Die Gegenwart des faschistischen Subjekts
Autoritarismus – Pseudosozialismus –
eliminatorischer Faschismus
Emanuel Kapfinger
Am Ende der Weimarer Republik entstand innerhalb sehr kurzer Zeit eine faschistische Massenbewegung. Ihre entscheidende Ursache war die Weltwirtschaftskrise
von 1929, doch hätte sie sich ohne die langjährige Betätigung autoritärer Organisationen wie Stahlhelm und DNVP und faschistischer Organisationen wie der NSDAP
nicht bilden können. Im Rückblick erscheint deren Aktivitäten daher als Vorbereitung für 1933.
Heute gibt es solche Aktivitäten wieder im großen Stil. Autoritäre Organisationen, Bewegungen und Netzwerke entwickelten in den letzten Jahren große gesellschaftliche Reichweite, die es ihnen erlaubt, in Institutionen einzudringen und zunehmend Diskurshoheit zu erringen. Innerhalb und außerhalb dieses autoritären
Spektrums arbeiten aber auch faschistische Akteure auf seine Stärkung und Radikalisierung hin – sowohl pseudosozialistische Faschisten wie der ›Flügel‹ um Björn
Höcke oder Neonazi-Kameradschaften als auch eliminatorische Faschisten wie der
NSU. Wenn es in einer solchen politischen Konstellation zu einschneidenden Krisenprozessen kommt, wie sie angesichts des Klimawandels, des Hegemonieverlusts
der USA und der digitalen Revolution durchaus zu erwarten sind, kann dies wie ab
1929 zu einer plötzlichen Faschisierung größerer Teile der Bevölkerung führen.
Dazu muss es selbstverständlich nicht kommen. Doch auch unabhängig von einer zukünftigen großflächigen Faschisierung geht vom Terror faschistischer Akteure ein erheblicher politischer Druck sowie eine eminente Gefahr für das Wohlergehen und das Leben vieler Menschen aus. Es verwundert sehr, dass sich die derzeitige Diskussion über die radikale Rechte trotz der unübersehbaren Präsenz dieser faschistischen Akteure und trotz der mittelfristigen Gefahr einer Faschisierung weder
auf die historischen rechtsradikalen Bewegungen zwischen 1918 und 1945 noch auf
die in dieser Zeit entstandenen Faschismustheorien bezieht. Sie verfügt so wenig
über Begriffe des Faschismus, dass sie die heutige radikale Rechte und ihre möglichen Entwicklungen so gut wie ausschließlich mit Begriffen nichtfaschistischer
Subjektivität analysiert.
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Kritische Theorie der extremen Rechten
Das gilt für beide der derzeit typischen Ansätze zur Erklärung der radikalen
Rechten, auch wenn sie einander sonst entgegengesetzt sind: Während der eine den
Aufstieg der radikalen Rechten aus Reaktionen auf Krisenerfahrungen erklärt, haben sich dem anderen zufolge die rechtsradikalen Einstellungen nicht weiter in der
Bevölkerung verbreitet, der Aufstieg sei vielmehr durch das Auftreten neuer politischer Angebote verursacht. Ich diskutiere diese beiden Ansätze in diesem Aufsatz
exemplarisch1 an Wilhelm Heitmeyers zweibändigen Signaturen der Bedrohung (2018,
2020), einer Synthese der gegenwärtigen sozialwissenschaftlichen Rechtsextremismusforschung, und an den Studien zum autoritären Charakter (Adorno 1973), in deren Tradition die heutige Sozialpsychologie des Autoritarismus steht. Beide Ansätze verfügen jeweils nur über einen einzigen Begriff des rechtsradikalen Subjekts,
der in beiden Fällen keiner des faschistischen Subjekts ist: Heitmeyer differenziert
zwar präzise zwischen verschiedenen Formen der radikalen Rechten, schreibt diesen jedoch dieselbe, aus einer autoritären Reaktion entspringende Ideologie der Ungleichwertigkeit zu. Adorno setzt sich zwar ebenfalls mit Phänomenen unterschiedlichen Eskalationsgrades auseinander, erklärt sie jedoch unterschiedslos durch den
autoritätsgebundenen Charakter.
Diese gemeinsame Leerstelle liegt in einer normativen Vorentscheidung begründet, die die bürgerliche Gesellschaft dichotom der radikalen Rechten entgegensetzt und zu einem unhintergehbaren Ideal erhebt. Das ist schon insofern
fragwürdig, als die radikale Rechte intrinsisch mit der bürgerlichen Gesellschaft
verknüpft ist. Aber auch wenn das autoritäre Subjekt auf dieser normativen Basis
begriffen werden kann, für das faschistische geht dies nicht, denn letzteres ist der
Versuch, am Subjekt – der Form des Individuums in der bürgerlichen Gesellschaft
– im Moment seines drohenden Untergangs festzuhalten. Dies kann nicht thematisiert werden, solange das Subjekt unhintergehbares Ideal bleibt und nicht ›unter
dem Aspekt seiner Aufhebbarkeit betrachtet‹2 wird.
Beide Ansätze erbringen wichtige Argumente, an die ich hier anschließe, verwickeln sich aber in Widersprüche. Heitmeyers Theorie der sozialen Desintegration
führt den Aufstieg der radikalen Rechten zurecht auf die krisenhaften gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten zwei, drei Jahrzehnte zurück. Jedoch muss er dieser Erklärung eine Theorie des Autoritarismus zugrunde legen, der zufolge sich be1
2
Ich lege in den Abschnitten 2 zu Heitmeyer bzw. 3 zu Adorno näher dar, inwieweit diese jeweils exemplarisch für die beiden Ansätze stehen können.
Diese von Hans-Jürgen Krahl geprägte Formel (vgl. etwa Krahl 2008: 31) besagt, dass die Formen des Bestehenden nicht ›unter dem Aspekt der Ewigkeit‹, wie es die Wissenschaft üblicherweise macht, sondern unter dem Aspekt ihrer Aufhebbarkeit betrachtet werden sollen. Dies meint dabei kein abstraktes Negieren von einem externen Standpunkt aus, sondern steht für die Methode materialistisch-dialektischer Kritik: Nachvollzogen werden soll
bei diesem ›Betrachten‹ die innere Konstitution des Fetischcharakters der kapitalistischen
Formen, die als ewige Naturgesetze erscheinen (vgl. dazu Kapfinger 2022a: 252).
Emanuel Kapfinger: Die Gegenwart des faschistischen Subjekts
reits durch die Sozialisation entscheidet, wer rechtsradikal ist, nicht erst aufgrund
von Krisen. Er greift damit im Widerspruch mit sich selbst auf den Ansatz der Studien zum autoritären Charakter zurück, die die Bedeutung gesellschaftlich bedingter
Subjektstrukturen für die Entstehung rechtsradikaler Subjektivität erkennen, die
jedoch, um eine rechtsradikale Konjunktur zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erklären, doch wieder auf Krisenreaktionen verwiesen sind. Die Widersprüche und
Leerstellen dieser beiden Ansätze habe ich in Die Faschisierung des Subjekts (Kapfinger 2022b) adressiert, indem ich eine systematische Rekonstruktion der Theorien
des rechtsradikalen Subjekts aus den 1930er und 1940er Jahren, in der die beiden
Ansätze bereits präsent waren,3 unternommen habe. Allerdings konzentrierte sich
das Buch auf die Zeit des historischen Faschismus. Im vorliegenden Aufsatz diskutiere ich nun die dort erarbeiteten Thesen vor dem Hintergrund der gegenwärtigen
Rechtsextremismusforschung und beziehe sie auf die gegenwärtige radikale Rechte.4
1. Die Formen der gegenwärtigen radikalen Rechten
Heitmeyer und Mitarbeiter:innen5 unterscheiden fünf Formen der radikalen Rechten6 (vgl. Heitmeyer/Freiheit/Sitzer 2020: 59):
1.
2.
3.
4.
5.
3
4
5
6
die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in der Bevölkerung;
den autoritären Nationalradikalismus (etwa AfD, Pegida);
das systemfeindliche Milieu (etwa NPD/Heimat, Neonazi-Kameradschaften);
das klandestine terroristische Planungs- und Unterstützungsmilieu;
terroristische Vernichtungsakteure (etwa NSU).
Neben Adornos Sozialpsychologie des autoritätsgebundenen Charakters waren dies Ansätze
wie derjenige in Fromms Die Furcht vor der Freiheit (siehe Abschnitt 6).
Der vorliegende Aufsatz wäre nicht möglich gewesen ohne die ausführlichen und auf einer
genauen Auseinandersetzung mit meinen Thesen beruhenden Kritiken von Thomas Sablowski, Marvin Ester, Carsten Braband und Leo Roepert. Ihnen gilt mein Dank ebenso wie den
zahlreichen kritischen und inspirierenden Kommentaren auf Veranstaltungen und in Einzelgesprächen, die mich zu den notwendigen Weiterentwicklungen meiner Thesen veranlasst
haben.
Ich beziehe mich in der folgenden Rekonstruktion auf drei Texte, die Heitmeyer zum Teil allein, zum Teil mit wechselnden Mitarbeiter:innen geschrieben hat, in denen aber eine kohärente Theorie entwickelt ist. Um den Textfluss nicht zu verwirrend zu gestalten, beschränke
ich die Namensnennung auf Heitmeyer.
Heitmeyer spricht stets nur von der Rechten, wenn er das antidemokratische politische Spektrum meint. Weil auch der Konservatismus zum Beispiel der CDU rechts ist, ist das terminologisch falsch. Ich spreche daher auch in der Auslegung Heitmeyers von der radikalen Rechten.
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Diese fünf Formen sind nicht unabhängig voneinander, sondern bilden Bedrohungsallianzen, das heißt, sie interagieren miteinander und profitieren voneinander. Partielle Analysen der einzelnen Formen hätten zwar ihren Wert, aber
»die Wucht rechter Bedrohungsallianzen wird erst im Eskalationskontinuum wirklich erkennbar.« (Ebd.: 58) Die radikale Rechte muss insofern als ›Ganzes‹ dieser
Interaktionen betrachtet werden.
Im Folgenden rekonstruiere ich Heitmeyers Charakterisierung der fünf Formen
der radikalen Rechten. Während er in erster Linie auf das äußere Auftreten, die Organisationsform und das Verhältnis zur Gewalt abzielt, gehe ich darauf nur rudimentär ein und fokussiere auf das Selbstverständnis, die psychologische Charakterisierung und die Form des Handelns.7
1. Bei der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit in der Bevölkerung handelt es sich
um die Abwertung und Diskriminierung von und Gewalt gegen Menschen, allein
aufgrund ihrer zugeschriebenen oder selbstgewählten Gruppenzugehörigkeit (vgl.
ebd.: 90). Der Begriff zielt auf in der Bevölkerung verbreitete menschenfeindliche
Einstellungen, die sich jedoch nicht oder nicht notwendigerweise in rechtsradikalen Positionen artikulieren, die aber ein Potenzial für rechtsradikale Organisationen und Bewegungen darstellen. Weil die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
auch zum Eskalationskontinuum gehört und dabei einen Übergang zwischen der
radikalen Rechten und der ›Mitte der Gesellschaft‹ bildet, sind diese einander nicht
entgegengesetzt, sondern stehen im Zusammenhang miteinander.
Die weiteren vier Formen betreffen die rechtsradikalen Milieus, Organisationen
und Bewegungen.
2. Der autoritäre Nationalradikalismus, den Heitmeyer vor allem an der AfD beschreibt, verfolgt die Umgestaltung von Politik und Gesellschaft nach einem autoritären Kontrollparadigma, in der das deutsche Volk wieder an erste Stelle gerückt wird und bestimmte Gruppen systematisch ausgeschlossen werden. Er lädt
gesellschaftliche Probleme »aggressiv emotional auf« (ebd.: 109), seine Anhänger
sind durch Empörung, kollektive Wut, einen konfrontativen Gestus und eine zur
Schau gestellte Entrüstung verbunden. Im Unterschied zu den höherstufigen Formen der radikalen Rechten verzichtet er auf körperliche Gewalt (vgl. ebd.: 111) und
versucht sein Ziel mit legalen Mitteln und einem langfristig angelegten Eindringen
7
Heitmeyer stellt seine subjekt- und ideologietheoretischen Analysen meist in der Form von
›Legitimationen‹ für Gewalt dar, etwa dass eine Untergangsrhetorik Gewalt legitimieren würde. Diese ›legitimationstheoretische‹ Analyse ist aus meiner Sicht dem Gegenstand nicht adäquat: Wenn Rechtsterroristen tatsächlich Legitimationen für ihr Handeln bräuchten, dann
wären sie insgeheim doch moralische Akteure. Real geht es um psychologische Kategorien:
Um Schuldzuschreibungen, die Gewalt notwendig zu machen scheinen, um Anerkennung
in den rechtsradikalen Milieus, um Zustimmung in der Bevölkerung. Ich verzichte in meiner nachfolgenden subjekttheoretischen Analyse daher auf diese legitimationstheoretische
Einkleidung.
Emanuel Kapfinger: Die Gegenwart des faschistischen Subjekts
in gesellschaftliche und politische Institutionen zu erreichen. Dabei bedient er sich
auch harter rechtspopulistischer Motive, er verteidigt das ›einfache‹, ›wahre‹ Volk
gegen »eine vermeintlich ausbeuterische, dekadente und ›volksverräterische‹ Elite«
(Heitmeyer 2018: 102) und inszeniert sich selbst als ›kleinen Mann‹ und Opfer ungerechtfertigter Ausgrenzungen. Dabei denkt er in dichotomen Gegensätzen von ›Wir‹
und ›die‹, wie Volk vs. Elite oder Christentum vs. Islam. Er ist von vielfachen Ängsten
geprägt, zum Beispiel die ökonomische Angst vor den Verwerfungen der Globalisierung oder die kulturelle Angst vor Überfremdung. Diese spielen für den autoritären
Nationalradikalismus eine zentrale Rolle und werden von den politischen Akteuren
bewusst angesprochen (vgl. Heitmeyer/Freiheit/Sitzer 2020: 109).
3. Das systemfeindliche Milieu orientiert sich an einschlägigen historischen Vorbildern. Es zielt auf einen Umsturz des gegenwärtigen Systems unter Zerstörung
der Demokratie, wofür es zum Teil auch körperliche Gewalt einsetzt, sich aber auf
eine vorübergehende Teilnahme am demokratischen System einlässt. Typische Aktionsformen sind etwa Rechtsrock-Konzerte oder Anschläge auf Asylbewerberunterkünfte. Eine verbreitete Formel ist der ›nationale Widerstand‹: Man arbeitet auf
den ›Volksaufstand‹ hin, mit dem die Vergangenheit wiederhergestellt werden soll
(vgl. ebd.: 64). Das systemfeindliche Milieu ist durchaus auch innerhalb autoritärer
Bewegungen und Organisationen präsent, wie der ›Flügel‹ um Björn Höcke in der
AfD oder Neonazis bei den ›Querdenkern‹. Die AfD ist dabei als Partei insgesamt
aufgrund ihres Auftretens und der von ihr vertretenen Politik derzeit noch dem autoritären Nationalradikalismus zuzuordnen.8
Heitmeyer erwähnt die aus meiner Sicht definierende Charakteristik dieses Milieus, den ›Antikapitalismus von rechts‹ bzw. den Pseudosozialismus, nur im Vorübergehen. Sie ist, wie sich zeigen wird, zentral für Noltes Definition des Normalfaschismus und bei der NPD unter Udo Voigt und am ›Flügel‹ um Björn Höcke deutlich
sichtbar. Die NPD nahm unter dem Vorsitzenden Udo Voigt (1996–2011) eine deutliche Verschiebung ihrer sozialpolitischen Vorstellungen von ständischen Konzepten in Richtung eines völkischen Pseudoantikapitalismus vor (vgl. zum Folgenden:
Botsch/Kopke 2019). Dieser artikulierte sich vor allem anhand der Opposition von
Volksgemeinschaft vs. Globalisierung und wurde von einer pseudosozialistischen
Ideologie unter dem Stichwort »nationale Solidarität« ergänzt. Diese pseudoantikapitalistische Neujustierung knüpfte dabei nicht an die Herrschafts-, sondern an
die Bewegungsphase der NSDAP an. Außerdem spielte sie eine wichtige Rolle bei
der Integration des Neonazi-Spektrums in die NPD, von dem sich die Partei zuvor
8
Zum Zeitpunkt der Finalisierung dieses Aufsatzes scheint sich – wie der 14. Parteitag der AfD
im Juli 2023 in Magdeburg zeigte – die Vorherrschaft des ›Flügels‹ in der AfD immer deutlicher abzuzeichnen. Der Ausgang dieser Entwicklung, und ob sich diese auch in einem Richtungswechsel der politischen Programmatik ausdrückt, ist derzeit noch nicht abzusehen.
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distanziert hatte und das wiederum die vormaligen ständischen Konzepte als reaktionär betrachtet hatte. Der völkisch-soziale ›Flügel‹ der AfD weist eine ähnliche
Ausrichtung auf (vgl. zum Folgenden: Eberhardt/Friedrich 2019). Er will die soziale
Frage in den Mittelpunkt stellen und vor allem die ›kleinen Leute‹ ansprechen. Damit steht der Flügel in Konflikt mit dem neoliberalen Programm der AfD, ist dafür
aber mit den nationalrevolutionären Intellektuellen der Neuen Rechten, insbesondere dem Institut für Staatspolitik, verbündet. Der Pseudoantikapitalismus des Flügels äußert sich beispielsweise in Höckes Denunziation des ›Raubtierkapitalismus‹,
dem gegenüber er einen solidarischen Patriotismus einfordert, oder in seiner Berufung auf die Errungenschaften von 150 Jahren Arbeiterbewegung. In diesem Sinne
versucht der Flügel etwa auch, den 1. Mai von rechts zu besetzen.
4. Das terroristische Unterstützungsmilieu unterstützt den verdeckten Kampf der
Vernichtungsakteure und lehnt jede partielle und temporäre Teilnahme am demokratischen System als Verrat an der Bewegung ab. Es führt gewaltsame Aktionen
gegen Angehörige markierter politischer Gruppen und Minderheiten sowie gegen
Vertreter des politischen Systems aus (vgl. Heitmeyer/Freiheit/Sitzer 2020: 59). Seine Wahrnehmung ist auf einen »Tunnelblick« (ebd.: 208) verengt, in dem der Untergang des ›deutschen Volkes‹ oder der ›weißen Rasse‹ unmittelbar bevorzustehen
scheint. In ihrer Sicht kann dieser Untergang daher nur mehr durch massiven, insbesondere auch bewaffneten Gewalteinsatz abgewendet werden: »Die bekannt geworden Vernichtungsfantasien haben immense Ausmaße.« (Ebd.: 212) Zusammen
mit Dierk Borstel beschreibt Heitmeyer zwei für das Selbstverständnis der Unterstützungsmilieu zentrale Bilder: Zum einen die Kameradschaft, die für einen unverbrüchlichen Zusammenhalt steht, dabei aber auch von individuell begründeten Beziehungen abstrahiert. Im Vergleich etwa zur Freundschaft hat die Kameradschaft
einen unbedingten Charakter und ist unabhängig von konkreten Leistungen der Kameraden. Die Kameraden sollen einander immer und unter allen Umständen helfen
und dabei auch den Tod nicht scheuen. Die Kameradschaft ist ein »quasi religiöser Schwur mit dem Versprechen der Ewigkeit« (Borstel/Heitmeyer 2012: 354). Zum
andern das Selbstbild des »Politischen Soldaten«, mit dem sich dieses Milieu vom
Konsumismus der »Spaßgesellschaft« und damit auch vom subkulturellen Rechtsextremismus abgrenzt. Der »politische Soldat« abstrahiert von solchen Bedürfnissen und orientiert sein Verhalten am politischen Kampf als oberster Priorität in seinem Leben. Er soll sich nach diesem Verständnis zu den Grundtugenden Selbstbeherrschung und Geduld in einem Kampf erziehen, »›welcher das ganze Leben andauert‹« (zit. bei ebd.: 355).
5. Heitmeyer konzipiert das Unterstützungsmilieu in Bezug auf die terroristischen Vernichtungsakteure, das heißt, auf die Unterstützung von deren Vernichtungstaten. Der Unterschied zu ihnen sei nur graduell, er bestehe »nur noch im Grad
der Klandestinität und Vernichtungsrealisierung. […] Die einen planen die Vernichtungstaten, die anderen setzen sie um.« (Heitmeyer/Freiheit/Sitzer 2020: 64) Ich
Emanuel Kapfinger: Die Gegenwart des faschistischen Subjekts
werde daher im weiteren Verlauf dieses Aufsatzes beide Milieus zusammenfassend
als Vernichtungsmilieu bezeichnen.
Die Vernichtungsakteure verstehen ihre Morde als Notwehr, die den kurz bevorstehenden Untergang abwenden soll. Sie agieren dabei kompromisslos (vgl. ebd.:
215) und aufgrund einer systematisch berechneten Wirkung, denn sie zielen primär nicht auf die Taten als solche, sondern auf ihre Wirkungen im gesellschaftlichen
Kontext: Sie sollen unter anderem Angst auslösen, die betroffenen Gruppen zu Gegenreaktionen provozieren, den Staat vorführen und destabilisieren sowie andere
Rechtsradikale zur Nachahmung inspirieren (vgl. ebd.: 214). Der NSU beispielsweise
operierte als »bekenntnislose[r] Umlenkungsterrorismus« (ebd.: 224): Seine bekenntnislosen, wiederkehrenden Morde verbreiteten Schrecken in migrantischen Milieus,
die zugleich den Verdacht auf die Opfer selbst umlenkten und diese als Angehörige eines kriminellen Milieus stigmatisierten. Die Mordserie war auf eine spezifische Wirkung im gesellschaftlichen Kontext berechnet: »Hier scheint es eine raffinierte ›Hinterbühne‹ zu geben.« (Ebd.: 224) Von anderen rassistischen Gewalttaten
unterscheiden sie sich durch ihre besondere Qualität: Die Morde waren langfristig und systematisch geplant und vorbereitet, und die Opfer »entstammten nicht
dem Nahbereich der Täter*innen, sondern lebten im gesamten Bundesgebiet.« (Pietrzyk/Hoffmann 2019: 217) Sie wurden lediglich ausgewählt, weil sie Migranten waren, also unter die abstrakte Kategorie des Migrant-Seins fielen.
In Heitmeyers Analyse dieser Formen und der von ihnen zu erwartenden Entwicklungen spielt merkwürdigerweise der Bezug auf den historischen Faschismus
so gut wie keine Rolle. Diese Leerstelle kennzeichnet nahezu die gesamte deutsche
Rechtsextremismusforschung (vgl. Korsch 2021: 3). Heitmeyer spricht nur dort über
den Faschismus, wo sich rechtsradikale Akteure explizit selbst auf ihn beziehen. Er
betont zwar zurecht, dass die Klassifizierung des autoritären Nationalradikalismus
als faschistische Gesinnung falsch sei (vgl. Heitmeyer/Freiheit/Sitzer 2020: 106),
verzichtet auf diese Klassifizierung aber auch beim systemfeindlichen und beim
Vernichtungsmilieu, obwohl sich diese eindeutig als faschistisch identifizieren.
Dies liegt möglicherweise – Heitmeyer diskutiert dies, soweit ich sehe, nicht – an
einer Entscheidung im Faschismusbegriff, der zufolge eine politische Bewegung
oder Organisation mit faschistischer Ideologie nur dann faschistisch genannt wird,
wenn diese eine Massenbewegung ist und daher einen politischen Machtfaktor
darstellt. Einen solchen politischen Machtfaktor stellt bis dato offensichtlich nur
der autoritäre Nationalradikalismus dar. Heitmeyer betont zwar, dass man die
anderen beiden Milieus in ihrer Gefahr nicht unterschätzen sollte, obwohl sie marginal sind. Dabei bezieht er sich jedoch nicht auf eine politische Gefahr, sondern
auf Gewalttaten.
Allerdings birgt bereits eine starke autoritäre Rechte, wie das historische Beispiel zeigt, die Gefahr einer Faschisierung in sich. In der Weimarer Republik dominierten mit Stahlhelm, DNVP und völkischer Bewegung – die damals der Form
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des autoritären Nationalradikalismus entsprachen (siehe Abschnitt 4) – zunächst
autoritäre und nicht faschistische Bewegungen. Diese bereiteten jedoch die spätere
Faschisierung vor, indem sie die gesellschaftliche Polarisierung verschärften, in Institutionen autoritäre Netzwerke errichteten und rechtsradikale Ideologien wie den
Nationalismus oder den völkischen Antisemitismus normalisierten. Zugleich agierte die zunächst noch marginale NSDAP teilweise selbst im autoritären Gewand und
arbeitete so auf eine Rechtsverschiebung hin. All dies geschieht auch heute: Die Autoritären dringen strategisch geplant in die Institutionen ein und verschieben die
›Grenze des Sagbaren‹ nach rechts, und innerhalb der AfD arbeiten Björn Höcke
und der ›Flügel‹ an deren Radikalisierung. Wenn es nach solcher Vorbereitung zu
massiven Krisenprozessen wie ab 1929 kommt, kann dies zu einem sehr plötzlichen
Umkippen großer Teile der Bevölkerung ins faschistische Lager führen. Tatsächlich
sind angesichts des Klimawandels, des Hegemonieverlusts der USA und der digitalen Revolution massive Krisenprozesse nicht unwahrscheinlich. Es ist daher ein
Gebot der Stunde, die gegenwärtige radikale Rechte in Bezug auf eine mögliche gesellschaftliche Faschisierung zu diskutieren. Dazu werde ich, wie ich in Abschnitt
4 ausführen werde, das systemfeindliche Milieu als pseudosozialistischen Faschismus und das Vernichtungsmilieu als eliminatorischen Faschismus analysieren.
2. Kritik der Theorie der sozialen Desintegration
Heitmeyer entwickelt in Autoritäre Versuchungen (2018) einen synthetischen Erklärungsansatz für rechtsradikale Subjektivität, der für die kritische sozialwissenschaftliche Rechtsextremismusforschung als paradigmatisch gelten kann. Für diese
und auch für Heitmeyer ist es typisch, rechtsradikale Einstellungen als subjektive
Reaktion auf strukturelle Krisen aufzufassen. Das ist auch Ausgangspunkt meiner
Überlegungen in diesem Aufsatz, unterscheidet sich aber grundlegend von der auf
Adorno zurückgehenden Sozialpsychologie des autoritätsgebundenen Charakters,
die die Erklärung aus Krisenreaktionen explizit kritisiert, deren Argumente andererseits auch nicht von der Hand zu weisen sind (siehe dazu Abschnitt 3). Innerhalb
der sozialwissenschaftlichen Rechtsextremismusforschung zeichnet sich Heitmeyers Ansatz dadurch aus, dass er ihre vielen heterogenen Erklärungsangebote in
einer Synthese vereinigt, indem er sie in Beziehung miteinander setzt: Ihm zufolge
tragen zur Entstehung des rechtsradikalen Subjekts die Erfahrungen sowohl im
ökonomischen, als auch im ›sozialen‹ (das heißt kulturellen9 ) und im politischen
9
Der Begriff des ›Sozialen‹ bei Heitmeyer bezieht sich nicht auf die Gesellschaft im Ganzen,
sondern einen spezifischen, von der Ökonomie und der Politik abgegrenzten Bereich, der
etwa Werte und Normen, Identitäten, Anerkennungsverhältnisse umfasst. Ich verwende für
diesen Bereich den Kulturbegriff.
Emanuel Kapfinger: Die Gegenwart des faschistischen Subjekts
Bereich bei, die gerade durch ihre bereichsübergreifenden Interdependenzen ihre Wirkung entfalten (vgl. Heitmeyer 2018: 21).10 Dennoch sind laut Heitmeyer
die Auswirkungen auf den sozialen Bereich, das heißt auf Identitäts- und Anerkennungsverhältnisse zentral, weil aus diesen heraus »schließlich politische
Konsequenzen gezogen werden.« (Ebd.: 22) Die subjektive Verarbeitung von Krisen
im ökonomischen und politischen Bereich befördert zwar einzelne rechtsradikale
Einstellungsdimensionen, führt aber nicht zu der grundsätzlichen Konsequenz
einer autoritären politischen Verarbeitung. So verursacht die Zunahme ökonomischer Ungleichheit Abstiegsängste, die durch Sozialchauvinismus, das heißt
durch Abwertung nach unten und Diskriminierung etwa von Langzeitarbeitslosen
kompensiert werden; und die Demokratieentleerung verursacht Unzufriedenheit
mit den bestehenden politischen Parteien, die sich in »wutgetränkte Apathie«
und Wahlabstinenz, aber schließlich auch in die Wahl rechtsradikaler Parteien
umsetzen kann. Während diese isolierten Einstellungsdimensionen gegenüber
dem ›Rechtsradikal-Sein‹ als solchem nur akzidentell sind, tragen sie dennoch zu
den sozialen (kulturellen) Desintegrationserfahrungen bei, die »zu den zentralen
Anknüpfungspunkten für autoritäre Rekrutierungen und Mobilisierungen« (ebd.:
158) gehören. Soziale Desintegration meint dabei die Auflösung sozialer Integration
im Sinne etwa von Solidarität, Kommunikation, Partizipation oder Zugehörigkeit,
die auf der subjektiven Ebene als Anerkennungs-, Identitäts- und Kontrollverluste
erfahren werden.
Diese können auf verschiedenen Ebenen stattfinden und dabei entsprechende
Ängste und Verunsicherungen nach sich ziehen, sei es als Bedrohungen des sozialen Status, der öffentlichen politischen Repräsentation oder der individuellen und
kollektiven Identität (vgl. Heitmeyer 2018: 148–150). Ein Bündel von Mechanismen
führt dann zu autoritären und menschenfeindlichen Verarbeitungen: Um die bedrohte Identität zu stabilisieren, wird ein fester, unverlierbarer Identitätskern aufgerichtet, insbesondere durch Naturalisierung des Deutsch-Seins. Der Gegensatz
zu anderen Gruppen (etwa Außenseiter, Eliten, Migrant:innen) wird hervorgehoben
und ihre Ausgrenzung praktisch betrieben (vgl. ebd.: 156f.). Das verbindet sich oft
mit kollektiven Schuldzuweisungen an diese Gruppen, die für gesellschaftliche Probleme verantwortlich gemacht werden, für die es keine Lösungen zu geben scheint
(vgl. Heitmeyer/Freiheit/Sitzer 2020: 65). Die Bedrohungen können auch als Kontrollverluste interpretiert werden, das heißt, dass die Individuen die Kontrolle über
10
Leo Roepert (2022: 33–83) gruppiert die zahlreichen vorliegenden Erklärungsansätze in seinem Überblick ebenfalls in ökonomische, kulturelle und politische, wobei er die Interaktionen zwischen diesen Feldern hervorhebt und in der von ihm entwickelten Theorie die Erklärungsansätze aus diesen drei Bereichen vereinigt. Wie Heitmeyer fordert er außerdem, in der
Erklärung der radikalen Rechten gesellschaftliche Krise und deren subjektiven Verarbeitung
zu unterscheiden (vgl. Roepert 2022: 193).
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ihr Leben verlieren bzw. dass der Gesellschaft die Kontrolle über die soziale Ordnung entgleitet. Weil die Individuen aber ein Bedürfnis nach Kontrolle haben, kann
der gefühlte oder tatsächliche Verlust dieser Kontrolle zu einem Verlangen nach ihrer autoritären Durchsetzung führen, sowohl individuell als auch sozial, um damit
Sicherheit wiederherzustellen. Dafür wird dann auf autoritäre Mittel zurückgegriffen: »Überwachung, kompromissloses Durchgreifen (›law and order‹) und die Festigung von Hierarchien« (Heitmeyer 2018: 20). Dabei ist auch ein ›rationales‹ Moment involviert, denn durch die autoritär durchgesetzte Kontrolle werden bestehende Herrschaftsverhältnisse über andere Gruppen mit Gewalt abgesichert (vgl. ebd.:
157).
Diese autoritäre Reaktion hat allerdings eine Voraussetzung in den Subjekten:
Das Bedürfnis nach Kontrolle. Dieses fasst Heitmeyer als »elementares Bedürfnis«
(ebd.: 106) auf: So wird bei Kontrollverlust »naheliegenderweise alles getan […], um
wieder Sicherheit und Kontrolle zu gewinnen.« (Ebd.: 107) Heitmeyer setzt jedoch
einfach voraus, dass dieses Bedürfnis ›elementar‹ und allgegenwärtig (vgl. ebd.: 80)
ist, ohne seine sozialen Bedingungen zu hinterfragen, und setzt es damit als anthropologische Konstante. Die Kritik der Bedürfnisse nach Kontrolle, Identität und
Anerkennung ist jedoch die Voraussetzung dafür, die Subjektivität des pseudosozialistischen sowie die des eliminatorischen Faschismus zu erklären. Denn es handelt sich bei diesen um Reaktionen auf Bedrohungen des Subjekts in seiner Form als
solcher, das heißt der genannten Bedürfnisse, die dem Subjekt intrinsisch sind, als
solcher (siehe dazu genauer am Ende von Abschnitt 3). Ohne eine derartige Subjektkritik ist es lediglich möglich, wie bei Heitmeyer auch der Fall, eine einzige rechtsradikale Reaktion zu konzipieren, nämlich die autoritäre. In dieser ist die Kontrolle
zwar in ihrem konkreten Vollzug bedroht, kann aber eben deshalb wieder hergestellt
werden. Die Subjektkritik würde aber auch echte Alternativen zu den rechtsradikalen Reaktionen ins Auge fassen können, denn die kritische Reflexion der Individuen auf diese Bedürfnisse, gewissermaßen praktizierte Subjektkritik, ermöglicht
ihnen eine gesellschaftskritische Verarbeitungsweise von Desintegrationserfahrungen. Da eine solche die Desintegration auf politisch veränderbare gesellschaftliche
Prozesse zurückführen würde, verlangt es sie nicht oder nur wenig nach einer Stabilisierung von Identität und Kontrolle. Heitmeyer thematisiert eine solche Verarbeitungsweise nicht und nennt lediglich Stabilisierungsstrategien, sowohl autoritäre als auch nicht-autoritäre wie Immunisierung und Aufspaltung der Realität (vgl.
ebd.: 104–106).
Obwohl Heitmeyer die radikale Rechte in fünf Formen differenziert, teilen diese
bei ihm nur eine rechtsradikale Ideologie, nämlich die »Ideologie der Ungleichwertigkeit in Verbindung mit Gewaltakzeptanz«, die er als »Kern der entsprechenden
Phänomene« (Heitmeyer/Freiheit/Sitzer 2020: 20) identifiziert. Die autoritäre
Reaktion erklärt dabei lediglich den autoritären Nationalradikalismus und ist
Heitmeyers einzige Verarbeitungsform von Krisenerfahrungen. Um die höheren
Emanuel Kapfinger: Die Gegenwart des faschistischen Subjekts
Formen jenseits des autoritären Nationalradikalismus zu erklären, beschreibt
er eine Reihe von Mechanismen, die zu einer Eskalation zum systemfeindlichen
bis hin zum Vernichtungsmilieu führen: unter anderem Erfolgserlebnisse, staatliche Repression, die Resonanzlogik der Medien (die Eskalation honoriert), der
Handlungsdruck von Vernichtungsphantasien (›den Worten Taten folgen lassen‹)
oder drohender Bedeutungsverlust. Diese Eskalationstheorie impliziert jedoch
auch, dass diese Formen sich nur graduell, das heißt durch einen höheren Grad
an Eskalation unterscheiden – daher auch der Begriff »Eskalationskontinuum«.
Dieses bloß graduelle Kriterium kann die Differenzen im Inhalt der Ideologie und
in der Form des Verhaltens, die qualitative Differenzen sind, nicht erklären. Beispielsweise ist der autoritäre Nationalradikalismus durch konfrontative, aggressive
Stimmungsmache und eine autoritäre Politik gekennzeichnet, die auf außerlegale körperliche Gewalt zumindest in der Regel verzichtet und noch innerhalb des
bestehenden politischen Systems und seiner Institutionen agiert, während das
systemfeindliche Milieu sich pseudoantikapitalistisch gegen dieses System wendet
und Absichten eines gewaltsamen Umsturzes verfolgt. Das Vernichtungsmilieu
wiederum sieht einen endgültigen Untergang der Kultur überhaupt unmittelbar
bevorstehen oder kaum mehr abwendbar; es ist hierin wie in einem Tunnel, kann
nichts mehr unabhängig davon betrachten (die anderen beiden Formen haben
auch Untergangsphantasien, die aber dort nicht diese charakteristische Qualität
der absoluten Bedrohung ›sinnvollen Lebens überhaupt‹ haben) und orientiert die
Form seiner Taten auf gesellschaftliche Wirkungen hin. Das systemfeindliche und
das Vernichtungsmilieu müssen daher in ihrer eigenen Qualität durch spezifische
Verarbeitungsformen von Krisen erklärt werden.
Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit erklärt Heitmeyer ebenfalls gemeinsam aus der autoritären Reaktion.11 Vom autoritären Nationalradikalismus
unterscheidet sie sich allerdings dadurch, dass sie sich nicht notwendig politisch
als rechtsradikal identifiziert (vgl. ebd.: 61). Da mit der Theorie der autoritären
Reaktion genau dies – die explizit rechtsradikale Positionierung – erklärt werden
soll, bleibt unklar, wie sie zugleich die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
erklären soll. Außerdem müsste letztere dann bei Einsatz der Krisenprozesse etwa
ab dem Jahr 2000, von denen Heitmeyer ausgeht, gestiegen sein und aufgrund
der fortschreitenden Krisenprozesse weiter steigen. Aber ersteres suggeriert Heitmeyer nur, ohne dazu Daten vorzulegen. Da Vorurteilsformen wie Sexismus und
11
Zumindest in der Regel. Einzelne isolierte Vorurteilsdimensionen erklärt er auch unabhängig
von der autoritären Reaktion. Allerdings fasst er die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit als ein Syndrom aus einer Reihe von Vorurteilsdimensionen mit dem gemeinsamen Kern
der Ideologie der Ungleichwertigkeit (vgl. Heitmeyer/Freiheit/Sitzer 2020: 90). Die Erklärung
einzelner Vorurteilsdimensionen steht nicht in direktem Zusammenhang mit der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit.
107
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Kritische Theorie der extremen Rechten
Antisemitismus auch zuvor verbreitet waren, scheint mir solch ein Anstieg um das
Jahr 2000 nur schwer belegbar zu sein. Aber auch seither lässt sich ein solcher in
den von Heitmeyer vorgelegten Statistiken nicht erkennen, die von 2002 bis 2018/19
reichen (vgl. ebd.: 92–99). Es scheint mir daher sinnvoller zu sein, von einem mehr
oder weniger konstanten Anteil an gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in
der Bevölkerung auszugehen, der nicht erst durch Desintegration, sondern durch
systemische Konflikte der kapitalistischen Gesellschaft entsteht.
Tatsächlich führt Heitmeyer einen solchen Erklärungsansatz unter dem Titel
der »Ambivalenz der Moderne« ebenfalls ein, obwohl dieser seiner Theorie der sozialen Desintegration widerspricht. Letztere erfordert jedoch immanent den Rückgriff auf einen anderen, auf einer tieferliegenden, systemischen Ebene anzusiedelnden Ansatz. Denn Desintegrationserfahrungen ziehen nicht für jedes Individuum
eine autoritäre Reaktion nach sich: Wer auf Desintegration autoritär reagiert, bestimmt sich nach Heitmeyer vielmehr danach, wer durch den (krisenunabhängigen) »Autoritarismus« geprägt ist. Autoritarismus meint hier ein dauerhaftes, verfestigtes Potenzial des Individuums für autoritäre Reaktionen12 und ist durch Denken in Hierarchien, Macht- und Kontrolldenken, Unterwürfigkeit und Folgebereitschaft gekennzeichnet (vgl. Heitmeyer 2018: 83). Heitmeyer muss – unter seiner Voraussetzung des Subjekts – auf den Autoritarismus zurückgreifen, um zu erklären,
warum ein bestimmtes Individuum auf Desintegrationserfahrungen autoritär reagiert. Denn die autoritäre Reaktion ist keine bewusste Entscheidung, sondern ein
unbewusster Prozess, den die Psyche als ganze vollzieht. Ob diese die Desintegrationserfahrungen nur durch Identitätsanker und Projektion ertragen kann oder anderweitig verarbeitet, hängt davon ab, ob die Psyche ihre Identität von dieser Krisenerfahrung so verletzt sieht, dass sie nicht mehr anders als autoritär reagieren
kann, oder ihre Identität auf die eine oder andere Weise von der Krisenerfahrung
isolieren kann (vgl. ebd.: 104f.). Dies liegt aber an der Struktur der Psyche selbst:
ob sie sich als ›schwache‹ Psyche durch die Verletzung ihrer Identität unmittelbar
bedroht sieht, weil sie unfähig ist, die Desintegrationserfahrungen anders denn als
Angriffe zu deuten, oder ob sie diese als ›starke‹ Psyche von sich unterscheiden kann.
12
Dieses Reaktionspotenzial heißt in Adornos Theorie »autoritärer Charakter« (siehe nächster Abschnitt). Heitmeyer knüpft aber nicht an dieses psychoanalytische Charakterkonzept
an (vgl. Heitmeyer 2018: 83) und spricht stattdessen schlicht von Autoritarismus. Es ist zu
beachten, dass dieser Autoritarismus weder mit der Form des autoritären Nationalradikalismus koinzidiert – wie die Ideologie der Ungleichwertigkeit gilt Heitmeyers Autoritarismus
für alle fünf Formen – noch, und vor allem nicht, mit Noltes Kategorie des Autoritarismus als
einer politisch-ideologischen Strömung, die allerdings der Form des autoritären Nationalradikalismus entspricht und die ich im Abschnitt 6 vorstellen werde. Ich werde im weiteren
Verlauf des Aufsatzes Noltes Autoritarismus-Begriff übernehmen. Zur Entwirrung des Autoritarismus-Begriffs in der heutigen Diskussion, in dem sich gegensätzliche Bedeutungen auf
verworrene Weise überlagern, siehe Abschnitt 3.
Emanuel Kapfinger: Die Gegenwart des faschistischen Subjekts
Damit hat sich die autoritäre Reaktion aber schon vor der Desintegrationserfahrung ereignet oder besteht als Autoritarismus des Individuums. Entsprechend siedelt Heitmeyer den Autoritarismus auf einer strukturellen Ebene an: Die Moderne
sei von einer prinzipiellen Ambivalenz gekennzeichnet, so dass Sicherheit grundsätzlich illusionär wird (die vormodernen, etwa religiösen Gewissheiten sind unwiderruflich zerstört). Heute bestehen »strukturell ›eingebaute[…]‹ Verunsicherungen« (ebd.: 81), aufgrund derer das Kontrollbedürfnis notwendig gefährdet ist. Darauf antworten »viele Menschen« (ebd.: 81) mit Autoritarismus – wohlgemerkt nicht
aufgrund von Krisenprozessen, sondern aufgrund der strukturellen Ambivalenz der
Moderne. Wer auf dieser prinzipiellen Ebene autoritär wird und wer nicht, ist abhängig von den jeweiligen Erziehungs- und Sozialisationsbedingungen, klassisch
zum Beispiel die patriarchale Kleinfamilie mit ihren rigiden Erziehungsmethoden,
heute aber auch ›hyperliberale‹ Erziehungsmethoden, die keine Orientierung und
Normen vermitteln (vgl. ebd.: 86). Um zu erklären, warum es durch die Desintegrationserfahrungen der letzten Jahrzehnte zu autoritären Reaktionen kam, muss
Heitmeyer im Widerspruch dazu darlegen, dass diejenigen Menschen, die auf Desintegration autoritär reagieren, dies aufgrund ihrer Sozialisationsbedingungen eigentlich ›immer schon‹ tun. Deren Autoritarismus war aber »jahrzehntelang unter
der Oberfläche verdeckt« (ebd.: 86) und tritt erst in den letzten Jahren breit hervor.
Das kann aber nicht darum geschehen, weil die Menschen aufgrund einer Desintegrationserfahrung autoritär reagieren. Sie haben ja schon zuvor autoritär reagiert,
sind für oder gegen den Autoritarismus ›entschieden‹, der nur mehr an die Oberfläche kommt. Ob der latente Autoritarismus manifest wird, hängt von anderen Faktoren ab. Damit ist nun aber eine andere Theorie bezeichnet, die Sozialpsychologie des
autoritätsgebundenen Charakters, die ihre klassische Formulierung in den Studien
zum autoritären Charakter gefunden hat.
3. Kritik der Studien zum autoritären Charakter
Die Studien zum autoritären Charakter entstanden in den 1940er Jahren in den USA13
und untersuchten dort das Potenzial für eine faschistische Massenbewegung, allerdings mit regelmäßigem Blick auf die Entstehung des deutschen Faschismus. Weil
sich das »potentiell faschistische Individuum« (Adorno 1973: 1) in den damaligen
USA nicht explizit politisch artikulierte und sich auch selbst nicht als faschistisch
verstand, untersuchten sie das Potenzial für den Faschismus nicht direkt, sondern
13
Die Studien stammen eigentlich von vier Autor:innen, neben Adorno waren dies Else Frenkel-Brunswik, Daniel Levinson und Nevitt Sanford. Im deutschsprachigen Raum wird jedoch
nahezu ausschließlich die Übersetzung von Adornos Beiträgen – wie in den Studien veröffentlicht – diskutiert.
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Kritische Theorie der extremen Rechten
über die Verbreitung autoritärer Charakterstrukturen in der Bevölkerung. Dieser
Forschungsansatz wurde seit Erscheinen der Studien vielfach aufgegriffen,14 zumal
in den letzten Jahren angesichts des Aufstiegs der radikalen Rechten.15 Anders als
die sozialwissenschaftliche Rechtsextremismusforschung16 bezieht sich diese sozialpsychologische Diskussion auf den historischen Faschismus, weil durch den Bezug auf Adorno Auschwitz und Vernichtungskrieg als auch heute mögliche Fluchtpunkte des autoritären Charakters immer im Blick bleiben.
Der autoritäre Charakter ist eine Verhaltensdisposition, die sich den Studien zufolge in Vorurteilen wie Antisemitismus, Ethnozentrismus und politischökonomischem Konservatismus ausdrückt und damit zur Zustimmung für eine
antidemokratische, faschistische Bewegung führen kann. Diese autoritären Strukturen blieben in den USA bis zu den 1940er Jahren latent, weil ihre Manifestation
durch das herrschende demokratische Klima und den Krieg gegen den Faschismus
öffentlich tabuisiert war. Der autoritäre Charakter bezeichnet damit ein Potenzial,
das sich derzeit zwar noch nicht in einer faschistischen Bewegung äußert, dies aber
tun wird, sobald antidemokratische Propaganda öffentlich einflussreich wird.
Er entsteht aber nicht erst dann, sondern bereits in der Kindheit, durch die Sozialisation in der patriarchalen Kleinfamilie. Weil sich diese seit Beginn der Postmoderne zunehmend auflöst, wird spätestens seit den 1980er Jahren (etwa von Böckelmann 1987) diskutiert, ob die Theorie des autoritären Charakters noch Bestand
hat. Allerdings ging es bereits den Studien nicht unmittelbar um das Verhältnis zum
autoritären Vater, sondern um strukturelle Konflikte zwischen Individuum und Gesellschaft (Heitmeyers »Ambivalenz der Moderne«). In der Sozialisation müssen daher Verzichtserfahrungen mittels physischer oder symbolischer Gewalt durchge14
15
16
Maßgeblich in Deutschland ist derzeit die Leipziger Autoritarismus-Studie, die seit 2002 alle zwei Jahre durchgeführt wird, zuletzt 2022 (Decker et al. 2022). Als Untersuchungen aus
theoretischer Perspektive sind unter anderem zu nennen: Rensmann (1998), Weyand (2002),
Elbe (2015a). Außerdem einschlägig sind Eva-Maria Zieges Einleitung und Nachwort zu den
von ihr herausgegebenen Bemerkungen zu ›The Authoritarian Personality‹ (Adorno 2019).
Beispielsweise der Sammelband Konformistische Rebellen (Henkelmann et al. 2020), die sozialpsychologischen Beiträge in Treiber des Autoritären (Frankenberg/Heitmeyer 2022a) oder
die Untersuchung von Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey (2022) über den aktuellen »libertären Autoritarismus«.
Allerdings hat sich in der Politikwissenschaft ein Erklärungsansatz etabliert (vgl. etwa Lux/
Gülzau 2022), der der Sozialpsychologie des Autoritarismus in der Tradition Adornos insofern
parallel läuft, als er nicht krisenbedingte Einstellungsverschiebungen, sondern Diskursverschiebungen für den Rechtsruck verantwortlich macht. Wie bei Adorno, auf den dieser politikwissenschaftliche Erklärungsansatz sich jedoch nicht bezieht, seien die Einstellungen vielmehr – und dies lasse sich auch empirisch feststellen, im Wesentlichen konstant geblieben,
bildeten aber schon länger ein rechtsradikales Potenzial, das sich aufgrund von Diskursverschiebungen wie nach dem Sommer der Migration 2015 nun in rechtsradikalen Wahlerfolgen
manifestierte. Ich danke Carsten Braband für diesen Hinweis.
Emanuel Kapfinger: Die Gegenwart des faschistischen Subjekts
setzt werden (vgl. Decker 2010: 37f.). Während dies zu Adornos Zeit vor allem der
Vater übernahm, geschieht dies heute ›abstrakter‹ durch andere Sozialisationsinstanzen wie die Schule, den Freundeskreis oder die Medien. Am Prinzip hat sich
dabei nichts geändert.
Die antidemokratischen Einstellungen entstehen hier also nicht, wie bei Heitmeyer, als Folge von Krisenerfahrungen. Die Studien betonen, dass Vorurteile wie
der Antisemitismus nicht erst durch negative Erfahrungen, zum Beispiel Frustration aufgrund der Versagung ökonomischer Bedürfnisse, entstehen (auch wenn dieser Vorgang eine Rolle spiele), sondern notwendig aus dem autoritären Charakter resultieren: Ihrer Theorie zufolge »muß der Autoritäre seine Aggression aus innerer
Notwendigkeit gegen die Fremdgruppe richten.« (Adorno 1973: 52). Die Rechtsentwicklung einer Person ist keine spontane Reaktion, sondern hängt von tieferliegenden psychologischen Bedürfnissen ab. Dies soll die Frage beantworten, warum »bestimmte Personen solche Ideen akzeptieren, andere aber nicht« (ebd.: 3), was eine
Frustrationstheorie nur aus zufälligen Umständen wie Unwissenheit oder Konfusion erklären kann (vgl. ebd.: 51). Wie ihre Forschungsergebnisse schließlich zeigten, hatte damals ein recht großer Anteil der Bevölkerung latente antidemokratische
Einstellungen, die jedoch lange Zeit verdrängt blieben.
Im Gegensatz zu Heitmeyer entwickeln die Studien keine Differenzierung der radikalen Rechten.17 Man könnte den Unterschied von latent und manifest zwar mit
dem zwischen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit und dem autoritären
Nationalradikalismus in Beziehung bringen, aber dieser Unterschied in den Studien ist kein qualitativer, sondern nur ein formaler. Auch für die anderen Formen
Heitmeyers entwickeln die Studien keine der damaligen Situation entsprechenden
Begriffe, auch wenn sie viele Phänomene beschreiben, die man diesen Formen zuordnen kann, beispielsweise autoritären Populismus, den Nationalsozialismus in
seinen Anfangsjahren sowie zwischen 1930 und 1933, das pseudoantikapitalistische
17
Diese findet sich jedoch in der Dialektik der Aufklärung, die Adorno mit Horkheimer schrieb,
und bei anderen Autoren der Kritischen Theorie (siehe dazu Abschnitt 5). Tatsächlich besteht
eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Dialektik der Aufklärung und den Studien, obwohl
beide zeitgleich entstanden sind. Dies dürfte sich in etwa aus den folgenden Faktoren erklären lassen: Die Studien waren eine für die breitere Öffentlichkeit bestimmte Auftragsarbeit, in
der Adorno möglicherweise auch inhaltlich den Geldgebern und dem Antikommunismus in
den USA entgegenkommen musste, während die Dialektik der Aufklärung zunächst nur in einem kleinen Kreis persönlich verteilt wurde und 1947 in kleiner Auflage und vorerst auch nur
auf deutsch veröffentlicht wurde, wobei gegenüber der Ur-Version viele marxistische Begriffe gestrichen wurden. Zudem war Adorno nicht allein für die Studien verantwortlich, sondern
arbeitete in einer Forschungsgruppe, deren Mitglieder politisch und theoretisch unterschiedlich orientiert waren, während er die Dialektik der Aufklärung gemeinsam mit dem Marxisten
Max Horkheimer schrieb. Nicht zuletzt mag das positivistische Forschungsdesign der Studien
selbst zur Diskrepanz beitragen, eine Methode, die die Dialektik der Aufklärung aufs Schärfste
kritisiert.
111
112
Kritische Theorie der extremen Rechten
Moment (Antimonopolismus und Verstaatlichung), die Pogrome, den Totalitarismus, den Vernichtungswillen. Sie beschreiben all diese Phänomene aber nicht, um
deren Differenzen aufzuzeigen, sondern um sie durch den autoritären Charakter zu
erklären. Im Gegenteil verwenden sie die Begriffe antidemokratisch, regressiv, autoritär und faschistisch austauschbar: Die Studien kennen nur eine einzige Kategorie der radikalen Rechten, die der Demokratie dichotom entgegensetzt und durch
den autoritären Charakter definiert ist. Auch heutige Arbeiten wenden diesen einen Charakter-Typus auf die ganze Breite der Empirie der radikalen Rechten an.18
Obwohl die Sozialpsychologie in der Tradition der Studien daher aufgrund des historischen Beispiels den Pseudosozialismus und den eliminatorischen Faschismus
als Entwicklungsmöglichkeiten im Blick behält, bezieht sie sich darauf nur einseitig und unsachgemäß, weil sie die Phänomene des historischen Faschismus nur mit
dem Begriffsraster des autoritären Charakters beschreibt, sie dadurch aber in ihrer
eigenen Qualität nicht erfasst kann.
Die ›Anwendung‹ der Theorie des autoritären Charakters auf die verschiedenen
Phänomene ist tatsächlich sehr fragwürdig. Die in den Studien verwendete Theorie
des autoritären Charakters geht nämlich auf Erich Fromms Beitrag zu den Studien
über Autorität und Familie von 1936 zurück (Fromm 1989a), der eine ganz andere Fragestellung verfolgte: Es ging ihm nicht um die Erklärung des faschistischen Individuums, sondern die Frage, warum sich die Massen freiwillig der kapitalistischen Herrschaft unterordnen, obwohl diese ihren Interessen entgegengesetzt ist (ebd.: 146).19
Fromm erklärt das mit dem autoritären Charakter, der »für die große Mehrzahl der
Menschen« (ebd.: 177) im Kapitalismus typisch sei (und daher nicht nur für die potenziell faschistischen Individuen), und der sich unterordnet, weil er masochistisch
strukturiert ist und an seiner freiwilligen Unterordnung Lust empfindet. Der autoritäre Charakter findet zwar in Ideologien wie Rassismus und Nationalismus seinen Ausdruck, aber genauso in der Unterwerfung unter demokratische Staaten. Die
Studien verwenden daher Fromms Theorie, um etwas damit zu erklären, was diese
gar nicht erklären sollte. Sie untersuchen ja de facto, aufgrund ihrer Forschungsmethode, nicht manifeste antidemokratische Einstellungen, sondern Phänomene der
bürgerlichen ›Normalität‹ wie Antisemitismus, Rassismus, Sexismus, Populismus
oder Patriotismus, die Heitmeyer in der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit
zusammenfasst. Solche Individuen tendieren sicherlich eher dazu, faschistisch zu
werden, aber sie sind darum nicht einfach ›latent faschistisch‹.
18
19
So auf die in der Bevölkerung verbreiteten rechtsextremen Einstellungen (Decker et al. 2022),
die aktuellen autoritär-populistischen Bewegungen (Henkelmann et al. 2020), die SA als der
faschistische Kampfbund aus der Bewegungszeit (Reichardt 2009) oder die »Judenvernichtung« (Elbe 2015a).
Eine hiervon verschiedene Erklärung des faschistischen Individuums unternimmt Fromm dagegen in der späteren Psychologie des Nazismus (siehe Abschnitt 6).
Emanuel Kapfinger: Die Gegenwart des faschistischen Subjekts
Wenn der autoritäre Charakter keine faschistischen Individuen, sondern die
›normale‹ Menschenfeindlichkeit beschreibt, dann scheint ›autoritär‹ nicht mehr
der richtige Ausdruck dafür zu sein, da wir diesen gemäß Duden heute als »totalitär, diktatorisch; unbedingten Gehorsam fordernd« verstehen.20 Ich nenne daher
den ›autoritären Charakter‹, den die Studien zum autoritären Charakter beschreiben,
›autoritätsgebundenen Charakter‹, einen Begriff, den Horkheimer und Adorno
selbst regelmäßig anstelle des »autoritären Charakters« verwenden (zum Beispiel
in Adorno/Horkheimer 2003; Adorno 2019).21 ›Autoritär‹ reserviere ich dagegen für
die Form des Autoritarismus gemäß der politikwissenschaftlichen Unterscheidung
von Demokratie, Autoritarismus und Totalitarismus (vgl. Schaffar 2019: 11–13;
Frankenberg/Heitmeyer 2022b: 31–34; Linz 2000), auf der Nolte seine Typologie aufbaut (siehe Abschnitt 4) und die vermutlich auch Heitmeyers Differenzen
zugrunde liegt.22 Dass die Studien die beiden Bedeutungen von ›autoritär‹ ineinander blenden und den Totalitarismus nicht davon unterscheiden, hat den Effekt
der scheinbaren Evidenz ihrer These, dass die autoritätsgebundenen Charaktere
des ›Normalzustands‹ bereits autoritär und faschistisch und darin dichotom den
liberalen Charakteren entgegengesetzt seien.
Der Ansatz der Studien stößt an deutliche Grenzen, wenn er eine Konjunktur
rechtsradikaler Bewegungen erklären soll. Den Studien zufolge werden autoritätsgebundene Charaktere manifest antidemokratisch, wenn antidemokratische Propaganda zunimmt; sie sind nämlich gerade durch ihre »Empfänglichkeit für antidemokratische Propaganda« (Adorno 1973: 5) definiert. Die Zunahme dieser Propaganda hängt dabei von »mächtigen ökonomischen Interessensgemeinschaften«
ab, die »sich dieses Instrumentes bedienen, um ihre Machtstellung aufrechtzuerhalten« (ebd.: 10). Der Ansatz der Studien muss sich daher an dieser Stelle mit einer
Manipulationstheorie verbinden (vgl. ebd.: 13). Aber die Zunahme antidemokratischer Propaganda kann so nicht erklärt werden, denn damit die Propaganda zunehmen kann, muss eine große Zahl von Menschen aus verschiedenen Gründen zuvor
20
21
22
Die von Fromm intendierte Bedeutung führt der Duden noch als veraltete Variante von ›autoritär‹ auf: »auf Autorität beruhend, mit Autorität ausgestattet«. Sie erhält sich noch im Ausdruck ›antiautoritär‹, der sich gegen jede Autorität richtet. In dieser Bedeutung verwendet
auch Max Horkheimer den Begriff ›autoritär‹ in seinem Beitrag zu den Studien über Autorität
und Familie, zu dem auch Fromms Beitrag gehört (vgl. Horkheimer 1987: 24). Diese Diskrepanz
zwischen den Studien über Autorität und Familie und den Studien zum autoritären Charakter beobachtet auch Michael Zürn (2022: 95).
Auch Heitmeyer (1995: 31) nennt die These der Studien die »klassische These zum ›autoritätsgebundenen Charakter‹«.
Heitmeyer bezieht sich in seinen Veröffentlichungen zum Eskalationskontinuum zwar nicht
explizit darauf, diskutiert es jedoch in einem gemeinsam mit Günter Frankenberg verfassten
Aufsatz (vgl. Frankenberg/Heitmeyer 2022b: 31–34).
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Kritische Theorie der extremen Rechten
bereits rechtsradikal geworden sein: Intellektuelle müssen die Propaganda produzieren und verbreiten, ein großes Publikum muss zu Demonstrationen gehen, damit sie der antidemokratischen Agitation zuhören können, Talkshows müssen antidemokratische Parteien einladen, und sie tun dies, weil diese eine ›wichtige‹ Stimme repräsentieren, die erhebliche Unterstützung in der Bevölkerung genießt. Eine
Erklärung der Zunahme der antidemokratischen Propaganda unabhängig von den
Massen setzt voraus, was sie erklären soll. Der sozialpsychologische Ansatz muss
daher, um Konjunkturen der radikalen Rechten zu erklären, doch wieder auf die Erklärung aus Krisenerfahrungen zurückgreifen, obwohl dies seiner These – dass ein
Individuum bereits aufgrund seines Charakters potenziell faschistisch ist – widerspricht, und obwohl die Studien dies, wie gesehen, explizit kritisieren. Nun greifen
zwar die Studien selbst nicht darauf zurück (sie erklären ja keine Konjunktur der radikalen Rechten – im Gegenteil), wohl aber Adornos Aspekte des Neuen Rechtsradikalismus, die er 1967 anlässlich des damaligen Aufstiegs der NPD vortrug. Dort verweist
er am Anfang kursorisch auf eine Krisenerfahrung, die verstärkte Bedrohung durch
Verarmung (vgl. Adorno 2019: 11), aber in der Form des Außertheoretischen, Einleitenden; der anschließende eigentliche Vortrag entspricht dann wieder der Theorie
der Studien.
Die auf Adorno zurückgehende Sozialpsychologie setzt daher einen sozialwissenschaftlichen Erklärungsansatz wie den von Heitmeyer voraus, der jedoch seinerseits, und ebenfalls im Widerspruch mit sich selbst, eine Sozialpsychologie des
autoritätsgebundenen Charakters voraussetzt. Die beiden Theorien bilden damit
aufeinander verweisende Pole eines Widerspruchs und definieren nur je einen dieser Pole als ihren Forschungsgegenstand. Beide Theorien münden darum auch in
denselben Widerspruch: Während sie auf der einen Seite Demokratie und radikale
Rechte dichotom entgegensetzen und dabei letztere als unterschiedslose regressive
›Ideologie der Ungleichwertigkeit‹ homogenisieren, differenzieren sie die radikale
Rechte andererseits auch. Doch vollzieht die Sozialpsychologie des autoritätsgebundenen Charakters diese Differenzierung lediglich in der Empirie ihrer Phänomene
und nicht analytisch-kategorial, wie es Heitmeyer tut, der damit die Kontinuität
zwischen Demokratie und Antidemokratie genau beschreiben kann, aber der Demokratie dann doch wieder eine homogene ›Ideologie der Ungleichwertigkeit‹ als
›Kern‹ der Antidemokratie dichotom entgegensetzt.
Weder das ›Kontinuum‹ eines ideologischen Kerns noch eine gemeinsame ›autoritäre‹ Charakterstruktur kann die Formen der radikalen Rechten darstellen. Zu
groß sind ihre Unterschiede, angefangen mit ›alltäglichen‹ Formen der Diskriminierung und der wütend-aggressiven Gewalt des Autoritarismus, über den pseudosozialistischen Umsturzwillen und seine rabiate, organisierte Gewalt, kulminierend
in der systematischen und kompromisslosen Gewalt der Vernichtungsakteure. Wie
soll der Antisemitismus einer gigantischen Vernichtungsmaschinerie dieselbe Form
der Subjektivität wie der autoritätsgebundene Charakter haben? Wie soll eine sol-
Emanuel Kapfinger: Die Gegenwart des faschistischen Subjekts
che auf Endgültigkeit abzielende systematische Destruktivität ›unterdrückt‹ werden? Weil die beiden vorliegenden Theorieansätze – ›Heitmeyer‹ vs. ›Adorno‹ – bei
diesen Fragen in Sackgassen laufen, habe ich in Die Faschisierung des Subjekts versucht
einen alternativen Ansatz zu entwickeln. Dieser differenziert wie Heitmeyer die radikale Rechte analytisch und erklärt sie aus Krisenerfahrungen, konzipiert aber für
jede der Formen einen spezifischen Entstehungsmechanismus und damit auch einen spezifischen Subjekt-Typus. Wie die Studien sieht dieser Ansatz für rechtsradikale Reaktionen andererseits gesellschaftlich bedingte Voraussetzungen im Individuum, das Subjekt, eine Form des Individuums, die aber nicht nur autoritätsgebundenen Charakteren, sondern im Wesentlichen allen in der bürgerlichen Gesellschaft
lebenden Menschen zukommt. Liberale Charaktere sind jedenfalls nicht davor gefeit, aufgrund von Krisenerfahrungen rechtsradikal zu werden, auch wenn sie resilienter sein mögen und autoritätsgebundene Charaktere eher dazu tendieren. Es
ist das mit der Moderne entstandene Subjekt und das ihm innewohnende Streben
nach Identität, Anerkennung und Kontrolle, das Krisenerfahrungen als ›irrationale‹
Ängste erlebt, aufgrund derer Individuen rechtsradikal werden können, sofern sie
nicht zu einer gesellschaftskritischen Reflexion ihres Subjekt-Seins finden. Und erst
wenn das Subjekt auf diese Weise unter dem Aspekt seiner Aufhebbarkeit betrachtet
wird, können die beiden faschistischen Subjekt-Typen erklärt werden. Denn diese
entstehen aus Krisen, in denen das Subjekt in seiner Form selbst bedroht ist und
dies als drohenden Untergang wahrnimmt, in dem es um Leben und Tod zu gehen
scheint. Diesen Erklärungsansatz, der sich in Die Faschisierung des Subjekts auf den
historischen Faschismus bezog, werde ich im Folgenden auf die gegenwärtige radikale Rechte übertragen, indem ich Heitmeyers Formen der radikalen Rechten mit
den von Ernst Nolte in Der Faschismus in seiner Epoche entwickelten Typen des Faschismus in Entsprechung bringe.
115
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Kritische Theorie der extremen Rechten
4. Der historische Faschismus
Ernst Nolte23 unterscheidet in seiner Typologie Autoritarismus und Totalitarismus
als die beiden Extreme der radikalen Rechten und siedelt zwischen ihnen zwei Übergangsformen an (vgl. Nolte 1979: 48). Damit konstruiert er die folgenden vier typologischen Stellen:
1.
2.
3.
4.
Autoritarismus (noch nicht faschistisch, ggf. präfaschistisch)
Frühfaschismus
Normalfaschismus
Radikalfaschismus
1. Den Autoritarismus (entspricht Heitmeyers autoritärem Nationalradikalismus)
diskutiert Nolte am französischen radikalen Konservatismus des ausgehenden 19.
Jahrhunderts sowie am Regime Józef Pilsudskis, der 1926 in Polen eine Diktatur
errichtete. In Deutschland wurde er unter anderem von der DNVP unter Alfred
Hugenberg verkörpert.24 Der Autoritarismus ist eine Radikalisierung des Konservatismus und der Tendenz nach antisemitisch und massenagitatorisch. Unter
23
24
Ernst Nolte initiierte 1986 den Historikerstreit durch seine These, dass der Holocaust eine Reaktion auf den Stalinismus und dessen Gräueltaten gewesen sei, und vertrat später zunehmend rechtsradikale und antisemitische Positionen. In dieser Weise äußerte er sich jedoch
in seiner Monographie Der Faschismus in seiner Epoche von 1963 noch nicht. Im Gegenteil positioniert er sich darin deutlich gegen Faschismus und Antisemitismus, und hebt explizit die
Unvergleichbarkeit des faschistischen Massenmords hervor, mit dem »auch nicht der Terror
Stalins« verglichen werden könne (Nolte 1979: 35). Dennoch muss das Buch sehr kritisch gelesen werden, weil Nolte darin den Faschismus und insbesondere Hitler auf eigentümlich
negative Weise glorifiziert: Er wolle dem Faschismus die »›Sympathie‹« (ebd.: 545) nicht versagen, weil dieser ein verzweifelter Widerstand gegen die Widersprüche der Moderne sei.
Andererseits erlaubt es Nolte gerade seine ›sympathisierende‹ Perspektive, deutlich herauszuarbeiten, dass der Faschismus ein Produkt der bürgerlichen Gesellschaft ist und sich spezifisch gegen den Marxismus stellt. Damit entwickelt er einen sehr wichtigen und produktiven
Zugang zum Faschismusbegriff, an den auch kritische Autoren wie Wolfgang Wippermann
(1989: 12), Mathias Wörsching (2020: 181) und Felix Korsch (2021: 12f., 30) anschließen.
Hugenberg wurde 1928 zum Vorsitzenden der DNVP gewählt, womit sich der völkisch-antisemitische Flügel der DNVP gegen deren monarchistischen, aber staatstragenden Flügel
durchsetzte. Damit wurde »die bereits begonnene Integrierung der politischen Rechten in
die Republik aufgehalten oder gar rückgängig gemacht« (Nolte 1979: 413). Die DNVP arbeitete anschließend immer wieder mit der NSDAP zusammen und ermöglichte 1933 die Kanzlerschaft Hitlers, indem sie mit der NSDAP eine Koalition einging. Damit grub Hugenberg
»sich und seiner Partei mit eigenen Händen das Grab« (ebd.: 418), denn schon im Juni 1933
wurde sie im Zuge der Gleichschaltung zur Selbstauflösung gezwungen. Dies ist, ebenso wie
der ›Röhm-Putsch‹, ein einschlägiges Beispiel für eine ›rechtsradikale Bedrohungsallianz‹,
die schnell in kompromisslose Feindschaft umschlagen kann.
Emanuel Kapfinger: Die Gegenwart des faschistischen Subjekts
den Bedingungen der Republik versucht er, der Arbeiterbewegung durch seinen
eigenen Kampf gegen die bürgerliche Welt »den Wind aus den Segeln zu nehmen«
(vgl. Nolte 1979: 84). Sein Kampf gegen Liberalismus und Demokratie bleibt aber
(im Vergleich zum Faschismus) ein pseudorevolutionärer Gestus, der noch nicht
sehr ernst gemeint ist und eher »aus enttäuschter Liebe« (ebd.: 87) handelt.25 In
Polen wollte Pilsudski die ›Auswüchse‹ des Parlamentarismus abschaffen, ließ aber
die Pluralität der Parteien und eine ziemlich weitgehende Freiheit der Meinungsäußerung bestehen. Vom Faschismus unterscheidet sich der Autoritarismus darin,
dass er das bestehende System nicht umstürzen will: »Revolutionäre Reaktion zu
sein ist der Grundcharakter des Faschismus.« (Ebd.: 89)
2. Den Frühfaschismus (zu dem es keine Entsprechung bei Heitmeyer gibt) stellt
Nolte anhand der Action française vor, der ihm zufolge ersten und eindeutig politischen Erscheinung des Frühfaschismus. Als deutsches Pendant nennt Nolte Oswald
Spengler, Carl Schmitt, Gottfried Benn und Ernst Jünger und damit Autoren der sogenannten ›Konservativen Revolution‹; diese seien aber ›nicht eindeutig politisch‹.
Der Frühfaschismus war in erster Linie eine intellektuelle und publizistische Bewegung. So bestand die Action française aus einem Konglomerat von intellektuellen
Institutionen: einer Zeitung im Zentrum, um sie herum eine Propagandaorganisation (keine Partei), ein wissenschaftliches Institut, ein Verlag und eine militante
Studentengruppe. Im Gegensatz zu den späteren Faschismen hatte die Action française keine Massenorganisation, wesentlich für sie war die Verbreitung ihrer Doktrin, in der sie jedoch schon viele Aspekte der späteren Faschismen, insbesondere des Radikalfaschismus, vorwegnahm. Der Frühfaschismus beschreibt daher die
»›geistige Atmosphäre‹, innerhalb deren [sic!] Faschismus und Nationalsozialismus
sich entfalteten« (ebd.: 57). Offensichtlich kann man den Frühfaschismus mit dem
neurechten Intellektuellenmilieu um Götz Kubitschek – mit der Zeitschrift Sezession, dem Institut für Staatspolitik, dem Verlag Antaios, der militanten Studentengruppe Identitäre Bewegung – in Beziehung setzen. Heitmeyer behandelt dieses Intellektuellenmilieu als internen Teil des autoritären Nationalradikalismus (mit Ausnahme der Identitären Bewegung, die er dem systemfeindlichen Milieu zuordnet),
aber nicht als Form von eigener Qualität, wie Nolte das tut, vermutlich weil der Frühfaschismus wie das neurechte Intellektuellenmilieu eine vorwiegend publizistische
Bewegung bleibt, die keine eigene Praxis hat. In jedem Fall ist der Frühfaschismus
keine politische Massenbewegung, so dass man ihn nicht mit einem gesellschaftlichen Subjekt-Typus in Verbindung bringen kann.
3. Den Normalfaschismus (entspricht bei Heitmeyer dem systemfeindlichen Milieu; hier im Folgenden: Pseudosozialistischer Faschismus) analysiert Nolte am italienischen Faschismus und an dessen ›Duce‹ Benito Mussolini. Er ist durch einen erst
25
Vgl. die Formulierung bei Horkheimer/Adorno, auf die ich noch zu sprechen komme: »Liberale, die ihre antiliberale Meinung sagen wollten« (Horkheimer/Adorno 1987: 230).
117
118
Kritische Theorie der extremen Rechten
noch politischen Totalitarismus (vgl. ebd.: 44) geprägt, im Gegensatz zum allumfassenden Totalitarismus des Radikalfaschismus. Als politischer Totalitarismus bricht
er grundsätzlich mit dem liberalen Verfassungsstaat und dessen Pluralismus, indem er ihm den totalitären Staat mit einer ideologisch ausgerichteten Einheitspartei gegenüberstellt und dies mit Gewalt durchsetzt. Im Unterschied zu den anderen Faschismen ist für den Normalfaschismus der Pseudosozialismus charakteristisch, der den Nationalismus mit einem sozialistischen Motiv verbindet. Dabei versteht er sich nicht in einem gemeinsamen Kampf mit dem Sozialismus der Arbeiterbewegung, sondern richtet sich explizit gegen diesen. Der Normalfaschismus
wird in Deutschland etwa durch den Strasserianismus (bis 1926) oder die SA26 (bis
zum ›Röhm-Putsch‹ 1934) verkörpert, tendenziell auch durch das NSDAP-Parteiprogramm von 1920 (vgl. ebd.: 392). Zwischen 30. Januar und 1. Dezember 1933 war die
Herrschaft der NSDAP Nolte zufolge normalfaschistisch. Diese Zeit entspricht dem
Prozess der uneingeschränkten politischen Machtergreifung in Italien, der dort jedoch von 1922 bis 1929 gedauert hat (vgl. ebd.: 423). Ab 1934 überholt die radikalfaschistische Beschleunigung in Deutschland den italienischen Faschismus. Spätestens ab diesem Zeitpunkt, der mit dem Abblasen der ›zweiten‹, pseudosozialistischen Revolution und dem ›Röhm-Putsch‹ zusammenfällt, trifft die Selbstbezeichnung ›national-sozialistisch‹ – die schon immer ideologisch war: es gibt keinen nationalen Sozialismus – nicht mehr zu.
4. Die paradigmatische Ausprägung des Radikalfaschismus (entspricht Heitmeyers Vernichtungsmilieu; hier im Folgenden: Eliminatorischer Faschismus) ist der
deutsche Faschismus ab 1934, wobei er unter anderem von Adolf Hitler, Heinrich
Himmler und der SS durchaus schon zuvor vertreten wurde. Auch Italien tendierte
im Lauf der Zeit zum Radikalfaschismus. Der Radikalfaschismus ist insbesondere
durch die Entschiedenheit und Totalität seines Vernichtungswillens gekennzeichnet, der nicht leidenschaftlich, sondern organisiert vorgeht. Dabei hat er in seinem
Vernichtungswerk die radikale Umgestaltung der Gesellschaft im Blick; unter effizientem und brutalem Einsatz der Mittel versucht er eine endgültige Situation
zu schaffen. Der Radikalfaschismus wähnt sich – das ›deutsche Volk‹ – in einem
»Todeskampf « (ebd.: 507), das heißt, in seiner Notwehr-Phantasie meint er, angesichts des bevorstehenden Untergangs um sein Leben kämpfen zu müssen. Obwohl
der Radikalfaschismus eine scharfe Hierarchie zwischen Masse und Elite sieht und
insofern den Klassenantagonismus für notwendig hält (vgl. ebd.: 508), versteht
er sich aufgrund der Ideologie des rassisch bestimmten Volks als ›klassenlos‹ und
greift insofern das pseudosozialistische Motiv auf. Seine Regierungsform ist »tendentiell allumfassende[r] Totalitarismus« (ebd.: 49), der keine Selbständigkeit der
»vorpolitischen und transpolitischen Beziehungen des Menschen zu den anderen
Einzelnen« (ebd.: 44) duldet und einen totalen Anspruch auf das ganze Wesen
26
Siehe dazu im nächsten Abschnitt bei Sohn-Rethel.
Emanuel Kapfinger: Die Gegenwart des faschistischen Subjekts
des Einzelnen durchsetzt. Der deutsche Radikalfaschismus kulminiert schließlich
in der SS, der »vollkommenste[n] organisatorische[n] Ausprägung der Doktrin
Hitlers« (ebd.: 475).
5. Die historischen Differenzen in der Kritischen Theorie
In der Kritischen Theorie liegt zwar keine systematisch ausgearbeitete Typologie des
Faschismus wie bei Nolte vor, aber ausführliche Analysen zu den Differenzen des Faschismus und damit auch zu den spezifischen Qualitäten der einzelnen Formen. Ihre Differenzierungen haben gegenüber Nolte den Vorzug der psychologischen Prägnanz.
Horkheimer und Adorno arbeiten die Differenz zwischen dem Autoritarismus
und dem eliminatorischen Faschismus in der siebten These der »Elemente des Antisemitismus«, dem letzten Kapitel der Dialektik der Aufklärung, heraus.27 In dieser
These untersuchen sie den »faschistische[n] Antisemitismus« (Horkheimer/Adorno
1987: 237), das heißt, den Antisemitismus des Massenmords an den Jüdinnen und Juden.28 Um seine Spezifik herauszuarbeiten, unterscheiden sie ihn vom autoritären
Antisemitismus, den sie in die Zeit vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis »zuletzt«
(ebd.: 230), also offenbar vor dem faschistischen Massenmord, einordnen. Diese autoritären Antisemiten waren Liberale, »die ihre antiliberale Meinung sagen wollten«
(ebd.: 230); sie waren bürgerlich und aufsässig zugleich. »Das völkische Schimpfen
war noch die Verzerrung ziviler Freiheit.« (Ebd.: 231) Der autoritäre Antisemitismus
beruhte auf subjektiver Überzeugung und persönlicher Feindschaft, und resultierte
aus einem individuellen psychischen Konflikt. Im Gegensatz dazu hat der faschistische Antisemitismus einen eigentümlich unmotivierten, emotionslosen Charakter.
27
28
Eine Darstellung des pseudosozialistischen Faschismus findet sich in den »Elementen« allerdings nicht. Zwar umreißen sie in der dritten These einen aus der Ökonomie herrührenden
Antisemitismus, der schaffendes gegen raffendes Kapital stellt und die Jüdinnen und Juden
zum »Sündenbock« (Horkheimer/Adorno 1987: 203) für die ganze Kapitalistenklasse macht.
Horkheimer/Adorno haben dabei jedoch einen »bürgerliche[n] Antisemitismus« (ebd.: 202)
vor Augen, der aus dem ›fetischistischen Schein‹ der Zirkulationssphäre, nicht aus Unterdrückungserfahrungen resultiert.
Zwar wird die siebte These häufig so interpretiert, als würde es darin um den Antisemitismus nach Auschwitz gehen (etwa Brumlik 2019: 359), weil darin ein Antisemitismus beschrieben wird, der nicht mehr auf eine subjektive Regung zurückgeht, sondern »subjektlos« in
der gesellschaftlichen Struktur selbst existiert. Das stimmt insofern, als Horkheimer/Adorno
im letzten Absatz darauf bestehen, dass dieser strukturelle Antisemitismus auch nach 1945
fortbesteht. Das ist aber nur der Ausklang, hauptsächlich geht es in dieser These um den
deutschen Faschismus und den Massenmord an den Jüdinnen und Juden, wie die Benennung
des Faschismus, der »Zyklonfabriken« (Horkheimer/Adorno 1987: 237) und der »Gaskammer«
(ebd.: 233) zeigen.
119
120
Kritische Theorie der extremen Rechten
Die »antisemitische Psychologie« (ebd.: 231) ist obsolet: Es gibt »keine Antisemiten
mehr« (ebd.: 230), nur mehr Antisemitismus als »gesellschaftliche[s] Existential«
(ebd.: 237), das heißt, als gesellschaftliche Seinsbestimmung. Diese entstand daraus, dass die gesellschaftlichen Wahrnehmungs- und Kommunikationsstrukturen,
die früher Träger von Vernunft und Individuation waren, nun »objektiv« (ebd.: 235)
– das heißt als unbezweifelbare Realität – in den antisemitischen Wahnsinn umgeschlagen seien. In diesem totalitären Antisemitismus geht das Individuum nicht
mehr aus selbständig individueller Initiative gegen die Jüdinnen und Juden vor, vielmehr liegt die Initiative bei der verselbständigten Vernichtungsmaschinerie, in der
das Individuum nur mehr dort zugreift, »wo es seine Rolle als Angestellter der Partei oder der Zyklonfabriken erfordert.« (Ebd.: 237) Die Vernichtung wird so zum
kollektiven totalitären Werk der Massenindividuen, deren Gegensatz zum Kollektiv aufgrund ihrer »widerstandslosen und emsigen Anpassung« (ebd.: 234) ausgelöscht wurde und so das reibungslose Funktionieren der Maschinerie, für die individuelle Aggression und Überzeugung nur hinderlich wären, nicht mehr stört. Die
von der Bürokratie zentral organisierte Vernichtung wird so mit unvergleichlich höherer Effizienz durchgeführt, als es individuell motivierte Übergriffe je vermöchten: »Der Mangel an Rücksicht aufs Subjekt [das heißt, auf die Opfer als Subjekte,
E.K.] macht es der Verwaltung leicht. Man versetzt Volksgruppen in andere Breiten,
schickt Individuen mit dem Stempel Jude in die Gaskammer.« (Ebd.: 233) Erst in diesem eliminatorischen Antisemitismus werden die Jüdinnen und Juden »ganz zum
Bild des Teufels« (ebd.: 237), denn er richtet sich gegen sie nicht mehr aufgrund konkret begründeter Feindschaften (etwa als angebliche ›Mörder Christi‹, als ›Wucherer‹), sondern weil er im Kampf mit dem Judentum eine objektive, unüberwindbare
Realität, ein Strukturprinzip des Seins selbst sieht (auch wenn er dafür die konkret
begründeten Feindschaften sekundär wiederum mobilisiert). Darum das »nichtige,
undurchdringliche Wesen« (ebd.: 237) dieses Antisemitismus. Auf die mit diesem
Vernichtungsantisemitismus verbundene Subjektanalyse des ›subjektlosen‹, ›liquidierten‹ Subjekts komme ich im Abschnitt 7.1 zurück.
Sehr klar konturiert Alfred Sohn-Rethel (1973a) den pseudosozialistischen Faschismus der SA in seinem Bericht über den sogenannten ›Röhm-Putsch‹ am 30.
Juni 1934. Grund für diese ›Nacht der langen Messer‹ war ein Machtkampf zwischen
der SA einerseits und der Reichswehr sowie den Führern der NSDAP (Hitler, Himmler usw.) andererseits. Dabei standen sich zwei grundlegend verschiedene Interpretationen des Nationalsozialismus gegenüber. Die SA sah sich selbst als Volksmiliz, die im Herzen einer nationalen Erhebung steht, eines zusammengeschweißten, wiedererwachten Volkes. Sie wollte die ›zweite Revolution‹ nach der politischen
Revolution vom Januar 1933, die Entmachtung des Großkapitals, wie es im 25-Punkte-Programm der NSDAP von 1920 gefordert worden war. »Nicht in der SS, wohl
aber in der SA war ein starker, obgleich verworrener und irregeführter revolutionärer Drang wirksam, gerichtet gegen die großkapitalistischen Interessen, die in
Emanuel Kapfinger: Die Gegenwart des faschistischen Subjekts
der Reichswehr ihre Schutzmacht hatten.« (Ebd.: 201) Darüber hinaus sollte die SA
Volksmiliz und in dieser Funktion der Grundstock des deutschen Heeres werden.
Die Reichswehr ebenso wie die Führer der NSDAP hatten indes weder an einer ›sozialistischen‹ Revolution noch an Volksmilizen ein Interesse, denn nur ein souveräner Militärapparat als »alleinige[r] Waffenträger im Staat« ermöglichte maximale Aufrüstung und den Aufbau einer funktionstüchtigen und kompetenten Kriegsmacht. Nur damit ließ sich Hitlers angestrebter Eroberungskrieg realisieren. Diese Geschichte des ›Röhm-Putschs‹ zeigt die Eigenart des eliminatorischen Faschismus auch an der Vorgehensweise Hitlers. Denn er war von langer Hand geplant
und die SA-Führung – die immerhin zum Kern der NSDAP gehörte – war vor der
Mordnacht systematisch hinters Licht geführt worden. Sohn-Rethel bezeichnet den
Röhm-Putsch daher auch als »nationalsozialistischen Brudermord[…]« (ebd.: 200).
Nach der Entmachtung der SA begann der Aufstieg der SS, und der Charakter des
Nationalsozialismus verwandelte sich grundlegend. Hermann Mau schreibt: »Die
Erhöhung der SS zu der mächtigen Organisation, die dem weiteren Ablauf der Geschichte des nationalsozialistischen Regimes sein charakteristisches Gesicht gegeben hat, wirkt wie ein Sinnbild dafür, daß das ganze Regime mit dem 30. Juni seine
Natur veränderte.« (Mau 1953: 137)
Raul Hilberg zeigt in Die Vernichtung der europäischen Juden an den Novemberpogromen von 1938 die radikale Formveränderung des Antisemitismus in Deutschland auf – von einem teilweise pseudosozialistischen, teilweise noch autoritären
Antisemitismus zum Vernichtungsantisemitismus. Die Pogrome – die teilweise orchestriert, teilweise aber auch spontan waren – dauerten mehrere Tage an und fanden überall in Deutschland statt. Nach Hilberg lag die Ursache der Pogrome darin,
dass die Parteibasis nicht mehr an der Durchführung des Vernichtungsprozesses
beteiligt war. »Teile der Partei waren unruhig geworden und begingen plötzlich Ausschreitungen […].« (Hilberg 1999: 43) Die NSDAP-Führung war mit den Pogromen
jedoch nicht einverstanden: Sie schadeten Staat und Wirtschaft, und das selbständige Agieren der antisemitische Masse widersprach diktatorischen Kontrollvorstellungen. Vor allem aber konnten die Pogrome aus Sicht der NSDAP-Führung das ›eigentliche Ziel‹, die vollständige Vernichtung des Judentums, nicht erreichen. Die
Bürokratie zeigte sich nach den Pogromen überzeugt, »dass die gegen Juden zu ergreifenden Maßnahmen systematisch zu erfolgen hatten […] – das heißt auf eine geordnete Weise, die eine sorgfältige und lückenlose Planung jeder einzelnen Maßnahme mit Hilfe von Memoranden, Briefwechseln und Konferenzen erlauben würde« (ebd.: 53). Nach dem November 1938 wurden Ausschreitungen nie wieder geduldet. Stattdessen wurde die Vernichtungsmaschinerie fertiggestellt, die ihre Opfer nicht als konkrete Individuen im unmittelbar gewalttätigen Übergriff verfolgte,
motiviert durch aggressive Rache- und Strafbedürfnisse, sondern die auf die Individuen ›abstrakt‹, gemäß der mühsam konstruierten Verwaltungskategorie ›Jude‹,
zugriff. Sie operierte mit einem effizient ineinandergreifenden System von Maß-
121
122
Kritische Theorie der extremen Rechten
nahmen (Definition – Enteignung – Konzentration – Deportation – Ermordung)
und war insofern von konkreten Situationen und persönlichen Aggressionen unabhängig. In dieser gesellschaftsumspannenden, komplexen Maschinerie arbeitete
eine sehr große Zahl von Individuen in sehr heterogenen Rollen zusammen. Dennoch funktionierte die Maschinerie so effizient und reibungslos, dass die Vernichtung innerhalb weniger Jahre fast gelang, und Hilberg sie daher mit einer Walze (die
die jüdische Bevölkerung ›zermalmt‹) vergleichen konnte.
Damit hat sich ein Bruch innerhalb des Antisemitismus in Deutschland vollzogen, den Hitler bereits 1919 gefordert hatte. Bereits zu diesem Zeitpunkt kritisierte
er – in einem Brief, nicht öffentlich – mit scharfen polemischen Worten einen ›Antisemitismus des Gefühls‹, der emotional motiviert und irrational sei, und der »seinen letzten Ausdruck […] in der Form von Pogromen« (Hitler 1987: 192) finde. Hitler
forderte dagegen einen »Antisemitismus der Vernunft« (ebd.: 192), der planmäßig
und gesetzmäßig vorgehe, und dessen Ziel »unverrückbar die Entfernung der Juden überhaupt« (ebd.: 192) sein müsse.
6. Autoritarismus
Erich Fromm erklärt in Die Furcht vor der Freiheit (1989b) im Kapitel »Die Psychologie
des Nazismus« den Autoritarismus als Reaktion auf Krisenerfahrungen. Trotz des
Titels ist sein Gegenstand allerdings nicht der Nazismus im Sinne des pseudosozialistischen oder des eliminatorischen Faschismus, sondern der Autoritarismus, wie
er sich im Zuge der Krisenerfahrungen nach dem Ende des Ersten Weltkriegs im
Kleinbürgertum ausbreitete. Fromm analysiert damit aber insofern den Nazismus,
als dieser Autoritarismus vor wie nach 1933 für Zustimmung zur NSDAP sorgte. Im
Theoriekern entspricht dies der Theorie der sozialen Desintegration von Heitmeyer.
Fromm diskutiert aber die Vorgeschichte des historischen Faschismus, auf die Heitmeyer nicht eingeht, mit der wir die heutige Situation aber vergleichen müssen, und
hat Heitmeyer gegenüber den Vorzug, dass er den Umschlag ins Autoritäre psychoanalytisch und damit immanent in seinem Prozess nachvollzieht. Sie unterscheidet
sich von der ›Theorie des autoritären Charakters‹ der Studien zu Autorität und Familie
wie auch der Studien zum autoritären Charakter, die in der hier verwendeten Terminologie den autoritätsgebundenen Charakter verhandeln (siehe dazu Abschnitt 2).
In Bezug auf den Ausdruck ›autoritär‹ ist »Die Psychologie des Nazismus« übrigens
selbst nicht einheitlich, weil sie zum einen vom autoritären Charakter im Sinne des
autoritätsgebundenen Charakters, zum andern aber auch von »autoritärer Ideologie und Praxis« (ebd.: 355) spricht und damit explizit die radikale Rechte meint.
Fromm erklärt den Autoritarismus des Kleinbürgertums als Konsequenz aus
dessen umfassender Krisenlage nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Mit der Novemberrevolution und der Gründung der Weimarer Republik ist die kulturelle Ord-
Emanuel Kapfinger: Die Gegenwart des faschistischen Subjekts
nung, in der sich das Kleinbürgertum zu Hause gefühlt hatte, zusammengebrochen: Die Monarchie war entmachtet, die Kirche hatte ihre gesellschaftliche Stellung verloren, die Nation war durch die Versailler Verträge gedemütigt. Das verband sich mit den persönlichen Schicksalen des Kleinbürgertums, da die Zeiten, in
denen es als stabiler Mittelstand und ›etwas Besseres‹ gesellschaftliches Prestige genossen hatte, angesichts der zunehmenden Monopolisierung vorbei waren. Die Inflation machte die Lage des Mittelstands noch unsicherer; die Familie, das ›traute
Heim‹, verlor an Bedeutung. Die Identitätsgrundlagen des Kleinbürgertums waren
erschüttert. Es stand ökonomisch, kulturell und ideologisch vor einem Abgrund und
war von Ängsten, Verbitterung und Gefühlen der Ohnmacht und Bedeutungslosigkeit heimgesucht.
Das Kleinbürgertum kompensierte diese »unerträgliche psychologische Situation« (ebd.: 355), indem es zur autoritären Ideologie überging und nationalistisch und
rassistisch wurde. An seinem sozialen Abstieg sei nicht es selbst, sondern die ›nationale Schmach‹, der Versailler Verlag, schuld. Es projizierte die von ihm empfundene
Schuld auf andere, denen gegenüber es seinen Groll ausleben konnte. Ebenso wenig
sei es ohnmächtig und bedeutungslos, sondern Angehöriger eines mächtigen Kollektivs, der großdeutschen Nation, die aus ihrer Unterdrückung und ihrer PariaRolle wieder zu befreien sei. Seine Angst und seine Verbitterung lenkte das Kleinbürgertum schließlich auf einen Hass auf die Schwachen und ein Verlangen nach
Unterwerfung der Machtlosen um, wodurch es sein Gefühl der Bedeutungslosigkeit
durch ein Gefühl der Überlegenheit kompensieren konnte. Das Kleinbürgertum reagiert also auf die Bedrohung seiner Identität, indem es seine Identität mit autoritären Mitteln verfestigt und vergrößert – eine psychologische Scheinlösung, die die
zugrundeliegenden Probleme nicht behebt, es aber erlaubt, die von Verlust bedrohte Identität aufrechtzuerhalten. Einmal nationalistisch und rassistisch, fühlt sich
das Kleinbürgertum keineswegs mehr verunsichert, ohnmächtig und bedeutungslos, sondern es ist erfüllt von aggressivem, autoritärem Selbstbewusstsein. Dies verhilft ihm in seiner von Krisen und Konflikten geplagten Situation zu einer stabilen
psychologischen Konstellation.
7. Pseudosozialistischer Faschismus
Mit Wilhelm Reichs Massenpsychologie des Faschismus von 1933 lässt sich der pseudosozialistische, als »nationaler Widerstand« gegen das System gerichtete Faschismus29 erklären, der dafür auf systematische politische Gewalt zurückgreift. Auf die
29
In Die Faschisierung des Subjekts hatte ich das ›mittlere‹ Konzept des pseudosozialistischen Faschismus noch nicht entwickelt. Zwar hatte ich darin Reichs Theorie rezipiert und sie aufgrund ihrer Verschränkung von ökonomischen Interessen mit psychologischen Faktoren als
123
124
Kritische Theorie der extremen Rechten
eliminatorischen Tendenzen, die ab 1934 zunehmend dominant wurden, geht Reich
dabei nicht ein. Er ging vielmehr von der Frage aus, warum die Massen, die die Weltwirtschaftskrise ins Elend gestürzt hatte und die in erheblichem Maße antikapitalistische Interessen ausgebildet hatten, gerade aufgrund dieser antikapitalistischen
Impulse NSDAP wählten, obwohl diese mehr oder weniger offensichtlich den Kapitalismus verteidigt hatte (vgl. Reich 2020: 18f., 45). Er hat hierbei sowohl Mittelschichts-Angehörige und Kleinbürger:innen, die aufgrund der Krise proletarisiert
wurden, als auch verbürgerlichte Arbeiter:innen, die früher links gewählt und nun
ihr Kreuz bei der NSDAP gemacht hatten, im Blick.
Er erklärt dies aus einer eigenständigen psychischen Struktur im bürgerlichen
Menschen, die als psychische Kraft den antikapitalistischen Impulsen entgegenwirkt (ebd.: 29f.). Es handelt sich um die Struktur eines autoritätsfürchtigen,
gehorsamen, braven Charakters (ebd.: 38f.). Diese Menschen ordnen sich einerseits
freiwillig unter, neigen aber andererseits zu brutalem Sadismus. Sie sind aufgrund
dieses Charakters erfüllt von Vorstellungen von Ehre, Pflicht und einer ›spießerischen‹ sexuellen Moral und mit Obrigkeit und Nation identifiziert. Dies ähnelt
durchaus dem von Fromm in den Studien über Autorität und Familie beschriebenen
sadomasochistischen Sozialcharakter des Kapitalismus im Sinne eines im Kapitalismus für die große Mehrzahl der Menschen typischen Charakters. Anders als
die Studien sieht Reich in der von ihm beschriebenen Charakterstruktur die einzige
Lösung des Ödipus-Komplexes und in diesem selbst das Problem. Sie ist keine
defizitäre Lösung, der eine gelungene – ein liberaler Charakter – gegenübergestellt
werden könnte. Reich hat also in ähnlichem Sinne, wie ich vom Subjekt als Form
gesprochen habe, den bürgerlichen Charakter überhaupt vor Augen, den er unter
dem Aspekt seiner Aufhebbarkeit betrachtet.
Gemäß seiner Erklärung wirken in der Rechtsentwicklung des Kleinbürgertums, das die soziale Basis des Nationalsozialismus ausmacht, eine antikapitalistische, aus ökonomischer Bedrohung herrührende Energie und eine ›bürgerliche‹
wichtigen Beitrag zur Erklärung von Rechtsentwicklungen dargestellt (vgl. Kapfinger 2022b:
72). Aber ich hatte darin noch nicht gesehen, dass der Pseudosozialismus eine eigenständige Form des Faschismus bildet, und auch die von Reich analysierten psychologischen Mechanismen nicht als faschistischen Subjekt-Typus begriffen. Ich hatte vielmehr lediglich eine einzige Form des Faschismus gesehen, diejenige, die ich hier ›eliminatorischen Faschismus‹ nenne. Die Phänomene des Pseudosozialismus, etwa die ›zweite Revolution‹ oder die
SA, aber auch heutigen Terror von Neonazis, hatte ich fälschlicherweise – rückblickend betrachtet: offensichtlich fälschlicherweise – als ›nicht faschistisch‹ klassifiziert und dem mit
Fromm beschriebenen Autoritarismus zugeordnet. Thomas Sablowski und Leo Roepert haben in Kommentaren meine damalige Klassifizierung und Zuordnung einer unabweisbaren
Kritik unterzogen, so dass ich mich zu ihrer Überarbeitung gezwungen sah, und hier nun die
Einteilung der radikalen Rechten in Autoritarismus, pseudosozialistischen Faschismus und
eliminatorischen Faschismus präsentieren kann.
Emanuel Kapfinger: Die Gegenwart des faschistischen Subjekts
psychische Energie in widersprüchlicher Weise so zusammen, dass daraus eine
»innere Wandlung« (ebd.: 49) des Kleinbürgertums resultiert. In der Folge wechselt
dieses seinen politischen Standort vom Liberalismus zum Nationalsozialismus.
Diese ›neue‹ Subjektivität des Kleinbürgertums ist eine widersprüchliche Vereinigung der antikapitalistischen Reaktion mit dem bürgerlichen Charakter des
Kleinbürgertums: Auf der einen Seite entsteht aus strukturellen ökonomischen
Benachteiligungen wie hoher struktureller Arbeitslosigkeit und aus weitgreifenden Deklassierungen aufgrund struktureller ökonomischer Transformationen
eine erhebliche antikapitalistische Energie. Diese Bedingungen traten schon im
Laufe der 1920er Jahre ein, vor allem und massiv aber ab der Weltwirtschaftskrise
von 1929. Nicht so intensiv, durchaus aber strukturell liegen sie heute im Osten
Deutschlands vor, kennzeichnen aber auch die Situation großer Teile der derzeitigen Mittelschicht, die im Zuge des Umbaus der Weltwirtschaft ihre ökonomische
Stellung verlieren, und aus deren Reihen – mit Sahra Wagenknecht an der Spitze –
derzeit ein antikapitalistischer Impuls zunimmt, der sich zugleich als ›konservativ‹
(allerdings nicht als rechtsradikal) identifiziert. Die betroffenen Menschen nehmen
ihre ökonomische Lage dabei durchaus als Effekt des Kapitalismus wahr und entwickeln enorme aggressive Impulse gegen das ›System‹. Auf der anderen Seite sind
sie jedoch aufgrund ihrer psychischen Struktur mit Nation und Staat identifiziert
und haben darum eine regelrechte »Todesangst« (ebd.: 37) vor dem Untergang
der bestehenden Ordnung. Im Ergebnis wollen sie die Revolution und fürchten
sie zugleich. Der NSDAP ist es nun gelungen, und eben hieraus erklärt sich nach
Reich ihr Erfolg, diese beiden widersprechenden Impulse zu vereinen: Der National-Sozialismus ist eine spezifische Widerspruchslösung, die beides ineinander
aufhebt und eine neue, spezifisch aggressive Gestalt hervorbringt. »In der Gegensätzlichkeit dieser zwei Seiten des Faschismus sind sämtliche seiner Widersprüche
begründet, ebenso wie ihre Vereinigung in der einen Form ›Nationalsozialismus‹
die Hitlerbewegung kennzeichnet.« (Ebd.: 50) Der Nationalsozialismus bringt es
fertig, zugleich gegen den Kapitalismus zu kämpfen und ihn zu verteidigen.
Reich führt nicht genau aus, wie diese ›neue‹ Subjektivität beschaffen ist, dies
lässt sich jedoch recht zwanglos ergänzen: Der Nationalsozialismus schafft es diesen Widerspruch zu vereinigen, indem er die antikapitalistische Energie nationalistisch und antisemitisch kanalisiert und so gegen ein ›fremdes‹, ›undeutsches‹ System des ausländischen Finanzkapitals wendet, das – der Ideologie zufolge – Nation, Volksgemeinschaft und ehrliche Arbeit kontrolliert und ausbeutet. Zugleich
wird die »Todesangst« vor dem Umsturz des bestehenden Systems durch die Arbeiterklasse und damit vor dem Untergang der bürgerlichen Werte von Sittlichkeit, Familie, Nation kompensiert, indem diese Werte zu einem aggressiven Nationalismus
und Antisemitismus und der bürgerliche Charakter zu einem autoritären übersteigert werden. Der Nationalsozialismus richtet seine Energie daher einerseits gegen
das ›System‹ und die ›fremden Mächte‹, gegen die er ›nationalen Widerstand‹ leis-
125
126
Kritische Theorie der extremen Rechten
tet, und andererseits gegen die Feinde der bestehenden Ordnung und der Nation,
also gegen die Linke. In beiden Fällen führt die Verbindung der antikapitalistischen
mit der aggressiv nationalistischen Energie zu einer enormen und planmäßigen Gewaltentwicklung, wie sie auch heute wieder im ›Wehrsport‹ und dem Waffenhorten
von Neonazis, terroristischen Anschlägen und der Vorbereitung eines gewaltsamen
Umsturzes zum Ausdruck kommt.
8. Eliminatorischer Faschismus
Für das Subjekt des eliminatorischen Faschismus liegt bisher keine Theorie vor. Ich
habe darum in Die Faschisierung des Subjekts eine solche entwickelt – ausgehend von
der Diagnose dieses Subjekts in der Dialektik der Aufklärung und vor allem anhand
der Kritik von Heideggers Sein und Zeit. Im Folgenden gebe ich die zentralen Argumente dieser Theorie wieder.
8.1 Horkheimer/Adorno: die Liquidation des Subjekts
In Abschnitt 5 habe ich bereits Horkheimers und Adornos Analyse des Vernichtungsantisemitismus in den »Elementen des Antisemitismus« wiedergegeben: Dieser beruhte nicht mehr auf subjektiver Überzeugung und persönlicher Feindschaft, sondern war eine von den Individuen extrem verselbständigte Ideologie und Vernichtungsmaschinerie, in der die Individuen lediglich noch dort zugriffen, das heißt antisemitisch aktiv werden mussten (und sollten), wo es ihre Rolle im Vernichtungswerk erforderte, aber nicht mehr aus selbständig individueller Initiative. Die Individuen waren darin als ›ganzer Mensch‹ auf totalitäre Weise derart integriert, dass
sie gegenüber den Jüdinnen und Juden als Personen emotionslos und gleichgültig
waren. Das impliziert jedoch nicht, dass den Individuen ihre Beteiligung schlechthin gleichgültig war oder sie die Rolle aufgrund äußeren Zwangs ausübten, ohne
dies zu wollen. Horkheimer und Adorno argumentieren vielmehr, dass die Subjektstruktur der Individuen nicht mehr in gewohnter Weise im Gegensatz zum Kollektiv
gedacht werden kann. Die Spannung zwischen Individuum und Kollektiv sei »vernichtet«, weil Individuum und Kollektiv einander in einem »auf die Spitze getriebenen Mißverhältnis« von Ohnmacht und Allmacht entgegengesetzt seien (Horkheimer/Adorno 1987: 236). Die Individuen befinden sich in totaler Unterdrückung
durch die Machtungeheuer und zugleich in totaler Identifikation mit ihnen. Gerade
durch ihren extremen Gegensatz zum Kollektiv unternehmen die Individuen ihre
»widerstandlose[…] und emsige[…] Anpassung« (ebd.: 234), mit dem Ergebnis ihres
»ungetrübten Einklang[s]« (ebd.: 236) mit dem Kollektiv, so dass sie die »Direktion
der Massen« nicht mehr durch ihre Individuation (ebd.: 234), durch ihren individuellen Gegensatz behindern. Es ist gerade die »absolute Apathie«, die die Massen »zu
Emanuel Kapfinger: Die Gegenwart des faschistischen Subjekts
ihren Wunderleistungen befähigt« (ebd.: 235). Der »ganze Mensch [wird] zum Subjekt-Objekt der Repression« (ebd.: 235), also zum überindividuell-kollektiven Subjekt seiner eigenen Repression, aber als dieses Individuum.
Es handelt sich um ein Kollektiv ›totalitärer‹ Individuen, aus dem die einzelnen
Individuen nicht herausgelöst werden können, weil sie qua ihrer Subjektstruktur
darin integriert sind. Moralische Kategorien wie Entschluss und Zurechenbarkeit
sind daher nicht mehr auf sie als Individuen anwendbar.30 Horkheimer und Adorno
30
Die These, dass die Vernichtungstat von depersonalisierten totalitären Subjekten begangen
wurde, wird heute häufig als unzutreffend zurückgewiesen. Meist wird sie zunächst unter
Verweis auf Arendts Eichmann in Jerusalem und ihre Formulierung von der »Banalität des Bösen« kritisiert: Sie exkulpiere und verharmlose damit die Täter (vgl. Elbe 2015b: 446). Das
Eichmann-Buch leidet jedoch an der Weise, in der es die Depersonalisierungsthese an Eichmann exemplifiziert: Dieser sei ein »Hanswurst« (Arendt 1986: 132), der wie in einer schlechten Komödie in ein Verhängnis gestolpert ist, das er eigentlich gar nicht begriffen hatte,
in dem er aber gefangen war und nolens volens mitmachen musste. Insofern sei das Böse »banal«. Dieses Porträt eines der wichtigsten Organisatoren des Holocaust und SS-Obersturmbannführers ist offensichtlich krass verfehlt. Leider hat es auch die Glaubwürdigkeit
von Arendts Depersonalisierungsthese, die sie ausführlich und aus meiner Sicht überzeugend in Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft dargestellt hat, stark in Mitleidenschaft gezogen. Ihre Depersonalisierungsthese sollte daher unabhängig von ihrem Eichmann-Buch
diskutiert werden. Die Frage ist dann: Exkulpiert oder verharmlost die Depersonalisierungsthese, wie sie in Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft entfaltet ist, die Täter? Der Vorwurf
der Exkulpation kann aber zumindest dann nicht zutreffen, wenn die Depersonalisierungsthese stimmt, weil diese gerade beinhaltet, dass moralische Kategorien individueller Schuld
nicht mehr auf die Täter als Individuen anwendbar sind; Arendt würde auch eher in der umgekehrten These individuell motivierter Täter eine Verharmlosung sehen, weil dies die unvergleichliche Wucht der systematischen Vernichtung verkennt. Die These der Depersonalisierung müsste also für sich diskutiert werden und nicht allein darum zurückgewiesen werden,
weil sie die Täter exkulpiere.
Ingo Elbe unternimmt dies, indem er sie durch Verweis auf die empirische Täterforschung kritisiert (vgl. Elbe 2015a: 403f.Fn; Elbe 2015b: 471f.), die zeige, dass die Täter aus Leidenschaft
und Überzeugung agiert haben. Das Problem daran ist, dass die empirische Täterforschung
individuelle Täter als Individuen untersucht und nicht die Individuen in ihren Beziehungen
und daher das totalitäre Kollektiv der Täter, in dem die Individuen als Individuen »vernichtet«
sind, prinzipiell nicht in den Blick nehmen kann – dies gelingt nicht in empirischer Forschung,
nur in der theoriebasierten Darstellung des Zusammenhangs von Einzeldaten. Nur aus diesem heraus können die Individuen hier aber begriffen werden. Zudem übersieht Elbe, dass
sowohl nach Arendt als auch nach Horkheimer/Adorno solche individuellen Leidenschaften
und Überzeugungen, zum Beispiel ausgesucht brutaler Sadismus in den Konzentrationslagern, von der Vernichtungsmaschinerie gerade mobilisiert und von ihr benutzt werden (vgl.
Horkheimer/Adorno 1987: 236f.). Letzten Endes lässt sich die Kontroverse nur durch die Interpretation von historischem Material, das grundlegende Strukturen der faschistischen Gesellschaft sichtbar macht, entscheiden. Um die These zu belegen, habe ich daher im ersten
Kapitel von Die Faschisierung des Subjekts eine Reihe von Phänomenen wie den Hitler-Gruß
oder die ›schwarze Pädagogik‹ untersucht.
127
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Kritische Theorie der extremen Rechten
sprechen daher von der »Liquidation« (ebd.: 236) des Subjekts, eine Begriffsbildung,
die auf die faschistische Liquidation von Menschen, das heißt ihre Ermordung Bezug nimmt. Es handelt sich dabei um eine radikale Depersonalisierung, in der das
Individuum »als Subjekt« ausgelöscht wird (ebd.), heißt, dass das Individuum nicht
mehr durch Autonomie und Individualität charakterisiert ist, weil es durch gesellschaftlich vorgegebene Wahrnehmungs- und Verhaltensschemata konstituiert ist.
Die Subjekte sind »psychologisch expropriiert« und werden »von der Gesellschaft
selbst betrieben« (ebd.: 234). Das soll die Individuen weder als ungefährlich einstufen noch moralisch exkulpieren: Vielmehr zeigt die Darstellung Horkheimer
und Adornos gerade, wie massiv gefährlich dieser eliminatorisch-faschistische
Antisemitismus ist, eben weil die Individuen nicht mehr für moralische Argumente
ansprechbar sind und sie einem totalitären Kollektiv angehören, das systematisch
und effizient die endgültige Vernichtung organisiert. Es bedeutet insbesondere
nicht, dass die Täter nicht juristisch zur Verantwortung gezogen werden sollten.
Aber möglicherweise ist hier auch der herkömmliche individuelle Schuldbegriff
zu kurz gegriffen, so dass eventuell nach 1945 ein viel zu kleiner Kreis der an der
Vernichtungsmaschinerie beteiligten juristisch zur Rechenschaft gezogen wurde.
Das ist aber mit Bedacht gesondert zu untersuchen, auch um die Fallstricke einer
Kollektivschuldthese zu vermeiden.31
Was soll es nun bedeuten, wenn ein Subjekt ›als Subjekt ausgelöscht‹ ist? Horkheimer/Adorno zufolge bestehen die Funktionen des Subjekts – darunter Wahrnehmung, Urteil, Ich und Über-Ich – durchaus weiter. Sie haben jedoch ihre Form
radikal verändert. Beispielsweise wurde die Wahrnehmung zu einem stereotypen
Prozess, in dem das Individuum ein Wahrnehmungsschema exekutiert, aber in der
Wahrnehmung nicht mehr gegenwärtig ist. Das Ich befindet sich in »totale[r] Identifikation« (ebd.: 235) mit den Machtungeheuern, so dass »Gremien und Stars« (ebd.:
234) als Ich und Über-Ich fungieren. Die Liquidation des Subjekts ist daher ein aporetischer Begriff, der ein »subjektlose[s]« (ebd.: 231) Subjekt meint, das als Subjekt
aufhört, Subjekt zu sein.
31
Auch heute muss der eliminatorische Faschismus von diesem totalitären Kollektiv her gedacht werden, aus dem die Individuen nicht isoliert werden können. Das gilt gerade für heutige Vernichtungsakteure wie den NSU oder Anders Breivik, auch wenn es vordergründig so
aussieht bzw. von den Medien so dargestellt wird, dass sie als kleine Terrorzellen bzw. Individualterroristen operieren. Der NSU ist beispielsweise nicht zu verstehen ohne seine Einbettung in ein breites Unterstützungsnetzwerk (vgl. Borstel/Heitmeyer 2012), und in Bezug
auf heutigen Individualterror ist auf den »lone wolf«-Diskurs zu verweisen, der eigens unternimmt zu begründen, warum man unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht im Kollektiv,
wie die Ideologie es eigentlich erfordert, sondern vereinzelt handelt, der insofern aber explizit auf das Kollektiv rekurriert. Tatsächlich sind auch Individualterroristen heute nicht allein
tätig, sondern durch soziale Medien eingebunden in ein Kollektiv, das virtuell ständig da ist.
Emanuel Kapfinger: Die Gegenwart des faschistischen Subjekts
Diese Paradoxie kennzeichnet auch die Entstehung des subjektlosen Subjekts,
das heißt die Liquidation des Subjekts. Diese ist einerseits aufgezwungen, andererseits freiwillig, weil das Subjekt sich durch die gesellschaftlich gelieferten Schemata
»herstellen läßt« (ebd.: 237; Herv. E.K.). Sie passen sich als Subjekte (das heißt noch
in einem autonomen Akt) an die Herrschaftsstrukturen an, denn Anpassung ist »für
den Einzelnen vernünftiger als die Vernunft« (ebd.: 234); aber sie müssen dies, weil
die Machtstruktur den Massen »als eiserne Wirklichkeit entgegentritt, […] [so] daß
jede Spontaneität […] zum abwegigen Sektierertum geworden ist.« (Ebd.: 235) Die
›Liquidation‹ ist daher weder bloß als Zwang noch bloß als autonome Selbstaufgabe zu verstehen, sie ist – in dieser Paradoxie – ungetrennt freiwillig und unfreiwillig zugleich. Aber wie ist diese Paradoxie genau zu verstehen? Die Ausführungen
Horkheimer/Adornos sind dazu nicht sehr explizit, lassen sich aber so deuten, dass
die Bedingung für den Umschlag ins subjektlose Subjekt fundamentale Krisenerfahrungen wie das Gefühl von radikaler Ohnmacht und Bedeutungslosigkeit angesichts einer ›harten‹ gesellschaftlichen Realität sind, einer Realität, der gegenüber
das Individuum nichts vermag und keine Selbstbestimmung leben kann, und jeder
Ausweg als illusionär erscheint.
Die Ausführungen von Horkheimer und Adorno selbst verbleiben jedoch bei den
angeführten abstrakten und aporetischen Formulierungen. Das ›subjektlose Subjekt‹ verweist offenbar auf einen Widerspruch im Phänomen selbst, Horkheimer
und Adorno formulieren diesen aber nicht. Dies dürfte daran liegen, dass aus ihrer Sicht ein Subjekt eigentlich nicht subjektlos sein kann. Sie verbleiben in dieser
Aporie und arbeiten nicht heraus, wie es konkret zu verstehen ist, dass ein Subjekt keine Subjektivität mehr hat, und wie es zu diesem manifesten Widerspruch
durch die freiwillig-unfreiwillige ›Selbstliquidation‹ kommt. Sie können über die
aporetische Beschreibung dieses Phänomens aufgrund ihrer theoretischen Prämissen nicht hinausgelangen: Sie halten am aufklärerischen Begriff des Subjekts fest,
das ihnen zufolge notwendig mit Autonomie verbunden ist. Ohne Autonomie ist daher ein Subjekt kein Subjekt mehr, aber dass Menschen keine Subjekte sind, ist für
sie nicht denkbar, obwohl sie genau dies beschreiben.
Über diese Fragen erhält man auch bei anderen Kritischen Theoretikern, die
sich mit dem Vernichtungswillen bzw. dem subjektlosen Subjekt auseinandersetzen
(und nicht mit Autoritarismus oder Pseudosozialismus), keinen Aufschluss. Marcuse hat in Triebstruktur und Gesellschaft das Problem der faschistischen Destruktivität
zwar vor Augen, macht es sich jedoch insofern sehr leicht, als er sie als Ausdruck des
Todestriebs auffasst, der durch eine »Dialektik der Kultur« wieder exzessiv zum Vorschein kam (Marcuse 1967: 85). Es muss vielmehr darum gehen, den Todestrieb mitsamt seiner Destruktivität kritisch zu erklären. Hilberg (vgl. Abschnitt 5) stellt zwar
die Vernichtungsmaschinerie dar und geht dabei auch auf psychologische und ideologische Aspekte ein, unternimmt aber keine Analyse und Erklärung des eliminatorisch-faschistischen Subjekts. Walter Benjamin ist tatsächlich der einzige Kritische
129
130
Kritische Theorie der extremen Rechten
Theoretiker, der das Subjekt des eliminatorischen Faschismus ansatzweise begrifflich analysiert und das autonome Subjekt aus kritischer Perspektive betrachtet. Sein
Kunstwerk-Aufsatz kulminiert in der These, dass der Faschismus in der »Ästhetisierung der Politik« (Benjamin 1991: 506) besteht: Im Faschismus habe die Selbstentfremdung einen Grad erreicht, der die Menschheit »ihre eigene Vernichtung [im
Krieg] als ästhetischen Genuß ersten Ranges erleben läßt.« (Ebd.: 508) Diese Ästhetisierung der Politik vollendet die Aura des autonomen Kunstwerks, aber auf der Basis ihres unwiderruflichen Untergangs. So werden die Lenkung von ›Menschenmaterial‹ in Schützengräben, die Bombardierung von Städten, der Gaskrieg auf radikal
entfremdete Weise als ›schön‹ empfunden. So interessant Benjamins Ausführungen sind, sie bleiben eher aperçu-haft und fragmentarisch. Hinzu kommt, dass der
Kunstwerk-Aufsatz aus dem Jahre 1935 stammt und daher keine Analyse des Holocaust ist, den der 1940 gestorbene Benjamin selbst nicht mehr erlebt hat. Es handelt
sich also nicht um eine entwickelte Theorie des eliminatorischen Faschismus.
Eine solche findet sich in der Kritischen Theorie allerdings für andere Phänomene, etwa für den Staat in Franz Neumanns Behemoth (2009) oder für die Ökonomie
in Alfred Sohn-Rethels Ökonomie und Klassenstruktur des deutschen Faschismus (1973).
Diese Theorien haben keine Scheu, die von ihnen betrachteten Formen – Staat und
kapitalistische Ökonomie – aus der Perspektive ihrer Aufhebbarkeit, daher auch von
ihrem möglichen Untergang her zu betrachten. Beispielsweise fasst Sohn-Rethel
die faschistische Ökonomie als »Bruchform des Kapitalismus« (Sohn-Rethel 1973b:
134), als einen aufgrund einer grundlegenden Krise zusammengebrochenen Kapitalismus, der trotzdem mit Gewalt am Leben erhalten wird. Obwohl die Reproduktion des Gesamtkapitals in dieser Krise nicht mehr funktioniert, wird der rohe Kern
des Kapitalismus – Privateigentum an Produktionsmitteln und Ausbeutung – aufrechterhalten, indem das unternehmerische Risiko und die Freiheit der Arbeitskraft
durch massive staatliche Regulation und Investition aufgehoben werden. Hiervon
ausgehend lässt sich überlegen, wie eine Theorie des subjektlosen Subjekts ungefähr
aussehen müsste: Das subjektlose Subjekt wäre eine »Bruchform des Subjekts«, die
aus einer grundlegenden Krise des Subjekts durch einen Akt der Gewalt entsteht:
Durch ihn wird der rohe Kern des Subjekts – die egoistische Durchsetzung von Interessen in der Konkurrenz – aufrechterhalten, obwohl das Subjekt als solches –
sein Streben nach Identität und Anerkennung – ›nicht mehr funktioniert‹.
Der Adorno-Schüler Hans-Jürgen Krahl, der die faschistische Ökonomie in ähnlicher Weise denkt und sich positiv auf Benjamin bezieht, dabei aber sowohl Adorno
als auch das autonome Subjekt scharf kritisiert, hat das Projekt einer Theorie des
faschistischen Bewusstseins entworfen, für die auch Heidegger zu diskutieren sei:
Das Projekt
»soll schließlich einen Beitrag zur historischen Phänomenologie des Spätbürgertums abgeben. […] Dabei soll eine Art Entstehungsgeschichte des Faschismus her-
Emanuel Kapfinger: Die Gegenwart des faschistischen Subjekts
ausspringen, darüber hinaus eine für den Sozialismus so wichtige Theorie der Alltagspraxis und ihrer Bewußtseinsformen […] (Auch Heidegger wird in diesem Zusammenhang noch einmal diskutiert werden müssen).« (Krahl 1966: o.S.)
Diesem Hinweis auf Heidegger werde ich nun zum Abschluss folgen.
8.2 Heidegger: die Freiheit zum Tode
Die Lücke bei Horkheimer und Adorno lässt sich mit Martin Heideggers Sein und
Zeit füllen, genauer: durch eine Kritik der darin im Mittelpunkt stehenden »Freiheit
zum Tode« (Heidegger 2006: 266), die die philosophische Selbstreflexion des subjektlosen Subjekts bzw. das Subjektideal eines faschistischen Philosophen ist und dem
›liquidierten Subjekt‹ bei Horkheimer und Adorno entspricht. Dies zeigen bereits
die beiden Begriffe ›Freiheit zum Tode‹ und ›liquidiertes Subjekt‹ an, die jeweils ein
›totes‹ bzw. ›liquidiertes‹ Subjekt bezeichnen (wenn auch mit scharfem Gegensatz
der Wertung). Aber auch ihre Beschreibungen stimmen überein: Die Wahl des Tickets vollzieht sich als Absage an wahre Autonomie und als »Anpassung an den zur
Wirklichkeit versteinerten Schein« (Horkheimer/Adorno 1987: 236); die Freiheit zum
Tode vollzieht eine »Selbstaufgabe« (Heidegger 2006: 108) und unterwirft sich der
»Diktatur« (ebd.: 126) des Man. Bei Horkheimer und Adorno tritt die Gesellschaft
dem Subjekt »als eiserne Wirklichkeit« entgegen, so dass Autonomie eine »verstiegene Utopie« ist (Horkheimer/Adorno 1987: 235); bei Heidegger ist das Dasein ausweglos in die »alltägliche Verlorenheit in das Man« (Heidegger 2006: 189) geworfen,
so dass ein vom Man unabhängiges Selbst illusionär ist. Anders als Horkheimer und
Adorno bietet Heidegger jedoch sowohl einen entwickelten Begriff des subjektlosen
Subjekts als auch eine Theorie seines Entstehungsprozesses. Ihm ist dies möglich,
weil er als faschistischer Philosoph nicht am Subjekt festhält, sondern von dessen
notwendigem Untergang ausgeht. Heidegger versteht dies allerdings positiv – er
sieht in der Freiheit zum Tode eine Lösung für die Probleme des Subjekts –, und
darum muss seine Analyse vermittels einer Kritik derselben rezipiert werden.32
32
Ich stelle die betreffende Argumentation Heideggers in Sein und Zeit im Folgenden nur zusammenfassend und sogleich als kritische Rekonstruktion dar und diskutiere Heideggers
Philosophie an dieser Stelle nicht in ihrem eigenen Anspruch. Zudem lasse ich seine eigensinnigen terminologischen Neologismen wie ›Dasein‹, ›existenzial‹ oder ›Man‹ weitgehend
außen vor. Um eine für die vorliegende Argumentation unnötige Komplexität zu vermeiden,
nehme ich hier auch eine gewisse Einseitigkeit in Kauf. Jedoch begründe ich meine Interpretation ausführlich in Die Faschisierung des Subjekts (Kapfinger 2022b: 145–212).
An dieser Stelle möchte ich einem häufigen Missverständnis über mein Buch entgegentreten: Oft wird dieses so verstanden, als ginge es darin um den Nachweis, dass Heidegger ein
faschistischer Philosoph war. Tatsächlich ist der Gegenstand des Buchs die Faschismustheorie. Für diese widme ich zwar 70 der 230 Seiten auch Heidegger, aber um dadurch einen Beitrag zur Faschismustheorie zu leisten. Genauer: um das faschistische Subjekt analysieren zu
131
132
Kritische Theorie der extremen Rechten
Sein und Zeit gilt in Philosophie und Psychologie als wesentliche Bezugsquelle
für die Analyse der ›Angst‹ (vgl. Balzereit 2010: 73ff.). Hierbei handelt es sich um ein
spezielles Phänomen, das nicht mit der gewöhnlichen Angst, die Heidegger Furcht
nennt, zu vergleichen ist, und die stets Furcht vor konkreten Bedrohungen ist (vor
dem Angreifer, der Kündigung, dem Gerichtsurteil). Hierin unterscheidet sich die
Angst auch von derjenigen Angst bzw. Furcht, die der Grund der autoritären Reaktion ist und die sich immer vor konkreten Bedrohungen fürchtet (vor dem Versailler Vertrag, der Linken, den Amerikanern). Es handelt sich vielmehr um eine fundamentale Existenzangst, die ausweglos erscheint und in der man von alltäglichen
Interessen, Bindungen und Pflichten abgeschnitten und radikal vereinzelt ist: »In
der Angst ist einem ›unheimlich‹. […] Unheimlichkeit meint […] das Nicht-zuhauseSein. […] Die alltägliche Vertrautheit bricht in sich zusammen. Das Dasein ist vereinzelt […].« (Heidegger 2006: 188f.) »Das Drohende […] ist so nah, daß es beengt
und einem den Atem verschlägt […].« (Ebd.: 186) Diese Angst ist, anders als die gewöhnliche Furcht, ›gegenstandslos‹, in ihr ist nicht greifbar, was einen bedroht. Sie
scheint grundlos und ›einfach da‹ zu sein – und zugleich fundamental und existenziell.
Diese scheinbare Grundlosigkeit liegt daran, dass der Grund der Angst auf
einer strukturellen Ebene des Subjekts liegt. Es handelt sich um seine ›selbstreflexive Bedrohung‹: Das Subjekt hat Angst vor sich selbst, es bedroht sich selbst;
weder kann es damit aufhören noch sich selbst entrinnen. Diese ›Selbstbedrohung‹
kann andererseits nicht gegenständlich werden, weil sie auf der Strukturebene des
Subjekts angesiedelt ist, die die Bedingung für gegenständliche Wahrnehmungen
ist. Sie geht auf den internen Widerspruch des Subjekts zurück: Sein Anspruch auf
Identität und Anerkennung – der ihm als Subjekt eingeschrieben ist – kann nur in
gesellschaftlichen Beziehungen, auf Basis von gesellschaftlichen Normen, Konventionen und vorgegebenen Praktiken realisiert werden. Beispielsweise muss man
sich, um Literatur sowohl zu genießen als auch über deren Lektüre Anerkennung
zu finden, an aktuell etablierten Lektüren orientieren, sich davon aber zugleich
können, das Heidegger in Sein und Zeit sehr präzise dargestellt hat. Dass Heidegger ein faschistischer Philosoph war, bedarf eigentlich keines Nachweises, da er sich selbst so verstanden hat (vgl. Brumlik 2020). Viel schwieriger ist die Frage, was faschistische Philosophie ist;
diese Frage ist wiederum Teil der Faschismustheorie, und ich versuche sie in meinem Buch
unter Rückgriff auf Adorno und Georg Lukács zu beantworten. Meine Heidegger-Kritik hat
nicht das Ziel, Heidegger zu denunzieren, sondern seine Philosophie als Reflexion gesellschaftlicher Strukturen darzustellen und für die Analyse der letzteren auszuwerten. Ich orientiere mich also an der materialistisch-dialektischen Philosophiekritik (Kritik als Darstellung und Darstellung als Kritik), für die als exemplarisches Vorbild Marx' Kritik des Hegelschen
Staatsrechts genannt werden kann, die Hegel nicht als bürgerlichen Ideologen denunzierte,
sondern anhand der Kritik Hegels den modernen Staat zugleich darstellte und kritisierte,
und umgekehrt Hegel kritisierte, indem er den modernen Staat kritisierte.
Emanuel Kapfinger: Die Gegenwart des faschistischen Subjekts
durch eine individuelle Note absetzen. Diese abstrakt-allgemeinen Vorgaben sind
aber dem Anspruch auf Identität und Anerkennung, die auf Individualität und
Autonomie ausgerichtet sind, entgegensetzt, so dass immer die Möglichkeit zu
einem Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft besteht. Zu Zeiten stabiler
Verhältnisse, des Wohlstands und des funktionierenden Zusammenhalts können
die beiden Seiten in der Regel in einen Verlaufsmodus gebracht und der Konflikt
vermittelt werden. Aber zu Zeiten von Krisen wird dies zunehmend schwierig, bis
sie zuletzt zu unvermittelbaren Extremen auseinanderzufallen drohen. Identität
und Anerkennung sind dann schlechterdings nicht mehr realisierbar. Weil sie aber
konstitutiv für das Subjekt sind, es ohne sie nicht bestehen kann, erlebt es die Bedrohung von Identität und Anerkennung als Bedrohung seiner Existenz, das heißt,
als Bedrohung seines Lebens. Dies ist umso ›beängstigender‹, als es den Grund der
Bedrohung nicht greifen kann.
Diese Identitätskrise kann ebenso auf der Ebene kollektiver Identität eintreten.
Beispielsweise ist für das ›deutsche Volk‹ – die Nation – als Kollektivsubjekt konstitutiv, dass es sein Schicksal selbst kontrolliert, »zu sich selbst« kommt (Heidegger
2001: 3) und »Größe« (ebd.: 7) aufweist – also Identität und Anerkennung realisiert.
Dies wird aber in Zeiten der Krise – wie sie etwa durch Kriegsniederlage, Bedrohung durch die Arbeiterbewegung, Verlust der traditionellen Werte damals gegeben
war – grundsätzlich verhindert, und die Nation scheint in ihrer Existenz fundamental bedroht. Daraus resultiert die »Härte und Dunkelheit des deutschen Schicksals«
(ebd.: 6), so dass, wenn es nicht mehr gelingt, dies zu wenden, »wir verloren [sind]
und irgendeine Barbarei irgendwoher […] über uns hinwegfegen [wird]. Die Rolle eines großen geschichtsbildenden Volkes ist dann ausgespielt.« (Ebd.: 7) Dabei findet
die ›Selbstbedrohung‹ der Nation einen projektiven Ausdruck im antisemitischen
Wahn, der das Judentum nicht als konkreten Feind, sondern als geistiges Prinzip
versteht, das zugleich ein ›Feind im Eigenen‹ ist, und das sich als strukturelle abstrakt-allgemeine Macht gegen das Individuelle und Authentische richtet.
Die fundamentale Existenzangst ist tatsächlich Angst um Identität und Anerkennung und wird als Angst um Leben und Tod nur erlebt. Heidegger interpretiert
die Existenzangst in seiner faschistischen Perspektive allerdings positiv. Die Angst
»offenbart« (Heidegger 2006: 188) nämlich ihm zufolge die wahre Realität: das Wesen des Subjekts sei das Nichts, die Nichtexistenz; das Subjekt sei »Sein zum Tode«
(ebd.: 235). Diese faschistische Reaktion ist allerdings nicht die einzige mögliche.
Neben den Verarbeitungsstrategien, die Heidegger beschreibt – Flucht in Zerstreuung, Beruhigung über die Realität, ›überlegene‹ Gleichgültigkeit gegenüber
dem Tod (vgl. ebd.: 252–255) –, ist auch eine gesellschaftskritische Reaktion auf
die Angst möglich (die Heidegger nicht kennt). Diese begreift die grundlegende
Identitätskrise als Manifestation des strukturellen Widerspruchs des Subjekts und
reflektiert dieses als historisch spezifische Form. Damit betrachtet das betreffende
Individuum das Subjekt unter dem Aspekt seiner Aufhebbarkeit, so dass seine
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134
Kritische Theorie der extremen Rechten
praktische Überwindung als Ausweg sichtbar wird, es aber auch jetzt schon in
seiner Angst entlastet wird. Ihr steht die faschistische Reaktion gegenüber, die Heidegger in der Freiheit zum Tode als die einzige authentische Reaktion auf die Angst
beschreibt. Sie fasst die Angst so auf, dass diese unvermeidlich und ausweglos sei,
weil das Leben von Grund auf nichtig und sinnlos sei. Sie wird frei »für den eigenen
Tod« (ebd.: 264), weil sie ›erkannt‹ hat, dass dieser das Wesen des Lebens ausmache.
Sie reagiert auf die Angst, indem sie die Krise des Subjekts, die Unmöglichkeit von
Identität und Anerkennung, zum unveränderlichen Sein fetischisiert. Das bedeutet
aber, dass man den gesellschaftlichen Normen, Konventionen und vorgegebenen
Praktiken alternativlos unterworfen ist. Die eigentümliche ›Freiheit‹ des faschistischen Subjekts besteht in zweierlei: zunächst darin, dass es dies erkannt hat und
keine Illusionen über Individualität und Autonomie mehr hegt, keinen Ausweg
mehr sucht. Das Leben ist richtig erkannt der Tod, es ist nichtig und sinnlos, und
eben in dieser Erkenntnis besteht hier die ›Freiheit‹: »Tautologie und Nihilität
verbinden sich zur heiligen Allianz. Der Tod ist zu erfahren nur als Sinnloses. Das
sei der Sinn der Erfahrung des Todes und, weil er das Wesen des Daseins ausmache,
dessen Sinn zugleich.« (Adorno 2003: 506)
Vor allem aber besteht die Freiheit zum Tode darin, dass Selbstbeschränkungen keine Rolle mehr spielen, weil man frei vom Streben nach Identität und Anerkennung ist: Selbstzweifel, Bedenken, moralische Normen, Rücksicht, das Gebot
der Anerkennung anderer. Das Subjekt kann sich ungehindert von inneren Schranken maximal entfalten. In dieser »Entschlossenheit« (Heidegger) ist das Subjekt auf
seinen nackten Kern reduziert, die egoistische Selbstbehauptung der bürgerlichen
Privatperson (nicht nur in ökonomischer Hinsicht, sondern auch in sexueller, politischer, wissenschaftlicher), die rücksichtslos und ohne Skrupel ihre Interessen
durchsetzt.
Konstituiert wird dies durch die Selbstaufgabe des Subjekts, also durch die ›freiwillige‹ Aufgabe von Individualität und Autonomie bzw. des Identitäts- und Anerkennungsstrebens, eine ›freiwillige‹ Selbstaufgabe, die zugleich ›erzwungen‹ ist,
weil Identität und Anerkennung unmöglich geworden sind: Das Subjekt kann dieses Streben nicht aufgeben, weil es ohne es nicht existierte; aber es ist gezwungen,
es aufzugeben, weil dieses Streben nicht mehr möglich ist. Indem man diese Aufgabe freiwillig vollzieht, und damit auch die Aufgabe der eigenen Existenz, kann man
sich als Subjekt erhalten, indem man im Akt der Selbstaufgabe die eigene Autonomie bewahrt und sich zu der beschriebenen Freiheit zum Tode befreit. Dies ist daher eine unfreiwillige ›Liquidation‹, die zugleich freiwillige ›Selbstliquidation‹ ist.
Sie sichert in einer grundlegenden Krise des Subjekts dessen rohen Kern. Das so
entstandene subjektlose Subjekt ist ›totalitär‹, weil es keinen ›utopischen‹ Ausweg
aus den Widersprüchen des Bestehenden mehr sucht, sich unhinterfragt der Diktatur der gesellschaftlichen Vorgaben unterwirft und das, was es für entscheidend
hält, kompromisslos und unter Gewalt gegen sich und andere ausübt. In diesem Sin-
Emanuel Kapfinger: Die Gegenwart des faschistischen Subjekts
ne lässt sich auch das Selbstbild des »Politischen Soldaten« (siehe Abschnitt 1) verstehen, der von seinen individuellen Bedürfnissen abstrahiert und den politischen
Kampf zur obersten Priorität in seinem Leben macht.
Auf die Nation bzw. das ›Volk‹ geht Heidegger in dem berühmten Paragraphen
74 von Sein und Zeit ein. Das Kollektiv des subjektlosen Subjekts ist hier nicht wie
im pseudosozialistischen Faschismus eine organische Volksgemeinschaft, die sich
durch die Überwindung der Vereinzelung als ›erwachtes Volk‹ mächtig fühlt. Das
Volk setzt sich hier gerade nicht »aus einzelnen Schicksalen zusammen« (Heidegger
2006: 384), vielmehr ist das Volk diesen absolut vorgeordnet: Die ›Vergemeinschaftung‹ findet durch den Widerspruch statt, dass das Individuum seine Ohnmacht
und Vereinzelung, seine »Überlassenheit an es selbst« (ebd.: 384), ›übernimmt‹, dass
es »den Tod in sich mächtig werden läßt« (ebd.: 384). Erst dadurch wird »die Macht
des Geschickes [das heißt des Volkes] […] frei.« (Ebd.: 384) Das Kollektiv des eliminatorischen Faschismus ist daher keine sich einander verbunden fühlende Volksgemeinschaft, sondern eine brutale Zweckgemeinschaft von vereinzelten Einzelnen,
wie es auch im Leitspruch des Nationalsozialismus »Du bist nichts, dein Volk ist alles!« formuliert ist.33 Deutschland im Sinne einer ›großen hehren Nation‹ gilt im
eliminatorischen Faschismus nur als Illusion.34 So habe etwa im Hurra-Patriotismus von 1914 die schöne Idee vom ›großen und starken Deutschland‹, das den Krieg
›mit Gewissheit‹ gewinnt, dazu geführt, die faktische Stärke Deutschland falsch einzuschätzen. So sei man nicht in der Lage gewesen, situationsgerecht zu handeln
und Deutschland zu faktischer Größe zu bringen. Der Glaube an die ideelle Größe lenkt daher dem eliminatorischen Faschismus zufolge von ›der einzigen Sache,
die zählt‹ ab, nämlich das ›untergegangene‹ Deutschland zu retten. Die eliminatorisch-faschistische Reaktion ist auch eine Selbstaufgabe der Nation, die ihre ideelle
Größe aufgibt,35 um die Nation zu faktischer Größe zu bringen. Sie nimmt Deutschland nicht mehr als große, starke Nation wahr, die den Krieg ohnehin gewinnen
wird, sondern reduziert auf die nackte Form der Selbstbehauptung im ›unaufhebbaren‹ Konkurrenzkampf der Nationen, neben der alles andere bedeutungslos wird. Es
33
34
35
Zur Analyse des Verhältnisses von Individuum und Volk im eliminatorischen Faschismus
am historischen Material, unter anderem am genannten Leitspruch, vgl. Kapfinger (2022b:
111–118).
Für die Nationskonzeption im eliminatorischen Faschismus orientiere ich mich an Alfred Döblins Darstellung der Genese des eliminatorischen Faschismus in den Freikorps am Ende des
Ersten Weltkriegs im zweiten und dritten Band der Roman-Tetralogie November 1918. Döblin
beschreibt dies vor allem an der Figur des Leutnant Heiberg (vgl. Kapfinger 2022b: 11–18).
Dem widerspricht nicht, dass auch während der Herrschaft des Nationalsozialismus von der
›Größe Deutschlands‹ die Rede war. In dieser Zeit gab es, wie dargelegt, durchaus eine Koexistenz von autoritären, pseudosozialistischen und eliminatorischen Strömungen. Tatsächlich
benutzte der eliminatorische Faschismus auch autoritäre und pseudosozialistische Rhetorik,
um die Massen zu manipulieren.
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Kritische Theorie der extremen Rechten
geht nicht mehr um eine Machtphantasie, sondern darum, wie Militär, Ökonomie
und Repressionsbehörden zügig und effizient zu maximaler Stärke zu organisieren
sind.
Auch der Autoritarismus (Abschnitt 5) ist eine Reaktion auf Krisenerfahrungen,
die in Ängsten erlebt werden. Er unterscheidet sich vom subjektlosen Subjekt jedoch darin, dass diese Ängste immer konkrete Gegenstände haben, wie projektiv
diese auch aufgeladen sein mögen: Angst vor dem Islam, vor Impfungen, vor dem
›Genderwahn‹. Identität und Anerkennung sind zudem lediglich in dem Sinne bedroht, dass sie zwar herabgestuft und abgewertet sind, aber nicht schlechthin unrealisierbar werden. Sie sind dabei durchaus infrage gestellt, weil Identität und Anerkennung oft eine gewisse ›Größe‹ beanspruchen und oft nur zu bestehen scheinen, wenn sie ›vollständig‹ gelingen. So ist es etwa in der Dynamik von Gefühlen der
Minderwertigkeit . Auch diese ›kleinen‹ Krisen können daher den Eindruck erwecken, als ginge es um alles oder nichts. Dennoch handelt es sich dabei lediglich um
eine quantitative Abwertung, und nicht eine qualitative Entwertung. Entsprechend
besteht die autoritäre Reaktion darin, die Abwertung durch eine imaginierte Größe
zu kompensieren, etwa weil das betreffende Individuum ›von Natur aus‹ Angehöriger des ›großen deutschen Volkes‹ sei. Dem subjektlosen Subjekt liegt, wie dargelegt, eine ganz andere, grundlegende Krise zugrunde, aus der es keinen Ausweg
mehr zu geben scheint, und die Reaktion des eliminatorischen Faschismus besteht
nicht darin, die Identität aufrechtzuerhalten, sondern sie aufzugeben. Während der
Autoritarismus seine Angst durch Allmachtsphantasien kompensiert und durch Aggression nach außen umlenkt, interpretiert der eliminatorische Faschismus die Bedrohung als unausweichlich; er vollzieht selbst den drohenden Untergang der Identität, um an ihr festhalten zu können. Um den Unterschied kurz am Verhältnis zur
Autorität zu illustrieren: Der autoritäre Gehorsam unterwirft sich dem Führer aus
einer tiefen Bewunderung für seine individuelle Größe, der eliminatorisch-faschistische Gehorsam vollzieht dagegen eine totale, das heißt bedingungslose Unterwerfung, die nicht mehr an die individuelle Größe des Führers gebunden ist.
9. Faschisierung damals und heute
Zwei grundlegende Krisenerfahrungen waren es, die im Vorlauf zu 1933 zu breiten faschistischen Reaktionen geführt haben: Zuerst der verlorene Weltkrieg
und die ihm nachfolgende Revolution, die zusammen ein Gefühl des Untergangs
Deutschlands auslösten; sowie die Weltwirtschaftskrise von 1929, deren Ausmaße
sich im Laufe der Monate als je immer noch fataler herausstellten, als sie zuletzt
noch erschienen waren. Beide Ereignisse zogen sowohl pseudosozialistische als
auch eliminatorisch-faschistische Reaktionen nach sich. Erstere fanden nach
dem Ersten Weltkrieg ihren Ausdruck etwa in dem pseudosozialistisch geprägten
Emanuel Kapfinger: Die Gegenwart des faschistischen Subjekts
Parteiprogramm der NSDAP von 1920. Nach 1929 kam es zu der immens starken
pseudosozialistischen faschistischen Massenbewegung, die Reich in der Massenpsychologie des Faschismus analysiert hatte und die schließlich die Machtübernahme
der NSDAP ermöglichte. Die in der Folge der beiden Krisen entstandenen eliminatorisch-faschistischen Strömungen sind nach 1918 etwa in einigen Freikorps und
im Hitler-Flügel der NSDAP (der im Laufe der Weimarer Republik zunehmend an
Einfluss gewann), und nach 1929 etwa in der erstarkenden SS (die 1934 schließlich
gänzlich unabhängig von der SA wurde) sichtbar.
Die Faschisierung der breiten Massen führte jedoch nicht direkt in die höchste
Eskalationsstufe des eliminatorischen Faschismus, sondern zunächst in den pseudosozialistischen Faschismus. Vermutlich liegt dies auch daran, dass der eliminatorische Faschismus absolute und endgültige Konsequenzen zeitigt: Er ist möglicherweise ein zu großes Übel, als dass ein sofortiger Übergang breiter Massen zu ihm
zu erwarten wäre. Jedenfalls betrieb die NSDAP während der gesamten Weimarer
Republik und auch noch nach 1933 keine Propaganda im Sinne des eliminatorischen
Faschismus, sondern pseudosozialistische und teilweise auch nur autoritäre Propaganda – obwohl, wie in Abschnitt 5 erwähnt, Hitlers Vernichtungsabsichten bereits 1919 bestanden. Die mit der pseudosozialistischen Massenbasis an die Macht
gekommene NSDAP baute die Gesellschaft dann allerdings rapide im Sinne des ›allumfassenden Totalitarismus‹ Noltes um, indem sie die rechtsstaatlichen Prinzipien auflöste, die Solidarität der Arbeiter:innenklasse zerstörte und ein System des
Terrors und der allgegenwärtigen gegenseitigen Kontrolle der Individuen etablierte. Auch wenn die NSDAP zunächst vor allem durch die pseudosozialistische Massenbasis an die Macht gekommen war, organisierte sie die Gesellschaft sehr schnell
so um, dass in ihr die fundamentale Krise des Subjekts (von der die ›Liquidierung‹
des Subjekts ihren Ausgang nimmt) permanent erzeugt und verschärft wurde.
Heute sind wir mit solchen großflächigen Krisen nicht konfrontiert. Doch gibt
es auch in der Gegenwart relevante faschistische Strömungen. Die pseudosozialistischen Akteure wie die Anhänger des ›Flügels‹ in der AfD oder die Neonazi-Szene müssten nach der hier entwickelten Theorie auf ökonomische Deklassierungserfahrungen und -bedrohungen spezifischer Milieus sowie auf strukturelle ökonomische Nachteile bestimmter Regionen wie dem Osten Deutschlands oder bestimmter
Städte und Stadtteile zurückzuführen sein. Der eliminatorische Faschismus ist dagegen erst randständig und dürfte daher weniger auf Erfahrungen breiterer Kreise,
als vielmehr auf individuelle Erfahrungen etwa in Elternhaus, Schule, Liebesleben
und Karriere zurückzuführen sein, wie es übrigens auch bei dem Schulabbrecher
und gescheiterten Künstler Adolf Hitler der Fall war. Solche individuellen Erfahrungen können gleichwohl zu fundamentalen Ängsten für die betreffenden Individuen
oder Cliquen führen und zu den beschriebenen Konsequenzen der ›Liquidation‹ des
Subjekts führen. Selbstverständlich sind aber auch sie nicht rein individuell, sondern haben strukturelle Hintergründe: So treten sie offenbar gehäuft in denjenigen
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Kritische Theorie der extremen Rechten
strukturell benachteiligten Regionen auf, in denen auch der pseudosozialistische
Faschismus stark ist – etwa im Osten Deutschland, wie das Beispiel des NSU zeigt.
Die derzeit verbreiteten Ansätze der Rechtsextremismusforschung haben zu
solchen Fragen differenzieller Krisenreaktionen wenig beizutragen. Dasselbe gilt
für die Antizipation großflächiger Krisen etwa infolge des Klimawandels und die
Beurteilung einer über die nähere Zukunft hinausreichenden Bedeutung des gegenwärtigen Rechtsrucks. Weil die Rechtsextremismusforschung die Untersuchung
faschistischer Tendenzen regelmäßig mit dem Verweis auf den großen Unterschied
unserer Zeit zu ›damals‹ zurückweist, vermag sie weder den eventuell vorbereitenden Charakter des derzeit reüssierenden Autoritarismus noch die an dessen
Stärkung und Radikalisierung arbeitenden faschistischen Akteure wie den ›Flügel‹
in der AfD adäquat einzuschätzen. Demgegenüber wäre eine Diskussion über die
radikale Rechte zu wünschen, die den bestehenden doppelten gap der Rechtsextremismusforschung – die sich mit den historischen faschistischen Akteuren wie auch
mit der Faschismustheorie so gut wie nicht auseinandersetzt – schließt und eine
Theorie rechtsradikaler Subjektivität etabliert, die das Subjekt unter dem Aspekt
seiner Aufhebbarkeit betrachtet und so den Antifaschismus zugleich als Kampf für
eine Gesellschaft jenseits des Bestehenden begreift.
Literatur
Adorno, Theodor W. (1973): Studien zum autoritären Charakter. Frankfurt a.M.:
Suhrkamp.
Adorno, Theodor W. (2003): Jargon der Eigentlichkeit. Zur deutschen Ideologie.
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Leo Roepert (Hg.)
Kritische Theorie der extremen Rechten
Analysen im Anschluss an Adorno, Horkheimer und Co.
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Erschienen 2023 im transcript Verlag, Bielefeld
© Leo Roepert (Hg.)
Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld
Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar
Print-ISBN 978-3-8376-6292-4
PDF-ISBN 978-3-8394-6292-8
EPUB-ISBN 978-3-7328-6292-4
https://doi.org/10.14361/9783839462928
Buchreihen-ISSN: 2703-1691
Buchreihen-eISSN: 2747-3007
Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff.
Inhalt
Einleitung
Leo Roepert................................................................................7
Das Unbehagen an der gesellschaftlichen Totalität
Zum gesellschaftstheoretischen Gehalt der Faschismusanalysen des frühen Instituts
für Sozialforschung
Helge Petersen und Alexander Struwe .................................................... 27
Die Souveränität der identitären Internationalen
Zur kritischen Theorie der »Neuen Rechten«
JustIn Monday ........................................................................... 53
Die Gegenwart des faschistischen Subjekts
Autoritarismus – Pseudosozialismus – eliminatorischer Faschismus
Emanuel Kapfinger ....................................................................... 97
Meinung, Halbwahrheit, Ideologie
Überlegungen zur Bedeutung von Meinung und Meinungsfreiheit im Rechtspopulismus
Ulrike Marz.............................................................................. 143
Aspekte einer kritischen Theorie rechten Verschwörungsdenkens
Jan Weyand ............................................................................. 165
»Das einzige Sichere im Leben ist die Unsicherheit.«
Eine tiefenhermeneutische Analyse eines YouTube-Videos
des verschwörungsesoterischen Influencers Heiko Schrang
Sandra Rokahr ........................................................................... 191
Figuren der Rationalisierung
›Ausnahmejuden‹ und ›jüdische Kronzeugen‹ im Antisemitismus der extremen Rechten
Nikolai Schreiter .........................................................................221
Erlösung durch Vernichtung
Versuch über den Ursprung völkischer Untergangsfantasien
Jennifer Stevens ........................................................................ 249
Identitärer Terror
Franz L. Neumanns Kritik am völkischen Demokratiebegriff
Felix Sassmannshausen ................................................................. 273
Zur Vorgeschichte des autoritären Charakters
Die Entwicklung psychoanalytischer Gesellschaftskritik bei Wilhelm Reich
und Erich Fromm
Paul Stegemann......................................................................... 295
Politischer Existentialismus
Von der Rechtfertigung des totalen Staates bis zum seinsmäßigen Kampf
um die Postmoderne
Jan Rickermann......................................................................... 363
Autor:innen ............................................................................ 405