Archäologische Nachrichten
Schleswig-Holstein
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Archäologische Nachrichten 2018 | Inhalt
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Inhalt
Hoby
Archäologische Nachrichten 2018 | Inhalt
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Vorwort
6
Matthias Maluck
Mission possible: Welterbe
Archäologischer Grenzkomplex Haithabu und Danewerk
16
Sönke Hartz und Martin Segschneider
Eiszeitliche Jäger in Drelsdorf
Auf den Spuren der frühesten Besiedlung in Schleswig-Holstein
24
Jens-Peter Schmidt
300 Jahre Forschung
Das jungbronzezeitliche Gräberfeld von Kölln-Reisiek,
Kreis Pinneberg
34
Angelika Abegg-Wigg
Urnenfunde an der »Kiel-Rendsburger Chaussee«
Ein eisenzeitliches Gräberfeld bei Achterwehr-Schönwohld, Kreis Rendsburg-Eckernförde
38
Ruth Blankenfeldt
Ein Leben im Luxus?
Untersuchungen zum älterkaiserzeitlichen Fundplatz
Hoby auf Lolland
Großenwiehe
100
Eric Müller
Kleine Grabung – große Funde
Neue archäologische Untersuchungen im Stadtkern von
Husum
112
Henrike Effenberger
Die Guten ins Kröpfchen, die Schlechten ins Töpfchen
Pfl anzliche Makroreste aus Kloakenbefunden der frühen
Neuzeit in Husum
118
Ulrich Müller
Kiel ♥ 2. Bundesliga und bald 1. Liga
Die Graffiti im Johanna-Mestorf-Hörsaal des Institutes
für Ur- und Frühgeschichte der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
130
Daniel Zwick
Das BalticRIM-Projekt
Planungsorientierte Denkmalpflege im Ostseeraum
144
Autorenliste
146
AGSH
Drelsdorf
Haithabu
thabu
Husum
Südfall
U
UNESCO-Welterbe
elterbe
Haithabu-Dane
u-Danewerk
u-Dane
Kiel
Achterwehr-Schön
ehr-Schönwohld
ohld
48
Andreas Rau
Wenn Scherben sprechen könnten …
Über einen »Magazinfund« vom Bordesholmer Brautberg
Bordesholm
Bordesho
desholm
58
Nils Wolpert und Andreas Hatnik
Ein Zentrum im Hinterland?
Der wikingerzeitliche Siedlungsplatz von Großenwiehe,
Kreis Schleswig-Flensburg
68
Sven Kalmring
Ausgrabungen im Flachgräberfeld von Haithabu
Ein Vorbericht
78
Arne Homann
Neue mittelalterliche Funde aus Artlenburg
Relikte einer Siedlung zur Ertheneburg?
86
Hanna Hadler, Dennis Wilken, Timo Willershäuser,
Michaela Schwardt, Annika Fediuk, Vera Werner,
Peter Fischer, Tina Wunderlich, Wolfgang Rabbel und
Andreas Vött
Auf den Spuren Rungholts
Geoarchäologische Untersuchungen im Wattgebiet um
Hallig Südfall (Nordfriesland)
Kölln-Reisiek
lln-Reisiek
Artlenburg
2
3
Archäologische Nachrichten 2018 | Impressum
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Impressum
Vorwort
Herausgeber des 24. Heftes
© Archäologisches Landesamt SchleswigHolstein (ALSH), Schleswig
www.schleswig-holstein.de/archaeologie
Liebe Leserinnen und Leser, liebe Freundinnen und Freunde der Landesarchäologie!
Archäologische Gesellschaft Schleswig-Holstein e. V. (AGSH)
www.agsh.de
Redaktion
Birte Anspach
Layout
Science Communication Lab (Layout und Satz
Stephan Schakulat)
Titelbild
Profilschnitt durch den Hauptwall, Danewerk
(nach H. H. Andersen 1998, S. 89, Fig. 92).
Abbildungen
Soweit nicht anders angegeben ALSH sowie
die Autoren der jeweiligen Beiträge.
Herstellung
Wachholtz/Murmann Publishers, Kiel/Hamburg (Printed in Germany)
ISSN 0942-9107
ISBN 978-3-529-01440-6
Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist
urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung
ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzungen, Mikroverfilmungen
und die Einspeicherung und Verarbeitung in
elektronischen Systemen.
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren
verantwortlich.
© Wachholtz/Murmann Publishers, Kiel/
Hamburg 2018
www.wachholtz-verlag.de
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2018 war ein sehr ereignis- und arbeitsreiches Jahr. Daher freuen wir
uns, Ihnen – wie gewohnt – auch dieses Jahr wieder die Archäologischen
Nachrichten aus Schleswig-Holstein überreichen zu können. Neben den
unterschiedlichen, unseren archäologischen Arbeitsalltag prägenden
Ereignissen steht besonders eines, das sogar die weltweite Aufmerksamkeit auf unser Land und unsere Landesarchäologie lenkte.
Es war die Einschreibung von Haithabu und Danewerk in die Welterbeliste. Das Archäologische Landesamt (ALSH) konnte, stellvertretend für
Schleswig-Holstein, an der UNESCO-Sitzung in Bahrain teilnehmen und
mit Freude den Lohn für die inzwischen über eine Dekade andauernde
Antragsarbeit einstreichen. War das Medienecho schon enorm, so wurde
dieses von der überwältigenden Freude in der Region noch übertroffen.
Matthias Maluck stellt das Vorhaben in diesem Heft noch einmal umfänglich vor.
Daneben prägten zahlreiche Aktivitäten in den unterschiedlichen
Arbeitsfeldern das Jahr 2018. Diese Arbeiten dokumentiert das nun vorliegende Heft nur teilweise, vieles muss leider unveröffentlicht bleiben
und manches findet lediglich eine kurze Ansprache im Vorwort.
Das vom Bundesministerium Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Projekt REGIOBRANDING geht auf den Schlussspurt zu (s. dazu
ANSH 2015, 100 – 103). Die in der Projektregion Steinburger Elbmarschen
angeschobenen Ideen finden eine entsprechende Verstetigung. Das Kulturlandschaftsportal www.kuladig.de ist jetzt vertraglich geregelt und
wird zunehmend mit Inhalten gefüllt. Der Kooperationsvertrag wird in
den nächsten Tagen unterschrieben. Ein Thema sind hier die Turmhügelburgen des Landes. Das ALSH arbeitet mit dem Lehrstuhl für Regionalgeschichte in Kiel zusammen und unterstützt die Aufbereitung der
wissenschaftlichen Texte für das Internetportal.
Ein anderes Projekt sind die Megalithic Routes. Hier stellte das ALSH
im Rahmen des europäischen Kulturerbejahrs einen Antrag auf Förderung. Dieser wurde inzwischen bewilligt und die bisher im Archäologisch-Ökologischen Zentrum Albersdorf (AÖZA) endende Straße der
Megalithkulturen soll weiter durch das Land führen. Dabei kommt dem
Motto Sharing Heritage, das gemeinsame archäologische Erbe zu teilen,
eine besondere Bedeutung zu. In Zeiten von Regionalisierungstendenzen
verdeutlicht in diesem Fall das megalithische Erbe, dass bereits lange vor
der sog. Globalisierung in der Steinzeit weitverzweigte und europaweite
Netzwerke entstanden, wie sie das ALSH z. B. auch heute noch mit seinen
internationalen wissenschaftlichen Austauschpartnern verfolgt.
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Ein weiteres Projekt geht nun schon in das zweite Jahr: BalticRim
(Baltic Sea Region Integrated Maritime Cultural Heritage Management). Hier ist das ALSH sog. Lead Partner und arbeitet mit 13 Projektpartnern aus der archäologischen Denkmalpflege und maritimen
Raumplanung aus den Ostseeanrainer-Staaten Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Litauen, Polen und Russland zusammen. Das
Projekt verfolgt das Ziel, das archäologische Erbe der See- und Küstengebiete im Ostseeraum für die Maritime Raumordnungsplanung
aufzubereiten und so auch eine gewisse Beispielhaftigkeit für die
terrestrische Raumordnung zu erhalten. Daniel Zwick erläutert die
Hintergründe in seinem Beitrag.
Archäologische Nachrichten 2018 | Vorwort
Abschließend möchten wir dem Grafikerteam für ihren Einsatz bei
dieser Ausgabe danken. In diesen Dank schließen wir wie immer die
Archäologische Gesellschaft Schleswig-Holstein e. V. mit ein, die das
Vorhaben wie auch in den vergangenen Jahren finanziell unterstützt.
Ihr Ulf Ickerodt und Ihre Birte Anspach
Schleswig, im Dezember 2018
Daneben stehen die anderen Kernaufgaben der archäologischen
Denkmalpflege in Schleswig-Holstein. So befindet sich auch dieses
Jahr das Denkmallistenprojekt in der Fortschreibung. Die KollegInnen überprüfen in einem ersten Schritt das digitale Geländemodell
nach möglichen Denkmalen. Auch wird weiterhin an den archäologischen Interessensgebieten gearbeitet. Im Bereich der praktischen Archäologie stehen Fundmeldungen, Rettungsgrabungen und
Forschungsprojekte nebeneinander. Besonders hervorzuheben sind
die Hauptuntersuchungen, die auf der geplanten Trasse der Festen
Fehmarnbelthinterlandanbindung stattfinden. Sie werden wohl in den
nächsten Ausgaben etwas darüber lesen können.
Ein weiterer Höhepunkt in diesem Jahr bestand in der Tagung des
Nordwestdeutschen Verbandes für Altertumsforschung e.V. in Schleswig-Holstein. Das zentrale Thema Zentrum und Peripherie rückte
diesmal Heide und das Albersdorfer Archäologisch-Ökologische
Zentrum in den Mittelpunkt der norddeutschen archäologischen Forschung. Ein besonderer Dank gilt dem AÖZA und den vielen ehrenamtlichen Unterstützern, die die Durchführung erst ermöglichten.
Nach dem diesjährigen Tag des offenen Denkmals, in dessen Rahmen
jeweils das AÖZA und der Arnkielpark als Orte der beiden Auftaktveranstaltungen für das Projekt Megalithik Routes dienten, war der
Tag der Archäologie der letzte Höhepunkt. Als eine rundum gelungene Veranstaltung fand er auch diesmal wieder in der A. P. Møller Skolen in Schleswig mit etwas 600 Teilnehmern statt. Für 2019 ist dieser
Tag dort bereits fest eingeplant.
Nicht ganz zum Schluss bleibt uns nur, der Stiftung Oldenburger Wall
e.V. zum 40. Jubiläum der Stiftung zu gratulieren, das am 7. Oktober
2018 in einem Festakt seine Würdigung fand. Dieser Feiertag gilt als
deutlicher Ausdruck des von der Landesarchäologie sehr geschätzten ehrenamtlichen Engagements, das den Denkmalschutz und die
Denkmalpflege des Landes trägt.
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Archäologische Nachrichten 2018 | Kleine Grabung – große Funde
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Archäologische Nachrichten 2018 | Kleine Grabung – große Funde
Kleine Grabung – große Funde
Neue archäologische Untersuchungen
im Stadtkern von Husum
[ 1 ] Gesamtplan der Grabungsfläche mit Befunden und Bebauung.
Eric Müller
Backsteinfundament
Graben
Grabungsfläche
Anlässlich eines Neubaus des Husumer Shoppingcenters wurden im Bereich der Parzelle
Großstraße 13 im Husumer Stadtgebiet baubegleitende archäologische Untersuchungen
notwendig. Aufgrund der fortgeschrittenen
Bauarbeiten und dem streng terminierten
Bauablaufplan stand für die archäologischen
Arbeiten nur ein sehr eng begrenztes Zeitfenster zur Verfügung. Dennoch gelang es,
fast 50 Befunde vom späten Mittelalter bis in
die Neuzeit zu dokumentieren, die wichtige neue Erkenntnisse zur Stadtgeschichte
Husums liefern.
Historischer Hintergrund
Im Jahre 1252 wurde, im Zusammenhang mit
der Tötung von König Abel, nach einem fehlgeschlagenen Feldzug durch eiderstädtische
Friesen ein »Husumbro« genannt. Ob hier das
spätere Husum gemeint war, ist allerdings
unklar. Die frühe Entwicklung Husums lässt
sich weder aus den schriftlichen noch aus
den archäologischen Quellen erhellen. Die
100
erste wirklich auf das damalige Dorf Husum
bzw. die beiden Dörfer Oster- und Westerhusum bezogene Nachricht stammt aus
dem Jahre 1372. Die katastrophale Sturmflut
(Grote Mandränke) des Jahres 1362 stellte eine
schiff bare Verbindung des Tals der Mühlenau mit dem Meer her. Dadurch avancierte
Husum zur Küstenstadt und schon bald zu
einem bedeutenden Umschlagplatz.
Grube
Holzkasten
Kulturschicht
Materialentnahmegrube
Mauerwerk NZ
Pfostengrube
Punktfundamente
Die erste urkundliche Erwähnung fand im
Jahre 1409 statt. 1421 erhielt Husum die Gerechtigkeit als Flecken und 1507 wurde nach
der Loslösung aus dem Kirchspiel Mildstedt
die erste Kirche geweiht. Zu dieser Zeit hatte
Husum etwa 3000 Einwohner und entwickelte sich dank des aufblühenden Seehandels
mit Salz, Bier, Malz und Fisch rasch. Der dänische König Christian I. verlieh 1465 Husum
das Privileg, einen Stadtvogt anzustellen
und ein eigenes Gericht abzuhalten. Zudem
erhielt der Ort die Erlaubnis zur Befestigung
durch eine hölzerne Palisade. Da die Husumer
auch das Stadtrecht wollten, begehrten sie
1472 gegen den dänischen König auf. Darauf-
Sodenbrunnen/Zisterne
Sodenwand
Ziegelschacht
Bebauung
0
10 m
Norden
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Archäologische Nachrichten 2018 | Kleine Grabung – große Funde
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hin nahm der König Husum ein, entzog
den Bewohnern sämtliche Privilegien, ließ
den Ort brandschatzen und 70 besonders
aufständische Bürger exekutieren. Die
wirtschaft liche Blüte welkte danach abrupt.
Der ab 1544 in den gottorfschen Anteilen des
Herzogtums Schleswig regierende Herzog
Adolf von Schleswig-Holstein-Gottorf errichtete ab 1577 am Ort eines aufgelassenen
Klosters das Schloss vor Husum als Residenz
an der Westküste. 1603 schließlich verlieh
Herzog Johann Adolf Husum das Stadtrecht. Dennoch schritt der ökonomische
Abstieg Husums weiter fort. Die Gründung
der benachbarten Stadt Friedrichstadt (1621)
und die Burchardiflut von 1634, welche
die landwirtschaftlich bedeutende Insel
Alt-Nordstrand vernichtete, bewirkten weitere verheerende Folgen. Erst im 19. Jh. verzeichnete der Ort wieder ein nennenswertes
Wachstum. Bis dahin besaß Husum als Stadt
kaum noch Bedeutung.
[ 2 ] unten Materialentnahmegrube mit Sodenwand zur Sicherung
der Grubenwände und Sodenbrunnen rechts.
Ergebnisse
nimmt, wurden 45 Befunde dokumentiert:
Gruben- und Schichtbefunde, Pfostengruben, Gräben, Mauerwerk und Ziegelschächte
sowie Sodenbrunnen und Zisternen. Aufgrund stratigrafischer Beobachtungen und
dem reichhaltigen Fundmaterial lassen sich
sechs verschiedene Siedlungsphasen erkennen, die wichtige Einblicke in die Entwicklung der Parzelle Großstraße 13 und deren
Umfeld liefern.
[ 3 ] rechts Flechtwerkmatte in
der spätmittelalterlichen Kulturschicht.
Die archäologischen Arbeiten konnten sich
bei Beginn nur noch auf ein begrenztes
Areal beziehen, da der Großteil der betroffenen Fläche bereits versiegelt und deshalb
schon im Vorfeld mit größeren Verlusten zu
rechnen war.
Auf der ca. 870 m² großen Untersuchungsfläche, die den größten Teil der Parzelle ein-
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Archäologische Nachrichten 2018 | Kleine Grabung – große Funde
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Archäologische Nachrichten 2018 | Kleine Grabung – große Funde
Phase 1
Als ältestem Befund galt die Untersuchung
einer großen, unvollständig erfassten Materialentnahmegrube. Sie besaß eine Länge
von mind. 18 m, eine Breite von max. 6 m
und reichte bis in eine Tiefe von 2,5 m. Diese
großflächige Grube war durch den anstehenden Sand bis in den darunter liegenden
tonigen, feuchten Lehm gegraben und offensichtlich zur Materialgewinnung (Lehm)
angelegt worden. Aufgrund der Instabilität
im anstehenden Sand sicherten Torfsoden
die Wände. Dies deutet darauf hin, dass die
Grube eine gewisse Zeit lang offenstand und
die Materialgewinnung zumindest einen
längeren Zeitraum in Anspruch nahm, da ein
solcher Aufwand eine kurzzeitige Nutzung
nicht rechtfertigen würde. Für ein längeres Offenstehen sprechen auch gebänderte
Schwemmschichten im Bereich der Grubensohle. Nach der Einstellung der Materialgewinnung erfolgte die Wiederverfüllung der
Grube nach Ausweis der homogenen oberen
Schichtung in einem Zug. Der gewonnene
Lehm steht möglicherweise mit einer im
Bereich der Parzelle erwähnten Ziegelei des
14./15. Jh. in Verbindung. Da sich der Grubeninhalt als komplett fundleer erwies, stehen
für eine Datierung lediglich die Hypothese
der Zugehörigkeit zur Ziegelei und die stratigrafischen Bezüge zur Verfügung. Nach der
Verfüllung der Grube entstand über dieser
eine Kulturschicht des 15. Jh., wie die hier
geborgenen Funde nahelegen. Somit ist ein
terminus ante quem durch die Kulturschicht
gegeben.
Phase 2
Die erwähnte, stark humose Kulturschicht
über der verfüllten Materialentnahmegrube
dürfte über einen längeren Zeitraum durch
Belaufen und Ablagerung von organischen
Materialien (Mist) entstanden sein. Sie
konnte auf einer Fläche von 225,55 m² nachgewiesen werden. Häufig waren im Bereich
der Oberkante der Schicht bis zu 1,5 m lange
Astabschnitte, teilweise auch Brettabschnitte, kreuzweise angeordnet. Sie dienten, wie
104
auch eine Flechtwerkmatte, der Oberflächenbefestigung. In direktem zeitlichen Zusammenhang steht eine Nord-Süd verlaufende
Stakenreihe, offenbar Reste einer Parzellengrenze in Form eines Flechtwerkzaunes,
wie Flechtwerkreste zwischen den Staken
belegen. Die südliche Hälfte des Befundkomplexes bestand aus noch in Holz erhaltenen
Staken. Im weiteren Verlauf nach Norden
sind nur noch deren Löcher nachweisbar. Aus
dieser Schicht stammt eine größere Anzahl
an Metallfunden. Datierend ist ein Hamburger Hohlpfennig aus der zweiten Hälfte des
15 Jh. Weitere Münzen weisen in denselben
Zeitraum. Darüber hinaus lag neben einigen
glasierten Scherben vor allem spätmittelalterliche Grauware in der Kulturschicht:
Rand- und Wandscherben der harten Grauware Var. B. Auffällig ist die hohe Anzahl an
Buntmetallstreifen und Blechzuschnitten,
wie auch einige Buntmetallschlacken und
Rohlinge für ein pfriemartiges Gerät, möglicherweise Überbleibsel eines Buntmetallhandwerkers.
Ebenfalls aus der Kulturschicht stammen
drei Tuchplomben aus Blei und ein 5 cm
breites Bronzeblech mit randlicher enger
Durchlochung. Die Schauseite verzieren
feine eingepunzte Ranken, vielleicht ein
Gürtel- oder Riemenbeschlag. Weiterhin
erscheint ein möglicherweise vergoldeter Beschlag, vermutlich ein Bortenbesatz,
bemerkenswert. Darüber hinaus konnten
zwei Fingerhüte aus Messing, das Fragment
einer Buchschließe und Messer aus Eisen
geborgen werden. Besonders hervorzuheben
sind aus diesem Befund auch eine eiserne
Maultrommel und ein eisernes Steckschloss.
Ein auch in der Husumer Süderstraße entdecktes entsprechendes Schloss datiert wie
der vorliegende Befund in das Spätmittelalter. Die Maultrommel liegt unvollständig
vor, da die Zunge des Vibrationsinstrumentes
fehlt. Häufig wurden die Maultrommeln des
Spätmittelalters in Bronze gefertigt, Eisen
hingegen fand seltener Verwendung.
Von Bedeutung ist auch der Fund eines Pilgerzeichens in der Kulturschicht, welches
nur unvollständig vorliegt. Die Darstellung
|
zeigt offenbar Jesus in langer Ärmeltunika,
nicht erhalten sind die Hände. Hinweise
auf einen Rahmen fehlen, ebenso ein Kreuz,
sodass allein die Figur als Jesus mit ausgestreckten Armen dargestellt ist. Das Pilgerzeichen scheint aus dem süddänischen
Kliplev zu stammen.
Phase 3 (16. Jh. – 1. Hälfte 17. Jh.)
Der Großteil der Befunde gehört in Phase 3
der Besiedlung. Im Bereich der Parzellengrenze wurde, wohl noch im 16. Jh., ein größerer
Pfostenbau errichtet. Der Grundriss des mindestens 15 m langen Gebäudes ist aufgrund
von Störungen nur noch fragmentarisch
erhalten. Die Stärke der erhaltenen Pfosten
sowie ein Doppelpfosten legen eine massive Konstruktion nahe. Aus dem Umfeld des
Pfostenbaus stammen mehrere Materialentnahmegruben.
Ebenfalls in das 16. und beginnende 17. Jh.
sind die entdeckten vier Sodenbrunnen und
vier Zisternen zu datieren. Beide Formen
unterscheiden sich durch konstruk tive
Merkmale und sind überdies funktional
zu trennen. Zum einen besitzen die Zisternen, im Gegensatz zu den schachtförmigen
Brunnen, ein glockenförmiges Profil. Zum
anderen reichen sie auch nicht so tief, da sie
als Wasserspeicher und nicht zur Grundwassergewinnung angelegt wurden. Alle aus in
der Nähe gewonnenen Torfsoden aufgebauten Anlagen besaßen einen trichterförmigen Brunnensumpf mit ebener Sohle. Nach
Aufgabe bzw. dem Funktionsverlust der
Brunnen und Zisternen mögen sie ent weder
kurze Zeit als Latrinen genutzt oder mit
mist- und fäkalhaltigem Abfall verfüllt worden sein. Die oberen Bereiche der Verfüllung
versiegelte in den meisten Fällen Bauschutt.
Vor allem die fäkal- und misthaltigen Bereiche der Verfüllung erwiesen sich als sehr
fundreich. Teilweise stammen vollständige
Gefäße aus diesen Schichten, darunter Grapen und Napfkacheln, möglicherweise verloren gegangenes Nachtgeschirr. Daneben
kommen auch helltonige Schmelztiegel mit
dreieckig ausgezogener Mündung vor. Der-
|
artige technische Spezialkeramik mit feiner
schwärzlicher Schamottemagerung wurde
seit dem Spätmittelalter bis in die Neuzeit
in Groß almerode (Hessen) in großem Stil
hergestellt.
Aus einer der Zisternen stammen die Überreste eines zerstörten Fensters: neben rundlichen, rhombusförmigen, quadratischen
und dreieckigen Scheiben eines polychromen
Mosaikfensters auch eine größere Menge
an Bleiruten. Sie zeigen, dass das Fenster in
noch größeren zusammenhängenden Teilen
entsorgt wurde.
Sehr bemerkenswert sind die Metallfunde aus den Befunden 8 – 10. Aus Befund 8
stammt ein Kruzifix mit Öse und Dreipass
an den Balkenenden sowie der Darstellung
Christi am Kreuz. Hierbei handelt es sich
ebenfalls um ein Pilgerzeichen, wie englische Vergleichsstücke zeigen. In einen
religiösen Kontext gehört auch ein runder, 2 cm großer Anhänger mit geripptem
Rahmen und Rosettenverzierung. Er zeigt
die Darstellung der Mutter Maria mit Kind.
Aus Brunnenbefund 11 stammt ebenfalls ein
durchbrochener runder Anhänger, der in seinem Zentralteil eine Kreuzigungsgruppe in
stilisierter Form trägt. In einen wirtschaftlichen Kontext gehört ein scheibenförmiges
Bleigewicht von 3 cm Durchmesser und einer
Stärke von 1 cm. Auf der Schauseite trägt es
zwei kleine eingestempelte Hausmarken.
In einen militärischen Kontext könnten einige Musketenkugeln aus Befund 8 gehören.
In diesem Zusammenhang ist auch ein vermutliches Pulverhorn bemerkenswert: ein
Rinderhorn mit beschädigter Öffnung. Dicht
unter Spitze befindet sich eine sorgfältig ausgeführte und nachgeglättete Durchlochung.
Das Loch an der Spitze diente zur Aufnahme
des Halteriemens und es ist davon auszugehen, dass sich an der Hornöffnung ebenfalls
ein Loch für das andere Ende des Halteriemens befand. Das kleine Pulverhorn gehört
zu den einfachsten Ausführungen dieser Art.
Mit dem Aufkommen der Schusswaffen im
Spätmittelalter und der regelhaften Verwendung in der frühen Neuzeit war das Behält-
Archäologische Nachrichten 2018 | Kleine Grabung – große Funde
nis für das Schießpulver ein unverzichtbarer
Bestandteil der Ausrüstung.
Aus demselben Befund ist weiterhin ein
kleines Tintenfässchen aus Horn sehr beachtenswert. Kleine Drehrillen und eine
tiefe Kehlung unter dem Rand zeigen ein
Drechseln des Gefäßes an. Zu ihm gehört
ein ebenfalls aus Horn gedrechselter Stöpsel. An einer Einsenkung auf dessen scheibenförmig abgesetztem Kopf konnte der
Federkiel abgestrichen werden und diente
dazu, die überschüssige Tinte aufzufangen.
Unter dem scheibenförmigen Absatz ist der
Stöpsel durchlocht. Auch das Fässchen weist
unter dem Rand zwei kleine Durchlochungen auf, die darauf hindeuten, dass es einst
Bestandteil des im 15./16. Jh. weitverbreiteten
calamals war. Dieses Schreibset bestand aus
einem Tintenfässchen und einer Federbüchse (pennal), die beide mittels einer Schnur
am Gürtel getragen wurden. Zum Gebrauch
ließen sich die Deckel von Tintenfass und
Federbüchse abnehmen, ohne die Schnur zu
lösen. Zeitgenössische Abbildungen zeigen
dieses Schreibzeug im Zusammenhang mit
bestimmten Personenkreisen wie Schülern,
Studenten, Gelehrten, Kaufleuten, Schreibern, Chronisten oder bestimmten Heiligen fast regelhaft. Bislang sind jedoch nur
wenige Exemplare bekannt, trotz der durch
Schriftquellen bezeugten weiten Verbreitung.
Den Sodenbrunnen und Zisternen entstammt
auch eine größere Menge an Holzfunden:
zum größten Teil unbehandelte Hölzer und
vor allem Teile von Konstruktionselementen
bzw. Bauhölzern. Den Holzkonstruktionen
ist auch ein vollständiger eichener Holznagel
von 29,5 cm Länge aus Befund 17 zuzurechnen. Aus Befund 8 stammt eine Holzkugel
von 4,5 cm Durchmesser, wohl ein Spielzeug.
Spiele mit Kugeln und Murmeln waren im
Mittelalter und der Frühen Neuzeit vor allem
im städtischen Milieu weit verbreitet.
Hervorzuheben ist eine Wachstafel aus
Befund 8. Es handelt sich um ein 15 × 11 cm
großes, sorgfältig bearbeitetes Brettchen
aus Eiche mit auf der Schauseite elf kleinen
Löchern an den Rändern. Darin sitzen kleine
Holznägel, mit denen noch an drei Seiten
erhaltene randliche Leisten aus Weidenholz
befestigt waren. Die Rückseite weist eine
von den Ecken ausgehende kreuzförmige
Ritzung auf. Interessant ist die Tafel nicht
nur als Zeugnis der Schriftkunde, sondern
auch, weil sie aus einem Befund des 16./17
Jh. hervorgeht. Schreibgriffel und Wachstafel stellen die typisch mittelalterlichen
Schreibinstrumente dar, die im Laufe des 16.
Jh. durch den Gebrauch von Tinte und Papier
weitestgehend abgelöst wurden. In diesem
Zusammenhang ist auch das oben erwähnte Tintenfässchen bedeutsam. Selbst für
Schreib- und Rechenübungen verdrängten
Schiefertafeln die Wachstafeln. Die vorliegende Wachstafel stellt also nicht nur einen
ausgesprochen späten Fund dieser Objektart
dar, sondern zeigt auch, dass der Ablösungsprozess von Wachstafel bzw. Schiefertafel
durch Papier und Tinte in Husum offenbar
einem längeren Prozess unterlag und Wachstafeln neben den neuen Schreibmitteln noch
längere Zeit Verwendung fanden.
Phase 4 (2. Hälfte 17. Jh. – Anfang
18. Jh.)
Im fortgeschrittenen 17. Jh. entstanden
im Bereich der Parzelle zwei runde Ziegelschächte, die nach Ausweis der fäkalhaltigen Verfüllung als Latrinen dienten. Ersterer
Ziegelschacht, der stark gestörte Befund 13,
befand sich zur Hälfte unter der Bodenplatte des im Süden und Westen angrenzenden
heutigen Sparkassengebäudes. Der Durchmesser betrug 2,8 m. Erhalten waren noch
6 – 7 Steinlagen und im Zentrum des Schachtes der trichterförmige Sumpf mit 0,7 m Tiefe.
Die verwendeten, teilweise an den Schmalseiten abgeschrägten Ziegel im Format
23,5 x 13,5 x 8 cm wurden wohl eigens für den
Bau eines runden Schachtes hergestellt. Der
etwa 20 m weiter nördlich gelegene zweite
Ziegelschacht, Befund 33, war durch einen
rezenten Wartungsschacht ebenfalls stärker
gestört. Der Durchmesser betrug 2,2 m. Trotz
Störung betrug die Tiefe des Schachtes mit
Sumpf noch 2,7 m, die des muldenförmigen
105
Archäologische Nachrichten 2018 | Kleine Grabung – große Funde
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Sumpfes unter dem Ziegelschacht noch 0,9 m.
Wie auch bei Befund 13 besaßen die Ziegel an
den Schmalseiten eine Abschrägung. Die Ziegelformate betrugen 23,5 × 13 – 13,5 × 8 – 8,5 cm
und glichen damit in etwa jenen aus ersterem Befund. Trotz der teils massiven Störungen waren die Fundbergungen aus den
Schächten ergiebig.
Dekor vor; weniger häufig tritt Kerbstichoder Federsprung-Dekor auf. Die Gefäßtypen
sind, neben Henkel- und Bügeltöpfen, vor
allem Grapentöpfe, Henkeltöpfe, Bügelkannen, Teller, Tassen und Schüsseln. Einige
malhornverzierte Teller weisen Jahreszahlen
auf, die ihre Herstellung in die Jahre 1680
bzw. 1682 datieren.
In die Siedlungsphase 4 gehören auch einige
Gruben und ein in die Zisterne (Befund 9)
eingebauter, als Kompostierbox interpretierbarer Holzkasten.
Der einheimischen Keramik ist eine nicht
unerhebliche Menge an Importkeramik an
die Seite zu stellen. Aus dem dänischen Raum
stammt eine größere Menge Jütepottware,
die sich in der Verfüllung des Ziegelschachtes Befund 13 fand. Diese Keramik trat im
Nord- und Ostseeraum gehäuft ab 1600 auf
und wurde bis ins 19. Jh. in Jütland produziert. Eine besondere Stellung nehmen die
holländischen und mediterranen Importe
Keramikfunde stellen das größte Kontingent
der Funde dieser Siedlungsphase. Zum überwiegenden Teil handelt es sich um einheimische, neuzeitliche glasierte Irdenware.
Nicht selten kommt Malhorn- und Sgrafitto-
ein. Sie stammen ausnahmslos aus dem
Ziegelschacht Befund 13. An erster Stelle ist
eine Fußschüssel aus italienischer Majolika mit floralem Dekor zu nennen: Als large
leaf tazza bezeichnet, wurde sie im Zeitraum von 1600 – 1650 in Montelupo in der
Toscana hergestellt. Darüber hinaus liegen
mehrere Teller aus holländischer Fayence und Majolika vor. Einer von ihnen zeigt
eine großfl ächige blaue Kobaltbemalung
im holländischen Kraak-Stil. Mehrere Teller
besitzen eine Groteskendarstellung mit
holländischem Spruch auf dem Spiegel, ein
weiterer mit einem Kornkranz, ebenfalls
mit holländischem Spruch. Das Spektrum
komplettieren Teller fragmente mit asiatischen Szenen: als Ein fluss des chinesischen
Porzellans auf die holländische Fayenceproduktion ein beliebtes Stilmittel der hollän-
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Archäologische Nachrichten 2018 | Kleine Grabung – große Funde
[ 5 ] Schamotteschmelztiegel.
[ 6 ] Wachstafel mit erhaltenen Holzleisten.
[ 7 ] Tintenfässchen.
[ 8 ] Bleigewicht mit Hausmarke.
[ 4 ] Verzierter bandförmiger Beschlag.
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fotografien Linda Hermannsen, © ALSH
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Archäologische Nachrichten 2018 | Kleine Grabung – große Funde
dischen Fayencen. Geborgen wurden auch
unverzierte Fayencen, von denen einige
Fragmente zu einer Fächerplatte gehören. Die
geborgenen, typisch holländischen Fayencen
gehören sämtlich in die erste Hälfte und die
Zeit um die Mitte des 17. Jh. Zu einem weiteren Importstück gehören die Fragmente einer
kleinen Schale aus asiatischem, wahrscheinlich japanischem Porzellan. Das florale Dekor
in Unterglasur-Scharffeuermalerei und die
Form sowie eine auf dem Boden angebrachte Malermarke datieren dieses Stück in die
zweite Hälfte des 17. Jh. Die zwei großvolumigen Steinzeugamphoren mit doppelten Querhenkeln aus Befund 13 dürften, wie auch drei
Miniaturgefäße, aufgrund der Form und der
braunen Glasur aus dem niedersächsischen
Duingen stammen.
Neben den vielfältigen Keramikfunden trat
eine große Menge an Glasfunden zutage.
Zum überwiegenden Teil sind es Hohlgläser
und in größerer Zahl fanden sich Fragmente von Achtkantstangengläsern aus grüner
Glasmasse. In den meisten Fällen waren
diese mit gerippten oder überrollten Fäden
verziert. Einige Stangengläser besitzen keine
glatte Oberfläche, sondern optische geblasene Schräg- oder Vertikalrippen. Diese Art von
Hohlgläsern wird als Bierglas interpretiert, da
sie bei Stadtkerngrabungen häufig in großer
Zahl vorkommt. Seltener fanden sich Fragmente von farblosen Keulengläsern mit spiraliger Fadenauflage. Auch sie wurden, wie die
Stangengläser, als Biergläser verwendet. Den
Trinkgefäßen zuzurechnen ist hier eine größere Anzahl von häufig unverzierten Becherund Kelchglasfragmenten. Aber es tauchten
auch sehr qualitätvolle Gläser auf, vor allem
aus dem Ziegelschacht Befund 13. Hervorzuheben sind hier mehre Fragmente von sog. Flügel- und Schlangengläsern, die am Anfang des
17. Jh. nach venezianischem Vorbild entstanden. Sie besitzen einen aus verschlungenen
Fäden mit opaken oder farbigen eingeschlossenen Fäden geformten flachen Schaft. Auf
den verschlungenen Fäden sitzen flügelartige, gewaffelte Aufsätze aus blauem Glas. Die
Kuppa auf einer flachen Scheibe ist entweder
konisch oder trichterförmig. Diese Gläser
wurden in vielen Glashütten Nord- und Mit-
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teleuropas hergestellt, wobei ein besonderer
Schwerpunkt in Antwerpen (Belgien) und den
südlichen Niederlanden lag. Weiterhin traten
Gläser mit Diamantrissdekor und Emailbemalung auf. Letztere gehören zu qualitätvollen
Jagdhumpen. Zu den hochwertigen Trinkgläsern zählen ebenso verschiedene Fadengläser
aus dem Ziegelschacht Befund 13. Becher aus
Fadenglas mit vergoldeter Löwenkopfmaske
und mit vetro a fili-Dekor mit weißen und
blauen Bändern verzierter Wandung wurden
vermutlich im südniederländischen Raum
hergestellt.
Als Massenware können die mehrfach erfassten Römer gelten, die ausnahmslos aus
den Ziegelschächten stammen. Häufig waren
die stark zerscherbten Gläser nur anhand der
charakteristischen Nuppenzier und den sog.
gesponnenen Füßen zu identifi zieren. Es kamen aber auch gut erhaltene Exemplare vor,
die noch den Ansatz der rundlichen Kuppa
zeigen. Die Römer wurden in den Niederlanden und vor allem im Spessart sowie im
Weserbergland hergestellt. Aus den Befunden 13 und 33 stammen auch viele Flaschenbruchstücke. Zu den Multifunktionsgefäßen
gehören Fragmente von sog. birnenförmigen
Flaschen. Diese großvolumigen, sehr dünnwandig geblasenen Flaschen besitzen eine
Rippenverzierung und eine eingestülpte
Fußform und sind damit als Tafelfl aschen
anzusehen. Als reine Verwahrgefäße gelten
mehrere geborgene Vierkantfl aschen.
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lastungsbogen aus Backsteinen erfasst, der
ebenfalls auf einen massiven Backsteinbau
hindeutet. Aufgrund der großfl ächigen rezenten Störungen sind die Ausmaße beider
Backsteinbauten nicht mehr zu erschließen.
Phase 6 (20. Jh.)
Im 20. Jh. wurde dann auf der Parzelle großfl ächig ein Gebäudekomplex errichtet, von
dem sich Fundament- und Mauerwerksreste
fanden.
Zusammenfassung
Phase 5 (18./19 Jh.)
Angesichts der bisher vorausgesetzten historischen Situation Husums im 17. Jh. überraschen die teilweise sehr reichhaltigen,
qualitätvollen und sicher auch teuren
Fundkomplexe der zweiten Hälfte des 17. Jh.
Husum bekam zwar noch 1602 das Stadtrecht
verliehen, doch die Gründung der benachbarten Stadt Friedrichstadt im Jahre 1621 und
vor allem die Burhardiflut des Jahres 1634,
die der Stadt das wirtschaftliche Hinterland
entzogen hatte, sorgten für den langfristigen
ökonomischen Niedergang.
In Phase 5 entstanden drei größere Materialentnahmegruben und Punktfundamente,
die auf einen großen Ziegelbau hindeuten.
Darüber hinaus wurde im Bereich der Parzellengrenze ein Fundamentrest mit Ent-
Für die Zukunft bleibt abzuwarten, ob sich
nochmals Möglichkeiten bieten, die bislang
gewonnenen Erkenntnisse im näheren Umfeld der Fundstelle zu vervollständigen, zu
erweitern und zu überprüfen.
Metallfunde liegen aus dieser Siedlungsphase in vergleichsweise geringem Umfang vor.
Es handelt sich in erster Linie um Baunägel
und Beschläge. Aus der Verfüllung des Ziegelschachtes Befund 33 sind mehrere scharnierförmige Schließen eines Obergewandes
hervorzuheben.
[ 9 ] Norditalische Majolika aus Monteluppo.
Auf dem Hinterhofgrundstück der Großstraße 13 im Husumer Stadtgebiet konnten im
Rahmen einer Notgrabung auf einer Fläche
von 870 m² 45 archäologisch relevante Befunde untersucht werden. Aufgrund der Untersuchungsergebnisse und des Fundmaterials
sind sechs verschiedene Siedlungsphasen zu
unterscheiden, die sich vom 14./15. Jh. bis in
das 20 Jh. erstrecken. Die in Husum geborgenen, teils sehr umfangreichen Fundkomplexe
gelten in ihrer Zusammensetzung als bislang
einzigartig für den nordfriesischen Raum, vor
allem die Funde des 16. und 17 Jh. Herauszustellen sind vor allem die reichhaltigen keramischen und gläsernen Importe.
[ 10 ] Holländische Majolika.
fotografien © Museum für Archäologie
Schloss Gottorf, Landesmuseen Schleswig-Holstein
Archäologische Nachrichten 2018 | Kleine Grabung – große Funde
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Archäologische Nachrichten 2018 | Kleine Grabung – große Funde
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[ 12 ] Übersicht über die Grabungsfläche mit Sodenbrunnen.
fotografie © ALSH
literatur
J. G. Hurst et al‚ Pottery produced and traded in
north-west europe 1350 – 1650 (Rotterdam 1986).
H. J. Kühn‚ Ein Hausrest des 15. Jh. in der Husumer
Süderstraße. In: Archäologische Nachrichten aus
Schleswig-Holstein 12, 2001, 145 – 159.
[ 11 ] Flügelglas nach venezianischem Vorbild.
fotografien Linda Hermannsen, © ALSH
A. Martens‚ Porzellan, Fayence, Majolika. Konsum
chinesischer, mediterraner und niederländischer
Keramik in den Hansestädten Hamburg und Lüneburg im 16./17. Jh. (Diss. Univ. Kiel 2011).
R. Mulsow‚ Von der mittelalterlichen Universitas
zur reformierten humanistischen Hochschule.
Archäologische Funde des späten 16. Jahrhunderts
aus der Blütezeit der Rostocker Universität. Mittl.
Gesell. Arch. Mittelalter.18, 2007, 59 – 70.
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A. Panten‚ Von der Reformation bis zur Erteilung
des Stadtrechts (1527 – 1603). In: Gesellschaft für
Husumer Stadtgeschichte (Hrsg.), Geschichte Husums. Von den Anfängen bis zur Gegenwart (Husum 2003) 49 – 76.
H. G. Stephan‚ Großalmerode. Ein europäisches
Zentrum der Herstellung von technischer Keramik. Die Geschichte der keramischen Gewerbe in
Großalmerode und Epterode und Entwicklung ihrer
Produktion vom 12. bis zum 19. Jahrhundert (Großalmerode 1995).
P. Steppuhn‚ Die Glasfunde des 11. bis 17. Jh. aus
Schleswig. Ausgrabungen in Schleswig. Berichte
und Studien 16 (Schleswig 2002).
F. Witte‚ Bemalte Teller im Garten. Eine Töpferei
der Renaissance in Husum (Husum 2014).
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