Überblick zum Genitiv in Gottes Wort
Peter Streitenberger (M.A. phil.)
A) Allgemeiner Überblick
Der Genitiv wird vom lat. Genus bzw. gr. γένος („Geschlecht“, „Herkunft“) abgeleitet. Damit wird ein Kasus
neben den übrigen (Nominativ, Dativ, Akkusativ) bezeichnet und bereits eine Kategorie bezeichnet, d.h. woher
das Bezugswort stammt. Im Deutschen wird nach einem Genitiv mit „wessen“ gefragt. Sprachübergreifend
werden damit oft Possessivität, d.h. Besitzverhältnisse (z.B. „das Haus des Vaters“), oder Partitivität, d.h. TeilGanzes-Verhältnisse („ein Teil der Menschheit“), angezeigt. Im Deutschen ist der Genitiv im Aussterben begriffen und oft durch „von“ umschrieben („das Haus vom Vater“ statt „das Haus des Vaters“), im klassischen Griechisch jedoch von zentraler Bedeutung, wie an der Fülle der Funktionen erkennbar ist.
Wie Beispiele wie in Kolosser 1.15 zeigen, ist die korrekte Bestimmung auch notwendig, um falsche Lehren
abzuwehren (z.B. die von Arianern) bzw. Gottes Wort richtig zu verstehen. Dort heißt es: πρωτότοκος πάσης
κτίσεως („Erstgeborerner aller Schöpfung“). Sollte man fälschlicherweise eine nicht korrekte Zuordnung des
Genitivs vornehmen (z.B. einen Genitivus partitivus bestimmen), wäre Christus Teil dessen, was Gott erschaffen hat, und nicht, wie es der Schrift entspricht, der Schöpfer selbst. Dieses Beispiel soll die Wichtigkeit der
Thematik eingangs illustrieren.
B) Verwendungen im Griechischen und somit auch im Neuen Testament
Im Neuen Testament ist der Genitiv mit 25% der Vorkommen der Kasus, der zahlenmäßig vor dem Dativ, aber
seltener als der Nominativ und der Akkusativ erscheint. Natürlich ist der Nominativ als Subjektskasus an Spitzenposition, gefolgt vom Kasus des direkten Objekts, dem Akkusativ. Da aber der Genitiv kaum als Objektskasus erscheint, sind die zahlreichen anderen Funktionen besonders wichtig. Im Folgenden werden die acht
wichtigen Kategorien dargestellt:
Der Genitiv als 1) Kasus des Objekts bei Verben 2) Prädikativ 3) Attribut in Nominalphrasen 4) Ergänzung zu
Adjektiven 5) Kasus nach bestimmten Präpositionen 6) sog. Genitivus absolutus oder Genitivus cum participio
(GcP) 7) alleinstehende Angabe 8) deklinierter Infinitiv.
Zur Einordnung des Genitivs sind zunächst die Gruppen erster Ebene (ist es ein Objekt eines Verbs etc.) zu
ermitteln. Da das Attribut die am stärksten differenzierteste Gruppe bildet, kann man die Unterkategorien am
besten damit ermitteln, indem man das Verhältnis zwischen Kopf und Attribut bestimmt. Dies geschieht über
die Semantik und den Kontext. Die Bestimmungen überschneiden sich manchmal.
1) Kasus des Objekts bei Verben, die einen Genitiv nach sich ziehen
Verben, die ein Genitivobjekt benutzen, lassen sich in semantische Klassen einordnen: Verben der sinnlichen/geistigen/emotionalen Wahrnehmung, der Teilhabe/Fülle, Verben der Erinnerung/des Vergessens und
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des Wünschen/Verlangens, zudem Verben des Herrschens, Regierens oder Verben des Beschuldigens oder
Anklagens. Diese Klassen evozieren oft eine der unter der attributiven Verwendung genannten Genitivklassen.
Bei Verben wie ὑστερέω „sich einer Sache enthalten“, „einer Sache entbehren“, „frei von einer Sache sein“
wird das direkte Objekt, also z.B. wessen man sich enthält im Genitiv angeschlossen (analog zum Deutschen).
Beispiel:
- Lukas 22.35: μή τινος ὑστερήσατε; („mangelt euch etwas“). Das Pronomen τινος („etwas“) gibt das Objekt
zum Verb an und steht im Genitiv.
2) Genitiv als Kasus des Prädikativs bei Kopulaverben nach dem Muster „A ist des B“
Der Genitiv ist hier ein Satzglied (Prädikativ) und zeigt die Zugehörigkeit.
Für diesen Gebrauch liegen nur wenige Beispiele im Neuen Testament vor.
Beispiel:
- Römer 14.8: τοῦ κυρίου ἐσμέν. Wir sind des Herrn. Wäre „des Herrn“ nicht von einem Prädikat abhängig,
könnte man „wir sind Eigentum/Knechte/Besitz des Herrn“ annehmen.
3) Genitiv beim Attribut in Nominalphrasen
Das Bezugswort in Phrasen wird als Kopf (oder „nomen regens“) bezeichnet, z.B. ist „Haus“ in der Phrase
„Haus des Vaters“ der Kopf der Phrase, „des Vaters“ hingegen das Genitivattribut. Da der Genitiv hier beim
Nomen steht, heißt er auch „adnominal“.
Es lassen sich beim attributiven Genitiv folgende Kategorien unterscheiden, wobei ist fast immer gewissen
Schnittmengen zu anderen Kategorien gibt (daher ist immer die speziellere als Bestimmung vorzuziehen):
a) Gen. subiectivus und obiectivus
Der Genitiv gibt an, ob ein Subjekt- oder Objektverhältnis vorliegt, wenn der Kopf auch verbalisiert werden
kann. Manche Stellen lassen sich nur im Kontext erklären. Ein deutsches Beispiel wie „der Besuch des Vaters“
lässt offen, ob der Vater das Objekt des Besuchs ist (also ob jemand seinen Vater besucht) oder Subjekt (also
ob der Vater selbst einen Besuch vornimmt). Je nachdem, wie dies zu bestimmen ist, d.h. ob der Genitiv ein
Objekt oder Subjekt einer Handlung ist. Die Vorgehensweise der Bestimmung ist somit, die Phrase in einen
analogen Verbalsatz zu überführen (hier: aus „Besuch“ wird „besuchen“), um zu bestimmen, ob das Genitivattribut Subjekt („wer“) oder Objekt („wen“) dieses Satzes ist. Je nachdem ist dann der Gen. sub. oder obi. bestimmt.
Diese Kategorie kann auch über andere Kategorien übergeordnet verwendet werden, d.h. auch bei anderen
Kategorien kann man oft Subjekt- oder Objektverhältnisse beim Attribut erkennen.
Gibt der Kontext vor, dass entweder der Kopf oder das Attribut Subjekt oder Objekt in einer Paraphrase sein
können, ist die Kategorisierung eindeutig:
Beispiel:
- 1Korinther 15.12: ἀνάστασις νεκρῶν („Auferstehung der Toten“). Da die Toten hier nicht als Objekt (wie
„Gott weckt die Toten auf“) in Frage kommt, sondern die Toten selbst als Subjekt gesehen werden („Die Toten
werden auferstehen“) ist die Bestimmung als Gen. subi. eindeutig.
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- Matthäus 12.31: ἡ δὲ τοῦ πνεύματος βλασφημία („die Lästerung des Geistes“). Da es unmöglich ist, dass der
Geist die Pharisäer lästert (somit Subjekt wäre), sondern diese den Geist lästerten („Geist“ somit Objekt ist), ist
die Festlegung auf einen Gen. obi. eindeutig.
- Lukas 16.2: Απόδος τὸν λόγον τῆς οἰκονομίας σου („Gib Rechenschaft deiner Verwaltung ab“). Der Angestellte muss die Verwaltung rechtfertigen. Dabei ist „Verwaltung“ ein Objekt und somit ein Gen. obi.
b) Genitiv zur Angabe des Bereichs (Genitivus pertinentiae)
Diese allgemeine Einteilung hat zum Inhalt, dass sich das Genitivobjekt einem übergeordneten Bereich zuordnen lässt, etwa welchem Urheber, Besitzer, Stoff, welcher Eigenschaft, welchem Ausmaß, Richtung etc. Dabei
lassen sich folgende Untergruppen erkennen:
1) Gen. auctoris (bzw. Gen. originis): Gibt den Urheber, Vorfahren, die Quelle, Herkunft, den Ursprung,
etc. an
Die Grammatiken von Blass/Debrunner/Rehkopf und auch die von Heinrich von Siebenthal sieht für
den Gen. auctoris und den Gen. possessoris (der des Besitzers) nur eine Kategorie vor. Eine Differenzierung erscheint jedoch hier sinnvoll, da Ursprung und Besitz nicht identisch sein müssen. Man kann
zur Bestimmung die Frage stellen, ob das Attribut Urheber etc. des Kopfes ist.
Beispiel:
- Röm 1.1: ἀφωρισμένος εἰς εὐαγγέλιον θεοῦ („ausgesondert für das Evangelium Gottes“). Gott ist der
Ursprung und der Urheber des Evangeliums, wofür Paulus abgesondert ist.
- Römer 1.6: κλητοὶ Ἰησοῦ Χριστοῦ („Berufene Jesu Christi“). Der Herr Jesus ist der Urheber der Berufung.
2) Gen. possessoris: Gibt den Besitzer oder die Zugehörigkeit an
Diese Kategorie ist zu erkennen, indem man ein Haben-Verhältnis paraphrasieren kann. Z.B. „Das Haus
des Vaters“ kann in „der Vater hat ein Haus“ umformulieren. Damit wird allgemein der Bereich angegeben, in dessen Besitz, Herrschaft etc. sich etwas befindet.
Beispiel:
- 2Korinther 12.14: οὐ γὰρ ζητῶ τὰ ὑμῶν ἀλλ᾽ ὑμᾶς. „Denn ich suche nicht das eure, sondern euch“.
„Das eure“ ist paraphrasiert „die Dinge, die die Korinther besitzen/haben“. Damit sagt Paulus, dass es
ihm uns sie selbst, nicht um Bereicherung geht.
- Johannes 18.15: εἰς τὴν αὐλὴν τοῦ ἀρχιερέως („in den Vorhof des Hohepriesters“). Der Vorhof ist im
Besitz des Hohepriesters. Somit kann der Genitiv als possessoris erkannt werden.
3) Genitivus relationis: Gibt ein Verhältnis an
Eine Gruppe, die mit dem Gen. poss. verwandt ist und bei Heinrich von Siebenthal in diese Kategorie
fällt, ist der Genitiv, der aussagt, dass jemand Vater, Mutter, Bruder, Sohn etc. von jemand ist, bzw.
allgemein gesagt, das zwischen Kopf und Attribut eine Beziehung besteht (i.d.R. eine der Verwandtschaft etc.). Die Grammatik von Daniel Wallace hat hier zurecht eine eigene Klasse „Genitive of
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Relationship“. Nur wenn man ein Haben-Verhältnis rekonstruieren kann (A hat B als Vater, Bruder
etc.), könnte man diese weitere Klasse einsparen. Dies ist jedoch nicht durchgehend der Fall.
Im Neuen Testament ist der Kopf beim Genitivus relationis oft elidiert, d.h. ausgelassen. Gefragt kann
zur Einordnung danach, ob Kopf und Attribut in einem verwandtschaftlichen Verhältnis stehen, z.B.
„steht A und B in einem (verwandtschaftlichen etc.) Verhältnis zueinander?“.
Beispiel:
- Lukas 1.43: ἡ μήτηρ τοῦ κυρίου μου („die Mutter meines Herrn“). Hier sehen wir zwei Genitive in
Reihe. Der erste Genitiv „des Herrn“ gibt an, dass der Herr Jesus eine Mutter hatte. Der zweite „meines“, dass die Sprecherin einen Herrn hat. Da der erste eine Verwandtschaftsbeziehung ausdrückt
(Mutter-Sohn) kann er als Gen. rel. bezeichnet werden. Der zweite hingegen nicht in der Hinsicht, jedoch ebenfalls als Gen. rel., da die Sprecherin einen Herrn hat.
- Johannes 19.25 Μαρία ἡ τοῦ Κλωπα („Maria die (Frau) des Klopas“). Hier ist der Kopf „Frau“, an das
sich der Genitiv anschließt elidiert und ausgespart, da er leicht ersichtlich ist. Klopas ist der Mann der
Maria und am weiblichen Artikel ἡ („die“) ist erkennbar, dass γυνή („Frau“) zu ergänzen ist, wie in
2Samuel 12.10 etwa, wo „Frau“ nicht elidiert wurde: τὴν γυναῖκα τοῦ Ουριου („die Frau des Urijas“).
Aufgrund des hebräischen Substratums des Neuen Testaments kommen auch übertragene Verhältnisse dabei vor, z.B. „Sohn des Verderbens“, „Sohn des Teufels“, „Sohn der Hölle“, „Kinder des Lichts“ etc.
die die enge Zugehörigkeit und Beziehung zur genannten Sache wie die in einem Vater-Sohn Verhältnis
deutlich machen.
4) Gen. materiae: Gibt Stoff/Material oder Inhalt an
Der Genitiv besteht hier
a) aus dem semantischen Bereichs der Stoffe, Materialien etc. und gibt an, woraus der Kopf besteht,
erkennbar an der Möglichkeit der Paraphrase „gemacht/bestehend aus“.
Beispiel:
- Offenbarung 18.12 γόμον χρυσοῦ, καὶ ἀργύρου, καὶ λίθου τιμίου, καὶ μαργαρίτου, καὶ βυσσίνου, καὶ
πορφυροῦ, καὶ σηρικοῦ, καὶ κοκκίνου· Ware von Gold und Silber und Edelgestein und Perlen und feiner Leinwand und Purpur und Seide und Scharlach.
b) wenn der Inhalt von etwas angesprochen ist, an der Umschreibung anhand von „voll/gefüllt mit“,
„enthaltend“. Die Grammatik zum Neuen Testament von Daniel Wallace sieht hier eine eigene Kategorie vor („Genitiv of content“).
Beispiel:
- Offenbarung 6.6 τρεῖς χοίνικες κριθῆς („drei Chönix Gerste“), 16.19 τὸ ποτήριον τοῦ οἴνου („Kelch
des Weines“).
5) Gen. qualitatis: Gibt die Art und Eigenschaft an
Dieser Genitiv verweist auf eine dem Kopf zukommende Eigenschaft bzw. Charakter und entspricht einem Adjektiv, jedoch mit mehr Betonung auf dieses Attribut. Das Vorkommen im Neuen Testament ist
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aufgrund des semitischen Substratums bedeutender. Man kann in diesem Fall daran denken, dass Attribut als Adjektiv zu übersetzen, da es bei wörtlicher Übernahme Missverständnisse im Deutschen
gibt. Man kann somit fragen, hat A den Charakter, die Eigenschaft oder das Kennzeichen des Attributs?
Beispiel:
- Lukas 16.8: τὸν οἰκονόμον τῆς ἀδικίας („den Verwalter der Ungerechtigkeit“ – „den ungerechten
Verwalter)“.
- Jakobus 1.25: „ἀκροατὴς ἐπιλησμονῆς („Hörer der Vergesslichkeit“ – „den vergesslichen Hörer“).
- Römer 6.6 τὸ σῶμα τῆς ἁμαρτίας („Leib der Sünde“). Der Körper ist von der Sünde gekennzeichnet
und geprägt, somit ein sündiger Körper.
6 Gen. pretii: Gibt den Preis, die Würde und den Wert an
Die Bezeichnung stammt von lat. pretium („Preis“) und der Genitiv gibt dabei an, welchen Wert, Preis
und wie teuer der Kopf ist. Man kann zur Ermittlung Fragen wie „wie teuer ist der Kopf?“ stellen, wobei man dann den Genitiv als Antwort erhält.
Beispiel:
- Johannes 6.7 διακοσίων δηναρίων ἄρτοι („Brote für 200 Denare“). Man sieht, dass hier ein Genitiv im
Deutschen „Brote der 200 Denare“ missverständlich ist. Durch die Voranstellung des Attributs wird
dieses hier betont.
- 3Johannes 1.6: ἀξίως τοῦ θεοῦ („gotteswürdig“, „würdig für Gott“).
7) Gen. epexegeticus: Erklärt das Bezugswort
Die Zugehörigkeit ist hier eine Gleichsetzung, die im Genitiv näher erläutert wird. Man kann sich fragen, worin besteht, zeigt sich bzw. wie ist der Kopf zu erklären oder womit gleichzusetzen?
Beispiel:
- 1Petrus 5.4: Καὶ φανερωθέντος τοῦ ἀρχιποίμενος, κομιεῖσθε τὸν ἀμαράντινον τῆς δόξης στέφανον.
„Und wenn der Erzhirte offenbar geworden ist, so werdet ihr die unverwelkliche Krone der Herrlichkeit
empfangen“. Hier ist also die unverwelkliche Krone die Herrlichkeit, die Christen empfangen, wenn der
Herr Jesus kommt.
- Lukas 11.29 τὸ σημεῖον Ἰωνᾶ („Das Zeichen Jonas“). Das Zeichen besteht in der Person des Propheten
Jona und was er erlebt und getan hat.
8) Gen. der Richtung/Absicht: Gibt an, welches Ziel/Richtung oder welche Absicht der Kopf der Phrase
hat.
Die Frage, die das Genitivattribut beantwortet, ist, wohin der Kopf gerichtet ist bzw. welche Absicht er
hat.
Beispiel:
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- Hebräer 9.8: τὴν τῶν ἁγίων ὁδόν („den Weg des Heiligtums“). Johannes 5.29: ἀνάστασιν ζωῆς („Auferstehung des Lebens“).
- Lukas 11.52 ἡ κλεὶς τῆς γνώσεως („der Schlüssel der Erkenntnis“). Der Schlüssel öffnet die Türe zur
Erkenntnis.
9) Gen. comparationis Angabe eines Vergleichsobjekts
Das Objekt, mit dem etwas verglichen wird, wenn ein Komparativ gebraucht wird, wird mit dem Genitiv ausgedrückt (z.B. A ist besser als B, wobei B im Genitiv codiert wird).
Beispiel:
- Johannes 13.16: Ἀμὴν ἀμὴν λέγω ὑμῖν, Οὐκ ἔστιν δοῦλος μείζων τοῦ κυρίου αὐτοῦ, οὐδὲ ἀπόστολος
μείζων τοῦ πέμψαντος αὐτόν. „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ein Knecht ist nicht größer als sein
Herr, noch ein Gesandter größer, als der ihn gesandt hat“.
c) Genitiv zur Angabe des Teils einer Gesamtheit (Genitivus partitivus/totius)
Diese Art beschreibt das Ganze, wovon der Kopf ein Teil (lat. pars) ist, erkennbar, wenn man „A ist Teil
von B“ substituieren kann. Der Genitiv stellt die Gesamtheit, der Kopf den Teil dar. Somit kann danach
gefragt werden mit „Ist der Kopf ein Teil des Attributs?“. Obwohl der Ausdruck Genitivus partitivus in
fast allen Grammatiken so gebraucht wird, erscheint Genitivus totius (Genitiv des Ganzen) geeigneter,
da der Genitiv das Ganze darstellt und der Kopf den Teil und nicht umgekehrt.
Beispiele sind hier oft Gegenden einer übergeordneten Region wie in Lukas 4.26: Σάρεπτα τῆς Σιδωνίας („Sarepta in Sidonien“). Sidonien ist der Überbegriff, Sarepta der untergeordnete Teil.
Mit dem Gen. partitivus gleichzusetzen ist der Gen. quantitatis, der die Länge, Höhe, Breite, Tiefe etc.
angibt, da er die Menge der Teile angibt. Somit würde dieser beim Gen. partitivus mitzuverrechnen
sein.
Beispiel:
- Lukas 9.27 τινὲς τῶν αὐτοῦ ἑστηκότων („einige der Umherstehenden). Die gesamte Gruppe sind die
Umherstehenden. Der Kopf gibt den Teil davon an: „einige“.
- Lukas 14.1 ἄρχων τῶν Φαρισαίων („ein Führer der Pharisäer“). Die Gruppe der Pharisäer besteht aus
vielen Teilen. Ein Teil davon sind deren Führer. Einer der Führer ist hier angesprochen. Stünde der Artikel „der“, so hätten sie nur einen Führer. So aber ist klar, dass es eine Führungsschicht gab.
d) Gemischte Zuordnung: Genitivus partitivus/pertinentiae
1) Gen. temporis: Gibt den Zeitpunkt oder –raum an
Damit kann die Zeit angegeben werden, zu oder innerhalb derer etwas geschieht. Damit drückt sich
das Teil-Ganzes-Verhältnis aus (partitiv) und auch den zeitlichen Bereich (Pertinenz).
Beispiel:
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- Lukas 2.8: Καὶ ποιμένες ἦσαν ἐν τῇ χώρᾳ τῇ αὐτῇ ἀγραυλοῦντες καὶ φυλάσσοντες φυλακὰς τῆς
νυκτὸς ἐπὶ τὴν ποίμνην αὐτῶν. „Und es waren Hirten in selbiger Gegend, die auf freiem Felde blieben
und des Nachts Wache hielten über ihre Herde“.
2) Gen. locativus: Gibt den Ort oder die Richtung an
Damit kann der Ort angegeben werden, innerhalb dessen etwas geschieht. Damit drückt sich das TeilGanzes-Verhältnis aus (partitiv) und auch den räumlichen Bereich (Pertinenz).
Beispiel:
- 1Petrus 1.1: ἐκλεκτοῖς παρεπιδήμοις διασπορᾶς („den Fremdlingen der Zerstreuung“)
e) Genitiv zur Angabe des Ausgangspunktes (Genitivus separationis)
Diese Kategorie geht auf folgendes Muster zurück: A ist von B getrennt oder im Begriff, sich zu trennen (statisch bzw. dynamisch). Diese Kategorie betrifft meistens Verben wie ἀπέχω („entfernt sein von etwas“), aber
einige attributive Verwendungen könnten angenommen werden.
Beispiele:
- Hebräer 9.15 εἰς ἀπολύτρωσιν τῶν ἐπὶ τῇ πρώτῃ διαθήκῃ παραβάσεων („zur Erlösung der Übertretungen im
ersten Bund“). Man kann die Frage stellen „wovon“ Erlösung geschehen ist.
- Epheser 2.12: ἀπηλλοτριωμένοι τῆς πολιτείας τοῦ Ἰσραήλ, καὶ ξένοι τῶν διαθηκῶν τῆς ἐπαγγελίας, ἐλπίδα
μὴ ἔχοντες, καὶ ἄθεοι ἐν τῷ κόσμῳ. „entfremdet des Bürgerrechts Israels, und fremd der Bündnisse der Verheißung“. Hier stellt sich die Frage, „wovon“ die Entfremdung ist.
4) Ergänzungen zu Adjektiven
Einige Adjektive können eine Ergänzung nach sich ziehen, die im Genitiv steht.
Beispiel:
- Epheser 2.12: ξένοι τῶν διαθηκῶν („fremd der Bündnisse“).
- Matthäus 26.66: Ἔνοχος θανάτου ἐστίν. „Er ist des Todes schuldig“.
Hier erscheint ein Gen. criminis: Damit wird angegeben, welches Fehlverhalten oder Verbrechen (lat. crimen)
Grund für eine Beschuldigung oder Verurteilung ist oder wozu dieses führt. Dieser wird im Neuen Testament
nicht bei Genitivattributen benutzt, wohl aber bei bestimmten Verben (beschuldigen einer Sache etc.) und
etwa bei diesem Adjektiv.
5) Genitiv als Kasus nach bestimmten Präpositionen
Die bisherigen Kategorien sind nur bedingt zur Orientierung bei dieser Kategorie zu verwenden und ein Blick in
das Wörterbuch nicht zu ersetzen, wenn man die Bedeutung einer Präposition mit nachfolgendem Genitiv
erkennen will. Typisch für den Genitiv sind ἀπό und ἐκ/ἐξ, die aufgrund ihrer Bedeutung „von weg“, „aus“ an
den Gen. separationis erinnern.
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6) Genitivus absolutus oder Genitivus cum participio (GcP)
a) Oft noch nach klassischer Regel erscheint der Gen. abs. als ein Nebensatz, der sich im Subjekt vom Hauptsatz unterscheidet, dann mit dem Subjekt und Partizip im Genitiv (andernfalls als Participium coniunctum).
Beispiel:
- Römer 7.3 ζῶντος τοῦ ἀνδρὸς μοιχαλὶς χρηματίσει. „Solange der Mann lebt, macht sie sich zur Ehebrecherin“.
b) Das GcP bezieht sich auf Verben, die ein Genitivobjekt annehmen und dieses durch ein Partizip erweitert
wird.
Beispiel:
- Johannes 1.37: Καὶ ἤκουσαν αὐτοῦ οἱ δύο μαθηταὶ λαλοῦντος. „Und es hörten ihn die zwei Jünger redend“.
7) Alleinstehender Genitiv als Angabe im Satz
Ein Ausdruck im Genitiv kann auch für sich gesehen eine adverbiale Angabe darstellen, also ein Satzglied bilden.
Beispiel:
- Apostelgeschichte 5.8: Εἰπέ μοι, εἰ τοσούτου τὸ χωρίον ἀπέδοσθε; Sage mir, ob ihr für so viel das Feld hingegeben habt?
Der von Lukas hier benutzte Genitiv lässt sich als Gen. pretii bestimmen und stelle eine (wegstreichbare) Angabe im Satz dar.
8) Deklinierter Infinitiv mit Genitiv
Ein im Genitiv deklinierter Infinitiv (ersichtlich am Artikel) entspricht dem Richtungsgenitiv, der das Ziel anvisiert und somit final ist („um zu“) bzw. die Konsequenz vor Augen hat (konsekutiv), die mit „sodass“ versprachlicht werden kann.
Beispiel:
- Offenbarung 9:10 Καὶ ἔχουσιν οὐρὰς ὁμοίας σκορπίοις, καὶ κέντρα. Καὶ ἐν ταῖς οὐραῖς αὐτῶν ἐξουσίαν
ἔχουσιν τοῦ ἀδικῆσαι τοὺς ἀνθρώπους μῆνας πέντε. „und sie haben Schwänze gleich Skorpionen, und Stacheln, und ihre Gewalt ist in ihren Schwänzen, um (bzw. sodass) die Menschen fünf Monate zu beschädigen“.
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