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Wasserbau und Wasserkraft
Fachbeiträge
Ingenieurtechnische Aspekte
der Biberdämme
Gerald Müller (Southampton/Großbritannien)
Zusammenfassung
Abstract
Die Wiederansiedlung des eurasischen Bibers bringt die Auswirkungen der Bautätigkeiten dieses Nagetiers wieder ins Bewusstsein. Biberdämme können Fallhöhen von über fünf Metern, und
Längen von bis zu 850 Meter erreichen. Sie treten mit einer
Häufigkeit von durchschnittlich sechs Dämmen pro km Fließlänge auf und haben daher sehr weitreichende Auswirkungen auf
die Umwelt. Biberdämme stellen natürliche Querbauwerke dar,
die oft nur saisonal oder episodisch durchlässig sind. Um erste
ingenieurtechnisch relevante Informationen über Biberdämme
zu erhalten, wurde eine detaillierte Literaturübersicht durchgeführt. Mit Modellversuchen an der Universität Southampton
wurden erste Kennwerte für die hydraulische Durchlässigkeit ermittelt. Die Rolle der Biberdämme in der natürlichen Umwelt
und mögliche Widersprüche zum Leitbild der Wasserrahmenrichtlinie werden diskutiert.
Engineering Aspects of Beaver Dams
Schlagwörter: Biber, Querbauwerk, Durchgängigkeit, Wasserrahmenrichtlinie
DOI: 10.3243/kwe2014.03.004
The resettlement of the Eurasian beaver makes us once again
aware of the consequences of the building activities of this rodent. Beaver dams may have a head of more than five meters
and they can be up to 850 meters long, on average there are six
dams per km of stream and thus they can have a far-reaching
impact on the environment. Beaver dams are natural transverse
structures, which often are only permeable during a specific season or for a certain period. To gather relevant engineering information on beaver dams, we took a close look at all available reference literature. Pilot tests were run at Southampton University to determine first characteristic values for hydraulic permeability. The paper discusses the role of beaver dams in our natural
environment and possible contradictions with the overall concept of the Water Framework Directive.
Key words: beaver, transverse structure, permeability, Water Framework Directive
Einführung
Der Biber ist mit einer Länge von 0,9 bis 1,2 m und einem Gewicht von 23 bis 30 kg nach dem in Südamerika beheimateten
Capybara oder Wasserschwein (Hydrochoerus hydrochaeris) das
zweitgrößte Nagetier der Welt. Es gibt zwei Arten, den eurasischen Biber (Castor fiber) und den kanadischen Biber (Castor
canadensis), die sich jedoch äußerlich kaum unterscheiden. Der
eurasische Biber entwickelte sich vor etwa 15 Mio. Jahren, der
kanadische vor zwei Mio. Jahren. Biber leben semi-aquatisch
und bauen an kleineren Bäche und Flüssen Dämme, um das
Wasser aufzustauen, und damit einen Lebensraum für sich zu
schaffen (Abbildung 1). An größeren Flüssen bauen sie ihre
Wohnhöhlen am Ufer. Innerhalb der Teiche befinden sich die
Biberburgen mit den Wohnhöhlen, deren Eingänge aus Sicherheitsgründen etwa 60 cm unterhalb der Wasseroberfläche liegen. Ursprünglich war der eurasische Biber über weite Teile
Europas und Vorderasiens von Finnland bis Syrien, dem Nordiran und Kamtschatka verbreitet [1], die intensive Bejagung
führte jedoch zu einer weitgehenden Ausrottung. Zu Beginn
des 20. Jahrhunderts in Europa gab es nur noch wenige isolierte Siedlungsinseln z. B. an der Mittelelbe, in Norwegen und in
Südfrankreich. Der um 1900 eingeführte Artenschutz alleine
reichte nicht aus, um die Ausbreitung der Biber zu ermöglichen
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und damit eine überlebensfähige Population zu schaffen. Seit
der Mitte der 1960er Jahre wurden daher Wiederansiedlungen
durchgeführt, so dass sich der Bestand in Deutschland von einigen Dutzend Tieren auf mehr als 25.000 vergrößert hat.
Die Bautätigkeiten der Biber bewirken eine sehr starke Veränderung der Flüsse, des Grundwassers, der Morphologie und
damit auch der Lebensräume. Die wissenschaftliche Literatur
über Biberdämme umfasst mehrere hundert Artikel und Bücher, wird jedoch praktisch ausschließlich von Biologen, Ökologen und Geoökologen verfasst.
Die Auswirkungen der Biberdämme sind jedoch unter Umständen auch für Wasserbauingenieure von Bedeutung, denn
Biberdämme
1. erhöhen den Grundwasserspiegel weiträumig
2. erhöhen die Retention in den „bebauten“ Gewässern
3. verändern die Ganglinie der Gewässer: Mindestwasserabflüsse werden erhöht, Hochwasserspitzen gedämpft
4. verringern Sedimenttransport und Tiefenerosion
Damit werden die Abflusseigenschaften der Gewässer weiter
unterstrom – und eventuell auch die der größeren Gewässer,
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und länger aktiv sein [7], genauere Angaben zur Dauerhaftigkeit konnten allerdings nicht gefunden werden. Biber werden
sich in der näheren Zukunft weiter ausbreiten, eine Analyse der
Biberdämme aus der Perspektive des Wasserbauers scheint daher angebracht.
Randbedingungen und Dimensionen
In der Literatur werden, wohl aufgrund der Fachgebiete aus denen die Veröffentlichungen stammen, ingenieurtechnisch interessante Details der Biberdämme nur sporadisch erwähnt. Eine
genauere Analyse der Literatur zeigte jedoch, dass die Sammlung und Auswertung dieser lückenhaften Informationsquellen
durchaus quantitative Ergebnisse liefern kann [8]. Die folgenden ungefähren Richtwerte für Biberdämme wurden gefunden:
Abb. 1: Typischer Biberdamm, Lassen Volcanic National Park
(Bild: Walter Siegmund, https://en.wikipedia.org/wiki/File:Beaver
Dam_8409.jpg)
die von den von Bibern gestauten Bächen und Flüssen gespeist
werden – beeinflusst. Zusätzlich hierzu behindern Biberdämme
die Kontinuität der Gewässer.
Trotz der potenziellen ingenieurtechnischen Bedeutung der
Biberdämme gibt es bislang nach Wissen des Autors keine einzige Abhandlung zu diesem Thema. Dieser Artikel soll eine kurze Einführung in das Thema geben, und berichtet von ersten
Versuchen zur Bestimmung der hydraulischen Eigenschaften
der Dämme.
Literaturanalyse
Die Wiedereinführung des Bibers in Nordamerika und Europa
hat zu einer intensiven wissenschaftlichen Beschäftigung mit
der Spezies geführt. Insbesondere die Dammbauarbeiten der
Biber und deren Auswirkungen auf Ökosysteme und Geomorphologie werden in der Literatur sehr intensiv betrachtet. In
der englischsprachigen Literatur wird die Spezies als ‚ecosystems engineer‘ und als ‚keystone species‘ eingestuft. Ein ‚ecosystem engineer‘ oder Ökosystemingenieur ist ein Organismus, der
Habitate wesentlich verändert oder neuartige Habitate schafft.
Eine ‚keystone species‘ (Schlüsselart) ist eine Art, „die in der Lebensgemeinschaft oder im Ökosystem eine zentrale Funktion hat
und deren Verschwinden das Aussterben bzw. starke Beeinträchtigungen weiterer, von ihr abhängiger Arten nach sich zieht.“[2].
Das Verschwinden bzw. die Wiedereinführung der Biber verursacht sehr wesentliche Veränderungen des hydraulischen
und des ökologischen Systems Fluss. Die Literatur hierzu ist
sehr umfangreich, siehe z. B. den Überblick in [3].
Biberdämme können durchaus Ausmaße annehmen, die Ingenieurbauwerken gleichkommen. Der längste derzeit bekannte Biberdamm hat eine Länge von 850 m und ist auf Google
Earth sichtbar, der höchste derzeit bekannte aktive Damm steht
in Three Forks/Montana und hat eine Höhe von 4,3 m bei einer
Länge von 625 m, z. B. [4]. In der älteren Literatur werden
Dammhöhen von über fünf m berichtet [5]. Die Fläche der
Stauseen reicht von wenigen hundert Quadratmetern zu mehreren Hektar, Hill berichtet sogar von Überresten eines Stausees von 30 km2 Fläche [6]. Die Lebensdauer der Biberdämme
hängt vom Ausbaugrad und den Hochwasserereignissen ab.
Unter günstigen Umständen können die Dämme 40-50 Jahre
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1.
2.
3.
4.
Länge: von drei bis 850 m
Höhe (Fallhöhe): 0,3 bis über fünf m
Flussbreite: bis 46 m [9]
Gefälle: ⬍ 0,06
Angaben zu den Durchflussvolumen der gestauten Gewässer
konnten leider nicht gefunden werden. Biber bauen Dämme
nur bis zu einem bestimmten maximalen Gefälle bzw. bis zu bestimmten, jedoch derzeit nicht quantifizierten Fließgeschwindigkeiten. Bevorzugte Standorte sind Flüsse und Bäche mit örtlichen Gefällen bis sechs Prozent, bei Gefällen von mehr als
zwölf Prozent werden kaum noch Dämme beobachtet [10].
Untere Grenzwerte sind nicht gegeben. Biber haben auch Dämme zum Aufstauen von oberflächennahem Grundwasser und
sogar kreisförmige Dämme um Quellen herum gebaut [11]. Es
wird geschätzt, dass es in Nordamerika vor der Besiedlung
durch den Menschen etwa 25 Millionen Biberdämme in den
kleinen und mittleren Fließgewässern gab, dies entspricht etwa 1,5 Dämmen pro km2. In Europa dürfte eine ähnliche Dichte vorhanden gewesen sein. Die Anzahl der Dämme pro km
Fließlänge wird – abhängig vom Gefälle – auf 2,5 bis etwa zehn
pro km geschätzt [9].
Biberdämme werden aus Ästen und Zweigen gebaut und
durch Anker (entweder stehengelassene Bäume, oder quergelegte ganze Baumstämme mit Längen von bis zu 45 m) gehalten. Der Querschnitt ist meistens dreieckig, mit einer langen
Dreiecksseite oberstrom. An der Basis werden Steine zur Erhöhung der Standsicherheit angeordnet. An der Oberstromseite
wird der Damm durch Reisig, Laub und Schlamm abgedichtet,
wobei Lücken für den Durchfluss gelassen werden. Biberdämme werden im Normalbetrieb durchströmt, und im Hochwasserfall überströmt, wobei Biber oft durch bauliche Veränderungen (Verringerung der Kronenhöhe oder Schaffung von Abflussrinnen) den Abfluss erhöhen (Abbildung 2a).
Die Abbildung 2b zeigt einen 3 m hohen Biberdamm im
Kanton Zürich/Schweiz. Derartige Bauwerke haben natürlich
erhebliche Auswirkungen, die in hydraulische, geologische und
ökologische Wirkungen aufgeteilt werden:
Hydraulische Auswirkungen:
1. Aufstau: Die Gewässer werden in eine Abfolge von Stauseen und Feuchtgebieten verwandelt.
2. Erhöhung des Grundwasserspiegels: Der durch den Biberdamm verursachte Aufstau bewirkt einen lokalen Anstieg
des Grundwasserspiegels. Daraus resultieren Veränderun-
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Wasserbau und Wasserkraft
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Abb. 2a: Strömung über und durch Biberdämme [12]
gen der Flora als auch eine Dämpfung saisonaler Abflussschwankungen.
3. Wasserführung: Insbesondere in ariden Gebieten (Neu-Mexiko) wurde beobachtet, dass nach Wiedereinführung der
Biber kleinere Gewässer die im Sommer trockengefallen
waren, wieder ganzjährig Wasser führten [13, 14].
4. Retention: Die Stauwirkung der Dämme beeinflusst den Abfluss der Hochwasserwellen. Durch die Überflutung niedrig
liegender Bereiche der Stauräume wird ein Teil des Abflusses zurückgehalten. In einer Simulation wurde gezeigt, dass
eine Gruppe von fünf aufeinander folgenden Dämmen zu
einer Verringerung des Spitzenabflusses eines 50-jährigen
Hochwassers um vier Prozent führt [15].
5. Gefälle: Biberdämme reduzieren das Gefälle und damit die
Dynamik und die erosive Tätigkeit der Fließgewässer.
Morphologische Wirkung:
Biberdämme führen zu einer starken Verlangsamung der Fließgeschwindigkeit und damit zu großflächigen Ablagerungen
insbesondere der Feinstsedimente. Die geringe Tiefe der Stauseen führt außerdem zur Produktion einer großen Menge an
Biomasse, die ebenfalls im Stausee deponiert wird. Geoökologen argumentieren, dass durch Biberdämme die Morphologie
der Flusstäler dauerhaft geformt wurde, z. B. [16]. In den USA
wurde beobachtet, dass erst mit der Besiedlung durch Europäer und dem Verschwinden der Biber die Tiefenerosion der
Fließgewässer begonnen hat [17].
Ökosysteme:
Als Ökosystemingenieur verändert der Biber Flora und Fauna
der durch den Stau beeinflussten Gebiete; durch die Veränderung des Grundwassers erstreckt sich der Einfluss auch über
bedeutende Strecken. Die durch Biber geschaffenen Lebensräume (Seen und Feuchtgebiete) unterscheiden sich deutlich vom
Lebensraum Fluss. Die Artenvielfalt wird durch sie verändert
und erhöht. Die Anzahl der Fischarten und Individuen ist in
Gewässern mit Biberdämmen deutlich grösser als in Gewässern
ohne Aufstau [3]. Insbesondere Amphibien finden einen Lebensraum, den es an kleinen Fließgewässern kaum gibt, z. B.
[18].
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Abb. 2b: Drei m hoher Biberdamm Schweiz, Kanton Zürich (Foto:
Christof Angst, Swiss Beaver Service, mit freundl. Genehmigung)
Fischdurchgängigkeit:
Biberdämme sind Querbauwerke welche die vollständige
Durchgängigkeit von Fließgewässern verhindern können. Insbesondere ältere Dämme, die Höhen von zwei m und mehr erreichen können, sind für Fische bei Normalabfluss nicht mehr
passierbar. Untersuchungen haben gezeigt, dass auch oberhalb höherer Dämme (2,1 m) eine große Zahl von Jungtieren
(Coho Salmon) auftreten [19]. Unter der Annahme, dass kleinere Jungfische (L ⬍ 52 mm) die Biberdämme nicht nach
oberstrom passieren können, schließt der Autor daraus, dass
eine periodische Wanderung bei Überströmung der Dämme
bei Hochwasser möglich ist. Weitere Beobachtungen der Auswirkungen von Biberdämmen auf die Fischwanderung in
Alaska zeigen, dass mit Ausnahme der Hochwasserereignisse,
wenn die Dämme überströmt werden, keine Wanderung der
Fische nach oberstrom stattfinden kann [20]. Der höchste
Damm in dem vom Autor betrachteten Gebiet erreicht eine
Höhe von zwei m bei einer Länge von 30 m und wird als der
Endpunkt der Fischwanderung betrachtet. Wobei hinzugefügt
wird, dass nach einem extremen Hochwasserereignis 2003
auch erwachsene Lachse oberstrom dieses Dammes beobachtet wurden. Die Auswirkung der Biberdämme auf die Wanderung insbesondere der Lachse wird gegenwärtig kontrovers
diskutiert. Pollock et al. [9] schlussfolgern, dass erwachsene
Lachse Biberdämme wahrscheinlich nicht oder nur in Ausnahmefällen passieren können. Eine ausführliche Analyse der Literatur zeigt, dass Biberdämme insgesamt positive Auswirkungen auf die Fischpopulation haben (Artenvielfalt und Populationsgrößen). Negative Auswirkungen betreffen die Beeinflussung der Fischwanderung und der Laichgründe
oberstrom der Biberdämme [21].
Versuche
Gegenwärtig ist sehr wenig über die hydraulischen Eigenschaften der Biberdämme bekannt. An der Universität Southampton wurde daher innerhalb eines Studentenprojektes in
einem 50 m langen, drei m breiten und 56 cm tiefen Kanal ein
Biberdamm gebaut (Abbildung 3a). Bei Wassertiefen von
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a) Biberdamm von oberstrom
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b) Fließgeschwindigkeit und Fallhöhe
Abb. 3: Modellversuche (mit Lehmdichtung) und Ergebnisse [8]
oberstrom 29 bis 42 cm und Fallhöhen von zwölf bis 19 cm
wurde der Durchfluss gemessen (31 bis 129 l/s), um den hydraulischen Widerstand mit und ohne Dichtung (Lehm) oberstrom zu bestimmen.
Die Messergebnisse zeigten, dass sich die hydraulischen Eigenschaften am besten mit dem Fließgesetz nach Darcy beschreiben lassen (siehe Abbildung 3b), wobei die Fließgeschwindigkeit eine lineare Funktion der Fallhöhe ist. Die durchschnittlichen Fließgeschwindigkeiten reichen von 0,06 bis etwa 0,18 m/s. Bei Versuchen mit Lehmdichtung ergab sich ein
Durchlässigkeitsbeiwert von etwa kf ⫽ 0,67 m/s. Die Messungen werden als ein erster Schritt zu Abschätzung der hydraulischen Eigenschaften betrachtet, genauere Untersuchungen
auch im Vollmaßstab sind allerdings erforderlich, um für die
Durchlässigkeitsbeiwerte zuverlässige Zahlen und Bandbreiten
zu ermitteln.
Wasserrahmenrichtlinie
Die Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) der EU verlangt im Idealfall die Herstellung eines ‚potenziell natürlichen Zustandes‘ der
Gewässer, d. h. des Zustandes, der sich ohne Einwirkung des
Menschen einstellen würde [22]. Das Hauptziel hier ist die
Herstellung der freien Durchgängigkeit für wasserbewohnende
Organismen durch den Rückbau von Querbauwerken wie Wehren oder Stauklappen und dem Einbau von Fischaufstiegsanlagen. Hinzu kommt die Forderung nach der Renaturierung veränderter Gewässer und der ökologischen Aufwertung stark veränderter oder künstlicher Gewässer. Die vorhergehenden Betrachtungen haben jedoch gezeigt, dass durch die natürliche
Bautätigkeit des Bibers an den kleineren Gewässern die Durchgängigkeit stark eingeschränkt ist und sich daran angepasste
Lebensräume entwickelt haben.
Diskussion
Biberdämme als Querbauwerke
Biberdämme waren wahrscheinlich für mehr als 15 Millionen
Jahren integrale Bestandteile der kleineren Gewässer bis etwa
45 (?) Meter Breite. Die Ökosysteme dieser Gebiete entwickel-
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ten sich unter diesen Randbedingungen. Mit Querbauwerken
die nur im Hochwasserfall überströmt werden, scheint daher
im Naturzustand in diesen Gewässern nur eine saisonale, bzw.
bei sehr hohen Dämmen nur eine episodische, Durchlässigkeit
nach oberstrom möglich.
Biberdämme verwandeln Fließgewässer also in eine Abfolge kleinerer Stauseen, die von Feuchtgebieten umgeben sind.
Seit dem Mittelalter, und mit dem Verschwinden der Biber,
wurden die kleinen Fließgewässer Europas durch Wehre zur
Fischzucht, zu Bewässerungszwecken und um Wasserräder anzutreiben, gestaut, z. B. [23]. Die so künstlich veränderten Gewässer haben sowohl von der Hydraulik als auch von den geschaffenen Lebensräumen her wahrscheinlich stärkere Ähnlichkeiten mit den von Biberdämmen gestauten Gewässern als mit
Gewässern mit vollständiger Kontinuität. Zu diesem zweifellos
interessanten Thema sind dem Autor jedoch keine Arbeiten bekannt.
Die Wasserrahmenrichtlinie hat zum Ziel, die Gewässer möglichst naturnah zu gestalten. Dies führte u. a. zur Forderung nach
vollständiger Durchgängigkeit der Gewässer für alle wasserbewohnenden Organismen zu allen Zeiten. Diese Forderung wird
derzeit unter Berücksichtigung der Interessen und Randbedingungen anderer Nutzungsanforderungen implementiert.
Biberdämme und deren Auswirkungen auf Fließgewässer
und Lebensräume sind aufgrund der Tatsache, dass Biber schon
seit Jahrhunderten ausgerottet sind, aus der kollektiven Erinnerung verschwunden. Die Wirkungen der Biberdämme in natürlichen Gewässern sind in der Definition des potenziell natürlichen Zustandes der Gewässer in der Wasserrahmenrichtlinie
daher nicht berücksichtigt worden. Die vollständige Durchgängigkeit der Gewässer wie von der WRRL gefordert, erscheint
unter Berücksichtigung des heutigen Wissensstandes zum Ökosystemingenieur Biber daher nicht als Abbild des natürlichen
Zustandes der kleinen Fließgewässer.
Der aus der Implementierung der WRRL resultierende
Rückbau der Stauwehre und das Verschwinden der kleinen
Staue verändert die Lebensräume an den Gewässern und verringert die Artenvielfalt insbesondere auch der Amphibien, so
dass von Seiten mancher Biologen ein Überdenken der WRRL
bereits gefordert wird [18]. Hierbei sollte noch beachtet werden, dass die Wasserrahmenrichtlinie zwar den Rückbau von
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Wasserbau und Wasserkraft
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Querbauwerken fordert, nicht jedoch den Rückbau von Biberdämmen, auch wenn diese die Durchwanderbarkeit beeinflussen. Hier kommen andere Richtlinien zum Tragen, zum Beispiel die FFH-Richtlinie.
● Die Stauseen wirken als Sedimentfalle und Lebensraum
und erhöhen Artenvielfalt und Zahl der Individuen
● Die Dämme sind, abhängig von der Höhe, für aquatische
Organismen flussaufwärts wahrscheinlich nur periodisch
oder episodisch durchgängig
Hydraulische Eigenschaften
Modellversuche:
Die Modellversuche ergaben geringe Fließgeschwindigkeiten
innerhalb des Biberdamms von 0,06 bis 0,18 m/s. In größeren
Dämmen dürften diese Geschwindigkeiten nicht viel höher liegen, da mit größeren Fallhöhen auch die Tiefe des Damms und
damit die durchströmte Länge zunehmen müssen. Kombiniert
mit dem Labyrinth an Fließkanälen innerhalb des Dammes
kann erwartet werden, dass Pfade mit noch geringeren Geschwindigkeiten nach oberstrom vorhanden und die Durchwanderung des Damms durch kleine Organismen möglich sein
sollte. Das durch Bryant [19] beobachtete Auftreten erwachsener Lachse oberhalb eines 2,1 m hohen Biberdamms könnte also auch durch die von Bryant ausgeschlossene Möglichkeit,
dass Jungtiere durch den Damm wandern und dann im Stausee aufwachsen, begründet sein. Dem Autor sind jedoch auch
zu diesem Aspekt keine Arbeiten bekannt.
Vorhandene Wehrbauwerke schaffen ähnliche hydraulische
Bedingungen und Lebensräume wie Biberdämme mit saisonaler Durchgängigkeit bei Hochwasserabflüssen, besitzen jedoch
nicht deren eingeschränkte Permeabilität. Die historischen Nadelwehre könnten hier wieder von Interesse sein.
[1]
Jenkins S. H.: Castor canadensis. Mammalian Species, 1979,
120:1–8
[2]
BfN (Bundesamt für Naturschutz): http://www.bfn.de/glossar_o-s.
html#c3411 (download 02.06.2013)
Wissensstand und Ausblick
[3]
Collen P. und Gibson R.: The general ecology of beavers (Castor
spp.), as related to their influence on stream ecosystems and riparian habitats, and the subsequent effects on fish – a review. Reviews
in Fish Biology and Fisheries, 2001, Vol. 56, 439-461.
[4]
Ecoinformatics 2013. http://www.geostrategis.com/p_beaverslongestdam.htm (download 02.06.2013).
[5]
Grasse, J.E. und Putnam, E.F.: Beaver management and ecology in
Wyoming. Wyoming Game and Fish Communication Bulletin, 1955,
6, Cheyenne.
[6]
Hill J. E.: Beaver engineers. Natural History, June 1943: 4.
[7]
Rosell F., Bozser O., Collen P. and Parker H.: Ecological impacts of
beaver Castor fiber and Castor Canadensis and their ability to modify ecosystems. Mammal Review 2005, 35:248-276.
[8]
Duckett M.: The hydraulics of beaver dams. IP Report, University of
Southampton, 2013.
[9]
Pollock M.M., Heim M. und Werner D.: Hydrological and geomorphic
effects of beaver dams and their influence on fishes. Pages 213-233 in S.V. Gregory, K. Boyer, and A. Gurnell, editors. The ecology
and management of wood in world rivers. American Fisheries Society Symposium 37. Bethesda, Maryland, 2003.
Abschließend kann gesagt werden, dass der gegenwärtige Wissensstand zu den ingenieurtechnischen Eigenschaften der Biberdämme (minimale, durchschnittliche und maximale Durchflüsse der gestauten Gewässer, mögliche und durchschnittliche Fallhöhen, Breiten von Damm und Gewässer, Durchlässigkeit,
Standfestigkeit, Dauerhaftigkeit, Auswirkung auf Sedimentation, Durchlässigkeit für Sediment, Auswirkung auf das Flusssystem, Durchgängigkeit insbesondere auch bei Überspülung und
in den Randbereichen) in den meisten Bereichen gering bis sehr
gering ist.
Biberdämme können als integrale Bestandteile der natürlichen Fließgewässer angesehen werden. Die Ermittlung der
Auswirkungen der verringerten Durchgängigkeit bzw. die Annäherung an diese natürlichen Bedingungen durch künstliche
Mittel (veränderte Wehrbauwerke?) könnte eine weitere Herausforderung an den Wasserbau darstellen.
Schlussfolgerungen
Literatur:
● Biber haben die Hydraulik, Morphologie und das Ökosys-
tem der kleinen Fließgewässer in Eurasien und Nordamerika für mehr als 15 Millionen Jahre beeinflusst
● Biberdämme werden vorwiegend in Fließgewässern mit Gefälle bis zu sechs Prozent und Breiten bis 45 m gebaut
● Die von Bibern gebauten Dämme sind mit Höhen von 30 cm
bis über fünf Meter und Längen von drei bis 850 Meter Bauwerke, die auch ingenieurtechnisch relevante Auswirkungen haben
● Biberdämme erhöhen den Grundwasserspiegel, vergleichmäßigen die jährliche Wasserführung, und verringern die
Fließgeschwindigkeit
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● Die Durchströmung lässt sich nach Darcy beschreiben, mit
kf ≈ 0.67 m/s
● Die Durchströmgeschwindigkeiten sind sehr niedrig (⬍ 0,2
m/s)
Diskussion:
● Die Möglichkeit der Durchwanderung für kleine Organis-
men könnte bestehen
● Die Forderung der WRRL nach vollständiger Durchgängig-
keit der Gewässer als natürlicher und daher anzustrebender
Idealzustand scheint diskussionswürdig
● Das Wissen über die ingenieurtechnischen Eigenschaften
der Biberdämme ist gering
Literatur
[10] Retzer J. L., H. Swope M., Remington J. D., und Rutherford W. H.: Suitability of physical factors for beaver management in the Rocky
Mountains of Colorado. State of Colorado, Department of Game and
Fish Technical Bulletin No. 2, Denver, 1956..
[11] Warren E. R.: The Beaver: Its Work and Its Ways. Baltimore, 1927.
[12] Woo M., & Waddington J. M. : Effects of beaver dams on subarctic
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[13] Dalke P. D.: The beaver in Missouri. Missouri, Conservationist 8:
1947, p.1–3.
[14] Stabler D. F.: Increasing summer flow in small streams through management of riparian areas and adjacent vegetation – a synthesis.
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[15] Beedle D.: Physical dimensions and hydrologic effects of beaver
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1991.
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Fachbeiträge
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[18] Dalbeck L. und Weinberg K.: Artificial ponds: a substitute for natural Beaver ponds in a Central European Highland (Eifel, Germany)?,
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[20] Mitchell S.C. und Cunjak R.A.: Stream flow, salmon and beaver
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www.dwa.de/KW
[22] EG-WRRL: Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 23.Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik. – Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 327 vom
22.12.2000, 1 – 72.
[23] Müller G. & Koll K.: River re-naturalization: historic and anthropogenic constraints, ecosystems and their interaction, Proc. 5th Symp.
on Ecohydraulics 2004, 306-309.
Autor
Dr. Gerald Müller, Senior Lecturer
University of Southampton
Faculty of Engineering and the Environment
Highfield, Southampton SO17 1BJ
Großbritannien
E-Mail: g.muller@soton.ac.uk
W
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