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Hexen und Heiler. Krankheitszauber am Beispiel der Luo im südlichen Bondo District, Kenia

2019, Mythisches, Magisches, Makabres. Das Leben, der Tod und die Welt der Geister

Wie fast alle Ethnien Kenias führen auch die Luo plötzlich auftretende Krankheiten, überhaupt jegliches Unglück und selbst den vorzeitigen Tod auf Hexerei und Zauberei zurück. Obschon das kenianische Kriminalrecht jegliche Form von Hexerei und selbst den Besitz von Zaubergegenständen unter Strafe stellt, sind die Ausübung magischer Praktiken und der Besuch von traditionellen Heilern und Schwarzmagiern weit verbreitet. Besonders häufiges Ziel schwarzmagischer Praktiken sind vermögende oder erfolgreiche Menschen. Im Gegenzug können Arme und Ausgegrenzte Opfer des Hexenwahns werden, wenn sie bei Unglücksfällen oder plötzlicher Krankheit mit Hexerei und Zauberei in Verbindung gebracht werden. Immer wieder kommt es zu gewaltsamen Übergriffen auf angebliche Hexen und Zauberer, die nicht selten mit dem Tod der Beschuldigten enden. All dies basiert auf der tief im Volk verankerten Vorstellung, wonach Körper und Seele in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen: Der Mensch wird krank, wenn die Seele durch einen Zauber aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Heilung ist folglich nur dann möglich, wenn ein traditioneller Heiler oder eine Heilerin den bösen Zauber durch einen Gegenzauber beseitigt oder unschädlich macht.

Hexen und Heiler Krankheitszauber am Beispiel der Luo im südlichen Bondo District, Kenia Kurt Lussi Abstract Wie fast alle Ethnien Kenias führen auch die Luo plötzlich auftretende Krankheiten, überhaupt jegliches Unglück und selbst den vorzeitigen Tod auf Hexerei und Zauberei zurück. Obschon das kenianische Kriminalrecht jegliche Form von Hexerei und selbst den Besitz von Zaubergegenständen unter Strafe stellt, sind die Ausübung magischer Praktiken und der Besuch von traditionellen Heilern und Schwarzmagiern weit verbreitet. Besonders häufiges Ziel schwarzmagischer Praktiken sind vermögende oder erfolgreiche Menschen. Im Gegenzug können Arme und Ausgegrenzte Opfer des Hexenwahns werden, wenn sie bei Unglücksfällen oder plötzlicher Krankheit mit Hexerei und Zauberei in Verbindung gebracht werden. Immer wieder kommt es zu gewaltsamen Übergriffen auf angebliche Hexen und Zauberer, die nicht selten mit dem Tod der Beschuldigten enden. All dies basiert auf der tief im Volk verankerten Vorstellung, wonach Körper und Seele in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis stehen: Der Mensch wird krank, wenn die Seele durch einen Zauber aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Heilung ist folglich nur dann möglich, wenn ein traditioneller Heiler oder eine Heilerin den bösen Zauber durch einen Gegenzauber beseitigt oder unschädlich macht. Keywords: Afrika, Bondo District, Böser Blick, Heiler, Hexe, Krankheitszauber, Luo, Schadenzauber, spell, spirituelle Heilung, witchcraft, witchdoctor In fast allen afrikanischen Kulturen ist der Glaube an das Wirken von Hexen und Zauberern tief verwurzelt. Im besonderen Masse gilt dies für die Luo, einer vor Jahrhunderten von Norden eingewanderten Ethnie, die heute hauptsächlich am Nordostufer des Lake Victoria in der Nyanza Province lebt. Um Falschinterpretationen zu vermeiden, werden nachfolgend die in der kenianischen Amtssprache üblichen englischen Orts- und Fachbegriffe verwendet. Die in Klammern gesetzten deutschen Synonyme dienen dem besseren Verständnis der deutschen Textfassung. Wörter aus den Stammessprachen sind besonders gekennzeichnet. Nach den Kikuyu und den Luhya sind die Luo die drittgrösste Ethnie des Landes. Ihre Sprache heisst luo oder dholuo. Dholuo gehört zu den nilotischen Sprachen. Unterteilt sind die Luo in clans, die wiederum in subclans aufgesplittert sind. Religiöse Vorstellungen Die Luo glauben an die Existenz eines allmächtigen Schöpfers (engl. Almighty Creator), der von ihnen Nyasaye genannt wird. Nyasaye lebt überall und doch nirgends, weshalb er den Beinamen Nyakalaga („der überall Lebende“) trägt. Die Legenden beschreiben ihn als Wesen mit anthropomorphen Eigenschaften, das zuweilen direkt in das Leben der Menschen eingreift. Als Schöpfungsgottheit kann Nyasaye Menschen schaffen, aber auch zerstören. Und er kann Dürre und im umgekehrten Falle auch Regen bringen. Zwischen Nyasaye und den Lebenden stehen die Geister der Ahnen (engl. spirits). Wie Nyasaye können nach den Vorstellungen der Luo auch die spirits Krankheiten und anderes Unglück verursachen, wenn ihnen nicht die nötige Beachtung geschenkt wird. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn sich Einzelpersonen oder Dorfgemeinschaften traditionellen Zeremonien und Ritualen verweigern, gegen die von den Ahnen übernommenen Gesetze der Gemeinschaft verstossen oder Tabus brechen. Der Grund für das Eingreifen höherer Mächte ist, dass diese Vergehen die Harmonie innerhalb der Gemeinschaft gefährden und daher die Weiterexistenz des Stammes in Frage stellen können. Denn nur als Ganzes kann sich die Stammesgemeinschaft gegen die Bedrohungen von aussen behaupten. Die mündlichen Informationen aus Wagusu und Umgebung verdanke ich Nickson Ogilo, einem Luo aus Abimbo (Nyanza Province, Kenia), der mich im Laufe mehrerer Reisen in seine Familie und seinen Clan eingeführt, mir die heiligen Orte ge-zeigt und die Sitten, die Gebräuche sowie die religiösen Vorstellungen seines Volkes nahegebracht hat. Der von Nyasaye geschaffene Mensch besteht aus einem sichtbaren und einem unsichtbaren Teil. Der unsichtbare Teil wird von den Luo tipo genannt. Wörtlich übersetzt bedeutet tipo „Schatten“. Damit ist sowohl der physische als auch der unsichtbare Schatten gemeint. Unter letzterem verstehen die Luo die Energie, die den Körper lenkt (engl. enabling force). Turaki, Yusufu: Foundations of African Traditional Religion and Worldview. Nairobi 2006, S. 109. Tipo bildet zusammen mit dem Körper eine untrennbare Einheit. Im Augenblick des Todes trennt sich tipo vom Körper. Der Körper zerfällt zu Staub, während sich tipo auflöst und sich zusammen mit der Seele in einen spirit verwandelt. Diese spirits besitzen eine ungeheure Kraft. Sie ist so lange aktiv, wie die Angehörigen der Verstorbenen gedenken. Werden bei der Beerdigung die vorgeschriebenen Rituale und Zeremonien nicht eingehalten, verwandelt sich tipo in einen Dämon, der den Lebenden gefährlich werden kann. Die Basis des religiösen Lebens der Luo ist jedoch nicht Nyasaye, der zwar überall wohnt aber dennoch weit weg und daher für die Lebenden unerreichbar ist. Angelpunkte des täglichen Lebens sind stattdessen die Geister der Ahnen. Sie werden vor allem in Zeiten höchster Not angerufen und mit Opfergaben bedacht. Ähnlich wie die Heiligen der katholischen Kirche vermitteln sie zwischen den Menschen und Nyasaye, sowohl bei persönlichen Problemen als auch bei Anliegen, welche den ganzen Stamm betreffen. Zentrale Elemente in der Kommunikation mit den spirits sind Tieropfer. Anders, als bei vielen afrikanischen Völkern werden sie von den Luo jedoch nur bei wichtigen Gelegenheiten, etwa in Zeiten grosser Dürre oder bei Epidemien dargebracht. Spuren derartiger Rituale finden sich an heiligen Orten wie dem Kit Mikayi, einer Felsformation zwischen Kisumu und Bondo. An ihrem Fuss werden bei grosser Dürre Tiere geschlachtet. Dies soll die Gemeinschaft der Ahnen dazu bewegen, bei Nyasaye um Regen zu bitten. Eigene Beobachtungen und Auskünfte von den in der Nähe des Kit Mikayi lebenden Luo (Februar 2009). Bei der Erschaffung der Welt hat Nyasaye das Universum mit einer geheimnisvollen Kraft erfüllt. Diese Kraft, die selbst weder gut noch böse ist, steht dem Menschen zur Verfügung. Besonders befähigte Personen können auf sie Einfluss nehmen und zum Nutzen oder Schaden ihrer Mitmenschen einsetzen. Vgl. Lussi, Kurt: Dämonen, Hexen, Böser Blick. Krankheit und magische Heilung im Orient, in Europa und Afrika. Aarau und München 2011, S. 178. Diese Personen sind auch in der Lage, mit den Geistern der Ahnen zu kommunizieren und ihre Stimmen zu vernehmen. Sie sehen Dinge voraus, stehen mit der unsichtbaren Anderswelt in Verbindung, bewirken Wunder und können Krankheiten verursachen oder auch heilen. Zauberei und Hexerei Krankheiten, Schlangenbisse, überhaupt alles Unglück und sogar der Tod, werden nur selten auf Nyasaye, Ahnengeister oder natürliche Einwirkungen zurückgeführt. Stattdessen machen die Luo dafür Zauberhandlungen neidisch gesinnter Mitmenschen verantwortlich. Zauberei (sorcery) und Hexerei (witchcraft) spielen daher im Alltag der Luo eine wichtige Rolle. Die von ihnen dafür gebräuchliche Bezeichnung ist jojuogi, was mit „auf die Geister ausgerichtet“ übersetzt werden kann. Zauberei und Hexerei sind Begriffe, die nicht verwechselt werden dürfen. Die Kraft eines Zauberers (engl. sorcerer; dholuo jandagla) beschränkt sich auf die Zaubergegenstände, die er benutzt, um jemandem Schaden zuzufügen. Mulemi, Benson A. & Stevie M. Nangendo: „Therapeutic Strategies and Traditional Medical Knowledge of the People of Bar Chando Sublocation, Bondo District, Kenya“, in: Curare. Zeitschrift für Ethnomedizin und transkulturelle Psychia-trie/Journal für Ethnomedicine and Transcultural Psychiatry,Vol 24 (2001) 1+2. Berlin 2002, S. 50. Das können tote Katzen sein, die vor die Hauseingänge gelegt werden, besprochene Eier oder Leichenteile. Oft wird der Zauber unsichtbar für das Opfer am Weg verborgen, den es gewöhnlich nimmt. Sobald der Schatten (tipo) mit einem durch einen sorcerer magisch geladenen Gegenstand in Berührung kommt, beginnt der Zauber zu wirken. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Person, die mit einem spell belegt werden soll, die Zauberzeichen sieht, darauf tritt, über sie hinwegschreitet, dem Zauberer durch Zufall begegnet, vom bösen Blick (engl. evil eye, dholuo juog wang) getroffen wird oder auf sonst eine Art Kenntnis erhält, dass sie Opfer eines Schadenzaubers geworden ist. Mündlich von Nickson Ogilo (Februar 2009). Weitaus gefürchteter als die sorcerer sind die nightrunner (von einem bösen Geist oder Dämon besessene Personen, die nachts im Busch herumgeistern) und die nightwitches (Nachthexen). Die Bezeichnungen der Luo für nightrunner und nightwitch sind jajuok bzw. jajuok-otieno, was „jemanden mit einer Krankheit belegen; jemanden töten“ bedeutet. Anders als die sorcerer besitzen die Hexen zusätzlich das Wissen und die Fähigkeit, die von Nyasaye geschaffene mystische Kraft (engl. mystical power) negativ zu beeinflussen. Hauptsächlichste Gründe dafür sind Neid, Boshaftigkeit oder die Verschaffung von persönlichen Vorteilen. Die Folgen für das Opfer sind fast immer materielle Nachteile (schlechter Geschäftsgang, ausgebliebene Beförderung), Krankheit bei Mensch und Vieh sowie Tod. Mündlich von Nickson Ogilo (Februar 2009). Hexen übertragen den bösen Zauber, indem sie Nahrungsmittel mit einem spell belegen oder den spell durch bestimmte Tiere übertragen. Zu letzteren gehören nebst Krokodilen verschiedene Vögel, die auch im europäischen Volksglauben als Vorboten von Krankheit und Tod eine wichtige Rolle spielen. Die Hexentiere der Luo Bei den Luo hat eine ganze Reihe von Tieren den Ruf, Überbringer des spells einer Hexe oder eines schwarzmagisch tätigen witchdoctors zu sein. Zu diesen gehört der in ganz Ostafrika verbreitete, zur Gattung der Fleckenspechte gehörende Kehlbindenspecht (engl. woodpecker; Campethera tullbergi). Im Hexenglauben der Luo eine Rolle spielt vor allem die Unterart Campethera tullbergi taeniolaema. Diese Spezies kommt nach Winkler et al. im Osten der Demokratischen Republik Kongo, im Westen und Osten Ugandas und südlich davon im Westen Tansanias vor. Winkler, Hans; David A. Christie und David Nurney: Woodpeckers. A Guide to the Woodpeckers, Piculets and Wrynecks of the World. Robertsbridge 1995, S. 235. In Kenia ist er vor allem westlich des Rift Valleys, dem Hauptsiedlungsgebiet der Luo, verbreitet. Wenn ein Specht zu einer Hütte fliegt und sich bemerkbar macht, gilt dies bei den Luo als schlechtes Omen. Man deutet dies als Zeichen dafür, dass jemand aus der Familie sterben muss oder bereits im Begriff ist zu sterben. Mündlich aus Wagusu. Vor allem aber sind Spechte Hexentiere. Der mündlichen Überlieferung gemäss bringt er „charms in a bad way“. Mündlich von Maurice Ogilo, Abimbo Einen Specht von einer homestead zu verjagen, indem man Steine nach ihm wirft, bringt Unglück. Als homestead bezeichnet wird in Kenia die Siedlung einer Familie ausserhalb von Dörfern und Städten. Eine homestead besteht aus den Hütten der Familie sowie Käfigen für Hühner und Ziegen. Sie ist meist von einer Dornenhecke umgeben. Man glaubt, Spechte seien Träger des bösen Zaubers einer Hexe oder eines witchdoctors. Sie zu vertreiben oder gar zu töten, würde den spell aktivieren. Die Folgen wären Krankheit bei Mensch und Tier, Missernten oder gar plötzlicher Tod. Ähnliches gilt auch für die Nachtigall (engl. nightingale). Zu den Tieren, die mit witchcraft in Verbindung gebracht werden, gehören auch Fleckenuhus und Hornraben. Der Fleckenuhu (engl. spotted eagle-owl) gehört innerhalb der Familie der Eulen (Strigidae) zur Gattung der Uhus (Bubo). Der Lebensraum der Unterart Bubo africanus africanus ist das Gebiet südlich der Sahara, wo er in Gabun, Kenia, Uganda und Südafrika verbreitet ist. Fleckenuhus lieben lichte Wälder, Bergregionen, die halboffene Savanne und die Halbwüste. Trockengebiete ohne Büsche und Bäume meiden sie. Dort fehlen die erhöhten Standorte, von wo aus die Tiere nach ihrer Beute Ausschau halten können. In Kenia gehört der Fleckenuhu zu den gefährdeten Arten. Die Dezimierung der Bestände geschieht vor allem durch Zusammenstösse mit Motorfahrzeugen. Ausserhalb der Nationalparks und nachts befahrener Strassen ist der Fortbestand durch den weit verbreiteten Glauben gefährdet, wonach Eulen Vorboten kommenden Unheils sind. Man meidet aus diesem Grund den Kontakt mit den nachtaktiven Vögeln oder tötet sie, sobald man ihrer ansichtig wird. Bei den Luo verbreitet ist zudem der Glaube, wonach die Eulen von den Hexen benutzt werden, um Verwünschungen und Krankheiten zu einem bestimmten Haus zu bringen. Die weissen und fast kugelrunden Eier aller Eulenarten spielen bei der magischen Heilung von Krankheiten eine wichtige Rolle. Gemäss den Aussagen eines Händlers, der Euleneier aufkauft und diese über eine im Untergrund wirkende Organisation vertreibt, behandelt man mit ihnen verschiedene Arten von Krebs. Im Juli 2011 wurde ein Fall publik, wonach eine ruandische Botschaftsangestellte versuchte, auf dem Schwarzmarkt zwei Euleneier zu kaufen und dafür 100‘000 Kenianische Schillinge (rund 900 Euro; Stand 2012) bot. Als Begründung gab sie an, sie habe eine kranke Tochter. Der witchdoctor, den sie aufsuchte, habe ihr zu verstehen gegeben, dass er nur mithilfe von Euleneiern Heilung bewirken könne. „Witches spell doom to bird of omen“, in: The Standard. Ausgabe vom 20.7.2011. The Standard ist die grösste und zu-verlässigste Tageszeitung Kenias. Die hohen Preise, die für Euleneier bezahlt werden, machen das Sammeln zu einem lukrativen Geschäft. Auf dem Schwarzmarkt zahlen Zwischenhändler bis zu 20‘000 Kenianische Schillinge pro Stück. Bedingung ist jedoch, dass der Käufer die Eier selber aus dem Nest nehmen kann. Denn wenn man sie mit blossen Händen anfasst oder sie sich gegenseitig berühren, verlieren sie ihre magischen Kräfte. „Witches spell doom to bird of omen“, in: The Standard. Ausgabe vom 20.7.2011. Bei den Hornraben (engl. Ground Hornbill) sind zwei Arten zu unterscheiden. Die Steppen und Savannen im Nordosten Kenias sowie der Südosten Ugandas sind das Verbreitungsgebiet des Sudanhornraben (Bucorvus abyssinicus; engl. Abyssinian Ground Hornbill). Der schwarze Vogel ist leicht am Schnabelaufsatz zu erkennen, der hoch und vorne offen ist. Beim Männchen sind die nackten Hautstellen am Kopf blau und rot, beim Weibchen blau. Beim südlichen Hornraben (Bucorvus leadbeateri), der auch als Rotwangen- oder Kaffernhornrabe (Bucorvus cafer) bezeichnet wird, sind die nackten Hautpartien beim Männchen karminrot, bei den Weibchen dunkelrot und bei Jungvögeln hellorange. Im Gegensatz zum nördlichen Hornraben ist der Schnabelaufsatz des südlichen Hornraben flach und kurz. Sein Ruf ist vor allem in der Morgen- und Abenddämmerung zu hören. Das weit schallende „Hoo Hoo Hoo-hoo“ des Vogels kann an windstillen Tagen noch in grosser Entfernung vernommen werden. Hornraben ernähren sich unter anderem von Heuschrecken und Schlangen. Sie gelten als dem Menschen nützliche Tiere und werden daher kaum gejagt. In vielen Gegenden Ostafrikas verehrt man sie sogar als heilige Vögel. Bei den Luo wird der Ruf des Abyssinian Ground Hornbill, der von ihnen arum tidi genannt wird, als Omen für einen bevorstehenden Todesfall gedeutet. Mündlich von Maurice Ogilo, Abimbo. Er gehört daher zu den Hexentieren, weil bei den Luo der natürliche Tod nicht existiert, sondern die Folge einer Massierung von spells ist. Das wichtigste aller Tiere im Zauberglauben der Luo ist das Nilkrokodil, im speziellen die am nordöstlichen Seeufer vorkommende Unterart Crocodylus niloticus pauciscutatus. Die durchschnittlich drei bis vier Meter langen Tiere ernähren sich hauptsächlich von Fischen. Gelegentlich erbeuten sie auch Säugetiere, die sie unter Wasser zerren und ertränken. Säugetieren, die sich am Ufer eines Flusses oder Sees aufhalten, nähert sich das Krokodil unter Wasser. Sobald es nahe genug ist, schnellt es hoch und packt blitzschnell zu. Dabei entwickelt die Muskulatur des Kiefers eine ungeheure Kraft, was ein Entkommen des Opfers fast unmöglich macht. Für Menschen besteht nach Auskunft der am See lebenden Luo die einzig mögliche Rettung darin, mit beiden Daumen sofort kräftig auf die Augen des Tieres zu drücken. Dann lasse es los und ziehe sich zurück. Mündlich aus Wagusu. Unter den befragten Personen hat dies jedoch keine selbst erlebt. Niemand konnte auch von einem Fall berichtet, wo sich ein Mensch auf diese Weise befreien konnte. An Land, wo die Tarnung des Wassers fehlt, ist das Krokodil weit weniger gefährlich, weil ihm das Überraschungsmoment fehlt. Ein sich näherndes Tier kann man gut in Schach halten, indem man ihm mit dem stumpfen Ende eines Steckens auf die Nase oder auf die kleine Einbuchtung zwischen den Augen schlägt. An diesen Stellen ist das Tier besonders empfindlich. Mündlich aus Wagusu und persönliche Beobachtungen im Mamba Village, Nairobi. Krokodile haben ein sehr schlechtes Erinnerungsvermögen, weshalb man sie nicht zähmen kann. Die Luo glauben jedoch, dass eine besonders befähigte witch oder ein Schwarzmagie betreibender witchdoctor ein Krokodil lenken und soweit beeinflussen könne, damit es eine ganz bestimmte Person attackiere. Das auffällige oder widernatürliche Verhalten eines einzelnen Krokodils wird daher als Zeichen gedeutet, dass es unter dem Einfluss eines witchdoctors steht. Von einem derartigen Tier geht eine ganz besondere Gefahr aus. Man sieht darin die Absicht eines witchdoctors oder sorcerers, eine bestimmte Person in Angst und Schrecken zu versetzen, damit diese krank wird oder stirbt. Dementsprechend schützt man sich durch eine magische Handlung, welche den auf dem Krokodil lastenden spell eines witchdoctors neutralisiert und dadurch unschädlich macht. Der Glaube an die Kraft eines Schutz- oder Gegenzaubers geht so weit, dass sich Schwimmer bisweilen selbst dann ins Wasser begeben, wenn sich in der Nähe Krokodile aufhalten, wie dies im Februar 2009 in der Bucht von Wagusu beobachtet werden konnte. Persönliche Beobachtung des Verfassers und der ihn begleitenden Luo beim Fischen in der Bucht von Wagusu (Februar 2009). Für volksmagische Zwecke verwendet werden die Zähne, die Klauen sowie die Galle getöteter Krokodile. Getrocknete Klauen schützen gegen die Anzauberung von Krankheiten durch den bösen Blick. Mit Hexerei in Zusammenhang gebracht werden die Zähne von jungen Krokodilen. So fand man bei der Kontrolle des Personals einer Sicherheitsfirma in Nairobi nebst getrockneten Geckos und Chamäleons, Affenhaaren, Puppen mit geflochtenen Haaren und anderen Dingen auch Krokodilzähne, die offenbar vor magischen Angriffen schützen sollten. „Beware! Witchcraft dens in the office“, in: The Standard. Ausgabe vom 15.1.2012. Als besonders zauberkräftig gilt die Krokodilgalle. Von ihr wird gesagt, sie sei äusserst giftig. Bei Mulemi & Nangendo wird das Beispiel eines janawi genannten Zauberers angeführt, der bei den Luos im Raum Bondo lange Zeit gefürchtet war. Es hiess, dieser janawi könne einen Menschen töten, indem er mit dem blossen Finger auf ihn zeige. Mulemi & Nangendo 2002, S. 53, mit Verweis auf Ocholla-Ayayo 1976. Vielleicht hängt dies mit einer nawi genannten, tödlich wirkenden „Medizin“ zusammen, welche dieser Zauberer vertrieb. Nach Mulemi & Nangendo enthält nawi „poisonous plants such as rabuor and ratiglo as well as the gall juice of crocodiles“. Ebda. Analysen, die noch zur Zeit der britischen Kolonialherrschaft gemacht wurden, ergaben, dass reine Krokodilgalle ungiftig ist. Ihre tödliche Wirkung erhält sie nach Miller erst, wenn sie mit weiteren Substanzen, bei denen es sich um die pulverisierten Wurzeln von zwei Pflanzen handeln soll, vermischt wird. Miller, Norman N.: Encounters with witchcraft: field notes from Africa. Albany 2012, S. 48. Miller bezieht sich auf den holländischen Krokodiljäger Eric van der Whipple. Erst dann entsteht nawi. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Bereits der deutsche Pharmakologe und Toxikologe Louis Lewin (1850-1929) vermutete, dass die Wirkung der von Müller & Capel 1675 genannten Pfeilgifte aus Krokodilgalle von den beigemischten Pflanzenextrakten ausgehe und nicht von der Krokodilgalle. Lewin, Louis: Die Pfeilgifte. Nach eigenen toxikologischen und ethnologischen Untersuchungen. Leipzig 1923, S.212. Bezüglich der Verwendung von Krokodilgalle für Pfeilgifte bezieht sich Lewin auf Müller und capel. (Müller, Wilhelm Johann & Rudolf Capel: Die Africanische/Auf Der Guineischen Gold-Cust gelegene/ Landschafft Fetu : Warhafftig und fleissig/ aus eigener acht-jähriger Erfahrung/ genauer Besichtigung/ und unablässiger Erforschung beschrieben/ auch mit dienlichen Kupffern/ und einem Fetuischen WörterBuche gezieret. Nürnberg 1675, S. 128.) Aktivierung des Krankheitszaubers Damit ein Schadenzauber wirksam wird, muss das Opfer absichtlich oder unabsichtlich einen „Fehler“ begehen, indem es zum Beispiel bestimmte Vorsichtsmassnahmen unterlässt, nachts unterwegs ist, in der Öffentlichkeit Speisen isst, auf denen ein spell lastet, bestimmte Tiere von seinem Grundstück vertreibt, oder Tabus und traditionelle Verhaltensregeln bricht und damit anfällig für Hexenwerk wird. Daraus erklärt sich zum Beispiel, weshalb in Ostafrika viele Menschen ihren Gesprächspartnern nie in die Augen blicken oder bei Begrüssungen grundsätzlich nie die Hand reichen. Sie essen auch niemals von Speisen, die zuvor den Augen der Öffentlichkeit preisgegeben waren. Sie meiden die Dunkelheit, tragen nur Kleidungsstücke mit bestimmten Farben, weil ihnen der witchdoctor dies als Schutzmassnahme gegen die Belegung mit einem spell empfohlen hat, oder dann führen sie witchcraft paraphernalia (Zaubergegenstände) bei sich, die gegen Behexung schützen sollen. Nebst Nyasaye, den Ahnen, Zauberern und Hexen sind es auch gewöhnliche Menschen, die ihren Nachbarn, den Arbeitgeber oder sonst eine Person, der sie Schaden zufügen wollen, mit einem Zauber belegen. Grund dafür ist auch hier der allgegenwärtige Neid. Die beste Schutzvorkehrung gegen jegliche Form des Schadenzaubers ist, alles zu tun, um nicht den Neid missgünstiger Menschen oder die Aufmerksamkeit eines sorcerers oder einer witch zu erregen. Vgl.: „Beware! Witchcraft dens in the office“, in: The Standard. Ausgabe vom 15.1.2012. Dies erklärt auch Verhaltensnormen, die uns fremd sind, wie zum Beispiel der Umgang mit Wasser. Auf den homesteads rund um Wagusu ist Wasser rar. Auch vom Gast wird erwartet, dass er damit sparsam umgeht. Ein Becher täglich für die Körperpflege muss reichen. Dies hat nicht mit Wasserknappheit zu tun – der Viktoriasee ist zu Fuss in wenigen Minuten erreichbar – sondern mit der Angst vor einem Neidzauber des Nachbarn. Die Menge des vom See geholten Wassers, die Menge der Nahrungsmittel, die Anzahl der Kleintiere, die Ausstattung der Hütten: Der beste Schutz gegen Zauberei ist, weniger als die andern zu besitzen, höchstens gleichviel, keinesfalls jedoch mehr. All dem zugrunde liegt der Glaube, wonach die von Nyasaye geschaffene Kraft von Hexen und Zauberern zum Schaden anderer manipuliert werden kann. Ähnliches finden wir in fast allen ursprünglichen Kulturen Afrikas. Vgl. z. B. die Ausführungen bei: Turaki 2006, S. 107-109. Bei den Massai und den Samburu wurde die Welt von Nkai erschaffen, der ähnliche Eigenschaften aufweist wie Nyasaye. Wie die Luo unterscheiden auch diese beiden Ethnien zwischen Krankheiten, die von Gott allein bewirkt wurden (maa nkai openy), solchen, die natürliche Ursachen haben und Krankheiten, die durch Zauberhandlungen feindlich gesinnter Mitmenschen entstanden. Letztere werden von den Massai esayet und von den Samburu nkuruporen genannt. Fratkin, Elliot: „Traditional Medicine and Concepts of Healing among Samburu Pastoralists of Kenya“, in: Journal of Ethnobiology 16 (1). Denton 1996, S. 64 und S. 81. Der witchdoctor Die tief im Volk der Luo verwurzelte Angst vor Hexen und Zauberern erklärt das hohe Ansehen, welches der witchdoctor beim Volk geniesst und den Respekt, den man ihm entgegenbringt. Einige, wie zum Beispiel die Luo-Heilerin Omolo Nyodeny, die im Dorf Chamagaha in der südlichen Sakwa-Region praktiziert, werden auch gefürchtet. Siehe dazu die Ausführungen bei Lussi 2011, S. 179. Niemand aus ihrer Umgebung würde es wagen, auch nur einen Maiskolben von ihrer homestead wegzunehmen. Zu gross ist die Angst, von ihr zur Strafe mit einem spell belegt zu werden, der eine Krankheit oder womöglich den Tod zur Folge haben könnte. Dazu trägt bei, dass nach dem Glauben der Luo einem witchdoctor nichts entgeht. Er steht mit höheren Mächten im Bunde, die ihm zutragen, was er mit den eigenen Augen nicht sieht. Mündlich aus Chamagaha (2011). Der witchdoctor ist für die Befreiung von einem bösen Zauber und damit für die Behandlung bzw. Heilung von Krankheiten zuständig. Nur durch ihn ist es möglich, einen spell durch ein magisches Gegenmittel zu neutralisieren und damit die Krankheit zu beseitigen, denn seine magische Kraft ist stärker, als jene von Hexen und Zauberern. Die Behandlung durch den witchdoctor geschieht auf doppelte Weise. Er befreit einerseits das Opfer vom Schadenzauber, der auf tipo lastet und der die Ursache der Krankheit ist. Zugleich behandelt er die Symptome des Zaubers, also die eigentliche Krankheit mit natürlichen Mitteln. Die Heilung oder die Aufhebung eines Unglücks ist nach dem Weltverständnis der Luo daher nur möglich, wenn der von der Hexe gelegte spell durch einen Gegenzauber neutralisiert und somit unschädlich gemacht wird. Ist die Krankheit auf behexte Speisen zurückzuführen, die in der Öffentlichkeit eingenommen wurden, werden diese vom witchdoctor mit einem Horn magisch aus dem Magen-Darmtrakt gesaugt. Dies geschieht, indem der Heiler auf dem Körper des Kranken mit einem Messer kleine Einschnitte macht. Dann wird das ausgehöhlte Horn einer Antilope oder einer Kuh auf die Haut aufgesetzt und die Krankheit magisch aus dem Leib gesogen. Nach der Behandlung finden sich im Horn sichtbare Zeichen des Zaubers wie zum Beispiel Fleischstücke, die von einer Hexe mit einem spell belegt wurden und die der Patient in der Öffentlichkeit gegessen hatte. Diese werden in den Busch getragen und rituell in einer jener kleinen Gruben vergraben, die von Löwen, Hyänen und anderen Tieren aus dem harten Boden gescharrt werden. Mündliche von Nickson Ogilo. Ausführlicher Beschrieb bei Lussi 2011, S. 171. Der noch aus der britischen Kolonialzeit stammende Begriff witchdoctor wird der Funktion eines traditionellen Heilers, der nicht als Schwarzmagier tätig ist, nicht gerecht. Zutreffender ist die von den Luo verwendete Bezeichnung ajuoga, die mit „einer der Magie und Kräuter benutzt um jemanden zu heilen“ übersetzt werden kann. Lussi 2011, S. 178. Ein witchdoctor ist folglich ein traditioneller Heiler, der seine Patienten und Patientinnen ganzheitlich behandelt, indem er durch die Auflösung oder Beseitigung eines spells die Seele wieder ins Gleichgewicht bringt. Zugleich behandelt er das körperliche Leiden mit natürlichen Heilmitteln. Wie der Medizinmann verfügt der witchdoctor daher über ein grosses Kräuterwissen, das er bei der Behandlung mit seiner magischen Kraft kombiniert. Letzteres kann der Medizinmann nicht. Der sozialen Stellung des witchdoctors entsprechend muss das „Geschenk“ (dholuo chiwo) ausfallen, mit dem man ihn bzw. die Ahnen günstig stimmt. Seine Höhe richtet sich nach dem Anliegen und dem Ruf des witchdoctors. Bei den Luo ist dies in der Regel eine Ziege oder ein anderes Tier, das etwa dem Wert einer Ziege entspricht. Ist das Anliegen geklärt und das chiwo übergeben, befragt der witchdoctor die Ahnen, welche magischen Vorkehrungen bzw. welche Rituale durchzuführen seien, damit der Patient vom bösen Zauber befreit werde, oder, wenn die Krankheit durch Nyasaye verursacht wurde, wie er sich mit den höheren Mächten wieder versöhnen könne. Mündlich von Nickson Ogilo. Siehe auch: Mbiti, John S.: Introduction to African Religion. Nairobi, Kampala, Dar es Salaam 2010, S. 139. Dazu wirft der ajuoga Kaurischnecken auf ein Tuch oder auf ein Stück Tierhaut. Das Werfen der Schnecken wird von den Luo goyogagi genannt (engl. casting pebbles, wörtlich: „Kieselsteine werfen“). Das Orakel gibt Auskunft, ob die Ahnen überhaupt gewillt sind, vermittelnd einzugreifen. Wird dies bejaht, bespritzt er zwei flache Hölzer mit heiligem Wasser und reibt sie aneinander. Dazu murmelt er Namen verschiedener spirits. Sobald sich die an einigen Stellen aufquellenden Hölzer nicht mehr aneinander reiben lassen, hält er inne. Der Name, den er in diesem Moment ausspricht, ist jener des spirits, den er „gefangen“ hat und den er nun befragt. Dies geschieht wiederum durch ein Orakel mit Kaurischnecken. Diese werden erneut auf das Tuch oder auf ein Stück Fellgeworfen und durch den witchdoctor gedeutet. Es folgen weitere Orakel, mit denen er sich an die (übernatürliche) Ursache der Krankheit herantastet, bis diese geklärt ist. Nach jedem Werfen der Kaurischnecken muss das Orakel aufgelöst werden, indem der Fragesteller eine kleine Gabe hinlegt. Damit wird die Bereitschaft ausgedrückt, den Entscheid des Orakels anzunehmen. Praxis der Heilerin Omolo Nyodeny im Dorf Chamagaha, Bondo District (Februar 2011). Omolo Nyodeny ist der einzige weibliche witchdoctor der südlichen Sakwa-Region. Eine andere Form praktiziert der witchdoctor Oluk Olugo. Anlässlich eines Besuchs des Verfassers wegen Schüttelfrösten und vermuteter Malaria als Ursache, befragte Oluk Olugo zuerst die Ahnen, ob der Besucher willkommen und eine Heilung möglich sei. Dazu verwendete er ebenfalls Kaurischnecken. Das Orakel wurde „aufgelöst“, indem der Verfasser ein paar Zigaretten auf ein Stück Zebrafell legte. Zur genauen Ausdeutung spritzte Oluk Olugo mit einem aus dem Schwanz einer Antilope hergestellten Wedel Wasser auf die Käfige links und rechts von ihm. Aus dem Gegacker des weissen Huhnes in dem einen Käfig bzw. des schwarzen im anderen zog er seine Schlussfolgerungen, die er mit einem lauten „Hò-hoo, Hò-hoo“ quittierte. Nach einer weiteren Befragung der Ahnen teilte er mit, dass die Ursache der Schüttelfröste auf die Begegnung mit einem jajuok in der vergangenen Nacht zurückzuführen sei. Dabei habe sich ein spell festgesetzt, der die Ursache der Schüttelfröste sei. Sie könnten zum Verschwinden gebracht werden, wenn der Patient dies wünsche. Als seine Frage bejaht wurde, schlug er mit einem Stecken auf einen Holztisch, worauf ein Rasseln ertönte. Dann nahm er aus einem Topf verschiedene Hölzchen, gab ein gräuliches Pulver in eine kleine Tüte aus Zeitungspapier und wickelte alles in ein Stück alte Plastikfolie. Pulver und Hölzchen sollten noch am gleichen Tag eingenommen werden, indem ersteres auf die Zunge gestreut und die Hölzchen zerkaut und zusammen mit dem Pulver geschluckt werden müssten. Bei der nächsten Begegnung mit einem jajuok, sagte er, schütze dies vor seinem spell. Wenige Minuten nach dem Verlassen der Hütte des witchdoctors ebbten die Schüttelfröste ab. Im Laufe des Abends verschwanden sie vollständig. Heilung von Schüttelfrost nach einer nächtlichen Begegnung des Autors und einiger Luo mit einem jajuok im Busch zwischen Wagusu und Abimbo im Februar 2009. Auffallend war, dass das Schlagen mit dem Stecken auf den Tisch und das Rasseln die einzigen sinnlich wahrnehmbaren magischen Handlungen waren. Was in diesem Ritual nämlich Heilung bewirkte, war nicht das Ritual, sondern die magische Kraft des witchdoctors. Diese Kraft, die bereits beim Betreten seines Grundstücks spürbar war und beim Näherkommen fast unerträglich wurde, war in seiner Umgebung präsent. Sie reichte aus, den spell des jajuok zu neutralisieren. Da diese Kraft bereits vorhanden war, musste Oluk Olugo sie auch nicht durch ein aufwändiges Ritual aktivieren. Seine Präsenz und seine „Macht über die Macht“ reichten aus, den spell aufzuheben und Heilung zu bewirken. Daraus ergibt sich die bekannte Erkenntnis, wonach Heilung nicht von der äusseren Form eines Rituals abhängt, sondern von der Persönlichkeit des Heilers. Rituale sind folglich ein Mittel zum Zweck. Sinnlich gestaltet und vom ajuoga mit spiritueller Kraft erfüllt, sind sie wichtiger Teil einer erfolgreichen Behandlung des Kranken. Ein magisch wirkendes Schutzmittel wie das von Oluk Olugo verfertigte, wird von den Luo bilo (engl. protective charm) genannt. Es ist mit magischer Kraft geladen, die ihm vom witchdoctor verliehen wird. Man trägt es entweder bei sich oder dann macht der witchdoctor kleine Schnitte in die Haut, in die es eingerieben wird. Kawango, Evelynes Agot: „Ethnomedical Remedies and Therapies in maternal and child Health amog the rural Luo“, in: Traditional Medicine in Africa. Nairobi 1995, S. 84. Auf diese Weise dringt es in den Menschen ein und macht von innen her den spell unwirksam. Von bilo zu unterscheiden ist der in ganz Ostafrika und besonders auch in Nairobi verbreitete Ausdruck jùjù, mit dem eine von einem witchdoctor hergestellte magisch wirkende "Medizin" bezeichnet wird. „Beware! Witchcraft dens in the office“, in: The Standard. Ausgabe vom 15.1.2012. Ein jùjù ist jedoch kein Heilmittel, sondern ein Schadenzauber, der zum Nachteil anderer Menschen eingesetzt wird. Der Begriff hat seine Wurzeln in Westafrika. In der Sprache der Hausa ist djudju die Bezeichnung für „Fetisch“ oder „böser Geist“. Beim Volk der Yoruba bedeutet jù „werfen“ (engl. to throw), aber auch „jemanden überrumpeln“. Dictionary of Yoruba Language. Lagos 1913, S. 150. Jùjù ist folglich Bezeichnung und Anleitung zugleich: Eine zu behexende Person kann am erfolgreichsten mit einem bösen Zauber „beworfen“ werden, wenn sie es am wenigsten erwartet. Im erweiterten Sinne ist jùjù ein Zauberobjekt, das von einem witchdoctor magisch geladen wurde. Als jùjù bezeichnet wird dabei sowohl das Objekt an sich, als auch die Zauberkraft, mit der es erfüllt ist. Und schliesslich wird auch der Geist, der auf Geheiss des witchdoctors im Zaubergegenstand wirkt, als jùjù bezeichnet. Daraus ergibt sich, dass ein Zauberzeichen, unabhängig davon, ob es schützend oder schädigend wirken soll, nur dann magische Kraft hat, wenn der witchdoctor diese Kraft in das Objekt hineinlegt. Das Objekt selbst ist beliebig austauschbar. Von sich aus besitzt es, wie alle Amulette, keine magische Kraft. Die Vorstellung, wonach ein witchdoctor auf die von Nyasaye geschaffene mystical power Einfluss nehmen kann, hat zur Folge, dass das Volk zu ihm einen ambivalenten Bezug hat. Nicht nur Gesundheit und Wohlergehen, sondern auch das Gegenteil hängen von seiner Macht ab. Er kann einen Kranken heilen, aber auch, wie die Hexe, einen Menschen töten oder ihm sonst wie Schaden zufügen, wenn dieser zum Beispiel ein Unrecht begangen und dafür keine Sühne geleistet hat. Zudem weiss das Volk nur zu gut, dass nicht wenige witchdoctors ihre Macht missbrauchen und schwarzmagische Rituale zum Schaden der Mitmenschen durchführen. Gegen entsprechende Zahlungen räumen sie unliebsame Konkurrenten aus dem Weg, erzwingen Beförderungen und schicken Miterben ins Jenseits. Zugute kommt den schwarzen Schafen unter den witchdoctors der unerschütterliche Glaube des Volkes an die Wirksamkeit der Magie. Missbräuche und rechtliche Situation Zu Anklagen oder Verurteilungen von Hexen, Zauberern oder witchdoctors, die ihre Fähigkeiten zum Nachteil ihrer Mitmenschen einsetzen, kommt es selten, obschon die Ausübung jeglicher Form von Hexerei, die Anstiftung dazu und selbst der Besitz von Gegenständen, die man in der Absicht an sich gebracht hat, damit witchcraft zu betreiben, gemäss dem noch von der britischen Kolonialmacht in Kraft gesetzten „Witchcraft Act“ illegal ist. Witchcraft Act vom 12. November 1925. Heute geregelt in Kapitel 67, Artikel 1 bis 9 des kenianischen Kriminalrechts. Die Gründe für die Machtlosigkeit der staatlichen Organe sind vielschichtig. Meist fehlt es an Zeugen oder klaren Beweisen für die Schuld, wie dies die gesetzlichen Bestimmungen fordern. Wenn also bei Personen, die der Hexerei verdächtigt werden, Dinge wie getrocknete Chamäleons und Geckos, Froschschenkel, Krokodilzähne, Teile von geschützten Schlangen oder Affenhaare zum Vorschein kommen, reicht dies meist nicht für eine Anklage. Es fehlt der in Artikel 5 des „Witchcraft Acts“ geforderte Nachweis, dass sie für zauberische Zwecke gebraucht wurden. Ähnliches gilt bei der Ahndung von Lynchmorden wegen angeblicher Hexerei. Die Häufigkeit der Fälle hat mit der bereits erwähnten Vorstellungen zu tun, wonach plötzliche Krankheit oder Tod bei Mensch und Vieh, Dürre, Pech in geschäftlichen Angelegenheiten, überhaupt jedes unvorhersehbare Ereignis mit negativen Folgen keine natürliche Ursache hat, sondern die Folge eines von einem neidischen Nachbarn durchgeführten Schadenzaubers oder das Werk eines von diesem beauftragten witchdoctors ist. Siehe dazu Lussi 2011, S. 160-163 und die dort genannten Quellen. Meist trifft die Polizei erst nach dem Verbrechen am Tatort ein und im Nachhinein will niemand etwas gesehen oder gewusst haben. Ist sie rechtzeitig vor Ort, sind selbst gut bewaffnete Polizisten oft machtlos, weil drei oder vier Polizeioffiziere gegen einen aufgebrachten Mob von mehreren hundert Personen nur selten etwas ausrichten können. In einem 2011 öffentlich gewordenen Fall war die Atmosphäre besonders gespannt, weil man in der Hütte der verdächtigten Hexen witchcraft paraphernalia und unweit davon die Leichen von vermissten Kindern fand, denen die Geschlechtsteile weggeschnitten worden waren. Hilflos mussten die Polizisten aus der Ferne zusehen, wie der Mob das Hexenpärchen lynchte. „Police watch as mob kills suspected witches“, in: The Standard. Ausgabe vom 16.5.2011. Von den Hexen werden Geschlechtsteile für magische Rituale verwendet. Sie kommen regelmässig zum Vorschein, wenn die Hütten von umgebrachten oder geflohenen Hexen von Dorfbewohnern oder der Polizei durchsucht werden. Im Wissen um diese Schwachstellen wird nicht selten witchcraft vorgeschoben, um an das Vermögen von Eltern oder Verwandten heranzukommen. Besonders gefährdet sind ältere, gut situierte Menschen, die zu ihrer Verwandschaft und ihren Nachkommen ein gespanntes Verhältnis haben. Durch das gezielte Streuen von Gerüchten, der Vater oder die Tante praktiziere witchcraft, wird die Dorfgemeinschaft aufgewiegelt. Aus den Gerüchten entsteht Gewissheit, wenn sich bei den Dörflern Erkrankungen oder Todesfälle häufen. Meist dauert es nicht lange, bis die Situation eskaliert und die homestead vom aufgebrachten Mob umstellt wird. Bei der Durchsuchung der Behausung kommen dann nicht selten Zaubergegenstände zum Vorschein, die dort vielleicht von den Angehörigen zuvor versteckt worden waren, um die Verdächtigten der Hexerei zu überführen. Was folgt, ist das bekannte Muster: Die angebliche Hexe oder der Hexer wird erschlagen und die Hütte abgebrannt. „Dad, just go to hell!“, in: The Standard. Ausgabe vom 10.7.2011. Sie auch: "Hexenjagden in der Provinz South Rift", Lussi 2011, S. 160 f. Die oben geschilderten Fälle belegen die Ambivalenz von Magie und Zauberglaube im ostafrikanischen Alltag: Einerseits ist das tägliche Leben geprägt von der ständigen Angst, Opfer von schwarzer Magie und Hexenwerk zu werden. Andererseits scheut kaum jemand davor zurück, selbst den Dienst eines schwarzmagisch tätigen witchdoctors in Anspruch zu nehmen, um sich Vorteile zu verschaffen. Dabei geht leicht vergessen, dass der witchdoctor in seiner ursprünglichen Funktion, ein Heiler war und es vor allem in ländlichen Gegenden noch immer ist. Er nimmt sich der Krankheiten an, von denen man annimmt, dass sie durch eine Hexe oder einen Zauberer verursacht wurden. Gleichzeitig verfügt er über ein umfassendes Wissen von der Heilkraft von Pflanzen, mit denen er die Symptome von witchcraft – die Krankheit also – behandelt. In diesen Vorstellungen verbirgt sich das Konzept des ganzheitlichen Heilens, das in unserer Kultur vor allem in der Schulmedizin vielfach nur marginal ausgeprägt ist. Hexerei und Zauberei im ostafrikanischen Alltag Die Existenz des „Witchcraft Act“ zeigt, dass es sich bei Hexerei und Zauberei nicht um Phänomene handelt, die nur noch in ländlichen Gegenden Kenias zu finden sind. Das Gegenteil ist der Fall. Witchdoctors sind in den höchsten Wirtschafts- und Verwaltungskreisen Nairobis ebenso gefragt, wie auf den homesteads der Luo am Nordostufer des Lake Victoria. Weitaus häufiger als die echten Heiler, die meist im Verborgenen wirken und nur den Einheimischen bekannt sind, machen in der Öffentlichkeit vor allem jene witchdoctors von sich reden, die schwarzmagische Rituale praktizieren. Davon Kenntnis erhalten wir vor allem durch die kenianische Tageszeitung „The Standard“, die immer dann umfassend informiert, wenn es im Zusammenhang mit Magie und Zauberglauben zu Lynchmorden an angeblichen Hexen kommt oder Politiker, hohe Militärs, Geistliche und Wirtschaftsführer involviert sind. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn Personen aus diesen Kreisen Opfer von witchcraft werden oder wenn publik wird, dass sie sich mithilfe eines witchdoctors Vorteile zu verschaffen suchten. Oft wird witchcraft auch durch Ungereimtheiten des Alltags publik. Kann es mit rechten Dingen zugehen, wenn ein unterwürfiger receptionist ohne besondere Qualifikationen plötzlich zum human resources manager befördert wird? Wie ist es zu erklären, wenn ein wenig erfahrener Angestellter ständig Lohnerhöhungen erhält, während langjährige Fachkräfte leer ausgehen? Und wie ist es möglich, dass der Direktor einer Firma plötzlich krank wird oder Suizid begeht, obschon im Vorfeld nichts auf eine körperliche oder mentale Krankheit hinwies? Für all dies gibt es nach dem afrikanischem Weltverständnis nur eine Erklärung: witchcraft. Von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der grossen Firmen in Nairobi und Kisumu besonders gefürchtet sind Angestellte, die ausserhalb der Öffnungszeiten Zugang zu den Büroräumlichkeiten haben. Zu diesen gehören Büroboten, Fahrer, Nachtwächter und die Mitglieder der Putzkolonnen, die erst am Abend und in der Nacht zum Einsatz kommen. Ihnen ist es meist ohne weiteres möglich, einen Schadenzauber zu legen, heimlich Rituale durchzuführen oder ein von einem witchdoctor hergestelltes Zauberpulver zu legen, das als jùjù oder mafira von den Angestellten besonders gefürchtet ist, weil man es weder sehen, noch riechen und daher auch nicht beseitigen kann. Fast täglich wird in den Medien von Fällen berichtet, die durch aufmerksame Manager und Mitarbeiter aufgedeckt wurden. So bekannte ein erwischter Bürobote, dass er von Angestellten, die bei Beförderungen leer ausgegangen waren, die ablehnenden Bescheide über die Mittagspause zu einem auf „übergangene Beförderungen“ spezialisierten witchdoctor brachte. Gegen Bezahlung streute dieser mafira über die Schreiben. Prompt wurden am Nachmittag die übergangenen Mitarbeiter befördert, während im gleichen Atemzug einige der am Morgen eröffneten positiven Bescheide zum Entsetzen der betroffenen Personen von der Geschäftsleitung rückgängig gemacht wurden. „Beware! Witchcraft dens in the office“, in: The Standard. Ausgabe vom 15.1.2012. Tragisch endete 2012 der Fall eines Managers, der gegen Mitternacht in sein Büro zurückkehrte. Er hatte wichtige Unterlagen liegen gelassen, die er anderntags für eine Sitzung benötigte. Zu seinem grossen Schrecken traf er in seinem Büro einen witchdoctor und vier Mitarbeiter an, die alle nackt um eine eben getötete Ziege tanzten. Die vier Männer, die mit den Därmen des Tieres, die sie sich um den Hals geschlungen hatten, verbunden waren, riefen laut seinen Namen. Der Zweck des Rituals war eindeutig. Die Vier rächten sich offenbar am Manager durch einen Schadenzauber, weil sie vielleicht irgendwelche Ungerechtigkeiten erlitten hatten oder dies zumindest vermuteten. Das Opfer tat das einzig Richtige, das man in einer derartigen Situation tun kann: Noch in der Nacht informierte der Mann die Geschäftsleitung. Am Morgen aber fand man ihn erhängt in seinem Büro. Er war wohl überzeugt davon, dass der Schadenzauber früher oder später wirksam werde und er folglich so oder so verloren sei. Ebda. Krankheit und spirituelle Heilung Die oben erwähnten Beispiele zeigen, dass der Glaube an die Macht von Hexen und witchdoctors, an die magische Wirkung von bösem Blick und Schadenzauber, tief im Volk verwurzelt ist. Magie ist omnipräsent. Und sie wirkt, auch wenn Europäer dies nicht verstehen können. Auf Nachfragen, wie und weshalb Magie funktioniere, erhält man stereotype Antworten: „Witchcraft is not a myth. It is a reality“ („Hexerei ist kein Mythos. Hexerei ist eine Realität“) oder: „Things like this work in Africa“ („Solche Dinge funktionieren in Afrika“). Das ist zu akzeptieren. Die Frage ist wie und warum? Die Gründe dafür sind vielschichtig. Eine zumindest zum Teil zutreffende Erklärung ist die tiefe Verwurzelung magischer Vorstellungen in der afrikanischen Gesellschaft. Die Furcht vor Hexerei und Zauberei führt dazu, dass der Mensch in ständiger Angst lebt, Opfer eines Schadenzaubers zu werden. Diese Angst lähmt. Sie eskaliert zu einer Todesangst, wenn ein sichtbares Zeichen, eine vor die Türe gelegte Schlange etwa, eine tote Katze, ein Haarknäuel oder sonst ein magischer Gegenstand die Gewissheit verschafft, dass das lange Befürchtete eingetroffen ist. Obschon das Zauberzeichen an sich keine Kraft hat, bringt sein Anblick eine durch ständige Bedrohungen völlig zernagte Seele aus dem Gleichgewicht. Dies zeigt sich äusserlich in einem körperlichen Leiden oder einer gesteigerten Anfälligkeit für Krankheiten, denn Körper, Geist und Seele stehen nach afrikanischem Verständnis in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis. Was der Seele geschieht, wirkt sich auf den Körper aus und umgekehrt. Bei fast allen Ethnien Ostafrikas ist daher die Ganzheitlichkeit des Menschen die selbstverständliche Grundlage traditioneller Heilkonzepte und der damit verbundenen Rituale und Heilmethoden. Dazu kommt, dass Hexerei und Zauberei als real existent gelten. Belegt wird dies durch die immer wieder gehörte Beteuerung der Einheimischen, wonach „things like this“ funktionieren. Kaum jemand zieht in Erwägung, dass es anders sein könnte. Der Mensch wird krank oder stirbt, wenn er mit einem entsprechenden Zauber belegt worden ist. Die einzig mögliche Rettung ist der Gegenzauber eines witchdoctors. Dieser grenzenlose Glaube erklärt das Krankwerden aufgrund eines spells und im umgekehrten Fall die Heilung. Dennoch bleibt ein unerklärbarer Rest, ein geheimnisvolles Etwas, das sich rationalen Deutungsversuchen entzieht. Denn Magie wäre nicht Magie, wenn sie sich mit wissenschaftlichen Methoden entschlüsseln und beherrschen liesse. Die Auseinandersetzung mit ihr kann jedoch Anlass sein, die eigenen Heilsysteme zu überdenken und mit neuer Spiritualität und Menschlichkeit zu erfüllen. Viel trennt unser ursprüngliches spirituelles Heilwissen ohnehin nicht von dem, was heute von den traditionellen Heilern Afrikas praktiziert wird. Seelische Leiden führen wir zwar auf Neid, Streit, Mobbing, üble Nachrede, Hass, nicht erfüllte Wünsche und Träume wie auch auf die negative Aura bestimmter Mitmenschen zurück. All dies greift unsere Seele an. Afrikaner verbinden all dies mit Schadenzauber neidischer Mitmenschen. Inhaltlich besteht zwischen beiden Vorstellungen jedoch kein Unterschied. Beiden gemeinsam ist, dass unter all diesen Belastungen die Seele leidet. Und seelisches Leiden kann Krankheiten verursachen. Unterschiede bestehen jedoch bei den Lösungsansätzen. In Afrika packt man das Übel an der Wurzel, indem zu allererst die negativen Gedanken von der Seele entfernt werden. Dies muss nicht zwangsläufig Heilung bewirken. Heilung durch blosse Einflussnahme auf die Seele ist aus rationaler Sicht vor allem dann nicht möglich, wenn die Krankheit auf natürliche Weise entstanden und nicht die Folge eines seelischen Ungleichgewichts ist. Die Heilung kann jedoch beschleunigt oder zumindest das Leiden gelindert werden, wenn der Heiler zu allererst auf die Seele einwirkt. Demgegenüber belässt man in der westlichen Medizin den Zustand der Seele meist wie er ist und bekämpft die Symptome. Oft erfolglos. Zu Recht berufen sich die traditionellen afrikanischen witchdoctors bei ihren Konzepten auf Jahrtausende alte Heilmethoden, die wohl auch einmal die unsrigen waren. Wir wissen heute: Die Wiege der Menschheit und damit auch das Wissen von den Zusammenhängen zwischen Körper, Geist und Seele hat seinen Ursprung nicht irgendwo, sondern in Afrika, genauer: im Ostafrikanischen Grabenbruch. Das belegen unzählige wissenschaftlich dokumentierte Funde aus dem Rift Valley in Kenia und dem benachbarten Tansania. In Afrika hat der moderne Mensch, der homo sapiens, seine Wurzeln. Von dort ist er zusammen mit seinem Wissen gewandert, nach Norden und über den Balkan nach Europa. Jahrtausende später ist es in Europa weiterentwickelt worden, wobei es sich im Zuge der immer stärkeren Entfremdung von der Natur und der Schöpfung allmählich von der spirituellen Grundlage gelöst und Formen angenommen hat, die vor allem auf die Heilung des Körpers fokussiert sind. Dabei kommen die Bedürfnisse der Seele des Menschen oft zu kurz. Jetzt, so scheint es, besinnen wir uns wieder auf unsere Wurzeln. Mit ganzheitlichen, Körper, Geist und Seele umfassenden Heilkonzepten, die sich auf alle Krankheiten und Lebenssituationen erstrecken, kommt die Medizin in spiritueller Hinsicht wieder dort an, wo alles seinen Anfang genommen hat: in Afrika. Literatur Fratkin, Elliot: „Traditional Medicine and Concepts of Healing among Samburu Pastoralists of Kenya“, in: Journal of Ethnobiology, Vol 16 (1). Denton 1996. Kawango, Evelynes Agot: „Ethnomedical Remedies and Therapies in maternal and child Health amog the rural Luo“, in: Isaac Sindiga, Nyaigotti-Chacha, Mary Peter Kanunah (Hg.): Traditional Medicine in Africa. Nairobi 1995. Lewin, Louis: Die Pfeilgifte. Nach eigenen toxikologischen und ethnologischen Untersuchungen. Leipzig 1923. Lussi, Kurt: Dämonen, Hexen, Böser Blick. Krankheit und magische Heilung im Orient, in Europa und Afrika. Aarau und München 2011. Mbiti, John S.: Introduction to African Religion. Nairobi, Kampala, Dar es Salaam 2010. Miller, Norman N.: Encounters with witchcraft: field notes from Africa. Albany 2012. Mulemi, Benson A. & Stevie M. Nangendo: „Therapeutic Strategies and Traditional Medical Knowledge of the People of Bar Chando Sublocation, Bondo District, Kenya“, in: Curare. Zeitschrift für Ethnomedizin und transkulturelle Psychiatrie/Journal für Ethnomedicine and Transcultural Psychiatry,Vol 24 (2001). Berlin 2002. Ocholla-Ayayo, Andrew Benjamin Cohen: Traditional ideology and ethics among the southern Luo. Uppsala 1976. Turaki, Yusufu: Foundations of African Traditional Religion and Worldview. Nairobi 2006. Winkler, Hans; David A. Christie und David Nurney: Woodpeckers. A Guide to the Woodpeckers, Piculets and Wrynecks of the World. Robertsbridge 1995. Autor: Kurt Lussi, geboren 1956 in Luzern, ist Konservator für Volkskunde, Buchautor, Ausstellungsmacher und Referent. Sein hauptsächlichstes Forschungsgebiet sind die magisch-religiösen Vorstellungen des Alpenraums mit Schwergewicht auf die Entstehung und magische Heilung von Krankheiten. In neuerer Zeit fokussiert sich seine Arbeit auf den Vergleich der traditionellen alpenländischen Heilkonzepte mit den Vorstellungen aussereuropäischer Kulturen. Die in diesem Zusammenhang unternommenen Reisen führten ihn mehrere Male zu den Luo am Nordostufer des Viktoriasees, zu den Massai im südlichen Kajiado District, Kenia, und zuletzt zu verschiedenen Voodoo Priestern und Priesterinnen im Raum New Orleans.