Konferenzpapier
für die 4. Konferenz junger Wissenschaftler_innen der Arbeitsgemeinschaft
für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) vom 2. bis 3. März 2016 in Bonn:
„Making the Invisible Visible“: (Un)sichtbarkeit im Konflikt und (un)sichtbare Konflikte.
Aktualisierte Version vom 03.03.2016
Der Blick auf (un)sichtbare Formen von Gewalt
in Friedensprozessen am Beispiel einer
Intersektionalitätsstudie zu DDR in Kolumbien.
- Maren Haase -
Maren Haase war DAAD-Stipendiatin an der Division of Peace Studies der University of Bradford im
Akademischen Jahr 2014/15 und graduierte mit Auszeichnung im Studiengang MA Conflict Resolution.
Dieser Konferenzbeitrag basiert auf ihrer Masterarbeit, die sie hier im Licht des Konferenzthemas betrachtet
und für dieses Papier in Auszügen übersetzt und auf Deutsch zitiert hat: Haase, Maren (2015): Obstacles to
Sustainable DDR in Colombia from an Intersectional Perspective. University of Bradford: MA Dissertation im
Master Conflict Resolution; Sept. 2015. URL: https://brad.academia.edu/MarenHaase
Konferenzpapier für die 4. Konferenz junger Wissenschaftler_innen der AFK, 02.-03.03.16
Maren Haase (2016): Der Blick auf (un)sichtbare Formen von Gewalt in Friedensprozessen am Beispiel einer Intersektionalitätsstudie zu DDR in Kolumbien.
Abstract
In diesem Konferenzpapier stelle ich meine Masterarbeit „Obstacles to Sustainable DDR in Colombia from
an Intersectional Perspective“ vor, um am Fallbeispiel einige unsichtbare aber zentrale Formen der Gewalt in
Friedensprozessen und der Friedensforschung aufzuzeigen. Anhand der Studie verdeutliche ich die
Bedeutung von Intersektionalität für Gewaltkonflikte, die Bedeutung des kritischen Studiums sozialer
Ungleichheiten in der Friedens- und Konfliktforschung und die Bedeutung der gerechten Teilhabe in
Forschung und Praxis. Schließlich stelle ich die zentrale Frage, wie Empowerment möglich ist, wenn die
Menschen, die unsichtbare Gewalt sichtbar machen können, selbst durch Machtsysteme sozialer
Ungleichheiten benachteiligt sind, und wiederum Menschen an der gesellschaftlichen Spitze diese Formen
der Gewalt nicht sehen bzw. unsichtbar machen.
Meine Masterarbeit bedient sich der Methoden post-positivistischer Forschung und problematisiert die
Unsichtbarkeit des Zusammenspiels multipler Benachteiligungen entsprechend Klasse, Gender und
Ethnizität als den zentralen Kategorien der Intersektionalitätsforschung laut Ait Belkhir und McNair Barnett
(2001) in kolumbianischen Demobilisierungsprozessen im 21. Jahrhundert. In der Analyse betrachte ich die
Schwächen der Demobilisierungsprozesse in Kolumbien zunächst auf der Mikro-Ebene der Erfahrungen von
Ex-Kombattant_innen und anschließend auf der Makro-Ebene der Exklusionsdynamiken im Policy-Making,
im gesellschaftlichen Umfeld und auf lokaler Ebene. Ich führe dazu interdisziplinäre Forschungsergebnisse
der letzten 25 Jahre zusammen, die die Probleme meist isoliert von einem oder zwei der drei Blickwinkel
betrachten. Meine Studie argumentiert, dass die Politik der Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration
(Engl.: Disarmament, Demobilisation and Reintegration - DDR) von Ex-Kombattant_innen von einem
staatszentrierten Sicherheitsbegriff ausgeht, dabei wesentliche Formen von Diskriminierung ignoriert und
somit einen sozial gerechten Frieden behindert. Sie zeigt, dass die physische Gewalt im Rahmen des
bewaffneten Konfliktes und organisierter Kriminalität in Kolumbien untrennbar mit struktureller Gewalt in
Form von Marginalisierung bestimmter sozialer Gruppen verknüpft ist, jedoch weitestgehend übersehen wird
und somit andauert.
Damit die zugrunde liegenden Konflikte aufgedeckt und transformiert werden, fordere ich, die durch Klasse,
Gender und Ethnizität u.v.m. konstituierten (Un)sicherheiten in den Vordergrund von Friedensforschung und
-Praxis zu stellen und in diesem Sinn die Partizipation von Menschen zu ermöglichen, die unterschiedliche
Formen der Diskriminierung erfahren. Ich frage mich, wie dies praktisch möglich ist, d.h. mit welchen
Methoden es gelingen kann, bestehende ungerechte Machtsysteme in Wissenschaft und Politik offen zu
legen und zu transformieren, sodass unterschiedliche Formen der Gewalt tatsächlich beendet werden und
alle Menschen gleiche Rechte ausüben können.
Schlüsselwörter: Intersektionalität; Soziale Ungleichheiten; Klasse, Gender, Ethnizität; Friedensbildung;
Konflikttransformation; Kolumbien; DDR; Kritische Friedens- und Konfliktforschung.
Inhalt
1. Das Forschungsvorhaben der Masterarbeit
3
2. Der Forschungsansatz der Masterarbeit
5
3. Die Forschungsergebnisse der Masterarbeit
7
3.1. Hindernisse für nachhaltige DDR in Kolumbien aus der Intersektionalitätsperspektive
7
3.2. Empfehlungen für Forschung und Praxis auf Basis der Intersektionalitätsstudie
9
4. Zentrale Probleme, Ziele und Fragen im Anschluss an die Masterarbeit
10
5. Infobox zu DDR in Kolumbien
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6. Bibliographie
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Konferenzpapier für die 4. Konferenz junger Wissenschaftler_innen der AFK, 02.-03.03.16
Maren Haase (2016): Der Blick auf (un)sichtbare Formen von Gewalt in Friedensprozessen am Beispiel einer Intersektionalitätsstudie zu DDR in Kolumbien.
1. Das Forschungsvorhaben der Masterarbeit
Meine Masterarbeit „Obstacles to Sustainable DDR in Colombia from an Intersectional
Perspective“ fragt nach den Schwächen der Demobilisierungsprozesse in Kolumbien, die aus der
Unsichtbarmachung von Klasse-, Gender- und Ethnizitätsaspekten im Policy-making resultieren
und sich in einem komplexen Zusammenspiel in den Erfahrungen besonders marginalisierter
sozialer Gruppen ausdrücken. Ziel ist die Vermehrung unseres Wissens über Intersektionalität in
der Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration (Engl.: Disarmament, Demobilisation &
Reintegration - DDR) in einem der weltweit längsten nicht-internationalen bewaffneten Konflikte in
einem Land, das selbst umfangreiche DDR-Prozesse durchgeführt hat und ausgeprägte soziale
Ungleichheiten aufweist. (Haase 2015:5). Die Arbeit will unsichtbare Formen der Gewalt in diesem
Friedensprozess im konkreten Bezug zu DDR sichtbar machen, kritisiert dabei staatszentrierte
Sichtweisen auf Sicherheit, die bisher die kolumbianische Friedenspolitik dominiert haben, und ruft
nach einem Paradigmenwandel, der der zentralen Bedeutung sozialer Gerechtigkeit für die
Transformation gewaltsamer Konflikte gerecht wird. (Ib:6).
Während des jahrzehntelangen bewaffneten Konfliktes in Kolumbien haben verschiedene
Demobilisierungsprozesse stattgefunden, in deren Folge die Gewaltstatistiken teilw. kurzzeitig
sanken, aber dennoch auf einem hohen Niveau blieben. Zwar hat die kollektive Demobilisierung
der Paramilitärs und individueller Guerilla-Mitglieder offiziell effektiv stattgefunden, jedoch
bestehen ernsthafte Sicherheitsprobleme der Kolumbianer_innen während der Übergangsperiode
weiter fort. (Ib:1). Zum einen haben sich auf der Basis bestehender Netzwerke alte und neue
bewaffnete Gruppen (re)formiert, zum anderen bestehen im Land weiterhin massive soziale
Ungleichheiten zwischen prekären Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheit und der Macht
einer privilegierten Elite. Dabei waren sozial marginalisierte Gruppen, die für alle bewaffneten
Gruppen primäre Rekrutierungs- und Angriffsziele sind, nicht in formalen Friedensprozessen
repräsentiert. (Ib:1). Sollten die aktuell weit fortgeschrittenen Friedensverhandlungen zwischen der
Regierung und den FARC-Rebell_innen1 mit einem Friedensabkommen enden, wird sich daran ein
weiterer DDR-Prozess anschließen, wobei die lessons learned Anwendung finden sollten.
1
Derzeit geht es bei den Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und den
Vertreter_innen der FARC um den letzten offenen Punkt der Implementierung eines Abkommens, darunter
Fragen zur Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration der FARC-Rebell_innen. Im Dezember 2015
erzielten die Verhandlungsparteien eine Einigung in Bezug auf den besonders konfliktiven Aspekt der
Übergangsjustiz und der Frage der Rechte der Opfer (BBC 2015). Im Januar 2016 beantwortete der UNSicherheitsrat die Anfrage der Verhandlungsführer_innen beider Parteien nach einer unbewaffneten UNMission zur Überwachung eines Waffenstillstandes im Land positiv (BBC 2016). Die Umsetzung der
Maßnahmen hängt vom Abschluss eines endgütligen Abkommens ab, wobei es zum aktuellen Zeitpunkt
nicht klar ist, bis wann dies erreicht sein kann oder wird.
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Maren Haase (2016): Der Blick auf (un)sichtbare Formen von Gewalt in Friedensprozessen am Beispiel einer Intersektionalitätsstudie zu DDR in Kolumbien.
Von DDR wird üblicherweise ein erfolgreicher Umgang mit derartigen Sicherheitsproblemen
während der Transition erwartet (UN 2015). Nachhaltige DDR zerschlägt militärische
Organisationen, die die Sicherheit des Staates und der Bürger_innen bedrohen, und integriert ExKombattant_innen langfristig in das zivile Leben (UN 2006 in Kaplan, Nussio 2014:5; Morgenstein
2008:6). Da DDR in einen politischen Verhandlungsprozess eingebettet ist, werden die
Programme stets unterschiedlich gestaltet und umgesetzt und zeigen in unterschiedlichem Maße
friedensfördernde Wirkungen. So hängt das Maß des Erfolges auch von der allgemeinen
politischen Entwicklung und der gesellschaftlichen Partizipation daran ab. (Meltzer 2004; UNDDR
2014). Idealerweise beteiligt der Prozess alle Konfliktparteien, die Zivilgesellschaft und die
internationale Gemeinschaft, bringt statt autoritärer militärischer Maßnahmen dauerhafte politische
Konfliktlösungen hervor und stärkt dabei bürgerliche Sicherheit und sozioökonomische
Entwicklung. (UN 2015).
Alltagserfahrungen von Individuen in ihren unterschiedlichen Lebensbereichen stellen oftmals die
oberflächlich erscheinende Effektivität von DDR-Maßnahmen in Frage. (Muggah, O‘Donnell
2015:4; Nussio 2013:10; Nussio 2012:369). Auf dieser Ebene drücken sich soziale, politische und
wirtschaftliche Exklusion im Leben der Betroffenen aus, die auch das Konfliktgeschehen selbst
charakterisieren (Murillo-Urrutia 2007:136). Diese Formen der Gewalt bleiben jedoch meistens in
Forschung und Praxis unsichtbar. Critical security studies fordern die im hegemonialen Diskurs
etablierten Paradigmen von Frieden und Sicherheit heraus, decken Machtsysteme auf, die
nachhaltigen Frieden behinden und konzentrieren sich dafür häufig auf die Erfahrungen sozial
marginalisierter Personen(-Gruppen). (Haase 2015:3).
Meine Masterarbeit beruht auf post-positivistischen Methoden, führt Forschungsergebnisse zur
Rolle von Klasse, Gender und Ethnizität im kolumbianischen Friedensprozess auf Basis
qualitativer und quantitativer Studien der letzten 25 Jahre zusammen und geht den wenig
sichtbaren Formen von Gewalt in der kolumbianischen Transition auf den Grund. Sie bezieht sich
auf Sekundärquellen und wendet Konzepte kritischer Theorien der Internationalen Beziehungen
für die qualitative Fallstudie an. (Ib:3). Der wichtigste wissenschaftliche Beitrag der Arbeit ist die
Darstellung der Bedeutung sozialer Ungleichheiten für peacebuilding-Prozesse. Dies geschieht
anhand der Intersektionalitätsanalyse von Klasse, Gender und Ethnizität in kolumbianischen
Demobilisierungsprozessen im 21. Jahrhundert, wobei die Arbeit sich notwendigerweise auf einige
soziale Ungleichheiten und Erfahrungen konzentriert und andere weniger sichtbare übersieht, die
in weiterer Forschung inkludiert werden müssen (Ib:5f.).
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Maren Haase (2016): Der Blick auf (un)sichtbare Formen von Gewalt in Friedensprozessen am Beispiel einer Intersektionalitätsstudie zu DDR in Kolumbien.
2. Der Forschungsansatz der Masterarbeit
Um unsichtbare Formen der Gewalt in jüngsten kolumbianischen Friedensprozessen sichtbar zu
machen, war der Intersektionalitätsansatz sehr dienlich, dessen Relevanz für das Thema ich aus
theoretischer Sicht wie folgt in meiner Arbeit erläutere:
„Als analytisches Instrument dient Intersektionalität dazu, Leben am Rand der Gesellschaft und der
Sozialwissenschaften zu studieren, um dadurch die Dynamiken der Entstehung, der Aufrechterhaltung und des Wandels sozialer Hierarchien zu verstehen. Intersektionalität fokussiert das
komplexe Zusammenspiel sozialer Organisationsprinzipien wie z.B. Klasse, Gender, Ethnizität,
Sexualität, Alter, Behinderung, Konfession, Nationalität usw. in der Entstehung sozialer
Ungleichheiten (Ait Belkhir, McNair Barnett 2001:157; Andersson, Summerton 2013:6; Anthias
2012; Winker, Degele 2011). (...) Intersektionalität entstand als neues Paradigma in den 1990ern
und integrierte unterschiedliche Strömungen von poststrukturalistischer, marxistischer, feministischer und postkolonialer sowie queerer Forschung (Davis 2011:47; Lutz et al 2011:2).
Post-positivistische Forscher_innen verstehen ontologische Kategorien wie Klasse, Geschlecht
und Ethnizität als sozial konstruiert und veränderbar. Sie erkennen, dass solche Kategorien zu
einem bestimmten Zeitpunkt derart institutionalisiert sind, dass sie die Grundlage dessen bilden,
was Menschen als etablierte soziale Hierarchien erleben, während die Verteilung von Macht und
die Konstruktion der Kategorien weiterhin verhandelt und transformiert werden (Andersson,
Summerton 2013:7; Lutz et al 2011:8; Walby et al 2012:231). Menschen besitzen mehrere
verflochtene Teil-Identitäten, die in komplizierter Weise überlappen und das alltägliche Erleben von
gleichzeitigen Vor- und Nachteilen prägen (Andersson, Summerton 2013:6; Butler 1990 [2007]:4f.;
Choo, Ferree 2010:131; Burgess-Proctor 2006 und Hill-Collins 1990, 2004 in Trahan 2011:2).
Daher existiert Ungleichheit unter Menschen innerhalb derselben Klasse, demselben Geschlecht
oder derselben ethnischen Gruppe, weil alle unterschiedliche zusätzliche Ebenen der
Diskriminierung erfahren (Zack 2007:197 in Davis 2011:45).
Forscher_innen untersuchen diese verzahnten Machtmechanismen durch die Perspektive von
Menschen, die multiple Formen der Marginalisierung erleben (Cúadraz, Uttal 1999 in Ait Belkhir,
McNair Barnett 2001:158). Intersektionalität als kritische Friedens- und Konfliktforschung nutzt
daher in erster Linie Klasse, Gender und Ethnizität, um die Relevanz mächtiger Ungleichheitsregime für Themen und Probleme der Disziplin zu beleuchten. Da die Kritik selbst innerhalb
konstruierter Kategorien des Denkens und Wissens operiert, wird sie herausgefordert von den
Stimmen der Menschen, deren Gewalterfahrungen unsichtbar gemacht wurden, und bedarf daher
ständig einer neuen Kritik (Carbado et al 2013:304). Intersektionalität teilt ein poststrukturalistisches Machtverständnis, wobei Macht als Wissensproduktion Menschen bestimmte
Denkmuster nahelegt, die schließlich das reale Leben prägen (Foucault 1978 [1980] in Butler 1990
[2007]:32; Tickner 2014:262).
Methodologisch bereiten quantitative Modelle der Analyse von sozialen Ungleichheiten Schwierigkeiten, da sich die Zugehörigkeit von Menschen zu demographischen Gruppen per definitionem als
vielfach und zusammenhängend darstellt (Trahan 2011:3). Da Intersektionalitätsforschung an den
unsichtbaren Realitäten interessiert ist, verlässt sie sich mehr auf qualitative Methoden und
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Maren Haase (2016): Der Blick auf (un)sichtbare Formen von Gewalt in Friedensprozessen am Beispiel einer Intersektionalitätsstudie zu DDR in Kolumbien.
hinterfragt die Annahmen und Erwartungen der traditionellen Sozialwissenschaften (Ait Belkhir,
McNair Barnett 2001:162). Auf der Analysebene findet Intersektionalitätsforschung auf den Ebenen
der anti- inter- und intrakategorialen Komplexität statt. In der antikategorialen Analyse studieren
Forscher_innen, wie Kategorien wie Klasse, Geschlecht und Ethnizität geprägt werden durch
diskursive Praktiken von Selbst- und Fremdabgrenzung, welche menschliches Verhalten
beeinflussen und schließlich in der Performanz, Erfahrung und Interpretation von Ungleichheit
resultieren (Andersson, Summerton 2013; Anthias 2012; Butler 1990 [2007]; Winker, Degele 2011).
Inter- und intrakategoriale Analysen beschäftigen sich weniger mit der (De-)Konstruktion von
Kategorien als damit, diese strategisch nutzbar zu machen (Winker, Degele 2011:53). Dadurch
analysieren sie Dominanz innerhalb und entlang der Kategorien von Klasse, Geschlecht und
Ethnizität innerhalb konkreter Lebensbereiche und Kontexte (Anthias 2012). Auf dieser Ebene sind
Forscher_innen sehr interessiert an der Perspektive von Insider_innen sozial marginalisierter
Gruppen und kontrastieren diese mit dem Blick von Outsider_innen, die nicht dieselben
Erfahrungen teilen können (Young 2005).
Klasse-, Gender- und Ethnizitätsspezifische Systeme der Dominanz müssen korrekt verstanden
und schließlich transformiert werden, um sowohl dem positiven als auch dem negativen Frieden
näher zu kommen. Gewiss sind „Formen der Kategorisierung implizit mit Ideen über (...) Macht
verknüpft und deshalb ist der Umgang mit Sprache zur Bezeichnung von Unterschieden intrinsisch
politisch.“ (Spencer 2014:64; Übersetzung der Verfasserin).“
(Haase 2015:8-11; sinngemäße Übersetzung der Verfasserin)
In meiner Masterarbeit frage ich nach den Hindernissen für nachhaltige DDR im 21. Jahrhundert in
Kolumbien durch eine integrierte Betrachtung von Klasse, Gender und Ethnizität. Dazu betrachte
ich Benachteiligungen, die für die einzelnen Kategorien spezifisch sind, und betrachte sie auch im
Verhältnis der verschiedenen Kategorien zueinander. So möchte ich das Zusammenspiel
unterschiedlicher Formen der Gewalt in der Organisation sozialen Lebens verstehen. (Ib:18f.).
Formal nähere ich mich zunächst der Geschichte von DDR in Kolumbien aus der Intersektionalitätsperspektive und erarbeite dann die Klasse-, Gender- und Ethnizität-spezifischen
Ungleichheiten bei den DDR-Prozessen - erstens im Hinblick auf die Lebensrealitäten von ExKombattant_innen und zweitens im Hinblick auf Gesellschaft, Policy-making und Partizipation.
Dabei bin ich interessiert an den praktischen Machtmechanismen, die entlang sozialer
Stratifikation in der kolumbianischen DDR-Politik operiert haben. (Ib:19).
In der Analyse bediene ich mich der Kategorien „nicht, um Ungleichheiten als natürlich darzustellen, sondern um sie zu problematisieren. Ich
argumentiere, dass Forschung, die die Sprache von Klasse, Gender und Ethnizität vermeidet, im
Grunde bestimmte Formen der Dominanz nicht benennt und damit Hindernisse für Emanzipation
und Friedensbildung schafft.“ (Ib:11; sinngem. Übers. der Verfass.).
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Maren Haase (2016): Der Blick auf (un)sichtbare Formen von Gewalt in Friedensprozessen am Beispiel einer Intersektionalitätsstudie zu DDR in Kolumbien.
Die Studie konnte eng zusamenhängende Dynamiken der Exklusion auf der Mikroebene der
Erfahrungen von Ex-Kombattant_innen und auf der Makroebene des gesellschaftlichen Prozesses
offenbaren, welche ich im Folgenden zusammenfassend darstelle.
3. Die Forschungsergebnisse der Masterarbeit
3.1. Hindernisse für nachhaltige DDR in Kolumbien aus der Intersektionalitätsperspektive
Auf der Mikroebene zeigte sich, dass die Mehrheit der Kombattant_innen in allen Gruppierungen
aus armen urbanen oder ländlichen Raum stammt und bei der Anwerbung persönliche und
sozioökonomische Sicherheit suchte, die jedoch durch die Teilnahme am DDR-Programm nicht
erlangt werden konnte. Besonders benachteiligt sind weibliche, afrokolumbianische und indigene
Ex-Kombattant_innen aufgrund ihrer stärkeren sozioökonomischen Abhängigkeit und Betroffenheit
von Vertreibung und sexueller Gewalt. Somit blieben trotz DDR Anreize bestehen, erneut in einer
Miliz aktiv zu werden. (Ib:74). Die Suche nach Identität und Anerkennung spielt eine zentrale Rolle
für die Motivation junger Menschen, zur Waffe zu greifen. Je benachteiligter und verletzlicher sich
Heranwachsende fühlen, desto mehr orientieren sie sich an militarisierten Geschlechteridentitäten.
Durch die mangelnde Förderung von Kultur, Bildung und gleicher Rechte für alle Bürger_innen
gelang es nicht, gewaltlose Rollenmodelle zu stärken, die für die soziale Integration der ExKombattant_innen und den Abbau verschiedener Formen der Diskriminierung essentiell sind. (Ib:
74f.). DDR scheiterte an der Verifikation der Teilnahme und des Reintegrationsfortschritts der
Personen und konnte keine Chancengleichheit im Hinblick auf die stark verschiedenen
persönlichen Situationen der Ex-Kombattant_innen garantieren. Die effektive Demobilisierung von
ehemaligen paramilitärischen Anführern, die im Untergrund aktiv blieben, ließ sich nicht
durchsetzen. (Ib:75). Frauen, Minderjährige, Afrokolumbianer_Innen und Indigene waren im DDRProgramm deutlich unterrepräsentiert und entbehrten Zugang zu den Leistungen. Psychische
Probleme der zumeist traumatisierten oder sadistischen Ex-Kombattant_innen wurden unzureichend adressiert. (Ib:75f.). Wesentliche Bedürfnisse der Demobilisierten wurden vernachlässigt.
So beinhaltete das Programm keine ausreichende medizinische Versorgung für Personen, die
sexuelle Gewalt, Kriegstraumata und -verletzungen erlitten hatten oder von psychoaktiven
Substanzen abhängig waren. Es fehlten effektive Maßnahmen zur Einkommensschaffung,
insbesondere für Afrokolumbianer_innen und Indigene, Frauen und Ex-Kombattant_innen aus dem
bäuerlichen oder arbeitenden Milieu, was wiederum zu Vulnerabilitäten, Spannungen oder Gewalt
im sozialen Nahbereich der Demobilisierten führte. (Ib:75f.). Die Maßnahmen waren nicht an den
Bedürfnissen und Kapazitäten der Aufnahmegemeinden orientiert und die Koordination mit
indigenen Gemeinden fehlte. Mangelnde sozioökonomische Reintegration kombiniert mit
Schwierigkeiten bei der Ausbildung einer zivilen Identität förderte den Zulauf zu kriminellen Banden
(span.: Bandas Criminales Emergentes - BACRIM). (Ib:75f.).
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Auf der Makroebene zeigte sich, dass von fortbestehenden illegalen Milizen weiterhin Gewalt und
Gewaltdrohungen ausgehen, da ihre ökonomischen, finanziellen und politischen Strukturen nicht
zerschlagen wurden. Alleinstehende, männliche, arbeitslose Ex-Paramilitärs haben ein besonders
hohes Risiko, in BACRIM erneut aktiv zu werden. (Ib:76). Es gibt keine Garantien für die Rechte
der Opfer, da die Demobilisierung offiziell stattgefunden hat und sich informelle kriminelle Gewalt
gleichzeitig ausbreitet. Strafverfolgung, Reparationen und Landrückgabe ließen sich nicht
durchsetzen, sodass soziale Kontrolle weiterhin funktioniert und arme Menschen, Frauen und
ethnische Minderheiten sowie kritische Stimmen mit Gewalt im Alltag und im Rahmen des
Konfliktes unterdrückt werden. (Ib:77). Die fehlende justizielle Gerechtigkeit im Prozess resultierte
in allgemeiner Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen und verstärkte ein Klima der Angst
und des Misstrauens, was Versöhnung und Integration verhindert hat. Ex-Kombattant_innen
wurden trotz ihrer persönlichen Gewalterfahrungen vor und während ihrer aktiven Zeit
ausschließlich als Täter_innen gesehen, wobei ehemalige Täter_innen im Gegensatz zu den
zivilen Opfern Vorteile aus dem Friedensprozess ziehen konnten. (Ib:77). Die Tatsache, dass die
Organisatoren der bewaffneten Gewalt aus der formellen und informellen Wirtschaft ebenfalls die
Bedingungen des Friedens und der Demobilisierung bestimmen konnten, hat den gesamten
Prozess unglaubwürdig gemacht. Die vielfachen Skandale offenbarten die Allianz der politischen
Elite mit den Paramilitärs, die den Friedensprozess vom unteren Rand der Gesellschaft aus
betrachtet als Verschleierung der existierenden Gewaltstrukturen erscheinen lassen. (Ib:77).
Zivilgesellschaftliche Akteure an der Basis, die im Bereich Frieden, Entwicklung und Menschenrechte aktiv waren, konnten bei Verhandlungen und politischen Entscheidungen über die
Demobilisierung und Übergangsjustiz nicht teilnehmen. Die Interessen der aufnehmenden
Gemeinden in der Reintegration wurden nicht berücksichtigt und Komponenten des DDRProgramms nicht mit lokalen Akteuren koordiniert. (Ib:78).
Die Dynamiken auf der Mikro- und Makroebene sind untrennbar miteinanderer verbunden, solange
die Macht- und Gewaltakteure aus der Zeit des bewaffneten Konfliktes auch bestimmen, wessen
Interessen und Rechte in der Übergangsphase geschützt werden. In Kolumbien sind arme
Menschen, Frauen und ethnische Minderheiten politisch, ökonomisch und sozial extrem
benachteiligt und die primären Betroffenen von Gewaltverbrechen im Alltag und im Rahmen des
bewaffneten Konfliktes. (Ib:78). Die Kontinuität der Gewalt in Kolumbien nach Demobilisierungsprozessen ist zum großen Teil Ursache und Folge andauernder Klassen-, Gender- und ethnischer
Ungleichheiten. Sie kann nur beendet werden, wenn die Lebensbedingungen in der ländlichen und
urbanen Peripherie wesentlich verbessert und die selbstbestimmte gesellschaftliche Teilhabe der
am stärksten marginalisierten Sektoren gestärkt werden. Diejenigen, die von der Entscheidungsfindung über den Friedensprozess ausgeschlossen sind, bleiben auch nach einem offiziellen
Friedensschluss Zielscheibe von Unterdrückung. (Ib:79).
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3.2. Empfehlungen für Forschung und Praxis auf Basis der Intersektionalitätsstudie
In meiner Masterarbeit konkludiere ich,
„dass sich Klasse-, Gender- und ethnische Ungleichheiten definitiv auf Demobilisierungsprozesse
in allen Stadien des policy cycle auswirken und Hindernisse für dauerhafte Konfliktlösung bilden,
solange sie toleriert werden. Diese Erkenntnis sollte in jeder peacebuilding-Initiative von Anfang an
beachtet werden und gilt für jeden Fall von Demobilisierung. DDR sollte daher darauf abzielen,
prioritär Klasse- Gender- und Ethnizität-spezifische Diskriminierung zu beenden.“ (Ib:81; sinngem.
Übers. der Verfass.)
Nachhaltige peacebuilding-Inititativen müssen die Partizipation und Lebensqualität der Menschen
erhöhen, deren Grundbedürfnisse nicht erfüllt sind und die in ständiger persönlicher und
wirtschaftlicher Unsicherheit leben (Ib:79).
Ich stelle fest, dass die Ergebnisse der Studie teilw. auf andere DDR-Fälle übertragbar sind und
zur Hypothesenbildung dienen, da Systeme der Diskriminierung von armen, weiblichen und
braunen Menschen globalisiert sind und in anderen Ländern ähnliche soziale Hierarchien
existieren, obgleich sich diese in Abhängigkeit vom spezifischen lokalen, historischen und
kulturellen Kontext ähnlich und verschieden im Alltagsleben der Menschen ausprägen können.
Durch vergleichende regionale und globale DDR-Fallstudien können wir besser verstehen, wie
sich die Intersektionen im transkulturellen Kontext von Konflikt unterscheiden und wie sie die
Dynamiken und die Auswirkungen von Friedensprozessen unter verschiedenen Bedingungen
bestimmen. (Ib:6;81).
Weiterhin ziehe ich Schlüsse über ontologische Kategorien zur Untersuchung sozialer Ungleichheit
im Zusammenhang mit Frieden und Konflikt:
„Wenn DDR die Repräsentanz aller sozialen Gruppen und ihrer Interessen ermöglichen soll, darf
unsere Aufmerksamkeit nicht auf die Kategorien von Klasse, Gender und Ethnizität beschränkt
sein. Weitere Forschung sollte die Kategorien Alter, Gesundheit und sexuelle Orientierung
behandeln, weil es offensichtlich ist, dass Menschen unterschiedlichen Alters, in unterschiedlichem
gesundheitlichen Zustand und mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen in der Gesellschaft
ungleich behandelt werden. Alter und Gesundheit erschienen bereits relevant für diese Fallstudie,
jedoch fehlten umfassende Informationen. Diskriminierung auf der Basis sexueller Orientierung
wird oft über Gender-Ideologien legitimiert. Gleichzeitig besteht eine große Notwendigkeit, die
Untersuchung in Klassen-, Gender und ethnische Ungleichheiten zu vertiefen. Im Fall von DDR in
Kolumbien gab es kaum Informationen über indigene und afrokolumbianische Menschen, wobei
Afrokolumbianer_innen am wenigsten sichtbar waren.“ (Ib:81; sinngem. Übers. der Verfass.).
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Maren Haase (2016): Der Blick auf (un)sichtbare Formen von Gewalt in Friedensprozessen am Beispiel einer Intersektionalitätsstudie zu DDR in Kolumbien.
Im Fazit stelle ich fest, dass Empowerment von Menschen, die keine Stimme haben, sowohl Mittel
als auch Ziel nachhaltiger Friedensbildung ist und mache mir bewusst, dass ich als weiße
europäische Frau aus der Mittelklasse Teil einer kleinen privilegierten Gruppe bin, die die
Friedensforschung dominiert (Ib:82). Die Partizipation benachteiligter Menschen und die
Sichtbarmachung von sozialer Ungleichheit ist essentiell, wenn es darum geht, Gewalt zu
thematisieren und zu beenden.
4. Zentrale Probleme, Ziele und Fragen im Anschluss an die Masterarbeit
Es besteht nun die zentrale Frage, wie diese gerechte Teilhabe erreicht werden kann angesichts
bestehender Machtungleichheiten, und wie nicht nur Benachteiligungen, sondern Privilegien auf
den Prüfstand gestellt werden können. Denn die Gewalt ist da verwurzelt, wo Menschen aus
Systemen der Diskriminierung Vorteile ziehen, jedoch wird sie ebendort auch unsichtbar gemacht,
indem den Unterdrückten die Stimme genommen wird. Da diese Diskriminierung systemisch ist,
müssen sich auch die Priviliegierten ihrer bewusst werden, um sich selbst zu emanzipieren und
um sich gegen die Unsichtbarmachung von Menschen einsetzen zu können, was schließlich für
alle Menschen Vorteile im Sinne eines sozial gerechten Friedens bringt.
Um angesichts vieler starker Machtungleichheiten denk- und handlungsfähig zu blieben, bedarf es
eines kritischen Standpunktes, bei dem wir uns bewusst machen, dass jede Forschung und Politik
sowohl von Strukturen der Ungleichheit geprägt ist als auch derartige Strukturen formt, sodass
negativer und positiver Frieden nicht unabhängig voneinander erreicht werden können (Ib:1f.).
Deshalb müssen die Erfahrungen von Gewalt, die unsichtbar sind, sichtbar (gemacht) werden und
die Menschen eine Stimme bekommen, die bisher nicht sprechen können - hier bei uns, in der
Friedens- und Konfliktforschung, in Forschung und Praxis. Aber immer noch frage ich mich, wie
diese Chancengerechtigkeit in der Realität durch Friedensforschung und Friedensarbeit erreicht
werden kann, und möchte diese und weitere Fragen mit anderen Menschen diskutieren.
• Inwieweit stellen intersektionelle Machtsysteme sowohl eine Ursache von Kriegen als
auch ein zentrales Merkmal der internationalen Sicherheitspolitik dar?
• Wie können soziale Hierarchien in der Friedens- und Konfliktforschung sichtbar
gemacht und die Erkenntnisse in der Friedensbildung angewendet werden?
• Welche Formen der Unterdrückung bleiben bei einer Analyse von Klasse, Gender und
Ethnizität unsichtbar und wie kann man sie ans Licht bringen?
• Durch welche Methoden kann man in der Praxis gleiche Möglichkeiten zur Teilhabe in
der Friedensbildung sicherstellen - auf lokaler und internationaler Ebene?
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Maren Haase (2016): Der Blick auf (un)sichtbare Formen von Gewalt in Friedensprozessen am Beispiel einer Intersektionalitätsstudie zu DDR in Kolumbien.
5. Infobox zu DDR in Kolumbien
„Demobilisierungsprozesse und andauernde Gewalt 21. Jahrhundert.
(...) In den 1990er Jahren hat die [kolumbianische] Regierung kollektiv Guerillaorganisationen
demobilisiert. Eine Politik für individuelle Demobilisierung existiert seit 1984, aber seit 2002 stiegen die
Zahlen in Folge attraktiverer Programmleistungen an. (Kaplan, Nussio 2014:9). Nach einem Abkommen
mit der Regierung Uribes erfolgte die kollektive Demobilisierung von 33.000 Paramilitärs [der
Dachorganisation Autodefensas Unidas de Colombia - AUC] zwischen 2003 und 2006 Block für Block;
begann jedoch vor der Verfügbarkeit von Mitteln und Infrastruktur (Guáqueta 2007:417; Kaplan, Nussio
2014:4-8; Morgenstein 2008:13). Da es bisher kein geltendes Friedensabkommen mit den [noch aktiven]
Guerillagruppen [Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia] FARC oder dem [Ejército de Liberación
Nacional] ELN gibt, mussten ihre Mitglieder zum Zweck der individuellen Demobilisierung desertieren und
erhielten daher einen anderen rechtlichen Status (Thorsell 2013:178). Guerillakämpfer_innen können sich
bei Behörden der Justiz, der Polizei oder der Armee ergeben und werden schließlich demselben DDRProgramm übermittelt (Porch, Rasmussen 2008:527). Über 6.000 Kämpfer_innen der Paramilitärs und
Guerilla haben individuell unter Uribe demobilisiert (Laplante, Theidon 2006:64). Im Jahr 2012 gab es in
Kolumbien ungefähr 55.000 Ex-Kombattant_innen, davon 34.000 aus der AUC und 11.000 aus der
Guerilla (Guáqueta 2007:417; Kaplan, Nussio 2014:4).
Eine neue Welle der Gewalt und Unsicherheit der allgemeinen Bevölkerung weist auf die Defizite der
jüngsten Friedensprozesse hin (Laplante, Theidon 2006:67). Die sog. Bandas Criminales Emergentes
(BACRIM), bekannt als Nachfolge der AUC, üben weiterhin kriminelle Gewalt und rechtsgerichtete
politische Gewalt aus. Die Beobachtermission der Organisation Amerikanischer Staaten warnte 2006 vor
einem Übergang in die Gewaltkriminalität (Saab, Taylor 2010:462). BACRIM sind nach der AUCDemobilisierung schnell gewachsen und haben mindestens sechs Hauptorganisationen in 24 der 32
kolumbianischen Provinzen etabliert (Brodzinsky 2010 in Andersson, Summerton 2013:33; Semana 2010
in Gutiérrez Sanín, González Peña 2012:116). Die Mitgliederzahlen wurden auf zwischen 3.900 und
10.200 geschätzt (CNRR 2010 in Nussio 2011a:90). Internationale Beobachter_innen betonen die
Kontinuitäten zwischen AUC- und BACRIM-Aktivitäten und machen einen defizitären Demobilisierungsprozess dafür verantwortlich. Ex-Paramilitärs gelten als Hauptrekrutierungsbecken (HRW 2010,
CNRR 2010:13f. und MAPP-OEA 2010:18 in Derks et al 2011:13; Hristov 2010:21f.). BACRIM scheinen
ähnlichen Strategien zu folgen, ähnliche Formen aufzuweisen und die gleichen sozialen Gruppen zu
attackieren wie die Paramilitärs, obwohl sie nicht kohärent organisiert sind und eher unabhängig agieren,
teilw. in Allianz oder in Opposition zu den Sicherheitskräften (AMR 23/005/2014 in Amnesty International
2015:115; Bryson 2011:18; Hristov 2010:22; HRW 2010:5). In dieser Hinsicht ist ein Großteil der
aufstrebenden Gewaltkriminalität von politischen Interessen überschattet (Gutiérrez Sanín, González
Peña 2012:16; Kaplan, Nussio 2014:4). Nichtsdesotrotz haben auch FARC- und ELN-Gruppierungen
starke Verbindungen zu BACRIM im Drogengeschäft und es ist bekannt, dass ehemalige GuerillaKämpfer_innen BACRIM gegründet oder sich ihnen angeschlossen haben (Cesar 2012 und Carlo 2009 in
Castillo 2014; HRW 2010:30).“
(Haase 2015:34ff.; sinngem. Übers. der Verfass.)
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