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Der Blick auf (un)sichtbare Formen von Gewalt in Friedensprozessen am Beispiel einer Intersektionalitätsstudie zu DDR in Kolumbien

In diesem Konferenzpapier stelle ich meine Masterarbeit „Obstacles to Sustainable DDR in Colombia from an Intersectional Perspective“ vor, um am Fallbeispiel einige unsichtbare aber zentrale Formen der Gewalt in Friedensprozessen und der Friedensforschung aufzuzeigen. Anhand der Studie verdeutliche ich die Bedeutung von Intersektionalität für Gewaltkonflikte, die Bedeutung des kritischen Studiums sozialer Ungleichheiten in der Friedens- und Konfliktforschung und die Bedeutung der gerechten Teilhabe in Forschung und Praxis. Schließlich stelle ich die zentrale Frage, wie Empowerment möglich ist, wenn die Menschen, die unsichtbare Gewalt sichtbar machen können, selbst durch Machtsysteme sozialer Ungleichheiten benachteiligt sind, und wiederum Menschen an der gesellschaftlichen Spitze diese Formen der Gewalt nicht sehen bzw. unsichtbar machen. Meine Masterarbeit bedient sich der Methoden post-positivistischer Forschung und problematisiert die Unsichtbarkeit des Zusammenspiels multipler Benachteiligungen entsprechend Klasse, Gender und Ethnizität als den zentralen Kategorien der Intersektionalitätsforschung laut Ait Belkhir und McNair Barnett (2001) in kolumbianischen Demobilisierungsprozessen im 21. Jahrhundert. In der Analyse betrachte ich die Schwächen der Demobilisierungsprozesse in Kolumbien zunächst auf der Mikro-Ebene der Erfahrungen von Ex-Kombattant_innen und anschließend auf der Makro-Ebene der Exklusionsdynamiken im Policy-Making, im gesellschaftlichen Umfeld und auf lokaler Ebene. Ich führe dazu interdisziplinäre Forschungsergebnisse der letzten 25 Jahre zusammen, die die Probleme meist isoliert von einem oder zwei der drei Blickwinkel betrachten. Meine Studie argumentiert, dass die Politik der Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration (Engl.: Disarmament, Demobilisation and Reintegration - DDR) von Ex-Kombattant_innen von einem staatszentrierten Sicherheitsbegriff ausgeht, dabei wesentliche Formen von Diskriminierung ignoriert und somit einen sozial gerechten Frieden behindert. Sie zeigt, dass die physische Gewalt im Rahmen des bewaffneten Konfliktes und organisierter Kriminalität in Kolumbien untrennbar mit struktureller Gewalt in Form von Marginalisierung bestimmter sozialer Gruppen verknüpft ist, jedoch weitestgehend übersehen wird und somit andauert. Damit die zugrunde liegenden Konflikte aufgedeckt und transformiert werden, fordere ich, die durch Klasse, Gender und Ethnizität u.v.m. konstituierten (Un)sicherheiten in den Vordergrund von Friedensforschung und -Praxis zu stellen und in diesem Sinn die Partizipation von Menschen zu ermöglichen, die unterschiedliche Formen der Diskriminierung erfahren. Ich frage mich, wie dies praktisch möglich ist, d.h. mit welchen Methoden es gelingen kann, bestehende ungerechte Machtsysteme in Wissenschaft und Politik offen zu legen und zu transformieren, sodass unterschiedliche Formen der Gewalt tatsächlich beendet werden und alle Menschen gleiche Rechte ausüben können.

Konferenzpapier für die 4. Konferenz junger Wissenschaftler_innen der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) vom 2. bis 3. März 2016 in Bonn: „Making the Invisible Visible“: (Un)sichtbarkeit im Konflikt und (un)sichtbare Konflikte. Aktualisierte Version vom 03.03.2016 Der Blick auf (un)sichtbare Formen von Gewalt in Friedensprozessen am Beispiel einer Intersektionalitätsstudie zu DDR in Kolumbien. - Maren Haase - Maren Haase war DAAD-Stipendiatin an der Division of Peace Studies der University of Bradford im Akademischen Jahr 2014/15 und graduierte mit Auszeichnung im Studiengang MA Conflict Resolution. Dieser Konferenzbeitrag basiert auf ihrer Masterarbeit, die sie hier im Licht des Konferenzthemas betrachtet und für dieses Papier in Auszügen übersetzt und auf Deutsch zitiert hat: Haase, Maren (2015): Obstacles to Sustainable DDR in Colombia from an Intersectional Perspective. University of Bradford: MA Dissertation im Master Conflict Resolution; Sept. 2015. URL: https://brad.academia.edu/MarenHaase Konferenzpapier für die 4. Konferenz junger Wissenschaftler_innen der AFK, 02.-03.03.16 Maren Haase (2016): Der Blick auf (un)sichtbare Formen von Gewalt in Friedensprozessen am Beispiel einer Intersektionalitätsstudie zu DDR in Kolumbien. Abstract In diesem Konferenzpapier stelle ich meine Masterarbeit „Obstacles to Sustainable DDR in Colombia from an Intersectional Perspective“ vor, um am Fallbeispiel einige unsichtbare aber zentrale Formen der Gewalt in Friedensprozessen und der Friedensforschung aufzuzeigen. Anhand der Studie verdeutliche ich die Bedeutung von Intersektionalität für Gewaltkonflikte, die Bedeutung des kritischen Studiums sozialer Ungleichheiten in der Friedens- und Konfliktforschung und die Bedeutung der gerechten Teilhabe in Forschung und Praxis. Schließlich stelle ich die zentrale Frage, wie Empowerment möglich ist, wenn die Menschen, die unsichtbare Gewalt sichtbar machen können, selbst durch Machtsysteme sozialer Ungleichheiten benachteiligt sind, und wiederum Menschen an der gesellschaftlichen Spitze diese Formen der Gewalt nicht sehen bzw. unsichtbar machen. Meine Masterarbeit bedient sich der Methoden post-positivistischer Forschung und problematisiert die Unsichtbarkeit des Zusammenspiels multipler Benachteiligungen entsprechend Klasse, Gender und Ethnizität als den zentralen Kategorien der Intersektionalitätsforschung laut Ait Belkhir und McNair Barnett (2001) in kolumbianischen Demobilisierungsprozessen im 21. Jahrhundert. In der Analyse betrachte ich die Schwächen der Demobilisierungsprozesse in Kolumbien zunächst auf der Mikro-Ebene der Erfahrungen von Ex-Kombattant_innen und anschließend auf der Makro-Ebene der Exklusionsdynamiken im Policy-Making, im gesellschaftlichen Umfeld und auf lokaler Ebene. Ich führe dazu interdisziplinäre Forschungsergebnisse der letzten 25 Jahre zusammen, die die Probleme meist isoliert von einem oder zwei der drei Blickwinkel betrachten. Meine Studie argumentiert, dass die Politik der Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration (Engl.: Disarmament, Demobilisation and Reintegration - DDR) von Ex-Kombattant_innen von einem staatszentrierten Sicherheitsbegriff ausgeht, dabei wesentliche Formen von Diskriminierung ignoriert und somit einen sozial gerechten Frieden behindert. Sie zeigt, dass die physische Gewalt im Rahmen des bewaffneten Konfliktes und organisierter Kriminalität in Kolumbien untrennbar mit struktureller Gewalt in Form von Marginalisierung bestimmter sozialer Gruppen verknüpft ist, jedoch weitestgehend übersehen wird und somit andauert. Damit die zugrunde liegenden Konflikte aufgedeckt und transformiert werden, fordere ich, die durch Klasse, Gender und Ethnizität u.v.m. konstituierten (Un)sicherheiten in den Vordergrund von Friedensforschung und -Praxis zu stellen und in diesem Sinn die Partizipation von Menschen zu ermöglichen, die unterschiedliche Formen der Diskriminierung erfahren. Ich frage mich, wie dies praktisch möglich ist, d.h. mit welchen Methoden es gelingen kann, bestehende ungerechte Machtsysteme in Wissenschaft und Politik offen zu legen und zu transformieren, sodass unterschiedliche Formen der Gewalt tatsächlich beendet werden und alle Menschen gleiche Rechte ausüben können. Schlüsselwörter: Intersektionalität; Soziale Ungleichheiten; Klasse, Gender, Ethnizität; Friedensbildung; Konflikttransformation; Kolumbien; DDR; Kritische Friedens- und Konfliktforschung. Inhalt 1. Das Forschungsvorhaben der Masterarbeit 3 2. Der Forschungsansatz der Masterarbeit 5 3. Die Forschungsergebnisse der Masterarbeit 7 3.1. Hindernisse für nachhaltige DDR in Kolumbien aus der Intersektionalitätsperspektive 7 3.2. Empfehlungen für Forschung und Praxis auf Basis der Intersektionalitätsstudie 9 4. Zentrale Probleme, Ziele und Fragen im Anschluss an die Masterarbeit 10 5. Infobox zu DDR in Kolumbien 11 6. Bibliographie 12 2 Konferenzpapier für die 4. Konferenz junger Wissenschaftler_innen der AFK, 02.-03.03.16 Maren Haase (2016): Der Blick auf (un)sichtbare Formen von Gewalt in Friedensprozessen am Beispiel einer Intersektionalitätsstudie zu DDR in Kolumbien. 1. Das Forschungsvorhaben der Masterarbeit Meine Masterarbeit „Obstacles to Sustainable DDR in Colombia from an Intersectional Perspective“ fragt nach den Schwächen der Demobilisierungsprozesse in Kolumbien, die aus der Unsichtbarmachung von Klasse-, Gender- und Ethnizitätsaspekten im Policy-making resultieren und sich in einem komplexen Zusammenspiel in den Erfahrungen besonders marginalisierter sozialer Gruppen ausdrücken. Ziel ist die Vermehrung unseres Wissens über Intersektionalität in der Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration (Engl.: Disarmament, Demobilisation & Reintegration - DDR) in einem der weltweit längsten nicht-internationalen bewaffneten Konflikte in einem Land, das selbst umfangreiche DDR-Prozesse durchgeführt hat und ausgeprägte soziale Ungleichheiten aufweist. (Haase 2015:5). Die Arbeit will unsichtbare Formen der Gewalt in diesem Friedensprozess im konkreten Bezug zu DDR sichtbar machen, kritisiert dabei staatszentrierte Sichtweisen auf Sicherheit, die bisher die kolumbianische Friedenspolitik dominiert haben, und ruft nach einem Paradigmenwandel, der der zentralen Bedeutung sozialer Gerechtigkeit für die Transformation gewaltsamer Konflikte gerecht wird. (Ib:6). Während des jahrzehntelangen bewaffneten Konfliktes in Kolumbien haben verschiedene Demobilisierungsprozesse stattgefunden, in deren Folge die Gewaltstatistiken teilw. kurzzeitig sanken, aber dennoch auf einem hohen Niveau blieben. Zwar hat die kollektive Demobilisierung der Paramilitärs und individueller Guerilla-Mitglieder offiziell effektiv stattgefunden, jedoch bestehen ernsthafte Sicherheitsprobleme der Kolumbianer_innen während der Übergangsperiode weiter fort. (Ib:1). Zum einen haben sich auf der Basis bestehender Netzwerke alte und neue bewaffnete Gruppen (re)formiert, zum anderen bestehen im Land weiterhin massive soziale Ungleichheiten zwischen prekären Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheit und der Macht einer privilegierten Elite. Dabei waren sozial marginalisierte Gruppen, die für alle bewaffneten Gruppen primäre Rekrutierungs- und Angriffsziele sind, nicht in formalen Friedensprozessen repräsentiert. (Ib:1). Sollten die aktuell weit fortgeschrittenen Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und den FARC-Rebell_innen1 mit einem Friedensabkommen enden, wird sich daran ein weiterer DDR-Prozess anschließen, wobei die lessons learned Anwendung finden sollten. 1 Derzeit geht es bei den Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und den Vertreter_innen der FARC um den letzten offenen Punkt der Implementierung eines Abkommens, darunter Fragen zur Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration der FARC-Rebell_innen. Im Dezember 2015 erzielten die Verhandlungsparteien eine Einigung in Bezug auf den besonders konfliktiven Aspekt der Übergangsjustiz und der Frage der Rechte der Opfer (BBC 2015). Im Januar 2016 beantwortete der UNSicherheitsrat die Anfrage der Verhandlungsführer_innen beider Parteien nach einer unbewaffneten UNMission zur Überwachung eines Waffenstillstandes im Land positiv (BBC 2016). Die Umsetzung der Maßnahmen hängt vom Abschluss eines endgütligen Abkommens ab, wobei es zum aktuellen Zeitpunkt nicht klar ist, bis wann dies erreicht sein kann oder wird. 3 Konferenzpapier für die 4. Konferenz junger Wissenschaftler_innen der AFK, 02.-03.03.16 Maren Haase (2016): Der Blick auf (un)sichtbare Formen von Gewalt in Friedensprozessen am Beispiel einer Intersektionalitätsstudie zu DDR in Kolumbien. Von DDR wird üblicherweise ein erfolgreicher Umgang mit derartigen Sicherheitsproblemen während der Transition erwartet (UN 2015). Nachhaltige DDR zerschlägt militärische Organisationen, die die Sicherheit des Staates und der Bürger_innen bedrohen, und integriert ExKombattant_innen langfristig in das zivile Leben (UN 2006 in Kaplan, Nussio 2014:5; Morgenstein 2008:6). Da DDR in einen politischen Verhandlungsprozess eingebettet ist, werden die Programme stets unterschiedlich gestaltet und umgesetzt und zeigen in unterschiedlichem Maße friedensfördernde Wirkungen. So hängt das Maß des Erfolges auch von der allgemeinen politischen Entwicklung und der gesellschaftlichen Partizipation daran ab. (Meltzer 2004; UNDDR 2014). Idealerweise beteiligt der Prozess alle Konfliktparteien, die Zivilgesellschaft und die internationale Gemeinschaft, bringt statt autoritärer militärischer Maßnahmen dauerhafte politische Konfliktlösungen hervor und stärkt dabei bürgerliche Sicherheit und sozioökonomische Entwicklung. (UN 2015). Alltagserfahrungen von Individuen in ihren unterschiedlichen Lebensbereichen stellen oftmals die oberflächlich erscheinende Effektivität von DDR-Maßnahmen in Frage. (Muggah, O‘Donnell 2015:4; Nussio 2013:10; Nussio 2012:369). Auf dieser Ebene drücken sich soziale, politische und wirtschaftliche Exklusion im Leben der Betroffenen aus, die auch das Konfliktgeschehen selbst charakterisieren (Murillo-Urrutia 2007:136). Diese Formen der Gewalt bleiben jedoch meistens in Forschung und Praxis unsichtbar. Critical security studies fordern die im hegemonialen Diskurs etablierten Paradigmen von Frieden und Sicherheit heraus, decken Machtsysteme auf, die nachhaltigen Frieden behinden und konzentrieren sich dafür häufig auf die Erfahrungen sozial marginalisierter Personen(-Gruppen). (Haase 2015:3). Meine Masterarbeit beruht auf post-positivistischen Methoden, führt Forschungsergebnisse zur Rolle von Klasse, Gender und Ethnizität im kolumbianischen Friedensprozess auf Basis qualitativer und quantitativer Studien der letzten 25 Jahre zusammen und geht den wenig sichtbaren Formen von Gewalt in der kolumbianischen Transition auf den Grund. Sie bezieht sich auf Sekundärquellen und wendet Konzepte kritischer Theorien der Internationalen Beziehungen für die qualitative Fallstudie an. (Ib:3). Der wichtigste wissenschaftliche Beitrag der Arbeit ist die Darstellung der Bedeutung sozialer Ungleichheiten für peacebuilding-Prozesse. Dies geschieht anhand der Intersektionalitätsanalyse von Klasse, Gender und Ethnizität in kolumbianischen Demobilisierungsprozessen im 21. Jahrhundert, wobei die Arbeit sich notwendigerweise auf einige soziale Ungleichheiten und Erfahrungen konzentriert und andere weniger sichtbare übersieht, die in weiterer Forschung inkludiert werden müssen (Ib:5f.). 4 Konferenzpapier für die 4. Konferenz junger Wissenschaftler_innen der AFK, 02.-03.03.16 Maren Haase (2016): Der Blick auf (un)sichtbare Formen von Gewalt in Friedensprozessen am Beispiel einer Intersektionalitätsstudie zu DDR in Kolumbien. 2. Der Forschungsansatz der Masterarbeit Um unsichtbare Formen der Gewalt in jüngsten kolumbianischen Friedensprozessen sichtbar zu machen, war der Intersektionalitätsansatz sehr dienlich, dessen Relevanz für das Thema ich aus theoretischer Sicht wie folgt in meiner Arbeit erläutere: „Als analytisches Instrument dient Intersektionalität dazu, Leben am Rand der Gesellschaft und der Sozialwissenschaften zu studieren, um dadurch die Dynamiken der Entstehung, der Aufrechterhaltung und des Wandels sozialer Hierarchien zu verstehen. Intersektionalität fokussiert das komplexe Zusammenspiel sozialer Organisationsprinzipien wie z.B. Klasse, Gender, Ethnizität, Sexualität, Alter, Behinderung, Konfession, Nationalität usw. in der Entstehung sozialer Ungleichheiten (Ait Belkhir, McNair Barnett 2001:157; Andersson, Summerton 2013:6; Anthias 2012; Winker, Degele 2011). (...) Intersektionalität entstand als neues Paradigma in den 1990ern und integrierte unterschiedliche Strömungen von poststrukturalistischer, marxistischer, feministischer und postkolonialer sowie queerer Forschung (Davis 2011:47; Lutz et al 2011:2). Post-positivistische Forscher_innen verstehen ontologische Kategorien wie Klasse, Geschlecht und Ethnizität als sozial konstruiert und veränderbar. Sie erkennen, dass solche Kategorien zu einem bestimmten Zeitpunkt derart institutionalisiert sind, dass sie die Grundlage dessen bilden, was Menschen als etablierte soziale Hierarchien erleben, während die Verteilung von Macht und die Konstruktion der Kategorien weiterhin verhandelt und transformiert werden (Andersson, Summerton 2013:7; Lutz et al 2011:8; Walby et al 2012:231). Menschen besitzen mehrere verflochtene Teil-Identitäten, die in komplizierter Weise überlappen und das alltägliche Erleben von gleichzeitigen Vor- und Nachteilen prägen (Andersson, Summerton 2013:6; Butler 1990 [2007]:4f.; Choo, Ferree 2010:131; Burgess-Proctor 2006 und Hill-Collins 1990, 2004 in Trahan 2011:2). Daher existiert Ungleichheit unter Menschen innerhalb derselben Klasse, demselben Geschlecht oder derselben ethnischen Gruppe, weil alle unterschiedliche zusätzliche Ebenen der Diskriminierung erfahren (Zack 2007:197 in Davis 2011:45). Forscher_innen untersuchen diese verzahnten Machtmechanismen durch die Perspektive von Menschen, die multiple Formen der Marginalisierung erleben (Cúadraz, Uttal 1999 in Ait Belkhir, McNair Barnett 2001:158). Intersektionalität als kritische Friedens- und Konfliktforschung nutzt daher in erster Linie Klasse, Gender und Ethnizität, um die Relevanz mächtiger Ungleichheitsregime für Themen und Probleme der Disziplin zu beleuchten. Da die Kritik selbst innerhalb konstruierter Kategorien des Denkens und Wissens operiert, wird sie herausgefordert von den Stimmen der Menschen, deren Gewalterfahrungen unsichtbar gemacht wurden, und bedarf daher ständig einer neuen Kritik (Carbado et al 2013:304). Intersektionalität teilt ein poststrukturalistisches Machtverständnis, wobei Macht als Wissensproduktion Menschen bestimmte Denkmuster nahelegt, die schließlich das reale Leben prägen (Foucault 1978 [1980] in Butler 1990 [2007]:32; Tickner 2014:262). Methodologisch bereiten quantitative Modelle der Analyse von sozialen Ungleichheiten Schwierigkeiten, da sich die Zugehörigkeit von Menschen zu demographischen Gruppen per definitionem als vielfach und zusammenhängend darstellt (Trahan 2011:3). Da Intersektionalitätsforschung an den unsichtbaren Realitäten interessiert ist, verlässt sie sich mehr auf qualitative Methoden und 5 Konferenzpapier für die 4. Konferenz junger Wissenschaftler_innen der AFK, 02.-03.03.16 Maren Haase (2016): Der Blick auf (un)sichtbare Formen von Gewalt in Friedensprozessen am Beispiel einer Intersektionalitätsstudie zu DDR in Kolumbien. hinterfragt die Annahmen und Erwartungen der traditionellen Sozialwissenschaften (Ait Belkhir, McNair Barnett 2001:162). Auf der Analysebene findet Intersektionalitätsforschung auf den Ebenen der anti- inter- und intrakategorialen Komplexität statt. In der antikategorialen Analyse studieren Forscher_innen, wie Kategorien wie Klasse, Geschlecht und Ethnizität geprägt werden durch diskursive Praktiken von Selbst- und Fremdabgrenzung, welche menschliches Verhalten beeinflussen und schließlich in der Performanz, Erfahrung und Interpretation von Ungleichheit resultieren (Andersson, Summerton 2013; Anthias 2012; Butler 1990 [2007]; Winker, Degele 2011). Inter- und intrakategoriale Analysen beschäftigen sich weniger mit der (De-)Konstruktion von Kategorien als damit, diese strategisch nutzbar zu machen (Winker, Degele 2011:53). Dadurch analysieren sie Dominanz innerhalb und entlang der Kategorien von Klasse, Geschlecht und Ethnizität innerhalb konkreter Lebensbereiche und Kontexte (Anthias 2012). Auf dieser Ebene sind Forscher_innen sehr interessiert an der Perspektive von Insider_innen sozial marginalisierter Gruppen und kontrastieren diese mit dem Blick von Outsider_innen, die nicht dieselben Erfahrungen teilen können (Young 2005). Klasse-, Gender- und Ethnizitätsspezifische Systeme der Dominanz müssen korrekt verstanden und schließlich transformiert werden, um sowohl dem positiven als auch dem negativen Frieden näher zu kommen. Gewiss sind „Formen der Kategorisierung implizit mit Ideen über (...) Macht verknüpft und deshalb ist der Umgang mit Sprache zur Bezeichnung von Unterschieden intrinsisch politisch.“ (Spencer 2014:64; Übersetzung der Verfasserin).“ (Haase 2015:8-11; sinngemäße Übersetzung der Verfasserin) In meiner Masterarbeit frage ich nach den Hindernissen für nachhaltige DDR im 21. Jahrhundert in Kolumbien durch eine integrierte Betrachtung von Klasse, Gender und Ethnizität. Dazu betrachte ich Benachteiligungen, die für die einzelnen Kategorien spezifisch sind, und betrachte sie auch im Verhältnis der verschiedenen Kategorien zueinander. So möchte ich das Zusammenspiel unterschiedlicher Formen der Gewalt in der Organisation sozialen Lebens verstehen. (Ib:18f.). Formal nähere ich mich zunächst der Geschichte von DDR in Kolumbien aus der Intersektionalitätsperspektive und erarbeite dann die Klasse-, Gender- und Ethnizität-spezifischen Ungleichheiten bei den DDR-Prozessen - erstens im Hinblick auf die Lebensrealitäten von ExKombattant_innen und zweitens im Hinblick auf Gesellschaft, Policy-making und Partizipation. Dabei bin ich interessiert an den praktischen Machtmechanismen, die entlang sozialer Stratifikation in der kolumbianischen DDR-Politik operiert haben. (Ib:19). In der Analyse bediene ich mich der Kategorien „nicht, um Ungleichheiten als natürlich darzustellen, sondern um sie zu problematisieren. Ich argumentiere, dass Forschung, die die Sprache von Klasse, Gender und Ethnizität vermeidet, im Grunde bestimmte Formen der Dominanz nicht benennt und damit Hindernisse für Emanzipation und Friedensbildung schafft.“ (Ib:11; sinngem. Übers. der Verfass.). 6 Konferenzpapier für die 4. Konferenz junger Wissenschaftler_innen der AFK, 02.-03.03.16 Maren Haase (2016): Der Blick auf (un)sichtbare Formen von Gewalt in Friedensprozessen am Beispiel einer Intersektionalitätsstudie zu DDR in Kolumbien. Die Studie konnte eng zusamenhängende Dynamiken der Exklusion auf der Mikroebene der Erfahrungen von Ex-Kombattant_innen und auf der Makroebene des gesellschaftlichen Prozesses offenbaren, welche ich im Folgenden zusammenfassend darstelle. 3. Die Forschungsergebnisse der Masterarbeit 3.1. Hindernisse für nachhaltige DDR in Kolumbien aus der Intersektionalitätsperspektive Auf der Mikroebene zeigte sich, dass die Mehrheit der Kombattant_innen in allen Gruppierungen aus armen urbanen oder ländlichen Raum stammt und bei der Anwerbung persönliche und sozioökonomische Sicherheit suchte, die jedoch durch die Teilnahme am DDR-Programm nicht erlangt werden konnte. Besonders benachteiligt sind weibliche, afrokolumbianische und indigene Ex-Kombattant_innen aufgrund ihrer stärkeren sozioökonomischen Abhängigkeit und Betroffenheit von Vertreibung und sexueller Gewalt. Somit blieben trotz DDR Anreize bestehen, erneut in einer Miliz aktiv zu werden. (Ib:74). Die Suche nach Identität und Anerkennung spielt eine zentrale Rolle für die Motivation junger Menschen, zur Waffe zu greifen. Je benachteiligter und verletzlicher sich Heranwachsende fühlen, desto mehr orientieren sie sich an militarisierten Geschlechteridentitäten. Durch die mangelnde Förderung von Kultur, Bildung und gleicher Rechte für alle Bürger_innen gelang es nicht, gewaltlose Rollenmodelle zu stärken, die für die soziale Integration der ExKombattant_innen und den Abbau verschiedener Formen der Diskriminierung essentiell sind. (Ib: 74f.). DDR scheiterte an der Verifikation der Teilnahme und des Reintegrationsfortschritts der Personen und konnte keine Chancengleichheit im Hinblick auf die stark verschiedenen persönlichen Situationen der Ex-Kombattant_innen garantieren. Die effektive Demobilisierung von ehemaligen paramilitärischen Anführern, die im Untergrund aktiv blieben, ließ sich nicht durchsetzen. (Ib:75). Frauen, Minderjährige, Afrokolumbianer_Innen und Indigene waren im DDRProgramm deutlich unterrepräsentiert und entbehrten Zugang zu den Leistungen. Psychische Probleme der zumeist traumatisierten oder sadistischen Ex-Kombattant_innen wurden unzureichend adressiert. (Ib:75f.). Wesentliche Bedürfnisse der Demobilisierten wurden vernachlässigt. So beinhaltete das Programm keine ausreichende medizinische Versorgung für Personen, die sexuelle Gewalt, Kriegstraumata und -verletzungen erlitten hatten oder von psychoaktiven Substanzen abhängig waren. Es fehlten effektive Maßnahmen zur Einkommensschaffung, insbesondere für Afrokolumbianer_innen und Indigene, Frauen und Ex-Kombattant_innen aus dem bäuerlichen oder arbeitenden Milieu, was wiederum zu Vulnerabilitäten, Spannungen oder Gewalt im sozialen Nahbereich der Demobilisierten führte. (Ib:75f.). Die Maßnahmen waren nicht an den Bedürfnissen und Kapazitäten der Aufnahmegemeinden orientiert und die Koordination mit indigenen Gemeinden fehlte. Mangelnde sozioökonomische Reintegration kombiniert mit Schwierigkeiten bei der Ausbildung einer zivilen Identität förderte den Zulauf zu kriminellen Banden (span.: Bandas Criminales Emergentes - BACRIM). (Ib:75f.). 7 Konferenzpapier für die 4. Konferenz junger Wissenschaftler_innen der AFK, 02.-03.03.16 Maren Haase (2016): Der Blick auf (un)sichtbare Formen von Gewalt in Friedensprozessen am Beispiel einer Intersektionalitätsstudie zu DDR in Kolumbien. Auf der Makroebene zeigte sich, dass von fortbestehenden illegalen Milizen weiterhin Gewalt und Gewaltdrohungen ausgehen, da ihre ökonomischen, finanziellen und politischen Strukturen nicht zerschlagen wurden. Alleinstehende, männliche, arbeitslose Ex-Paramilitärs haben ein besonders hohes Risiko, in BACRIM erneut aktiv zu werden. (Ib:76). Es gibt keine Garantien für die Rechte der Opfer, da die Demobilisierung offiziell stattgefunden hat und sich informelle kriminelle Gewalt gleichzeitig ausbreitet. Strafverfolgung, Reparationen und Landrückgabe ließen sich nicht durchsetzen, sodass soziale Kontrolle weiterhin funktioniert und arme Menschen, Frauen und ethnische Minderheiten sowie kritische Stimmen mit Gewalt im Alltag und im Rahmen des Konfliktes unterdrückt werden. (Ib:77). Die fehlende justizielle Gerechtigkeit im Prozess resultierte in allgemeiner Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen und verstärkte ein Klima der Angst und des Misstrauens, was Versöhnung und Integration verhindert hat. Ex-Kombattant_innen wurden trotz ihrer persönlichen Gewalterfahrungen vor und während ihrer aktiven Zeit ausschließlich als Täter_innen gesehen, wobei ehemalige Täter_innen im Gegensatz zu den zivilen Opfern Vorteile aus dem Friedensprozess ziehen konnten. (Ib:77). Die Tatsache, dass die Organisatoren der bewaffneten Gewalt aus der formellen und informellen Wirtschaft ebenfalls die Bedingungen des Friedens und der Demobilisierung bestimmen konnten, hat den gesamten Prozess unglaubwürdig gemacht. Die vielfachen Skandale offenbarten die Allianz der politischen Elite mit den Paramilitärs, die den Friedensprozess vom unteren Rand der Gesellschaft aus betrachtet als Verschleierung der existierenden Gewaltstrukturen erscheinen lassen. (Ib:77). Zivilgesellschaftliche Akteure an der Basis, die im Bereich Frieden, Entwicklung und Menschenrechte aktiv waren, konnten bei Verhandlungen und politischen Entscheidungen über die Demobilisierung und Übergangsjustiz nicht teilnehmen. Die Interessen der aufnehmenden Gemeinden in der Reintegration wurden nicht berücksichtigt und Komponenten des DDRProgramms nicht mit lokalen Akteuren koordiniert. (Ib:78). Die Dynamiken auf der Mikro- und Makroebene sind untrennbar miteinanderer verbunden, solange die Macht- und Gewaltakteure aus der Zeit des bewaffneten Konfliktes auch bestimmen, wessen Interessen und Rechte in der Übergangsphase geschützt werden. In Kolumbien sind arme Menschen, Frauen und ethnische Minderheiten politisch, ökonomisch und sozial extrem benachteiligt und die primären Betroffenen von Gewaltverbrechen im Alltag und im Rahmen des bewaffneten Konfliktes. (Ib:78). Die Kontinuität der Gewalt in Kolumbien nach Demobilisierungsprozessen ist zum großen Teil Ursache und Folge andauernder Klassen-, Gender- und ethnischer Ungleichheiten. Sie kann nur beendet werden, wenn die Lebensbedingungen in der ländlichen und urbanen Peripherie wesentlich verbessert und die selbstbestimmte gesellschaftliche Teilhabe der am stärksten marginalisierten Sektoren gestärkt werden. Diejenigen, die von der Entscheidungsfindung über den Friedensprozess ausgeschlossen sind, bleiben auch nach einem offiziellen Friedensschluss Zielscheibe von Unterdrückung. (Ib:79). 8 Konferenzpapier für die 4. Konferenz junger Wissenschaftler_innen der AFK, 02.-03.03.16 Maren Haase (2016): Der Blick auf (un)sichtbare Formen von Gewalt in Friedensprozessen am Beispiel einer Intersektionalitätsstudie zu DDR in Kolumbien. 3.2. Empfehlungen für Forschung und Praxis auf Basis der Intersektionalitätsstudie In meiner Masterarbeit konkludiere ich, „dass sich Klasse-, Gender- und ethnische Ungleichheiten definitiv auf Demobilisierungsprozesse in allen Stadien des policy cycle auswirken und Hindernisse für dauerhafte Konfliktlösung bilden, solange sie toleriert werden. Diese Erkenntnis sollte in jeder peacebuilding-Initiative von Anfang an beachtet werden und gilt für jeden Fall von Demobilisierung. DDR sollte daher darauf abzielen, prioritär Klasse- Gender- und Ethnizität-spezifische Diskriminierung zu beenden.“ (Ib:81; sinngem. Übers. der Verfass.) Nachhaltige peacebuilding-Inititativen müssen die Partizipation und Lebensqualität der Menschen erhöhen, deren Grundbedürfnisse nicht erfüllt sind und die in ständiger persönlicher und wirtschaftlicher Unsicherheit leben (Ib:79). Ich stelle fest, dass die Ergebnisse der Studie teilw. auf andere DDR-Fälle übertragbar sind und zur Hypothesenbildung dienen, da Systeme der Diskriminierung von armen, weiblichen und braunen Menschen globalisiert sind und in anderen Ländern ähnliche soziale Hierarchien existieren, obgleich sich diese in Abhängigkeit vom spezifischen lokalen, historischen und kulturellen Kontext ähnlich und verschieden im Alltagsleben der Menschen ausprägen können. Durch vergleichende regionale und globale DDR-Fallstudien können wir besser verstehen, wie sich die Intersektionen im transkulturellen Kontext von Konflikt unterscheiden und wie sie die Dynamiken und die Auswirkungen von Friedensprozessen unter verschiedenen Bedingungen bestimmen. (Ib:6;81). Weiterhin ziehe ich Schlüsse über ontologische Kategorien zur Untersuchung sozialer Ungleichheit im Zusammenhang mit Frieden und Konflikt: „Wenn DDR die Repräsentanz aller sozialen Gruppen und ihrer Interessen ermöglichen soll, darf unsere Aufmerksamkeit nicht auf die Kategorien von Klasse, Gender und Ethnizität beschränkt sein. Weitere Forschung sollte die Kategorien Alter, Gesundheit und sexuelle Orientierung behandeln, weil es offensichtlich ist, dass Menschen unterschiedlichen Alters, in unterschiedlichem gesundheitlichen Zustand und mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen in der Gesellschaft ungleich behandelt werden. Alter und Gesundheit erschienen bereits relevant für diese Fallstudie, jedoch fehlten umfassende Informationen. Diskriminierung auf der Basis sexueller Orientierung wird oft über Gender-Ideologien legitimiert. Gleichzeitig besteht eine große Notwendigkeit, die Untersuchung in Klassen-, Gender und ethnische Ungleichheiten zu vertiefen. Im Fall von DDR in Kolumbien gab es kaum Informationen über indigene und afrokolumbianische Menschen, wobei Afrokolumbianer_innen am wenigsten sichtbar waren.“ (Ib:81; sinngem. Übers. der Verfass.). 9 Konferenzpapier für die 4. Konferenz junger Wissenschaftler_innen der AFK, 02.-03.03.16 Maren Haase (2016): Der Blick auf (un)sichtbare Formen von Gewalt in Friedensprozessen am Beispiel einer Intersektionalitätsstudie zu DDR in Kolumbien. Im Fazit stelle ich fest, dass Empowerment von Menschen, die keine Stimme haben, sowohl Mittel als auch Ziel nachhaltiger Friedensbildung ist und mache mir bewusst, dass ich als weiße europäische Frau aus der Mittelklasse Teil einer kleinen privilegierten Gruppe bin, die die Friedensforschung dominiert (Ib:82). Die Partizipation benachteiligter Menschen und die Sichtbarmachung von sozialer Ungleichheit ist essentiell, wenn es darum geht, Gewalt zu thematisieren und zu beenden. 4. Zentrale Probleme, Ziele und Fragen im Anschluss an die Masterarbeit Es besteht nun die zentrale Frage, wie diese gerechte Teilhabe erreicht werden kann angesichts bestehender Machtungleichheiten, und wie nicht nur Benachteiligungen, sondern Privilegien auf den Prüfstand gestellt werden können. Denn die Gewalt ist da verwurzelt, wo Menschen aus Systemen der Diskriminierung Vorteile ziehen, jedoch wird sie ebendort auch unsichtbar gemacht, indem den Unterdrückten die Stimme genommen wird. Da diese Diskriminierung systemisch ist, müssen sich auch die Priviliegierten ihrer bewusst werden, um sich selbst zu emanzipieren und um sich gegen die Unsichtbarmachung von Menschen einsetzen zu können, was schließlich für alle Menschen Vorteile im Sinne eines sozial gerechten Friedens bringt. Um angesichts vieler starker Machtungleichheiten denk- und handlungsfähig zu blieben, bedarf es eines kritischen Standpunktes, bei dem wir uns bewusst machen, dass jede Forschung und Politik sowohl von Strukturen der Ungleichheit geprägt ist als auch derartige Strukturen formt, sodass negativer und positiver Frieden nicht unabhängig voneinander erreicht werden können (Ib:1f.). Deshalb müssen die Erfahrungen von Gewalt, die unsichtbar sind, sichtbar (gemacht) werden und die Menschen eine Stimme bekommen, die bisher nicht sprechen können - hier bei uns, in der Friedens- und Konfliktforschung, in Forschung und Praxis. Aber immer noch frage ich mich, wie diese Chancengerechtigkeit in der Realität durch Friedensforschung und Friedensarbeit erreicht werden kann, und möchte diese und weitere Fragen mit anderen Menschen diskutieren. • Inwieweit stellen intersektionelle Machtsysteme sowohl eine Ursache von Kriegen als auch ein zentrales Merkmal der internationalen Sicherheitspolitik dar? • Wie können soziale Hierarchien in der Friedens- und Konfliktforschung sichtbar gemacht und die Erkenntnisse in der Friedensbildung angewendet werden? • Welche Formen der Unterdrückung bleiben bei einer Analyse von Klasse, Gender und Ethnizität unsichtbar und wie kann man sie ans Licht bringen? • Durch welche Methoden kann man in der Praxis gleiche Möglichkeiten zur Teilhabe in der Friedensbildung sicherstellen - auf lokaler und internationaler Ebene? 10 Konferenzpapier für die 4. Konferenz junger Wissenschaftler_innen der AFK, 02.-03.03.16 Maren Haase (2016): Der Blick auf (un)sichtbare Formen von Gewalt in Friedensprozessen am Beispiel einer Intersektionalitätsstudie zu DDR in Kolumbien. 5. Infobox zu DDR in Kolumbien „Demobilisierungsprozesse und andauernde Gewalt 21. Jahrhundert. (...) In den 1990er Jahren hat die [kolumbianische] Regierung kollektiv Guerillaorganisationen demobilisiert. Eine Politik für individuelle Demobilisierung existiert seit 1984, aber seit 2002 stiegen die Zahlen in Folge attraktiverer Programmleistungen an. (Kaplan, Nussio 2014:9). Nach einem Abkommen mit der Regierung Uribes erfolgte die kollektive Demobilisierung von 33.000 Paramilitärs [der Dachorganisation Autodefensas Unidas de Colombia - AUC] zwischen 2003 und 2006 Block für Block; begann jedoch vor der Verfügbarkeit von Mitteln und Infrastruktur (Guáqueta 2007:417; Kaplan, Nussio 2014:4-8; Morgenstein 2008:13). Da es bisher kein geltendes Friedensabkommen mit den [noch aktiven] Guerillagruppen [Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia] FARC oder dem [Ejército de Liberación Nacional] ELN gibt, mussten ihre Mitglieder zum Zweck der individuellen Demobilisierung desertieren und erhielten daher einen anderen rechtlichen Status (Thorsell 2013:178). Guerillakämpfer_innen können sich bei Behörden der Justiz, der Polizei oder der Armee ergeben und werden schließlich demselben DDRProgramm übermittelt (Porch, Rasmussen 2008:527). Über 6.000 Kämpfer_innen der Paramilitärs und Guerilla haben individuell unter Uribe demobilisiert (Laplante, Theidon 2006:64). Im Jahr 2012 gab es in Kolumbien ungefähr 55.000 Ex-Kombattant_innen, davon 34.000 aus der AUC und 11.000 aus der Guerilla (Guáqueta 2007:417; Kaplan, Nussio 2014:4). Eine neue Welle der Gewalt und Unsicherheit der allgemeinen Bevölkerung weist auf die Defizite der jüngsten Friedensprozesse hin (Laplante, Theidon 2006:67). Die sog. Bandas Criminales Emergentes (BACRIM), bekannt als Nachfolge der AUC, üben weiterhin kriminelle Gewalt und rechtsgerichtete politische Gewalt aus. Die Beobachtermission der Organisation Amerikanischer Staaten warnte 2006 vor einem Übergang in die Gewaltkriminalität (Saab, Taylor 2010:462). BACRIM sind nach der AUCDemobilisierung schnell gewachsen und haben mindestens sechs Hauptorganisationen in 24 der 32 kolumbianischen Provinzen etabliert (Brodzinsky 2010 in Andersson, Summerton 2013:33; Semana 2010 in Gutiérrez Sanín, González Peña 2012:116). Die Mitgliederzahlen wurden auf zwischen 3.900 und 10.200 geschätzt (CNRR 2010 in Nussio 2011a:90). Internationale Beobachter_innen betonen die Kontinuitäten zwischen AUC- und BACRIM-Aktivitäten und machen einen defizitären Demobilisierungsprozess dafür verantwortlich. Ex-Paramilitärs gelten als Hauptrekrutierungsbecken (HRW 2010, CNRR 2010:13f. und MAPP-OEA 2010:18 in Derks et al 2011:13; Hristov 2010:21f.). BACRIM scheinen ähnlichen Strategien zu folgen, ähnliche Formen aufzuweisen und die gleichen sozialen Gruppen zu attackieren wie die Paramilitärs, obwohl sie nicht kohärent organisiert sind und eher unabhängig agieren, teilw. in Allianz oder in Opposition zu den Sicherheitskräften (AMR 23/005/2014 in Amnesty International 2015:115; Bryson 2011:18; Hristov 2010:22; HRW 2010:5). In dieser Hinsicht ist ein Großteil der aufstrebenden Gewaltkriminalität von politischen Interessen überschattet (Gutiérrez Sanín, González Peña 2012:16; Kaplan, Nussio 2014:4). Nichtsdesotrotz haben auch FARC- und ELN-Gruppierungen starke Verbindungen zu BACRIM im Drogengeschäft und es ist bekannt, dass ehemalige GuerillaKämpfer_innen BACRIM gegründet oder sich ihnen angeschlossen haben (Cesar 2012 und Carlo 2009 in Castillo 2014; HRW 2010:30).“ (Haase 2015:34ff.; sinngem. Übers. der Verfass.) 11 Konferenzpapier für die 4. Konferenz junger Wissenschaftler_innen der AFK, 02.-03.03.16 Maren Haase (2016): Der Blick auf (un)sichtbare Formen von Gewalt in Friedensprozessen am Beispiel einer Intersektionalitätsstudie zu DDR in Kolumbien. 6. Bibliographie Ait Belkhir, J.; McNair Barnett, B. (2001): Race, Gender and Class Intersectionality. Race, Gender & Class 8(3); 157-174. Stable URL: http://www.jstor.org/stable/41674988 Amnesty International (2015): Amnesty International Report 2014/15. The State of the World‘s Human Rights. POL 10/001/2015. London: Amnesty International; 113-118. Viewed on 03/08/15; URL: https:// www.amnesty.org/en/documents/pol10/0001/2015/en/ Andersson, M.; Summerton, R. (2013): Indigenous Female Youth in Colombia - Resisting the Powers of Internal Armed Conflict. University of Gothenburg, Department of Social Work: MA-Thesis. Viewed on: 09/07/15; URL: https://gupea.ub.gu.se/bitstream/2077/33145/1/gupea_2077_33145_1.pdf Anthias, F. (2012): Intersectional what? 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