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»Playing with a jigsaw puzzle.« Citizen Kane als technischer Film

2017, Orson Welles' Citizen Kane und die Filmtheorie

Technikgeschichte NUR VORSCHAU in Oliver Jahraus und Tanja Prokic (Hg.), Orson Welles' Citizen Kane und die Filmtheorie, Stuttgart: Reclam 2017 »Playing with a jigsaw puzzle.« – Citizen Kane als technischer Film Von Birk Weiberg Wenn alljährlich in Los Angeles die Oscars vergeben werden, ist das bereits die zweite Preisverleihung, die die Academy of Motion Picture Arts and Sciences in jedem Jahr veranstaltet. Die erste findet in der Regel zwei Wochen vorher und nicht als aufwendige TV-Show statt. Die Verleihung der Scientific & Technical Awards muss man sich dabei als durchaus elegante, aber fast schon private Veranstaltung mit vorwiegend männlichen Preisträgern vorstellen, die lange Zeit ausschließlich von Schauspielerinnen wie Scarlett Johansson oder Milla Jovovich moderiert wurde, um ihr ein wenig mehr Glamour zu verleihen. Das Verhältnis dieser beiden Veranstaltungen, bei denen die US-amerikanische Filmindustrie sich über Exzellenzzuschreibungen selbst definiert, ist in mehrfacher Hinsicht symptomatisch für die Position, die Technik im Kino einnimmt. Es besteht offensichtlich ein Konsens darüber, dass sie zwar grundlegend ist, aber gleichzeitig wenig zur Außendarstellung taugt. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass sich Diskurse über Werke und Personen, wie sie bei den großen Galas gepflegt werden, schwer mit solchen über technische Errungenschaften verbinden lassen, die oft in Teams über längere Zeiträume entstehen und einzelnen Filmen, häufig nicht eindeutig zugeordnet werden können. Es scheint fast so, als könne ein Film nicht gleichzeitig Kunst und Technik sein. Der Graben, den es hier zu überwinden gilt, ist jener zwischen Geistes- und Naturwissenschaften. Wie Technikgeschichte 317 Benoît Turquety festgestellt hat, hat die Filmgeschichtsschreibung hier in den späten 1920er Jahren die Seiten gewechselt. Bis dahin wurde die Geschichte des Mediums als eine seiner technischen Fortschritte beschrieben. Die so entstandenen Narrative wurden jedoch binnen eines Jahrzehnts abgelöst von einer Historiografie, die sich an der Kunstgeschichte orientierte und die Meisterwerke, einen Kanon wichtiger Regisseure sowie nationale Stilgeschichten präsentierte. Dieser grundsätzliche Wechsel ist auch insofern bedauerlich, als der Filmgeschichtsschreibung dadurch entging, wie sich in den 1930er Technikgeschichte als eigenständige, wissenschaftliche Disziplin zu konstituieren begann.1 Das hat zur Folge gehabt, dass sich für die Analyse technischer Aspekte einzelner Filme bis heute keine allgemein anerkannte Methode entwickeln konnte. Im Folgenden wird daher zunächst der Technik-Diskurs über Citizen Kane seit seiner Entstehung nachgezeichnet. In einem zweiten Schritt soll aufgezeigt werden, wie eine Untersuchung der technischen Mittel und ein Bezug zur allgemeinen Technikgeschichte des Films alternativ aussehen könnte. Technik als Stilmittel Orson Welles’ erster Film ist von Anfang an stark über seine ›Technik‹ rezipiert worden, wie bereits der Titel von André Bazins einflussreichem Artikel »Die Technik von Citizen Kane« 1 Turquety (2014). Diese Entwicklung ist von der Filmwissenschaft nie systematisch rezipiert worden. Technikhistoriografie wurde statt dessen nur anhand jener Beispiele vor der ›humanistischen Wende‹ als eine wahlweise liebhaberische oder geschäftliche Tätigkeit betrachtet, in der etwa im Falle von Robert Graus The Theatre of Science (1914) lobende Erwähnungen nicht nach Relevanz vergeben, sondern schlichtweg verkauft wurden, siehe Belton (1998), S. 228. 318 Birk Weiberg