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Ingenieurtechnische Aspekte der Biberdämme

Die Wiederansiedlung des eurasischen Bibers bringt die Auswirkungen der Bautätigkeiten dieses Nagetiers wieder ins Bewusst-sein. Biberdämme können Fallhöhen von über fünf Metern, und Längen von bis zu 850 Meter erreichen. Sie treten mit einer Häufigkeit von durchschnittlich sechs Dämmen pro km Fließlänge auf und haben daher sehr weitreichende Auswirkungen auf die Umwelt. Biberdämme stellen natürliche Querbauwerke dar, die oft nur saisonal oder episodisch durchlässig sind. Um erste ingenieurtechnisch relevante Informationen über Biberdämme zu erhalten, wurde eine detaillierte Literaturübersicht durchgeführt. Mit Modellversuchen an der Universität Southampton wurden erste Kennwerte für die hydraulische Durchlässigkeit ermittelt. Die Rolle der Biberdämme in der natürlichen Umwelt und mögliche Widersprüche zum Leitbild der Wasserrahmen-richtlinie werden diskutiert.

158 Wasserbau und Wasserkraft Fachbeiträge Ingenieurtechnische Aspekte der Biberdämme Gerald Müller (Southampton/Großbritannien) Zusammenfassung Abstract Die Wiederansiedlung des eurasischen Bibers bringt die Auswirkungen der Bautätigkeiten dieses Nagetiers wieder ins Bewusstsein. Biberdämme können Fallhöhen von über fünf Metern, und Längen von bis zu 850 Meter erreichen. Sie treten mit einer Häufigkeit von durchschnittlich sechs Dämmen pro km Fließlänge auf und haben daher sehr weitreichende Auswirkungen auf die Umwelt. Biberdämme stellen natürliche Querbauwerke dar, die oft nur saisonal oder episodisch durchlässig sind. Um erste ingenieurtechnisch relevante Informationen über Biberdämme zu erhalten, wurde eine detaillierte Literaturübersicht durchgeführt. Mit Modellversuchen an der Universität Southampton wurden erste Kennwerte für die hydraulische Durchlässigkeit ermittelt. Die Rolle der Biberdämme in der natürlichen Umwelt und mögliche Widersprüche zum Leitbild der Wasserrahmenrichtlinie werden diskutiert. Engineering Aspects of Beaver Dams Schlagwörter: Biber, Querbauwerk, Durchgängigkeit, Wasserrahmenrichtlinie DOI: 10.3243/kwe2014.03.004 The resettlement of the Eurasian beaver makes us once again aware of the consequences of the building activities of this rodent. Beaver dams may have a head of more than five meters and they can be up to 850 meters long, on average there are six dams per km of stream and thus they can have a far-reaching impact on the environment. Beaver dams are natural transverse structures, which often are only permeable during a specific season or for a certain period. To gather relevant engineering information on beaver dams, we took a close look at all available reference literature. Pilot tests were run at Southampton University to determine first characteristic values for hydraulic permeability. The paper discusses the role of beaver dams in our natural environment and possible contradictions with the overall concept of the Water Framework Directive. Key words: beaver, transverse structure, permeability, Water Framework Directive Einführung Der Biber ist mit einer Länge von 0,9 bis 1,2 m und einem Gewicht von 23 bis 30 kg nach dem in Südamerika beheimateten Capybara oder Wasserschwein (Hydrochoerus hydrochaeris) das zweitgrößte Nagetier der Welt. Es gibt zwei Arten, den eurasischen Biber (Castor fiber) und den kanadischen Biber (Castor canadensis), die sich jedoch äußerlich kaum unterscheiden. Der eurasische Biber entwickelte sich vor etwa 15 Mio. Jahren, der kanadische vor zwei Mio. Jahren. Biber leben semi-aquatisch und bauen an kleineren Bäche und Flüssen Dämme, um das Wasser aufzustauen, und damit einen Lebensraum für sich zu schaffen (Abbildung 1). An größeren Flüssen bauen sie ihre Wohnhöhlen am Ufer. Innerhalb der Teiche befinden sich die Biberburgen mit den Wohnhöhlen, deren Eingänge aus Sicherheitsgründen etwa 60 cm unterhalb der Wasseroberfläche liegen. Ursprünglich war der eurasische Biber über weite Teile Europas und Vorderasiens von Finnland bis Syrien, dem Nordiran und Kamtschatka verbreitet [1], die intensive Bejagung führte jedoch zu einer weitgehenden Ausrottung. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Europa gab es nur noch wenige isolierte Siedlungsinseln z. B. an der Mittelelbe, in Norwegen und in Südfrankreich. Der um 1900 eingeführte Artenschutz alleine reichte nicht aus, um die Ausbreitung der Biber zu ermöglichen KW Korrespondenz Wasserwirtschaft · 2014 (7) · Nr. 3 und damit eine überlebensfähige Population zu schaffen. Seit der Mitte der 1960er Jahre wurden daher Wiederansiedlungen durchgeführt, so dass sich der Bestand in Deutschland von einigen Dutzend Tieren auf mehr als 25.000 vergrößert hat. Die Bautätigkeiten der Biber bewirken eine sehr starke Veränderung der Flüsse, des Grundwassers, der Morphologie und damit auch der Lebensräume. Die wissenschaftliche Literatur über Biberdämme umfasst mehrere hundert Artikel und Bücher, wird jedoch praktisch ausschließlich von Biologen, Ökologen und Geoökologen verfasst. Die Auswirkungen der Biberdämme sind jedoch unter Umständen auch für Wasserbauingenieure von Bedeutung, denn Biberdämme 1. erhöhen den Grundwasserspiegel weiträumig 2. erhöhen die Retention in den „bebauten“ Gewässern 3. verändern die Ganglinie der Gewässer: Mindestwasserabflüsse werden erhöht, Hochwasserspitzen gedämpft 4. verringern Sedimenttransport und Tiefenerosion Damit werden die Abflusseigenschaften der Gewässer weiter unterstrom – und eventuell auch die der größeren Gewässer, www.dwa.de/KW Wasserbau und Wasserkraft 159 Fachbeiträge und länger aktiv sein [7], genauere Angaben zur Dauerhaftigkeit konnten allerdings nicht gefunden werden. Biber werden sich in der näheren Zukunft weiter ausbreiten, eine Analyse der Biberdämme aus der Perspektive des Wasserbauers scheint daher angebracht. Randbedingungen und Dimensionen In der Literatur werden, wohl aufgrund der Fachgebiete aus denen die Veröffentlichungen stammen, ingenieurtechnisch interessante Details der Biberdämme nur sporadisch erwähnt. Eine genauere Analyse der Literatur zeigte jedoch, dass die Sammlung und Auswertung dieser lückenhaften Informationsquellen durchaus quantitative Ergebnisse liefern kann [8]. Die folgenden ungefähren Richtwerte für Biberdämme wurden gefunden: Abb. 1: Typischer Biberdamm, Lassen Volcanic National Park (Bild: Walter Siegmund, https://en.wikipedia.org/wiki/File:Beaver Dam_8409.jpg) die von den von Bibern gestauten Bächen und Flüssen gespeist werden – beeinflusst. Zusätzlich hierzu behindern Biberdämme die Kontinuität der Gewässer. Trotz der potenziellen ingenieurtechnischen Bedeutung der Biberdämme gibt es bislang nach Wissen des Autors keine einzige Abhandlung zu diesem Thema. Dieser Artikel soll eine kurze Einführung in das Thema geben, und berichtet von ersten Versuchen zur Bestimmung der hydraulischen Eigenschaften der Dämme. Literaturanalyse Die Wiedereinführung des Bibers in Nordamerika und Europa hat zu einer intensiven wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Spezies geführt. Insbesondere die Dammbauarbeiten der Biber und deren Auswirkungen auf Ökosysteme und Geomorphologie werden in der Literatur sehr intensiv betrachtet. In der englischsprachigen Literatur wird die Spezies als ‚ecosystems engineer‘ und als ‚keystone species‘ eingestuft. Ein ‚ecosystem engineer‘ oder Ökosystemingenieur ist ein Organismus, der Habitate wesentlich verändert oder neuartige Habitate schafft. Eine ‚keystone species‘ (Schlüsselart) ist eine Art, „die in der Lebensgemeinschaft oder im Ökosystem eine zentrale Funktion hat und deren Verschwinden das Aussterben bzw. starke Beeinträchtigungen weiterer, von ihr abhängiger Arten nach sich zieht.“[2]. Das Verschwinden bzw. die Wiedereinführung der Biber verursacht sehr wesentliche Veränderungen des hydraulischen und des ökologischen Systems Fluss. Die Literatur hierzu ist sehr umfangreich, siehe z. B. den Überblick in [3]. Biberdämme können durchaus Ausmaße annehmen, die Ingenieurbauwerken gleichkommen. Der längste derzeit bekannte Biberdamm hat eine Länge von 850 m und ist auf Google Earth sichtbar, der höchste derzeit bekannte aktive Damm steht in Three Forks/Montana und hat eine Höhe von 4,3 m bei einer Länge von 625 m, z. B. [4]. In der älteren Literatur werden Dammhöhen von über fünf m berichtet [5]. Die Fläche der Stauseen reicht von wenigen hundert Quadratmetern zu mehreren Hektar, Hill berichtet sogar von Überresten eines Stausees von 30 km2 Fläche [6]. Die Lebensdauer der Biberdämme hängt vom Ausbaugrad und den Hochwasserereignissen ab. Unter günstigen Umständen können die Dämme 40-50 Jahre www.dwa.de/KW 1. 2. 3. 4. Länge: von drei bis 850 m Höhe (Fallhöhe): 0,3 bis über fünf m Flussbreite: bis 46 m [9] Gefälle: ⬍ 0,06 Angaben zu den Durchflussvolumen der gestauten Gewässer konnten leider nicht gefunden werden. Biber bauen Dämme nur bis zu einem bestimmten maximalen Gefälle bzw. bis zu bestimmten, jedoch derzeit nicht quantifizierten Fließgeschwindigkeiten. Bevorzugte Standorte sind Flüsse und Bäche mit örtlichen Gefällen bis sechs Prozent, bei Gefällen von mehr als zwölf Prozent werden kaum noch Dämme beobachtet [10]. Untere Grenzwerte sind nicht gegeben. Biber haben auch Dämme zum Aufstauen von oberflächennahem Grundwasser und sogar kreisförmige Dämme um Quellen herum gebaut [11]. Es wird geschätzt, dass es in Nordamerika vor der Besiedlung durch den Menschen etwa 25 Millionen Biberdämme in den kleinen und mittleren Fließgewässern gab, dies entspricht etwa 1,5 Dämmen pro km2. In Europa dürfte eine ähnliche Dichte vorhanden gewesen sein. Die Anzahl der Dämme pro km Fließlänge wird – abhängig vom Gefälle – auf 2,5 bis etwa zehn pro km geschätzt [9]. Biberdämme werden aus Ästen und Zweigen gebaut und durch Anker (entweder stehengelassene Bäume, oder quergelegte ganze Baumstämme mit Längen von bis zu 45 m) gehalten. Der Querschnitt ist meistens dreieckig, mit einer langen Dreiecksseite oberstrom. An der Basis werden Steine zur Erhöhung der Standsicherheit angeordnet. An der Oberstromseite wird der Damm durch Reisig, Laub und Schlamm abgedichtet, wobei Lücken für den Durchfluss gelassen werden. Biberdämme werden im Normalbetrieb durchströmt, und im Hochwasserfall überströmt, wobei Biber oft durch bauliche Veränderungen (Verringerung der Kronenhöhe oder Schaffung von Abflussrinnen) den Abfluss erhöhen (Abbildung 2a). Die Abbildung 2b zeigt einen 3 m hohen Biberdamm im Kanton Zürich/Schweiz. Derartige Bauwerke haben natürlich erhebliche Auswirkungen, die in hydraulische, geologische und ökologische Wirkungen aufgeteilt werden: Hydraulische Auswirkungen: 1. Aufstau: Die Gewässer werden in eine Abfolge von Stauseen und Feuchtgebieten verwandelt. 2. Erhöhung des Grundwasserspiegels: Der durch den Biberdamm verursachte Aufstau bewirkt einen lokalen Anstieg des Grundwasserspiegels. Daraus resultieren Veränderun- KW Korrespondenz Wasserwirtschaft · 2014 (7) · Nr. 3 160 Wasserbau und Wasserkraft Fachbeiträge Abb. 2a: Strömung über und durch Biberdämme [12] gen der Flora als auch eine Dämpfung saisonaler Abflussschwankungen. 3. Wasserführung: Insbesondere in ariden Gebieten (Neu-Mexiko) wurde beobachtet, dass nach Wiedereinführung der Biber kleinere Gewässer die im Sommer trockengefallen waren, wieder ganzjährig Wasser führten [13, 14]. 4. Retention: Die Stauwirkung der Dämme beeinflusst den Abfluss der Hochwasserwellen. Durch die Überflutung niedrig liegender Bereiche der Stauräume wird ein Teil des Abflusses zurückgehalten. In einer Simulation wurde gezeigt, dass eine Gruppe von fünf aufeinander folgenden Dämmen zu einer Verringerung des Spitzenabflusses eines 50-jährigen Hochwassers um vier Prozent führt [15]. 5. Gefälle: Biberdämme reduzieren das Gefälle und damit die Dynamik und die erosive Tätigkeit der Fließgewässer. Morphologische Wirkung: Biberdämme führen zu einer starken Verlangsamung der Fließgeschwindigkeit und damit zu großflächigen Ablagerungen insbesondere der Feinstsedimente. Die geringe Tiefe der Stauseen führt außerdem zur Produktion einer großen Menge an Biomasse, die ebenfalls im Stausee deponiert wird. Geoökologen argumentieren, dass durch Biberdämme die Morphologie der Flusstäler dauerhaft geformt wurde, z. B. [16]. In den USA wurde beobachtet, dass erst mit der Besiedlung durch Europäer und dem Verschwinden der Biber die Tiefenerosion der Fließgewässer begonnen hat [17]. Ökosysteme: Als Ökosystemingenieur verändert der Biber Flora und Fauna der durch den Stau beeinflussten Gebiete; durch die Veränderung des Grundwassers erstreckt sich der Einfluss auch über bedeutende Strecken. Die durch Biber geschaffenen Lebensräume (Seen und Feuchtgebiete) unterscheiden sich deutlich vom Lebensraum Fluss. Die Artenvielfalt wird durch sie verändert und erhöht. Die Anzahl der Fischarten und Individuen ist in Gewässern mit Biberdämmen deutlich grösser als in Gewässern ohne Aufstau [3]. Insbesondere Amphibien finden einen Lebensraum, den es an kleinen Fließgewässern kaum gibt, z. B. [18]. KW Korrespondenz Wasserwirtschaft · 2014 (7) · Nr. 3 Abb. 2b: Drei m hoher Biberdamm Schweiz, Kanton Zürich (Foto: Christof Angst, Swiss Beaver Service, mit freundl. Genehmigung) Fischdurchgängigkeit: Biberdämme sind Querbauwerke welche die vollständige Durchgängigkeit von Fließgewässern verhindern können. Insbesondere ältere Dämme, die Höhen von zwei m und mehr erreichen können, sind für Fische bei Normalabfluss nicht mehr passierbar. Untersuchungen haben gezeigt, dass auch oberhalb höherer Dämme (2,1 m) eine große Zahl von Jungtieren (Coho Salmon) auftreten [19]. Unter der Annahme, dass kleinere Jungfische (L ⬍ 52 mm) die Biberdämme nicht nach oberstrom passieren können, schließt der Autor daraus, dass eine periodische Wanderung bei Überströmung der Dämme bei Hochwasser möglich ist. Weitere Beobachtungen der Auswirkungen von Biberdämmen auf die Fischwanderung in Alaska zeigen, dass mit Ausnahme der Hochwasserereignisse, wenn die Dämme überströmt werden, keine Wanderung der Fische nach oberstrom stattfinden kann [20]. Der höchste Damm in dem vom Autor betrachteten Gebiet erreicht eine Höhe von zwei m bei einer Länge von 30 m und wird als der Endpunkt der Fischwanderung betrachtet. Wobei hinzugefügt wird, dass nach einem extremen Hochwasserereignis 2003 auch erwachsene Lachse oberstrom dieses Dammes beobachtet wurden. Die Auswirkung der Biberdämme auf die Wanderung insbesondere der Lachse wird gegenwärtig kontrovers diskutiert. Pollock et al. [9] schlussfolgern, dass erwachsene Lachse Biberdämme wahrscheinlich nicht oder nur in Ausnahmefällen passieren können. Eine ausführliche Analyse der Literatur zeigt, dass Biberdämme insgesamt positive Auswirkungen auf die Fischpopulation haben (Artenvielfalt und Populationsgrößen). Negative Auswirkungen betreffen die Beeinflussung der Fischwanderung und der Laichgründe oberstrom der Biberdämme [21]. Versuche Gegenwärtig ist sehr wenig über die hydraulischen Eigenschaften der Biberdämme bekannt. An der Universität Southampton wurde daher innerhalb eines Studentenprojektes in einem 50 m langen, drei m breiten und 56 cm tiefen Kanal ein Biberdamm gebaut (Abbildung 3a). Bei Wassertiefen von www.dwa.de/KW Fachbeiträge a) Biberdamm von oberstrom Wasserbau und Wasserkraft 161 b) Fließgeschwindigkeit und Fallhöhe Abb. 3: Modellversuche (mit Lehmdichtung) und Ergebnisse [8] oberstrom 29 bis 42 cm und Fallhöhen von zwölf bis 19 cm wurde der Durchfluss gemessen (31 bis 129 l/s), um den hydraulischen Widerstand mit und ohne Dichtung (Lehm) oberstrom zu bestimmen. Die Messergebnisse zeigten, dass sich die hydraulischen Eigenschaften am besten mit dem Fließgesetz nach Darcy beschreiben lassen (siehe Abbildung 3b), wobei die Fließgeschwindigkeit eine lineare Funktion der Fallhöhe ist. Die durchschnittlichen Fließgeschwindigkeiten reichen von 0,06 bis etwa 0,18 m/s. Bei Versuchen mit Lehmdichtung ergab sich ein Durchlässigkeitsbeiwert von etwa kf ⫽ 0,67 m/s. Die Messungen werden als ein erster Schritt zu Abschätzung der hydraulischen Eigenschaften betrachtet, genauere Untersuchungen auch im Vollmaßstab sind allerdings erforderlich, um für die Durchlässigkeitsbeiwerte zuverlässige Zahlen und Bandbreiten zu ermitteln. Wasserrahmenrichtlinie Die Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) der EU verlangt im Idealfall die Herstellung eines ‚potenziell natürlichen Zustandes‘ der Gewässer, d. h. des Zustandes, der sich ohne Einwirkung des Menschen einstellen würde [22]. Das Hauptziel hier ist die Herstellung der freien Durchgängigkeit für wasserbewohnende Organismen durch den Rückbau von Querbauwerken wie Wehren oder Stauklappen und dem Einbau von Fischaufstiegsanlagen. Hinzu kommt die Forderung nach der Renaturierung veränderter Gewässer und der ökologischen Aufwertung stark veränderter oder künstlicher Gewässer. Die vorhergehenden Betrachtungen haben jedoch gezeigt, dass durch die natürliche Bautätigkeit des Bibers an den kleineren Gewässern die Durchgängigkeit stark eingeschränkt ist und sich daran angepasste Lebensräume entwickelt haben. Diskussion Biberdämme als Querbauwerke Biberdämme waren wahrscheinlich für mehr als 15 Millionen Jahren integrale Bestandteile der kleineren Gewässer bis etwa 45 (?) Meter Breite. Die Ökosysteme dieser Gebiete entwickel- www.dwa.de/KW ten sich unter diesen Randbedingungen. Mit Querbauwerken die nur im Hochwasserfall überströmt werden, scheint daher im Naturzustand in diesen Gewässern nur eine saisonale, bzw. bei sehr hohen Dämmen nur eine episodische, Durchlässigkeit nach oberstrom möglich. Biberdämme verwandeln Fließgewässer also in eine Abfolge kleinerer Stauseen, die von Feuchtgebieten umgeben sind. Seit dem Mittelalter, und mit dem Verschwinden der Biber, wurden die kleinen Fließgewässer Europas durch Wehre zur Fischzucht, zu Bewässerungszwecken und um Wasserräder anzutreiben, gestaut, z. B. [23]. Die so künstlich veränderten Gewässer haben sowohl von der Hydraulik als auch von den geschaffenen Lebensräumen her wahrscheinlich stärkere Ähnlichkeiten mit den von Biberdämmen gestauten Gewässern als mit Gewässern mit vollständiger Kontinuität. Zu diesem zweifellos interessanten Thema sind dem Autor jedoch keine Arbeiten bekannt. Die Wasserrahmenrichtlinie hat zum Ziel, die Gewässer möglichst naturnah zu gestalten. Dies führte u. a. zur Forderung nach vollständiger Durchgängigkeit der Gewässer für alle wasserbewohnenden Organismen zu allen Zeiten. Diese Forderung wird derzeit unter Berücksichtigung der Interessen und Randbedingungen anderer Nutzungsanforderungen implementiert. Biberdämme und deren Auswirkungen auf Fließgewässer und Lebensräume sind aufgrund der Tatsache, dass Biber schon seit Jahrhunderten ausgerottet sind, aus der kollektiven Erinnerung verschwunden. Die Wirkungen der Biberdämme in natürlichen Gewässern sind in der Definition des potenziell natürlichen Zustandes der Gewässer in der Wasserrahmenrichtlinie daher nicht berücksichtigt worden. Die vollständige Durchgängigkeit der Gewässer wie von der WRRL gefordert, erscheint unter Berücksichtigung des heutigen Wissensstandes zum Ökosystemingenieur Biber daher nicht als Abbild des natürlichen Zustandes der kleinen Fließgewässer. Der aus der Implementierung der WRRL resultierende Rückbau der Stauwehre und das Verschwinden der kleinen Staue verändert die Lebensräume an den Gewässern und verringert die Artenvielfalt insbesondere auch der Amphibien, so dass von Seiten mancher Biologen ein Überdenken der WRRL bereits gefordert wird [18]. Hierbei sollte noch beachtet werden, dass die Wasserrahmenrichtlinie zwar den Rückbau von KW Korrespondenz Wasserwirtschaft · 2014 (7) · Nr. 3 162 Wasserbau und Wasserkraft Fachbeiträge Querbauwerken fordert, nicht jedoch den Rückbau von Biberdämmen, auch wenn diese die Durchwanderbarkeit beeinflussen. Hier kommen andere Richtlinien zum Tragen, zum Beispiel die FFH-Richtlinie. ● Die Stauseen wirken als Sedimentfalle und Lebensraum und erhöhen Artenvielfalt und Zahl der Individuen ● Die Dämme sind, abhängig von der Höhe, für aquatische Organismen flussaufwärts wahrscheinlich nur periodisch oder episodisch durchgängig Hydraulische Eigenschaften Modellversuche: Die Modellversuche ergaben geringe Fließgeschwindigkeiten innerhalb des Biberdamms von 0,06 bis 0,18 m/s. In größeren Dämmen dürften diese Geschwindigkeiten nicht viel höher liegen, da mit größeren Fallhöhen auch die Tiefe des Damms und damit die durchströmte Länge zunehmen müssen. Kombiniert mit dem Labyrinth an Fließkanälen innerhalb des Dammes kann erwartet werden, dass Pfade mit noch geringeren Geschwindigkeiten nach oberstrom vorhanden und die Durchwanderung des Damms durch kleine Organismen möglich sein sollte. Das durch Bryant [19] beobachtete Auftreten erwachsener Lachse oberhalb eines 2,1 m hohen Biberdamms könnte also auch durch die von Bryant ausgeschlossene Möglichkeit, dass Jungtiere durch den Damm wandern und dann im Stausee aufwachsen, begründet sein. Dem Autor sind jedoch auch zu diesem Aspekt keine Arbeiten bekannt. Vorhandene Wehrbauwerke schaffen ähnliche hydraulische Bedingungen und Lebensräume wie Biberdämme mit saisonaler Durchgängigkeit bei Hochwasserabflüssen, besitzen jedoch nicht deren eingeschränkte Permeabilität. Die historischen Nadelwehre könnten hier wieder von Interesse sein. [1] Jenkins S. H.: Castor canadensis. Mammalian Species, 1979, 120:1–8 [2] BfN (Bundesamt für Naturschutz): http://www.bfn.de/glossar_o-s. html#c3411 (download 02.06.2013) Wissensstand und Ausblick [3] Collen P. und Gibson R.: The general ecology of beavers (Castor spp.), as related to their influence on stream ecosystems and riparian habitats, and the subsequent effects on fish – a review. Reviews in Fish Biology and Fisheries, 2001, Vol. 56, 439-461. [4] Ecoinformatics 2013. http://www.geostrategis.com/p_beaverslongestdam.htm (download 02.06.2013). [5] Grasse, J.E. und Putnam, E.F.: Beaver management and ecology in Wyoming. Wyoming Game and Fish Communication Bulletin, 1955, 6, Cheyenne. [6] Hill J. E.: Beaver engineers. Natural History, June 1943: 4. [7] Rosell F., Bozser O., Collen P. and Parker H.: Ecological impacts of beaver Castor fiber and Castor Canadensis and their ability to modify ecosystems. Mammal Review 2005, 35:248-276. [8] Duckett M.: The hydraulics of beaver dams. IP Report, University of Southampton, 2013. [9] Pollock M.M., Heim M. und Werner D.: Hydrological and geomorphic effects of beaver dams and their influence on fishes. Pages 213-233 in S.V. Gregory, K. Boyer, and A. Gurnell, editors. The ecology and management of wood in world rivers. American Fisheries Society Symposium 37. Bethesda, Maryland, 2003. Abschließend kann gesagt werden, dass der gegenwärtige Wissensstand zu den ingenieurtechnischen Eigenschaften der Biberdämme (minimale, durchschnittliche und maximale Durchflüsse der gestauten Gewässer, mögliche und durchschnittliche Fallhöhen, Breiten von Damm und Gewässer, Durchlässigkeit, Standfestigkeit, Dauerhaftigkeit, Auswirkung auf Sedimentation, Durchlässigkeit für Sediment, Auswirkung auf das Flusssystem, Durchgängigkeit insbesondere auch bei Überspülung und in den Randbereichen) in den meisten Bereichen gering bis sehr gering ist. Biberdämme können als integrale Bestandteile der natürlichen Fließgewässer angesehen werden. Die Ermittlung der Auswirkungen der verringerten Durchgängigkeit bzw. die Annäherung an diese natürlichen Bedingungen durch künstliche Mittel (veränderte Wehrbauwerke?) könnte eine weitere Herausforderung an den Wasserbau darstellen. Schlussfolgerungen Literatur: ● Biber haben die Hydraulik, Morphologie und das Ökosys- tem der kleinen Fließgewässer in Eurasien und Nordamerika für mehr als 15 Millionen Jahre beeinflusst ● Biberdämme werden vorwiegend in Fließgewässern mit Gefälle bis zu sechs Prozent und Breiten bis 45 m gebaut ● Die von Bibern gebauten Dämme sind mit Höhen von 30 cm bis über fünf Meter und Längen von drei bis 850 Meter Bauwerke, die auch ingenieurtechnisch relevante Auswirkungen haben ● Biberdämme erhöhen den Grundwasserspiegel, vergleichmäßigen die jährliche Wasserführung, und verringern die Fließgeschwindigkeit KW Korrespondenz Wasserwirtschaft · 2014 (7) · Nr. 3 ● Die Durchströmung lässt sich nach Darcy beschreiben, mit kf ≈ 0.67 m/s ● Die Durchströmgeschwindigkeiten sind sehr niedrig (⬍ 0,2 m/s) Diskussion: ● Die Möglichkeit der Durchwanderung für kleine Organis- men könnte bestehen ● Die Forderung der WRRL nach vollständiger Durchgängig- keit der Gewässer als natürlicher und daher anzustrebender Idealzustand scheint diskussionswürdig ● Das Wissen über die ingenieurtechnischen Eigenschaften der Biberdämme ist gering Literatur [10] Retzer J. L., H. Swope M., Remington J. D., und Rutherford W. H.: Suitability of physical factors for beaver management in the Rocky Mountains of Colorado. State of Colorado, Department of Game and Fish Technical Bulletin No. 2, Denver, 1956.. [11] Warren E. R.: The Beaver: Its Work and Its Ways. Baltimore, 1927. [12] Woo M., & Waddington J. M. : Effects of beaver dams on subarctic wetland hydrology. Arctic 43, 1990, 223-230. [13] Dalke P. D.: The beaver in Missouri. Missouri, Conservationist 8: 1947, p.1–3. [14] Stabler D. F.: Increasing summer flow in small streams through management of riparian areas and adjacent vegetation – a synthesis. USDA Forest Service General Technical Report RM-120:206–210, Fort Collins, Colorado1985. [15] Beedle D.: Physical dimensions and hydrologic effects of beaver ponds on Kuiu Island in southeast Alaska. Oregon State University, 1991. www.dwa.de/KW Wasserbau und Wasserkraft 163 Fachbeiträge [16] Ives R. L.: The beaver-meadow complex. Journal of Geomorphology 5, 1942, p 191–203. [17] Mackie R. S.: Trading beyond the mountains. UBC Press, Vancouver, 1997. [18] Dalbeck L. und Weinberg K.: Artificial ponds: a substitute for natural Beaver ponds in a Central European Highland (Eifel, Germany)?, hydrobiologica 2009, 630, p 49-62. [19] Bryant, M. D.: The role of beaver dams as coho salmon habitat in southeast Alaska streams. Pages 183–192 in J. M. Walton and D. B. Houston, editors. Proceedings of the Olympic Wild Fish Conference. Olympic Wild Fish Conference, Port Angeles, Washington, 1983. [20] Mitchell S.C. und Cunjak R.A.: Stream flow, salmon and beaver dams: roles in the structuring of stream fish communities within an anadromous salmon dominated stream. Journ. Animmal Ecology, 2007, Vol. 76, p 1062-1074. [21] Kemp P.S., Worthington TT.A., Langford T.E.L., Tree A.R.J. und Gaywood M.J.: Qualitative and quantitative effects of reintroduced beavers on stream fish. Fish and Fisheries, 2012. 13, 158-181. www.dwa.de/KW [22] EG-WRRL: Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik. – Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 327 vom 22.12.2000, 1 – 72. [23] Müller G. & Koll K.: River re-naturalization: historic and anthropogenic constraints, ecosystems and their interaction, Proc. 5th Symp. on Ecohydraulics 2004, 306-309. Autor Dr. Gerald Müller, Senior Lecturer University of Southampton Faculty of Engineering and the Environment Highfield, Southampton SO17 1BJ Großbritannien E-Mail: g.muller@soton.ac.uk W KW Korrespondenz Wasserwirtschaft · 2014 (7) · Nr. 3