliches Wesen begrüsst, doch zu einem späteren Zeitpunkt konnte man sich dem weltlichen
Herrscher nähern. So bot die Zeremonie des adventus Anlass, unterschiedliche Herrschertugenden in
klar getrennten Abläufen auszudrücken. Es vollzog sich ein Wechsel im Ausdruck von divinitas (bzw.
pietas bei christlichen Kaisern) zu civilitas (bzw. humilitas), der sich auch in die zeitgenössischen Panegyriken eingeschrieben hat: Die Anreise und Ankunft der Kaiser in der unmittelbaren Umgebung der
Stadt wurde immer als übernatürliches Ereignis, während der Tetrarchie gar als Epiphanie der Herrscher als göttliche Wesen, dargestellt. Doch ab einem gewissen Punkt änderte sich der Kontext, der
Herrscher war nahbar und für Bitten und Klagen der Bevölkerung empfänglich. 546
Das Element der Verehrung des Kaisers als übernatürliches Wesen trat unter den Tetrarchen besonders deutlich hervor. Den tetrarchischen Panegyrikern und Künstlern bot sich bei einem kaiserlichen
adventus die Gelegenheit, die göttliche Überhöhung des Kaisers darzustellen und zu erklären, wie auf
unterschiedliche Weise göttliche und kaiserliche Herrschaft voneinander abhingen. 547 Die zeitgenössischen Panegyriker waren geschult, einen kaiserlichen adventus als solche Epiphanie wahrzunehmen. 548 Besonders anschaulich ist die Beschreibung des Treffens von Diokletian und Maximian in Mailand in einem Panegyrikus des Jahres 291. Nach einer eindrücklichen Beschreibung der Reise über die
Alpen folgt die gemeinsame Ankunft der beiden Kaiser als Epiphanie zweier ich Licht gehüllter Götter. 549
Aus den Panegyriken lässt sich der Begriff deus praesens als Kernelement dieser Repräsentation der
tetrarchischen Zeremonie herausarbeiten. 550 Charakteristisch für die «anwesende Gottheit» ist die
gefunden (so etwa auch beim adventus des Maximian und Diokletian in Milan 291). Die nunmehr sakral gestaltete salutatio stand also technisch gesehen immer noch zu Beginn des Umzugs. Nur in Rom galt weiterhin eine
republikanische Tradition der salutatio, die ausserhalb der Tore stattfand. Auch beim adventus Constantius' II.
findet sich keine Erwähnung einer salutatio innerhalb des Palasts.
546
Diese Möglichkeit war freilich nur den lokalen Eliten vorbehalten, welche jedoch im allgemeinen Verständnis
als Stellvertreter für die gesamte Stadtbevölkerung galten. Der Herrscher traf also auf eine geordnete und organisierte Körperschaft von Bürgern, an deren Spitze ihre Würdenträger standen, mit denen Geschäfte abgewickelt
werden konnten. Gleichzeitig dient die Anwesenheit der breiten Bevölkerung dazu, einen consensus omnium
auszudrücken, der für die meisten klassischen und spätantiken Theorien über legitime Regierung grundlegend
war. Ein Redner, der den Kaiser begrüsste, spielte eine entscheidende Rolle bei diesem Ausdruck der Zustimmung,
denn er sprach nach dem zeitgenössischen Verständnis im Namen aller; vgl. MACCORMACK 1981, 21.
547
LEHNEN 1997, 69; MACCORMACK 1981, 23; MACCORMACK 1972, 726 f. Auch ALFÖLDI 1980, 88, verwies darauf, dass
der adventus sakrale Züge annahm, indem der Herrscher als Erlöser und Weltbeglücker begrüsst wurde.
548
MACCORMACK 1981, 25 f. spricht von einer «trained method of perception» im Gegensatz zu reiner Schmeichelei der Panegyriker.
549
Paneg. lat. 11 (3), 10,4. Bereits die Geschwindigkeit, mit der die beiden Herrscher reisen, wird durch einen
göttlichen Elan (divus impetus) beschrieben. Dies war ein allgemeiner panegyrischer Topos bei der Reise von
Herrschern (siehe LEHNEN 1997, 72 f.). So sollen die Menschen den Eindruck gehabt haben, dass die beiden Kaiser
– in ebenfalls typischer Lichtmetaphorik – in den Wagen der Sonne und des Mondes fahren durften (Paneg. lat.
11 (3), 8,3; vgl. auch die Ankunft Konstantins in Britannien 310: Paneg. lat. 6 (7), 7,5). Dabei änderte sich auch
das eigentlich unerbittliche Winterwetter in sanfte Frühlingswehen und Sonnenstrahlen, die die Kaiser begleiteten (9,2). Zur tetrarchisch-konstantinischen Lichtmetaphorik und ihren Ursprüngen siehe LEHNEN 1997, 74.
550
So bereits 1935 ALFÖLDI 1980, 215 f., dann (1939) STRAUB 1964, 185., MACCORMACK 1981, 22; LEHNEN 1997, 69–
71
137
Das spätantike Kaiserzeremoniell
übernatürliche Erhabenheit der Person, die aber zeitgleich als Mensch greifbar bleibt und Empfänger
von Reden und dem Beifall des «Mannes auf der Strasse» ist. 551 Der Panegyrikus von 291 überliefert
den Empfang von sichtbaren Göttern:
«[…] man rief Jupiter nicht nach überlieferter Vorstellung an, sondern den sichtbaren und gegenwärtigen Gott, ganz in der Nähe; nicht an den Ankömmling aus der Fremde, sondern an
Herkules den Imperator richtete man sein Gebet.» 552
Auf diese Weise wird das pragmatische historische Ereignis der Ankunft in eine Stadt in einen Ausdruck
der pietas und Übermenschlichkeit umformuliert. 553 So konnte den Handlungen der Kaiser eine erhöhte, allgemeine Bedeutung zugeschrieben werden. Der Panegyrikus von 291 schreibt Diokletian und
Maximian eine allgegenwärtige Anwesenheit zu:
«[…] wo ihr auch weilt, mögt ihr euch auch allein in einen Palast zurückgezogen haben: eure
Göttlichkeit ist überall zugegen, und alle Länder, alle Meere sind von euch erfüllt.» 554
Die universelle Anwesenheit des Herrschers wird auch durch die Aussendung der Kaiserbilder in alle
Gegenden des Reichs ausgedrückt. Auf diese Weise konnte denn auch ein bestimmtes historisches
Ereignis wie die Ankunft in eine Stadt zum Ausdruck einer kaiserlichen Eigenschaft werden, der allgemeine Gültigkeit zugeschrieben wird. Individuelle, persönliche Eigenschaften werden von verallgemeinerten überschattet, die auf jeden Kaiser angewendet werden können. Die nachkonstantinische
Porträtkunst zeigt in der Regel ein «kaiserliches» Gesicht, nicht mehr das Gesicht eines Individuums,
während im 3. Jahrhundert und früher der einzelne Kaiser als Individuum dargestellt worden war. 555
Damit einher geht ein Verlust der Kenntlichkeit der nachkonstantinischen Herrscher sowohl in Panegyrik wie in der Porträtkunst: Individuelle Charakteristiken werden durch allgemeine überschattet,
welche letzten Endes auf jeden Kaiser übertragbar waren. Auch auf Münzbildern wird es nach Kon-
551
MACCORMACK 1981, 26.
Paneg. lat. 11 (3), 10,5 (Übers. Müller-Rettig): non opinione traditus sed conspicuus et praesens Iuppiter
cominus invocari, non advena sed imperator Hercules adorari.
553
MACCORMACK 1981, 32 f., sah in den tetrarchischen Panegyriken den Versuch einer konfliktfreien Vereinigung
der göttlichen und der weltlichen Sphäre. Nach ihr kulminierten und endeten die pietas-Darstellungen mit dem
Eintritt in die Stadt. Damit liege eine klar definierte Theorie der letztlich göttlichen Natur der kaiserlichen Macht
vor, die zeitgleich die Menschlichkeit des Herrschers intakt liess. Dies möge der Grund dafür sein, dass das Phänomen auch unter den christlichen Kaisern fortbestand. Dieselbe Trennung erkannte sie auch in den tetrarchischen Porträts, welche, von soldatischer Präzision und Realismus geprägt, gänzlich ohne Hinweise auf Göttlichkeit ausgekommen seien, da die Tetrarchen ihre pietas und felicitas in sich trugen (siehe ibid., 29–32).
554
Paneg. lat. 11 (3), 14,3 (Übers. Müller-Rettig): ubicumque sitis, in unum licet palatium concesseritis,
divinitatem vestram ubique versari, omnes terras omniaque maria plena esse vestri.
555
MACCORMACK 1981, 38.
552
138
Das spätantike Kaiserzeremoniell
stantin immer schwieriger, einzelne Herrscher zu unterscheiden (ausser bei sehr spezifischen Charakteristika wie Julians Bart). Individualität war weniger wichtig als das allgemeine Herrscherbild: Der
spätantike Kaiser wurde an seinen Insignien, nicht an seinem Gesicht erkannt. 556
In der Herrschaft von Konstantin dem Grossen sind somit einige Veränderungen in der adventus-Zeremonie erkennbar, durch die sich der erste christliche Kaiser klar von seinen tetrarchischen Vorgängern
absetzte. Aber trotz diesen Veränderungen wurde die klare Trennung der göttlichen und menschlichen
Sphäre, die unter der Tetrarchie etabliert worden ist, im Kern unter Konstantin beibehalten und von
den nachkonstantinischen Generationen ausgebaut. Jedoch weicht unter den christlichen Kaisern die
Ansicht, dass der kaiserliche Einzug analog zur göttlichen Epiphanie zu sehen sei, zugunsten der Betonung der kaiserlichen Würde durch die Pracht des Kaiserzeremoniells. 557
«tamquam figmentum hominis»: Der Adventus des Constantius II. in Rom
Der adventus blieb auch für die konstantinischen Nachfolger von Bedeutung. Der einleitend bereits
geschilderte adventus des Constantius II. in Rom im April 357 bildet ein besonders anschauliches Beispiel dafür, wie sich konstantinische Kaiser inszenieren liessen. Dieser wird vom Historiker Ammian
aufs eindrücklichste geschildert:
«Also wurden umfangreiche Vorbereitungen getroffen, dann durcheilte er zur Zeit der zweiten
Präfektur des Orfitus die Stadt Ocriculum, stolz auf die ihm erwiesenen Ehrungen und umgeben von furchterregenden Kriegsscharen. So geleitet, setzte er seinen Weg wie an der Spitze
einer Schlachtreihe fort, und aller Augen richteten sich auf ihn, ohne den Blick abzuwenden.
So näherte er sich der Stadt und blickte mit heiterer Miene auf die Ehrenbezeigungen des
Senats und die ehrwürdigen Gestalten patrizischer Herkunft […]. Dann wandte er sich der
Plebs zu und staunte, in welch grosser Menge Menschen jeder Art und aus allen Gegenden
der Welt in Rom zusammenströmten. Als wollte er den Euphrat oder den Rhein durch den
Glanz seiner Waffen schrecken, liess er die Feldzeichen auf beiden Seiten voranziehen. Er
selbst sass allein auf einem goldenen Wagen, der im Schmuck bunter, glänzender Edelsteine
erstrahlte und mit dessen Glanz sich ein bestimmtes wechselndes Licht zu vermischen schien.
Hinter dem bunten Zug, der voranschritt, umgaben den Kaiser die aus Purpurfäden gewebten
Drachenzeichen, die an der Spitze vergoldeter und mit Edelsteinen verzierter Lanzen angebracht waren. Sie blähten sich mit weit geöffnetem Rachen im Winde und sahen so aus als ob
556
MACCORMACK 1972, 722 Spannend ist dagegen ein vermeintliches Brieffragment (Fr. 177 [Bidez] vgl. dazu BIDEZ
1960, 177; DEMANDT 1997, 14), in welchem Julian einen Maler kritisiert, weil ihn dieser seiner Meinung nach nicht
kenntlich genug porträtierte. Ist der Brief authentisch, stellte dies ein weiteres Moment dar, in welchem Julian
in Bezug auf seinen Körper entgegen der Konvention seiner Vorgänger agierte.
557
WHITBY 2001, 1153; MACCORMACK 1981, 35–39.
139
Das spätantike Kaiserzeremoniell
sie gereizt züngelten, und ihre Schweife schlängelten sich im Wind. Zu beiden Seiten des Kaisers schritten in doppelter Reihe Bewaffnete mit Schild und Helmbusch, strahlend im Glanz
der schimmernden Panzer, dazwischen Panzerreiter, die sogenannten Clibanarier, mit Helmvisier, geschützt durch Harnisch und mit ehernem Wehrgehenk gegürtet. Man hätte sie für
Standbilder halten können, die des Praxiteles 558 Hand geglättet hatte, nicht aber für Männer.
Dünne Metallplatten, die sich dem Körper anschmiegten, umgaben ihre Glieder, so dass sich
diese Eisenkleidung allen Bewegungen der Gelenke anpasste, die notwendig waren; so dicht
war die Verbindung der einzelnen Teile gefügt.» 559
Hier ist die erste Phase des adventus erkennbar, in der sich der Kaiser der Stadt nähert und von der
Bevölkerung in einer klar abgestuften Reihenfolge begrüsst wird: Als erstes die lokalen Eliten – in diesem Fall die Senatoren Roms und weitere, patrizische Adlige – danach der stadtrömische plebs. Der
Historiker Ammian, der sich in der Passage unmittelbar zuvor negativ über den Triumph-ähnlichen Einzug des Kaisers geäussert hatte, hebt einen besonderen Fokus auf den militärischen Prunk, den
Constantius in seiner Entourage mit sich führt. Doch die eindrückliche Darstellung der künstlich wirkenden Soldaten ist nur ein Vorgeschmack auf den nun folgenden Beschrieb von Constantius:
«Glückverheissende Zurufe begrüssten den Kaiser, und er erschauderte nicht bei dem Widerhall, den Berge und Ufer zurückwarfen, sondern zeigte sich so unbeweglich, wie man ihn auch
in seinen Provinzen sah. Sooft er durch eins der hohen Tore fuhr, bückte er sich, obwohl von
kleiner Statur, sonst richtete er wie mit gepanzertem Hals den leuchtenden Blick geradeaus
und wandte das Gesicht weder nach rechts noch nach links. Wie ein menschliches Standbild
schwankte er nicht, wenn ein Rad einen Stoss verursachte, und er spuckte nicht aus und rieb
oder wischte sich nicht die Nase, und nie sah man ihn auch nur eine Hand bewegen. Freilich
nahm er diese Haltung bewusst ein, doch waren dies und manches andere im diesseitigen
558
Der berühmte griechischen Bildhauer (370-320 v.Chr.) aus Athen, dessen Werke in römischer Zeit in grosser
Zahl kopiert wurden; besonders bekannt ist u.a. die Marmorstatue der Aphrodite in Knidos.
559
Amm. 16,10,4–8 (Übers. Seyfarth): Vt igitur multa quaeque consumpta sunt in apparatu … secunda Orfiti
praefectura transcurso Ocriculo elatus honoribus magnis stipatusque agminibus formidandis tamquam acie
ducebatur instructa omnium oculis in eum contuitu pertinaci intentis. cumque urbi propinquaret, senatus officia
reuerendasque patriciae stirpis effigies […]. unde cum se uertisset ad plebem, stupebat, qua celebritate omne,
quod ubique est hominum genus, confluxerit Romam et tamquam Euphraten armorum specie territurus aut
Rhenum altrinsecus praeeuntibus signis insidebat aureo solus ipse carpento fulgenti claritudine lapidum uariorum,
quo micante lux quaedam misceri uidebatur alterna. eumque post antegressos multiplices alios purpureis
subtegminibus texti / circumdedere dracones hastarum aureis gemmatisque summitatibus illigati / hiatu uasto
perflabiles et ideo uelut ira perciti sibilantes caudarumque uolumina reliquentes [sic] in uentum. et incedebat hinc
inde ordo geminus armatorum / clipeatus atque cristatus corusco lumine radians nitidis loricis indutus sparsique
catafracti equites, quos clibanarios dictitant, personati thoracum muniti tegminibus et limbis ferreis cincti, ut
Praxitelis manu polita crederes simulacra, non uiros. quos lamminarum circuli tenues apti corporis flexibus
ambiebant per omnia membra diducti, ut, quocumque artus necessitas commouisset, uestitus congrueret
iunctura cohaerenter aptata.
140
Das spätantike Kaiserzeremoniell
Leben Anzeichen für eine überdurchschnittliche Selbstbeherrschung, die, wie man zu verstehen gab, ihm allein zustand.» 560
Kurz darauf hielt der Kaiser jeweils eine Rede in der Kurie an die Senatoren und eine auf der Rostra an
das Volk. Später liess er im Circus Reiterspiele geben und besichtigte anschliessend die Denkmäler der
altehrwürdigen Stadt. 561
Die Auftreten des Constantius musst auf den antiken Beobachter besonders beeindruckend gewirkt
haben. Das unnatürliche, statueske Auftreten des Kaisers beschreibt Ammian auch noch an weiteren
Stellen: Dass man ihn in der Öffentlichkeit weder den Mund noch die Nase wischen, oder gar ausspucken oder das Gesicht nach einer Seite wenden sah, wird fünf Bücher später, in einer Zusammenstellung von Constantius’ Tugenden und Laster anlässlich der Beschreibung seines Todes, noch einmal hervorgehoben. 562 Zudem habe es Constantius verstanden, überall die Würde der kaiserlichen Autorität
(imperatoriae auctoritatis coturnum) zur Geltung zu bringen, und Streben nach Volksgunst habe er aus
seiner stolzen und hohen Gesinnung (elato animo… et magno) abgelehnt. 563
Die fast wörtliche Übernahme Ammians von Xenophon, dem griechischen Geschichtsschreiber, ist bereits Straub aufgefallen. 564 Xenophon beschreibt in seiner sogenannten Kyrupädie, einem Werk über
das Leben des Kyros, Gründers des Perserreichs, den persischen Hofstil aus der Sicht eines Griechen:
«Ich glaube, bei Kyros entdeckt zu haben, dass sich die Herrschenden seiner Meinung nach
nicht nur dadurch von den Beherrschten unterscheiden müssen, dass sie tüchtiger sind als
diese, sondern dass sie ihre Umgebung auch bezaubern müssen. Also entschied er sich dafür,
die medische Kleidung zu tragen, und überredete auch seine Umgebung dazu, diese Kleidung
anzulegen. Er glaubte nämlich, dass sie körperliche Mängel verhülle und ihre Träger besonders
schön und gross erscheinen lasse. Sie hatten nämlich auch solche Schuhe, bei denen man,
ohne dass es auffiel, etwas unterlegen konnte, so dass man grösser aussah, als man in Wirklichkeit war. Er liess auch das Untermalen der Augen zu, damit sie schöner erschienen, als sie
es in Wirklichkeit waren, und gestattete das Schminken, damit die Haut schöner aussah, als
560
Amm. 16,10,9–11 (Übers. Seyfarth): Augustus itaque faustis uocibus appellatus non montium litorumque
intonante fragore cohorruit talem se tamque immobilem, qualis in prouinciis suis uisebatur, ostendens. nam et
corpus perhumile curuabat portas ingrediens celsas et uelut collo munito rectam aciem luminum tendens nec
dextra uultum nec laeua flectebat tamquam figmentum hominis nec, cum rota concuteret, nutans nec spuens aut
os aut nasum tergens uel fricans manumue agitans uisus est umquam. quae licet affectabat erant tamen haec et
alia quaedam in citeriore uita patientiae non mediocris indicia, ut existimari dabatur, uni illi concessae.
561
Amm. 16,10,13–17. Die genauen zeitlichen Abläufe bleiben unklar. Nach dem Betreten der Stadt (Proinde Romam ingressu) hielt Constantius nach Ammian Reden auf dem Forum, hielt sich im Palatium auf und gab Reiterspiele. Das Aufführen von Spielen dürfte der finalen Phase des spätantiken adventus entsprechen und somit den
glanzvolle Abschluss der Festivitäten darstellen (vgl. LEHNEN 1997, 187–95), bei der der Kaiser weniger formell
auftrat und für Bitten und Klagen aus der Bevölkerung zugänglich war. Die Anschliessende Besichtigung der Stadt
war wohl nicht mehr Teil des offiziellen adventus.
562
Amm. 21,16,7.
563
Amm. 21,16,1.
564
STRAUB 1964, 184 f.
141
Das spätantike Kaiserzeremoniell
sie es von Natur aus war. Er sorgte auch dafür, dass sie in der Öffentlichkeit nicht ausspuckten
oder sich schneuzten und sich nicht umdrehten, um nach irgend etwas zu sehen, damit es
nicht so scheine, als ob sie darüber erstaunt sein könnten. Er meinte, alle diese Massnahmen
trügen dazu bei, dass ihr Ansehen in den Augen der Untergebenen erhöht werde.» 565
Die «Bezauberung» der Umgebung wird von Xenophon in fast schon apologetischer Weise als Grundvoraussetzung der Herrschaft eines Königs beschrieben. Das persische Zeremoniell wird durch den
Charakter der Kyrupädie als Fürstenspiegel für griechische Monarchen rationalisiert. 566 Als wichtigste
Techniken werden die Absonderung des Herrschers, seine Unnahbarkeit, vor allem aber der zeremonielle Prunk genannt, welcher in erster Linie die Funktion hat, die Untergebenen zu beeindrucken. So
reduziert Kyros bewusst die Zugänglichkeit zu ihm, da durch den hohen Andrang der Volksmassen, die
anfangs noch freien Zugang zu Kyros genossen, seine Freunde nicht zu ihm gelangten und er keine Zeit
mehr für anderes hatte. In der Folge nahm Kyros an ihn gerichtete Anfragen nur noch indirekt über
seine «Freunde» an. 567 Die Anstellung von Eunuchen wird mit ihrer grösseren Treue aufgrund fehlender familiärer Bindungen begründet. 568 Am interessantesten ist jedoch die Beschreibung eines besonders prunkvollen Aufzugs (ἐξέλᾰσις), der nach Ansicht und Darstellung des Xenophon hauptsächlich
dazu dient, in den Untergebenen Ehrfurcht zu wecken und seine Herrscherwürde (σεμνότης) zu erhöhen, wobei der Anblick durch seine grosse Pracht «allen ihm [Kyros] wohlgesinnten Menschen einen
besonders schönen, allen missgünstigen einen besonders unangenehmen Anblick» bieten sollte. Auch
bei dieser Gelegenheit wird die eingeschränkte Zugänglichkeit zum Herrscher während der Zeremonie
detailliert geschildert, welche wiederum seine Autorität erhöht. 569
Die Parallelen zwischen Ammians Beschreibung von Constantius’ Auftritt und Xenophons Beschreibung des persischen Hofstils sind tatsächlich unverkennbar 570. Für Straub ist der Vergleich Ammians
trotz literarischer Abhängigkeit gerechtfertigt, denn «gleichartige Eindrücke verlangen eine ähnliche
Xen. Kyr. 8,1,40–42 (Übers. Nickel): Καταμαθεῖν δὲ τοῦ Κύρου δοκοῦμεν ὡς οὐ τούτῳ μόνῳ ἐνόμιζε χρῆναι
τοὺς ἄρχοντας τῶν ἀρχομένων διαφέρειν, τῷ βελτίονας αὐτῶν εἶναι, ἀλλὰ καὶ καταγοητεύειν ᾤετο χρῆναι
αὐτούς. στολήν τε γοῦν εἵλετο τὴν Μηδικὴν αὐτός τε φορεῖν καὶ τοὺς κοινῶνας ταύτην ἔπεισεν ἐνδύεσθαι· —
αὕτη γὰρ αὐτῷ συγκρύπτειν ἐδόκει εἴ τίς τι ἐν τῷ σώματι ἐνδεὲς ἔχοι, καὶ καλλίστους καὶ μεγίστους ἐπιδεικνύναι
τοὺς φοροῦντας· καὶ γὰρ τὰ ὑποδήματα τοιαῦτα ἔχουσιν ἐν οἷς μάλιστα λαθεῖν ἔστι καὶ ὑποτιθεμένους τι, ὥστε
δοκεῖν μείζους εἶναι ἢ εἰσί· —καὶ ὑποχρίεσθαι δὲ τοὺς ὀφθαλμοὺς προσίετο, ὡς εὐοφθαλμότεροι φαίνοιντο ἢ
εἰσί, καὶ ἐντρίβεσθαι, ὡς εὐεὐοφθαλμότεροι φαίνοιντο ἢ εἰσί, καὶ ἐντρίβεσθαι, ὡς εὐ χροώτεροι ὁρῷντο ἢ
πεφύκασιν. ἐμελέτησε δὲ καὶ ὡς μὴ πτύοντες μηδὲ ἀπομυττόμενοι φανεροὶ εἶεν, μηδὲ μεταστρεφόμενοι ἐπὶ
θέαν μηδενός, ὡς οὐδὲν θαυμάζοντες. πάντα δὲ ταῦτα ᾤετο φέρειν τι εἰς τὸ δυσκαταφρονητοτέρους φαίνεσθαι
τοῖς ἀρχομένοις.
566
WALLACE-HADRILL 1982, 33, mit dem Verweis, dass dies bereits Cicero aufgefallen sei.
567
Xen. Kyr. 7,5,37–56.
568
Xen. Kyr. 7,5,57–65.
569
Xen. Kyr. 8,3,1–23; Ehrfurcht wecken: Xen. Kyr. 1; beschränkte Zugänglichkeit: Xen. Kyr. 19–22.
570
Wobei Xenophon in der oben zitierten Stelle von den Mitgliedern des persischen Hofes spricht, die nicht spucken, schnäuzen oder sich drehen dürfen. Aus den anderen stellen ist jedoch ersichtlich, dass Xenophons Kyros
von seinen Gefolgsleuten dasselbe würdevolle Verhalten verlangt, welche ihn auszeichnet.
565
142
Das spätantike Kaiserzeremoniell
Darstellung». Die sich in der späten Kaiserzeit ständig wiederholende Zurschaustellung von Pomp und
Gepränge bei kaiserlichen Zeremonien rechtfertige die einheitliche Berichterstattung auch bei anderen Autoren. «Hier musste der Topos dem Typos entsprechen, die literarische der politischen Tradition.» 571 Die Xenophon-Stelle war dem gebildeten Leser Ammians vermutlich bekannt. Die im Wortlaut
so ähnliche Beschreibung kommt einer Parallelisierung zwischen Constantius und dem persischen
Grosskönig Kyros nahe. Damit handelt es sich um eine weitere Instanz, in welcher eine «persische
Sitte» im Zusammenhang mit dem Auftritt eines römischen Kaisers heraufbeschwört wird. Die Stelle
bei Ammian kann als Aktualisierung der schon in Bezug auf Diokletian gängigen Orientalismus-Debatte
gelesen werden, welcher nun auch auf das konstantinische Kaiserhaus angewendet wird. Die implizite
Kritik ergibt sich aus der Verbindung des pompösen Auftrittes und Gebärens des Kaisers mit den als
«tyrannisch» gesehenen persischen Vorbildern (wobei Kyros bei Xenophon durchaus noch eine positive Figur war). Ammians Beschreibung von Constantius adventus muss daher ebenfalls in den zeitgenössischen Orientalismus-Diskurs verortet werden.
Zur Hervorhebung des besonderen Eindrucks des spätantiken kaiserlichen adventus lohnt sich ein Vergleich mit Zeremonien aus der früheren Kaiserzeit. Der Einzug von Kaiser Trajan im Jahr 99 in Rom ist
ausführlich im Panegyrikus des jüngeren Plinius geschildert. 572 Plinius hebt im gesamten Panegyrikus
immer wieder die besonders ausgeprägte civilitas und moderatio des Kaisers hervor. So überrascht es
auch nicht, dass der feierliche Stadteinzug ebenso zur Veranschaulichung dieser Tugenden des Kaisers
dient. Trotz der Tendenz ist ein Vergleich sinnvoll, denn es handelt sich einerseits um dasselbe Genre
wie die bisher zur Untersuchung der adventus-Zeremonie benutzten Quellenstellen der Panegyrici latini, andererseits präsentiert sich uns einen vergleichbaren Rahmen wie beim adventus des Constantius: Der im Krieg erfolgreiche Kaiser zieht in einem triumphalen Einzug in die Stadt Rom ein.
Die Atmosphäre und das Verhalten des Kaisers werden von Plinius ganz anders dargestellt. Es beginnt
schon damit, dass Kaiser Trajan zu Fuss die Stadt betritt, anstatt in einem Wagen (oder noch schlimmer:
auf den Schultern der Untertanen). 573 Allein durch seine Gangart hebt sich Trajan also bereits positiv
von seinen Vorgängern ab. Doch noch wichtiger ist die demonstrative Nahbarkeit des Kaisers: Trajan
küsst die Senatoren zur Begrüssung, was allgemeine Zustimmung erntet. 574 Ganz besonders lobt Plinius aber das Bad des Kaisers in der Menge:
«Doch noch grösseren Eindruck machte, dass du langsam und freundlich weitergingst, ganz
wie die wogende Menge der Schaulustigen es gestattete, dass das herbeiströmende Volk auch
571
STRAUB 1964, 184 f.
Plin. paneg. 20–23.
573
Plin. paneg. 22,1–2.
574
Plin. paneg. 23,1; vgl. auch Plin. paneg. 71,1–3 (Trajan küsst neue Konsularen, im Gegensatz zu seinen
Vorgängern, die lediglich die Hand zum Kusse hinhielten.); Plin. paneg. 86,3 (Trajan küsst einen aus dem Amt
scheidenden Freund.).
572
143
Das spätantike Kaiserzeremoniell
dich, ja dich besonders eng umdrängte, dass du gleich am ersten Tag in Rom jedermann vertrauensvoll an deine Seite liessest. Denn keine Schar von Leibwächtern schirmte dich ab, sondern es umringten dich die erlauchtesten Männer, bald Senatoren, bald Ritter, je nachdem,
aus welchem Stand gerade die grössere Zahl sich zusammengetan hatte. So folgtest du den
Liktoren, die schweigsam und ohne Druck den Weg bahnten. Denn die Soldaten waren, was
ihre äussere Erscheinung und was die ruhige, disziplinierte Haltung betraf, vom Volke nicht zu
unterscheiden.» 575
Das Verhalten des Kaisers bei der besonderen Situation des adventus wird anschliessend von Plinius
als Eigenschaft Trajans verallgemeinert: So wird der Akt des Küssens in Kontrast zu Trajans Vorgängern
gesetzt. Trajan verzichte allgemein auf den Kniefall der Untergebenen und erwiderte ihren Kuss nicht
lediglich mit der Hand, aus «Scheu vor der Rechten», sondern liess sich die Wange küssen. 576 Der neue
Kaiser bewegt sich auch anders. Die Principes vor Trajan gingen laut Plinius nie zu Fuss. Der Status als
Kaiser änderte aber nichts an Trajans früheren Gewohnheiten und an seiner «Freude an körperlicher
Anstrengung». Trajan schreitet auf dem gleichen Erdboden wie seine Untergebenen, und gerade diese
Bodenständigkeit hebt ihn «bis zu den Sternen» empor. 577 Damit einher ging auch ein betont nahbares
Verhalten des Kaisers:
«Wenn der Princeps mitten durchs Volk geht, können die Leute ungehindert stehenbleiben,
auf ihn zugehen, ihn begleiten, ihn überholen. Dein Auftreten unter uns verstehst du nicht als
Hulderweis, und für ein Gespräch mit dir stellst du keine Rechnung aus. Wer zu dir getreten
ist, geht ein Stück an deiner Seite, und den Endpunkt der Unterhaltung bestimmt in allen Fällen das Taktgefühl des andern, nicht herrische Ungeduld deinerseits.» 578
575
Plin. paneg. 23,1–3 (Übers. Kühn): Gratum erat cunctis, quod senatum osculo exciperes, ut dimissus osculo
fueras; […] gratius tamen, quod sensim et placide et quantum respectantium turba pateretur incederes, quod
occursantium populos te quoque, te immo maxime artaret, quod primo statim die latus tuum crederes omnibus.
Neque enim stipatus satellitum manu sed circumfusus undique nunc senatus, nunc equestris ordinis flore, prout
alterutrum frequentiae genus invaluisset, silentes quietosque lictores tuos subsequebare; nam milites nihil a plebe
habitu tranquillitate modestia differebant.
576
Plin. paneg. 24,2 Die dexterae verecundia dürfte eine Anspielung auf Domitian oder Caligula sein, welche den
Kuss der Senatoren nur auf die Hand bzw. den Fuss entgegennahmen.
577
Plin. paneg. 24,5.
578
Plin. paneg. 24,2–3 (Übers. Kühn): Non tu civium amplexus ad pedes tuos deprimis, nec osculum manu
reddis; manet imperatori quae prior oris humanitas, dexterae verecundia. Incedebas pedibus, incedis; laetabaris
labore, laetaris, eademque illa omnia circa te, nihil ⟨in⟩ ipso te fortuna mutavit. Liberum est ingrediente per
publicum principe subsistere occurrere, comitari praeterire: ambulas inter nos non quasi contingas, et copiam tui
non ut imputes facis. Haeret lateri tuo quisquis accessit, finemque sermoni suus cuique pudor, non tua superbia
facit.
144
Das spätantike Kaiserzeremoniell
Ob der Kaiser wirklich für alle Anwesenden so zugänglich war, darf bezweifelt werden; Plinius selbst
erwähnt zumindest beim adventus lediglich Senatoren und Ritter an der Seite des Kaisers. 579 Das Privileg, auch sonst neben dem Kaiser her zu spazieren und mit ihm Gespräche zu führen, wird wohl genauso den lokalen Eliten vorbehalten gewesen sein. Dennoch zeigen sich in der Beschreibung von
Trajans adventus und allgemeinem Verhalten ein grundsätzlich anderes Bild als im adventus des
Constantius, trotz identischem Kontext und Lokalität. Der Kontrast zwischen der Beweglichkeit eines
zu Fuss gehenden Trajans einerseits, zum starren, auf einem Wagen möglichst unbeweglich stehenden
Constantius andererseits ist augenfällig. Trajan badet in der Menge des Volkes; das Fehlen einer Leibgarde, die den Kaiser vom Volk abschirmt, wird besonders betont. Die Soldaten Trajans sind bei Plinius
von normalen Bürgern kaum zu unterscheiden, während die Soldaten in schimmernder Rüstung, welche Kaiser Constantius gleich in doppelter Reihe umgaben, für Ammian wie Praxiteles-Statuen anmuten. Beide Autoren schliessen letztlich vom Besonderen auf das Allgemeine: Beide lesen in Auftritt und
Verhalten ihres jeweiligen Herrschers bestimmte, in beiden Fällen sehr unterschiedliche, kaiserliche
Tugenden hinein und verknüpfen diese mit divergierenden Herrschaftsvorstellungen: Bewegtheit,
herzliche Zuneigungsbekundung und Zugänglichkeit als Ausdruck von civilitas; Unbeweglichkeit und
Unnahbarkeit als Zeichen von maiestas.
Kaiserliche Statuen und statueske Kaiser
Die «Statuenhaftigkeit», welche Ammian in Bezug auf Constantius adventus so stark betont, verdient
als Phänomen kaiserlicher Repräsentation eine gesonderte Betrachtung. Das Vokabular, das Ammian
benutzt, ist eindeutig auf Porträtkunst ausgelegt: Zuerst wird die gepanzerte Leibgarde des Kaisers als
simulacra von der Hand des Praxiteles beschrieben; daraufhin die unbewegliche Haltung, der starr geradeaus gerichtete Blick und die Standfestigkeit des Kaisers selbst, welche an figmentum hominis erinnert. 580 Auch bei anderen Autoren wird eine solche Erscheinung des Kaisers und seiner Entourage hervorgehoben. Tatsächlich finden sich sogar bereits in den Lobreden des Caesars Julian auf seinen Augustus Assoziationen von Constantius und seinen Soldaten als Statuen. In seiner ersten Lobrede auf
Kaiser Constantius beschreibt Julian – nicht als erster, wie er betont, jedoch in der Hoffnung, als erster
der Realität gerecht zu werden – die atemberaubende Rüstung der Soldaten. Diese habe Constantius
als erster Kaiser so herstellen lassen und auch gleich selbst getragen, um den Umgang damit seinen
Soldaten beizubringen. Die Rüstung Soldaten beschreibt Julian sehr detailliert, und dessen Beschreibung ähnelt der Beschreibung Ammians sehr: Die Soldaten sassen auf den Pferden «wie Statuen»
579
Zudem spricht Plinius bezeichnenderweise nicht von der plebs, sondern vom populus bzw. den cives, vor allem
aber nos, die sich dem Kaiser nähern durften – das dürfte eine sehr elitäre Sicht sein.
580
Amm. 16,10,8 bzw. 9–11.
145
Das spätantike Kaiserzeremoniell
(ἀνδριάντας), insbesondere die Metallmaske, die das Gesicht bedeckte, liess die wie «glitzernde Statuen» erscheinen (ἀνδριάντος λαμπροῦ καὶ στίλβοντος). 581 Auch im zweiten Panegyrikus (Über die Taten des Kaisers oder Über die Königsherrschaft) kommt dasselbe Bild der statuesken Infanterie nochmal vor. 582
Da Constantius dieselbe Rüstung trug, lässt sich das Bild auch auf den Kaiser übertragen. Die Angleichung von Constantius und den ihn umgebenden Soldaten an Statuen ist also ein Umstand, welcher
unterschiedlichen zeitgenössischen Autoren aufgefallen ist, 583 und von Constantius höchstwahrscheinlich bei passenden zeremoniellen Anlässen, wie adventus oder profectio, bewusst inszeniert wurde.
Dabei scheint es sich aber um ein Phänomen zu handeln, welches nicht erst bei Constantius fassbar ist.
Bereits sein Vater Konstantin gab sich bei seinem triumphalen Einzug in die Stadt Rom 45 Jahre zuvor
ähnlich unbeweglich: Laut Eusebius sei der Kaiser nach seinem Sieg über Maxentius von den Jubelrufen
der stadtrömischen Bevölkerung begrüsst worden; aus seiner «frommen Scheu» heraus gab er sich
unberührt und erhob sich nicht. 584 Das statueske Auftreten scheint dann auch für zukünftige Dynastien
Schule gemacht zu haben. So veranlasst etwa die Prozession von Kaiser Honorius zum Anlass seines
vierten Amtsantrittes als Konsul 398 in Mailand seinen Panegyriker zu einem Vergleich mit einem ägyptischen Kultbild. 585
Die Art und Weise, wie Constantius und andere spätantike Kaiser ihre Körper in der Öffentlichkeit inszenieren, ist also für die antiken Betrachter nicht mehr weit entfernt von den tatsächlich steinernen
oder bronzenen Porträts der Kaiser. Die Kausalität der imitatio des Kaisers durch seine Kaiserbilder
scheint für die spätantiken Autoren beinahe umgekehrt oder zumindest in beide Richtungen zu verlaufen: Der Kaiser versucht, seine eigenen Bildnisse nachzuahmen. Dieser Sachverhalt legt folglich eine
genauere Betrachtung der konstantinischen Kaiserbilder nahe.
Alföldi erkannte in der unpersönlichen und säkularen Regelung des spätantiken Kaiserzeremoniells Parallelen zu dem zunehmenden Verlust des Individualismus des Herrschers in der Porträtkunst seit dem
3. Jahrhundert. Demnach gingen die persönlichen Merkmale der herrschenden Person zugunsten von
581
Iul. or. 1 (Const.), 37 C–38 A.
Iul. or. 3 (De regno), 57 C.
583
Unbeweglichkeit, die durch Kleidung verursacht wird, veranlasst nebenbei bemerkt auch noch moderne Beobachter zu Vergleichen mit Statuen, insbesondere, wenn besagte Kleidung vor allem von Statuen bekannt ist.
So vergleicht Dirk Barghop die durch ihre überkomplexe Toga in der Bewegung eingeschränkten Senatoren Roms
als «wandelnde Statuen»: BARGHOP 1994, 81–87, speziell 85.
584
Eus. vita Const. 1,39,3 (Übers. Schneider).
585
«Auch heute: Welche Gewänder, welche Augenweide eines staunenswerten Festzugs haben wir sehen dürfen, als du bereits mit der römischen Toga drapiert noch schöner als gewohnt durch die Volksscharen der Ligurer
zogst und auf hohem Sitz zwischen weissgewandeten Kohorten getragen wurdest, während auserwählte Mannen auf ihren Schultern die göttliche Last trugen! So präsentiert Memphis seine Gottheiten dem versammelten
Volk, aus dem Tempel kommt das Götterbild, klein ist es zwar, doch eine grosse Zahl von Priestern im Leinengewand ächzt, wenn die Tragestange ihnen aufgelegt wurde, und bestätigt durch ihren Schweiss, dass sie einen
Gott trägt.» Claud. cons. Hon. 565–574 (Übers. Weiss/Wiener). Den Vergleich mit Ammian zieht auch
MACCORMACK 1972, 737 f.
582
146
Das spätantike Kaiserzeremoniell
unpersönlichen, streng geregelten Gesten, Worten, Kostümen und Schmuck zurück. So sei der «Zwang
der Formen», die «starre Feierlichkeit», die sich in der Kunst zeige, auch in den tatsächlichen Auftritten
der Herrscher «im Leben selbst» erstrebt worden. 586 In der älteren Forschung wurde auch allgemein
eine gewisse «kristalline Starrheit» der spätantiken Porträtkunst attestiert. 587
Der Rückgang der individuellen Kenntlichkeit des Herrschers in seinen Porträts drückte sich auch durch
eine zunehmende Einheitlichkeit der verschiedenen Kaiserbilder aus. Nicht von ungefähr sind Zuschreibungen der Porträts der Tetrarchie und der folgenden Kaiserdynastien häufig unsicher. Einzelbeschreibungen werden in der Forschung deshalb mehrheitlich zugunsten einer Untersuchung der allgemeinen
stilistischen Vorstellungen von Kaiserporträts vermieden. Grund dafür sind die auffällige Einheitlichkeit
der Porträts: Individuelle Züge und Kenntlichkeit der Herrscher gehen stark zurück. Dagegen erkannte
die Porträtforschung in den spätantiken Kaiserbildern die Absicht, allgemeine Vorstellungen über das
Kaisertum über die Porträtkunst zu vermitteln. In der similitudo der tetrarchischen Kaiserporträts drücke sich abgesehen von der Zurschaustellung der concordia der verschiedenen Herrscher auch der allgemeine, unvergleichliche Rang des Herrschers an sich aus. Damit gelten die tetrarchischen Kaiserbilder als Ausdruck der zeitgenössischen staatspolitischen Vorstellungen. 588 In dieser Hinsicht erwies sich
die tetrarchische Porträtkunst auch stilbildend für die zukünftigen Kaiserbilder. So sind etwa auch die
Porträts der folgenden konstantinischen Dynastie oft nur schwer voneinander zu unterscheiden und
selten sicher zu identifizieren. Ein bekanntes Beispiel sind die beiden kolossalen Köpfe, die sich heute
in den kapitolinischen Museen in Rom befinden. 589 Während der Marmorkopf im Hof relativ eindeutig
als Konstantin identifiziert werden kann, ist sich die Forschung bezüglich dem Bronzekopf uneinig, ob
es sich dabei ebenfalls um Konstantin oder um seinen Sohn Constantius II. handelt. 590 Einen weiteren
Eindruck von der fortgesetzten similitudo erhält man auch bei Betrachtung der Illustrationen in dem
weniger bekannten sogenannten Chronographen von 354: In zwei Zeichnungen, die einen sitzenden
und einen stehenden Konsul mit jeweils prächtiger Ausgestaltung der Kleidung und insignia zeigen,
werden heute Constantius II. (sitzend) und Julians Bruder Gallus (stehend) erkannt, während Mommsen 1850 ursprünglich noch Constantius II und Constans als die Dargestellten ansah. 591
586
ALFÖLDI 1980, 273 f.. Als Beispiel nennt Alföldi den bei Ammian beschriebenen Auftritt des Constantius in
Rom 357.
587
DELBRUECK 1978, 5 f.
588
ENGEMANN 1988, 972 f.
589
Siehe Abb. 6 bzw. 8.
590
L'ORANGE 1984 (Das spätantike Herrscherbild von Diokletian bis zu den Konstantin-Söhnen 284–361 n. Chr), 79,
identifizierte den Bronzekoloss mit Constantius, während VARNER 2012, 183, ihn als späten Konstantin ansieht.
591
Siehe Abb. 10–11. DIVJAK/WISCHMEYER 2014 (Das Kalenderhandbuch von 354. Der Chronograph des Filocalus),
85–90 gehen bei den Darstellungen des Chronographen davon aus, dass diejenige des sitzenden Konsuls einen
höheren Rang symbolisiert als die des stehenden.
147
Das spätantike Kaiserzeremoniell
Somit ist weniger eine Zäsur zwischen den Darstellungen von paganen und christlichen Herrschern
festzustellen, wie man vermuten könnte, sondern vielmehr zwischen den kaiserzeitlichen und den tetrarchischen Kaiserbildern: Die Neuerungen in der Darstellungsform wurden von den christlichen Nachfolgern der Tetrarchen übernommen; insbesondere die Auffassung des von den übrigen Menschen
isolierten, über Beherrschte wie Besiegte hoch erhabenen Kaisers. Selbst die grundsätzlichen religionspolitischen Aussagen tetrarchischer Herrscherbilder, in denen die Herrscher als Erwählte der Götter
erschienen, die ihnen Imperium und Siege verliehen, lebten unter christlichen Kaisern weiter. Die zunehmende Christianisierung unter Konstantin und seinen Söhnen hat sich somit nicht auf die wesentlichen herrschaftsbezogenen Aussagen der Herrscherbilder ausgewirkt. 592 Dennoch gibt es klar fassbare Veränderungen zwischen der tetrarchischen und der konstantinischen Porträtkunst. Seit Konstantin näherten sich die Herrscherporträts in ihrem Stil wieder den vortetrarchischen, «gallienischen»
Porträt-Stil an, indem Konstantin nun wieder als göttlich inspirierter Herrscher mit wallendem Haar
und himmelwärts gerichtetem Blick dargestellt wird. 593
An den konstantinischen Kaiserporträts wird in der modernen archäologischen Forschung häufig eine
gewisse «Entrücktheit» und «Erhabenheit» konstatiert, welche die Statuen ausstrahlten. 594 Insbesondere die Kolossalstatue Konstantins wird dafür gerne herangezogen. In diesem und den anderen bildlichen Darstellungen der konstantinischen Dynastie erkannte etwa H.P. L’Orange eine divina maiestas,
Ausdruck des Übermenschlichen und Numinösen, das als ikonische Formel aus der Tetrarchie für das
konstantinische Kaiserhaus übernommen worden sei und in langer Sicht sogar grundlegend auf das
Kaiserbild des Mittelalters einwirkte. 595 L’Orange sprach in diesem Zusammenhang von einem ganz
neuen, konstantinischen Herrscherbild, einem sogenannten «typos hieros». Dieser sei im Verlauf der
Zeit zu einer «Kaiseridee ohne Kaiserpersönlichkeit» geworden: Lockenbogen und Bartlosigkeit gehörten fortan zum Schema, dem sich neue Herrscher beim Regierungsantritt anzupassen hatten. 596 Dieser
«typos hieros» sei auch von Ammian in der Beschreibung von Constantius’ adventus erkannt worden,
dessen statuarisch unbewegliche Haltung eben diesen Typus ausdrückte, der dem zeremoniellen Herrscherstil der Spätantike angehörte. 597
Die Gefahr einer modernen Überinterpretation sollte gerade bei materiellen Porträts nie aus den Augen verloren werden. Einen tatsächlichen Einblick in das Innenleben eines Kaisers bieten seine Porträts,
592
ENGEMANN 1988, 967 f.
MACCORMACK 1981, 38.
594
So etwa ENGEMANN 1988, 978 f., der im Zusammenhang mit den konstantinischen Porträts auch betont, dass
hier ausnahmsweise Vergleiche mit der literarischen Überlieferung, d.h. Ammians Beschreibung von Constantius’
adventus, zulässig sind.
595
L'ORANGE 1984, 78.
596
Ibid., 79.
597
Ibid., 83.
593
148
Das spätantike Kaiserzeremoniell
trotz mancher Versuche in diese Richtung, letztlich nicht – schon gar nicht für den modernen Betrachter. 598 Dass es sich aber bei der Wahrnehmung der konstantinischen Porträtkunst als Ausdruck einer
gewissen überweltlichen Persönlichkeit nicht bloss um eine moderne Interpretation handelt, legt eine
Stelle bei Eusebius nahe, den die neuen Porträts Konstantins zu einer Erwähnung veranlassten:
«Eine wie grosse Kraft des Glaubens aber in seiner Seele verwurzelt war, das kann man auch
aus Folgendem ersehen: Auf Goldmünzen liess er sein eigenes Porträt in der Weise einprägen,
dass er den Eindruck machte nach oben zu blicken nach Art eines Mannes, der mit ausgebreitet Armen zu Gott betet. Solche Prägungen waren in der ganzen οἰκουμένη der Römer im
Umlauf. In einigen Städten wurde er in den kaiserlichen Gebäuden selbst auf der Vorderseite
des Eingangsbereichs auf einigen aufgestellten Porträtbildern stehend dargestellt, wobei er
hinauf in den Himmel blickt, beide Arme ausgestreckt in der Haltung eines Betenden.» 599
Eusebius liefert hier eine Anleitung zur Lesung der neuen Porträts, die mit grossen Augen himmelwärts
blickend eine gewisse Überweltlichkeit des Herrschers ausdrücken sollen. Ein «emporgerichteter
Blick» erkannte Ammian auch an der Person des Constantius; 600 es handelt sich dabei um ein Merkmal,
welches zeitgenössische Beobachter bei den Kaisern der konstantinischen Dynastie sowohl an den
Porträtstatuen wie auch am «echten» Kaiser wiedererkannten. Dem neuen Herrscherbild entsprechen
auch die konstantinischen Panegyriken, die regelmässig auf die «göttliche» körperliche Schönheit als
Ausdruck seiner Tugenden und Nähe zum Göttlichen verweisen. 601
Die zunehmende Erhöhung des Kaisers bewirkt in dieser Lesung auch einen wachsenden Abstand zwischen Herrscher und Beherrschten auch in der darstellenden Kunst. Neben den abgehobenen Porträts
drückt sich dies insbesondere auch in der Disposition der kaiserlichen Körper auf Denkmälern aus. 602
Ein gutes Beispiel dafür liefern die Friese auf dem Konstantinsbogen in Rom.
Das Fries der Nordseite zeigt eine oratio Konstantin nach seinem adventus in die Stadt. 603 Konstantin,
dessen Gesicht heute fehlt, ist zentral auf der Rednerbühne positioniert und ist die einzige Person, die
frontal dargestellt ist, während alle anderen Anwesenden im Profil zu sehen sind. Der Kaiser ist also
598
Für die einzige Art und Weise, wie man sich anhand eines Porträts einen tatsächlichen Einblick in das «Innenleben» eines Kaisers machen kann, verweise ich auf das Beispiel der Bronzebüste von Konstantin/Constantius in
Abb. 9.
599
Eus. vita Const. 4,15 (Übers. Schneider): Ὅση δ’ αὐτοῦ τῇ ψυχῇ πίστεως ἐνθέου ὑπεστήρικτο δύναμις, μάθοι
ἄν τις καὶ ἐκ τοῦδε λογιζόμενος, ὡς ἐν τοῖς χρυσοῖς νομίσμασι τὴν αὐτὸς αὐτοῦ εἰκόνα ὧδε γράφεσθαι διετύπου,
ὡς ἄνω βλέπειν δοκεῖν ἀνατεταμένου πρὸς θεὸν τρόπον εὐχομένου. τούτου μὲν οὖν τὰ ἐκτυπώματα καθ’ ὅλης
τῆς Ῥωμαίων διέτρεχεν οἰκουμένης. ἐν αὐτοῖς δὲ βασιλείοις κατά τινας πόλεις ἐν ταῖς εἰς τὸ μετέωρον τῶν
προπύλων ἀνακειμέναις εἰκόσιν ἑστὼς ὄρθιος ἐγράφετο, ἄνω μὲν εἰς οὐρανὸν ἐμβλέπων, τὼ χεῖρε δ’
ἐκτεταμένος εὐχο μένου σχήματι.
600
Amm. 21,16,19.
601
Paneg. lat. 6 (7), 17,1–4. Vgl. auch Paneg. lat. 6 (7), 21,4–6: Konstantin erkennt sich in der Gestalt des Apollon,
da er wie jener jung und wunderschön (pulcherrimus) sei.
602
ENGEMANN 1988, 981, mit dem Verweis, dass diese Entwicklung bereits von Plinius beschrieben wurde.
603
Siehe Abb. 7.
149
Das spätantike Kaiserzeremoniell
durch seine Hexis, seiner stehenden Haltung, Körpergrösse und den frontalen, d.h. in die Ferne gerichteten Blick deutlich von den anwesenden Senatoren abgehoben. Dies geht über eine einfache Markierung des Herrschers hinaus; die anderen Friesdarstellungen des Bogens bilden eine Komposition, die
eine abgehobene, übernatürliche Natur des Herrschers betonen. 604
Einzig die sitzenden Statuen, welche die Rednerbühne flankieren und mit Mark Aurel und Trajan identifiziert werden, sind ebenfalls frontal dargestellt. Die gemeinsame frontale Darstellung lässt Konstantin gemeinsam mit den «guten» Kaisern einer goldenen Vergangenheit im Verbund stehen; er wird gar
selbst in dem Schema einer kaiserlichen Statue gezeigt. Auch an anderen Stellen auf dem Bogen wird
Konstantin in ähnlicher Weise und in Relation mit Mark Aurel dargestellt. 605 Dieses «Vokabular des
Statuesken» ist bereits unter Konstantin zu einem Grundsatz der kaiserlichen Repräsentation geworden. 606 Es ist dasselbe statueske Verhalten, dass auch Constantius bei seinem Einzug in Rom an den
Tag legte.
Zwischenfazit
Die tetrarchische und konstantinische Porträtkunst bildete das Vorbild für die Kaiserporträts des 4. und
frühen 5. Jahrhunderts, mit dem Ergebnis, dass die Kaiserporträts zum Ausdruck der Tatsache wurden,
dass nun nicht mehr die Person des Kaisers, sondern sein Amt der Stellung Gottes angenähert wurde.
Durch das Zurückstellen der Kenntlichkeit der Einzelperson und das Hervorheben von allgemeinen
herrscherlichen Attributen verschiebt sich der Fokus von der historischen Person des Herrschers auf
das unabhängig von ihr bestehende, göttliche Amt an sich. 607 Die neue Art der Darstellung korrespondiert auch stark mit den zeitgenössischen Panegyriken, insofern als in beiden Medien eine klar definierte Theorie der letztlich göttlichen Natur der kaiserlichen Macht ausgedrückt wird, ohne aber die
menschliche Natur der Person in Frage zu stellen. 608 Diese neue Trennung zwischen der Person und
dem Amt des Kaisers erlaubte es den Porträtkünstler sowie den Panegyrikern, die konkrete Wirkungsmacht der Anwesenheit des Kaisers auch bei tatsächlichen historischen Ereignissen in einem religiös
überhöhten Rahmen auszudrücken, dabei aber die Menschlichkeit des Herrschers intakt zu lassen. Dies
604
Vgl. MACCORMACK 1981, 35–37; vgl. auch MACCORMACK 1972, 731–33 für eine Besprechung des Ostfrieses mit
der Darstellung von Konstantins adventus in Rom 312: Der Einzug Konstantins wird hier mit einem darüber liegenden Rundbild in Verbindung gebracht, dass den Aufstieg seiner Schutzgottheit Sol in einer Quadriga aus dem
Meer zeigt. Die Darstellung wird damit zu etwas Besonderem, denn durch die Verbindung des adventus von Sol
– nicht mehr Jupiter wie unter den Tetrarchen – und Kaiser ist eine Ausdrucksfigur, die sowohl in der Panegyrik
als auch in der Kunst verwendet wurde, um die divinitas des Kaisers zu verkünden und seine Ankunft als kosmisches Ereignis darzustellen.
605
Vgl. STEWART 2003 (Statues in Roman Society), 115.
606
Ibid., 116.
607
Vgl. ENGEMANN 1988, 972 f.: «An die Stelle der Aussage ‹dies ist Antoninus Pius (der Kaiser)› trat jetzt: ‹dies ist
der Kaiser (Valentinian II)›».
608
MACCORMACK 1981, 33.
150
Das spätantike Kaiserzeremoniell
dürfte ein wichtiger Grund gewesen sein, weshalb diese Darstellungsformen die folgende Christianisierung des römischen Herrscherhauses überdauerten.
Bereits im Prinzipat waren die Bilder des Kaisers zum Teil «wirklicher» als reale Körper. 609 Auch in der
Spätantike wurde die Präsenz des Kaisers in der Bevölkerung zumeist durch Statuen vermittelt, welche
kaiserliche Tugenden wie Dauerhaftigkeit und Unsterblichkeit, (Halb)-Göttlichkeit und ästhetische Perfektion darzustellen vermochten. 610 Dabei zeigt sich eine zunehmende Angleichung der Erscheinungen
von Kaiser und seinen Bildnissen, jedoch in einer überraschenden Richtung: Nicht die Bildnisse wurden
«realer», sondern die natürlichen Kaiserkörper wurden «unwirklicher», um so zu erscheinen wie seine
göttlich inspirierten Porträts. So erklärt sich, dass sich der lebende Kaiser schliesslich in Form dieser
Statuen präsentierte oder präsentiert wurde: Sie waren zu einem grossen Teil die Realität seiner sichtbaren Präsenz in der Öffentlichkeit. Man war sich gewohnt, in ihnen die Tugenden der dargestellten
Kaiser abzulesen, und die kaisernahe literarische Tradition unterstützte diese Lesung aktiv. Damit hatte
der «echte» kaiserliche Körper wiederum das Potential, durch Annahme eines statuesken Habitus
eben jene Konnotationen auszudrücken und zu bestätigen.
609
610
MEISTER 2012, 218.
STEWART 2003, 112.
151
VI.
Des Kaisers neue Kleider
Die Körper des Princeps
In seiner 2012 publizierten Dissertation widmet sich Jan Meister der Thematik des Herrscherkörpers
im Prinzipat und der frühen Kaiserzeit. 611 Ausgehend von der Arbeit von Ernst Kantorowicz untersucht
Meister den monarchischen Herrscherkörper, wie er im republikanischen Rom mit Octavian zum ersten Mal auftrat. Nach Kantorowicz existierte der monarchischer Körper in der Frühen Neuzeit sozusagen zweimal: Einmal als «body natural», d.h. der natürliche, individuelle Körper des Herrschers, der
von der Person nicht trennbar ist; und einmal als «body politic», d.h. den symbolischen, durch königliche Insignien gekennzeichneten, nicht austauschbaren und daher von der Person des Herrschers unabhängigen königlichen Körper. 612 Dass dies auf das frühe Prinzipat nicht zutrifft, zeigt Meister in seiner Monographie: Er vertritt die These, dass es im Prinzipat keine Trennung zwischen «body politic»
und «body natural» gab: Der Körper des Princeps war zugleich auch die Verkörperung der Monarchie.
Nach Meisters These manifestierte sich die Institution des Prinzipats zuerst im Körper der frühen augusti, da die Möglichkeiten fehlten, durch Kleidung oder Insignien einen Monarchen, den es offiziell
nicht gab, zu markieren. Der Princeps habe sich in Habitus und damit im Aussehen und Verhalten der
Senatsaristokratie anpassen müssen. Dies stand jedoch im Widerspruch zu seiner tatsächlichen Position, denn allen war bewusst, dass der Kaiser trotz seinem ähnlichen Aussehen über den übrigen Senatoren stand. Es war eine merkwürdige und historisch in dieser Form wohl einzigartige Situation, dass
der Herrscher nicht als Herrscher in Erscheinung treten durfte. Auf methodischer Ebene hat das Auswirkungen auf den Habitus des Kaisers. So konstatiert Meister: «Wenn man das Verhalten eines Senators als Habitus umschreibt, als eine zur zweiten Natur gewordenen Handlungsdisposition, so muss
man konstatieren, dass der Princeps keinen Habitus hatte. Er war ein Herrscher, der einen Nichtherrscher zu spielen suchte, und was dabei besonders problematisch war: Er selbst und seine Umgebung
waren sich dessen völlig bewusst.» 613 Indem Meister seinen Überlegungen eine bourdieusche Definition von «Habitus» zugrunde legt, zeigt er auf, dass ein «guter» Princeps sich in das bestehende aristokratische Symbolsystem einfügte, in dem sich Statusunterschiede nicht in den Körpern der Senatoren widerspiegelte, sondern in der normierenden Kleidung und der Dispositionen der Körper untereinander ausdrückte. 614 Der Princeps inszenierte sich als privatus und eignete sich bewusst republikanische Verhaltensweisen und Äusserlichkeiten an. Ein Habitus im Sinne Bourdieus ist das nicht. Denn ein
Habitus sei eben gerade nicht etwas, was man sich aus bewusstem politischem Kalkül einfach aneignen
611
MEISTER 2012.
KANTOROWICZ 2016.
613
MEISTER 2012, 223.
614
Ibid., 225–30.
612
152
Des Kaisers neue Kleider
kann, sondern eine als natürlich und selbstverständlich empfundene Disposition, die einem quasi «in
Fleisch und Blut» übergegangen ist. 615 Respektsbezeugungen des Princeps waren als Höflichkeitsbekundungen zu verstehen, die nicht die tatsächlichen Machtverhältnisse abbildeten. Dies konnte zu unangenehmen Situationen führen, in denen korrektes Verhalten zwischen Princeps und Senatoren oder
dem populus nicht klar vorgegeben war. 616 Der bescheidene Schein-Habitus war nur eine bewusst eingenommene Rolle, eine Performanz, deren Existenz allen Beteiligten bewusst war. 617 Doch gerade
dadurch wurde der Körper des Princeps zu einem ganz besonderen. Da der Körper von republikanischen Normen nicht tangiert gewesen sei, habe er einen Spielraum geboten, die Monarchie sichtbar
werden zu lassen, ohne dabei in direkten Konflikt mit den Vorstellungen der res publica zu kommen.
Meister vertritt die These, dass die Aristokratie die Definitionshoheit über den bisher normfreien Körper des Princeps an neue, nun ebenfalls herrschaftsrelevante Bevölkerungsgruppen zu verlieren
drohte, während dieser zur Projektionsfläche von charismatischen Vorstellungen in der Bevölkerung
und beim Heer wurde. Aristokratische Quellen berichten von einem starkem Interesse des einfachen
Volkes an dem Kaiserkörper und der damit verbundenen charismatischen Legitimation des Herrschers,
und es sei mit zahlreichen Gerüchten und Erzählungen zu rechnen, die auf breiter Basis mündlich tradiert wurden. 618 Meister vermutet daher, dass die – nicht selten auch mythischen – Vorstellungen vom
Körper des Princeps sich in den im Reich verteilten Herrscherstatuen manifestierten und so «wirklicher» als der reale Princeps wurden, der sich weiterhin am senatorischen Habitus orientierte. 619 Was
er real verkörperte, sei so nicht mehr als authentisch angesehen worden – er sei eben zum «Körper
ohne Habitus» geworden.
Meisters Studie beschränkt sich in zeitlicher Hinsicht auf die späte Republik und das Prinzipat bis in
hadrianische Zeit. In einem kurzen Ausblick auf die weiteren Entwicklungen konstatiert er eine mit der
Zeit schleichende Veränderung im Auftreten des Princeps, das sich zunehmend den tatsächlichen
Machtstrukturen anglich. Dies geschah einerseits aufgrund einer Gewöhnung an den Princeps, während parallel dazu die republikanischen Normen zunehmend verblassten. Andererseits wurde mit der
Zeit die traditionelle Scheidung zwischen öffentlich und privat mit der Herausbildung eines kaiserlichen
615
MEISTER 2012, 231; vgl. dazu etwa BOURDIEU 1980, 116: «Le sens pratique, nécessité sociale devenue nature,
convertie en schèmes moteurs et en automatismes corporels, est ce qui fait que les pratiques, dans et par ce qui
en elles reste obscur aux yeux de leurs producteurs et par où se trahissent les principes transsubjectifs de leur
production, sont sensées, c'est-à-dire habitées par un sens commun. C'est parce que les agents ne savent jamais
complètements ce qu'ils font que ce qu'ils font a plus de sens qu'ils ne le savent.»
616
MEISTER 2012, 231–33. Unter anderem führte dies auch dazu, dass etwa Augustus solche unkontrollierten Begegnungsmomente mit Volk und Senatoren bewusst vermied; siehe dazu Meisters Kapitel «Die geschlossene
Sänfte des Augustus» (239–41). Die entsprechende Sueton-Passage wurde auch bereits zuvor von Dirk Barghop
eingehend untersucht: BARGHOP 1994, 13–16; 96–112.
617
MEISTER 2012, 247.
618
Ibid., 136 f.
619
Ibid., 193–217.
153
Des Kaisers neue Kleider
Hofes in Frage gestellt: Die Machtdemonstrationen, die der Kaiser als Hausherr unternahm, erhielten
zunehmend öffentlichen Charakter. 620
Nimmt man nun einen grossen Sprung vom frühen Prinzipat zur Spätantike und wirft einen Blick auf
das massiv ausgestaltete kaiserliche Zeremoniell unter der Tetrarchie sowie der konstantinischen Dynastie, wird man feststellen müssen, dass sich in Bezug auf die Repräsentation von Kaiser und Kaisertum einiges verändert hat. In Anbetracht der von Meister aufgestellten These, dass das frühe Prinzipat
keinen «body politic» aufzuweisen hatte, lässt sich festhalten, dass sich ein solcher im 4. Jahrhundert
etablierte. Die Spätantike kannte bereits zwei Formen des kaiserlichen Körpers. Das heisst, dass sich
die Kaiser spätestens seit der Tetrarchie ganz bestimmten Herrschaftsformen «mit Haut und Haar» zu
unterwerfen hatten. Der Herrschaftsantritt wurde zur wortwörtlichen «Bekleidung» eines Amtes, was
sich unter anderem in den neuen Formen der Krönungszeremonien, fest etablierten kaiserlichen
Trachten und Insignien und letztlich auch im Aussehen und körperlichen Verhalten der Herrscher ausdrückte.
Dies hat nicht zu bedeuten, dass dies eine neue Erfindung der Spätantike gewesen ist: Analog zu der
zunehmenden Ausgestaltung des Kaiserzeremoniells veränderten sich auch die Vorstellungen vom
Herrscherkörper schleichend, aber letztlich grundlegend. Eine Situation wie im frühen Prinzipat, in der
ein Herrscher ohne Habitus herrschte, war auf Dauer nicht stabil und entwickelte sich natürlich, über
Umwege und individuelle Experimente, durch allmähliche Gewöhnung, schleichende Veränderungen
in sozialen und politischen Strukturen und Erwartungshaltungen verschiedener Gruppen, in eine institutionalisierte Form der Herrschaft. Der Herrscherkörper machte diese Entwicklung zwangsläufig mit;
so ist der Herrscherkörper in der Spätantike strukturell nicht mehr ohne das Herrscherzeremoniell
denkbar,
Dieser Umstand wird auch von den zeitgenössischen Quellen bezeugt. Die Hinweise sind zahlreich,
wenn auch subtil: So berichtet Ammian von einer Reihe von Gerichtsverfahren wegen Majestätsbeleidigungen (maiestatis crimen) in der Stadt Ankyra, denen Julian gezwungenermassen als Richter vorstand. 621 Dabei sei jemand von seinem persönlichen Feind angeklagt worden, sich ein seidenes Purpurgewand anfertigen zu lassen. 622 Julian durchschaute den Betrugsversuch und reagierte souverän,
indem er dem Angeklagten auch noch ein paar purpurne Schuhe zukommen liess, «damit er verstehe,
620
MEISTER 2012, 247–49.
Amm. 22,9,8–12.
622
Das Tragen des Purpurs war dem Kaiser allein vorbehalten; der alleinige Besitz eines solchen wurde als
Schwerverbrechen geahndet. Jedoch war dies auch ein gängiges Mittel zur Denunzierung persönlicher Feinde;
nach Ammian handelte es sich auch hier bei den meisten Anklagen um haltlose Anschuldigungen unter verfeindeten Personen zum Ziel des persönlichen Profits.
621
154
Des Kaisers neue Kleider
was die unbedeutenden Lumpen ohne die höchste Macht wert sind». 623 Auch Libanios erwähnt, vielleicht inspiriert durch dasselbe Ereignis, dass Julian nicht viel auf den Purpur gab. Dieser müsse zwar
jeder Kaiser unbedingt tragen, doch er trug ihn so wie jede andere Kleidung. 624 Zugleich verkündet
Libanios auch, dass Majestätsbeleidigung unabhängig von der beleidigten Person ein Verbrechen sei;
denn auch wenn es sich um eine schwache Persönlichkeit handelt (wie in seinen Augen Constantius),
verdiene dessen Position als Kaiser dennoch Respekt. 625 Malalas schliesslich berichtet, wie Diokletian
das Amt des Alytarchen übernahm, indem er seine purpurnes Gewand durch ein weisses ersetzte und
mit dem kaiserlichen Ornat zugleich auch die Kaiserherrschaft ablegt:
«Und es war in Antiocheia eben dieser Diokletianus Alytarch, indem er den kaiserlichen Ornat
ablegte und nach der Beendigung der Olympischen Spiele die Stellung eines Kaisers aufgab; er
sagte: ‹Ich habe die Kaiserherrschaft abgelegt, und ich habe die Tracht des unsterblichen Zeus
getragen.›» 626
Das Kaisertum wird also zunehmend als «Amt» wahrgenommen, dass es zu «bekleiden» gelte (und das
man im Falle Diokletians auch ablegen kann). Auch wenn der Kaiser stirbt und auch wenn die Nachfolgeregelung weiterhin ein gefährliches Moment in der Kontinuität der Dynastien gewesen war, wurde
die Institution des Kaisertums an sich nicht mehr hinterfragt. 627 Der «body politic» war etabliert; der
Herrscherkörper an sich war nicht mehr an eine spezifische Persönlichkeit gebunden.
Im spezifischen Fall von Julian heisst das, dass er mit seinem Herrschaftsantritt in ein relativ neues,
jedoch detailliert ausgestaltetes System eintrat, das man als das konstantinische Kaiserzeremoniell bezeichnen kann, das noch in wesentlichen Zügen, besonders hinsichtlich der Repräsentation des Kaisers
und seiner öffentlichen Auftritte, auf tetrarchischen Vorgängern beruhte. Wie die Forschung zeigte,
kam auch dieses neue Zeremoniell nicht plötzlich mit Diokletian auf und ist auch nicht mit einer exogenen «Orientalisierung» zu erklären, sondern basiert wiederum auf Traditionen, die bereits eine lange
Entwicklung hinter sich haben. Das Kaiserzeremoniell bestand als in seinen Grundzügen schon lange in
einer stabilen Form, und war mit entsprechenden Erwartungshaltungen verknüpft. Dieses Zeremoniell
623
Amm. 22,9,11: ut sciri possit sine uiribus maximis quid pannuli proficient leues.
Lib. or. 18, 191–192. Sokrates berichtet, dass Julian bereits als Student stets in einfacher Bekleidung bei seinem Lehrer Mardonios verkehrte: Sokr. h.e. 3,1,9.
625
Lib. or. 16, 37.
626
Ioh. Mal. 12,44: καὶ ἀλυτάρχησεν ἐν Ἀντιοχείᾳ ὁ αὐτὸς Διοκλητιανὸς ἀποθέμενος τὸ βασιλικὸν σχῆμα καὶ
μετὰ τὸ πληρῶσαι τὰ Ὀλύμπια οὐχ εἵλετο βασιλεῦσαι λέγων, ὅτι· ‘ἀπεθέμην τὴν βασιλείαν καὶ ἐφόρεσα σχῆμα
τοῦ ἀθανάτου Διός.’ καὶ ἔκτοτε ἔμεινεν οὕτως. τελευτᾷ δὲ ἰδίῳ θανάτῳ ὢν ἐνιαυτῶν οβʹ.
627
Dies bedeutet nicht, dass die Rolle des Kaisers gegenüber den verschiedenen sozialen und religiösen Gruppen
im Reich nicht immer wieder neu verhandelt wurde; insbesondere mit dem zunehmenden Einfluss der christlichen Kirche musste das Verhältnis von Kaiser und Kirche und deren jeweils zuständigen Herrschaftsgebiete neu
definiert werden. Dies widerspricht jedoch nicht dem hier angeführten Tatbestand; auch in diesen «Neuverhandlungen» zeigt sich gerade durch die Absteckung von klar definierten Einflussphären, dass das Kaisertum als Institution nicht mehr wegzudenken war.
624
155
Des Kaisers neue Kleider
umfasste den Herrscherkörper als zentrale, visuelle Ausprägung des Kaisertums und gab damit den
Handlungsspielraum für jeden neuen Kaiser vor. 628
Bourdieu beschrieb den Habitus als «System von Grenzen», innerhalb dessen der Akteur aber durchaus
erfinderisch sein kann, so dass seine Reaktionen keineswegs immer schon im Voraus bekannt sind. Der
so entwickelte Lebensstil komme der Arbeit eines Künstlers gleich, der trotz der Unvorhersehbarkeit
seines Werks immer nur aus vorhandenem schöpfen kann. 629 Dies trifft auch auf den kaiserlichen Habitus Julians zu: Julian hatte innerhalb des mehr oder weniger eng abgesteckten Handlungsspielraums
des spätantiken Kaiserzeremoniells zu agieren; dabei stiess er immer wieder auf Grenzen, und in seinem Verhalten und den dahinterliegenden Überlegungen lässt sich der Versuch ausmachen, diese
Grenzen bewusst auszuloten, wenn nicht gar zu durchbrechen. Dies lässt sich nur unbefriedigend auf
eine besonders individualistische Veranlagung des Kaisers reduzieren: Viel wichtiger war für Julian die
bewusste Absetzung von seinen Vorgängern. Diese Absetzung demonstrierte er auf vielfältige Weise
und auf mehreren Ebenen der Repräsentation: Julians Habitus, der sich in seinem Äusseren und in
seinem Verhalten gegenüber anderen äusserte, war die wohl unmittelbarste, visuelle Manifestation
dieses Bedürfnisses. Weniger mittelbar, aber für die gebildete Reichselite und nachfolgende Generationen umso zentralere Ausprägung war Julians religiös-philosophisches Selbstverständnis, das er unter
anderem in seinen zahlreichen Schriften theoretisch begründete. Schliesslich drückte sich der Wille zur
Absetzung auch durch eine personelle Reduzierung des Hofzeremoniells, das in den Quellen einhellig
eng mit seinem Vorgänger Constantius assoziiert wird.
Seine teils in traditionellen Vorstellungen verankerte, teils persönlich ausgearbeitete Philosophenherrscher-Ideologie zwang Julian zu einer strengen Unterscheidung zwischen dem göttlichen und dem körperlichen Anteil des Herrschers. Die Göttlichkeit beschränkte sich in Julians Schriften auf das Amt des
Kaisers: Auch wenn er zuweilen auf seine göttliche Berufung verweist, so ist dies eine Berufung zur
Bekleidung des Amtes, und dies sollte insbesondere der Wiederherstellung der traditionellen Werte
dienen. Zugleich betont Julian in seinen Schriften stets die im fehleranfälligen Körper ausgedrückte
Menschlichkeit auch des Herrschers, während er diese «Bodenständigkeit» im Sinne einer althergebrachten civilitas und modesta in seinem vorgeblich zwanglosen Verhalten gegenüber anderen auszudrücken versuchte. Darin ist ein bewusstes Kalkül sichtbar, denn er berief sich auf Tugenden, welche
in den Jahrzehnten für die kaiserliche Repräsentation immer weniger relevant wurden. Im Auftreten
seiner Vorgänger Constantius und Konstantin wurden andere kaiserlichen Tugenden ausgedrückt, die
628
In diesem Sinne muss Alexander Demandt widersprochen werden, wenn vom «frühbyzantinischen Kaisertum» des 4. Jahrhunderts spricht, das durch das Fehlen jeglicher höfischen Etikette und einer absoluten persönlichen Uneingeschränktheit des Herrschers gekennzeichnet sei, wie das eigenwillige Verhalten Julians lehre:
DEMANDT 1997, 246–52. Dabei handelt es sich um eine rein strukturalistische Argumentation, die die Zwänge des
Kaiserzeremoniells und damit des kaiserlichen Habitus ausblendet.
629
BOURDIEU 1997, 33.
156
Des Kaisers neue Kleider
sich als leicht adaptierte Übernahme der bereits in tetrarchischen Auftritten vermittelten Tugenden
beschreiben lassen: divinitas und eine religiös konnotierte maiestas waren hierbei die zentralen Elemente, die auch in den unbewegten, statuarischen Körpern, der demonstrativen Abwesenheit jeglicher Anteilnahme am Geschehen und der Unnahbarkeit der Kaiser besonders zur Geltung kam. 630 Freilich muss auch hier differenziert werden: Es lassen sich Momente finden, in denen die konstantinischen
Vorgänger Julians ihre Menschenliebe, Demut und Genügsamkeit demonstrieren; doch taten sie dies
nicht unbedingt in den Augen einer breiten Öffentlichkeit. Schliesslich setzen auch Ammian, Libanios
und Claudius Mamertinus Kaiser Julian, als den Inbegriff des civilis princeps, immer wieder in Kontrast
zu der elitär zelebrierten Distanz, die ein Kaiser wie Constantius an den Tag legte.
Julian war nicht von Beginn an dazu bestimmt gewesen, später Herrscher zu werden, im Gegensatz
etwa zu seinem Vorgänger Constantius II. Was aus seiner Zeit vor der Erhebung zum Caesar bekannt
ist, lässt eher darauf schliessen, dass er, abgesehen von längeren Momenten der Isolation in der Jugend, vor allem im Umfeld einer intellektuellen Elite sozialisiert worden war. Die illusio, d.h. der
«Glaube an das Spiel», kann im Sinne Bourdieus einerseits durch die Zugehörigkeit «von Geburt an»,
anderseits durch einen langwierigen Prozess der Anpassung und Kooptation ausgedrückt werden. 631
Dass Julian nicht «von Geburt an» zum Kaiser erzogen worden war, und auch nach seiner Erhebung
zum Caesar oder gar nach der Aushebung zum Augustus nicht lange dafür Zeit hatte, sich an seine neue
Rolle als Herrscher der Welt zu gewöhnen, dürfte Auswirkungen auf seine Anpassungsfähigkeit und
sein Verhalten auf dem kaiserlichen Feld gehabt haben. Die Konflikte, die sich daraus ergaben, drückten sich einerseits durch seinen Körper aus, andererseits wurden sie auch in seinen Körper hineingelesen. Durch sein Verhalten – wenn er etwa im Misopogon auf den unvollkommenen menschlichen Körper des Kaisers verweist – zerstörte er die illusio eines übermenschlichen, unfehlbaren Herrschers.
Zugleich leugnete er die Diskrepanz zwischen realer Person und Amt des Kaisers, zwischen «body natural» und «body politic», indem er den Purpur als reine Maskerade bezeichnet und seinen unvollkommenen Körper als alternativlos für einen guten Herrscher darstellt. Der spätantike Herrscherkörper
war aber nicht mehr einfach identisch mit dem natürlichen Körper des Kaisers, sondern entwickelte
sich zunehmend zum überindividuellen Bestandteil des Kaiserzeremoniells; der Handlungsspielraum
des einzelnen Herrschers für abweichende, ‹individuelle› Verkörperungen der kaiserlichen Rolle wurden zunehmend eng.
630
Vgl. BROWNING 1975, 132: «Throughout [Julian’s] reign there was a conflict between the role of ‹democratic
prince›, which he wished to play, and that of a remote half-divine ruler, which the mass of his subjects expected,
and which may have been what the situation called for.»
631
BOURDIEU 1980, 113 f.
157
Des Kaisers neue Kleider
Ein bärtiger Kaiser in einem «Zeitalter der Glattrasur»?
Zuweilen stösst man in der Forschung auf die Aussage, dass Julian durch seinen Bart die gängige Modeerscheinung der kaiserlichen Glattrasur missachtete. So habe er sich selbst in seinem Misopogon als
barttragender Kaiser in einem «clean-shaven age» stilisiert. 632 «Beard-watching was a traditional sport
at Antioch», stellt auch Maude Gleason fest und liefert einige Anekdoten mit bärtigen oder rasierenden Kaisern in Antiochia. 633 Tatsächlich scheint es einen Unterschied gemacht zu haben, ob ein Kaiser
rasiert oder bärtig auftrat, denn dies wurde von der Bevölkerung wahrgenommen und rezipiert. Häufig
weisen die Quellen auf die glattrasierten Wangen der konstantinischen Herrscher hin. Nach Ammian
waren die Wangen von Constantius «regelmässig rasiert und von hübschem Glanz.» 634
Julian war nicht der einzige barttragende Kaiser des späten 3. und 4. Jahrhunderts. So sind unter anderem Diokletian, Maximian und Galerius in der Porträtkunst und auf Münzbildern häufig bärtig dargestellt; auch nach Julian tragen gemäss Münzprägung regelmässig Kaiser des West- und des Ostreichs
einen Bart. 635 Julians Bart muss demnach auch nicht zwingend als Zeichen seiner Apostasie gelten,
denn auch spätantike christliche Kaiser nach Julian trugen noch Bärte. 636 Doch die Kaiser der konstantinischen Dynastie waren scheinbar tatsächlich durchgehend glattrasiert. Auch die Frisur schien ein
einendes Element gewesen zu sein. Die Frisuren Konstantins werden in der Forschung häufig als stilbildend für seine Nachfolger geschrieben und ihrer Ausgestaltung grosse Relevanz zugeschrieben. 637
Während sich Julian also durch seinen Bart auffällig von seinen unmittelbaren Nachfolgern absetzte,
lässt sich hingegen bezüglich der heute noch fassbaren ikonographischen Repräsentation des Kaisers
überraschenderweise feststellen, dass die Unterschiede zu seinen Vorgängern minimal sind. Die Münzbilder des Caesars Julian unterscheiden sich in ihrer frühen Form in keiner Weise von denjenigen seines
Bruders Gallus. Die überlieferte Ikonographie zeigt ihn als einen rasierten und schönen, typischen jugendlichen Vertreter des konstantinischen Kaiserhauses. 638 Es ist nicht überraschend, dass Julian in
den frühen Münzbildern ebenfalls auf diese Art repräsentiert wird. Julian wurde auch in seiner physischen Erscheinung dem erwarteten Caesarenbild angepasst: Auch Julian musste sich kurzfristig dieser
632
DOWNEY 1939, 305.
GLEASON 1986, 113.
634
Amm. 21,16,19 (Übers. Seyfarth): rasis assidue genis lucentibus ad decorem.
635
FLECK 2008, 58; DEMANDT 1997, 114.
636
FLECK 2008, 147-148.
637
Vgl. etwa VARNER 2012, 183; FLECK 2008, 57f.; DELBRUECK 1978, 36–39; 40 f.
638
DELBRUECK 1978, 24, sieht ihn als Verkörperung eines zeitgenössischen Modetypus des höfisch-eleganten Jünglings. Eine Beschreibung des Äusseren von Gallus liefert auch Ammian (Amm. 14,11,28): Er bezeichnet ihn mit
weichen, blonden Haaren und einem gerade erst sprossenden, zarten Bart als schon früh würdevoll aussehenden
Jüngling. Einen weiteren Eindruck von der zeitgenössischen Wahrnehmung von Gallus’ Aussehen liefert der Chronograph von 354 (Abb. 10), der ihn mit ähnlicher Physiognomie und Frisur wie Constantius II. zeigt.
633
158
Des Kaisers neue Kleider
Mode beugen: Die Rasur und Einkleidung, die Julian als designierter Caesar am Hof des Constantius
über sich ergehen lassen musste, blieb ihm in schlechter Erinnerung. 639
Als Caesar besass Julian wohl auch nicht die alleinige Hoheit über seine eigene Münzprägung. Doch
auch bei späteren Münzen sind, abgesehen von der zunehmenden Bärtigkeit, kaum Unterschiede zu
gängigen ikonographischen Motiven feststellbar. Erst ab 361 wird Julian als Augustus hauptsächlich
bärtig dargestellt. Tatsächlich lässt sich in der Entwicklung der Münzen Julians sehr gut eine «Chronologie des Bartes» erstellen, denn mit zunehmendem Alter (und wohl auch mit zunehmender Selbstständigkeit bis hin zur Machtübernahme und darüber hinaus) wird sein Bart auf den Münzen immer
länger. 640 Spätestens mit den Münzprägungen aus Antiochia ab 361 erscheint sein Bart, im Gegensatz
zu seiner früheren Gesichtsbehaarung, die eher an die Bärte der Soldatenkaiser erinnert, sehr lang,
strähnig und spitz zulaufend. 641
Der weitere ikonographische Befund bezüglich Julian ist sehr überschaubar. Abgesehen von einem
exagium, einem Medaillon, einigen Gemmen und interessanterweise einem sasanidischen Felsrelief
gibt es ausserhalb der Münzprägung keine zweifelsfrei mit Julian identifizierbaren Porträts. 642 Eine sicher zu identifizierende kaiserliche Statue Julians wäre überaus interessant hinsichtlich der Frage, ob
sich Julian an der gängigen Ikonographie des Kaiserzeremoniells orientierte, oder ob er eigene Wege
ging und mit der Darstellung von maiestas und divinitas brach. Dass heute durchgehend alle Porträts,
die zuweilen Julian zugeschrieben werden, einen Philosophen oder Priester darstellen, ist auch für die
Rezeptionsgeschichte Julians bezeichnend. Sollten auch nur einige wenige dieser Porträts tatsächlich
Kaiser Julian zeigen, würde dies einen klaren Bruch mit der spätantiken Kaiser-Ikonographie bedeuten,
der sich in der numismatischen Evidenz so nicht fassen lässt.
Während sich die Münzen Julians durch den Bart abheben, bleibt die restliche Gestaltung – inklusive
der Haartracht des Kaisers – erstaunlich traditionell. 643 Hier stellt sich die Frage, inwiefern Julian für
639
Iul. or. 5 (ad Ath.) 5. 274 C–D; siehe oben, S. 99.
FLECK 2008, 41; GILLIARD 1964, 136. GARCÍA RUIZ 2018 (Julian’s Self-Representation in Coins and Texts) unterscheidet vier Phasen der Münzprägung: (1) Julian als Caesar in Gallien (355– 360): glattrasiert; (2) Julian als selbsternannter Augustus, Februar 360–Februar 361: doppeltes Perlendiadem; (3) Julian Augustus vom Frühjahr 361–
Frühjahr 362: kurzer Bart; (4) Julian Augustus vom Dezember 361–Juni 363: langer Bart. Vgl. Abb. 2–5.
641
RIC VIII Antioch 212; siehe Abb. 5.
642
Vgl. den Katalog von FLECK 2008: exagium: Nr. 23; Medaillon: Nr. 25; römische Gemmen: Nr. 62, 64, 65; sasanidisches Relief: Nr. 68; sasanidische Gemme: Nr. 69. Insbesondere das sasanidische Felsrelief, das den besiegten/toten Julian unter Sapur II. liegend darstellt, ist in diesem Zusammenhang besonders interessant, da es, zusammen mit demselben Motiv auf einer sasanidischen Gemme, das einzige nicht-römische Porträt des Kaisers
darstellt. Auch hier ist der Kaiser durch einen langen Bart gekennzeichnet. Vgl. dazu TRÜMPELMANN 1975 (Triumph
über Julian Apostata).
643
Daraus schloss etwa FLECK 2008, 145 f., dass Julian an den klassischen Repräsentationsschemata festhielt.
Seine Münzbildnisse demonstrierten, wie wichtig Julian die eigene Repräsentation inklusive der Zurschaustellung
seiner Machtinsignien war. Zu weit geht aber die Annahme, dass Julian die Erwartungshaltungen der Bevölkerung
an kaiserliche Repräsentation erfüllt habe, während er seine persönlichen und intellektuellen Vorlieben nur in
seinem Umfeld oder auf Papier auslebte. Wie gezeigt wurde, eckte Julian selbst bei seinen Verehrern mit der
640
159
Des Kaisers neue Kleider
die detaillierte Ikonographie seiner Münzen verantwortlich war. Während die Münzprägung von allen
Ausprägungen des Kaiserbildes in der Forschung noch am ehesten als «top-down»-Mitteilung angesehen wird, 644 bleibt die Möglichkeit bestehen, dass Prägestätten sich an eine bewährte Ikonographie
hielten und – ähnlich wie die pro-julianischen Autoren – versuchten, den Kaiser in ein gängiges und
verständliches Schema zu pressen.
Kontrastprogramm Julian
Julians Körper war einer ständigen, intensiven Beobachtung durch die Anwesenden ausgesetzt: Seine
Frisur und sein Bart waren für seine Freunde Zeichen seiner philosophischen Gesinnung, für seine Gegner Zeichen der Apostasie, für eine grosse Mehrheit der Bevölkerung ein Objekt des Spotts. Die Miene
des Kaisers wurde als Ausdruck seiner authentischen Gefühlslage, seine Augen als Zeichen seiner Intelligenz von Konsuln sowie Soldaten beobachtet; seine Hände verrieten seinen Freunden und Feinden
seine Beschäftigung als Schriftsteller und opfernder Priester. Sein ungezwungenes Verhalten gegenüber Freunden, sein demütiges zu-Fuss-Gehen und seine aufgeregten Bewegungen während Reden
wurde sowohl gelobt als auch scharf kritisiert. Bei jeder passenden Gelegenheit wurde der Habitus von
Julian mit dem seiner Vorgänger verglichen, die sich von ihm auch in Aussehen und Verhalten gänzlich
unterschieden. Zumindest während öffentlicher Auftritte musste er die Hoheit über seinen Körper
sozusagen abgeben, denn dieser wurde in Form eines «body politic» als die fleischgewordene römische Monarchie inszeniert.
Egon Flaig weist darauf hin, dass der Kaiser gegenüber den unterschiedlichen Akzeptanzgruppen unterschiedliche, zum Teil inkompatible Rollen zu spielen hatte, und dass es bei der Kopräsenz mehrerer
Gruppen zu Krisen kommen konnte. 645 Solche Krisen löste Julian in beinahe allen Interaktionsräumen
aus. Das Problem bestand darin, dass Julian als Kaiser versuchte, sich einen priesterlichen, philosophischen und soldatischen Habitus anzueignen bzw. zu bewahren, während die Situation eine gewisse
Anpassung an seine neue Rolle als Kaiser verlangt hätte. Ein Kaiser hatte sich in den Augen anderer wie
Verachtung des kaiserlichen Protokolls und der Infragestellung der maiestas häufig an, und bei der Bevölkerung
Antiochias kann von einem kompletten Scheitern der kaiserlichen Repräsentation gesprochen werden. Da halfen
auch die konstantinisch angehauchten Münzen nicht mehr viel. Vgl. auch LÓPEZ SÁNCHEZ 2012 (Julian and his
coinage: a very Constantinian Prince) und VARNER 2012, die beide auf die zunehmende Abweichung in den Darstellungen hinweisen.
644
BURGERSDIJK/ROSS 2018, 9.
645
FLAIG 2019, 201: «Die Gehorsamsmodalitäten aller drei massgeblichen politischen Sektoren widersprachen
einander grundsätzlich. Der Kaiser musste mindestens vier nicht nur unterschiedliche, sondern konträre, im
Ernstfalle kontradiktorische Rollen spielen: Er sollte Primus inter pares gegenüber dem Senat sein, gütiger und
zugleich umfangreicher Interaktion zugänglicher Monarch gegenüber der Plebs urbana; den Truppen sollte er
der beste Chef sein, den hellenistischen Städten sollte er sich als gottähnlicher, also charismatischer Mensch
präsentieren. Die Autoritätstypen und Gehorsamsmodalitäten waren untereinander unverträglich. Obschon die
Unverträglichkeit meist nicht ersichtlich und akut wurde, reichte ihre Latenz aus, um die Kommunikation zwischen den Gruppen krisenanfällig zu halten. Sie verschärfte sich bei Kopräsenz; denn wenn der Kaiser mit mehreren präsenten Gruppen interagierte, kollidierten die diversen Einforderungen.»
160
Des Kaisers neue Kleider
ein Kaiser zu verhalten, und ein Kaiser hatte auch wie ein Kaiser auszusehen. 646 Doch schon der erste
Blick, den die Bevölkerung der Provinzstädte auf ihren neuen Kaiser erhaschen konnte, war ein Kontrastprogramm zu dem gewohnten Bild der statuesken Kaiser. Die Beschreibungen Ammians zu der
adventus-Zeremonie des Constantius und denjenigen des Julian auf seinem Weg nach Osten könnten
unterschiedlicher nicht sein: Einerseits der göttliche, unnahbare und unbewegte Constantius, andererseits der bürgernahe, bewegte Julian.
Ironischerweise kann gerade der adventus des Constantius in Rom, der so häufig als Beleg für die Entrückung des Kaisers herangezogen wird, ebenso als Beispiel dafür gesehen werden, wie kaiserliche
Distanz und Volksnähe erfolgreich vereint werden konnten. 647 Denn nach der abgehobenen, unbewegten Einfuhr in die Stadt erzählt Ammian erzählt auch davon, wie Constantius den Senat besuchte, wie
er eine öffentliche Rede hielt, wie er bei den Spielen das Volk scherzen liess, und wie er die Bauten
Roms wie ein Tourist besichtigte. Der Kaiser konnte sich offenbar binnen kurzer Zeit und gegenüber
demselben Personenkreis in sehr unterschiedlich erscheinender Weise verhalten. 648
Auch Julian setzte nicht auf völlig abwegige Herrschertugenden. Auch einige seiner Vorgänger und
Nachfolger werden etwa für ihre civilitas, aber auch für ihre soldatisch-athletischen Leistungen, ihren
genügsamen Lebensstil und ihre rhetorische Begabung gelobt. Doch Julian scheiterte in einer erfolgreichen Kombinierung dieser sich oft widersprechenden Rollen. Dies mag ein Ergebnis von falsch gesetzten Schwerpunkten sein: Julian orientierte sich seit seiner Jugend, entsprechend seinen Vorbildern
aus einer goldenen, paganen Vergangenheit, an Tugenden, die im Begriff waren, für einen Herrscher
immer weniger wichtig zu sein oder sich zumindest in ihrer Bedeutung und praktischen Anwendung
veränderten. Ein guter Krieger und Rhetor zu sein, mag für seine homerischen Vorbilder genug gewesen sein, doch für einen spätantiken römischen Kaiser waren dies nicht mehr unbedingt die zentralen
Tugenden. 649
646
Dabei gab es immer einen gewissen Handlungsspielraum, und gewisse Neuerungen im «Stil» und Aussehen
eines Kaisers konnten sich zu jeder Zeit als neue Modeerscheinung im gesamten Reich verbreiten (vgl. MARCONE
2020, 332 zum «style» eines römischen Kaisers, den er als «degree of adherence» an einen ungeschriebenen
Verhaltenskodex beschreibt, der letztlich auf «shared expectations» beruhe). Freilich musste dieser «Stil» des
Kaisers richtig gelesen werden: Ein Bart wurde erst zu einem «Philosophenbart», wenn man auch den entsprechenden «Lifestyle» vorzuweisen hatte; vgl. die Ausführungen von ZANKER 1995 (Die Maske des Sokrates), 211 f.
bezüglich dem «Bildungsbart» Hadrians.
647
So etwa PFEILSCHIFTER 2013, 99–104.
648
Siehe ibid., 103 f.: «Der joviale Gestus musste die Ehrfurcht vor dem entrückten Herrscher keineswegs unterminieren, die Kombination zweier verschiedener Rollen konnte tatsächlich zum Erfolg führen, so wie ihn Constantius II. in Rom erfahren hatte. Allein, auf den richtigen Ton, die passende Dosierung kam es an, und die waren
nicht in jeder Situation von jedem Kaiser ohne weiteres zu finden.» Welchen Kaiser Pfeilschifter in Bezug auf
Letzteres im Kopf hatte, lässt er an dieser Stelle offen. Julian ist wohl einer der offensichtlichen Verdächtigen.
649
Ex post betrachtet, scheint die weitere Entwicklung des Kaiserzeremoniells dies zu bestätigen: Die Nachfolgenden Herrscher werden sich immer weniger auf dem Schlachtfeld zeigen, und immer mehr in ihre Paläste
zurückziehen. Einen Höhepunkt erreicht dies in den gänzlich unnahbaren Herrschern des byzantinischen Ostens.
161
Des Kaisers neue Kleider
Bereits seit Prinzipatszeiten wurde der Kaiser je nach Kontext und Publikum unterschiedlich dargestellt
und rekurrierte auf verschiedene, in ihrer Natur geradezu «gegnerische» Vorstellungen davon, was ein
idealer Princeps zu sein habe, welche Tugenden er besitzen müsse, wie er zu erscheinen und aufzutreten habe. 650 Die Tugenden civilitas und modestia zielten jedoch im Idealfall nicht einzig auf eine
schmale Elite, sondern auf die gesamte Bevölkerung ab, der damit demonstriert wurde, dass der
Princeps, indem er sich civilis zeigt, auch diese Bürgerschaft in ihrer bestehenden Hierarchie respektiert und stärkt. In der Realität war jedoch der angebrachte Grad an civilitas stets von der jeweils adressierten Akzeptanzgruppe abhängig: Gegenüber Soldaten verhielt sich ein Princeps höchst selten civiliter, gegenüber dem Volk schon öfters, am häufigsten aber gegenüber den Eliten. 651 Auch Julian betonte in verschiedenen Kontexten verschiedene Aspekte des kaiserlichen Tugendkatalogs. Doch nicht
immer wählte er das richtige Verhalten, und seine Vorstellungen waren trotz seiner inszenierten Bürgernähe von einem gewissen Elitismus geprägt. So hatte er eine spezifische Vorstellung davon, was
Bürgernähe zu bedeuten habe: Die civilitas schien der Kaiser vor allem gegenüber seinen engen Bekannten sowie lokalen Würdenträgern zu beweisen, währendem er sich für die breite Bevölkerung
rarmachte. Indem er den traditionellen Begegnungsorten von Kaiser und Volk fernblieb, beraubte er
diese einer wichtigen Interaktionsmöglichkeit, was insbesondere in Antiochia zu grossem Unmut
führte. Das Volk war es sich gewohnt, den Kaiser zu ganz bestimmten Anlässen zu sehen, ihn aber sonst
nur selten zu Gesicht zu bekommen. Julian kehrte dieses Prinzip auf den Kopf, indem er den Spielen
fernblieb, dafür aber mit seinen befreundeten Konsuln zu Fuss durch die Stadt ging.
Julian tat also eigentlich nichts, das für seine Zeitgenossen unverständlich gewesen oder gar verrückt
erschienen wäre: Sein Verhalten und Aussehen entsprach der gängigen Ikonographie und Verhaltensweise, die man zu dieser Zeit von kynischen Philosophen, von paganen Priestern oder von militärischen
Befehlshabern gewohnt war bzw. erwartete. Sein Habitus war zu jeder Zeit «lesbar», und den meisten
Betrachtern scheint die von Julian intendierte Lesart bekannt gewesen zu sein. Was jedoch in den Augen von Julians Zeitgenossen nicht funktionierte, war die Kombination all dieser Rollen, wie sie Julian
versuchte. Dies lässt sich explizit in den Quellen nachweisen. So machte etwa Sokrates auf ein grundsätzliches Problem in der Verbindung der philosophischen und herrscherlichen Rolle bei Julian aufmerksam: Ein Kaiser könne zwar durchaus Philosoph sein, solange dies bedeutet, dass er sich in seiner
Dies waren Tendenzen, die sich bereits seit langer Zeit entwickelten, und die sich spätestens seit der diokletianischen Tetrarchie zunehmend manifestierten. Zu Lebzeiten Julians war diese Entwicklung freilich noch nicht absehbar – hier stellt sich die im Zusammenhang mit Julian immer wieder im Raum stehende Frage, wie sich das
römische Kaisertum unter Julian weiterentwickelt hätte, wären seine Pläne nicht durch seinen frühen Tod zum
Erliegen gekommen.
650
Vgl. MEISTER 2012, 196, freilich in Bezug auf das Prinzipat, jedoch auch in Berufung auf Alföldis These der seit
jeher im Prinzipat vorliegenden «gegnerische Richtungen» im Verkehr mit dem Princeps.
651
PFEILSCHIFTER 2013, 102.
162
Des Kaisers neue Kleider
Vernunft und Selbstbeherrschung übt. Jedoch könne ein Philosoph niemals Kaiser sein, da er in durch
deren Imitation sein eigentliches Ziel verfehlen würde. 652
Es lässt sich festhalten, dass Julian sich in seinem Habitus in vielerlei Hinsicht als regelrechtes Kontrastprogramm zu seinen Vorgängern auszeichnete. Natürlich muss davon ausgegangen werden, dass sich
die zahlreichen Momente, in denen sich Julian nicht «danebenbenahm», sondern die alltäglichen Erwartungen an ein würdevolles kaiserliches Benehmen erfüllte, nicht in die Quellen niederschrieben.
Doch über alle Quellen hinweg findet sich eine auffallende Häufung von Momenten der Eskalation, die
vermuten lässt, dass Julian systematisch die Erwartungen seines Umfelds enttäuschte. Ein jeder Kaiser
musste in der Ausarbeitung seines individuellen Herrschaftsstils sehr behutsam vorgehen und immer
darauf bedacht sein, sich bei den relevanten Akzeptanzgruppen Zustimmung zu verschaffen. In der
neueren Forschung wird denn auch die ältere Vorstellung eines allzu starren spätantiken Zeremoniells
in Frage gestellt zugunsten einer stärkeren Betonung der situationsbezogenen Interaktionen des Herrschers mit den verschiedenen Akzeptanzgruppen, welche gewisse Freiheiten voraussetzt und den Kaiser nicht mehr nur als «Gefangener seines Palasts» erscheinen lässt. 653 Jedoch lässt sich nicht bestreiten, dass der Kaiser als Spitze der Gesellschaft und Verkörperung der Monarchie in seinen Handlungsoptionen zu einem hohen Grad eingeschränkt war, wollte er das soziale Gefüge, welches ihm
seine Macht verleiht, nicht aufs Spiel setzten. Dies bedingt ein gewisses Festhalten am tradierten Zeremoniell. Richtiges kaiserliches Verhalten kam also einem Balanceakt gleich. Dass dabei manchmal
Irrwege eingeschlagen wurden, war unvermeidlich. 654 Doch solange die Botschaften, die durch Aussehen und Verhalten kommuniziert wurden, in ein akzeptables Schema von kaiserlichem Auftreten passten, konnten sie Erfolg haben. Julian scheint jedoch den akzeptablen Handlungsrahmen regelmässig
gesprengt zu haben. Damit riskierte er jedes Mal, ganze Akzeptanzgruppen, oder wenigstens deren
wesentliche Vertreter, zu entfremden. Wenn er das tat, bekam er es etwa in Form von Kritik und Spott
umgehend zu spüren.
652
Sokr. h.e. 3,1,58–59. Die Verspottung seiner Vorgänger, wie sie Julian mit seinen Caesares betrieben habe, sei
hingegen weder für einen Kaiser noch für einen Philosophen angebracht. Später (Sokr. h.e. 7,23,6–8) macht Sokrates jedoch interessanterweise auf eine gelungene Vereinigung von Kaiserherrschaft und Philosophentum bei
Theodosius II. aufmerksam, wobei er dessen Selbstbeherrschung explizit mit Julian vergleicht, der trotz seiner
philosophischen Ambitionen seine Wut gegenüber den Antiochenern nicht im Zaun halten konnte.
653
In diesem Sinne etwa PFEILSCHIFTER 2013, 85–99, v.a. 98: Die in der Forschung gängigen Vorstellungen vom
spätantiken/byzantinischen Zeremoniell der Abschottung seien übertrieben und stark von der Quellenlage wie
dem sehr viel später verfassten «Zeremonienbuch» beeinflusst. Dabei seien Durchbrüche des Zeremoniells möglich und häufig gewesen. Der Kaiser sei nicht beherrscht vom Diktat eines Hofprotokolls. Einige Seiten später
gesteht Pfeilschifter aber dennoch den sehr viel enger begrenzten «Devianzspielraum» des Kaisers bezüglich gewisser «kultureller Normen» ein, der sich durch die dauernde soziale Kontrolle und den spezifischen Verhaltensanforderungen seiner Kommunikationspartner ergibt (330).
654
WEBER/ZIMMERMANN 2003, 35 verweist in diesem Zusammenhang auf Kaiser Nero als Beispiel eines «unzeitgemässen Herrschaftsverständnis». Das Kaiser Julian als weiteres naheliegendes Beispiel in diesem Zusammenhang
nicht erwähnt wird, überrascht.
163
Schluss
Um die Zeit der Verfassung der vorliegenden Arbeit jährt sich der 1700. Geburtstag von Kaiser Julian.
Bis heute übt Julian als der «letzte pagane Kaiser» eine ungebrochene Faszination aus und weckt Emotionen, die von glühender Bewunderung bis zu starker Ablehnung reichen. 655 Im Mittelpunkt des Interesses steht normalerweise das religiöse Wesen Julians; die Konfliktlinien zwischen ihm und seinen
Zeitgenossen werden meistens anhand seiner Religionspolitik untersucht. Doch Julian war in vielfacher
Hinsicht ein merkwürdiger Kaiser, der nicht so richtig in das gängige Kaiserzeremoniell passen wollte.
Die modernen Reaktionen über sein Verhalten und äusserliches Auftreten beschränken sich meistens
jedoch auf Verwunderung, wenn nicht Irritation – die oft harschen Urteile über Julians Schrift Misopogon und deren nebensächliche Behandlung in diversen Julian-Biographien legen davon ein beredtes
Zeugnis ab.
In dieser Arbeit habe ich den Versuch gewagt, das «Phänomen Julian» aus einer ganz neuen, nämlich
körpergeschichtlichen Perspektive zu untersuchen. Für einen Kaiser, der unter anderem für seinen verhassten Bart und seinen die zeitgenössischen Meinungen spaltenden Habitus bekannt wurde, lag eine
solche Perspektive meiner Meinung nach auf der (tintengeschwärzten) Hand. Die Analyse von Julians
Selbstzeugnissen und den weiteren zeitgenössischen Quellen zu Julian, sowie die Kontextualisierung
von Kaiser Julian innerhalb des zeitgenössischen Kaiserzeremoniells, führte mich zu folgenden Ergebnissen:
Die Frage, ob Julian den kaiserlichen Habitus «sprengte» oder ausserhalb eines solchen stand, ist zu
verneinen. Auch Julian ist nur innerhalb des spätantiken kaiserlichen Habitus zu verstehen, der mit
dem zeitgenössischen Kaiserzeremoniell verwoben war. Julian tat an sich nichts Unvorstellbares: Er
sah vermutlich nicht viel anders aus als andere, weniger kontroverse Kaiser vor und nach ihm, und er
berief sich in seinem Verhalten und Auftreten auf traditionelle kaiserliche Tugenden, die zu einem gewissen Grad auch im spätantiken kaiserlichen Habitus noch ihre Gültigkeit hatten.
Dennoch gab es innerhalb dieses Rahmens klare Grenzüberschreitungen, die sich nicht allein durch
den Topos der Quellen erklären lässt. Julian kombinierte verschiedene inkompatible Rollen, er interpretierte kaiserliche Tugenden in seinem Sinne neu, und er setzte dabei falsche Schwerpunkte. Sein
Bart allein war noch kein Problem, denn auch andere Kaiser vor und nach ihm trugen Bärte, doch Julian
gab zu verstehen, dass sein Bart anders gelesen werden müsse. Er demonstrierte durch seine körperliche Hexis eine Art von civilitas in Situationen, in denen seine Vorgänger ihre Unnahbarkeit, ihre divinitas und maiestas inszenierten; währenddessen liess er dieselbe civilitas in jenen Kontexten vermis-
655
Vgl. REBENICH/WIEMER 2020.
164
Schluss
sen, in denen sie von seinen Vorgängern demonstrativ zelebriert wurde: Theater, Circus und Hippodrom. Auf diese Weise erfüllte er gewisse Anforderungen an einen Kaiser und seinen Körper nicht, und
in diesem Sinne kann man auch von einem «Scheitern» von Julians Körperkonzeption sprechen.
Julians Habitus führte letztlich zu Konflikten mit beinahe allen relevanten Akzeptanzgruppen des
Reichs. Zwar lieferte Julian selbst in seinen religiös-philosophischen Schriften eine theoretische Begründung für sein Verhalten; darin gab er auch konkrete Anleitungen, wie sein Verhalten und sein
Äusseres, das sich an einer zeitgenössischen Philosophen-Ikonographie orientierte, zu lesen sei. Diese
Erklärungsmodelle wurden von seinen Anhängern in Teilen rezipiert; doch sie reichten bei weitem
nicht aus, um sein Auftreten für eine Mehrheit der Untergebenen akzeptabel oder wenigstens verständlich zu machen. Dies liegt einerseits daran, dass Julian mit seinen traditionalistischen religiösen
Vorstellungen den religiösen Zeitgeist verfehlte; andererseits auch daran, dass seine elitären und weltfremden religiös-philosophischen Konzepte für den Grossteil der Bevölkerung nicht zugänglich oder
besonders attraktiv war. Es gab erhebliche Diskrepanzen zwischen Julians Philosophie und der «echten
Welt», in der er als Kaiser zu regieren hatte.
Julians Anhänger versuchten, ein akzeptables Kaiserbild zu schaffen, indem sie jeweils diejenigen Aspekte Julians betonten, welche für sie verständlich oder besonders opportun waren. Doch Julian zeigte
sich in seinem Verhalten oft sehr viel komplexer und schwieriger einzuordnen, als dies selbst seinen
Anhängern lieb war. So ist auch in der pro-julianischen Überlieferung teilweise Verwirrung oder punktuelle Ablehnung des kaiserlichen Habitus zu fassen. Julians Gegner benutzten den kontroversen kaiserlichen Habitus gleich von Beginn an, um den unliebsamen Apostaten zusätzlich zu diskreditieren.
Nach Julians Tod entbrannte zwischen christlicher und paganer Seite ein Kampf um die religiöse Deutungshoheit über das «Phänomen Julian»; der Körper des Kaisers spielte dabei ebenfalls eine Rolle, da
er als Leinwand für alle möglichen Projektionen diente.
Der Konflikt zwischen Kaiser und Untergebenen lässt sich letztlich nur verstehen, wenn man bedenkt,
dass sich mit der zunehmenden Ausbildung des Kaiserzeremoniells in der Spätantike auch die Vorstellungen vom Herrscherkörper veränderten: In den Worten des Mediävisten Kantorovicz gesprochen,
etablierte sich in Ansätzen etwas, was als «body politic» bekannt ist: Ein unpersönlicher, unsterblicher
Herrscherkörper, der vom natürlichen, individuellen und physischen Körper der Person des Herrschers
unabhängig die Institution der Monarchie verkörperte. Die Anzeichen dafür sind vielfältig: Die Art, wie
über das Kaisertum gesprochen wurde, dass zunehmend als Amt verstanden wurde; die zunehmende
Ausgestaltung des kaiserlichen Körpers mit insignia und dessen zeremonielle Inszenierung als ein besonderer Körper; schliesslich die spezifischen Ansprüche, die von den relevanten Akzeptanzgruppen
des Römischen Reichs an den Herrscherkörper gestellt wurden, die jeder neue Kaiser erfüllen musste,
um seine maiestas zu wahren. Insbesondere der letzte Punkt wurde Kaiser Julian zum Verhängnis: Er
passte sich in vielerlei Hinsicht den Erwartungen nicht an und versuchte, Traditionen in seinem Sinne
165
Schluss
neu zu interpretieren; dies hatte bei seinen Anhängern der paganen, intellektuellen Elite mässigen
Erfolg, scheiterte aber bei der übrigen Bevölkerung. Indem Julian immer wieder die Diskrepanzen zwischen seinem «body natural» und dem «body politic» aufzeigte – in seinem Verhalten, aber auch in
seinen Schriften – zerstörte er die illusio, die ihn zum selbstverständlichen Herrscher des Römischen
Reichs machte. 656
Auf eine Psychologisierung Kaiser Julians wurde in dieser Arbeit bewusst verzichtet. Was im kaiserlichen Kopf tatsächlich vor sich ging, wenn er die Bevölkerung durch sein Auftreten verunsicherte und
schockierte und mit der Kritik und dem Spott aus dem eigenen Umfeld und dem Volk konfrontiert
wurde, kann nicht beantwortet werden. Doch die Verfassung eines Werkes wie dem Misopogon lässt
zumindest wenig Zweifel daran, dass die Situation den Kaiser nicht einfach kalt liess. Darauf hätte er
auch verzichten können. Das Julian bereits als Caesar von Beginn seiner Herrschaft an unter Spott zu
leiden hatte, wissen wir dank Ammian, und es ist wahrscheinlich, dass sich der spätere Spott auf den
Augustus nicht nur auf die Stadt Antiochia und die Zeit der Kalenden beschränkte. Ständig für sein
Aussehen verspottet zu werden, lässt wohl auch einen Kaiser nicht immer unberührt. Es ist gut vorstellbar, dass Julian ab einem gewissen Punkt der Kragen platzte; womöglich war es die Überzeugung
von seiner eigenen tugendhaften σωφροσύνη, die ihn nicht zu härteren Mitteln der Bestrafung greifen
liess. Durch die Verfassung des Misopogon konnte er, in seiner eigenen Vorstellung zumindest, den
Kopf hochhalten. Trotz der vielseitigen Kritik hielt er bis zum Ende an seiner Erscheinung und den damit
verbundenen Idealen fest. Der Kaiser wahrte also – wenn die Formulierung gestattet ist – im wahrsten
Sinne des Wortes sein Gesicht.
Vielleicht ging es Julian am Ende, wenn er bei seinen öffentlichen Auftritten in Antiochia den Spott aus
der Menge vernahm, nicht viel anders als dem stolzen Kaiser aus Andersens Märchen, der sich am
Ende der Geschichte ebenfalls dem Spott seiner Untergebenen ausgesetzt sah:
«‹Er hat ja gar nichts an!› rief zuletzt das ganze Volk. Und das kroch in den Kaiser, denn ihm
schien, sie hätten recht, aber er dachte: Jetzt muss ich während der Prozession durchhalten.
Und dann hielt er sich noch stolzer, und die Kammerherren gingen und trugen die Schleppe,
die gar nicht da war.» 657
656
Weiterführend wäre etwa zu untersuchen, ob und wie sich eine weitere Verfestigung des «body politic» im
spätantiken Kaiserzeremoniell unter den Nachfolgern Julians nachzeichnen lässt.
657
ANDERSEN o. J., 158.
166
Quellenverzeichnis
Die Abkürzungen antiker Autoren und Werktitel basieren auf dem Abkürzungsverzeichnis des Neuen
Paulys (DNP) bzw. des Reallexikons für Antike und Christentum (RAC).
Der griechische und lateinische Text folgt grundsätzlich den gebräuchlichen Standardeditionen. Die
Textgrundlage für die Schriften des Augustus Julian ist die Edition NESSELRATH, für alle anderen Schriften
Julians BIDEZ/ROCHEFORT/LACOMBRADE. Die Nummerierung der Reden Julians richtet sich ebenfalls nach
BIDEZ/ROCHEFORT/LACOMBRADE, bzw. nach RAC. Die Nummerierung der Panegyrici latini richtet sich nach
der Edition MÜLLER-RETTIG. Die Nummerierung der Briefe richtet sich nach der jeweils zitierten Edition
(WEIS für die Briefe Julians, FATOUROS/KRISCHER für Libanios. Beide Editionen bieten eine vollständige
Konkordanzliste zur Nummerierung der jeweiligen Standardeditionen BIDEZ bzw. FÖRSTER).
Zeitschriften werden grundsätzlich nach den Richtlinien der Année Philologique abgekürzt. Neuauflagen sind mit hochgestellten Zahlen markiert; bei Nachdrucken ist das Jahr der Erstveröffentlichung in
eckigen Klammern angegeben.
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Abbildungsverzeichnis
Abb. 1:
https://www.nga.gov/collection/art-object-page.86042.html#inscription.
Abb 2–5:
http://numismatics.org/ocre/results?q=portrait_facet:%22Julian%20(Kaiser)%22
Abb. 6:
Foto von Michael Stadler.
Abb. 7:
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Arch_of_Constantine_forum_frieze.jpg
Abb. 8:
Foto von Michael Stadler.
Abb. 9:
Foto von Michael Stadler.
Abb. 10–11:
DIVJAK/WISCHMEYER 2014, 85–86, Abb. 13; 15.
175
Abbildungen
Abb. 1: Ein Affe im Purpur, Illustration aus dem Speculum Principis, (fol. 36 verso),
1512/15.
Abb. 2–5: Münzen Julians. Vom oben nach unten: RIC VIII Arelate 260; RIC VIII
Lugdunum 238; RIC VIII Sirmium 106; RIC VIII Antioch 212 (Massstab
unterschiedlich).
Abb. 6: Kopf einer kolossalen Marmorstatue von
Konstantin dem Grossen, Kapitolinische Museen, Rom.
Abb. 8: Kopf einer kolossalen Bronzestatue von
Constantius II. (?), Kapitolinische Museen, Rom.
Abb. 7: Oratio von Konstantin d. Gr. in Rom.
Ausschnitt des Nordfrieses des Konstantinsbogen,
Rom.
Abb. 9: Innenansicht des Bronzekopfs, Kapitolinische
Museen, Rom.
Abb. 10–11: Illustrationen von Gallus (oben, stehend) und Constantius II. (unten, sitzend) als Konsuln, im
Chronographen von 354.