Florian Hohenstatt & Moritz Rinn
Festivalisierte Problembearbeitung
Die bevölkerungspolitische Strategie der IBA Hamburg,
die Abwesenheit Sozialer Arbeit in Stadtentwicklungspolitik und
die Effekte auf Wohnverhältnisse in Wilhelmsburg
Die IBA Hamburg und das Erbe der „Sozialen Stadt“
Vor zwölf Jahren attestierte Stefan Lanz in seinem Beitrag in den Widersprüchen
jenen stadtentwicklungspolitischen Programmen, die sich gegen die „soziale Polarisierung“ in Städten richteten (vor allem im Rahmen der Städtebauförderung
und des Bund-Länder Programms Soziale Stadt) eine Problemverschiebung
auf die Ebene der Stadtteile (vgl. Lanz 2000). Sie zeichneten sich unter anderem durch eine „hegemoniale Repräsentation“ aus, die benachteiligte Quartiere
„durch ihre Abweichung von der Mehrheitsgesellschat deiniert“ (Lanz 2000:
41). Zudem werde die gesamtstädtische und -gesellschatliche Perspektive zugunsten einer „Verbesserung ‘in situ’“ aufgegeben (ebd.: 44). Auch wenn nicht
ausgeschlossen werden könne, dass im Rahmen quartiersorientierter Interventionsstrategien Infrastruktur geschafen werde, die in den jeweiligen Gebieten
nutzbar sei, würden in den Problem- und Zieldeinitionen „scheinbar objektive
[…] Kriterien wie Armut, Arbeitslosigkeit, ethnische Zugehörigkeit mit Fragen
der Lebensführung“ vermischt, wobei die „Normalitätsmaßstäbe der entsprechenden SachbearbeiterInnen“ moralisierende Wirkungen entfalteten (ebd.: 47).
Als Reaktion auf eine drohende „Abwärtsspirale“ entwickelten Kommunen eine
„Angebotspolitik für Mittelschichten“ (ebd.: 41). Von Instrumentarien, die eine
Verdrängung ärmerer BewohnerInnen verhindern sollen, sei in der Folge keine
Rede mehr. Wenige Jahre später wurde in Hamburg-Wilhelmsburg ein anderes
Stadtentwicklungsprogramm zum Einsatz gebracht, das sich nur auf den ersten
Blick stark von den Programmen der Sozialen Stadt unterscheidet. Mit dem
Rahmenkonzept Sprung über die Elbe und dem Leitbild Metropole Hamburg
Widersprüche. Verlag Westfälisches Dampfboot, Heft 127, 33. Jg. 2013, Nr. 1, 23–38
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Florian Hohenstatt & Moritz Rinn
– Wachsende Stadt wird der Hamburger Süden seit Anfang der 2000er Jahre
strategisch in den Blick genommen. Ein Gebiet, das sich durch die Mischung
aus Hafenarealen, Industrie- und Wohngebieten auszeichnet, wird dabei als
Raum identiiziert, in den hinein sich die Wachsende Stadt ausdehnen soll. Die
Stadtteile Wilhelmsburg und Veddel, neben dem Norden Harburgs die Kerngebiete dieser inneren Stadterweiterung, gehörten als Folge einer lang anhaltenden Desinvestitionspolitik zu den als „benachteiligt“ beschriebenen Vierteln der
Hansestadt. Obwohl die Gebiete die Voraussetzung für Problembearbeitungen
im Rahmen der Sozialen Stadt erfüllt hätten, wählten die verantwortlichen
politisch-administrativen AkteurInnen eine andere Stadtentwicklungsstrategie.
Nachdem im Nachgang einer auf langjährigem Bürgerengagement aufbauenden
„Zukuntskonferenz“1 akuter Handlungsbedarf in Wilhelmsburg festgestellt
wurde, kamen mit der Internationalen Bauausstellung (IBA) und der Internationalen Gartenschau (igs) vorrangig Festivalformate zum Einsatz. Die „Bronx
des Nordens“ (vgl. Brinkbäumer 2000) sollte auf diesem Weg in ein „kreatives
Quartier“ (vgl. von Beust 2006) verwandelt werden.
Festivalisierte Stadtentwicklung, die bereits für die 1980er Jahre beschrieben
wurde (vgl. Häußermann/Siebel 1993), erhielt auf diesem Wege Einzug in die
Bearbeitung „problematischer Gebiete“: Mit Hilfe des Formates „Ausstellung“
– eine angesichts der Interventionsstrategien der IBA durchaus irreführende
Bezeichnung – sollte „erstmals die Zukunt der Metropole mit all ihren Facetten
thematisiert werden“ (vgl. Freytag 2006). Eine „moderne Stadtentwicklung des 21.
Jahrhunderts“ biete Chancen, auch in „Vierteln mit hohem Ausländeranteil“ „neue
Formen des Zusammenlebens“ zu entwickeln (vgl. von Beust 2006). Zentrale
Strategie der IBA ist dabei, das ramponierte Image des Stadtteils grundlegend zu
transformieren. Wo in den Programmen der Sozialen Stadt Problembenennungen
standen, wird hier auf die „Potenziale“ des Stadtteils verwiesen. Mit der Konstruktion von positiven Eigenschaten und Entwicklungschancen des Gebietes
gehen speziische Lösungsansätze einher, die sich etwa in der Verteilung der IBAProjekte in vermeintlich attraktiveren Lagen des Stadtteils oder der Abwesenheit
Sozialer Arbeit in der integrierten Stadtentwicklung zeigen. Zugleich inden
grundlegende Annahmen, die bereits vor mehr als einer Dekade am Programm
Soziale Stadt kritisiert wurden, in den Interventionen im Rahmen des Sprungs
1 Gefördert von der Stadt Hamburg setzten sich in Wilhelmsburg 100 Menschen im
Zeitraum von Mai 2001 bis Juni 2002 in Arbeitsgruppen in sieben thematischen
AGs mit Wilhelmsburg auseinander. Die Ergebnisse sind im Weißbuch Wilhelmsburg zusammengefasst (vgl. Zukuntskonferenz Wilhelmsburg 2002).
Festivalisierte Problembearbeitung
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über die Elbe ihre Fortsetzung. Die schon in der Sozialen Stadt angelegte Sozialpolitik als Bevölkerungspolitik 2 indet sich im Sprung über die Elbe in Reinform
wieder. Am Beispiel eines Konliktes um Wohnverhältnisse im Wilhelmsburger
Korallus- und Bahnhofsviertel möchten wir zeigen, dass die implizite Kontinuität
von Vorstellungen einer sich selbst verstärkenden Abwärtsspirale in Kombination
mit einer noch intensivierten Anwerbepolitik für die „Mittelschicht“ vor allem
zu einem Abbau derjenigen Programmteile führt, denen Stefan Lanz zumindest
„ambivalente Wirkungen“ bescheinigte (Lanz 2000: 49).
Die Strategie der „Wachsenden Stadt“: Bevölkerungspolitische
Programmatik und wohnungspolitische Effekte
Das Leitbild Metropole Hamburg – Wachsenden Stadt, das der CDU-Schill-Senat Anfang der 2000er Jahre aus einer Vorlage der McKinsey-Unternehmensberatung (vgl. Schubert 2008: 50) entwickelte, steht ganz im Zeichen der Politik
des „Unternehmens Hamburg“. Hatte sich Stadtentwicklungspolitik unter der
rot-grünen Vorgängerregierung vor allem mit strategischen Neuausrichtungen
der Bearbeitung von städtischer Desintegration hervorgetan, zugleich aber auch
schon Projekte wie die HafenCity gestartet, wo eine hochpreisige Innenstadterweiterung Büroräume und exklusives Wohnen anbietet (vgl. http://www.hafencity.com), so setzte die Regierung von Beust ganz auf die Karte interurbaner
Konkurrenz: Attraktivierung der Stadt für neue BewohnerInnen und TouristInnen, als Unternehmensstandort und Eventlocation, so lässt sich die Zielsetzung der Hamburger Metropolenpolitik bündig zusammenfassen, während die
Umsetzungsstrategien einerseits auf eine fortgesetzte innere Ökonomisierung
und Rationalisierung staatlicher Verwaltung und andererseits auf eine Ausweitung der Marketingpolitiken setzten (vgl. Schubert 2008, Volkmann 2005).
Im Leitbild sind dementsprechend keine Strategien enthalten, die explizit an
klassisch-sozialpolitische Stadtentwicklungsprogramme anknüpfen. Trotzdem
ähneln die zugeschriebenen Qualitäten „attraktiver“ städtischer Räume aufällig
Beschreibungen, die im Rahmen integrierter Stadtentwicklung für die Stabilisie-
2 „Bevölkerungspolitik“ verstehen wir hier, in Anschluss an Foucaults Konzeption von
Biopolitik und gouvernementaler Führung, als Strategie der Regierung von Bevölkerung. So ist bspw. die Veränderung der „sozialen Mischung“ in bestimmten städtischen
Räumen durch das Setzen von Marktanreizen, bspw. durch politisch-administrative
Attraktivierungs- und Aufwertungspolitiken, die durchaus auch mit Kontroll- und
Ausschließungspolitiken einhergehen, als Bevölkerungspolitik gefasst.
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rung von „Problemquartieren“ als notwendig deiniert wurden. Sie knüpfen damit
durchaus an kommunale Politiken des Sozialen an, denen es um die „Integration
der Gesellschat im städtischen Raum“ geht.3 Waren bei diesen aber bevölkerungspolitische Strategien (der „sozialen Mischung“) zumindest programmatisch Mittel
zum Zweck (der Bearbeitung von Polarisierung), so wurden sie in der Wachsenden
Stadt zum zentralen Referenzpunkt, an dem Sozial- und Kulturpolitiken ausgerichtet wurden.
Wohnungspolitisch setzen die in den Leitbildern formulierten unternehmerischen Strategien auf eine ökonomische Rationalität: Sie positionierten die
Stadt Hamburg zugleich als Akteurin des Immobilienmarktes und Instanz zu
dessen Beeinlussung. Dabei erfolgten Anreizpolitiken in zweierlei Hinsicht:
Erstens sollte die Mobilisierung und Vermarktung stadteigener Flächen durch
eine Re-Regulierung des städtischen Flächenmanagements (in der Hand der Finanzbehörde) und der städtischen Grundstücksvergabepolitik (Einführung des
Höchstgebotsverfahrens) vorangetrieben werden. Zentrale Leitbild-Strategien
verfolgten zweitens die Attraktivierung Hamburgs als „Wohnstandort“ für umworbene hochqualiizierte Arbeitskräte, junge Familien und Studierende ebenso
wie als Unternehmensstandort (vgl. FHH 2002, 2003; Volkmann 2005, 2006;
Schubert 2008).
Auf den Wohnungsbausektor wirkten diese Anreizpolitiken jedoch ganz offensichtlich wenig stimulierend – im Gegenteil: Die Bodenpreise stiegen auch
in Folge der neuen Vermarktungsstrategien kontinuierlich, und Investitionen in
Büro- und Gewerbelächen waren auch deswegen attraktiver, weil bei Leerstand
für EigenümerInnen günstige Abschreibungsmöglichkeiten bestehen. Die Zunahme von Büroleerstand – auch und gerade in Vorzeigeprojekten wie der HafenCity
oder dem BrauQuartier auf St. Pauli – und die gleichzeitige Verteuerung von
Wohnungsneubau aufgrund von Bodenpreissteigerungen führten zu nicht mehr
zu übersehenden Asymmetrien im Immobiliensektor.4 Trotz wachsender Bevöl3 Mit „Politiken des Sozialen“ sind hier politisch-administrative Praktiken gemeint,
die zwischen gouvernementalen Regierungsstrategien, Disziplinierung und Ausschließung changieren und auf die Kohäsion demokratisch-kapitalistischer Gesellschaten zielen. Wir knüpfen hierbei sowohl an Foucault orientierte machtanalytische Ansätze als auch an die von Cremer-Schäfer/Steinert vorgeschlagene Analyse
einer Politik der Arbeitsmoral an (vgl. Rinn 2011).
4 Laut Angaben des Hamburger Abendblatts vom 10.10.2012 standen 970.000 m² Büroläche leer, während die in der Debatte um Wohnungsmangel gehandelten Zahlen
fehlender (Miet-)Wohnungen zwischen 15.000 (Deutscher Mieterbund) und 40.000
(Partei Die Linke) variieren.
Festivalisierte Problembearbeitung
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kerung schrumpte der Wohnungsneubau immens: Wurden 1995 noch 9.750
Wohneinheiten fertiggestellt, so waren es 2007 nur noch 3.173 (Joho/Schellner
2011: 126). Trotz einer angekündigten „Wohnungsbauofensive“ stieg diese Zahl
2011 nur auf 3.729 (vgl. Statistikamt Nord 2012).
Hinzu kommt, dass der schon in den 1990er Jahren vollzogene – und für
Hamburg prominent von Dangschat/Alisch (vgl. 1998) kritisierte – staatliche
Ausstieg aus dem sozialen Wohnungsbau gerade in den letzten Jahren angesichts
des Auslaufens zahlreicher Sozialbindungen zu massivem Wegfall von Wohnraum
im unteren Preissegment führte. Zwischen 2001 und 2011 sind über 47.000 Wohnungen aus der Sozialbindung gefallen6, im gleichen Zeitraum sank die Prozentzahl der im Mietenspiegel verzeichneten, d.h. nicht gebundenen Wohnungen
unter 6 € / m² Netto kalt von 58 % auf 32,7 % (vgl. Bürgerschat FHH 2012).7
Die Mietenentwicklung nahm in Hamburg nicht nur in den innenstadtnahen
Vierteln, in denen Gentriizierungsprozesse am deutlichsten zu beobachten sind,
immens an Fahrt auf (vgl. Joho/Schellner 2011, Birke 2011).8 Mittlerweile haben
auch politisch-administrative AkteurInnen Probleme auf dem Hamburger Wohnungsmarkt identiiziert – was nicht zuletzt mit der stadtweiten Protestdynamik
gegen den „Mietenwahnsinn“ zusammenhängt (vgl. Birke 2011) – und erste Gegenmaßnahmen zum Einsatz gebracht.9
5
5 1986: 1.571.267 Bewohner_innen, 2000: 1.715.392 Bewohner_innen; 2011:
1.798.836; August 2012: 1 808 489 Bewohner_innen,http://www.statistik-nord.
de/daten/bevoelkerung-und-gebiet/.
6 Waren im Jahr 2000 von insgesamt 858.993 Wohnungen noch 19 %, d.h. 163.342
Einheiten mit Sozialbindungen belegt, so im Jahr 2011 nur noch 116.016, was 12.9
% von insgesamt von 896.940 Wohneinheiten entspricht (vgl. Drucksache 20/4998,
S.12)
7 Diese Zahlen müssen ins Verhältnis mit der Entwicklung von Einkommen und Preisen gesetzt werden. So haben sich im selben Zeitraum die Lebenshaltungskosten um
19,4 % erhöht (vgl. Drucksache 20/4998),
8 Daten über die Entwicklung der Angebotsmieten liefert die auf der Auswertung von
Inseraten bei einschlägigen Immobilienportalen und einer Tageszeitung basierende
jährliche Studie des Gymnasium Ohmoor (http://gymnasium-ohmoor.de/lernen/
projekte/mietenentwicklung-in-hamburg/ zuletzt Abgerufen am 7.1.2013). 2012 lagen die Angebotsmieten im gesamtstädtischen Durchschnitt bei 11,34 €. Auch der
Mietenspiegel dokumentiert Mietsteigerungen und dient zugleich Vermieter_innen
als Legitimation für weitere Mieterhöhungen.
9 Die ab dem Sommer 2009 entstandene neuen Dynamik stadtpolitischer Auseinandersetzungen, an der maßgeblich Initiativen aus dem Spektrum des Recht auf
Stadt-Netzwerks beteiligt waren (vgl. www.rechtaufstadt.net), fanden in der „Woh-
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Der Sprung über die Elbe und Wohnverhältnisse in Wilhelmsburg
Der 2004 projektierte Sprung über die Elbe nimmt nun die vom Stadtzentrum
aus südlich der (Norder-)Elbe gelegenen, ehemals als „Problemviertel“ etikettierten Stadtteile Wilhelmsburg, die Veddel und Harburg unter der Perspektive
der Wachsenden Stadt in den Blick. Sie werden als Expansionsräume bestimmt,
in die hinein die Stadt innerhalb ihrer eigenen Grenzen wachsen soll. Obwohl
im Sprung über die Elbe keine explizite wohnungspolitische Programmatik
enthalten ist, haben die auf dieser Konzeption aufbauenden stadtpolitischen
Interventionen Auswirkungen auf Wohnverhältnisse in den „wiederentdeckten“ Vierteln. Insbesondere das stadtentwicklungspolitische Instrument IBA
verändert Bedingungen am Wohnungsmarkt, ohne dabei selbst für sich in Anspruch zu nehmen, eine explizit sozial- und wohnungspolitische Agenda zu haben. Obwohl eine „Aufwertung ohne Verdrängung“ postuliert wird, existieren
keine entsprechenden Strategien, diese zu verhindern. Die wohnungspolitischen
Efekte der IBA ergeben sich letztlich weniger aus ihren Bauprojekten selbst –
einzelne, „innovative“ Wohnungsneubauprojekte, die sowohl architektonisch
wie von der Zielgruppe her auch in die HafenCity passen würden, sowie exemplarische Sanierungsmaßnahmen10 –, sondern vor allem aus einem umfassenden
medialen „Re-Branding“ Wilhelmsburgs als attraktivem Wohnstandort für die
stadtpolitisch erwünschte Zielgruppe. Im Zuge dieser Imagepolitik werden gesellschatliche Konlikte entnannt – und zwar nicht, indem sie zu Problemen
umdeiniert werden, wie dies im Rahmen des Modells „Integrierter Stadtteilentwicklung“ (Soziale Stadt) praktiziert worden ist und damit auch das Negati-
nungsfrage“ eines ihrer zentralen Konliktfelder. Die Gleichzeitigkeit von Büroleerstand und Wohnungsmangel, die Verdrängung von Bewohner -innen mit unteren
und mittleren Einkommen aus den innenstadtnahen Wohngebieten wurden von
stadtteilpolitischen Initiativen und Bündnissen verstärkt thematisiert (vgl. dazu
bspw. Füllner/Templin 2011; Birke 2011; Vrenegor 2012). Die auch medienöfentlich stark debattierte „Wohnungsnot“ wurde politisch-administrativ spätestens vom
2011 neu gewählten SPD-Senat ofensiv besetzt: Angekündigt wurde eine „Wohnungsbauofensive“ von 6000 neuen Wohnungen pro Jahr – von denen, so Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau 1/3 „bezahlbar“, d.h. öfentlich nach dem ersten
oder. zweiten Förderweg gefördert werden sollten.
10 Gerade anhand der teuren und aufwendigen Sanierung von Häusern im sogenannten „Weltquartier“ wird deutlich, dass die Projekte der IBA eben keine Beispielhaftigkeit für Stadtteile haben, die wie Wilhelmsburg und die Veddel einen großen Bestand an Wohnungen mit einem Sanierungsstau aufzuweisen haben.
Festivalisierte Problembearbeitung
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vimage von „Problemstadtteilen“ reproduziert und verstärkt hat, sondern indem
Konlikte vollkommen dethematisiert werden.11
Hinter dieser Strategie, die die „Elbinseln“ für jene Bevölkerungsgruppen
zu einer Option bei der Wohnstandortwahl machen soll, die den Stadtteil jahrzehntelang „nur verlassen“ haben, lassen sich fast identische Annahmen inden,
die schon im Rahmen der Sozialen Stadt handlungsleitend waren. Obwohl die
Interventionsstrategien auf der Vorstellung einer „Abwärtsspirale“ basieren, kommen keine Desintegrationsdiagnosen und ofensiven Moralisierungsdiskurse zur
Anwendung. Die noch von Lanz kritisierten Problemkonstruktionen, die mit zum
Teil ofen rassistischen Zuschreibungen operierten (Lanz 2000: 41), verschwinden
hinter Begrifen wie „Vierteln mit Herausforderungen“ (vgl. von Beust 2006) oder
der Einwicklung einer „Kosmopolis“, die „Räume für eine internationale Stadtgesellschat“ „modellhat“ gestalten soll, wie es auf der IBA-Homepage heißt.12
In den konkreten Interventionen zeigt sich dann vor allem die Strategie einer
Bevölkerungspolitik, die auf die Anwerbung „neuer Zielgruppen“ setzt. Maßnahmen wie das Förderprogramm zur Subventionierung studentischen Wohnens
in Teilen des Gebietes, die aktive Imagepolitik und Re-Branding-Strategie, die
damit eng verbundene ofensive Besetzung des hemas „Bildung“ als sozialpolitische Programmatik sowie die gezielte Subventionierung und Durchführung
von Wohnungsbauprojekten wie dem OpenHouse oder den Neuen Hamburger
Terrassen, die vorrangig auf Zielgruppen mit höherem Einkommen ausgerichtet
sind, bieten dafür deutliche Beispiele. Hier indet die von Lanz beschriebene
politische Strategie ihre Fortsetzung, eine „Angebotspolitik für Mittelschichten“
als „soziale Aufgabe“ zu deklarieren (Lanz 2000: 41).
Angesichts der gesamtstädtischen Entwicklungen des Wohnungsmarktes
und des Fehlens von jeglichem wohnungspolitischen Instrumentarium, um Verdrängungsefekte der eigenen aktiven Anwerbepolitik für Besserverdienende
zu verhindern, scheinen die von der IBA ausgegebenen Zieldeinitionen, den
„Zuzug neuer Bevölkerungsgruppen“ und zugleich eine „Aufwertung ohne Ver11 Wilhelmsburg und die Veddel werden dabei zu „weißen Flecken“ auf dem Stadtplan,
den es „zu entdecken“ und dessen ungenutzte Potenziale es zu erschließen gelte.
12 Zum Leitthema „Kosmopolis“: http://www.iba-hamburg.de/nc/themen-projekte/
kosmopolis.html. Die stadtentwicklungspolitische Abkehr solcher Konstruktionen
„panischer Räume“ (Ronneberger/Tsianos 2009) bedeutet jedoch nicht, dass im
Rahmen der Sprungs über die Elbe und der IBA keine Rassismen zur Anwendung
kommen. Vielmehr sind diese ot in einen Diversity-Diskurs eingebettet, der die
Potenziale der „Vielfalt“ des Zusammenlebens unterschiedlicher „Nationen“ – wie
bspw. im Weltquartier – betont und produktiv zu machen beansprucht.
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drängung“ zu initiieren, in einem direkten Widerspruch zueinander zu stehen.
Auch hier wird sich der Strategie der Entnennung bedient: In den von der IBA
in Autrag gegebenen Strukturmonitorings wird regelmäßig „nachgewiesen“,
dass keine Verdrängung stattinde. Diese Veröfentlichungen und vor allem die
zum Teil verzerrende Art der Darstellung von „IBA-Efekten“ sind dabei auch als
Reaktion auf Kritiken zu lesen, die von Stadtteilinitiativen artikuliert werden.
Dabei spielt der IBA durchaus in die Hände, dass der statistische Nachweis von
Verdrängung als ausgesprochen schwierig gilt und politisch umkämpt ist (vgl.
Bernt/Holm 2010).13 Zudem ist Wilhelmsburg als Stadtteil zwar eine juristischpolitische Einheit, hinsichtlich der Lebensverhältnisse seiner BewohnerInnen
jedoch äußerst heterogen. Diese Spaltungen materialisieren sich sowohl stadträumlich als auch in Bezug auf Interessenpolitik: So gibt es in Wilhelmsburg
durchaus BewohnerInnen und zivilgesellschatliche Akteure, an die der Sprung
über die Elbe anschlussfähig ist. Während „Lebensqualität“ und der drohende
„Wertverlust von Immobilien“ Stichworte darstellen, die auch in Teilen der „Wilhelmsburger Bürgerbewegung“ (vgl. ZEW 2012) mobilisierungsfähig sind,14 sind
MieterInnen in den Großwohnsiedlungen und „Sozialbauten“ wie auch im Altbau
mit Mietsteigerungen bei gleichbleibenden oder sinkenden Haushaltseinkommen
konfrontiert. Diese gehen teilweise einher mit einem Verfall ihrer Wohnungen, der
ihre Gesundheit gefährdet. Die Binnenumzüge innerhalb Wilhelmsburgs, die sich
aus den amtlichen Statistiken ablesen lassen, signalisieren zudem, dass der Umzugsdruck vor allem in den gegenwärtig am stärksten von Aufwertungspolitiken
betrofenen westlichen Wohnvierteln wächst.15 Die Optionen für MieterInnen,
die sich bspw. Mietsteigerungen nicht mehr leisten können oder aufgrund des
schlechten Zustands der eigenen Wohnung umziehen wollen, sind jedoch immer
13 Würden bspw. die von Marcuse (1985) diferenzierten Formen von Verdrängung
verwendet, dann wären Ausprägungen von „exklusionary displacement“ durchaus
für Wilhelmsburg feststellbar.
14 Zugleich bestehen aber auch Reibungspunkte und Konlikte zwischen diesen otmals langjährigen „Engagierten“ und der IBA. Vgl. dazu Schmidt (2012), der die
partizipationsorientierte Governance-Strategie der IBA als partiell gescheitert beschreibt, da sie kontraproduktive Efekte habe und für die lokale Zivilgesellschat als
Fortsetzung der bisherigen Top-Down-Stadtpolitik erfahren würde.
15 Vgl. IBA-Strukturmonitoring 2011, Anhang, S.26. Binnenumzüge werden darin
nur erfasst, wenn dabei die Grenze eines der drei Ortsteile Wilhelmsburgs überschritten wird. Mit dieser stark quantitativ-sozialstatistisch orientierten Perspektive
kommen kleinräumigere Prozesse ebensowenig wie alle Veränderungen im „informellen Sektor“ des Wohnungsmarktes in den Blick.
Festivalisierte Problembearbeitung
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stärker eingeschränkt: Während Leerstand nicht in nennenswertem Umfang zu
verzeichnen ist und die Zahl der Wohneinheiten seit Jahren stagniert, nimmt die
Bevölkerung kontinuierlich zu.16 Dieses Wachstum liegt durchaus im Hamburger
Trend und sogar über dessen Durchschnitt. Zudem macht sich das Ende des sozialen Wohnungsbaus besonders in Vierteln mit einem hohen Anteil gebundener
Wohnungen bemerkbar. So verringerte sich auf der Veddel und in Wilhelmsburg zwischen 2006 und 2011 der Anteil von Sozialwohnungen 2006 um 6,3%
(Hamburg 3 %) auf insgesamt noch 6.956 Einheiten (IBA-Strukturmonitoring
2012: Anhang: 38). In Wilhelmsburg werden bis 2017 1.853 Einheiten, fast 30
% aller Sozialwohnungen, aus der Bindung fallen (Statistikamt Nord 2012b: 49).
Die gleichzeitige Steigerung der Angebotsmieten von 5,93 € auf knapp 8 €
netto kalt in fünf Jahren verläut ähnlich wie im Hamburger Durchschnitt (vgl.
IBA Strukturmonitoring 2012: Kurzfassung: 14), wobei im Strukturmonitoring
betont wird, dass sie mit 35% weniger drastisch als in „Szene-Stadtteilen“ wie
St. Pauli (42%) ausfalle. Der ebenfalls angestellte Vergleich mit Billstedt (23%)
ist insofern interessant, weil Stadtentwicklungspolitik dort mit „klassischen“
Instrumenten des „Rahmenprogramms Integrierte Stadtteilentwicklung“ (RISE)
operiert. RISE steht dabei in einer organisatorischen wie programmatischen Linie
mit den inzwischen „alten“ Formen stadtteilbezogener Problembearbeitung. Auch
die Reste der Sozialen Stadt sind hier verortet.
16 Bestanden in Wilhelmsburg und auf der Veddel 2006 22.685 Wohneinheiten bei
54.059 mit Hauptwohnsitz gemeldeten EinwohnerInnen, so waren es 2011 22.966
Wohnungen bei 55.587 EinwohnerInnen (vgl. IBA-Strukturmonitoring 2012, Anhang, S. 3 und S. 37.) – d.h. oiziell gezählten 1.500 Menschen mehr stehen keine
300 zusätzlichen Wohneinheiten gegenüber. Dabei ist zu beachten, dass die durchschnittlich pro Person zur Verfügung stehende Wohnläche in Wilhelmsburg 2011
um 25 % unter dem gesamtstädtischen Durchschnitt von 37m 2 lag (vgl. Statistikamt
Nord 2012b, S.49).
Dabei sind die Bevölkerungsveränderungen in den einzelnen Stadtteilen (S.2) bzw.
statistischen Gebieten (S.,4) besonders aufschlussreich. Hier machen sich deutliche Diferenzen bemerkbar, und es werden „Zuzugsinseln“ vor allem in Teilen
des Reiherstiegviertels, aber auch im Bahnhofs- und Korallusviertel und in Teilen
Kirchdorfs sichtbar. Auch hier gilt selbstverständlich, dass statistisches Wissen über
gebietsspeziische Bevölkerungsentwicklung nicht als „objektives“ Abbild der tatsächlich stattindenden Prozesse begrifen werden kann. So dürten bspw. aufgrund
der speziischen Bedeutung Wilhelmsburgs und der Veddel als Orte für Menschen,
die in prekären Situationen neu nach Hamburg kommen, die tatsächlichen Wohnverhältnisse nur verzerrt durch solche Zahlen hindurch scheinen.
Sozialstatistiken eröfnen eine speziisch situierte Perspektive auf Stadt und ihre Bevölkerung, die gleichwohl stadtpolitisch von strategischer Bedeutung ist.
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Stadtentwicklungspolitik jetzt mal ohne Soziale Arbeit?
Während sich Soziale Arbeit im Rahmen des Programms Soziale Stadt mit der
Implementierung von Quartiersmanagement und einer Ausrichtung auf den
„Sozialraum“ eine feste Position innerhalb der Arrangements von Stadtteilentwicklung sichern konnte, stellt sich dies in den Strategien des Sprungs über die
Elbe grundlegend anders dar. Die auf „Potenziale“ fokussierende Beschreibung
Wilhelmsburgs und der Veddel lässt die „Probleme“, die durch die Interventionen bearbeitet werden sollen, bis auf wenige Ausnahmen implizit. Nur folgerichtig erübrigt sich die Bezugnahme auf die Soziale-Probleme-Profession:
Soziale Arbeit kommt in dieser Programmatik nicht vor, in den einschlägigen
Veröfentlichungen inden sich nur selten Hinweise, dass sie Akteurin von
Stadtentwicklung sein könnte. Im Rahmen des Sprungs über die Elbe indet
stattdessen eine Fokussierung auf die Herstellung einer anderen Bevölkerungsmischung statt, die letztlich auf der Vorstellung einer „zivilisierenden“ Wirkung
der „Mittelschicht“ beruht (vgl. Holm 2009). Die stigmatisierenden Voraussetzungen der alten Programme werden so beibehalten, während diejenigen
Programmelemente, die zumindest ein „Minimum an sozialer Gerechtigkeit“
herstellen sollten und denen Lanz noch zumindest ambivalente Wirkungen bescheinigen konnte, im Sprung über die Elbe gar nicht mehr vorkommen (Lanz
2000: 49f.). Das Ausbleiben von integrierter Stadtentwicklung genau dort, wo
BewohnerInnen mit zusätzlicher Infrastruktur unter Umständen etwas anfangen könnten, kann als Rückzug einer sich sozialpolitisch zumindest verantwortlich erklärenden Stadtentwicklungspolitik gedeutet werden. Soziale Arbeit und
Stadtentwicklungspolitik werden wieder in unterschiedliche Sphären entlassen.
Ambivalent-positive Wirkungen in Bezug auf eine Verbesserung von individuellen Lebenssituationen können wir im Sprung über die Elbe nur schwer inden.
Welche Auswirkungen dieses Ausbleiben von integrierter Stadtentwicklung
in einer zusätzlich auch noch privatisierten Großwohnsiedlung haben kann,
wird am Beispiel der gegenwärtigen Konlikte um Wohnen im Wilhelmsburger
Bahnhofs- und Korallusviertel deutlich.
Konflikte in der „Kosmopolis“: Das Beispiel GAGFAH
Das Bahnhofs- und Korallusviertel besteht zur Hälte aus gründerzeitlichem
Altbaubestand und zur anderen Hälte aus einer Großwohnsiedlung, die zwischen 1962 und 1978 von der bahneigenen Wohnungsbaugesellschat WG Norden errichtet wurde. Die etwa 1.500 Wohnungen liegen in fast direkter Nachbarschat zur „Neuen Mitte“, wo mit der „Bauausstellung in der Bauausstellung“
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und dem Gartenschau-Park die zentralen „Schaufenster“ der beiden Festivals
errichtet werden. Etwa die Hälte des Wohnungsbestandes im Bahnhofsviertel
und nahezu alle Wohneinheiten im Korallusviertel sind seit 2005 im Besitz des
Immobilienunternehmens GAGFAH. Spätestens seit dieser Zeit sind dort die
Folgen einer systematischen Desinvestitionspolitik spürbar, die selbst an grundlegenden Instandhaltungen spart. Die GAGFAH, eine ehemals gemeinnützige
Wohnungsbaugesellschat, wurde 2004 von der Bundesversicherungsanstalt für
Angestellte an den Hedgefonds Fortress verkaut, der das Unternehmen an die
Börse brachte und Hauptanteilseigner ist. Mit Sitz in Luxemburg praktiziert die
GAGFAH über ihre zahlreichen Tochtergesellschaten eine konsequent renditeorientierte Bewirtschatungsstrategie ihrer Bestände.17 Durch die Politik des
systematischen Herunterwirtschatens, aber auch durch Management-Skandale
und die Klage der Stadt Dresden auf die Einhaltung einer Sozialcharta, ist die
GAGFAH bundesweit in die Schlagzeilen geraten. Zu dieser erhöhten öfentlichen Aufmerksamkeit trugen aber nicht zuletzt auch MieterInnen-Proteste
in Hamburg, besonders in Wilhelmsburg, bei. MieterInnen initiierten hier
ab Frühjahr 2011 mit einer ortsansässigen Sozialberatungsstelle, einer Stadtteilinitiative und einem alternativen MieterInnen-Verein Kundgebungen und
Demonstrationen gegen die Geschätspraktiken des Unternehmens und unzumutbare Wohnverhältnisse in ihren Häusern (vgl. AG Wohnen Wilhelmsburg
2012). In einer angesichts der weiteren Untätigkeit nicht nur der GAGFAH,
sondern vor allem der politisch-administrativen AkteurInnen auf Bezirks- und
Senatsebene von der AG Wohnen Wilhelmsburg vorgenommenen Dokumentation werden die Auswirkungen des „System GAGFAH“ (vgl. ebd.) auf Wohnund Lebensverhältnisse vor Ort auf drastische Weise deutlich.
Im Rahmen der Befragung von MieterInnen aus etwa 10 % der GAGFAHWohnungen berichteten über die Hälte der Befragten über akuten Schimmelbefall. Durch Fenster und Fassaden dringende Feuchtigkeit, ausfallende und schlecht
funktionierende Heizungen, defekte Fahrstühle und fehlende Spielplätze waren
weitere häuig genannte Mängel (vgl. AG Wohnen 2012). Bei Beschwerden und
Mängelanzeigen wendet das Unternehmen eine Hinhaltetaktik an, eine Beseitigung der Mängel erfolgt nur in Ausnahmefällen – während auf von MieterInnen vorgenommene Mietminderungen konsequent mit Kündigungsdrohungen
reagiert wird. Auch die als diskriminierend erfahrene Umgangsweise von GAGFAH-MitarbeiterInnen lässt für viele das Gefühl entstehen, „Menschen zweiter
17 Zu den Auswirkungen solcher Privatisierungen und den Bewirtschatungsstrategien
institutioneller Anbieter auf dem Wohnungsmarkt vgl. Holm 2010.
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Klasse“ (vgl. ebd.) zu sein. Der GAGFAH kommt dabei auch der Umstand zu
Gute, dass es angesichts rassistischen Diskriminierungen und einkommensbezogenen Ausschließungsmechanismen auf dem ohnehin angespannten Wohnungsmarkt für viele Menschen im Bahnhofs- und Korallusviertel äußerst schwierig
ist, anderswo eine Wohnung zu inden. Die Dokumentation der AG macht aber
auch ein breites Spektrum an Praktiken sichtbar, mit denen MieterInnen ihre
Probleme mit der GAGFAH bearbeiten. Diese reichen von der selbstständigen
Renovierung von Wohnung und Treppenhäusern über regelmäßige Anrufe bei
der GAGFAH, Mietminderungen und juristische Klagen bis zu öfentlichem
Protest in Form von Demonstrationen und Medienarbeit.
Institutionen der Stadtentwicklung liefern dagegen keine Ressourcen im Umgang mit dem Wohnungskonzern – sie sind in dem Gebiet kaum präsent.18 Erst
langsam und als Resultat der öfentlichen Proteste, die bezirkspolitischen Handlungsdruck erzeugten, erkannte die Bezirksverwaltung eine eigene Zuständigkeit
für die Wohnverhältnisse in den GAGFAH-Beständen.19 Für die MieterInnen
haben sich bisher jedoch keine materiellen Verbesserungen ergeben. Dementsprechend werden die IBA-Gebäude in der direkten Nachbarschat von vielen als zynische Betonung gegenwärtiger Leitlinien der Stadtentwicklungspolitik aufgefasst.
Besonders symbolträchtig ist dabei, dass in unmittelbarer Nähe zu den maroden
Häusern der GAGFAH, neben Ausstellungsgebäuden und hochpreisigem Wohnen, auch das neue Gebäude der Behörde für Stadtentwicklung entsteht. Unter den
Bedingungen von festivalisierter Stadtentwicklung haben auch kommunale Stellen
ofenbar kaum Ressourcen, um auf die konliktreiche Situation zu reagieren. Und
so ist die Hillosigkeit, die die für Wohnraumschutz zuständige Bezirksverwaltung
angesichts der Beschwerden und Proteste an den Tag legt, fast schon verständlich:
Es existieren faktisch keine kommunalen Institutionen, die sich überhaupt ein Wissen über die Wohnverhältnisse im Bahnhofs- und Korallusviertel bei der GAGFAH
18 Zwar wird in der Nähe des Bahnhofs- und Korallusviertels ein Bildungszentrum
erreichtet, es gibt allerdings weiterhin keine kommunale Anlaufstelle, die sich für
Wohnverhältnisse bei einem Wohnungskonzern zuständig erklären könnte. Eine
kurzfristig anberaumte „Mietersprechstunde“ der bezirklichen Wohnungsplege erreichte die Mieter_innen aus verschiedensten Gründen – einer dürte die ausschließliche Bekanntmachung in deutscher Sprache gewesen sein – kaum.
19 In Autrag gegebene Gutachten zum strategischen Umgang mit der GAGFAH und
eine angekündigte Gesprächsbereitschat mit der AG Wohnen zeugen davon. Zugleich erklären politisch-administrative Akteur_innen weiterhin, dass ihnen wirksame juristische Instrumentarien fehlten, um die GAGFAH zur Instandhaltung
ihres Bestandes zu bewegen.
Festivalisierte Problembearbeitung
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erarbeiten könnten, das Ausgangspunkt politisch-administrativer Problembearbeitung werden könnte. Hier zeigt sich die gegenwärtige stadtentwicklungspolitische
Unfähigkeit, darauf zu reagieren, wenn sich in der Folge der Deregulierung des
Wohnungsmarktes die Wohnverhältnisse in der Stadt massiv verschlechtern. Es
zeigt sich aber auch, dass trotz der Dethematisierungsstrategie der IBA Konlikte
fortbestehen und auch sichtbar artikuliert werden.
Wenn das Feuerwerk vorbei ist…
Angesichts gegenwärtiger, zuletzt auch bundesweit geführter wohnungspolitischer Diskussionen – um die Begrenzung von Mieterhöhungen oder über Antworten auf das lächendeckende Auslaufen der Sozialbindungen – und auch in
Bezug auf die speziische Konliktkonstellation in Hamburg, die von Mobilisierungserfolgen stadtpolitischer Initiativen und neuen politisch-administrativen Bearbeitungsstrategien des als Problem anerkannten Wohnungsmangels
gekennzeichnet ist (vgl. Füllner/Templin 2011), wirkt die Stadtentwicklung
im Sprung über die Elbe seltsam unzeitgemäß: Ausgerechnet eine Bauausstellung hat keine Antwort auf aktuelle wohnungspolitische Fragen. Zugleich ist
die „beispielhate Stadtentwicklung“ der IBA jedoch ein durchaus ehrgeiziger
Versuch, die Prinzipien städtischer Standortvermarktung auch auf integrierte
Stadtentwicklung und in der Folge auch auf Sozialpolitik zu übertragen. Die
Ausdehnung des Festivalisierungsgedankens auf die Bearbeitung von städtischer
Ungleichheit unter den Vorzeichen einer konsequenten Bevölkerungspolitik bedeutet für Soziale Arbeit, die sich im Rahmen der Debatte um den „Sozialraum“
als Problemlöserin anbietet, gewissermaßen einen Frontalangrif. Gesellschatliche Konlikte werden nicht mehr in Soziale Probleme umdeiniert. Stattdessen
erscheint Stadtentwicklung noch deutlicher als Klassenpolitik, die Platz schat
für die umworbenen „Mittelschichten“ der Wachsenden Stadt. In der Folge verschwindet Soziale Arbeit aus dem Arrangement der Stadtentwicklungspolitik.
Mit Blick auf die Auseinandersetzungen um die GAGFAH ließe sich diese Entwicklung durchaus ambivalent lesen: Während Soziale Arbeit im Kontext von
integrierter Stadtentwicklung durchaus Ressourcen bereit stellen könnte, die
von den MieterInnen bei der GAGFAH nutzbar wären, werden gesellschatliche
Konlikte hier zumindest als politische Konlikte artikuliert.
Die Festivalisierung der Problembearbeitung im Rahmen des Sprungs über die
Elbe, die klassische integrierte Stadtentwicklungspolitik konsequent auf Bevölkerungspolitik reduziert, Wohnungsbau an den imaginierten Bedürfnissen der
umworbenen „Mittelschicht“ ausrichtet und die Verantwortung für die Sicher-
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Florian Hohenstatt & Moritz Rinn
stellung (guter) Wohnverhältnisse vollständig an MarktakteurInnen abgegeben
hat, verschärt die Lebenssituation vieler BewohnerInnen Wilhelmsburgs und
der Veddel. Es bleibt abzuwarten, ob die IBA-Strategie zur Blaupause zuküntiger
Stadtentwicklungspolitik in „Problemvierteln“ avancieren kann.
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Florian Hohenstatt, Max Brauer Allee 220, 22765 Hamburg
E-Mail: lorian.hohenstatt@gmx.net
Moritz Rinn, Hamburger Institut für Sozialforschung, Mittelweg 36, 20148 Hamburg
E-Mail: moritz.rinn@his-online.de