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Die Druiden, das kulturelle Gedächtnis und die Romanisierung. Gedanken zur römischen ›Druidenverfolgung‹.

2013, Orbis Terrarum. Internationale Zeitschrift für Historische Geographie der Alten Welt, Bd. 11.

Article on the alleged Roman persecution of Gallic druids and its cultural consequences. The text draws on Jan Assmann's theories on collective memory.

3 AncA DAn: From Imagined Ethnographies to Invented Ethnicities. The Homeric Halizones 33 FrAnk DAuBner: Gottlieb Schumacher, ein Pionier der historisch-geographischen Erforschung Syriens 73 AnnAriTA Doronzio: Von Marathon zum Illissos-Tal. Topographische Bemerkungen zu zwei kultischen Landschaften Attikas 91 Jochen hAAs: Die Weihung des Licnos Contextos. Zur weiterräumigen kulturkomparatistischen Aussagequalität einer gallischen Inschrift aus Augustodunum/Autun 105 PeTer kehne: Cheruskerstudien II: Zu den internationalen Beziehungen zwischen Cheruskern und dem Römischen Reich aus cheruskischer Perspektive (53 v. Chr. bis ca. 100 n. Chr.) 137 BArBArA scArDigli: Al di là dei conini. Prodigi del lupo e la lupa 179 JonAs scherr: Die Druiden, das kulturelle Gedächtnis und die Romanisierung. Gedanken zur römischen ›Druidenverfolgung‹ 189 Der Neue Pauly – Addenda et Corrigenda 211 JonAs scherr: Entremont, Gournay-sur-Aronde, Ribemont-sur-Ancre, Roquepertuse 213 Literaturbericht 253 ISSN 1385-285X Orbis Terrarum · Band 11 · 2012–2013 Tønnes Bekker-nielsen: 350 years of research on Neoklaudiopolis (Vezirköprü) RBIS TERRARUM www.steiner-verlag.de Alte Geschichte Franz Steiner Verlag Franz Steiner Verlag Band 11 / 2012–2013 Internationale Zeitschrift für Historische Geographie der Alten Welt Revue d’histoire géographique du monde ancien Journal of historical geography of the ancient world Rivista di storia geografica del mondo antico 11 o r Bi s T e r r A ru m Internationale Zeitschrift für Historische Geographie der Alten Welt Revue d’histoire géographique du monde ancien Journal of historical geography of the ancient world Rivista di storia geograica del mondo antico Publikationsorgan der Ernst Kirsten Gesellschaft: Internationale Gesellschaft für Historische Geographie der Alten Welt he r Au s ge ge Be n von Cay Lienau Eckart Olshausen Erika Simon Holger Sonnabend und Angelos Chaniotis Giovanna Daverio Rocchi Hans-Joachim Gehrke Herbert Graßl Helmut Halfmann Peter Marzolf Derek Mosley Wolfgang Orth Francesco Prontera Sergei Saprykin Heikki Solin Richard I. A. Talbert r e DA kT i on Eckart Olshausen (verantwortlich) und Vera Sauer Mühlweg 6 D – 72414 Rangendingen lAyou T Vera Sauer Mühlweg 6 D – 72414 Rangendingen hom e PA ge www.steiner-verlag.de/Orbis e r s che i nu ng s w e i s e Jährlich 1 Band Be z u g s Be D i ng u nge n Jahresabonnement: € 98,60 Vorzugspreis: € 88,20* (*gültig für Mitglieder der Ernst Kirsten Gesellschaft bei Abonnement über den Vorsitzenden der Gesellschaft) jeweils zuzüglich Versandkosten: € 5,80 (Inland) / € 9,40 (Europa) / € 17,40 (restliches Ausland) Einzelheft: € 110,– (versandkostenfrei) Alle Preise inkl. MwSt. Ein Abonnement gilt, falls nicht befristet bestellt, zur Fortsetzung bis auf Widerruf. Kündigungen des Abonnements können nur zum Ablauf eines Jahres erfolgen und müssen bis zum 15. November des laufenden Jahres beim Verlag eingegangen sein. verlAg Franz Steiner Verlag Birkenwaldstraße 44 D – 70191 Stuttgart Telefon: 0711 / 2582-0 Telefax: 0711 / 2582-390 E-Mail: service@steiner-verlag.de Homepage: www.steiner-verlag.de h e r sT e l lu n g Christine Felmik E-Mail: cfelmik@steiner-verlag.de An z e i ge n Susanne Szoradi (verantwortlich) E-Mail: sszoradi@steiner-verlag.de Dru ck Druckerei Laupp & Göbel, Nehren Alle in dieser Zeitschrift veröfentlichten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Das Emblem im Titel der Zeitschrift ist abgeleitet von einem Relief in der Galleria Estense, Módena, Inv. Nr. 2627 (vgl. Vera Sauer, OT 1, 1995, 9–23). © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2013 Printed in Germany. ISSN 1385-285X Jonas Scherr Die Druiden, das kulturelle Gedächtnis und die Romanisierung Gedanken zur römischen ›Druidenverfolgung‹ Dieser Beitrag geht der Frage nach, wie die römische Repression gegen die gallischen Druiden im Kontext der Suche nach den Ursachen der vergleichsweise schnellen ›Romanisierung‹ Galliens zu werten ist. Unter Rückgriff auf theoretische Konzeptionen von Jan und Aleida Assmann 1 soll nachfolgend ein Erklärungsansatz vorgeschlagen werden, demzufolge die Maßnahmen gegen die gallische Druidenschaft eine zentrale Rolle bei der ›Romanisierung‹ spielten. Meine Ausführungen basieren zum Teil auf Gedanken, die sich schon bei Theodor Mommsen finden,2 auf einigen Überlegungen von Greg Woolf 3 und schließlich auf einem Aufsatz von Anthony King.4 Auf der Grundlage einiger Notizen zur Rolle der gallischen Druiden vor der römischen Eroberung und einer theoriegeleiteten historischen Einordnung derselben wird in einem zweiten Schritt die sogenannte Druidenverfolgung der frühen Kaiserzeit näher betrachtet. Daran schließen sich Gedanken zu Maßnahmen an, die diese repressiven Akte ›konstruktiv‹ begleitet und komplementär gewirkt haben könnten. Schließlich wird in den Fokus genommen, welche Folgen all diese Ereignisse für die gallische Bevölkerung hatten und wie das Schicksal des Druidentums im Hinblick auf die kulturellen Veränderungen in den gallischen Provinzen zu werten ist. Das Druidentum vor Caesar: Gedächtnisexperten Die gallischen Druiden erfüllten am Vorabend der caesarischen Eroberung Galliens eine Vielzahl von Funktionen für die gallischen Stammesgesellschaften. Den literarischen Zeugnissen zufolge wirkten sie als Kultfunktionäre bzw. Priester, als Lehrer, Philosophen, ›Forscher‹, aber auch als Diplomaten, Richter und Vermittler, schließlich als Ärzte, Wahrsager 1 Insbesondere aus dem prägnanten Aufsatz: A. Assmann, J. Assmann, Das Gestern im Heute. Medien und soziales Gedächtnis, in: K. Merten, S. J. Schmidt, S. Weischenberger (Hg.), Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in Kommunikationswissenschaften, Opladen 1998 (=durchges. ND der 1. Aufl. von 1994), 114–140. 2 T. Mommsen, Römische Geschichte, Bd. 5: Die Provinzen von Caesar bis Diocletian, Berlin 91927, bes. 102. 3 G. Woolf, The Uses of Forgetfulness in Roman Gaul, in: H.‐J. Gehrke, A. Möller (Hg.), Vergangenheit und Lebenswelt: Soziale Kommunikation, Traditionsbildung und historisches Bewußtsein, Tübingen 1996 (ScriptOralia 90), 361–382; G. Woolf, Power and the spread of writing in the West, in: A. K. Bowman, G. Woolf (Hg.), Literacy and power in the ancient world. Cambridge 1994, 84–98. 4 A. King, The Emergence of Romano‐Celtic Religion, in: T. F. C. Blagg, M. Millett (Hg.), The Early Roman Empire in the West, Oxford 1990, 220–241, bes. 233f. 190 Jonas Scherr und Seher.5 Ganz explizit wird ihnen in den wichtigsten Quellen eine zentrale soziale Rolle zugeschrieben.6 Zugleich berichtet Caesar, dass die Druiden ihre Lehrinhalte nur mündlich weitergäben und den Gebrauch von Schrift für diese Zwecke ablehnten, die in anderen Lebensbereichen aber durchaus verwendet werde.7 Im Sinn der assmannschen Theorie und Terminologie ist es naheliegend, in den Druiden eben jene ›Gedächtnisspezialisten‹8 zu sehen, die in oralen bzw. vorliteralen Gesellschaften die wichtigsten Träger des kulturellen Gedächtnisses sind.9 Denn die gallischen Stämme kannten zwar teilweise bereits die Verwendung von Schrift, jedoch sind die Belege für deren Verwendung recht spärlich;10 zudem deutet der eben erwähnte Umgang der Druidenschaft mit der Schriftlichkeit hinsichtlich ihrer Lehrinhalte darauf hin, dass sie sich der Ablösung des »identitätssichernde[n] Wissen[s] … von den lebendigen, autoritativen Trägern«11 – also ihnen selbst – widersetzten und also versuchten, die soziale Machtstellung zu bewahren, die ihnen durch den exklusivierten Besitz dieses Wissens zukam.12 Die Situation der gallischen Stämme kurz vor der Unterwerfung durch Caesar lässt sich also so beschreiben, dass sich hier Stammesgesellschaften an der Schwelle zur Schriftlichkeit befanden, in denen aber nach wie vor das Wissen um zentrale Inhalte des sozialen Gedächtnisses – etwa »Sitten und Gebräuche, Mythen«13 sowie die »mythische Urgeschichte« und »Ereignisse in einer absoluten Vergangenheit« bei »spezialisierte[n] Traditionsträ5 6 7 8 9 10 11 12 13 Vgl. hierzu bes. J. Webster, At the End of the World: Druidic and Other Revitalization Movements in Post-Conquest Gaul, in: Britannia 30, 1999, 1–20, hier 2–4 mit Tab. 1. Einem luziden Aufsatz von Daphne Nash folgend (Reconstructing Poseidonios’ Celtic Ethnography: Some Considerations, in: Britannia 7, 1976, 111–126), spricht sich Webster zurecht dagegen aus, die Beschreibung der Druiden bei Caes. Gall. 6,13f., 6,16 und 6,18, die die wichtigste Quelle für das Druidentum kurz vor der römischen Eroberung darstellt, als eine bloße Wiedergabe von zwischenzeitlich veralteten Informationen aus dem Werk des Poseidonios anzusehen; vgl. dazu auch G. Dobesch, Caesar als Ethnograph, in: Wiener humanistische Blätter 31, 1989, 16–51. Gerade die persönliche Bekanntschaft Caesars mit mindestens einem Druiden – Diviciacus – und die Tatsache, dass ein erheblicher Teil der caesarischen Schilderung nicht der ansonsten bekannten poseidonischen Tradition zugeordnet werden kann, sind m.E. überzeugende Argumente für diese Auffassung. Caesars Druidenbeschreibung wird daher im Folgenden als relativ realitätsnah, einigermaßen zuverlässig und gegenwartsbezogen interpretiert. Es sei aber angemerkt, dass die ältere Ansicht, Caesars Darstellung der Druiden sei gänzlich als bloße Übernahme aus dem 23. Buch der Historien des Poseidonios anzusehen, nach wie vor ihre Befürworter findet, vgl. etwa unlängst J.-L. Brunaux, Druiden. Die Weisheit der Kelten, Stuttgart 2009 (frz. Orig., Paris 2006), 42. Vgl. etwa Caes. Gall. 6,13,1, wo die Druiden als die neben den ›equites‹ einzige überhaupt bedeutsame soziale Gruppe angesprochen werden. Vgl. Caes. Gall. 6,14. Assmann, Assmann (wie Anm. 1), 133. Vgl. dazu die Ausführungen bei Assmann, Assmann (wie Anm. 1), 130–135. Die frühesten literarischen Belege für die Verwendung von Schrift in Gallien stammen erst aus spätrepublikanischer Zeit: Caes. Gall. 1,29 und 6,14; die epigraphischen und numismatischen Belege weisen auf eine geringe Verbreitung von Schriftlichkeit im vorrömischen Gallien hin. Entsprechend datierbare Münz- und Inschriftenfunde in gallischer Sprache beschränken sich weitestgehend auf die Umgebung Massilias und das Rhônetal sowie die an die iberische Halbinsel und Italien grenzenden Landstriche beschränken. Sie liegen gesammelt vor in den inzwischen vier bzw. fünf Bänden des RIG; vgl. hierzu im Überblick Woolf, Power … (wie Anm. 3), bes. 89–94. Assmann, Assmann (wie Anm. 1), 135. Vgl. ebd., 134f. Ebd. Die Druiden, das kulturelle Gedächtnis und die Romanisierung 191 ger[n]« – den Druiden – lag.14 Denn genau diese Art von Wissen findet sich in den zur Verfügung stehenden Zeugnissen fast ausschließlich den Druiden zugeschrieben. So überliefert etwa Caesar, dass die Druiden die Herkunft der Gallier auf Dis Pater zurückführten,15 bei Ammian – nach dessen eigener Angabe in einer Paraphrase von Informationen aus dem Werk des Timagenes16 – erfahren wir, dass nach Auskunft der Druiden ein Teil der Gallier indigen sei, ein anderer Teil hingegen von andernorts zugewandert.17 Durch die Tradierung eines solchen durch mythenhafte Vorstellungen bestimmten Geschichtsbildes wurde durch die Druiden ein Beitrag zur Herstellung von Kontinuität geleistet, was für Assmann und Assmann die eine der beiden zentralen Funktionen von Kultur darstellt.18 Und sowohl durch die Ausübung religiöser und rechtlicher Regulierungsfunktionen als auch durch die Bildung und Erziehung des Nachwuchses, insbesondere des Nachwuchses aristokratischer Familien, erbrachten die Druiden eine »soziale Koordinationsfunktion durch Zeitregulierung«,19 also die »technische und begriffliche Zurichtung eines gemeinsamen Lebenshorizonts« – die andere der beiden grundlegenden Funktionen von Kultur.20 Die »Zeitregulierung« könnte sogar im engsten Sinne ihre Aufgabe gewesen sein, wenn die Vermutung Olmstedts, dass der berühmte ›Kalender von Coligny‹ auf druidische Berechnungen zurückzuführen ist, korrekt sein sollte.21 Auch die Angabe Caesars, dass das Wissen der Druiden in Versen weitergegeben werde,22 deckt sich mit den Postulaten des theoretischen Konzepts nach Assmann/Assmann im Sinn der Speicherung der Inhalte des 14 15 16 17 18 19 20 21 22 Ebd., 120, Tab. 1. Vgl. Caes. Gall. 6,18. Vgl. Amm. 15,9,2; damit gehören die Informationen, die Ammian hier wiedergibt, spätestens in die augusteische Zeit, resultieren aber vermutlich ihrerseits aus der Verwertung literarischer Quellen durch Timagenes, eventuell des Werks des Poseidonios, wie schon Alfred Klotz (vgl. Caesar‐Studien: nebst einer Analyse der Strabonischen Beschreibung von Gallien und Britannien, Leipzig/Berlin 1910, 127f.) vermutet hat. Vgl. zur Stelle auch ausführlich A. Hofeneder, Die Religion der Kelten in den antiken literarischen Zeugnissen, Bd. 3: Von Arrianos bis zum Ausklang der Antike, Wien 2011 (Mitteilungen der Prähistorischen Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 75), 318–325. Vgl. Amm. 15,9,4. Assmann, Assmann (wie Anm. 1), 115; vgl. zu den Lehrinhalten der Druiden auch H. Birkhan, Kelten. Versuch einer Gesamtdarstellung ihrer Kultur, Wien 1997, 912–916. Assmann, Assmann (wie Anm. 1), 115. Ebd., 114. Hierbei handelt es sich um einen lunisolaren Festkalender, der offenbar weitestgehend originär gallische Überlegungen zur Jahresbenennung, -einteilung und -berechnung verarbeitet und in lateinischen Buchstaben, aber gallischer Sprache wiedergibt. Vgl. allg. bes. G. S. Olmsted, The Gaulish calendar: a reconstruction from the bronze fragments from Coligny with an analysis of its function as a highly accurate lunar/solar predictor as well as an explanation of its terminology and development, Bonn 1992, zur Frage der Urheberschaft bes. 1–3, 69–74 und passim; Olmsted meint, dass der Kalender, der in seiner erhaltenen Form auf das späte 2. Jh. n.Chr. datiert werden kann, bereits im frühen 1. Jh. v.Chr. konzipiert wurde. Dies würde, so Olmsted, eine Beteiligung von Druiden angesichts der ihnen zugeschriebenen Funktionen und Tätigkeitsfelder höchst wahrscheinlich machen. Brunaux (wie Anm. 5), 237 weist zu Recht darauf hin, dass die Erstellung eines solchen Kalenders einerseits Beobachtungen über lange Zeiträume, andererseits aber auch umfassende mathematische Kenntnisse voraussetzte. So liegt mit dem ›Kalender von Coligny‹ vermutlich ein eindrucksvolles Zeugnis realer Tätigkeit und Kompetenz der Druiden vor. Vgl. Caes. Gall. 6,14. 192 Jonas Scherr kulturellen Gedächtnisses mit Hilfe einer traditionellen, symbolischen Kodierung recht genau.23 Durch eine derartige Betrachtungsweise wird deutlich, dass die Druidenschaft und ihr Wirken für die kollektiven Identitäten und den Fortbestand der jeweiligen kulturellen Traditionen der gallischen Stämme von unverzichtbarer Bedeutung gewesen sein dürften und als deren wichtigster Träger anzusehen sind.24 Die Druidenverfolgung Über das Schicksal der Druiden in der Zeit zwischen der Eroberung Galliens und der Errichtung des Prinzipats durch Augustus sind wir nur äußerst unzureichend informiert. Das erste mehr oder minder gesicherte Zeugnis25 für eine druidenfeindliche Politik Roms findet sich bei Sueton und bezieht sich auf die Zeit des Augustus, von dem es heißt, dass die druidarum religio römischen Bürgern verboten worden sei.26 Dies ist wohl so zu deuten, dass 23 24 Assmann, Assmann (wie Anm. 1), 120, Tab. 1. Im Sinn der assmannschen Konzeption kämen für Gallien hier vielleicht noch die Barden in Betracht, die durch ihr Liedgut ebenfalls Träger kultureller Traditionen gewesen sein mögen, auch wenn wir durch die literarische Überlieferung lediglich über ihre Tätigkeit des Lobpreises von Fürsten und Königen informiert sind. Zumindest ließen sich – neben der Vermutung anderweitiger Inhalte – derartige verherrlichende Darbietungen insofern als Produktion und Reproduktion kultureller Identität verstehen, als in diesem Kontext zweifellos auf die Familien- und vielleicht auch Stammesgeschichte der jeweiligen Fürsten- und Königshäuser rekurriert wurde. Damit steht also auch für die Barden zu vermuten, dass in ihrem Liedgut wenigstens »Geschichtserfahrungen im Rahmen individueller Biographien« (Assmann, Assmann [wie Anm. 1], 120, Tab. 1), möglicherweise aber auch mythische Inhalte und Bezüge auf Vorstellungen einer Urgeschichte und Herkunftstraditionen enthalten waren, sie also neben den Druiden als weitere Gedächtnisexperten anzusehen sein könnten. In diese Richtung würde denn auch weisen, dass Liedgut nach Jan und Aleida Assmann zu den geradezu klassischen Beispielen ritualisierter Erinnerungsbewahrung gehört, vgl. ebd., 120 (bes. Tab. 1) und 133f. Aber auch in diesem Falle wären die Druiden im Sinn der hier vorgeschlagenen Deutung weiterhin von zentraler Bedeutung für das kulturelle Gedächtnis und damit die kulturelle Identität der Gallier. Vgl. zu den Barden M. Ihm, Bardi, in: RE 3.1, 1897, 9f., dazu Birkhan (wie Anm. 18), 934–949, der übrigens S. 910 vermutet, dass auch die Verse der Druiden gesungen wurden. 25 Möglicherweise gab es bereits in der Zeit der Eroberung Galliens durch Caesar massive Konflikte zwischen diesem und der Druidenschaft, wie dies G. Zecchini (I Druidi e l’opposizione dei Celti a Roma, Mailand 1984, 47–72) glaubhaft zu machen versucht hat und worauf – je nach Interpretation und Einordnung der Zeugnisse – auch die beiden Passagen Lucan. 1,450f. und 3,399–449 hindeuten könnten. Eine solche Einschätzung ist aber m.E. wenig naheliegend; vgl. hierzu auch die Kommentare bei A. Hofeneder, Die Religion der Kelten in den antiken literarischen Zeugnissen, Bd. 2: Von Cicero bis Florus, Wien 2008 (Mitteilungen der Prähistorischen Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 66), 295–311. Viel eher sind die beiden Stellen, so man ihnen einen realen Hintergrund zubilligen will, als dichterischer Reflex auf die Konflikte Roms mit der Druidenschaft in Lucanus’ eigener Zeit zu verstehen. 26 Suet. Claud 25,5: Druidarum religionem … dirae immanitatis … civibus sub Augusto interdictam … Es ist wohl davon auszugehen, dass mit den römischen Bürgern in erster Linie die ›Neubürger‹ in den Tres Galliae gemeint waren, wie das bereits T. D. Kendrick (The Druids. A Study in Keltic Prehistory, London 1927, 86) vorgeschlagen hat – denn für die römischen Bürger anderer Provinzen bestand sicher keine Notwendigkeit zu einer solchen Maßnahme. Cesare Letta (Amministrazione Romana e culti locali in età altoimperiale – il caso della Gallia, in: RSI 96.3, 1984, 1001–1024, hier 1012) hat in Bezug auf diese Quellenstelle, im Anschluss an N. D. Fustel De Coulanges, Histoire des institutions politiques de l’ancienne France, Bd. 1: La Gaule romaine, Die Druiden, das kulturelle Gedächtnis und die Romanisierung 193 mindestens römische Bürger keine Druiden und umgekeht praktizierende Druiden keine römischen Bürger werden durften; darüber hinaus war aber wohl römischen Bürgern generell jede Kultteilnahme, vielleicht sogar jede Teilnahme an druidischen Aktivitäten aller Art untersagt.27 Dadurch musste aber das Druidentum insgesamt als den römischen Autoritäten unerwünscht wahrgenommen werden, was eine Beteiligung an jedweder Art druidischer Aktivitäten – sei es Unterricht für die eigenen Kinder, sei es die Teilnahme an Festen oder die Schlichtung von Streitigkeiten durch Druiden – für aufstiegswillige gallische Aristokraten inopportun machte. So bedeutete die Regelung des Augustus für die Druiden die Abdrängung ins soziale Abseits, das Schwinden ihrer ›Rekrutierungsbasis‹ in der Aristokratie und den Anfang vom Ende ihrer politischen Durchschlagskraft und sozialen wie auch kulturellen Bedeutung.28 In diesem Sinn stellt also schon die augusteische Repression gegen die Druiden eine ganz massive Zäsur dar. Weitere mehr oder minder klar zuordenbare Schritte der antidruidischen Politik Roms scheinen unter Tiberius erfolgt zu sein. Plinius der Ältere schreibt diesbezüglich im Kontext einer längeren Passage, in der er das Thema ›Menschenopfer‹ behandelt: Gallias utique possedit, et quidem ad nostram memoriam. namque Tiberii Caesaris principatus sustulit Druidas eorum et hoc genus vatum medicorumque. sed quid ego haec commemorem in arte oceanum quoque transgressa et ad naturae inane pervecta? Britannia hodieque eam adtonita celebrat tantis caerimoniis … nec satis aestimari potest, quantum Romanis debeatur, qui sustulere monstra, in quibus hominem occidere religiosissimum erat, mandi vero etiam saluberrimum.29 26 Paris 31891, 113, vermutet, dass mit der Formulierung religio … dirae immanitatis ausschließlich die Ausübung von Menschenopfern gemeint gewesen sei. Das kann nicht überzeugen, da ja Menschenopfer als solche schon lange vor Augustus verboten worden waren (vgl. Plin. nat. 30,12) und eine solch exklusive Deutung des Begriffs religio zudem jeder festen Grundlage entbehrt. Zweifellos kann religio hier eine bestimmte Art von Kulthandlung meinen, genauso kann aber auch die Gesamtheit der Kultausübung gemeint sein oder gar der Druidismus in seiner Gesamtheit; vgl. dazu die große inhaltliche Spanne der Übersetzungsmöglichkeiten bei K. E. Georges, Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch, Bd. 2. Hannover 81918, 2293–2295; dazu P. G. W. Glare, (Hg.), Oxford Latin Dictionary, Komb. Aufl., Oxford 1992 (=ND der Komb. Aufl. von 1982), 1605f.; G. Casadio, Religio versus Religion, in: J. Dijkstra u.a. (Hg.), Myths, Martyrs, and Modernity. Studies in the History of Religions in Honour of J. N. Bremmer, Leiden/Boston 2010, 301– 328, bes. 305–320; A. Bergmann, Die ›Grundbedeutung‹ des lateinischen Wortes Religion, Marburg 1998; J. Irmscher, Der Terminus religio und seine antiken Entsprechungen im philologischen und religionsgeschichtlichen Vergleich, in: U. Bianchi (Hg.), The notion of ›religion‹ in comparative research. Selected proceedings of the XVIth congress of the international association for the history of religions (Rome, 3rd–8th september, 1990), Rom 1994 (Storia delle religioni 8), 63–73, bes. 63–66; E. Feil, Religio: Die Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffs vom Frühchristentum bis zur Reformation. Bd. 1, Göttingen 1986 (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 36), 39–49; G. Lieberg, Considerazioni sull’etimologia e sul significato di ›religio‹, in: RFIC 102, 1974, 34–57, bes. 46–57. 27 Vgl. dazu auch Hofeneder (wie Anm. 25), 515 mit Anm. 3743. 28 Vgl. ähnlich Zecchini (wie Anm. 25), 75–78; gegenteilig – und m.E. verfehlt – ist die Einschätzung von Camille Jullian (Histoire de la Gaule, Bd. 4: Le gouvernement de Rome, Paris 1913, 66 mit Anm. 2; vgl. auch N. Chadwick, The Druids, Cardiff 21997, 72, die offenbar implizit Jullian folgt), dass Augustus’ Vorgehen als »une extraordinaire tolérance de sa part« anzusehen sei. Vgl. hierzu auch Hofeneder (wie Anm. 25), 515–517 mit näheren Ausführungen. 29 Plin. nat. 30,4: »Die gallischen Provinzen jedenfalls hat sie [=die Magie] fest in Besitz genommen, ja sogar bis in die jüngste Vergangenheit. Denn erst der Prinzipat des Tiberius Caesar beseitigte 194 Jonas Scherr Wir können also festhalten, dass Plinius politische Maßnahmen des Tiberius gegen die Druiden kennt,30 diese aber als nicht wirksam (bzw. nicht wirksam genug) einschätzt – denn die Kunst (ars) der magicae vanitates (und auch des Druidentums?) sei ja bereits bis Britannien, über den Ozean und bis ans Ende der Welt vorgedrungen.31 Dennoch hält er ein solches Vorgehen grundsätzlich für einen ›Dienst an der Menschheit‹. Vielleicht gerade, weil die antidruidische Repression unter Tiberius nicht den gewünschten Effekt zeitigte, scheint unter der Regierung des Claudius abermals gegen die druidarum religio vorgegangen worden zu sein.32 Dazu lässt sich ein Zeugnis des älteren Plinius stellen, demzufolge ein Vokontier vom Rang eines römischen Ritters wegen des bloßen Besitzes eines druidischen Talismans auf Befehl des Claudius hingerichtet wurde.33 Zwar ist gegen eine Verbindung dieses Zeugnisses mit den allgemeinen antidruidischen Repressionen eingewendet worden, dass dieses harte Vorgehen des Claudius nur gegen die konkrete übernatürliche Beeinflussung kaiserlicher Jurisdiktion gerichtet sei, nicht aber gegen das Druidentum insgesamt.34 Doch es scheint mir wenigstens nicht zwingend sinnvoll, einen solchen Gegensatz zwischen der Bestrafung einer konkreten okkulten Praktik in einem spezifischen Kontext und der repressiven Behandlung des Druidentums im allgemeinen herzustellen. Denn es handelt sich nicht unbedingt um einander ausschließende Absichten, und analytisch trennen lassen sich die beiden Aspekte hier auch nicht. Wir wissen letztlich eben nicht, ob Claudius ähnlich reagiert hätte, wenn der druidische Talisman auf Unverfänglicheres gerichtet gewesen wäre, also beispielsweise für gute Gesundheit des Trägers hätte sorgen sollen. Auch der berechtigte Hinweis auf die Darstellungsabsicht des Plinius, der hier wohl 29 30 31 32 33 34 ihre Druiden und diese Sorte von Sehern und Ärzten. Aber was muss ich dies über eine Kunst sagen, die sogar den Ozean überschritten hat und bis ans Ende der Welt vorgedrungen ist? Britannien feiert sie auch heute noch besinnungslos mit solchen Zeremonien … Und es kann nicht genug gewürdigt werden, wie viel den Römern zu verdanken ist, die diese Monstrositäten beseitigt haben, bei denen einen Menschen zu töten als sehr fromm, ihn zu verspeisen ja sogar als sehr heilsam galt.« (Übers. nach Hofeneder [wie Anm. 25], 393f.). Spätestens bei diesem Zeugnis zeigt sich m.E., dass Letta (wie Anm. 26) mit seiner Argumentation, Objekt der römischen Repressionen seien stets nur die druidischen Menschenopfer gewesen und nicht das Druidentum selbst, nicht den Kern der Sache trifft. Denn im Gegensatz zur eben besprochenen Passage aus Suetons Werk ist hier konkret davon die Rede, dass die Druiden – im inhaltlichen wie grammatischen Sinne Objekt der Handlung – ›unterdrückt‹ worden seien (sustulit). Vgl. diesbezüglich etwa den Britannienbezug der Druiden bei Caesar (Gall. 6,13) oder die Passage des Tacitus zu den Druiden auf der britannischen Insel Mona (dazu genauer unten), die zeigen, dass sich die Druidenschaft wohl tatsächlich nicht auf Gallien beschränkte und so vielleicht vor Claudius’ Britannienfeldzug wirklich kein endgültiger Erfolg gegen das Druidentum möglich war. So könnte also Plinius’ Britannienhinweis so zu werten sein, dass sich seiner Kenntnis nach bis in seine Zeit zumindest in Britannien Druiden gehalten hatten. Suet. Claud. 25,5: Druidarum religionem apud Gallos dirae immanitatis … penitus abolevit. Hierzu lässt sich noch die inhaltlich gleiche Nachricht bei Aur. Vict. epit. Caes. 4,2 stellen, die aber vermutlich von der hier zitierten Suetonstelle abhängt und der daher kein eigener Zeugniswert zukommt; vgl. hierzu Hofeneder (wie Anm. 16), 250f. Plin. nat. 29,52–54. Für die genaueren Details zu dieser Anekdote vgl. den Kommentar zur Stelle bei Hofeneder (wie Anm. 25), 389–393. Vgl. Letta (wie Anm. 26), 1015: »tanta severità non andava contro i druidi o i culti gallici, ma solo contro il tentativo di aggirare la giustitia dell’imperatore con mezzi magici«; vgl. dazu auch Hofeneder (wie Anm. 25), 393. Die Druiden, das kulturelle Gedächtnis und die Romanisierung 195 in erster Linie die Unwirksamkeit von Talismanen illustrieren will,35 braucht nicht gegen die Historizität der Handlung oder eine Einordnung in den Kontext der Druidenverfolgung zu sprechen. Denn gerade wenn Plinius für seine zeitgenössischen Leser glaubhaft darlegen wollte, dass solche Glücksbringer abergläubischer Nonsens seien, bot es sich doch an, zur Illustration dessen ein zumindest plausibles und vielleicht sogar reales Beispiel heranzuziehen. Es besteht also zumindest die Möglichkeit, dass Plinius’ Anekdote den Princeps Claudius bei der höchstpersönlichen Umsetzung antidruidischer Politik zeigt, was also hieße, dass die Repressionen, von deren politischer Setzung wir zwar unterrichtet sind, über deren konkrete Umsetzung aber ansonsten weitgehende Unklarheit besteht, zumindest vom Kaiser selbst auch wirklich angewandt wurden.36 Neben den genannten Zeugnissen lassen sich möglicherweise noch einige weitere Quellenstellen mit der antidruidischen Politik der iulisch-claudischen Principes in Verbindung bringen. Zunächst ist hier eine Nachricht bei Strabon zu nennen, der berichtet, dass die Römer der gallischen Sitte der Schädeljagd sowie Wahrsage- und Opferpraktiken, die römischen Gesetzen nicht entsprachen, ein Ende bereitet hätten, woran sich die Bemerkung anschließt, dass die Gallier generell keine Opfer ohne Druiden durchgeführt hätten.37 Der konkrete inhaltliche und zeitliche Bezug der Nachricht bleibt leider trotz verschiedener und teilweise höchst unterschiedlicher Interpretationsversuche38 unklar und lässt gesichert nur den Schluss auf ein Vorgehen gegen Schädeljagd und Menschenopfer zu, auch wenn wegen der sich direkt anschließenden Erwähnung der Rolle der Druiden für diese Praktiken ein Zusammenhang zur Druidenverfolgung nicht unplausibel erscheint. Ganz ähnlich ist auch das Zeugnis Pomponius Melas einzustufen, wenn dieser von der Sitte des Menschenopfers bei den Galliern als einer bereits abgeschafften Wildheit (feritas iam abolita)39 spricht. Auch hier ist der konkrete sachliche und zeitliche Bezug nicht eindeutig. Ob die genannte Maßnahme der ›Abschaffung‹ in Zusammenhang mit einem Vorgehen gegen die Druiden steht oder es sich lediglich um eine Umsetzung des bereits republikanischen allgemeinen Verbots von Menschenopfern40 handelt, muss ebenso ungeklärt bleiben.41 Doch wie bei Strabon scheint ein Zusammenhang mit der Druidenverfolgung zumindest denkbar.42 Eindeutig auf die Gegenwart bezogen, weil im Präsens formuliert, ist hingegen die Anmerkung Melas, der Unterricht der Adligen durch die Druiden finde heimlich (clam) statt und werde in Höhlen oder abgelegenen Tälern (aut in specu aut in abditis saltibus) abgehal35 36 37 38 39 40 41 42 Vgl. ebd., s. auch Hofeneder (wie Anm. 25), 393, der sich im wesentlichen der Beurteilung der Passage durch Letta anschließt. Ähnlich schon Jullian (wie Anm. 28), 169; vgl. auch Zecchini (wie Anm. 25), 87 und Chadwick (wie Anm. 28), 74. Strab. 4,4,5; vgl. zur Einschätzung der Stelle den Kommentar bei Hofeneder (wie Anm. 25), 224– 231. Vgl. etwa R. Syme, Tacitus on Gaul, in: Latomus 12, 1953, 25–37, hier 25 mit Anm. 2, für den sich die Passage auf die antidruidische Politik des Augustus bezieht; anders u.a. Zecchini (wie Anm. 25), 79f., für den die Nachricht in die tiberische Zeit weist. Vgl. Mela 3,18. Vgl. Plin. nat. 30,12. Vgl. zur Stelle und zu den genannten Problemen den ausführlichen Kommentar bei Hofeneder (wie Anm. 25), 268f. Auch bei der hier behandelten Nachricht Melas schließt sich, ähnlich wie beim eben angeführten Zeugnis Strabons, eine Passage zu den Druiden an. 196 Jonas Scherr ten.43 Zwar ist aufgrund der starken inhaltlichen Ähnlichkeit von Melas Beschreibung der Druiden und ihres Wirkens mit jener im Gallierexkurs Caesars anzunehmen, dass Melas Text auf dem Caesars beruht.44 Doch es scheint mir nicht überzeugend, die angesprochene Passage Melas als bloße bildhafte Ausgestaltung der Bemerkung Caesars verstehen zu wollen, dass die Druiden ihre Lehre nicht schriftlich niederlegen wollten.45 Eine Verbindung zur antidruidischen Politik der iulisch-claudischen Principes ist m.E. hier doch die näherliegende Deutung. Denn einerseits findet sich eine ähnliche Schilderung auch bei Lucan, wo die Druiden in Hainen entlegener Wälder (nemora altis remotis lucis) verortet werden.46 Andererseits – und dies scheint mir ein gewichtigeres Argument für den These eines Rückzugs der Druidenschaft – bietet die Passage des Tacitus zur Eroberung der Insel Mona (s.u.) Vergleichbares. Hier wird die Insel als receptaculum perfugarum bezeichnet, was sich durchaus auf die Druiden beziehen läßt, von denen einige also in neronischer Zeit auf einer abgelegenen Insel Zuflucht gefunden haben könnten, die bis zur Eroberung durch Suetonius Paullinus außer Reichweite der römischen Machtausübung gewesen war. So könnte also anhand der genannten Quellenstellen eine Folge der Politik der iulischclaudischen Principes zu fassen sein: Druidische Aktivitäten finden zwar in der Mitte des 1. Jh. n.Chr. noch statt, doch haben sich die Druiden auf Grund der Verfolgung und Repression an entlegene Orte zurückgezogen und üben ihre Tätigkeiten in klandestiner Art und Weise nach wie vor aus, wenngleich ihre kulturelle Bedeutung und soziale Machtstellung weitgehend geschwunden sind.47 Wie angesprochen ist die Invasion der britannischen Insel Mona (heute Anglesey vor Nordwestwales)48 durch den legatus Augusti pro praetore C. Suetonius Paullinus vielleicht ebenfalls im Kontext römischer Maßnahmen gegen die Druiden zu sehen.49 Diese Aktion war laut Tacitus einerseits motiviert durch Paullinus’ Konkurrenz mit Corbulo, anderer43 44 45 46 47 48 49 Mela 3,19; ähnlich deutete dies schon H. D’Arbois de Jubainville, Les Druides sous l’Empire Romain, in: RA 38, 1879, 374–379, hier 379. Vgl. in diesem Sinne R. Wiśniewski, Deep woods and vain oracles: Druids, Pomponius Mela and Tacitus, in: Palamedes 2, 2007, 143–156, hier 148. Caes. Gall. 6,14: Neque fas esse existimant ea [sc. disciplina] litteris mandare; auf einer solchen Deutung als einzig plausibler Interpretation insistiert emphatisch – und m.E. in dieser Heftigkeit zu Unrecht – Wiśniewski (wie Anm. 44), 148f; vgl. ähnlich auch schon Letta (wie Anm. 26), 1016, der Melas Bemerkung allgemeiner als Ausgestaltung des esoterisch-okkulten Charakters des Druidentums verstehen will. Es sei angemerkt, dass aus der Vorstellung einer exklusiven Abhängigkeit von Melas Text von dem Caesars heraus, die von Mela erwähnte Abschaffung der Menschenopfer nicht erklärbar ist, da dieses Element bei Caesar nicht erwähnt wird. Lucan. 1,450–462. Zwar schreibt Lucan über die Zeit der caesarischen Eroberung Galliens, doch lässt sich die Passage viel eher als dichterisch ausgestaltete Darstellung des Druidismus seiner eigenen Zeit verstehen. Ähnlich sahen dies bereits D’Arbois de Jubainville (wie Anm. 43), 376 und später beispielsweise Chadwick (wie Anm. 28), 73 mit Anm. 3. Anders aber etwa N. D. Fustel De Coulanges, Comment le druidisme a disparu, in: Revue Celtique 4, 1879/1880, 37–59, hier 51 mit Anm. 3 oder auch Letta (wie Anm. 26), 1015f.; für einen ausführlichen Überblick über die Forschungsdebatte vgl. Hofeneder (wie Anm. 25), 269f., der ebenfalls eine skeptische Position einnimmt. Vgl. ähnlich auch Webster (wie Anm. 5), 11. Vgl. M. Todd, Mona, in: DNP 8, 2000, 351f. Die Identifikation mit Anglesey zu Ungunsten der Isle of Man, die in der Antike ebenfalls Mona genannt wurde, wird heute kaum noch bestritten; vgl. dazu auch Hofeneder (wie Anm. 25), 494 mit Anm. 3587. Vgl. Tac. ann. 14,29f. Die Druiden, das kulturelle Gedächtnis und die Romanisierung 197 seits aber auch begründet dadurch, dass die Insel eine nennenswerte Bevölkerung gehabt habe und ein Rückzugsort für Flüchtlinge gewesen sei50 und zudem von dort aus Aufständische unterstützt worden seien.51 In einer überaus bildhaften Schilderung erwähnt Tacitus unter den Verteidigern der Insel auch Druiden, die durch Verwünschungen den römischen Truppen Widerstand leisten. Nach dem Hinweis des Paullinus, dass es sich bei den Gegnern lediglich um einen Haufen von Weibern und Fanatikern (muliebre et fanaticum agmen) handle, wird schließlich die Insel erobert. Daraufhin lässt Paullinus dort die ›heiligen Haine‹ zerstören – hier liefert Tacitus im Sinne einer Begründung den Hinweis auf dort praktizierte Menschenopfer bzw. Blutrituale – und stationiert Soldaten. Die Interpretationen dieser Begebenheit gehen weit auseinander, gerade was die Frage nach der Motivation des Angriffes und der Existenz und Identität der dortigen Druiden anbelangt.52 Die grundsätzliche Plausibilität und möglicherweise auch Historizität der geschilderten Handlung wurde jedoch kaum einmal in Frage gestellt,53 schon weil zu vermuten steht, dass Tacitus durch seinen Schwiegervater Agricola und/oder die Memoiren des Suetonius Paullinus – möglicherweise auch unter Vermittlung durch Fabius Rusticus – über die Amtszeit des Paullinus in Britannien gut informiert war.54 Bemerkenswert scheint mir vor allem, dass der taciteischen Schilderung zufolge nach der Schlacht gezielte Maßnahmen gegen die Kultpraktiken der Bewohner Monas (und damit doch wohl hauptsächlich der Druiden) getroffen wurden. Auch wenn also das Vorgehen des Paullinus nicht in erster Linie gegen die Druiden Monas und ihre Tätigkeiten dort gerichtet gewesen sein sollte, auch wenn die nach der Schlacht ausgeführten Maßnahmen sich primär gegen Menschenopfer gerichtet haben könnten, so bliebe dennoch der Eindruck, dass hier im allgemeinen Kampf gegen britannische Widerständler wenigstens billigend in Kauf genommen 50 51 52 Tac. ann. 14,29: … Monam insulam, incolis validam et receptaculum perfugarum, adgredi parat … Tac. Agr. 14,3.: Suetonius … Paulinus … Monam insulam ut vires rebellibus ministrantem adgressus. Vgl. Mommsen (wie Anm. 2), 169, der im römischen Streben nach der Vernichtung der dortigen Druidenschaft den Hauptgrund für die Invasion Britanniens unter Claudius sehen wollte und Mona als Zentrum des dortigen Druidentums ansah; ähnlich zuletzt auch M. J. AldhouseGreen, Caesar’s Druids – Story of an ancient priesthood, New Haven/London 2010, 30, 36f. Damit wäre also die Attacke auf Mona als Vollendung des claudischen Auftrages anzusehen. Anders sieht das etwa W. F. Tamblyn, British Druidism and the Roman War Policy, in: AHR 15.1, 1909, 21–36, hier 30f., der argumentiert, dass es sich bei den hier erwähnten Druiden nicht um Druiden im gallischen Sinn gehandelt habe; ähnlich auch Jullian (wie Anm. 28), 169 mit Anm. 3. Letta (wie Anm. 26), 1016 hingegen versteht die Stelle so, dass die Druiden nicht das Ziel von Paullinus’ Invasion gewesen seien, sondern eher ›zufällig Anwesende‹. 53 Vgl. aber beispielsweise R. Urban, Gallia rebellis. Erhebungen in Gallien im Spiegel antiker Zeugnisse, Stuttgart 1999 (Historia Einzelschriften 129), 74 mit Anm. 125, für den die Episode ein bloßes Literaturprodukt darstellt, was er damit begründet, dass die Druidenschaft durch die römischen Repressionen zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr existent gewesen sei, weswegen für ihn auch die Druidenprophezeiung nach dem Brand des Kapitols (s.u.) eine Erfindung des Tacitus sein muss; diese Position überschätzt m.E. ganz erheblich die Möglichkeiten Roms hinsichtlich einer umfassenden Verfolgung der Druiden. 54 Agricola hatte in der fraglichen Zeit als Tribun unter Paullinus in Britannien gedient (vgl. Tac. Agr. 5) und hatte einige Jahre später selbst die Insel Mona (wieder-)erobert (vgl. Tac. Agr. 18); vgl. dazu auch Wiśniewski (wie Anm. 44), 150 mit Anm. 20. 198 Jonas Scherr (oder es gar als willkommener Nebeneffekt betrachtet) wurde, ein druidisches Heiligtum auszulöschen.55 So lässt sich die Invasion Monas also trotz aller vorgebrachten Einwände wohl doch in den Kontext der Verfolgung der Druiden einordnen, was dann als Beleg der Fortsetzung dieser Politik bis in die neronische Zeit gewertet werden müsste; weiterhin bemerkenswert ist zudem die augenfällige Verbindung von antirömischem Widerstand mit den Aktivitäten der Druidenschaft.56 Bezieht man die Bemerkungen des Tacitus über Mona als receptaculum perfugarum und als Unterstützungsbasis für antirömische Rebellen in Britannien auf die Druiden, ergäbe sich so das Bild von Druiden, die sich vor der römischen Verfolgung auf die Insel zurückgezogen und von dort aus den Widerstand gegen Rom gefördert hätten. Schließlich sei hier noch ein Zeugnis angesprochen, das die romfeindliche Haltung der Druiden – mag sie nun von diesen ausgegangen oder nur eine Reaktion auf die römischen Verfolgungen gewesen sein – unterstreichen könnte. Als im Zug der Kämpfe zwischen Flavianern und Vitellianern in Rom im Herbst des Jahres 69 n.Chr. der Iuppitertempel auf dem Kapitol in Flammen aufgegangen war und es zeitgleich in Gallien und im römischen Germanien zu Unruhen kam (dem sogenannten Bataveraufstand), wurden diese laut Tacitus durch eine druidische Prophezeiung unterstützt und weiter angestachelt.57 Es ist vielfach in Zweifel gezogen worden, ob diese Anekdote mehr ist als ein literarisches Kunstprodukt des Tacitus, hauptsächlich, weil die Inhalte der Prophezeiung als ›typisch römisch bzw. mediterran‹ eingestuft wurden.58 Schon mangels paralleler Überlieferungen 55 Es sei darauf hingewiesen, dass die Druiden als Teil der Kombattanten dargestellt werden und Tacitus den Eindruck erweckt, als ob die Gegner der römischen Invasionstruppe vollständig getötet worden seien (Tac. Ann. 14,30: sternuntque obvios et igni suo involvunt); so könnte also nicht nur das Heiligtum vernichtet worden sein, sondern auch dessen Kultfunktionäre. Dass Anglesey/Mona zumindest bis in die Zeit der claudischen Eroberung Britanniens eine überregionale kultische Bedeutung hatte, zeigt sich insbesondere an den Hortfunden von Llyn Cerrig Bach, wo 1942/43 ein reiches Sortiment an Opfergaben aus verschiedenen Gegenden Englands und Wales’ gefunden wurde; ein direkter Bezug der Funde zur Episode bei Tac. Ann. 14,29f. ist aber umstritten. Vgl. hierzu F. Lynch, Prehistoric Anglesey: the archaeology of the island to the Roman conquest, Llangefni 1970, 285. Vgl. aber auch die kritischen Anmerkungen bei P. Salway, Roman Britain, Oxford 21982, 680 und den Überblick zur diesbezüglichen Diskussion bei Hofeneder (wie Anm. 25), 498. 56 Vgl. Aldhouse-Green (wie Anm. 52), 30; vgl. auch Zecchini (wie Anm. 25), 92f., der eine Verbindung der Ereignisse auf Mona mit dem Aufstand der Iceni unter Boudica nahelegen will. 57 Tac. hist. 4,54: Galli sustulerant animos ... sed nihil aeque quam incendium Capitolii, ut finem imperio adesse crederent, impulerat. captam olim a Gallis urbem, sed integra Iovis sede mansisse imperium: fatali nunc igne signum caelestis irae datum et possessionem rerum humanarum Transalpinis gentibus portendi superstitione vana Druidae canebant. (Die Gallier hatten ihr Haupt erhoben ... Aber nichts hatte in gleicher Weise dazu verleitet, dass sie glaubten, das Ende für das Reich sei gekommen, wie der Brand des Kapitols. Einst sei die Stadt zwar von Galliern erobert worden, da aber Iuppiters Wohnsitz unversehrt geblieben sei, habe das Reich fortbestanden. Jetzt sei durch das fatale Feuer ein Zeichen himmlischen Zorns gegeben und die Weltherrschaft Völkern jenseits der Alpen verheißen worden, weissagten die Druiden in nichtigem Aberglauben. – Übers. nach Hofeneder [wie Anm. 25], 485). 58 Gegen die Historizität der Schilderung des Tacitus haben sich u.a. ausgesprochen: G. Walser, Rom, das Reich und die fremden Völker in der Geschichtsschreibung der frühen Kaiserzeit. Studien zur Glaubwürdigkeit des Tacitus, Basel 1951, 109f.; Urban (wie Anm. 53), 73–75; J. F. Drinkwater, Roman Gaul. The three provinces, 58 BC–AD 260, London/Canberra 1983, 39 und Wiśniewski (wie Anm. 44), 150–153. Als glaubwürdig wollen die Schilderung des Tacitus dage- Die Druiden, das kulturelle Gedächtnis und die Romanisierung 199 und angesichts einer letztlich stagnierenden Debatte, bei der keine der beiden Seiten letzte Zweifel ausräumen konnte, muss diese Frage unbeantwortet bleiben. Doch wenn Tacitus hier wenigstens im Kern Authentisches berichten sollte, so böte sich ein Zeugnis für die Auswirkungen der Druidenverfolgung, nämlich einerseits die zunehmende Feindschaft der Druiden gegenüber Rom,59 andererseits aber vielleicht auch die Veränderung bzw. den Abstieg der Druiden hin zu ›Wahrsagern‹ und ›Quacksalbern‹.60 Und auch der so sehr von mediterranem Gedankengut geprägte Inhalt der Prophezeiung könnte in einem derartigen Sinn herangezogen werden, da er ja letztlich einfach auch davon zeugen könnte, dass sogar die Lehren der so romfeindlichen Druidenschaft schon starke Zeichen einer ›Romanisierung‹ zu zeigen begonnen hatten. Unter diesen Umständen ließe sich die Prophezeiung vielleicht so einordnen, dass die stark romanisierten bzw. ›degenerierten‹ Überreste der Druidenschaft, die wegen der zu diesem Zeitpunkt wohl schon ein Jahrhundert andauernden Repressionen Roms eine hochgradig feindselige Haltung gegenüber der römischen Herrschaft vertraten, einen (wie auch immer motivierten) Aufruhr für sich zu nutzen versucht haben könnten, indem sie gleichsam auf den fahrenden Zug aufsprangen und mithilfe von Aktionen wie der bei Tacitus überlieferten Weissagung versucht hätten, die Situation in ihrem Sinn umzudeuten. Dieses Zeugnis des Tacitus ist denn auch eines der letzten, das Druiden als mehr oder weniger zeitgenössisches Phänomen behandelt. Daneben sind als etwa zeitgleich61 die verschiedenen Erwähnungen von Druiden bei Plinius zu stellen, der sie ebenfalls als Phänomen der Gegenwart schildert. Sein Werk stellt mit einer der wichtigsten Nachrichten über das Verbot des Druidismus (s.o.) und einem insgesamt auffallend negativen Grundtenor62 gegenüber den Druiden ein interessantes Zeugnis für die römische Repression dar. Da Plinius selbst aus dem cisalpinen Gallien stammte und als procurator 70 n.Chr. die Gallia Narbonensis sowie 75 n.Chr. die Gallia Belgica verwaltet hatte, kann von einer vielleicht sogar durch Augenzeugenschaft fundierten vergleichsweise hohen Sachkenntnis ausgegangen werden.63 Plinius präsentiert die Druiden fast ausschließlich als Ärzte bzw. Quacksalber, Wahrsager und Zauberer, jedoch nicht als die Lehrer, Gelehrten und Richter, die wir von 58 59 60 61 62 63 gen etwa die folgenden Forscher ansehen: Jullian (wie Anm. 28), 200; J. De Vries, Keltische Religion, Grenchen 2006 (=ND der Ausg. von 1961), 204; G. Zecchini, La profezia dei druidi sull’ incendio del Campidoglio nel 69 d.C., in: M. Sordi (Hg.), I santuari e la guerra nel mondo classico, Mailand 1984 (Contributi dell’ istituto di storia antica 10), 121–131, bes. 121–123; Letta (wie Anm. 26), 1017f.; Chadwick (wie Anm. 28), 46, 74. Einen ausführlichen Überblick zur Forschungsdebatte über dieses Zeugnis bietet Hofeneder (wie Anm. 25), 485–489 (zur Glaubwürdigkeitsfrage 486–488), der ebenfalls der Ansicht zuneigt, dass Tacitus hier Glauben zu schenken sei. Vgl. P. A. Brunt, Tacitus on the Batavian revolt, in: Latomus 19, 1960, 494–517, hier 497. So etwa vertreten von B. Maier, Die Religion der Kelten. Götter – Mythen – Weltbild, München 2001, 158f.; ähnlich P. A. Brunt, Roman Imperial Themes, Oxford 1990 (=ND von: The Revolt of Vindex and the Fall of Nero, in: Latomus 18, 1959, 531–559), 9–32, bes. 24 und Hofeneder (wie Anm. 25), 489. Im Sinn von ›für die zweite Hälfte des 1. Jh. n.Chr. als gegenwärtig geschildert‹. H. D. Rankin, Celts and the Classical World, London/New York 1996 (=ND der 1. Aufl. von 1987), 291 spricht in diesem Zusammenhang nicht zu Unrecht von »personal hostility«. Vgl. ebd., dazu K. Sallmann, Plinius (1), in: KlP 4, 1979, 928–937, hier 929 zur Ämterlaufbahn; vgl. weiter auch PIR2 P493 (Pars 4, S. 209–213, zur Ämterlaufbahn bes. 211f.). 200 Jonas Scherr Caesar kennen.64 Der Niedergang der einst so wichtigen und mächtigen ›intellektuellen Kaste‹ war also in vollem Gang.65 Zwar finden sich auch in verschiedenen, vorwiegend griechischsprachigen Quellen des 2. und 3. Jh. n.Chr. Nachrichten zum Druidentum, doch wird dort die Druidenschaft im Regelfall als ein Phänomen der Vergangenheit besprochen oder ohne Zeitbezug geschildert.66 Diese Quellen – darunter Dion Chrysostomos,67 Clemens von Alexandria,68 Origenes,69 Hippolytos von Rom70 und Diogenes Laertios71 – bauen höchstwahrscheinlich allesamt auf erheblich älterem Schriftgut auf72 und sind daher als rein literarische Produkte anzusehen, die zwar möglicherweise für das Druidentum der vorcaesarischen Zeit als Zeugnisse herangezogen werden können, denen aber für ein etwaiges Druidentum ihrer eigenen Zeit kein Quellenwert zugestanden werden kann.73 Für die Spätantike schließlich sind Druiden noch an einigen Stellen in der Literatur bezeugt. Es sind dies drei Passagen in der Historia Augusta,74 zwei bei Decimus Magnus Ausonius75 sowie der oben schon erwähnte Bericht bei Ammian.76 Hinsichtlich der Druidinnen in der Historia Augusta hat unlängst Andreas Hofeneder recht überzeugend darlegen können, dass es sich bei diesen wahrscheinlich lediglich um ›Stilmittel‹, mithin 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 Vgl. Plin. nat. 16,249–251; 24,103f.; 29,52–54; 30,12f. Vgl. Webster (wie Anm. 5), 10f. Hier ist die sogenannte alexandrinische Tradition zum Druidentum gemeint, s. dazu Chadwick (wie Anm. 28), 11–68 zur Einteilung der Quellen in die ›alexandrinische‹ und die ›poseidonische‹ Tradition; zu ersterem Strang vgl. dort ausführlich 51–68. Dion Chrys. 49,7f. Clem.Al. strom. 1,15,71,4. Orig. Contra Celsum 1,16. Hippolytus, Refutatio omnium haeresium 1, praef. 1,6; 1,2,17; 1,25,1f. Diog. Laert. 1,1; 1,6. Z.T. ist dies klar erkennbar, weil die jeweilige Quelle angegeben wird, so etwa bei Diogenes Laertios (1,1), der als Quellen Sotion von Alexandria und den pseudoaristotelischen Traktat Magikos nennt. Vgl. für einen ausführlichen Kommentar in diesem Sinn auch A. Hofeneder, Die Religion der Kelten in den antiken literarischen Zeugnissen, Bd. 1: Von den Anfängen bis Caesar, Wien 2005 (Mitteilungen der Prähistorischen Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 59), 74–81 (Diog. Laert., dort unter Sotion von Alexandria eingeordnet); Hofeneder (wie Anm. 25), 457–461 (Dion Chrys.); Hofeneder (wie Anm. 16), 75f. (Orig. Contra Celsum, dort eingeordnet unter Kelsos); 200–203 (Hippolitus, Refutatio omnium haeresium); 156f. (Clem.Al.). Zwar später, aber ebenfalls demselben Traditionsstrang zuzuordnen ist außerdem die Nachricht bei Kyrill von Alexandria, Contra Iulianum 4,133f., vgl. hierzu wiederum Hofeneder (wie Anm. 16), 431f. SHA Alex. 60,3–6; Aurelian. 44,3–5; Car. 14,1–15,5. Auson. Commemoratio professorum Burdigalensium 4,7–9; 10,24–30. Amm. 15,9,4; 15,9,8; dieser Bericht baut, wie Ammian selbst berichtet, auf einem Zeugnis des Timagenes auf und hat daher einen gewissen Quellenwert für die Zeit des 1. Jh. v.Chr. oder evtl. des späten 2. Jh. v.Chr., aber nicht für Ammians eigene Zeit. Gerade wegen dieser eigenartigen anachronistischen Verwendung der Information bei Ammian hat G. Woolf, Tales of the Barbarians: Ethnography and Empire in the Roman West, Chichester 2011 (Blackwell Bristol Lectures on Greece, Rome and the Classical Tradition), 94 auf die enorme Persistenz bestimmter Traditionen zu den ›barbarischen‹ Provinzen im Römischen Reich hingewiesen und diesbezüglich pointiert von einem literarischen »permanent barbarian theme park« Roms gesprochen. Vgl. zur Stelle jüngst auch ausführlich Hofeneder (wie Anm. 16), 317–325. Die Druiden, das kulturelle Gedächtnis und die Romanisierung 201 reine Erfindungen ohne jede reale Grundlage handelt.77 Die betreffenden Stellen zeigen die auftretenden Druidinnen allesamt als Wahrsagerinnen, die den jeweiligen Kaisern den Tod (Alexander Severus), den Nachfolger (Aurelian) bzw. die Herrschaft (Diocletian) prophezeien, sodass die Druidinnen eine Funktion als Ausgangspunkt von Weissagungen erfüllen. Selbst wenn man also gegen Hofeneders Position die Zeugnisse ernst nehmen wollte, würden sie doch nur den vollendeten Abstieg des Druidentums zu ›Zauberern‹ und ›Hellsehern‹ bezeugen.78 Bei Ausonius hingegen handelt es sich um Zuschreibungen druidischer Abstammung an seinen Lehrer Attius Patera und dessen Vater Phoebicius.79 In beiden Fällen wird dabei der mythische Charakter dieser Abkunft deutlich gekennzeichnet, wodurch zugleich der Eindruck entsteht (und wohl auch entstehen soll), dass diese druidischen Vorfahren, so sie denn überhaupt existiert haben sollten, jedenfalls in einer weit zurückliegenden Vergangenheit zu verorten sind.80 Gerade mit Blick auf die lange Überlieferungslücke zwischen Tacitus und den wohl fiktiven bzw. auf weit zurückliegende Zeiten zurückweisenden Zeugnisse bei Ausonius und der Historia Augusta lässt sich aber letztlich recht klar sagen, dass wahrscheinlich bereits im 2. Jh. in Gallien kein Druidentum mehr existierte und die wenigen verbliebenen Vertreter dieser Zunft, sofern es diese überhaupt noch gab, zu bloßen ›Wahrsagern‹ und ›Quacksalbern‹ herabgesunken waren.81 Die römische Repression gegen die Druiden ist also, um an dieser Stelle kurz zusammenzufassen, aller Wahrscheinlichkeit nach ein reales historisches Ereignis gewesen, das in sich steigernder Intensität zumindest unter den iulisch-clau- 77 78 79 80 81 Vgl. A. Hofeneder, Die ›Druidinnen‹ der Historia Augusta, in: S. Zimmer (Hg.), Kelten am Rhein: Akten des dreizehnten Internationalen Keltologiekongresses, 23. bis 27. Juli 2007 in Bonn, Bd. 2: Philologie – Sprachen und Literaturen, Mainz 2009 (Beihefte der Bonner Jahrbücher 58), 81– 94; vgl. auch Hofeneder (wie Anm. 16), 336f., 341–350. »Dass diese Druidinnen mit den Kultoffizianten der vorrömischen Zeit nur noch den Namen gemein haben, liegt auf der Hand«; so wäre die Druidenschaft der Spätantike, so sie denn doch existiert haben sollte, mit Bernhard Maier (wie Anm. 60), 159 dann wohl einzustufen. Auson. Commemoratio professorum Burdigalensium 4,7–9 (Patera) und 10,24–30 (Phoebicius). Konkret spielt Ausonius bei Patera wohl auf eine Familienlegende an, wenn er über ihn schreibt: tu Baiocassi stirpe druidarum satus, / si fama non fallit fidem, / Beleni sacratum ducis e templo genus. Ausonius stuft diese Ahnenlegende also selbst als nicht zwingend glaubwürdig ein, nennt sie wegen des panegyrischen Charakters seiner Schrift über bzw. an den ehemaligen Lehrer dennoch. Die Druiden waren zu einer Erscheinung vergangener Zeiten geworden – mythisch, weise, vorzeigbar in einer Ahnenreihe. Entsprechend ist auch die ähnliche Zuschreibung bezüglich Pateras Vater Phoebicius zu werten, in der ebenfalls der Charakter der druidischen Abstammung mit ut placitum als sagenhaft kenntlich gemacht wird. Vgl. zu beiden Stellen – mit ähnlicher Wertung – jetzt auch die Kommentare bei Hofeneder (wie Anm. 16), 287–289. Vgl. aber auch die Gegenposition, der zufolge die Druiden bis in das 3. Jh. n.Chr. eine Art Schattendasein geführt hätten, um dann wieder aufzutreten, nachdem die römischen Repressionen beendet waren und stattdessen u.a. mit Caracalla auch Kaiser begonnen hätten, die gallische Religion wieder zu würdigen; in diesem Sinn beispielsweise J.-J. Hatt, Kelten und Galloromanen, München u.a. 1970, 308–313, bes. 310–312 (frz. Orig. Genf u.a. 1970); ähnlich – aber mit der Vorstellung eines massiven Wandels des Druidismus verbunden – interpretiert die Quellenlage auch M. Clavel-Lévêque, Mais où sont les druides d’antan? Tradition religieuse et identité culturelle en Gaule, in: DHA 11, 1985, 556–604. 202 Jonas Scherr dischen Principes stattfand und auch durchaus wirksam war.82 Zwar ist davon auszugehen, dass eine umfassende Verfolgung wohl nicht stattgefunden hat, weil dies mit den Mitteln des römischen Staates nicht umsetzbar gewesen wäre.83 Allerdings wurden rasch auf denselben Tätigkeitsfeldern, auf denen bislang die Druiden aktiv gewesen waren, Alternativen bzw. Konkurrenz geschaffen, die Verdrängungseffekte hervorgerufen haben dürften (s.u.). So ist insgesamt m.E. kaum zu bezweifeln, dass die römischen Repressionen einen nicht unerheblichen Teil zur Auslöschung des kontinentalen Druidentums beitrugen,84 aber wohl auch nicht dessen einzige Ursache waren. Verdrängung des Druidentums? Bevor auf die kulturellen Konsequenzen des Endes der Druidenschaft für die gallischen Stammesgesellschaften eingegangen wird, erscheint es angebracht, in Kürze einige Gedanken zu den eben angesprochenen, zur antidruidischen Repression gewissermaßen komplementären politischen Maßnahmen zu formulieren und dabei Überlegungen zu den postulierten ›Verdrängungseffekten‹ anzustellen. Anthony King hat im oben bereits angeführten Aufsatz neben der Druidenverfolgung als destruktiver Maßnahme einen weiteren Faktor herangezogen, mit dessen Hilfe er die Genese der gallorömischen Religion erklärt.85 Es ist dies der provinziale Kaiserkult in Lugdunum, den King als zur Druidenverfolgung komplementäre, ›konstruktive‹ Maßnahme begreift: »Attempts to do away with a potential source of resistance to Rome … and at the same time the provision of an alternative ritualistic focus were clearly officially promoted, and can even be conceived in terms of a ›policy‹ as far as this concept can be applied to Roman government. Augustus’s ban, in particular, can be envisaged as a move to deny indigenous religious power to aspiring Roman citizens in Gaul, and the establishment of the new provincial cult as a controlled and Romanized alternative.«86 Dies scheint mir überaus plausibel zu sein, berücksichtigt aber die viel breiter angelegte Funktion der Druidenschaft der vorrömischen Zeit zu wenig. Denn es war ja nicht nur der gesellschaftliche Bereich von Kult und Religiosität, in dem die Druiden tätig gewesen waren, ihr Tätigkeitsbereich erstreckte sich auch auf das Feld von Bildung, Erziehung und ›Wissenschaft‹ sowie jenes der Gerichtsbarkeit und der politischen Kommunikation (s.o.). Auch in diesen Sektoren ge82 83 84 85 86 Vgl. mit ähnlichem Urteil auch den Kurzüberblick bei S. Piggott, The Druids, London 1968 (Ancient Peoples and Places 63), 127–130. Vgl. in diesem Sinne auch King (wie Anm. 4), 233. Eine vergleichbare Ansicht hat sich entsprechend trotz aller Einwände inzwischen auch weitgehend durchgesetzt, vgl. etwa G. Woolf, Becoming Roman: the origins of provincial civilization in Gaul, Cambridge u.a. 2004 (ND der 1. Aufl. von 1998), 221f.; W. Spickermann, Druidae, in: DNP 3, 1997, 823f.; Drinkwater (wie Anm. 58), 38f.; Urban (wie Anm. 53), 74 mit Anm. 125; Hofeneder (wie Anm. 16), 87f. Die Ansicht, es habe keine Druidenverfolgung gegeben und das Druidentum habe die frühe Prinzipatszeit überdauert, vertritt insbesondere Letta (wie Anm. 26), für den die in kaiserzeitlichen Inschriften erwähnten gutuatres – wohl Kultfunktionäre – Druiden unter anderem Namen darstellen (ebd., 1008–1013). Diese Interpretation steht m.E. auf tönernen Füßen, da sich eine solche Gleichsetzung nicht aus antiken Quellen ableiten lässt und in diesem Sinn bloße Spekulation darstellt. Vgl. zur Problematik des gutuater u.a. Hofeneder (wie Anm. 73), 230–234 und im Überblick Birkhan (wie Anm. 18), 918. Vgl. King (wie Anm. 4), 233f. King (wie Anm. 4), 234. Die Druiden, das kulturelle Gedächtnis und die Romanisierung 203 schahen ähnliche Dinge, wie sie King für den kultischen Bereich diagnostiziert hat – auch dort wurden »controlled and Romanized alternative[s]« geschaffen. Dem soll nun nachgegangen werden. Der gesellschaftliche Sektor der Bildung und Erziehung scheint einer derjenigen gewesen zu sein, die am stärksten vom Verschwinden der Druiden betroffen waren – werden doch gerade diesen als einziger sozialer Gruppe in den literarischen Quellen entsprechende Aufgaben und Tätigkeiten zugeordnet. Insofern mag man die Ansicht vertreten, dass die Römer mit den Druiden auch alle vorhandenen Ansätze eines genuin gallischen Bildungswesens austilgten. Dadurch muss gewissermaßen ein Bildungsvakuum entstanden sein, da ja Bildung weiterhin gefragt war, gerade was die lokalen Aristokraten anbelangte. Und auch in diesem Bereich gab es vermutlich ›konstruktive‹ Maßnahmen, die geeignet gewesen sein könnten, diese Lücke zu füllen. Nach dem Zeugnis des Tacitus bestand spätestens in tiberischer Zeit eine Art Bildungszentrum in Augustodunum, dem Hauptort der Haeduer.87 Angesichts der Stadtanlage, die einen hochgradig geplanten und weitgehend ›romanisierten‹ Eindruck vermittelt und bei der es sich schon dem Namen nach um eine ›Augustusstadt‹ handelte, ist vielfach vermutet worden, dass die dortige Bildungseinrichtung auf eine Initiative aus der Reichszentrale, mutmaßlich gar auf den Princeps selbst, zurückzuführen sei.88 Einen Schritt weiter ist bereits Theodor Mommsen gegangen, der die Gründung der ›Universität‹ in Augustodunum ebenfalls als Maßnahme des Augustus ansah, diese aber darüber hinaus mit der Verfolgung der Druidenschaft in Verbindung brachte.89 Dem ist 87 Tacitus schreibt im Kontext des Aufstandes des Iulius Florus und des Iulius Sacrovir (ann. 3,43,1): Augustodunum caput gentis armatis cohortibus Sacrovir occupaverat [ut] nobilissimam Galliarum subolem, liberalibus studiis ibi operatam, et eo pignore parentes propinquosque eorum adiungeret. Dazu T. Haarhoff, Schools of Gaul. A study of pagan and christian education in the last century of the Western Empire, Johannesburg 21958, 38: »If Lyon in these days was the political centre, the intellectual centre was certainly Autun.« Einige Forscher (so H.-I. Marrou, Geschichte der Erziehung im klassischen Altertum, München 1977 [Frz. Original Paris 31955; mit Erg. aus der 7. Aufl. von 1976; Erstaufl. Paris 1948], 543f. oder auch H. Furneaux, Cornelii Taciti Annalium ab excessu divi Augusti libri. The annals of Tacitus, edited with introduction and notes, Bd. 1: Books 1–6. ND der 2. Aufl. von 1896, durchges. von H. F. Pelham, Oxford 1962, 444, Anm. 1) wollen in diesem Zeugnis gar schon die Scholae Maenianae erwähnt wissen, die für das ausgehende 3. Jh. n.Chr. in der Rede des Eumenius belegt sind (Paneg. 9). Angesichts der dürftigen Information bei Tacitus scheint mir dies zwar etwas übereilt, aber es ist doch zu konstatieren, dass Tacitus eindeutig davon spricht, dass in Augustodunum der Nachwuchs der Aristokratie der gallischen Provinzen gewissermaßen zentralisiert unterrichtet wurde, vgl. dazu unlängst G. Dobesch, Arverner aus Troja (Lucan b.c. 1,427–428)? Kleine Überlegungen zur gallo-römischen Kultur, in: P. Amann, M. Pedraz zi, H. Taeuber, (Hg.): Italo – Tusco – Romana: Festschrift für Luciana Aigner-Foresti zum 70. Geburtstag am 30. Juli 2006, Wien 2006, 143–184, hier 158f. 88 So etwa Furneaux (wie Anm. 87), 444, Anm. 1; vgl. auch E. Koestermann, Cornelius Tacitus, Annalen. Erläutert und mit einer Einleitung versehen, Bd. 1: Buch 1–3, Heidelberg 1963, 500, der den Erfolg der Schule, die für ihn den Zweck erfüllte, »römisch-hellenische Bildung und Civilisation zu verbreiten«, u.a. auf die Druidenverfolgung und die damit geschwundene Konkurrenz zurückführt. 89 Mommsen (wie Anm. 2), 102: »Das eigentliche Gallien ist im Gebiet der Wissenschaft das gelobte Land des Lehrens und des Lernens; vermuthlich geht dies zurück auf die eigenthümliche Entwickelung und den mächtigen Einfluß des nationalen Priesterthums. Das Druidenthum war keineswegs ein naiver Volksglaube, sondern eine hoch entwickelte und anspruchsvolle Theologie, die nach guter Kirchensitte alle Gebiete des menschlichen Denkens und Thuns, Physik und Metaphysik, Rechts- und Heilkunde bestrebt war zu erleuchten oder doch zu beherrschen, die von ihren Schü- 204 Jonas Scherr unlängst entgegnet worden, dass es nicht möglich sei, »mit Mommsen die Einrichtung der Studien in Augustodunum mit der Unterdrückung des Druidentums zu verbinden, da diese frühestens unter Tiberius erfolgte oder begann, die Schule von Autun aber schon 21 n.Chr. in vollster Blüte und Geltung stand.«90 Dieser Standpunkt fällt aber letztlich nur hinter die von Mommsen erkannten (mindestens) zeitlichen Zusammenhänge zurück, da ja, wie oben gezeigt wurde, die Anfänge der Druidenverfolgung eindeutig schon in augusteischer Zeit zu verorten sind. Vielmehr ist doch gerade auf Grund der zeitlichen Koinzidenz ein auch inhaltlicher Zusammenhang durchaus plausibel. Es ist zur ›Universität‹ von Augustodunum die reizvolle These aufgestellt worden, diese stehe sogar in direkter Kontinuität mit Maßnahmen zur Erziehung der Geiseln verschiedener gallischer Stämme, die Caesar zentral bei den Haeduern hatte verwahren lassen;91 für diese sei ein Bildungsangebot eingerichtet worden, das sich zu einer Art Universität für die Kinder der Adligen Galliens entwickelt habe.92 In diesem Sinn könnte also möglicherweise die früheste für uns greifbare insitutionalisierte Form der Vermittlung von höherer griechisch-römischer Bildung bei den Eliten Galliens auf römische Initiativen zurückgeführt werden, die vor dem Hintergrund anderweitig – nämlich im Zusammenhang der Politik bezüglich Schutzbefohlener, Kriegsgefangener und Geiseln – gemachter Erfahrungen entstanden wären.93 Letztlich muss diese Überlegung hypothetisch bleiben, da die Quellenlage keinen sicheren Schluß zulässt. Allerdings ist – ganz unabhängig von einem Zusammen89 90 91 92 93 lern unermüdliches, man sagt zwanzigjähriges Studium forderte und diese ihre Schüler vor allem in den adlichen Kreisen suchte und fand. Die Unterdrückung der Druiden durch Tiberius und seine Nachfolger muß in erster Reihe diese Priesterschulen betroffen und deren wenigstens öffentliche Beseitigung herbeigeführt haben; aber wirksam konnte dies nur dann geschehen, wenn der nationalen Jugendbildung die römisch-griechische ebenso gegenübergestellt ward wie dem carnutischen Druidenconcil der Romatempel in Lyon. Wie früh dies, ohne Frage unter dem bestimmenden Einfluß der Regierung, in Gallien eingetreten ist, zeigt […]« die oben zitierte Tacitus-Passage (ann. 3,43,1) mit der Erwähnung der Universität in Augustodunum. Dobesch (wie Anm. 87), 159. Vgl. Caes. Gall. 6,4,4; 7,55,2; 7,63,3. Allerdings ist bei Caesar von einer irgendwie gearteten Erziehung der Geiseln keine Rede. So Drinkwater (wie Anm. 58), 22 mit Anm. 98. Dieser These steht aber entgegen, dass die Quellen letztlich keinerlei gesicherten Aufschluss darüber zulassen, was mit Caesars Geiseln überhaupt geschah, nachdem ihm diese gestellt worden waren, worauf bereits A. Matthaei, Das Geiselwesen bei den Römern, in: Philologus 64, 1905, 224–247, hier 245, hingewiesen hat. Schon die Frage, ob denn die Stellung von Geiseln durch die Gallier als solche über Caesars Zeit hinaus kontinuiert wurde, kann auf Basis der zur Verfügung stehenden Quellen nicht beantwortet werden, wenngleich es jedenfalls Fälle gab, in denen die Römer eine längerfristige Geiselstellung vereinbarten, die durch regelmäßigen Austausch der Geiseln begleitet wurde (vgl. S. Elbern, Geiseln in Rom, in: Athenaeum 78, 1990, 97–140, hier 114f.). So muss Drinkwaters These letztlich als ›zwar interessant, aber aus Mangel an Belegen dennoch spekulativ‹ angesehen werden. Vgl. hierzu allgemein J. Allen, Hostages and hostage-taking in the Roman Empire. Cambridge u.a. 2006, 149–177 und bes. 171f., der die diesbezügliche römische Praxis gar als »hostage‐based strategies of cultural imperialism« umschreibt; zwar ist Allens Begriff von Geiseln sicher etwas zu weit gefasst – deshalb oben auch die terminologische Differenzierung – doch hat Allen grundsätzlich wohl dennoch Recht, wenn er von starken und durchaus gewollten Effekten der Akkulturation bei Personen ausgeht, die dergestalt in römischer Obhut erzogen wurden. Dass hierbei die Eliten lokaler Gesellschaften im Fokus standen und nicht etwa eine »re-education of whole populations through hostages« angedacht war, muss mit E. L. Wheeler, Rez. von Allen 2006, in: BMCR 2007.02.04; abrufbar unter URL: <http://bmcr.brynmawr.edu/2007/2007–02–04.html#n6> (Stand: Die Druiden, das kulturelle Gedächtnis und die Romanisierung 205 hang mit Caesars Geiseln – eine zumindest vorsichtige Förderung der Einrichtung der bei Tacitus bezeugten Bildungsstätte durch römische Offizielle oder gar den Princeps selbst recht wahrscheinlich.94 Für Augustodunum kann also wohl eine zurückhaltende, sich eher auf Setzung von Anreizen und Rahmenbedingungen beschränkende, dennoch wirksame Bildungspolitik von römischer Seite mit einiger Plausibilität konstatiert werden. Für die Zeit Caligulas lassen sich weitere Beispiele anführen, die vielleicht als Belege für eine Art von Bildungspolitik herangezogen werden können. Zum einen meint dies die Bemerkung Suetons, dass bei einem Aufenthalt des Princeps am Rhein Geiseln aus einer Schule rekrutiert bzw. entführt worden seien.95 Es findet sich also hier ein Beleg, dass auch in provinzialem Kontext Bildung für Geiseln stattfand, was wegen der ›staatlichen‹ Fürsorge für dieselben als ›von oben‹ geförderte Maßnahme gelten kann.96 Zum anderen finden sich Belege für einen Rhetorenagon (certamen Graecae Latinaeque facundiae) in Lugdunum, den Caligula veranstaltet haben soll,97 der mit Gerhard Dobesch vielleicht ebenfalls im Sinn einer die höhere Bildung in Gallien fördenden und ermutigenden, dennoch exemplarisch bleibenden Politik gewertet werden kann.98 Es wäre dann also diese Veranstaltung als ein für die Provinzialen klar zu verstehendes Signal der Unterstützung ihres Bil93 94 95 96 97 98 29.06.2012) dabei aber zweifellos mitbedacht werden (vgl. auch ebd. die kritischen Bemerkungen zu Allens Geiselbegriff). Vgl. Dobesch (wie Anm. 87), 159, der nicht an eine direkte Gründung der Schule durch Augustus, wohl aber an »eine von oben gekommene, freilich recht dezidierte Anregung« denken möchte, wofür er den locus classicus Tac. Agr. 21 als Parallele heranzieht. Suet. Cal. 45,3: obsides quosdam abductos e litterario ludo. Vgl. zur Stelle A. Aymard, Les ôtages Barbares au debut de l’empire, in: JRS 51, 1961, 136–142, hier 141; C. Lécrivain, L’institution des ôtages dans l’antiquité, in: MemAcInscr 11.4, 1916, 115–139, hier 131; Elbern (wie Anm. 92), 114, 120; D. Wardle, Suetonius’ Life of Caligula. A Commentary, Brüssel 1994 (Collection Latomus 225), 310. Die häufig zu findende Annahme, es handle sich bei den obsides um die Söhne von Germanen, ist m.E. aber spekulativ; ebensogut könnte es sich um Geiseln gallischer Stämme gehandelt haben. Wie Allen (wie Anm. 93), 149–177 dargelegt hat, ist wie oben schon erwähnt die römisch-griechische Ausbildung römischer Geiseln, Gäste und Schutzbefohlener eine recht gut belegbare Praxis, jedoch beziehen sich die meisten der entsprechenden Zeugnisse auf ›prominente‹ Fälle und zudem meist auf einen Aufenthalt derselben in Rom. Unter erheblichen Einschränkungen könnte für ein Vorgehen, das dem Caligulas als Parallele beigegeben werden könnte, vielleicht Plut. Sert. 14,2 herangezogen werden, wo es sich aber erstens um ein Beispiel aus spätrepublikanischer Zeit, zweitens um den in sehr spezieller Situation befindlichen Sertorius als handelnden ›römischen Magistraten‹ und schließlich vielleicht auch nicht im eigentlichen Sinne um Geiseln handelt. Insofern ist eine solche Parallelisierung der Suetonpassage allenfalls mit größter Vorsicht zu genießen; vgl. jedoch auch Elbern (wie Anm. 92), 119, der die Passage als historisch fundiert ansieht, die betroffenen Jünglinge als Geiseln im engeren Sinn einordnet und meint, dass Sertorius’ Vorgehen für die spätere Geiselpolitik der Principes beispielgebend gewesen sei. Vgl. zur Stelle, ihrer grundsätzlichen Problematik und der Frage nach ihrer Historizität auch J. Scherr, Die Jünglinge von Osca. Bemerkungen zu Plutarch, Sertorius 14,1–4, in: Akten des 14. Gesamtösterreichischen Althistorikertages bzw. 2. Papyrologentages 2012 (im Druck). Suet. Cal. 20; ein Parallelbeleg für Caligulas Spiele in Lugdunum findet sich bei Cass. Dio 59,22,1, wo aber die konkrete Art des Wettbewerbs nicht genannt wird. Caligula war im September 39 n.Chr. nach Gallien gereist und überwinterte in Lugdunum, so dass die Spiele dort wohl im Winter stattfanden; zur Frage der zeitlichen Einordnung vgl. ausführlicher Wardle (wie Anm. 95), 196. Vgl. Dobesch (wie Anm. 87), 158, der wohl zu Recht anmerkt, dass eine solche Veranstaltung in der Verwaltungshauptstadt der Tres Galliae in erster Linie an einheimische Rhetoren gerichtet gewesen sein dürfte. 206 Jonas Scherr dungseifers durch den Princeps zu sehen: Durch den Besitz von höherer, griechisch-römischer Bildung konnte ein aufstrebender Gallier Aufmerksamkeit und Wohlwollen des Kaisers auf sich ziehen.99 Insofern setzte der Princeps hier ein Zeichen, dass ein wettbewerbshaftes Verhalten der Gallier erwünscht war, solange sich dieses im Rahmen römischer Normvorstellungen und Verhaltenserwartungen bewegte.100 Schließlich muss hier noch ergänzend Massilia erwähnt werden, das zumindest im südlichen gallischen Raum ebenfalls eine Art Bildungszentrum gewesen zu sein scheint; hier kann allenfalls im Sinne einer Rahmensetzung und des Schaffens von entsprechenden Bedingungen von römischer Förderung mediterraner Bildung in Gallien ausgegangen werden.101 Insgesamt zeigt sich also ein Bild der wenigstens vorsichtig stimulierenden Förderung der Verbreitung griechisch-römischer Bildung im Gallien der frühen Prinzipatszeit. Letztendlich mag man also Mommsens oben zitierter Ansicht zuneigen, wenngleich im eigentlichen Sinn weder ein direkter Zusammenhang zwischen Druidenverfolgung und Bildungsförderung belegbar ist noch die Frage nach der Chronologie wirklich geklärt werden kann. Was den zuletzt genannten Punkt anbelangt, helfen die erhaltenen antiken Zeugnisse nicht weiter, da es zu den ersten antidruidischen Maßnahmen nur heißt, diese seien sub Augusto, also in der Regierungszeit des Princeps Augustus, durchgeführt worden.102 Zugleich ist die früheste Nachricht über ein ›römisches‹ Bildungsangebot in Gallien, die Schule bzw. Universität in Augustodunum, im Kontext des Aufstandes des Iulius Florus und Iulius Sacrovir zu finden, sie fällt also in die frühe tiberische Ära. Angesichts dieser Quellenlage mag man zwar eine leichte Neigung verspüren, der Bekämpfung der Druiden durch Rom die zeitliche und daher u.U. auch logische Priorität innerhalb dieser Abläufe einzuräumen103 – eine klare Entscheidung ist aber wohl letztlich unmöglich. So oder so hatte jedoch 99 100 101 102 103 Vgl. ebd., 160, wo Dobesch zu dem Schluss kommt, dass sich das Vorgehen Caligulas »sinnvoll … in jene primär geistige Romanisierung, die der Reichsregierung offenbar am Herzen lag«, einfüge, so dass es angebracht sei, »in der Veranstaltung dieses Agons ein Stück bewusster Kulturpolitik des Kaisers zu sehen«. Somit ist hier in gewisser Weise eine Parallele zur Förderung des friedlichen Wettstreits zwischen den Provinzialen zu erkennen, wie sie im Kontext ›kulturpolitischer‹ Maßnahmen so prominent bei Tac. Agr. 21 überliefert ist (dort als honoris aemulatio formuliert). Vgl. Strab. 4,1,5, wo es heißt, dass Massilia ein regelrechtes παιδευτήριον geworden sei, weil die Gallier ob der Situation der pax romana und unter den Bedingungen römischer Herrschaft ihre Wildheit abgelegt hätten und nun ganz bildungsbegeistert seien, was Strabon überaus positiv darstellt. Dazu B. Kremer, Das Bild der Kelten bis in augusteische Zeit – Studien zur Instrumentalisierung eines antiken Feindbildes bei griechischen und römischen Autoren, Stuttgart 1994 (Historia Einzelschriften 88; teilw. zugl. Diss., Trier 1992), 285: »Die Worte über ihre Wandlung [sc. die der Gallier] von kriegerischen Barbaren hin zu regelrechten Philhellenen haben nahezu panegyrischen Charakter. Diese in den Augen Strabons überaus positive Entwicklung ist letztendlich, daran lässt der Autor keinen Zweifel, auf das … Eingreifen der römischen Ordnungsmacht … zurückzuführen.« Vgl. allg. zum hellenisierenden Einfluss Massilias im Süden Galliens B. Freyberger, Südgallien im 1. Jh. v.Chr.: Phasen, Konsequenzen und Grenzen römischer Eroberung (125–27/22 v.Chr.), Stuttgart 1999 (Geographica Historica 11; zugl. Diss., Erlangen/Nürnberg 1996), 60–70. Und auch diese Eingrenzung lässt sich nur unter der Prämisse vornehmen, dass Sueton hier bewusst die Prinzipatszeit anspricht und nicht etwa auch die Zeit des zweiten Triumvirats meinen könnte, wenn er den Titel des ›Augustus‹ verwendet. Vgl. aber auch Letta (wie Anm. 26), 1007–1017, der die gegenteilige Position einnimmt. Die Druiden, das kulturelle Gedächtnis und die Romanisierung 207 zweifellos das druidische Lehrangebot unter den Bedingungen einer ›Konkurrenzinstitution‹ in Augustodunum einen schweren Stand.104 Hier kommt außerdem hinzu, dass in der Zeit nach der caesarischen Eroberung Galliens der schon begonnene Schritt zur Verschriftlichung der dortigen Gesellschaften weitervollzogen wurde, dass also der Umbruch von der Oralität zur Literalität hier seinen Platz fand.105 Indem nun kulturelle Identität in zunehmendem Maß mithilfe von Texten (re-) produziert wurde, zugleich aber wohl keine originär gallische Literatur existierte, sondern es sich bei den nun solchermaßen grundlegend werdenden Schriften durchweg um griechisch-römische Erzeugnisse handelte, trug auch dies zur kulturellen Transformation der gallischen Gesellschaften bei. Einen weiteren bemerkenswerten Aspekt stellt schließlich dar, dass mit den Druiden ein wichtiger Teil keltischer Rechtstraditionen ausgelöscht wurde. Denn wo diese einst als Richter und Vermittler fungiert hatten, wurden Streitigkeiten und Konflikte nun von Magistraten römischen Typs entschieden, die je nach Rechtsform der betreffenden civitas mit entsprechender Nomenklatur und unter Verwendung der lateinischen Amtssprache Gericht hielten, sofern nicht ohnehin Provinzstatthalter oder deren Beauftragte sich der jeweiligen Rechtsfälle annahmen.106 Zugleich hatten die Druiden eine zentrale Instanz politischer Kommunikation dargestellt, gerade was die Beziehungen zwischen den Stämmen betraf.107 Diese Funktion war in augusteischer Zeit dann dem concilium Galliarum zugeordnet,108 das nun als einziges pangallisches ›Kollektivorgan‹109 zwischen den civitates untereinander, zwischen diesen und 104 105 106 107 108 109 Vgl. hierzu auch Chadwick (wie Anm. 28), xix. Vgl. dazu allgemein Woolf, Power … (wie Anm. 3), 94–98 und Assmann, Assmann (wie Anm. 1), 130–136, bes. 131, Tab. 4. Gerade der sprachliche Aspekt der Einführung römischer Rechtsformen ist bezüglich der Frage nach einem romanisierenden Effekt derselben von zentraler Bedeutung, worauf auch Dobesch (wie Anm. 87), 165 hinweist. Vgl. zu diesem Punkt auch A. Wacke, Gallisch, Punisch, Syrisch oder Griechisch statt Latein. Zur schrittweisen Gleichberechtigung der Geschäftssprachen im römischen Reich, in: ZRG 110, 1993, 14–59, bes. 51–58, zur Gerichtssprache. Allerdings ist auch nicht zu vernachlässigen, dass durch die Setzung rechtlicher Normen zugleich auch Verhaltensnormen auferlegt werden, was letztlich im Sinne der ›normativen Kraft des Faktischen‹ (also durch fortwährende Ausübung stattfindende Internalisierung der zugrundeliegenden Normen, vgl. dafür das Ausgangskonzept bei G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 6. ND der 3. Aufl., Darmstadt 1958 [1. Aufl. Berlin 1900], bes. 339) ebenfalls einen kulturverändernden, in diesem Falle also ›romanisierenden‹ Effekt mit sich bringt. Vgl. zur Frage nach der Rolle römischen Rechts im Kontext der ›Romanisierung‹ auch C. R. Whittaker, Imperialism and culture: the Roman initiative, in: D. J. Mattingly (Hg.), Dialogues in Roman imperialism. Power, discourse and discrepant experience in the Roman Empire. Portsmouth 1997, 143–163, bes. 144. Nach Caes. Gall. 6,13 waren die Druiden als einzige gesellschaftliche Gruppe stammesübergreifend organisiert und in diesem Sinn als einzige in der Lage gewesen, auf dieser Ebene vermittelnd zu wirken. Begründet wurden der provinziale Kaiserkult und damit verbunden das concilium wohl am 1. August 12 v.Chr. (vgl. hierzu v.a. die ausführliche Diskussion bei D. Fishwick, The Dedication of the Ara Trium Galliarum, in: Latomus 55.1, 1996, 87–100). Dass das concilium Galliarum als einziger ›Provinziallandtag‹ mehrere Provinzen zusammenfasste, wohingegen alle anderen Provinzen jeweils eigene Landtage erhielten, stellt zweifellos einen bemerkenswerten Sonderfall dar. Wurde hiermit vielleicht bewusst an die gallienweite Organisation der Druidenschaft angeknüpft und so versucht, diese ganz gezielt zu ersetzen oder zu verdrängen? 208 Jonas Scherr den Statthaltern oder auch direkt zwischen den civitates und dem Princeps vermittelte und die civitates so kollektiv vertreten konnte.110 So füllte auch hier eine römische Institution die entstehende Lücke, die zugleich, ganz ähnlich wie dies bei den Druiden der Fall gewesen war, den Bereich der Religionsausübung mit dem der politischen Kommunikation verband und in diesem Sinn die direkte Nachfolge des Druidentums antreten konnte. Wir können also festhalten, dass nicht nur im Bereich des Kults, sondern auch auf den Feldern von Erziehung, Bildung und ›Wissenschaft‹, der Rechtssprechung und der politischen Kommunikation Einrichtungen ins Leben gerufen wurden, die die ehemaligen Aufgaben der Druidenschaft übernehmen konnten. Weiter zeigt sich, dass all diese Institutionen zeitlich in etwa mit der Druidenverfolgung koinzidieren, d.h. in die Zeit der iulischclaudischen Principes fallen. Ein direkter Zusammenhang zwischen Kaiserkult, Provinziallandtag, der Schaffung römischer Bildungseinrichtungen und Gerichtsbarkeit einerseits und den Repressionen gegen den Druidismus andererseits ist anhand der Quellen nicht belegbar. Wir können daher nur darüber spekulieren, ob diese so trefflich zueinander passenden Maßnahmen als Gesamtkonzept geplant gewesen oder aber lediglich aus situativen, funktionalen oder politischen bzw. gesellschaftlichen Notwendigkeiten heraus durchgeführt worden sind. M.E. ist aber kaum zu leugnen, dass die Zerschlagung einer zentralen soziokulturellen Institution und die zeitnah dazu erfolgende Schaffung einzelner funktional beinahe deckungsgleicher Einrichtungen, die geeignet waren, mediterrane Denk- und Handlungsmuster zu transportieren, ganz erhebliche gesellschaftliche – und vor allem kulturelle – Auswirkungen gehabt haben dürften. Diesen seien nun noch einige abschließende Überlegungen gewidmet. Kulturelle Auswirkungen Anhand der eingangs geschilderten Funktionen der Druidenschaft und ihrer Eigenschaft als Gedächtnisexperten, als Stützen des kulturellen Gedächtnisses der gallischen Stämme, lassen sich die Auswirkungen ihrer Zerschlagung relativ deutlich skizzieren. Die gallischen Stammesgesellschaften verloren eine wichtige Instanz der Vermittlung ihrer eigenen Traditionen, mithin der kulturellen Reproduktion, was den Wandel kollektiver Identitäten in den gallischen Gesellschaften massiv beeinflusst und begünstigt haben dürfte. Durch den gleichzeitigen Umbruch zur Literalität und die Entstehung bzw. von Rom veranlasste Schaffung von Institutionen, die die ehemaligen Funktionen der Druidenschaft erfüllen 110 Vgl. zum concilium Galliarum immer noch grundlegend die älteren Arbeiten von J. Deininger, Die Provinziallandtage der römischen Kaiserzeit von Augustus bis zum Ende des 3. Jh. n.Chr., München u.a. 1965 (Vestigia 6; zugl. Diss., Tübingen 1961), 99–107 und A. J. Christopherson, The Provincial Assembly of the Three Gauls in the Julio‐Claudian Period, in: Historia 17.3, 1968, 351–366. Deininger, 104 zufolge bietet sich mit der Verleihung eines riesigen goldenen Torques durch die gallischen civitates an Augustus (vgl. Quint. Inst. 6,3,79f.) das früheste Beispiel eines Beschlusses des concilium; weitere können möglicherweise u.a. in der Bitte der gallischen Eliten an Claudius, ihnen das ius honorum zu gewähren (vgl. Tac. ann. 11,23, dazu Christopherson, 361f.) sowie den Glückwünschen, die der gallische Rhetor Iulius Africanus im Namen der gallischen Provinzen an Nero zum Tod von dessen Mutter Agrippina übermittelte (Quint. Inst. 8,5,15), gefasst werden. Vgl. zu den Aktivitäten des concilium allg. auch D. Fishwick, The imperial cult in the Latin West. Studies in the ruler cult of the western provinces of the Roman empire, Bd. 1, Teil 1, Leiden 1987 (EPRO 108), 134f. Die Druiden, das kulturelle Gedächtnis und die Romanisierung 209 konnten, wurde dieser Effekt vermutlich noch erheblich verstärkt. Denn durch den zunehmenden Einsatz von Schrift verlagerte sich das kulturelle Gedächtnis der Gallier von ihren vormaligen Gedächtnisexperten auf externe Medien, während gleichzeitig Inhalte verloren gingen, die die Gedächtnisexperten nicht ›externalisieren‹ – d.h. verschriftlichen – lassen wollten. Gerade durch diesen medialen Wandel konnte die Transformation des kulturellen Gedächtnisses zusätzlich an Fahrt gewinnen, weil mit den beinahe sofort zur Verfügung stehenden Inhalten aus der griechisch-römischen Welt Alternativen greifbar waren, die bereits mithilfe des Mediums Schrift gespeichert waren. Durch deren Verwendung konnte im Kontext der Einbindung Galliens in den weiteren, neuen Zusammenhang des Imperium Romanum neue Sinnhaftigkeit erzeugt werden und ein gemeinsamer Bezugsrahmen mit anderen Bevölkerungsteilen des Reiches geschaffen werden.111 Durch die verschiedenen Angebote und Institutionen, die die Funktionen der Druiden übernehmen konnten und die zugleich in höchstem Maß von mediterranem Gedankengut geprägt waren, die römische Kleidungsstile, römische Kultformen, die lateinische Sprache, römische Formen der Verwaltung, griechische und römische Unterrichtsinhalte und vieles mehr in Gallien zur Anwendung brachten, wurden Brückenköpfe des kulturellen Wandels geschaffen, die frühzeitig in die gallischen Gesellschaften hineinwirken und insbesondere auf der Ebene der Stammesaristokratien den kulturellen Wandel beeinflussen und beschleunigen konnten. Und genau diese Wirkung wurde dadurch erheblich erleichtert, dass mit der Zerschlagung des Druidismus ein regelrechtes soziokulturelles Vakuum entstanden war.112 In der im Entstehen begriffenen gallorömischen Gesellschaft bestand nun eine zunehmende Abhängigkeit von mediterranen Wissensbeständen und Vorbildern.113 Und soweit wir dies angesichts einer bruchstückhaften Überlieferung beurteilen können, war auch das Geschichtsbild der Gallier der Kaiserzeit ganz wesentlich von Rom und der griechischen Welt bestimmt, ja die gallische Geschichte begann überhaupt erst mit den Kontakten zu Griechen und/oder Römern – sowohl im mythischen114 als auch im historiographischen115 Sinn. Es ist daher also gerchtfertigt zu sagen, dass in der frühen Prinzipatszeit das kulturelle Gedächtnis der gallischen Stämme transformiert, ja regelrecht ausgetauscht wurde. Und die 111 112 113 114 Vgl. dazu im Überblick zu den westlichen Provinzen jüngst Woolf (wie Anm. 76), bes. 38–44. Vgl. ähnlich auch Woolf, Power … (wie Anm. 3), 361. Vgl. ebd. Vgl. hierzu etwa Dobesch (wie Anm. 87), der den Mythos einer troianischen Abstammung bei den Arvernern untersucht, sowie allgemein Woolf (wie Anm. 76), 38–44. 115 Vgl. beispielsweise die Geschichtsschreibung des Pompeius Trogus, der – als ›Römer in dritter Generation‹, aus dem Stamm der Vokontier stammend – bereits im 1. Jh. n.Chr. keinen besonderen Wert auf spezifisch gallische Geschichte legt, keine Vergangenheit dokumentiert, die unabhängig von griechisch-römischer Erinnerung wäre und der sich in seiner Funktion als Historiograph zugleich ganz wesentlich als Rom gegenüber verpflichteter römischer Bürger begreift; vgl. zu Trogus’ Bezug auf mediterrane Geschichts- und Mythenvorstellungen Iust. 24,4; 43,3–5, dazu Woolf (wie Anm. 76), bes. 29–31; zu Trogus’ persönlichem Rombezug vgl. etwa die von Iustin referierte Einleitung der Abhandlung der Geschichte Roms durch Trogus: Iust. 43,1, dazu B. R. van Wickevoort Crommelin, Die Universalgeschichte des Pompeius Trogus: Herculea audacia orbem terrarum adgressus, Hagen 1993 (Beiträge zur Geschichtskultur 7; teilw. zugl. Diss., Osnabrück 1986), 14–17. Siehe zu den hier angesprochenen Themen auch R. Urban, ›Gallisches Bewußtsein‹ und ›Romkritik‹ bei Pompeius Trogus, in: ANRW II 30.2, 1982, 1424–1443. 210 Jonas Scherr Römer dürften zu diesem Prozess durch die Repressionen gegen die Druidenschaft und die Schaffung der genannten ›Ersatzinstitutionen‹ nicht unerheblich beigetragen haben. Jonas Scherr, M.A. Johann Wolfgang Goethe-Universität, Historisches Seminar, IGK Politische Kommunikation Grüneburgplatz 1, D-60323 Frankfurt am Main