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Asatrian, Garnik S. / Arakelova, Victoria (2014) The Religion of the Peacock Angel. The Yezidis and their Spirit World

Iran späten Sowjetzeit beschäftigt. Als schwierig erweist sich dabei, dass die Eigenangaben in den Zensuserhebungen die Unterscheidung zwischen „Central Asian Jews“ und „Jews“ oft nicht klar durchgehalten wurde. Dies ist ein Motiv, das sich durchgängig durch viele Beiträge zieht: die teils reale, teils imaginierte Trennung zwischen russischen Aschkenasim und den tadschikischen Juden Bucharas. Zu den gelungendsten Artikeln gehört die Aufzeichnung von Lebenswegen bucharischer Juden außerhalb der Sowjetunion, vor allem in den 1930er und 1940er Jahren, wie sie Sara Koplik schildert. Die dramatische Situation von jüdischen Flüchtlingen aus Zentralasien in Afghanistan wird anhand von britischem Archivmaterial dargestellt; ihre späteren Fluchtwege über Indien nach Palästina anhand von Unterlagen aus den Central Zionist Archives (Jerusalem). Die Versuche bucharischer Juden mit oft gefälschten afghanischen Pässen in anderen Ländern Zuflucht zu finden, waren zum Teil erfolgreich. Eine faszinierende Detailgeschichte zeigt, wie es einer Gruppe in Frankreich gelang, als „Jugutis“ (angeblich arische Tadschiken, die judaischen Riten folgten) der Verfolgung zu entkommen. Der folgende, sehr knappe Beitrag von Albert Kaganovich, vermittelt einen faktenorientierten Überblick zu den wichtigsten Diasporagemeinden bucharischer Juden in Israel, Europa und den USA. Vier von Umfang und Ausrichtung sehr unterschiedliche, aber höchst anregende Kapitel sind dem Bereich von Erinnerungsliteratur und Oral History gewidmet. Sie untersuchen zurückblickend die Wahrnehmung vor allem der Sowjetzeit und einzelne Biographien. Ingeborg Baldauf überzeugt mit ihrer analytischen Lektüre der 1990/91 erschienenen gulag-Memoiren von Shukrulloh Aka; ergänzt durch Interviews, die sie mit dem Verfasser führen konnte. Zwei Beiträge von Thomas Loy schließen sich direkt an. Der erste beschäftigt sich mit dem Autor und Dichter Mordekhay Bachayev (1911–2007) und seinen Prosamemoiren, die unter dem Titel Dar juvoli Sangin erschienen. Eine faszinierende Lebensgeschichte, die von seiner frühen journalistischen und dichterischen Tätigkeit in den späten 20ern und frühen 30er Jahren über seine Verbannung und Inhaftierung bis zu seinem Weg ins Exil 1973 reicht. Schon die Frage allerdings, ob man bei der Übersiedlung nach Israel von Exil sprechen kann, zeigt welche Widersprüche hier entstehen. Ein ganz anderer Lebenslauf wird mit der Narrative von Abrasha Arkadi vorgestellt, den Thomas Loy in Samarkand interviewen konnte. Sehr anschaulich wird die unterschiedliche Erwartungshaltung der Gesprächspartner vermittelt. Während der Interviewer dem Leben und den Erinnerungen Arkadis als bucharischer Jude in der Sowjetzeit nachspüren möchte, geht es letzterem um seine Familiengeschichte, die bis zu den Zwangskonver- 81 sionen in Maschhad des Jahre 1839 zurückreicht. Es ist dem Zuhörer und Zeugen dieser Erzählung hoch anzurechnen, dass er die Präferenzen seines Gewährsmannes akzeptiert, der scharf zwischen den verschiedenen Sphären eines aus seiner Sicht gewöhnlichen sowjetischen Lebens und eines tief in der familiären Vergangenheit wurzelnden jüdischen Lebens trennt. Mit dieser Erzählung wird darüber hinaus dem gesamten Band eine weitere Dimension hinzugefügt: die Geschichte der jüdischen „Eroni“ in Zentralasien. Ein weiteres, allerdings deutlich kürzeres Interview mit einer älteren bucharisch-jüdischen Frau aus der Nähe von Tel Aviv stammt von Yochai Primak. Auch die technische Qualität des Bandes ist hoch und macht die Lektüre sehr angenehm: gutes Papier, klarer Druck, feste Bindung, eine detailreiche Karte und viele Abbildungen, dazu am Ende eine übersichtliche Gesamtbibliographie und ein Index. Dies hebt ihn von vielen schnell produzierten Tagungsbänden deutlich ab. Besonders hilfreich und erwähnenswert sind die sorgsam in Originalschrift wiedergegebenen Zitate in judeo-bucharischem Tadschikisch. Seit dem Erscheinen dieses Sammelbandes sind weitere wichtige Arbeiten veröffentlicht worden, vor allem die Monographie von Alanna E. Cooper, Bukharan Jews and the Dynamics of Global Judaism (Bloomington 2012), die mit dem eingangs erwähnten Beitrag im vorliegenden Band prominent vertreten ist. Auch wenn einige Beiträge methodisch und inhaltlich besser gelungen sind als andere, handelt es sich um einen insgesamt ganz hervorragenden und höchst spannenden, anregenden und empfehlenswerten Band. Mit seinen Fragestellungen weist er weit voraus – für die Untersuchung von bucharischen Juden im 20. Jahrhundert sowie beispielhaft für viele andere Diasporagemeinschaften, die rasantem kulturellem Wandel unterworfen sind. Asatrian, Garnik S. / Arakelova, Victoria: “The Religion of the Peacock Angel”. The Yezidis and their Spirit World. Durham: Acumen Publishing Limited 2014. 157 S. Kart. ISBN 978-1-84465-761-2. Besprochen von Matthias Weinreich: Berlin/Deutschland, E-Mail: mweinreich@outlook.com DOI 10.1515/olzg-2017-0026 Das vor allem im kurdischen Siedlungsgebiet beheimatete Jesidentum zählt fast schon traditionell zu den am meisten missverstandenen Religionssystemen Vorderasiens. Die einen sehen in seinen Anhängern den Teufel anbetende Häretiker, die es physisch zu vernichten gelte, die anderen 82 Iran verklären die Jesiden zu Kryptozoroastriern, denen es auf wundersame Weise gelungen sei, Teile ihres alten, reinen Glaubens in neuem Gewand zu bewahren. Auf der Suche nach der zwischen diesen beiden Extremen oft nur noch schwach durchschimmernden Realität wenden sich die Autoren des Buches der Beschreibung und Interpretation der jesidischen Geisterwelt zu. G. Asatrian und V. Arakelova, ausgewiesene Experten auf diesem Gebiet, stützen sich dabei vor allem auf im Ergebnis eigener langjähriger Feldforschung zusammengetragene orale Texte, tradiert von in Armenien, Georgien, Russland und der Türkei angesiedelten Jesiden. Die ausgezeichnet recherchierte und anschaulich dargelegte Studie beschäftigt sich im Detail mit allen in der jesidischen Tradition vertretenen anbetungswürdigen Wesen, angefangen bei Gott (xwadē), dem Einen und Einzigen (S. 1–7), über dessen Inkarnationen Malak-Tāwūs, Sheikh ʻAdi und Sultan Yezid (Kapitel 1–3) und untergeordnete Schutzgottheiten bzw. Heilige (Kapitel 4) bis hin zu Naturerscheinungen und Himmelskörpern (Kapitel 5). Jede einzelne Darstellung, zusammengefasst in übersichtlichen Abschnitten, enthält neben einer ausführlichen Funktionsanalyse des entsprechenden Protagonisten auch Verweise auf dessen Stellung innerhalb der göttlichen Hierarchie sowie Querverbindungen zu anderen geistigen Wesen. Darüber hinaus erlaubt uns die Bestrebung der Autoren, die Herkunft jeder einzelnen Figur im vorderasiatischen Kulturmilieu zu verorten, einen umfassenden Einblick in die komplexen Ursprünge der jesidischen religiösen Tradition. Der Herausbildung und Entwicklungsgeschichte des jesidischen Synkretismus, welcher sich Asatrian und Arakelova zufolge vor allem auf heterodox-schiitisches und gnostisches Gedankengut stützt, ist dann folgerichtig auch das sechste und letzte Kapitel des Buches gewidmet. Eine ausführliche Bibliographie und ein hilfreiches Sachregister beschließen das hervorragend edierte Werk. Im Hinblick auf die Vielschichtigkeit der ihnen vorliegenden, über Jahrhunderte von Mund zu Mund weitergegebenen religiösen Texte, bemühen sich die Autoren um eine präzise Interpretation problematischer Passagen und (oftmals entstellter) Jezidismus-spezifischer Begriffe. Dabei bedienen sie sich der altbewährten historisch-vergleichenden Methode, die angewandt auf archaische, nur noch bei den armenischen Jesiden anzutreffende Über- lieferungsbruchstücke zu neuen, interessanten Einsichten verhilft. So enthält der Pīrā-Fāt gewidmete Abschnitt (S. 72–76) eine bisher nicht beachtete Variante des jesidischen Schöpfungsmythos. Während die heute dominierende Tradition den Ursprung der Glaubensgemeinschaft auf Adam und Eva zurückführt, erzählt die alternative, vermutlich auf iranische Vorbilder aufbauende rekonstruierte Version von der Bewahrung und späteren Verbreitung des Samens der Jesiden durch deren Urmutter Pīrā-Fāt. Eine weitere bemerkenswerte Entdeckung stellen die von den Autoren in der zeitgenössischen armenischjesidischen Praxis nachgewiesenen Spuren der Verehrung einer phallischen Gottheit dar (S. 83). Derartige Kulte sind zwar für andere Religionen bezeugt, stehen im heutigen neuiranischen Kulturraum jedoch vollkommen isoliert. Hilfreich für das Verständnis der Verankerung des Jesidentums im regionalen Umfeld ist darüber hinaus auch die Analyse religiöser Rituale. In diesem Zusammenhang sei nur kurz auf das traditionelle Verpaaren der Schafe (S. 84– 85) hingewiesen, eine feierliche Handlung, welche von den Autoren mit ähnlichen Traditionen im Alten Iran und im Antiken Armenien verglichen wird. Im Buch leider nur am Rande erwähnt wird die Welt der bösen Geister. So taucht zum Beispiel die wohlbekannte, allgemein gefürchtete Az, Todfeindin der Gebärenden und Neugeborenen, einzig im Kontext der vor ihr schützenden Wesen Xatūnā-farxā und Pīrā-Fāt auf. Desgleichen beschränkt sich die (zudem auch meist nur skizzenhafte) Darstellung religiöser Feste auf die Abschnitte, die den mit diesen Feierlichkeiten in Verbindung stehenden Gottheiten gewidmet sind. Obwohl eine ausführlichere Beschreibung und Analyse beider Themenkomplexe durchaus wünschenswert gewesen wäre, schmälert ihre Abwesenheit jedoch keinesfalls die Bedeutung des Werkes. G. S. Asatrians und V. Arakelovas Buch ist ein wertvoller, zeitgerechter und liebevoll präsentierter Beitrag zur Kenntnis des Jesidentums. Es gestattet einen detaillierten Einblick in die geistige Welt dieser so oft verkannten Glaubensgemeinschaft, es fördert unser Wissen um den Ursprung und die zeitgenössischen Ausprägungen ihrer Religion, und es vermittelt uns die Jesiden und ihren Glauben als integralen Bestandteil der vielfarbigen, faszinierenden religiösen Landschaft Vorderasiens.