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Lothar Klouten. Der Tod war ein Meister aus Osterath.

Lothar Klouten Welche gesellschatliche Realität in der Zeit von etwa 1930 bis 1955 ist heute dekodierbar, wenn wir tabulos die richtigen Fragen stellen? Und ausgehend von den Erkenntnissen dazu: Welche Konsequenzen hat diese gesellschatliche Realität für das Heute? Osterath und die dort mit allen gesellschatlichen Bereichen vernetzten Menschen in ihrem vernetzten gesellschatlichen Mikrokosmos Osterath sind ein Fraktal der gesellschatlichen Realität: Osterath ist überall. Der Tod war ein Meister aus Osterath gig vor und nach der Befreiung von Osterath durch US-amerikanische Einheiten am 1. März 1945. Primär die Vernetzung – strukturell und personell – der Kulturen von speziisch deutscher Bürokratie-Kultur und kirchlich-katholischer Bürokratie-Kultur. Jenseits des äußeren Scheins von Verfassung, Rechtsstaatlichkeit und Recht. ISBN 978-3-00-0385-70-4 Cover_Klouten_20082012.indd 1 (D) 29,70 € (A) 30,50 € In diese vordergründige Normalität passt die Serie von Todesfällen Osterather NS-Überlebender 1948. Die »Betriebsunfälle« werden im aktiven »Einsatz« des (Ex-)SA-Mannes und stellvertretenden Gemeindedirektors Johannes Herbrandt im – angenommenen – Interesse der katholischen Volksgemeinschat »korrigiert«. Der Tod war ein Meister aus Osterath. Lothar Klouten Der Tod war ein Meister aus Osterath Das gilt gleichermaßen für die in ihren gesellschatlichen Macht- und Gewaltpositionen agierenden Menschen auch als Täter wie für die Opfer ihrer aktiven bürokratischen persönlich zuordnenbaren Handlungen. So stellvertretend der Bürgermeister und Gemeindedirektor Hugo Recken und sein Symbiont Johannes Herbrandt – vernetzt mit Pastor Hövelmann und der katholischen Gemeindeelite. Ob NSDAP-Mitglieder – oder im Einzelfall nicht. Bruchlos staatsformunabhän- Eine katholische niederrheinische Gemeindeelite von der Weimarer Republik bis zur Bundesrepublik Deutschland: Erinnerung versus Geschichtspolitik in Meerbusch-Osterath Herausgegeben von Lothar Klouten 27.08.12 13:06 Titelseite der Osterather Zeitung, 28. März 1936 Cover_Klouten_20082012.indd 2 27.08.12 13:06 »Die Würde des Menschen ist unteilbar.« Lothar Klouten Impressum Lothar Klouten – Der Tod war ein Meister aus Osterath. Eine katholische niederrheinische Gemeindeelite von der Weimarer Republik bis zur Bundesrepublik: Erinnerung versus Geschichtspolitik in Meerbusch-Osterath Herausgeber: Lothar Klouten, Ostwall 224, 47798 Krefeld, Telefon 0160 4 39 12 56, www.lotharklouten.eu Autor: Lothar Klouten, © 2012 Buchkonzept und Gestaltung: trio-design+, Annette Schulte, Krefeld, Telefon 0 21 51 74 85 11, www.trio-design.de, © 2012 Alle Rechte sowie Irrtum und Druckfehler vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie die Verbreitung durch Bild, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungs-Systeme jeder Art nur mit schrit licher Genehmigung. Die pädagogische Nutzung dieses Buches ist ausdrücklich erwünscht. Bitte wenden Sie sich in einem solchen Fall direkt an den Autor: Lothar Klouten. Satz: PrePressPro, Kirsten Küsters, Krefeld, www.prepresspro.de Druck und Bindung: Memminger MedienCentrum, Memmingen Printed in Germany ISBN: 978-3-00-038570-4 1. Aulage, Oktober 2012 2 | Inhalt Lothar Klouten Der Tod war ein Meister aus Osterath Eine katholische niederrheinische Gemeindeelite von der Weimarer Republik bis zur Bundesrepublik Deutschland: Erinnerung versus Geschichtspolitik in Meerbusch-Osterath Herausgegeben von Lothar Klouten Inhalt | 3 Inhalt Einleitung Geleitwort von Kurt Gutmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Widmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Vorwort: Der Anlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Zur Gestaltung dieses Buchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Über den Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Der Entstehungs-Prozess dieses Buchs und seine Interdependenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12–14 Erinnerung versus Geschichtspolitik Die Gemeinden Osterath – sowie Büderich und Lank – bis 1945: Katholische Dörfer mit Minderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15–27 1933: Die erste Intrige gegen den evangelischen Bürgermeister Rudolf Bartels: Wie der Katholik Hugo Recken durch die dazu instrumentalisierten Nationalsozialisten Bürgermeister in Osterath wurde und sein Sieg über die örtlichen NSDAP-Funktionäre sowie die geschichtswissenschat liche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28–40 Hugo Recken als Bürgermeister in Osterath Januar 1934 bis März 1945: Antisemitische Maßnahmen gegen als Juden bezeichnete Menschen und die geschichtswissenschat liche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41–64 a. Die Um- und Durchsetzung von antisemitischen Maßnahmen zur Diskriminierung, Terrorisierung, Absonderung, Enteignung und Ermordung der betrofenen Deutschen in Verantwortung des Bürgermeisters in Osterath, Hugo Recken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41–64 b. 1935: Die Umlegung des jüdischen Friedhofs Osterath nach Krefeld als antisemitische Maßnahme und die Kontroverse über die Rolle von Hugo Recken bis heute – Gemeindedirektor Hugo Recken, 1946: »Fehlanzeige«. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65–70 c. Die Deportation nach Riga im Dezember 1941: Der organisierte Mord an der Mehrheit der von den Maßnahmen gegen Juden betrofenen Menschen und die Rolle von Bürgermeister Hugo Recken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71–86 d. Drei Familien als exemplarische Beispiele 1. Sabine und Julius Gutmann: Die beiden einzigen Überlebenden der aus Osterath deportierten Menschen – Bürgermeister Hugo Recken, 1942: »Es wird um Abschiebung des Juden gebeten.« . . . . . . . . . . . . . .87–106 2. Familie Cervelli: »Halbjuden« und ihre »arischen« Familien trit das »Recht« und Bürgermeister Hugo Recken – fast – gleichermaßen wie »Volljuden« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107–110 3. Familie Dr. Langenbach: Die von Hugo Recken in seinem Entnaziizierungsverfahren missbrauchten »Entschuldigungsjuden« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111–114 e. Geschichtswissenschat liche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115–116 1945: Die zweite Intrige gegen den vom US-amerikanischen Ortskommandanten eingesetzten Bürgermeister Rudolf Bartels, diesmal über die dazu instrumentalisierte britische Militärregierung – Wie Hugo Recken abermals Rudolf Bartels ablöste und das kurze Intermezzo des kommissarischen Bürgermeisters Anton Wienands KPD . . . . . . . . . . . . 117–138 Die Rollen des Gemeindebeamten Johannes Herbrandt sowie der Allianz von katholischer Geistlichkeit und katholischer Gemeindeelite sowie deren geschichtswissenschat liche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139–140 Inhalt | 5 1945–1949: Die Entnaziizierung von Hugo Recken, Johannes Herbrandt und Pfarrer Joseph Hövelmann – Als seien 1945 nach der Befreiung drei neue Menschen geboren worden sowie die geschichtswissenschat liche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141–164 1953: Der Tod von Hugo Recken und die Straßenbenennung nach ihm: Apologie der Kontinuität seit 1934 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165–166 Die Debatte um die Straßenumbenennung seit Dezember 2011: Erinnerung versus Geschichtspolitik – und die Rolle des Meerbuscher Stadtarchivleiters Michael Regenbrecht im Aut rag des Meerbuscher Bürgermeisters Dieter Spindler CDU: Wo beginnt apologetische bürokratische Zweck-Lüge? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167–176 Eine geschichtswissenschat liche Gesamtbewertung: Der Erinnerung eine Chance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177–190 Dokumente Einführung in die Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Geschichte am Jürgensplatz Düsseldorf: Foto von Paul Salitter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 Landesarchiv Nordrhein-Westfalen: Der Polizeipräsident in Düsseldorf leitet mit Datum vom 6.1.1942 den Salitter-Bericht »An die Staatspolizeistelle in Düsseldorf« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 Wiener Library London: Der Salitter-Bericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193–195 Yad Vashem Jerusalem: Gegenüberstellung der Berichte von Paul Salitter und Hilde Sherman. . . . . . 196–201 ITS Arolsen: Die Deportationsliste vom 11. Dezember 1941 (Erstveröfentlichung) . . . . . . . . . . . . . . . 202–214 Kreisarchiv Viersen: Arthur Winter. Über das Schicksal der Kempener Juden, die im Dezember 1941 deportiert wurden. Erstellt nach Aussagen von Hans Samuel, Hüls. Schweden 1945. (Erstveröfentlichung in der vollständigen Fassung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .215–219 Villa ten Hompel Münster: Nachkriegsbiograie eines Täters. Paul Salitter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220–225 Dr. Ingrid Schupetta. Villa Merländer Krefeld: historische und aktuelle Fotos aus Riga (Erstveröfentlichung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .226–230 Anhang Verzeichnis der abgebildeten Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .231–233 Erklärungen von Abkürzungen und Begrifen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235–240 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241–257 Danke! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Schreiben von Adolf Hitler, 29. November 1921 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260–262 Paranoia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Titelseite der Osterather Zeitung, 28. März 1936 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 6 | Inhalt Geleitwort Das Buch von Herrn Klouten ist eine notwendige Erläuterung einer die frühen 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts und die Nazizeit überdauernden und dominierenden Gedankenwelt in vielen Ortschaften der Bundesrepublik. Zwar wurde die braune von der schwarzen Rassenideologie abgelöst, aber weder in den Schulen noch in den Amtsstuben beseitigt. Dies kann ich aus eigener Erfahrung belegen. So habe ich als britischer Soldat erlebt, wie im Spätherbst 1947 junge Männer, von einem Tanzvergnügen kommend, vor mir in Mülheim-Ruhr auf Wache stehend, lauthals sangen: »Wir werden weiter marschieren bis alles in Scherben fällt, denn heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt.« Ein anderes Mal besuchte ich mit zwei jungen Frauen einen Tanzabend, bei dem ich mit beiden tanzte. In einer Pause sprach ein Mann eine meiner Begleiterinnen an und sagte, ob sie wüsste, dass sie potenzielle »Rassenschande« treibe. Im Jahre 1956 besuchte ich meinen Onkel Max Servos in Krefeld. An seiner Haustür war »JUDE« geschmiert. Als ich im Jahr 1988 Leipzig besuchte, wurde ich von einem aus der BRD stammenden Mann beschimpt, man hätte vergessen mich zu vergasen. Solch »guter Mensch« war wohl auch der Staatssekretär Globke unter Kanzler Adenauer, Leiter des Bundeskanzleramtes in Bonn, im Jahre 1935 Verfasser des Kommentars zu den Nazi-Rassegesetzen. Während des Krieges Berater einiger von Hitlerdeutschlands Vasallen bei der Durchsetzung dieser Gesetze in deren Länder. Ich wünsche mir, dass Herr Klouten mit seinem Buch dazu beiträgt, die notwendigen Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Kurt Gutmann Jahrgang 1927 Ich könnte noch etliche solcher Beispiele aus eigenem Erleben erwähnen. Das von Herrn Klouten in seinem geschilderten Osterath ist fast jedem kleinen Ort in Deutschland gleich zu setzen, das dann zu den »judenreinen« Ortschaten der Jahre 37/38 und dann zu den Vernichtungslagern der Jahre 42/43 führte. In Osterath waren es die von Herrn Klouten genannten »ehrenwerten Herren Recken, Herbrandt und Pfarrer Hövelmann«, in den anderen Orten waren es nur andere Namen. Wenn Herr Klouten berichtet, wie der SA-Mann Herbrandt in seiner schwarzen Uniform im Jahre 1948 ein aus heresienstadt zurückgekehrtes Ehepaar drangsalierte, dann wird mir heute noch schlecht. Eine das Lager Riga überstandene jüdische Bekannte erzählte mir Folgendes. Auf einer Hamsterfahrt im Jahre 1946 besuchte sie einen kleinen Ort in Westfalen. Zu ihrem Schrecken erkannte sie dort als Friseur einen ihrer schlimmsten Peiniger aus dem Lager. Als sie ihn entlarvte, sagte man ihr, er sei doch als ein so liebevoller Vater bekannt. Geleitwort | 7 Im Gedenken an Dan Lucas Das eigene Glück spiegelt sich stets im Glück des Anderen. Sardoscht Mitzulieben, nicht mitzuhassen ist mein Teil. Sophokles. Antigone Wer nicht leiden will, muss hassen. Horst Eberhard Richter Der Vernichtungsprozess der Nazis kam nicht aus heiterem Himmel. Er war der Höhepunkt einer zyklischen Entwicklung. Wir können diese Entwicklung in drei aufeinanderfolgenden Zielsetzungen antijüdischer Amtswalter nachvollziehen. Die Missionare des Christentums erklärten einst: Ihr habt kein Recht, als Juden unter uns zu leben. Die nachfolgenden weltlichen Herrscher verkündeten: Ihr habt kein Recht, unter uns zu leben. Die deutschen Nazis schließlich verfügten: Ihr habt kein Recht zu leben. Die deutschen Nazis brachen also nicht mit der Vergangenheit; sie bauten auf ihr auf. Sie begannen nicht, sie vollendeten eine Entwicklung. Raul Hilberg 8 | In gedenken an Dan Lucas Jede Herrschat funktioniert als Verwaltung. Die Bürokratie ist »rationalen« Charakters: Regel, Zweck, Mittel, »sachliche« Unpersönlichkeit beherrschen ihr Gebaren. Keine Maschine der Welt arbeitet so präzise wie diese Menschenmaschine, die Bürokratie. Unter technisch-sachlichen Gesichtspunkten ist sie unüberwindbar. Eine einmal durchgeführte Bürokratie gehört zu den am schwersten zu zertrümmernden Gebilden. Ist es möglich, irgendwelche Reste einer in irgendeinem Sinn individualistischen Bewegungsfreiheit zu retten? Max Weber Es sind immer konkrete Menschen, die handeln. Und als Menschen haben wir immer – ethische – Alternativen. Lothar Klouten Erinnerung Erinnerung wach rufen. Verschüttetes erinnern. Verdrängtes erinnern. Vergessenes ins Bewusstsein führen. Also ein gesellschat licher Prozess der Erinnerung, ausgerichtet auf eine gemeinsame menschliche Zukunt. Lothar Klouten Vorwort: Der Anlass »Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dann verdammt, sie zu wiederholen. Wer sich aber der Vergangenheit erinnert, wird umso mehr Streit auslösen.« George Santayana Der Bürgerverein »Pro Osterath« engagiert sich für das Gedenken an die Menschen, die von den Nationalsozialisten und ihren bürokratischen Mit-Tätern als »Juden« deiniert und deswegen diskriminiert, terrorisiert, entrechtet, enteignet und – in Osterath bis auf das Ehepaar Gutmann – ermordet wurden. Ein Höhepunkt der Aktivitäten von »Pro Osterath« war die Verlegung erster Stolpersteine in Osterath im Dezember 2011. In der Veranstaltung zu dieser Stolperstein-Verlegung, die auch im Dezember 2011 stattfand, berichtete ich u. a. vom Schreiben des Osterather Bürgermeisters Hugo Recken an die GestapoAußendienststelle Krefeld am 4. Juni 1942 bezogen auf das Ehepaar Gutmann, das dann umgehend »deportiert« wurde: »Es wird um Abschiebung des Juden gebeten.« Recken hat also auf eigene Initiative gehandelt, hätte auch anders handeln können; aber er tat es nicht. Aus der Mitte der Teilnehmer kam dann der Vorschlag, die Hugo-Recken-Straße umzubenennen. Dies z. B. in Gutmann-Straße. Es wäre die erste Straße in Osterath, die nach NS-Verfolgten bzw. NS-Überlebenden benannt würde. Der Fraktionsvorsitzende der Unabhängigen Wählergemeinschat Meerbusch Christian Staudinger-Napp, Teilnehmer der Veranstaltung, nahm sich der Angelegenheit im Sinne des Vorschlages an, indem er in einem Schreiben an den Meerbuscher Bürgermeister Dieter Spindler im Dezember 2011 anregte, eine Straßenumbenennung zu prüfen. Die – bewusst – verzerrte Realitätswahrnehmung dokumentiert sich schon darin, das Bürgermeister Spindler die Anregung zur Forderung mutierte; wo beginnt – interessengeleitete – Lüge? Um – das ist meine hese – die Legende der Kontinuität von Hugo Recken als Bürgermeister und dann Gemeindedirektor in Osterath von 1934 bis 1953 – mit einer etwa einjährigen Unterbrechung nach der Befreiung 1945/46 – gegen die – geschichtswissenschat liche – Realität und Bürger aufrecht zu erhalten. Es geht ihm – und den Fraktionen bis auf die UWG – um bürokratisch-politische Macht. Mir geht es – auch mit dieser Arbeit – um einen ofenen gesellschatlichen Diskurs. Gegen Vermeidungsdiskurs im Sinne von Ulrich Herbert. Um dem Gedenken eine Chance zu geben. Bilden Sie sich eine eigene Meinung. Selber lesen und denken macht schlau. Wenn Sie weitere Dokumente, Bilder oder Informationen beitragen können, bitte kontaktieren Sie mich unter: Fon: 0160-4 39 12 56 oder E-Mail: lotharklouten@yahoo.de. Abschließend ein methodischer Hinweis: Um den Text gut lesbar zu gestalten, habe ich auf Verweise weitgehend verzichtet. Die Lektüre des Anhangs macht so auch mehr Sinn. Die Fotos im Buch sind visuelle Zitate, wenn sie nicht umfassend ausgewiesen sind. Aus dieser Anregung zum Gedenken entwickelte sich ein Kapitel Meerbuscher Geschichtspolitik. Denn wie können Bürger so vermessen sein, von sich aus einen konkreten Vorschlag zu machen, ohne vorab die Meerbuscher Bürokratie in Verwaltung und Stadtrat um Erlaubnis dazu gebeten zu haben? Und wie kann sich der Fraktionsvorsitzende einer Minderheiten-Fraktion erdreisten, den CDUBürgermeister mit einer Anregung anzuschreiben? Beides mehr als ärgerlich, weil es – bürokratischen – Aufwand verursacht, der dann bürokratie-intern weiterdelegiert wird, hier an den Stadtarchivar. Vorwort | 9 Zur Gestaltung dieses Buchs In diesem Buch ist nichts Zufall. Der Text und seine typograische Gestaltung. Buchformat und Satzspiegel folgen nicht den DIN-Formaten, sondern dem Goldenen Schnitt. »Der Naturforscher und Philosoph Paul Heinrich France bezeichnete den Goldenen Schnitt als biologisches Format und sieht in der Harmonie den letzten Zustand, das höchste Ziel der Entwicklung. Er fasst dies in dem folgenden Satz zusammen: »Harmonie ist das biologische Endstreben.« Er hat erkannt, dass allem Leben eine bestimmte Funktion zugedacht ist, als auch harmonische wohlproportionierte Form angestrebt wird.« nach: Otto Hagenmaier. Der Goldene Schnitt. Gegenstände, die dem Goldenen Schnitt folgen, werden als harmonisch empfunden. Der Aubau des Menschen, aller belebter Natur, entspricht dem Goldenen Schnitt. Die großen Meister haben ihrer Kunst die Regeln des Goldenen Schnitts zugrunde gelegt. Der gewaltbehatete Inhalt des Buches wird durch die harmonische Form des Formats aufgefangen. Zur Farbe Hellblau »Psychologische und symbolische Wirkung: Blau ist die Komplementärfarbe zu Orange. Orange ist die hellste Farbe des Spektrums, Blau die kälteste. Blau ist die Farbe des Fernen und Kühlen. Blau ist eine Augenfarbe. Als Raumfarbe ist Blau ungemütlich, weil es den geschlossenen Raum aulöst und die Kälte hineinlässt. Der kalte Blau ist im symbolisch übertragenen Sinn eine abweisende Farbe. Es ist die Farbe der Gefühllosigkeit, des Stolzes, der Härte.« Eva Heller. Wie Farben wirken. 10 | Die Gestaltung Die verwendeten Schriften Der Fließsatz ist in der »Minon Pro Regular« gesetzt. Die Schrit wurde 1990 von Robert Slimbach für Adobe Systems als digitale Satzschrit entworfen. Die Minon ist eine Textschrit im Stil der Französischen Renaissance-Antiqua. Sie hat ein ruhiges ausgeglichenes Schritbild und verbindet gute Lesbarbeit mit einer ästhetisch ansprechenden Gestaltung. Die Überschriten, Bildunterschriten und Hervorhebungen stammen aus der Schritsippe hesis. Für dieses Buch wurde die Schrit »heSans« in verschiedenen Schritgraden angewendet. Die Schrit ist unter anderem als Auszeichnungsschrit hervorragend geeignet. Sie unterstützt den Inhalt, wirkt jedoch nicht dominant, signalisiert aber dem Leser »Achtung, hier kommt eine wichtige Information«. Die Schritsätze wurden 1994 von Lucas de Groot entwickelt und weitergeführt. Heute ist die hesis-Kollektion mit über 500 Schnitten, die wohl umfangreichste Schrit familie. »heSans« ist eine serifenlose Linear-Antiqua. Sie ist die Hausschrit von vielen Marken und Unternehmen. Die Typografie Die Typograie des Buches basiert auf den typograischen Regeln der Buchgestaltung. Grundlage sind unter anderem die »Qualitätskriterien für gute Typograie«, die vom Forum Typograie e. V. 2006 entwickelt wurden. Dieses Buch ist aus dieser Perspektive auch ein literarisches Gesamtkunstwerk. »Die Wahrheit sagen heißt für einen Roman, den Leser eine Illusion erleben zu lassen, und lügen heißt, unfähig sein zu einer Simulation.« Mario Vargas Llosa Über den Autor Nach der Schule – er gehörte dem ersten Abiturjahrgang am Meerbusch-Gymnasium 1974 an – studierte Lothar Klouten, Jahrgang 1957, Sozialwissenschaten, Geschichte und Pädagogik. Gesellschat lich engagierte er sich zum einen in der Jugendarbeit in der evangelischen Kirche in Meerbusch-Osterath sowie für gut zehn Jahre als Vorsitzender des Stadtjugendrings Meerbusch, wo er unter anderem den Jugendaustausch mit der israelischen Stadt Petach Tikva organisierte. Zum anderen in der Politik: (Wieder-)Gründung der Jungsozialisten in der SPD Meerbusch-Osterath, eine Reihe von Vorstandspositionen in der SPD Osterath und im SPD-Stadtverband Meerbusch, Ratsmitglied in Meerbusch und später Kreistagsmitglied im Kreis Viersen, um nur einige Stichworte zu nennen. Lothar Klouten kandidierte zweimal zum Europäischen Parlament. Schon in seiner Schulzeit interessierte sich Lothar Klouten intensiv für die NS-Zeit, ihre Vorgeschichte und ihre Folgen. Daher auch sein Engagement gegen Rechtsextremismus, für den Jugendaustausch mit Petach Tikva sowie eine Demokratisierung auf allen Ebenen bis zur UN. Im Studium setzte er seine Interessen konsequent in der Wahl des hemas seiner Ersten Staatsarbeit um: Verfolgung und Widerstand in Meerbusch 1933–1945. Die weitere intensive Auseinandersetzung insbesondere mit der Geschichte führte zu einigen Veröfentlichungen, aufgeführt zum Teil im Anhang. Lothar Klouten hielt zahlreiche zeitgeschichtliche Vorträge, u. a. in Meerbusch. Maßgeblich gestaltete er die Ausstellung »Nachspüren nach 70 Jahren. Deportationen aus Düsseldorf nach dem Osten« im Glashaus des Kulturamtes der Stadt Düsseldorf 7. – 11. Dezember 2011, verbunden mit Filmen, Vorträgen, Gesprächen und einem historischen Spaziergang. 1989 erhielt Lothar Klouten die Verdienstnadel der Stadt Meerbusch. 2007 wurde sein Buch »Hubert Vootz. Ein Leben für die Freiheit – Vom deutschen Kaiserreich bis zur Bundesrepublik Deutschland« für zivilgesellschat liches Engagement vom »Bündnis für Demokratie und Toleranz. Gegen Extremismus und Gewalt« (www.buendnistoleranz.de) ausgezeichnet. Für das Bündnis sind namhate Persönlichkeiten wie Bundespräsident Joachim Gauck tätig. Veröfentlichungen von Lothar Klouten stehen in zahlreichen Einrichtungen. So Stadtbibliothek Meerbusch, Universitätsbibliothek Düsseldorf, Lan- Foto: Rainer Naus, Foto Naus, WillichSchiefbahn desarchiv Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, Bundesarchiv in Berlin, ITS Arolsen, Library of Congress Washington und Yad Vashem Jerusalem. Auf seine Forschungen gehen das Mahnmal am Friedhof in Meerbusch-Büderich, das Mahnmal in Meerbusch-Lank an der Teloy-Mühle sowie die Stolpersteine in Meerbusch-Osterath zurück. Lothar Klouten hat das Jugendwerk der Arbeiterwohlfahrt in Düsseldorf geleitet, war zwei Jahre Assistent des Bundestagsinnenausschussvorsitzenden, später bis Anfang 2005 Geschätsführer bei der NRW-SPD. Heute ist er selbstständig und politisch in der Piratenpartei aktiv. Nach seinem Selbstverständnis ist Lothar Klouten gemeinwohlorientierter Demokrat. Ohne Ansehen von Personen und Organisationen setzt er sich für Menschenwürde, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie auf allen Ebenen ein. Die Würde des Menschen ist unteilbar – das ist sein Credo. Dabei die Realität insbesondere durch die Schaf ung von Transparenz den Ansprüchen vor allem der Menschenrechtsdeklarationen von UN und Europa sowie dem Grundgesetz in einem evolutionären Prozess weitest möglich in Übereinstimmung zu bringen. Die sante Macht der Ethik siegt, so sein weiteres Credo. Auch gegen Schein-Recht und illegitime Macht. Unter welchen Vorzeichen auch immer und mit welcher ideologischen Legitimation auch immer. Die speziische deutsche Bürokratie-Kultur steht nach dem Verständnis von Lothar Klouten, wie er es auch in diesem Buch herausgearbeitet hat, der notwendigen gesellschat lichen Evolution zu einer nachhaltigen menschenwürdigen Zukunt diametral entgegen. »Das, was geschah, muss eine Warnung sein. Es zu vergessen, ist ein Vergehen. Es muss fortwährend in unserer Erinnerung leben. Es war möglich, dass es geschah, und es ist möglich, dass es wieder geschieht. Davon zu wissen allein kann dies verhindern.« Karl Jaspers Der Autor | 11 Der Entstehungs-Prozess dieses Buchs und seine Implikationen Wenn man – hier ich – sich bürokratisch missbraucht sieht, dann gibt es diferenzierte Aktionsmöglichkeiten. Im Gegensatz zu Reaktionsmöglichkeiten im Wortsinn, der anderen Seite passiv in der Objektrolle das Agieren zu überlassen, die Opferrolle anzunehmen. Ich lasse mir meine Würde nicht nehmen und ich bin nicht sprach-los. Was ich in vielen Jahren durch mehrere Erfahrungen gelernt habe: solche Situationen als persönliche Herausforderung anzusehen. Mein »Lehrer«: Viktor Frankl. Diese Situationen im für mich konstruktiven Sinn umzudeuten. Durch Agieren die Subjektrolle einzunehmen, mir nicht bürokratisch die Objektrolle aufnötigen zu lassen. Das selbstverständliche Kommunikationsmuster in der deutschen Gesellschat bewusst zu durchbrechen. Wohl wissend, dass deutsche Bürokraten dann ihre bürokratische vermeintlich anonyme und unpersönliche Rolle verlassen, weil sie diese »Regelverletzung« persönlich nehmen, daher ihre bürokratische Legitimität angegrifen fühlen. Und dann mit allen ihres bürokratischen Habitus, entsprechenden Mitteln agieren, bis hin zu struktureller Gewalt – als Vorstufe zu direkter Gewalt, wenn dies gesellschat lich akzeptabel ist. Vor der Idee zum Buch stand, am Beispiel der vom Meerbuscher Stadtarchivar Regenbrecht in seinem im Aut rag von Bürgermeister Spindler erstellten »Recherchebericht« genannten Akten im Kreisarchiv Viersen in Kempen zu recherchieren, was diese Akten beinhalten und wie er deren Gehalt in Bezug auf das hema – die Rolle von Bürgermeister Hugo Recken in der NS-Zeit und ihre heutigen Bewertung – rezipiert hat. Ein weiterer Verstoß gegen die Regeln im Kontext deutscher Bürokratien. Diese unausgesprochene gesellschat lich akzeptierte Regel lautet: Was ein Bürokrat im Autrag eines vorgesetzten Bürokraten liefert, dem vertraut man bedingungslos, hinterfragt es keinesfalls. Der logische Umkehrschluss: Hier liegt ein zentrales Macht-Instrument von Bürokratien: Realität nach ihrem Habitus zu deinieren. Also verbindlich zu deinieren, was gesellschat lich als Realität zu gelten hat. Staatsformunabhängig und nicht demokratisch legitimiert. Meine Recherche im Kreisarchiv Viersen führte zu zwei für mich bemerkenswerten und vernetzten Ergebnissen: Herr Regenbrecht hat bewusst selektiv gearbeitet – bürokratisch-politisch interessengeleitet und nicht geschichtswissenschat lich. Sowohl was die 12 | Die Entstehung des Buches von ihm in seinem »Recherchebericht« genannten Akten betrit – als auch die vorhandenen Akten, die er nicht nennt. Das im Kreisarchiv in Bezug auf das konkrete hema Hugo Recken präsente Quellenmaterial ist – erstaunlich – dicht. Das Quellenmaterial im Stadtarchiv Meerbusch kannte ich bereits vorher ganz überwiegend, insbesondere im Kontext meiner Recherchen zu meiner Ersten Staatsarbeit »Verfolgung und Widerstand in Meerbusch 1933–1945«. Und diese Quellen habe ich in Kopie, verbunden mit umfassenden Notizen dazu. Um bezogen auf die aktuelle Fragestellung mein Material zu vervollständigen, habe ich dies bei einem Termin im Stadtarchiv umgesetzt. Die quantitative Seite waren 26 Kopien. Ein Indiz dafür, dass mir bereits vorher wesentliche Quellen in Kopie vorlagen. Bereits vor diesem Termin begann ich meine Idee zu einem Buch zum hema, die ich bei meiner Recherche im Kreisarchiv hatte, zu realisieren. Auch Quellenmaterial im Landesarchiv NRW in Düsseldorf kannte ich bereits zuvor. Bin nun mit nicht zu erwartenden qualitativen Ergebnissen themenbezogen in die Tiefe gegangen. Das gilt auch für das Bundesarchiv. Mein Anspruch: Das zu tun, wozu Regenbrecht vorgeblich beauftragt ist. Um so seinen Autraggeber und bürokratischen Vorgesetzten Bürgermeister Spindler und ihn zu demaskieren. Damit meine Reputation und Integrität ofensiv zu vertreten. Ein weiterer Regelverstoß gegen die unausgesprochenen Regeln der deutschen Bürokratie als gesellschat lichem Subsystem, das die anderen gesellschat lichen Subsysteme dominiert bzw. überlagert, auch die politische Kultur. Ich liebe unsere wunderschöne Sprache. Deren reale Bedrohung in der Sprach-Verarmung durch die krebsartig wuchernde Bürokraten-Sprache besteht, weil sie macht-voll negativ Einluss nimmt. Unsere Kultur-Sprache ist ein Sprach-Schatz mit unbegrenzten Ausdrucksmöglichkeiten – wenn ich – im Sinne jedes Menschen – sie für mich zu nutzen verstehe. Dazu muss ich ihre Möglichkeiten be-greifen, sie erfahren und anwenden, mündlich wie schrit lich, um sie – in meinem Sinn – besser und besser be-nutzen und händeln zu können. Ein lebenslanger Prozess. Wir haben die Freiheit des guten Ausdrucks. Genau diese Freiheit nehme ich für mich in Anspruch. Sicher auch eine Regelverletzung, mein Ge-brauch der Sprach-Kunst in Verbindung mit Sprach-Ästhetik. Mein Schreibstil ist für mich aufwändig, mit Anstrengung verbunden. Mein Ziel ist es, ein adressatenbezogen bestmögliches Ergebnis zu er-zielen. Sie also so anzusprechen, dass sie sich an-gesprochen fühlen, dieses Buch vollständig zu lesen und darüber zu relektieren. Habe ich dieses Ziel erreicht, dann ist dies für mich ein Beleg für die sprachliche Qualität meines Buchs. Deswegen feile ich am Text, bis ich das Gefühl habe, dass er in diesem Sinn »passt«. Dieses Buch ist eine Gesamtheit aus vielen vernetzten Mosaiksteinen, die mehr sind als ihre Summe. Das vernetzte Denken und Handeln habe ich einem anderen Lehrer zu verdanken: Frederic Vester. Das Ver-Stehen der subjektiven Bedingtheit individueller Welt-Konstruktion lernte ich von einem weiteren Lehrer: Paul Watzlawick. Wir leben in einer Welt, in der alles eins ist. Ich begann einen alternierenden Prozess. In dem ich begann, die mir zur Verfügung stehenden Quellen und Literatur, sowie die Literatur in der Universitätsbibliothek Düsseldorf, geschichtswissenschatlich aufzuarbeiten. Die mir präsenten Informationen thematisch strukturierte, um eine Gliederung zu entwickeln, die ich dann in Feinarbeit bis zur endgültigen Fassung schlif. Die Struktur stand, beim Schreiben des handschrit lichen Vorentwurfs und der PC-Fassung schlif ich weiter an Einzelformulierungen. Dann ordnete ich die mir bereits präsenten Informationen und Quellen, um sie im Folgeschritt kapitelweise zu strukturieren. Dem schloss sich die Erarbeitung der handschrit lichen Rohfassung an, Kapitel für Kapitel. So konnte ich meine thematischen Gedanken schrit lich fokussieren. Parallel ging die Archiv- und Literaturarbeit weiter. Deren Ergebnisse ich in bereits erarbeitete Rohfassungskapitel integrierte. Nun begann ich die Kapitel-Rohfassungen Kapitel für Kapitel am PC zu schreiben. Wobei sich beim Schreiben, der damit verbundenen weiteren Relexion auch über die Vernetzungen, Änderungen und Ergänzungen ergaben. Sowie die Integration weiterer neuer Informationen und Quellen. Gelobt sei die Digitalität. Wiederum parallel vernetzt entwickelte ich Kontakte zu möglichen Druckkostenzuschuss-Gebern. Was Grai k-Design-Agentur und Druckerei betrit kam mir ein – notwendiger – Zufall zupass: Frau Schulte von trio design+ Krefeld, mit der ich vier Jah- re zuvor mein erstes Buch herausgegeben habe, rief mich an. Ob ich an einem neuen Buchprojekt arbeitete. Und sie hat den direkten Kontakt zur Druckerei, die vor vier Jahren mein erstes Buch druckte. In intensiver Kommunikation mit ihr entwickelte sich schnell das Konzept für die graische und typograische Gestaltung des Buchs. In Verbindung mit der Kostenkalkulation. Insgesamt also eine vernetzte Management-Projektplanung und -realisierung mit parallelem Controlling – in einer Hand. Der weitere Prozess entwickelte sich zur Entdeckung einer neuen erschreckenden Welt, die reale Welt hinter dem Vorhang von Lüge, Betrug, Manipulation, Fälschung, dem gesamten Katalog des Strafgesetzbuchs – einschließlich Mord. Die deutsche Realität, für die Osterath ein Fraktal ist, hat nur oberlächlich mit dem zu tun, was in vielen Formen Überlieferung ist und z. B. die Geschichtswissenschat prägt. Was überliefert ist, ist ein Zerrbild zur Schein-Entlastung von Tätern, Mit-Tätern, Gehilfen und zumeist willigen Mitläufern vor und nach 1945. Denn sie waren – und sind – gemeinsam die große Mehrheit in Deutschland, die (bis 1945) im Sinn des NS-Kernziels agierte, alle »Gemeinschatsfremden« zu ermorden, insbesondere die willkürlich als Juden deinierten Menschen. Das ist die reale Kontinuität der deutschen Gesellschat, in der es keine Stunde Null gegeben hat. Die ist Fiktion. Daher hat es äußerliche Verschiebungen gegeben, der innere Kern ist weitgehend konserviert. Dies alles mit gesellschat lichen Konsequenzen. Bis hin zur aktuellen Braune-Armee-Fraktion und dem Umgang mit ihr in Gesellschat, Staat, Politik, Medien – ein Fraktal der historischen Verdrängung. Auch der Selbst-Legitimation zum Morden – und ihrer Verdrängung insbesondere in der Justiz. Wie sähe der Umgang mit der ignorierten Mordserie sowie den damit verbundenen MassenStrataten aus, wäre es eine Neuaulage der RotenArmee-Fraktion? Die Arbeit mit Archiven sowie weiteren Institutionen gestaltetet sich überaus ergebnisreich. Insbesondere mit dem Kreisarchiv Viersen, dem Stadtarchiv Düsseldorf, dem Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, zwei Dependancen des Bundesarchivs, ITS Arolsen und Yad Vashem. Was mich ganz besonders überraschte: Ich fand durch meine Recherchen lebende Familienmitglieder der Opferfamilien, die im Buch beschrieben sind. Damit hatte ich nicht mehr gerechnet. Die Hof nung nie aufzugeben, es zumindest zu versuchen, ist immer richtig. Der Kern dieses Buchs sind Menschen und ihr Leben – sowie deren Geschichte vernetzt mit den gesellschat lichen Bedingungen. Die Entstehung des Buches | 13 Die so tief wie möglich gehende Quellensuche und die geschichtswissenschat liche Bearbeitung der dann vorliegenden Quellen in Verbindung mit der insbesondere geschichtswissenschat lichen Literatur hatte Analyseergebnisse, die ich so umfassend, dicht und klar nicht erwartet habe. Die ReckenLegende, ihr gesamter historischer und das in ihrer Kontinuität stehende aktuelle Umfeld wird dekodiert und damit transparent. Unbeeindruckt von allem bürokratisch-politisch interessengeleiteten Agieren des Meerbuscher Bürgermeisters Spindler als Repräsentant der nicht demokratisch legitimierten Meerbuscher Dorf-Elite. Auf dieses Buch kann er keinen Einluss nehmen. Sollte er dies nach Erscheinen juristisch versuchen (lassen), dann ist dies ein Eingeständnis seiner schwachen Position. Ein Pfeiler der speziisch Meerbuscher »Basiserzählung« wird sich damit pulverisieren. Und wir werden er-leben, was mit deren weiteren Pfeilern geschieht. Für Büderich insbesondere der historische Kontext des HJ-Heims. Für Lank insbesondere die Gustav-van-Beek-Allee, benannt nach dem ReckenNS-Kollegen. Die – neue – Volks-Gemeinschat der speziisch Meerbuscher Dorf-Kultur bekommt Risse. Besser spät als nie. Gut für Gegenwart und Zukunt aller Menschen, die in Meerbusch leben. »Die Sprache ist eine Wafe. Haltet sie scharf.« Kurt Tucholsky Ernst Klee u.a. (HRSG), »Schöne Zeiten«, Judenmord aus der Sicht der Täter und Gaffer, Frankfurt a.M., 1988 14 | Die Entstehung des Buches Die Gemeinden Osterath sowie Büderich und Lank bis 1945: Katholische Dörfer mit Minderheiten Die Gemeinde Osterath als eigenständige Kommune existierte bis 1970. Dann wurde die Stadt Meerbusch durch die Zusammenlegung der Gemeinden Büderich, Lank und Osterath gegründet. Ursprünglich gehörte das gesamte heutige Stadtgebiet zum Amt Linn des Kurfürstentums Köln. In der napoleonischen Zeit zum Department Rur, dem Arrodisment Krefeld, wobei Büderich zum Kanton Neuss, die übrigen Ortsteile zum Kanton Uerdingen gehörten. 1816 wurde der preußische Regierungsbezirk Düsseldorf gebildet, der in seiner Form bis heute besteht und zu dem das gesamte Meerbuscher Stadtgebiet gehört. Bis 1929 gehörte dabei die Bürgermeisterei Büderich zum Kreis Neuss, die Bürgermeistereien Lank und Osterath zum Kreis Krefeld. 1929 kam es zur preußischen kommunalen Neuordnung, deren Ergebnis u. a. die Bildung des Kreises Kempen-Krefeld mit der Gemeinde Osterath und dem Amt Lank war. Für Büderich änderte sich nichts. Diese Verwaltungseinteilung bestand bis 1970. In der Zeit des NS-Terrorregimes wurden zu den bestehenden Verwaltungsgliederungen zum Ausgleich des Funktionsverlustes der Länder Provinzen eingerichtet. Wobei seit 1933 bis 1945 der Oberpräsident der Rheinprovinz, dem die Meerbuscher Gemeinden angehörten, mit Sitz in Koblenz der Gauleiter in Essen Terboven war, der gleichzeitig 1940 bis 1945 Reichsstatthalter in Norwegen war. Das heutige Meerbusch gehörte zum Gau Düsseldorf mit Friedrich Karl Florian als Gauleiter in Düsseldorf. Bezüglich der Zivilverwaltung und des Militärbezirks, der NS-Gliederungen sowie des SD-Abschnitts und der Gestapo war Düsseldorf zuständig. Wobei Osterath und Lank der GestapoAußendienststelle Krefeld zugeordnet waren. Verlechtungen, die in der Eisenbahnlinie Köln – Krefeld mit dem Bahnhof Osterath sowie der Straßenbahnlinie Düsseldorf – Krefeld über Büderich und Osterath ihren augenscheinlichen Ausdruck fanden. Büderich gehörte zum Bistum Köln und zum Dekanat Neuss. Osterath und Lank zum Bistum Aachen, wobei Lank dem Dekanat Krefeld und Osterath dem Dekanat Willich zugeordnet waren. Büderich gehörte zum evangelischen Kirchenkreis Düsseldorf und zur Gemeinde Heerdt-Oberkassel. Osterath und Lank waren dem evangelischen Kirchenkreis Mönchengladbach zugeordnet. Mit der Seidenweberei Stein kam es in Osterath ab 1892 zu einem Zuzug von protestantischen Arbeitern. In einem Raum des Werkmeisters der Firma Stein fand der erste evangelische Gottesdienst statt. 1939 besaß Osterath 80 evangelische Gemeindemitglieder. In der Osterather Zeitung am 18. 3. 1933 lesen wir: »Evangl. Gemeinde: Ein Festtag ist für die Osterather evangl. Gemeindemitglieder der kommende Sonntag. Mit eigenen Hilfskräten und aus eigenen Mitteln haben sie den zu kleinen Kirchenraum in Steins Fabrik an der Düsseldorferstraße vergrößert, so dass er in den nächsten Jahren den Bedürfnissen genügend sein wird. In einem Gottesdienst am 19. März, 5 Uhr, zu dem Herr Superintendent Becker, Rheidt, die Predigt zugesagt hat, wird er nun seiner erneuten Benutzung übergeben.« Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus und der Herrschat der Nationalsozialisten durch USamerikanische Einheiten Anfang März 1945, die Ende April 1945 durch Briten abgelöst wurden, kam es zur Bildung von Besatzungszonen, wobei das heutige Meerbusch zur britischen Besatzungszone gehörte. Die Meerbuscher Gemeinden liegen linksrheinisch zwischen den Großstädten Düsseldorf, Duisburg, Krefeld und Neuss. Aus dieser Lage ergeben sich die entsprechenden wirtschat lichen und politischen Aus: Verwaltungsatlas der Rheinprovinz und angrenzenden Landesteile, (Stand 1936), hg. v. Landeshauptmann der Rheinprovinz, Düsseldorf 1937, S. 2 Katholische Dörfer | 15 Der erste evangelische Gottesdienst in Büderich wurde im April 1920 in einem Raum von Schloss Meer durch Pfarrer Hötzel aus Düsseldorf-Heerdt ausgerichtet. Der Schlossherr von der Leyen war Protestant, damit Teil der kleinen Minderheit in Büderich. Neben Pfarrer Hötzel betreute Pfarrer Meyer aus Heerdt die Büdericher Gemeinde, die 1930 ein Haus an der Düsseldorfer Straße kaute und die 1932 eine Kapelle errichtete, BetlehemKapelle genannt. Für die beiden Repräsentanten der evangelischen Kirche galt das, was auch für die evangelische Kirche als Ganzes galt: Es ist eine »konservative Grundhaltung der im wilhelminischen – evangelisch bestimmten – Obrigkeitsstaat verwurzelten evangelischen Kirche in der Zeit der Weimarer Republik festzustellen, ihre starken Vorbehalte gegen das demokratische System und den Parteienstaat, die Verlechtung evangelischer Interessen mit der Politik der politischen Rechten, insbesondere der Deutschnationalen Volkspartei.« So Peter Dohms. Flugschriten in Gestapo-Akten, Siegburg 1977. S. 57. Pfarrer Hötzel gehörte zu den Gründern der DNVP in Düseldorf-Oberkassel. (Gisbert Jörg Gemein. Die DNVP in Düsseldorf 1918–1933. Diss. Köln 1969. S. 142) Pfarrer Gottfried Hötzel gehörte ab 1934 der Bekennenden Kirche an und wurde von deren Bruderrat gebeten, sich der evangelisch getauten rassisch Verfolgten anzunehmen. 1940 wurde er nach einem nicht-öfentlichen innerkirchlichen Vortrag bei der Geheimen Staatspolizei denunziert, die ihn verhaftete. Die politische Justiz verbannte ihn nach etwa drei Monaten Untersuchungshat nach Stuttgart, wo er am 9. August 1940 »plötzlich verstarb«. Begraben ist er auf dem Heerdter Friedhof. Jahr 1871 1925 1929 1933 1939 Büderich gesamt ev. Juden 1917 12 1 – 4661 279 2 – 5064 5598 6801 Amt Lank gesamt ev. Juden 3446 44 34 4 5198 138 5 32 5 5413 5359 199 12 5614 Osterath gesamt ev. Juden 2152 11 6 – 4096 157 36 4135 4211 4313 10 Anmerkungen: 1 = 1857, 2 = 1916, 3 = 1917, 4 = 1858, 5 = 1905, 6 = 1900 Bevölkerungsentwicklung – Nach Daten in Archivakten und Veröffentlichungen vom Autor zusammengestellt. 16 | Katholische Dörfer Der politische Mord war integraler Bestandteil der terroristischen NSDAP-Politik vor und nach 1933. Mörder waren zumeist Angehörige von SD, SS, SA oder Gestapo, nach 1933 dann quasi staatlich. Politik im nationalsozialistischen Verständnis umfasste alle NS-Interessen, auch – und insbesondere – die rein ökonomischen. Wie beim Mord an meinem Großvater. Zur Lanker evangelischen Kirche: »Erst seit dem 1. Advent 1924 fanden regelmäßige Gottesdienste alle vier Wochen in einem kleinen Saal des heutigen Gasthofes Postschänke, Ecke Kempener Alle / Hauptsstraße statt. Hierzu kam der evangelische Pfarrer aus Uerdingen. Aber schon 1928 wurde eine eigene Kapelle gebaut, unscheinbar inmitten einer Häuserzeile an der Ossumer Straße. Am 17. Februar 1929 wurde sie als ›Christuskirche‹ eingeweiht.« Konrad Theis und Hans Schluning (Hrsg.). Der Kreis Viersen am Niederrhein. Stuttgart 1978. S. 114. Osterath und Lank gehörten zur Synagogengemeinde Krefeld, Büderich zu Düsseldorf. Juden waren in Osterath und Lank, wo es auch Synagogen und jüdische Friedhöfe gab, alteingesessen. Der Lanker jüdische Friedhof besteht heute. In Büderich sind nach den Archivunterlagen erst ab 1900 Menschen jüdischen Glaubens nachweisbar. Es gab auch eine sehr kleine Minderheit Konfessionsloser. Und Zeugen Jehovas. Protestanten und Glaubens-Juden waren eine nur kleine Minderheit. In »Geschichte der Juden in Rheinland und Westfalen«. Köln 1998. S. 185, heißt es dazu: »So kam es am Niederrhein bisweilen zu unerwarteten Allianzen zwischen der protestantischen und der jüdischen Minderheit; das Motiv lag im gemeinsamen Groll gegen die übermächtige und wenig tolerante katholische Mehrheit.« Die wesentlichen Faktoren bezüglich der soziologischen Struktur der Bevölkerung und der Erwerbstätigkeit in Büderich waren: Die K-Bahn von Düsseldorf nach Krefeld, in deren Gefolge die Stromversorgung folgte und die Industriealisierung einsetzte – ab 1915 die Böhler-Stahlwerke, dadurch bedingt ein massiver Zuzug industrieller Arbeitskräte. Wohnungen wurden vom 1924 gegründeten »Gemeinnützigen Bauverein« errichtet. Die landwirtschat liche Produktion lag überwiegend im von den Franzosen zwangsweise eingeführten Zuckerrübenanbau und dem Gemüseanbau. Es gab in Büderich drei Getreidemühlen sowie ein Gaswerk. Die wesentliche ökonomische Bedeutung hatte das Stahlwerk der Firma Gebrüder Böhler & Co. Die Struktur der Beschät igten, aus der auf die soziologische Struktur der Bevölkerung geschlossen werden kann, sah für Büderich in der NS-Zeit wie folgt aus: 12,4 % Land- und Forstwirtschat 57,5 % Industrie und Handwerk 13,8 % Handel und Verkehr. Nach: Franz Schweren. Die wirtschaftliche Entwicklung des Kreises Grevenbroich seit dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Diss. Köln 1952, Anhang 2. In Osterath waren die wesentlichen Faktoren für die ökonomische Entwicklung die Bahnlinie Köln – Neuss – Krefeld mit dem Bahnhof in Osterath sowie die K-Bahn. 1929/30 wurde die Straße Kempen – St. Tönis – Willich – Osterath ausgebaut. In der Landwirtschat dominierte der Ackerbau, vor allem ein vielseitiger und intensiver Feldgemüseund Frühkartofelanbau. In Osterath gab es nach: Maria Eickers und Josef Wienands. Osterath unser Heimatdorf. Wattenscheid 1940 – zahlreiche kleinere und mittlere Unternehmen, u. a.: Strümper Straße Plattenfabrik Ostara (1933 versteigert), Krautfabrik Krefelder Straße Brauerei Bacher Düsseldorfer Sraße Seidenfabrik Walter und Lerecht Stein sowie Drahtseilfabrik Stoessel Willicher Straße Sauerkrautfabrik Ingerweg RWE Osterath war also auch bereits relativ stark industrialisiert, woraus auf eine ähnliche Struktur der Bevölkerung wie in Büderich geschlossen werden kann. In Osterath gab es nach einer Meldung in der Niederrheinischen Volkszeitung am 7. Februar 1933 70 Arbeitslose, in Lank 38; die Arbeitslosigkeit war unterdurchschnittlich. Erntedankfest 1934 in Osterath Lank war verkehrstechnisch überwiegend durch die M-Bahn von Düsseldorf nach Moers erschlossen. Die Industriealisierung hatte hier gerade erst richtig eingesetzt, so dass auf eine mehr bäuerliche Struktur vor allem in den Kleingemeinden wie z. B. Nierst geschlossen werden kann. Die politische Entwicklung lässt sich aus den Reichtagswahlergebnissen ablesen (s. Seite 18) Eine kurze Analyse der Reichtagswahlergebnisse in Büderich, Lank und Osterath: • Die KPD war in Büderich und Lank durchschnittlich vertreten, in Osterath stark überdurchschnittlich. Das ist für ein fast rein katholisches niederrheinisches Dorf sehr ungewöhnlich und war von den prominenten aktiven Osterather Kommunisten wie Anton Wienands abhängig. • Die SPD-Ergebnisse waren massiv unterdurchschnittlich. • Büderich, Lank und Osterath waren Zentrumshochburgen. Das Zentrum hatte aber massive Verluste bis zur Hälte ihrer Stimmenzahlen, bedingt auch durch die lokale rechts-katholische Konkurrenz. Und die Abwanderung zur Rechten und extremen Rechten. • Die DNVP konnte ihren Anteil kontinuierlich ausbauen, trotz ihrer Verluste auf Reichsebene. Die Ergebnisse lagen dann im Reichsdurchschnitt. • Die NSDAP-Ergebnisse waren unterdurchschnittlich. • In Osterath war bis 1932 die KPD stärker als die NSDAP. • 1933 war das Zentrum nur noch in Lank stärker als die NSDAP. Wenn die Bevölkerung ganz überwiegend katholisch war: Woher rekrutieren sich die NSDAP-Mitglieder in Osterath? Stahlhelm Osterath beim Exerzieren auf dem alten Sportplatz – neben dem aufgehobenen und bereits »umgelegten« jüdischen Friedhof Katholische Dörfer | 17 Die Gemeindeführung Osterath venbroich war es Erich Börger. Erich Diestelkamp wurde 1949 vom Schwurgericht Krefeld wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Die unterste staatliche Behörde war der Kreis. Nach 1933 gingen die Aufgaben des Kreistages und des Kreisausschusses auf den Landrat über. Das »Führerprinzip«, so dann auch in den Kommunen. Der Kreisleiter der NSDAP im Kreis Kempen-Krefeld, der bis zum 12. März 1938 mit der kreisfreien Stadt Viersen geführt wurde, war bis 1937 Heinrich Niem, der Sitz war in Kempen. Dann wurden die NSDAP-Kreise neu geordnet. Im neuen NSDAPKreis Krefeld-Kempen wurde Erich Diestelkamp Kreisleiter mit Sitz in Krefeld. Im Kreis Neuss-Gre- Partei Ort/Wahlkr. 1919 KPD Reich D’dorf-West Neuss Krefeld Duisburg Büderich Lank Osterath Reich D’dorf-West Neuss Krefeld Duisburg Büderich Lank Osterath Reich D’dorf-West Neuss Krefeld Duisburg Büderich Lank Osterath Reich D’dorf-West Neuss Krefeld Duisburg Büderich Lank Osterath Reich D’dorf-West Neuss Krefeld Duisburg Büderich Lank Osterath – – – – – SPD Zentrum DNVP/ Kampfbund Schwarz Weiß Rot NSDAP 18 | Katholische Dörfer 1920 1924a 1924b Bürgermeister und »Führer der Gemeinde« von 1933 bis 1945 waren in Büderich Daniels, in Lank bis 1933 Eugen Haiko Connemann, dann Gustav van Beek – nach dem in Strümp eine Straße benannt ist –, und in Osterath bis Ende 1933 Rudolf Bartels, dann Hugo Recken – nach dem in Osterath eine Straße benannt ist. Ortsgruppenleiter der NSDAP waren in Büderich hintereinander Walter Becker, Heinrich Stamm, Paul Stenz und Franz Orthmanns. In Lank hintereinander Otto Puhlmann aus Uerdingen, Albert Wand, Friedrich Kirchhof und Zimmermann. In Osterath bis 1941 Walter Panzer – mit einer kurzen, aber entscheidenden Unterbrechung 1934. 1942 wurde Dohmen Nachfolger von Panzer. 1928 1930 1932a 1932b 1933 13,3 17,7 19,9 14,8 25,1 11,9 9,3 22,8 24,5 11,8 8,2 14,6 15,0 7,8 3,9 3,6 14,8 30,7 41,0 30,5 20,1 51,8 49,3 35,1 7,0 5,9 3,7 4,2 5,5 5,0 9,5 7,5 18,3 16,8 9,7 15,1 17,9 9,1 16,3 16,2 12,3 15,5 16,9 14,3 21,3 9,9 6,7 18,5 18,3 9,1 6,0 10,3 12,2 7,0 2,7 4,0 13,9 30,4 34,8 27,0 21,6 35,6 45,8 32,4 8,0 8,0 4,9 8,3 8,5 9,5 9,2 9,2 43,9 35,2 35,6 37,9 33,7 36,3 35,3 35,2 2,0 – – 0 12,6 18,9 20,6 12,9 9,0 12,4 15,4 9,4 10,6 14,7 17,9 10,5 – – 37,9 – – – 21,6 26,6 36,7 10,6 18,3 8,3 12,9 29,9 20,5 9,7 6,1 11,0 8,0 8,3 24,6 26,0 13,9 9,2 15,3 7,2 6,8 21,0 29,8 17,2 10,3 20,4 15,0 15,9 19,7 21,9 15,4 2,1 17,8 61,3 43,0 50,6 40,6 8,5 3,0 0,9 16,6 40,7 46,1 42,9 7,5 4,2 2,9 17,4 43,1 50,6 43,3 9,6 8,7 5,9 15,2 35,6 43,1 34,3 78,9 82,5 10,3 70,4 83,8 57,5 15,1 – 2,6 – 3,2 68,6 64,8 55,1 19,5 10,8 6,4 6,5 68,5 75,5 49,1 20,5 11,3 5,7 6,6 64,1 63,5 43,1 14,2 10,7 5,9 5,8 0,8 0,4 – – – – 0,7 0,5 0,6 – – – – 4,4 9,7 8,1 6,5 2,6 – 2,1 4,9 7,3 5,1 3,0 0,9 – 0,7 5,6 7,7 6,8 2,6 1,2 1,1 1,8 – – – – – – 1,1 0,8 0,4 0,5 0,1 0,2 0,7 0,1 0,6 14,3 19,8 20,4 16,4 26,9 14,7 8,6 27,0 21,6 10,2 6,9 13,0 13,5 7,7 3,7 3,8 15,7 34,1 41,9 32,0 22,4 45,4 56,8 39,0 5,9 5,9 3,6 5,5 5,8 8,2 8,0 7,3 37,3 27,0 24,0 30,0 27,4 21,9 21,1 21,3 16,9 22,6 24,8 19,7 28,9 16,4 15,6 29,2 20,4 9,6 6,9 10,7 12,5 7,7 3,1 4,0 15,0 32,9 41,1 30,6 21,5 43,9 55,7 41,4 8,3 7,0 4,5 6,7 5,9 8,0 8,1 6,9 33,1 24,2 19,7 26,6 24,7 20,9 16,2 17,4 Die Reichstagswahlen in Meerbusch – Zusammenstellung des Autors aus Archiv-Akten, Zeitungen und Veröffentlichungen. In den Meerbuscher Geschichtsheften 1 (1984) veröffentlicht. Kreisarchiv Viersen: Kreis Viersen-Kempen der NSDAP Walter Panzer war ein alter Kämpfer: Am 28. Dezember 1925 in die NSDAP eingetreten, hatte er die Mitgliedsnummer 26296. In den drei Gemeinden waren die Gliederungen der NSDAP vertreten sowie das Zellen- und Blockleitersystem voll ausgebaut. Vor 1933 war die NSDAP im Kreis KempenKrefeld eine kleine Minderheit. Bevor am 23. Januar 1933 eine eigene Kreisorganisation unter Heinrich Niem zusammen mit der kreisfreien Stadt Viersen gebildet wurde, »galt unser Gebiet für den Gauleiter als ›dunkler Punkt‹ im Geschehen des Gaues Düsseldorf«, so »Rückblick auf den Kreis KempenKrefeld 1933–1938«, S. 10. »Dunkler Punkt« als Anspielung auf »Schwarz« im Sinne von Katholizismus und Zentrumspartei. Mitgliederzahl stieg bis 1938 auf 9.500, davon waren 1.878 politische Leiter, rund 1.000 SA-Leute, einige Hundert SS-Angehörige sowie 5.795 Walter und Warte. Weiter gab es 32.350 Mitglieder der NSV sowie 34.000 Mitglieder der DAF – beides nicht an eine NSDAP-Mitgliedschat gebunden. Deswegen gern gewählt, um Systemtreue ohne Parteimitgliedschat zu demonstrieren. In Lank wurde Anfang 1932 mit sieben Parteimitgliedern ein der Ortgruppe Osterath unterstellter Stützpunkt unter Richard Urbas gegründet. Der »Nach Hitlers Ansicht soll die Partei klein sein.« Konrad Heiden. Hitler. 1936. Bd. 1. S. 122. Anfang 1933 gab es 19 Ortsgruppen mit 734 Parteimitgliedern. Nach dem 30. Januar 1933 traten in kurzer Zeit 4.370 Personen in die NSDAP ein, wie Hugo Recken und später Johannes Herbrandt. Die Schützenkönig Osterath mit Anhang – im Hintergrund Ortsgruppenleiter und SA-Führer Katholische Dörfer | 19 Ortsgruppenleiter Organisationshandbuch der NSDAP: Der Ortsgruppenleiter der NSDAP Adj. SA. Schulungsleiter Organisat.leiter PresseBeauftragter Kassenleiter NSKK. HJ. Statistik Personalamtsleiter NSFK. Ausbildungsleiter Hilfskassenobmann Propagandaleiter Geschäftsführer Kultur Rundfunk Fillm nur bei Notwendigkeit landwirtsch. Fachberater NSKOV. NSBO. NS.Frauenschaft Amt für Volkswohlfahrt mittelbar betr. Org. Kameradschaft Reichsnährstand angeschl. Verband nur bei Notwendigkeit DAF. u. Kdf. NSV. Deutsches Frauenwerk angeschl. Verband angeschl. Verband angeschl. Verband Parteizellen Parteiblocks örtliche Polizeidezernent Senger, gleichzeitig örtlicher Zentrumsvorsitzender, ging massiv gegen die Flugblattverteilungen der Lanker Nationalsozialisten vor. Dies wurde vom Gendarmeriewachtmeister Füßel unterlaufen, der die Nationalsozialisten regelmäßig warnte und bezeichnenderweise später entsprechend scharf gegen Lanker Kommunisten vorging. Am 30. Januar 1933 wurde der Stützpunkt – nachträglich, also symbolisch – in eine Ortsgruppe umgewandelt. Ortsgruppenleiter wurde Kuhlmann. »Das Führerprinzip durchläut die Partei von oben bis unten. Grundsätzlich wird keine Organisation, keine Gliederung, keine Gruppe ins Leben gerufen, bevor ein geeigneter Mann als Führer gefunden ist.« Konrad Heiden. Hitler. 1936. Bd. 1. S. 122. In Osterath führte der örtliche Vertrauensmann der NSDAP Walter Panzer – nomen est omen – am 5. September 1930 eine erste öfentliche Versammlung durch. Die Parteigründungsversammlung, bei der Panzer Stützpunktleiter wurde, fand am 10. Dezember 1930 statt. Ende 1930 gab es in Osterath zehn NSDAP-Mitglieder. Im April 1931 wurde unter Ludwig Hever der SA-Sturm Osterath gebildet, zu dem auch Willich, Schiebahn und Lank-Latum gehörten. Ende 1931 hatte die NSDAP in Osterath 25 Mitglieder. Ortsbauernführer in Osterath war Karl Sassen. Osterather Nationalsozialisten beteiligten sich an heimlichen Schießübungen in einer Kiesgrube bei Willich-Schiebahn. Als ein unbeteiligter Radfahrer angeschossen wurde, kamen diese Aktivitäten an die Öfentlichkeit. Für die bekannten Beteiligten folgenlos. Der – bürokratische – Rechtsstaat in Person von zuständigen Polizisten sowie Staatsanwälten und Richtern hatte bereits vor dem 30. Januar 1933 aufgehört zu leben, eine Vorab-Gleichschaltung betrieben, was den Nationalsozialisten zusätzlichen Rückenwind gab. Unabhängig von quantitativen – Anzahl – und qualitativen Qualii kationen für Führungspositionen aller gesellschat licher Institutionen – Aspekten. Die katholische Geistlichkeit war immer eng mit der Zentumspartei verbunden. »Als Organisator, Einberufer, Redner und Kandidat führten die Pfarrer und Kapläne, die katholischen Lehrer und Rektoren und andere der katholischen Kirche verbundenen Personen die Wahlkämpfe des Zentrums. Ihnen wurde deutlich bewusst, dass unpolitische Tradition bei den Zentrumswählern gegen politische Überzeugungen bei anderen Parteien stand. Energische Anstrengungen insbesondere die ›katholische Aktion‹, eine Mobilisierung aller katholischen Vereine, kamen zu spät.« Konrad Theiss und Hans Schluning (Hrsg.). Der Kreis Viersen am Niederrhein. Stuttgart 1978. Firma Stein in Osterath, Mai 1934 20 | Katholische Dörfer Die Allianz von katholischer Geistlichkeit und katholischer Gemeindeelite wollte die – politische – Macht als Selbstverständlichkeit, bedingt durch die konfessionelle Struktur: fast ausschließlich katholisch. Den gesellschat lichen Wandel verstanden sie nicht und dass Menschen sich auch anders als von ihnen verordnet orientieren könnten. Sie konnten ausschließlich in ihren ideologischen Kategorien denken und handeln, ausschließlich ihre eigenen Interessen – gegen alle anderen Ehrung mit Flagge und Hitlergruss Gruppen – vertreten. So war dann eine »Öfnung« in die – katholische – Gesellschat unglaubwürdig, daher ohne Erfolg. Denn diese »Öfnung« hatte lediglich die Konservierung der bestehenden – katholischen – Verhältnisse zum Ziel. Und wozu sollte auch mobilisiert werden? Gab es doch einen starken Rechts-Katholizismus, der große ideologische Schnittmengen mit der NS-Ideologie hatte – bis hin zum Antisemitismus. Personiiziert ist dies durch den Nazi-Kaplan in Osterath Hilmer. Und die rechts-katholische ZentrumsAbspaltung »Gerechter Ausgleich«, die in Osterath bei Kommunalwahlen zu Lasten des Zentrums Erfolg hatte. Was dann folgerichtig war: Nach dem 30. Januar 1933 sind die Gemeinderatsmitglieder von »Gerechter Ausgleich« schnell zur NSDAPFraktion übergetreten. Und der »Stahlhelm« war auf allen Ebenen Bündnispartner der NSDAP – bis er später selber ausgeschaltet wurde. Für die NS-Zeit: Lothar Klouten. Kirche und Katholiken im Raum des heutigen Meerbusch während der Zeit des Nationalsozialismus. Volkshochschule Meerbusch 1988 (Meerbusch im Unterricht). Darstellung mit Quellen, pädagogischer Begründung und Quellenangaben. Daraus: »Die Zentrumspartei Der politische Arm des Katholizismus, die Zentrumspartei, die im Raum des heutigen Meerbusch eine Hochburg hatte, verlor aufgrund der Konkordatspolitik des Vatikans, die auf eine Preisgabe des Zentrums zur vermeidlichen Sicherung kirchlicher Rechte hinauslief, auch hier im März 1933 jede Bedeutung, um sich dann im Juli 1933 selbst aufzulösen.« »Nazi-Kapläne In Osterath amtierte 1930 bis 1933 Kaplan Peter Hilmer.« »Osterather Geistliche und Gläubige Pfarrer in Osterath waren 1923–1938 Ludger Pörting, 1938–1955 Joseph Hövelmann. Hövelmann stellte in seiner Chronik besonders heraus, dass der Weihbischof bei einem Besuch 1939 mit ›Grüß Gott‹ willkommen geheißen wurde, und er schreibt von einer ›gut besuchten Festandacht im Sinne des Priestertums‹. Kaplan Josef Conrads wurde bei der Gestapo Düsseldorf 1935 wegen des Verdachts staatsabträglicher Äußerungen in einer Predigt aktenkundig und 1942 versetzt. Zwölf Osterather Bürger wurden bei der Gestapo Düsseldorf wegen eines Verstoßes gegen das Reichlaggengesetz aktenkundig: Sie hatten anlässlich der Fronleichnamsprozession 1938 an ihren Häusern rot-weiße Kirchenfahnen aufgehängt.« Die katholisch-dörliche Entwicklung ist in den Lokalzeitungen nachvollziehbar. Am 26. September 1931 erschien die erste Ausgabe der »Katholische Volkswacht für die Bürgermeistereien Osterath, Büderich, Lank und Kaarst«. Ab dem 1. November 1931 erschien sie unter dem Titel »Osterather Zeitung. Amtliches Mitteilungsblatt der Gemeinde Osterath, verbunden mit dem Osterather Anzeiger und der Katholischen Volkswacht«. Bürgermeister Rudolf Bartels hatte also – politisch – entschieden, dieses neue katholische Lokalblatt zum amtlichen Mitteilungsblatt der Gemeinde Osterath zu machen. In der Rheinischen Post am 5. Februar 1988 lesen wir unter der Überschrit »Katholische Volkswacht in Osterath gedruckt: ›Die deutsche Frau schminkt sich nicht‹«: »Die Bände kamen eigentlich mehr zufällig ans Licht. Angelika Schischke, seit zehn Jahren Chein der Druckerei Hamacher in Osterath, hatte gar keine Ahnung gehabt, welche verstaubten Schätze auf dem Dachboden ihres Hauses lagern. Mit der Nase darauf gestoßen wurde sie von einem Studenten.« Der Student war ich und wohnte etwa hundert Meter entfernt. Wie vom alten Rathaus Osterath, wo ich die Einwohnermeldekarten der Gemeinde Osterath bis 1945 entdeckte. Herausgeber der bis zum 27. Juni 1936 erscheinenden Zeitung – also vier Jahre und neun Monate, zweimal wöchentlich: d. h. 114 Ausgaben – war Hubert Karl Meyer, geboren am 24. Mai 1888. Das Original beindet sich in der ehemaligen Druckerei Hamacher in Osterath, Ingerweg 2, das Stadtarchiv Meerbusch hat eine Mikroveri lmung erstellt. Hubert Karl Meyer wurde bei der Gestapo 1935, 1939 und 1940 wegen »staatsabträglicher Äuße- Katholische Dörfer | 21 rungen« aktenkundig: RW 58-25749 und D.33054. Begründung: »Heimtücke« und »Opposition«. 1938 wurde er aus der Berufsliste der Schrit leiter gestrichen, erhielt also Berufsverbot. Nach der Befreiung von Osterath am 1. März 1945 durch US-amerikanische Einheiten nahm er seine journalistische Tätigkeit wieder auf. Dabei trat er durch Artikel gegen den vom US-Ortskommandanten im April 1945 eingesetzten evangelischen Bürgermeister Rudolf Bartels hervor. Auf der Titelseite der Erstausgabe am 26. September 1930 lesen wir die progammatische Erklärung des Herausgebers Hubert Karl Meyer: »Dem gläubigen Volke werde ich berichten über die Versuche des Unglaubens, in unsere gottgläubigen Gegenden einzubrechen.« Dies am 26. September 1930, nachdem der spätere NSDAP-Ortsgruppenleiter Panzer am 5. September 1930 die erste öfentliche NSDAP-Veranstaltung in Osterath durchgeführt hatte. Wenn ein Glaube auf dem ureigensten Feld Konkurrenz erhält, dann gibt es eine Gegenreaktion. Gegen »die insteren Mächte, die nicht aus Gott sind ... hier kenne ich keine Toleranz und keine Rücksichten! ... Mein Kampf gilt dem Unglauben überall.« Die Übernahme der Formulierung »Mein Kampf« ist bezeichnend. Und gilt »Mein Kampf« auch Protestanten und Juden, allen Minderheiten? Und was passiert, wenn aus der – bekämpten – Minderheit der Nationalsozialisten »der Kaiser« wird? Osterather Zeitung 26. September 1930: An meine Leser 22 | Katholische Dörfer In der Osterather Zeitung vom 25. März 1933 steht geschrieben: »Kirchliche Gründungsfeierlichkeiten der kath. Jungschar und Sturmschar. Am kommenden Sonntag indet Nachmittags ½ 3 Uhr die feierliche Gründung der Jungschar und Sturmschar statt. Diese Sturmscharen sollen durch die Schule der harten Selbsterziehung gehen, um treue und begeisterte Glieder ihrer Kirche und ihres Vaterlandes zu werden. Sie wollen zeigen, dass katholischsein und deutsch-sein kein Widerspruch ist, dass vielmehr der katholische Jungmann auch der opferbereite Diener seines Vaterlandes ist und sich aus der religiösen Haltung heraus die Krat holt, sich ganz seinem Volke und seinem großen deutschen Vaterlande zu weihen! Die Aufnahme wird von Pfarrer Pörting vorgenommen. Die Predigt hält der Präses, Kaplan Hilmer. – Der Kirchchor wird unter Leitung des Organisten Tepel die Feier durch den Vortrag verschiedener Werke verschönern. – Da diese Feierstunde mit der gewöhnlichen Sonntagsandacht zuammenfällt, wird der Besuch ein starker sein.« Ein wenig pointiert formuliert: Gegründet wurde die rechts-katholische HJ. In der Folgeausgabe der Osterather Zeitung ist zu lesen: »Kirchliche Gründung einer Jungschar und Sturmschar. Am vergangenen Sonntag wurden in einer erhebenden Feier die Jungschar und Sturmschar des katholischen Jünglingsvereins gegründet. In ihren schmucken Kitteln versammelten sich die Jungen vor dem Jugendheim und zogen im geschlossenen Zuge unter Vorantritt des großen Christusbanners zur Kirche. Nach dem schönen Vortrag des Ave Maria durch den Kirchenchor unter der Leitung des Organisten Tepel hielt Kaplan Hilmer eine großangelegte Predigt über das Wollen, den Geist und die Arbeit der Jungsschar und Sturmschar, die tiefen Eindruck auf die zahlreich erschienenen Gläubigen machte. Nach der Predigt gruppierte sich die Schar um den Altar, um das Glaubensbekenntnis abzulegen; darauf wurde jedem Einzelnen von Pfarrer Pörting und Assistenz der Kapläne Brandenburg und Hilmer das Christusabzeichen angehetet. Mit viel Begeisterung sangen Jungschar und Sturmschar ihr Christuslied. Der sakramentale Segen und das Lied ›Fest soll mein Taubund immer stehen‹ beschloß die ergreifende Feier, die allen Anwesenden noch lange in Erinnerung bleiben wird.« Was fällt auf? Die gesamte Osterather katholische Geistlichkeit war beteiligt. Die Mitglieder des rechts-katholischen HJ waren dann schnell in der Original-HJ. Am 3. Mai 1933 berichtet die Osterather Zeitung über eine Rede von Kaplan Hilmer beim »Fest der Nationalen Arbeit« am 1. Mai 1933: »Alle Arme heran, um Adolf Hitlers Ziele zu erreichen.« Am 5. Mai berichtet die Osterather Zeitung: »Das Fest der nationalen Arbeit wurde auch in unserer Gemeinde gebührend gefeiert. Straßen und Häuser waren festlich geschmückt und überall sah man reichen Flaggenschmuck. Am Vorabend versammelten sich die Abordnungen und Formationen auf dem Kirmesplatze, um die Maitanne am Bovert abzuholen und zum Sportplatz zu überführen. Bei einem kurzen Festakt erfolgte dort die Aufstellung derselben, wobei Ortsgruppenleiter Panzer in einer Ansprache auf die Bedeutung dieses sinnreichen alten Brauchs verwies. Herrlicher Frühlingssonnenschein war dem Feiertag, dem 1. Mai, beschieden. Die Betriebsgemeinschaten versammelten sich Osterather Zeitung 31. Mai 1933: Kaplan Hilmer auf der Schlageter-Feier in Düsseldorf morgens in ihren Betrieben zu einer kurzen Feier, wobei die Verplichtung der neuen Vertrauensmänner erfolgte. Bei der Firma Walther & Lebrecht Stein A-G. nahmen auch Ortsgruppenleiter Panzer und Propagandaleiter van Well an dieser Feier teil. Die Feuerwehrkapelle spielte den Einleitungsmarsch, worauf Herr August Stein besonders den Ortsgruppenleiter herzlich begrüßte. In feierlicher Handlung verplichtete er dann den neugewählten Vertrauensrat der Firma. Betriebszellenobmann Matthias Dörper dankte dann für das entgegengebrachte Vertrauen und versprach, immer nach dem Grundsatz ›Gemeinnutz vor Eigennutz‹ handeln zu wollen zum Wohle der Firma und der Belegschat. Ortsgruppenleiter Panzer dankte für die Einladung und wünschte der Firma einen weiteren erfolgreichen Aufstieg. Rechtsanwalt Kauf mann gab kurz die Richtlinien des neues Arbeitsgesetzes bekannt, worauf er ein dreifaches Sieg-Heil ausbrachte und das Deutschlandlied anstimmte. Herr August Stein schloß hierauf die Feier mit dem Wunsche nach einem guten Arbeitserfolg. In der Pfarrkirche wurde um 8 Uhr ein Hochamt zur Erhaltung des Segens für Volk und Vaterland gehalten. Um 10 Uhr ver- Katholische Dörfer | 23 Ortsgruppenleiter Adj. SA. Schulungsleiter Organisat.leiter Kassenleiter PresseBeauftragter Hilfskassenobmann Propagandaleiter Geschäftsführer Kultur Rundfunk Fillm NSKK. HJ. Personalkartei wird v. Ortsgruppenleiter persönl. geführt Statistik Marschblockleiter Nr. 54 nur bei Notwendigkeit landwirtsch. Fachberater Handwerk u. Handel NSBO. Amt für Volkswohlfahrt NS.Frauenschaft DAF. einschl. Kdf. NSV. Deutsches Frauenwerk angeschl. Verband angeschl. Verband angeschl. Verband Der Ortsgruppenleiter der NSDAP 1937, grafische Darstellung der horizontalen Gliederung der Ortsgruppe mittelbar betr. Org. nur bei Notwendigkeit Reichsnährstand nur bei Notwendigkeit Parteizellen Parteiblocks sammelten sich die Formationen auf dem Schulhofe Bovert zu einem Festzug durch den Ort, worauf die Betriebsgemeinschaten in der Lokalen bei Freibier, Musik und Tanz in echter Kameradschat frohe Stunden erlebten. Nachmittags maschierten die Formationen nochmals vom Sportplatz zum Saale Dörper, wo die Übertragung der Führerrede gehört wurde. Bei frohem Tanz in allen Sälen fand der denkwürdige Tag seinen Abschluss.« Horst Klemt schreibt zu Kaplan Hilmer (S. 41): »Er war ein frühes Mitglied der NSDAP und trug das Parteiabzeichen an seinem schwarzen Rock ... Er sprach am 9. November (1933, LK) im Saal Dörper lankiert von SA-Männern über den NS-Putsch an der Feldherrenhalle in München (1923, LK). Danach suspendierte ihn der Bischof vom Dienst und gab ihm später die Stelle eines Geistlichen in einer Strafanstalt.« Bereits am 1. Mai 1933 ist in Osterath die katholischnationalsozialistische dörliche Volksgemeinschat in Takt – und im Takt. Und: Im Sinne des NSDAPProgramms »Gemeinnutz vor Eigennutz« – für die der Volksgemeinschat zugezählten Menschen und nach dem Führerprinzip als selbstverständliche eigeninitiative Realisierung des Kernziels: die Ermordung aller »Gemeinschatsfremden«, zuvorderst die willkürlich als »Juden« dei nierten Menschen. Die vernetzte NS-Ideologie. In der Osterather Zeitung am 24. November 1934 ist zu lesen: »Kaplan Hilmer ist jetzt zum Kaplan an St. Fronleichnam in Aachen ernannt worden.« Am 31. Mai 1933 lesen wir in der Osterather Zeitung (siehe Artikel auf Seite 23): »Die perfekte Symbiose von Rechts-Katholizismus und Nationalsozialismus, vereinte Glauben in Schlageter und damit im »Führer«: Eine Kultur des Todes.« 24 | Katholische Dörfer Warum reagierte der Aachener Bischof so? Kaplan Hilmer war über die vom Aachener und anderen Bischöfen gewünschte Kollaboration mit den Nationalsozialisten zu einer ofenen Symbiose mit ihnen übergegangen. Da dies öfentlich geschah, musste er aus der Öfentlichkeit entfernt werden. Andernfalls, wenn er »nur« persönlich vor Ort z. B. mit Ortsgruppenleiter Panzer kollaboriert hätte, wäre der Bischof nicht tätig geworden. Pfarrer Pörting und Kaplan Brandenburg wurden vom Bischof nicht gemaßregelt. Ca. 8 % der Osterather waren NSDAP-Mitglieder, entsprechend der Einwohnerstruktur ganz überwiegend Katholiken. Ein unterdurchschnitt- licher Wert. Der nichts über die qualitative Seite der NSDAP-Mitgliedschat aussagt. Denn: In der von führenden Osterather Nationalsozialisten 1945 auf Veranlassung des Ortkommandanten erstellten NSDAP-Mitgliederliste – die im Stadtarchiv Meerbusch und im Kreisarchiv Viersen überliefert ist – inden wir neben Hugo Recken und Johannes Herbrandt einen guten Teil der katholischen Dorfelite Osteraths. Wie Schulrektoren und Lehrer sowie weitere bekannte Persönlichkeiten. Dafür ist ein 1940 veröfentlichtes Buch der Osterather Nationalsozialistin und Lehrerin an der katholischen Dorfschule Osterath Maria Eikers gemeinsam mit dem aktiven Osterather Nationalsozialisten und Lehrer an derselben Schule Josef Wienands mit »Zum Geleit!« des Osterather Nationalsozialisten und Leiters dieser Schule Hans Neuer sowie einem Vorwort von Pg. und Bürgermeister Hugo Recken »Erblicken wir alle in diesem Heimatbuch einen Wegweiser zur echten Volksgemeinschat«, mit dem Titel »Osterath unser Heimatdorf« symbolisch für die intensive Vernetzung von Osterather katholischer Gemeindeelite und Osterather Katholischen Nationalsozialisten. Im Buch lesen wir: »Feiertage des deutschen Volkes Der Führer hat Geburtstag Am 20. April hat der Führer Geburtstag ... Da freut sich der Führer. Er weiß, dass das Volk ihn gern hat. Alle Deutschen wünschen ihm ein langes Leben und Krat zu seiner schweren Arbeit für das Vaterland. Hitler ... Gott rief eines Volkes Seele, und diese Seele bist du. Von den Germanen Zeichen: ... Hakenkreuz als Siegeszeichen Das Hakenkreuz im weißen Feld auf feuerrotem Grund Gibt frei und ofen aller Welt die hochgemute Kunde: Wer sich um dieses Zeichen schart, ist deutsch mit Seele, Sinn und Art und nicht bloß mit dem Mund. Die Adolf-Hitler-Straße ... Erzähle aus dem Leben Adolf Hitlers! Unsere Kirche erzählt! ... Nun aber schau ich wieder froh auf Osterath, da die Menschen auch hier wieder froh geworden sind, da sie seit 1933 durch unseren Führer Adolf Hitler Arbeit und Brot gefunden haben. Jetzt ist wieder Krieg. Hunderte Osterather sind gegen unsere Feinde ausgezogen. Es gilt nur noch, Deutschlands letzten Feind, England, niederzuringen. Unsere Truppen stehen nach glorreichen Siegen in Polen, Dänemark, Norwegen, Holland, Belgien und Frankreich vor Englands Toren. Auch dieser Feind wird besiegt. Dann läuten meine Glocken vom großen Sieg und langem Frieden. Wie die Gemeinde verwaltet wird Der Führer der Gemeinde ist der Bürgermeister. Unser jetziger Bürgermeister heißt Hugo Recken ... Für den Krieg werden jung und alt im Lutschutz ausgebildet. Adolf Hitler, Führer und Reichkanzler Wie er das Vaterland regiert ... wie der Bürgermeister in der Gemeinde, so hat der Führer im großen deutschen Vaterland viele Helfer. Wie Osterath Führer und Helden ehrt Jeder in unserer Gemeinde weiß, wie gut der Führer schon für das ganze deutsche Volk gesorgt hat. Alle sind ihm dankbar. Unser Kriegerdenkmal 1938 lebten 4.418 Einwohner in 1.186 Haushaltungen, die in 6 Zellen und 30 Blocks aufgeteilt waren. Etwa 30 % der Parteigenossen übten eine aktive Tätigkeit für die NSDAP oder eine ihrer Untergliederungen aus. Das bedeutet für Osterath ca. 75 aktive Nationalsozialisten, davon gut die Hälte Politische Leiter. »Politischer Leiter« als stellvertretender Blockleiter eines der Blocks war ab 1937 Johannes Herbrandt. »Die Hochburgen der Loyalität sind das Kleinbürgertum und die gehobenen Mittelschichten in der Provinz.« Sebastian Haffner. Jekyll & Hyde. 1939. Wie sich 1931 ein »von antisemitischen Stereotypen seiner Umwelt geprägter Neunjähriger ›Juden‹ vorstellt«: »Ich hatte noch keinen Juden gesehen, doch aus den Gesprächen der Erwachsenen schon viel über sie erfahren: Die Juden hatten alle eine krumme Nase und schwarze Haare und waren Schuld an allem Schlechten in der Welt. Sie zogen den ehrlichen Leuten mit gemeinen Tricks das Geld aus der Tasche und hatten die Krise gemacht, die meines Vaters Drogenhandlung abzuwürgen drohte, sie ließen den Bauern das Vieh und das Korn wegholen und kauten von überall her Getreide zusammen, gossen Brennspiritus darüber und schütteten es dann ins Meer, damit die Deutschen verhungern sollten, denn sie hassten uns Deutsche über alle Maßen und wollten uns vernichten.« Franz Führmann. Das Judenauto. Vierzehn Tage aus zwei Jahrzehnten. Berlin 1969. S. 8. Katholische Dörfer | 25 Von Osterather NSDAP-Funktionären auf Befehl des US-Ortskommandanten Sewell erstellte NSDAPMitgliederliste im April 1945 26 | Katholische Dörfer Katholische Dörfer | 27 Stadtarchiv Düsseldorf: Mitglieder der N.S.D.A.P.-Fraktion der Landgemeinde Osterath 28 | Die erste Intrige 1933: Die erste Intrige gegen den evangelischen Bürgermeister Rudolf Bartels Wie der Katholik Hugo Recken durch die dazu instrumentalisierten Nationalsozialisten Bürgermeister in Osterath wurde und sein Sieg über die örtlichen NSDAP-Funktionäre sowie die geschichtswissenschaftliche Bewertung ter Panzer und dem Führer der SA der Ortsgruppe Ludwig Heyer sofort gesagt, dass das Hissen der Flagge stattinden könne, unter der Bedingung, dass zugleich mit der Hakenkreuzfahne auch die schwarz-weiss-rote und die schwarz-weisse Flagge am Rathaus gezeigt würden.« »Bist alsobald und fort und fort gediehen, Nach dem Gesetz, wonach du angetreten.« Am 15. April 1933 ist in der Osterather Zeitung zu lesen: Johann Wolfgang von Goethe »Unsere Vorgänger waren 14 Jahre an der Macht. Nun werden wir sehen, ob wir so lange durchhalten können.« Hermann Göring am 30. Januar 1933 Nach: Sebastian Haffner. Jekyll & Hyde. 1939. S. 59. Rudolf Bartels, geboren am 9. März 1878 in Wesel, war seit 1918 Bürgermeister in Osterath. Er war evangelisch, Demokrat und trat nach dem 30. Januar 1933 nicht in die NSDAP über. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde er vom Gemeinderat Osterath sowie Kreistag Krefeld jeweils einstimmig zum Bürgermeister von Osterath gewählt. LAV NRWR, BR 0007, Nr. 32365 Wer sich nicht – äußerlich – anpasst, der wird aus dem Amt genötigt. Die politische Strategie: Unregelmäßigkeiten in der Amtsführung »feststellen« und dann so lange den Druck erhöhen, bis der Betrofene »freiwillig« geht – oder gegangen wird. Die konkrete strategische Methode in Osterath: Bildung eines NSDAP-Untersuchungsausschusses des Gemeinderates. Dieser Gemeinderat bestand dann ausschließlich aus acht Nationalsozialisten, weil die Gemeinderatsmitglieder der anderen Parteien illegal ausgeschlossen, ja wie Anton Wienands im KZ waren, oder zur NSDAP-Fraktion übergetreten waren, wie die von »Gerechter Ausgleich«. In einer Prozessakte des Landgerichts Krefeld inden wir eine Eidesstattliche Versicherung von Rudolf Bartels vom 3. April 1933 zu Geschehnissen am 10. März 1933: »... dass ich, als eine Abordnung der Nationalsozialisten, zu denen sich dann noch der Führer des Stahlhelms gesellte, zu mir kam, um mir vorzuschlagen, aus Anlass des Wahlerfolges der Nationalsozialisten die Hakenkreuzfahne zu hissen, den betrefenden Herren, und zwar den Ortgruppenlei- »Untersuchungsausschuss Der Untersuchungsausschuss Osterath teilt mit, dass bei der Überprüfung der Verwaltung Unstimmigkeiten verschiedenster Art festgestellt wurden, und bittet die Bevölkerung, den Untersuchungsausschuss-Mitgliedern ungeklärte Angelegenheiten persönlicher Art zu übermitteln. Die Angaben können entweder bei den Untersuchungsausschuss-Mitgliedern Walter Panzer ... Wilhelm Bäcker ... Julius van Kessel ... Josef Lenssen ... Lorenz Schnapp ... oder Dienstags und Freitags in der Zeit von 11–12 Uhr im Bürgermeisteramt Zimmer 5 gemacht werden.« Zimmer 5 im Rathaus war das Partei-Büro der NSDAP-Ortsgruppe Osterath. Wie es in Zeit-Dokumenten heißt: »Einheit von Partei und Staat.« Die Einwohner von Osterath wurden zur Denunziation von Bürgermeister Rudolf Bartels aufgefordert. In »seinem« Rathaus – als Machtdemonstration. Denunziation aus der Mitte der Gesellschat war ein Herrschatsinstrument der Nationalsozialisten, das deswegen sehr efektiv war, weil viele Menschen keiner Auforderung zur Denunziation bedurten. Die NS-Ideologie war in der breiten Mitte der Gesellschat. Das »Bauernopfer« in der Intrige gegen Bürgermeister Rudolf Bartels war Gemeinderentmeister – Gemeindeinanzchef – Schweigerer. In einem Schreiben zu dessen Zwangsbeurlaubung formuliert Bartels am 9. Mai 1933 gegenüber dem Vorsitzenden des Kreisausschusses Kempen-Krefeld (KK 1022 Bl. 142): »... weil mir die Unterlagen nicht zur Verfügung stehen. Diese beinden sich heute noch bei der hiesigen Ortsleitung der N.S.D.A.P.« Darin nimmt Bartels u. a. Bezug auf ein Schreiben des Osterather Ortgruppenleiters Panzer an Schweigerer. (KK 1022 Bl. 164) Die erste Intrige | 29 Ortsgruppenleiter Panzer 08. 05. 1933 an Schweiger Der »Bericht« des NSDAP-Untersuchungsausschusses (KK 1022 Bl. 190 –192) mit einer Liste von Behauptungen gegen Bürgermeister Rudolf Bartels geht am 2. Juni 1933 auf dem Postweg an den Landrat im Kempen: »Der vom Gemeinderat eingesetzte Untersuchungsausschuss beantragt hiermit, gegen den Herrn Bürgermeister Bartels, Osterath, ein Disziplinarverfahren auf Grund der in dem beiliegenden Protokoll gemachten Feststellungen einzuleiten.« (Bl. 201) Am 11. Juni 1933 erscheint im »Generalanzeiger für Dortmund« ein lancierter Artikel: »Nur Schulden machte er Disziplinarverfahren gegen Bürgermeister von Os- 30 | Die erste Intrige terath. Vom Prüfungsausschuss für Verwaltungsgeschäte ist ein Antrag auf Einleitung des Disziplinarverfahrens gegen Bürgermeister Bartels gestellt worden, der die kaum 4.000 Einwohner starke Gemeinde auf eine Schulenlast von über 1,5 Millionen heruntergewirtschatet hat, Bartels ist einer der fanatischsten Zentrumsbonzen und Feinde der NSDAP, die jemals einen Bürgermeistersessel am Niederrhein gedrückt haben.« Der Charakter des Artikels wird auch dadurch deutlich, dass Bartels nie Mitglied der Zentrumspartei war – im Gegensatz zu Hugo Recken. Es geht um Wirkung – in die Gesellschat und bei dem Menschen, dem das brutale Mobbing gilt. Am 1. Juli 1933 lesen wir in der Osterather Zeitung: »Bericht über die Gemeinderatssitzung ... Der Vorsitzende, Bürgermeister Bartels, begrüßte bei der Eröf nung alle Gemeindeverordneten ... 1. Einführung des 1. Beigeordneten. Der Vorsitzende begrüßt den bereits vereidigten 1. Beigeordneten Herrn Panzer.« Der NSDAP-Ortgruppenleiter als 1. Beigeordneter. Als formeller Schritt, die »Einheit von Partei und Staat« – in dieser Reihenfolge – in Osterath zu institutionalisieren. Wie verträgt sich die kollegiale Loyalität von Panzer zu Bartels als Dienstvorgesetztem mit der Rolle von Panzer als NSDAP-Untersuchungsausschuss-Führer gegen Bartels? Bartels ist auf verlorenem Posten. Das ist vor Ort klar. Insbesondere der Gemeindeelite von katholischer Geistlichkeit und führenden Katholiken. Für die sich daraus die strategische Frage ergibt: Wie können wir – in Verbindung mit Bündnispartnern – diese Situation im Sinne unserer katholischen Interessen nutzen? Die preußisch-protestantische Kontinuität war zugunsten der nationalsozialistischen Staatsideologie aufgelöst. Aus der Perspektive des Bündnisses von katholischer Gemeindeelite und katholischer Geistlichkeit eine Chance, die es galt im Sinne ihrer katholischen Gruppen-Interessen zu nutzen. Die faktische Existenz Preußens endete 1933. Lange vor dem formellen Beschluss der Allierten 1945. Hitler und die Nationalsozialisten beendeten die Existenz Preußens de facto. Am 1. August 1933 macht der Landrat KempenKrefeld einen Vermerk (KK 1021): »Der Leiter der Ortgruppe Osterath der N.S.D.A.P. Panzer hat mitgeteilt, dass nach Rücksprache mit seinen Parteigenossen gegen ein Verbleiben des Bürgermeisters Bartels im Amt keine Bedenken bestehen. In dieser Stellungnahme würde aber damit gerechnet, dass Bürgermeister Bartels ohnehin in etwa 2 Jahren wegen seines Krankheitszustandes aus seinem Amte scheiden würde.« Eine staatliche Institution fragt zuständigkeitshalber bei einer Parteigliederung an. Auf den 3. August 1933 ist das Protokoll einer Verhandlung über Bürgermeister Bartels beim NSDAP-Kreisleiter Niehm mit einer Zusammenfassung der Vorwürfe datiert. (KK 1021 Bl. 190 – 192) Darin wird festgestellt, dass es Spannungen zwischen Bürgermeister und Ortsgruppenleitung der NSDAP gäbe, dass übergeordnete Parteistellen eingeschaltet werden sollen – also Gauleiter Florian –, da alle Schwierigkeiten in der Gemeindeverwaltung an Bartels gebunden seien. Am 23. September 1933 lesen wir im Osterather Local-Blatt einen ganz außergewöhnlich langen Artikel: »Der Koks-Prozeß. Osterath. Wie schon kurz mitgeteilt, fand am vergangenen Dienstag vor der Großen Strafkammer in Krefeld der sogenannte Koks-Prozess statt. ... Angeklagt waren: 1. Gemeinderentmeister a. D. Schweigerer ... Die Anklage lautet zu 1.: in den Jahren 1930 – 1933 mehrere Fuhren Koks in der Absicht rechtswidriger Zueignung sich von der Gemeinde Osterath verschat zu haben ... Die nun folgende Aussage des Bürgermeisters war so unklar, dass die bis hierhin erfolgte scheinbare Klärung der Schuldfrage wieder unklar wurde ... Nun ergrif der Staatsanwalt das Wort: ... Er beantrage daher, in beiden Fällen die Angeklagten freizusprechen ... Während das Gericht sich zur Beratung zurückzog, machte das Untersuchungsausschussmitglied und Zeuge Bäcker dem Bürgermeister Vorhaltungen, dass er dem Untersuchungsausschuss doch andere Angaben gemacht habe, als jetzt vor Gericht. Der Bürgermeister erwiderte ihm darauf, dass seine Aussage unter Eid die richtige sei ... Nach kurzer Beratung sprach das Gericht das Urteil: Die Angeklagten werden freigesprochen ... « Aufgrund des Aut retens von Bartels vor Gericht schreibt Ortgruppenleiter Panzer – der 1. Beigeordnete von Bürgermeister Bartels – am 21. September 1933 einen Beschwerdebrief an den Landrat in Kempen, in dem er behauptet, Bartels nehme die Vertretung der Interessen der Gemeinde nicht richtig wahr. (KK 1021) Was gäbe es heute für – auch dienstrechtliche – Konsequenzen, würde ein kommunaler Dezernent die Bezirksregierung wegen seines vorgesetzten hauptamtlichen Bürgermeisters mit solch einem Tenor oiziell anschreiben? Am 21. Oktober 1933 lesen wir in der Osterather Zeitung: »Gemeinderatssitzung Die am gestrigen Freitag im Rathaus stattgefundene Sitzung der Gemeindeverordneten wurde vom 1. Beigeordneten Panzer eröf net.« Rudolf Bartels war von seinem Amt als Bürgermeister in Osterath beurlaubt. Am 23. Oktober 1933 schreibt Bürgermeister Bartels den Landrat in Kempen an (KK 1021 Bl. 146): »... sehe ich mich genötigt, um meine Versetzung in den Ruhestand zu bitten.« Die erste Intrige | 31 Dem folgt ein weiteres Schreiben von ihm an den Landrat. (KK 1021 Bl. 154) Rudolf Bartels ist dann umgehend in den Ruhestand versetzt worden. Er war, wie er doppeldeutig formulierte, aus dem Amt genötigt worden. Am 31. Oktober lesen wir in der Osterather Zeitung: »Amtliche Bekanntmachung ... Der Bürgermeister R.B. Der Beigeordnete Panzer« Rudolf Bartels war zur No-Name-Person geworden. So lesen wir es auch am 18. November 1933 unter der Überschrit »Volkstrauertag«. »... Aufstellung in folgender Reihenfolge: 1. Tambourcorps Osterath 2. Feuerwehrkapelle 3. S.A. 4. Stahlhelm 5. N.S. Kriegsopfer 6. Behörde 7. Gemeinderat und Geistlichkeit 8. Kriegerverein 9. N.S.D.A.P. 10. Hitlerjugend und Jungvolk 11. Bund Deutscher Mädel 12. Schulkinder 13. Vereinigter Männergesangverein 14. Männer-Quartett 15. Jünglingsverein 16. Reiterverein 17. Radlerverein« Was fällt an dieser – im doppelten Wortsinn – »Aufstellung« auf? Sie ist ein Spiegelbild der realen dörlich-katholisch-nationalsozialistischen Machtverhältnisse in Osterath. Insbesondere »7. Gemeinderat und Geistlichkeit«, denn Gemeinderat = katholische Osterather NS-Funktionäre. Im Juli 1934 nach dem »Röhm-Putsch« wurde eine – erneute – Kassenprüfung angeordnet, bei der wiederum »Unregelmäßigkeiten« festgestellt wurden, aufgrund derer die Angelegenheit an die Gestapo weitergegeben wurde. Bartels sollte ganz aus Osterath verschwinden. Am 24. Juli 1934 erreichte eine schrit liche Beschwerde den Landrat, von mehreren nicht der NSDAP angehörenden Osterathern – die sich haben dazu von dem katholischen Teil der Macht in Osterath inkl. dann der Symbiose von Hugo Recken und 32 | Die erste Intrige Johannes Herbrandt instrumentalisieren lassen –, in der eine Reihe von Beschuldigungen wiederholt wurden, die schon ein Jahr zuvor nicht beweisbar waren. Nach einem regen Schrit wechsel geht auch dieser Angrif auf Bartels aus wie das Hornberger Schießen: Nichts ist beweisbar. Danach wird Rudolf Bartels zumindest nicht mehr in dieser Weise und unter Einbeziehung von Justiz und Gestapo von der Osterather katholischen Gemeinde-Elite terrorisiert. Rudolf Bartels äußerte sich zu den Vorgängen: »Die Partei gab dafür als Grund an, dass ich ihr zu liberal eingestellt sei, deshalb für den Nationalsozialismus nicht tragbar sei.« (KK 875 Bl. 79) »Grund der mit der N.S.D.A.P. entstandenen Reibereien, die zu meiner Verhatung führen sollten. Ich lehnte es ab, Parteimitglied zu werden, und war wegen meiner Eigenschat als Demokratisches-Kreistagsmitglied für die Partei untragbar.« (KK 875 Bl. 128) Der Kreistag musste NSDAP-rein sein. Dann 1945, als sich die Intrige wiederholte: »Dass ich kein Parteimitglied, politisch bereits vor 1914 Demokrat und dadurch Mitglied des Kreistages sowie mehrerer Kommissionen geworden bin, wird Ihnen bekannt sein. 1933 wurde ich abgesetzt auf Bestreben einer kleinen konfessionell-intolleranten Klique, die das, was sie damals durch die Nazis erreichte, nun auch über die britische Militärregierung versucht zu erreichen.« (KK 875 Bl. 136) Dazu später die Details. Hugo Recken wurde am 27. Mai 1891 in Oedt geboren und war als Katholik Mitglied der Zentrumspartei. Mit Datum vom 1. Mai 1933 war er NSDAP-Mitglied. Wie er nach der Befreiung 1945 schrit lich in seinem Entnaziizierungsverfahren behauptete »zur Abwehr des Verlustes der Beamtenstelle im Spätherbst 1933«. (KK 1023 Bl. 163) Der Regierungspräsident berief ihn mit Datum vom 22. Dezember 1933 zum Bürgermeister in Osterath, am 24. Januar 1934 begann er seine Tätigkeit als Landbürgermeister (KK 1023). Zuvor war er Bürgermeister in Vorst, wo er NSDAPMitglied wird. Zwischen Vorst und Osterath lag damals die Gemeinde Willich und sein Geburtsort Oedt grenzt direkt an Vorst. Am 20. April 1933 verfügte die NSDAP-Parteileitung ein Aufnahmeverbot zum 1. Mai 1933, für das es nur sehr begrenzte Ausnahmen gab; so für HJ-Mitglieder, die nach Erreichen der Altersgrenze in die NSDAP übernommen wurden. Die massive Abweichung von der ansonsten strikt eingehaltenen Norm im Fall Recken weist darauf hin, dass seine NSDAP-Mitgliedschat ausdrücklich – von beiden Seiten – gewollt war. Es wird noch zu klären sein, wie es dazu kam. »Diese Leute, die allein schon dadurch einen Beweis für Charakterschwäche geliefert haben, dass sie die Aufnahme in die Partei beantragten, tendieren, sobald sie ihr angehören, ohne Zweifel dazu, rasch ihre bisherigen Meinungen aufzugeben und das nazistische Gedankengut zu übernehmen.« Sebastian Haffner. Jekyll & Hyde. 1939. S. 89. Mitglied der NSDAP zu werden, dies immer ausdrücklich freiwillig auf eigenen Antrag, bedeutete das bewusste Bekenntnis zum gelebten nationalsozialistischen eliminatorischen Antisemitismus. Die NSDAP war eine nach außen abgeschlossenen Gesinnungs- und Kampfgemeinschat, die alles tat, um aus ihrer Perspektive nicht unterwandert zu werden. Um in ihr Aufnahme zu erhalten, musste der dies Begehrende beweisen, dass er dieser Ehre und diesem Privileg durch sein praktischen Tun – in seinem privaten und berulichen Leben, aus NS-Perspektive auch eine untrennbare politische Einheit – im Sinne des NSDAP-Programms durch Gefolgschat und Treue würdig war. Als »Gemeindeführer« mit konkreten existenz- und lebensbedrohenden Konsequenzen für die von dieser terroristischen Partei-Staats-Ideologie auf Basis des NSDAP-Programms betrofenen »Gemeinschatsfremden«, insbesondere denen, die an erster Stelle gemeint waren: »Der Jude ist unser Unglück.« »Juda verrecke.« In seinem Entnaziizierungsverfahren behauptete Recken, er sei von Vorst nach Osterath versetzt worden, damit in Vorst ein Nationalsozialist Bürgermeister werden könne. Er war es. Dazu schreibt Paul-Günter Schulten unter dem Titel »Bürgermeister Dr. Freiherr von Bönigshausen beurlaubt« im Heimatbuch des Kreises Viersen 1983 (S. 117): »Wache Beobachter wie K. W. Engels, der spätere erste Landrat des Kreises nach dem Krieg, stellten zu der Versetzung des Bürgermeisters Recken von Vorst nach Osterath fest: ›Bei der Versetzung handelt es sich keineswegs um eine Versetzung, wie man sie schon mal politischer Natur in letzter Zeit kennt, sondern um eine Anerkennung.‹« Und weiter: »Mit dem Gesetz der Nationalsozialisten zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums wurde der Leiter der Gemeinde als Beaut ragter des nationalsozialistischen Staates angesehen. ›In diesem Sinne also ist der Gemeindeleiter nicht bloß Verwaltungsmann (was er bisher war), sondern mehr noch Führer, politischer Führer.‹« Alle Behauptungen von Recken in seinem Entnaziizierungsverfahren haben diesen interessengeleiteten Lügen-Charakter. Es geht nicht um Darstellung von Realität, seiner Rolle im NS-System, sondern um Legitimation von bürokratischer Macht und den damit verbundenen Handlungen von Menschen, auch durch Wegdeinieren legitimiert – bis heute. Die heute veriizierbare damalige Realität kehrte Recken in ihr Gegenteil um. In der Osterather Zeitung lesen wir am 27. Januar 1934 zur Amtseinführung Reckens: »... auch der Gemeinde Osterath zur Zufriedenheit aller versehen werde ... dem ein guter Ruf vorausgeht ... « Guter Ruf im NS-Sinn. Im selben Schreiben wie oben (KK 1023 Bl. 163) behauptete Recken: »In Osterath ständiger Kampf mit der Partei.« Wobei er sich darauf berut, dass dies aufgrund seiner katholisch-konfessionellen Haltung so gewesen sei. Und: »Unterrichtung des Herrn Pastor über drohende Maßnahmen gegen Kirche.« Bundesarchiv Berlin: NSDAP-Gaukartei. Hugo Recken Die erste Intrige | 33 Der Kern der von ihm selbst und anderen geschaffenen pathologischen Recken-Legende, gefördert durch das falsche Bild vom realen Verhältnis zwischen katholischer Kirche und Nationalsozialismus nach 1945 in Verbindung mit dem Zeitgeist, von Recken und anderen instrumentalisiert. Heute vom Meerbuscher Stadtarchivar Regenbrecht im Autrag von Bürgermeister Spindler kontextlos rezipiert. Wobei wir vor unseren Augen haben, wie dies alles anders verstanden werden kann. Wenn man es will, und nicht interessengeleitet ein feststehendes Ergebnis legitimiert. Am 24. Februar 1934, also einen Monat nach der Amtseinführung Reckens, lesen wir in der Osterather Zeitung: »Aufruf. Aus Anlass der am 24. Februar im ganzen Reiche stattindenden Gründungsfeier der Nationalsozialistischen Deutschen-Arbeiterpartei wird, der Bedeutung dieses wertvollen Ehrentags der Bewegung entsprechend, die gesamte Bevölkerung gebeten, am Samstag, den 24. Februar, zu laggen und die Fahnen am 25. Februar zu Ehren der Gefallenen auf Halbmast zu setzen. Gleichzeitig wird die Bevölkerung zu der am Sonntag, den 25. Februar, um 11 ½ Uhr im Sale Dörper hierselbst stattindenden Übertragung des Festakts aus Berlin aus Anlass der Totengedenkfeier eingeladen. Osterath, den 22. Februar 1934 Der st. Bürgermeister Recken.« Die amtliche Bekanntmachung Reckens, dass er Teil der NS-Bewegung ist, der er sich äußerlich unterwirt. Und die Osterather Bevölkerung amtlich zum Aushängen der NS-Hakenkreuzfahne aufordert. Eine Ergebenheitsadresse, die auf die katholisch-dörliche Volks-Gemeinschat zielt. »Seht, ich gehöre dazu.« Am 9. Juli 1934, also gut vier Monate später, lesen wir in der Osterather Zeitung: »Zum kommissarischen Ortsgruppenleiter der NSDAP Ortgruppe Osterath wurde Pg. Schwengers aus Willich ernannt.« Am 29. September 1934 – also zweieinhalb Monate später – lesen wir in der Osterather Zeitung: »Ortsgruppenleiter Panzer wieder in sein Amt eingeführt. Der vor einigen Monaten auf seinen Wunsch beurlaubte Ortsgruppenleiter Pg. Panzer wurde Donnerstag abend durch den Kreisleiter Niem wieder in sein Amt als Ortsgruppenleiter eingeführt. 34 | Die erste Intrige Kreisleiter Niem betonte, dass alle Vorwürfe, die Panzer von gegnerischer Seite gemacht wurden, sich als haltlos erwiesen.« Ein ungewöhnlicher Vorgang. In der NS-Sprache bedeutend: Panzer ist gemaßregelt worden. Was war passiert? Dies wird in dem nebenstehenden Schreiben von Bügermeister Hugo Recken an den Landrat in Kempen am 13. November 1934 (KK 1013 Bl. 77) deutlich. Mit der mehrmaligen Formulierung »die Partei« positioniert sich Recken gegenüber dem Landrat systemkonform als Nationalsozialist. Den er mit dem Schreiben über die Umstände seiner Machtkonsolidierung in Osterath informiert. Die im Kontext weiteren zentralen Formulierungen des Schreibens: »... meine Plicht als Bürgermeister bzw. Ortspolizeiverwalter ... Die Entfremdung mit dem Ortsgruppenleiter Panzer setzte wohl mit dem Augenblick ein, als ich in Beachtung der ministeriellen Bestimmungen über Partei und ihre Nebenorganisationen keine inanzielle Unterstützung mehr zuteil werden lassen konnte ... das zur Zeit im Rathaus noch immer untergebrachte Parteibüro verlegt werden müsse ... Der Herr Kreisleiter hat bereits Panzer und van Kessel vom Parteidienst beurlaubt und beantragt Einleitung des Gaugerichtsverfahrens ... Amtsenthebung des Beigeordneten Panzer ... Die gesamte Bürgerschat mit ganz wenigen Ausnahmen diesen Dingen in der heutigen Zeit verständnislos gegenübersteht und vertrauensvoll zur Verwaltung hält.« Fazit: Bürokratisch – abgesichert von der Allianz katholischer Geistlichkeit und katholischer Gemeindeelite – den örtlichen NSDAP-Bürokratie-Amateuren schach – und matt. In ca. neun Monaten, einer Schwangerschat. Wie beim Revival 1945. Nach dem »Röhm-Putsch« im Juni 1934 war Konsolidierung auf allen Ebenen das Ziel der NS-Politik. So kam es in Osterath dazu, dass sich die katholische Gemeindeelite inkl. Hugo Recken mit Unterstützung des NS-Kreisleiters gegen die örtlichen NSDAP-Funktionäre durchsetzen konnte. Heinrich Niem entschied sich für die katholische Gemeindeelite – gegen die katholischen Nationalsozialisten. »Der Gang des 30. Juni (1934, LK) heißt: ›Schlagt sie tot, es ist erlaubt!‹ Man frage lieber, warum die Mörder mordeten. Die einen mordeten, weil ihnen ein bestimmter Mord befohlen war. Die anderen mordeten, weil sie Angst hatten, oben zu missfallen, wenn die Strecke Auszug 1 Auszug 2 Auszug 3 Auszug 4 Kreisarchiv Viersen: Schreiben von Bürgermeister Recken an den Landrat in Kempen 13. November 1934 Die erste Intrige | 35 nicht reichlich genug ausiel. Eine dritte Kategorie schließlich mordete einfach, weil sie durte ... Nehmt hundert Menschen, die vierzehn Jahre lang scharf und wild gemacht wurden: vernichte die Verderber Deutschlands, rottet die Untermenschen aus ... Rüstet die hundert, die es dem Adolf Hitler geschworen haben, mit Karabinern aus, und das Ergebnis ist zwangsläuig im 30. Juni in allen seinen Spielarten.« Konrad Heiden. Hitler. 1936. Bd. 1. S. 457 f. In der Osterather Zeitung am 23. März 1935 lesen wir zu Hugo Recken: »... weil seitens der zuständigen Aufsichtsbehörde und von hohen Parteidienststellen in ihn das Vertrauen gesetzt wurde, dass er einerseits die an der Grenze von 3 Großstädten liegende und daher schwierig zu verwaltende Gemeinde Osterath nach allen Richtungen mustergültig leiten würde und andererseits die Gemeinde Osterath einen Bürgermeister erhalte, der jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintritt.« Die Machtübertragung auf Bürgermeister Hugo Recken war konsolidiert. Und Ortsgruppenleiter Panzer in seine Funktion zurückgekehrt, um die ihm von übergeordneten NSDAP-Gliederungen zugewiesene Rolle wahrzunehmen. Im Sinne von Führerprinzip, Volksgemeinschat und NSDAPProgramm. Symbiotisch gemeinsam mit Bürgermeister Recken, den NSDAP-Mitgliedern und der Gemeindeverwaltung. Wobei es quasi Doppelungen und Synergien so in Person von Johannes Herbrandt gab, sowie dem ganz überwiegend insbesondere katholischen Teil der Einwohner von Osterath, die der »Volksgemeinschat« nach der NS-Ideologie zugerechnet wurden. In diesem Sinn lesen wir in der Osterather Zeitung am 18. Mai 1935: »Gemeinderatssitzung Am 10. Mai ds. Js. fand im geschmückten Sitzungssaal des hiesigen Rathauses unter dem Vorsitz des Bürgermeisters Recken eine öffentliche Gemeinderatsitzung statt, in welcher die von dem Beaut ragten der NSDAP Herrn Kreisleiter Niem auf Grund der Deutschen Gemeindeordnung berufenen Gemeinderäte von dem Bürgermeister in ihr Amt eingewiesen, vereidigt und mittels Handschlag verplichtet wurden. Der neue Gemeinderat besteht aus 7 Personen und zwar den Herrn Paul Gather, Wilhelm Könen, Hubert Kulgart, Jakob Weller, Peter Stroms, Johan Terwyen und Wilhelm 36 | Die erste Intrige hölen. In einer Ansprache wies der Vorsitzende (Hugo Recken, LK) die Gemeinderäte auf die Rechte und Plichten ihres verantwortlichen Amtes hin und legte dar, dass sie auf Grundlage der in der Deutschen Gemeindeordnung enthaltenden Bestimmungen als Ehrenbeamte der Gemeinde beratend an den Aufgaben der Verwaltung mitzuarbeiten hätten. Auch bei der Kommunalverwaltung bestehe das Führerprinzip. Wenn die Gemeinderäte früher unter dem parlamentarischen System ihre Aufgaben unter dem Gesichtspunkt verschiedener Parteidogmen erledigten, hätten im nationalsozialistischen Staat die Gemeinderäte die Aufgabe, die dauernde Führung der Verwaltung der Gemeinde mit allen Schichten der Bürgerschat zu sichern. Sie hätten den Bürgermeister eigenverantwortlich zu beraten und seinen Maßnahmen in der Bevölkerung Verständnis zu verschafen. Weiter hätten sie bei ihrer Tätigkeit ausschließlich das Gemeinwohl zu wahren und zu fördern. Nach der Ansprache wurde der Eid auf den Führer von den Gemeinderäten geleistet. Als dann händigte der Bürgermeister den Gemeinderäten die Berufungsurkunde zu Ehrenbeamten aus. Die Sitzung endete mit einem Sieg Heil auf den Führer.« Ebenfalls in der Osterather Zeitung am 18. Mai 1935 lesen wir die Meldung: »Ausgrabungen auf dem jüdischen Friedhof« Die extrem-antisemitische Maßnahme auf Betreiben von Hugo Recken als nationalsozialistischem Bürgermeister. In Verbindung mit einem Bestreben zur Amtsbestätigung. Wozu er glaubte durch eine praktische Maßnahme im antisemitischeliminatorisch nationalsozialistisch-ideologischem Sinn bei den örtlichen NSDAP-Funktionären und seinen mit diesen vernetzten bürokratisch-politischen nationalsozialistischen Vorgesetzten »Vertrauen« schafen zu müssen. Deswegen seine massiven Interventionen, dass die »Umlegung« des jüdischen Friedhofs nicht auf den kommunalen Friedhof in Osterath erfolgt – also »arische« Gräber in der Nähe von »Jüdischen« liegen könnten –, sondern auf den jüdischen Friedhof in Krefeld – als antisemitische Exportmaßnahme. Als Basis im Anschluss im Bündnis mit seinem bürokratischen Symbionten Herbrandt und der Allianz der katholischen Geistlichkeit und der katholischen Gemeindeelite die Macht übertragen zu erhalten – vom NSDAP-Kreisleiter Kempen-Krefeld Niem. Weil Recken in Osterath aus der Perspektive der überörtlichen NSDAP-Partei-Staats-Funktionäre der bessere Garant zur Realisierung des nationalsozialistischen Kernziels sei: Alle von ihnen als »Juden« deinierte Menschen zu ermorden. Siehe: »Das 25-Punkte-Programm der NSDAP«, S. 58 – 64, das »ABC des Beamtengesetzes«, S. 123 – 125 sowie »Die Um- und Durchsetzung von antisemitischen Maßnahmen ...«, S. 41 – 64 »1935: Die Umlegung des jüdischen Friedhofs ...«, S. 65 – 70 und »1945–1949: Die Entnaziizierung von Hugo Recken und Johannes Herbrandt ...«, S. 141 – 164 Die Funktionäre der Osterather NSDAP vom Ortsgruppenleiter bis zu den Gemeinderatsmitgliedern waren ausgetauscht oder auf Recken-Linie gebracht worden. Hugo Recken konnte die Gemeinde politisch nach »Recht und Gesetz« führen, »mit einem Sieg Heil auf den Führer«. Wesentliche Veränderungen bei der kommunalen Selbstverwaltung lassen sich in Stichpunkten zusammenfassen: • Gegensätze zwischen Kommunalverwaltung und NSDAP um Kompetenzen und damit Macht – zur Umsetzung der NS-Ziele –, nicht ideologisch. • Zerstörung der Einheit der Verwaltung. • Aushöhlung und Zersplitterung des gemeindlichen Aufgabenbereichs. So übernahm die NSV aus Propagandagründen – »die Partei sorgt für alle Volksgenossen« – fast den gesamten Sozialbereich. • Sozialabbau in den Gemeinden. Die staatlich verfügbaren Mittel dienten ganz überwiegend der Kriegsvorbereitung und damit dem Ziel des NSDAP-Programms, möglichst aller Juden weltweit habhat zu werden, um sie zu töten. Folgerichtig mussten die Gemeinden 1939 zusätzlich eine Kriegsabgabe zahlen. • Zugrif von NSDAP und deren Parteiorganisationen auf die gemeindlichen Finanzen, z. B. beim Bau der HJ-Heime. • Lokalverwaltung als Instrument partei-staatlicher Zielsetzungen. • Massiver Einluss der NSDAP auf die Personalpolitik. Dabei Versorgung altgedienter Pg. und NS-Karrieristen, also Parteibuchwirtschat im Sinne von Korruption. • Dualismus Partei – Gemeinde – wie auf staatlicher Ebene Partei – Staat. • Führerprinzip in der Gemeinde. • Ausgehend von der NSDAP Politisierung aller Bereiche. Ein Bürgermeister war politischer Partei-Staats-Gemeinde-Führer. • Zentralisierung im Bereich der staatlichen Verwaltung. Diese Aspekte sind alle miteinander vernetzt. Um alle Bereiche der Gesellschat efektiv und eizient in den Dienst des eliminatorischen nationalsozia- listischen Antisemitismus zu stellen. Es gab keine quasi neutralen Verwaltungs-Reservate. Entweder ein Bürgermeister diente als Nationalsozialist und partei-staatlicher Beamter politisch dieser Zielsetzung – oder er blieb nicht Bürgermeister. Dazwischen gab es nichts. Nur die bürokratische Tarnung nach außen zur Legitimation und Absicherung unter allen Umständen – und sich ändernden politischen Systemen. Die sich ändern, aber Bürokratien nicht. Durch die in ihnen – führend und vernetzt – handelnden Menschen, ihr bürokratischer Habitus, der sich von Generation zu Generation durch die Bürokratie-Kultur reproduziert. Die Durchsetzung des Führerprinzips in den Gemeinden hatte zum Ziel die »Identiizierung der Selbstverwaltungsidee mit den politischen Zielen und weltanschaulichen Programm der NSDAP«. So Karl Dietrich Bracher u. a. in »Die nationalsozialistische Machtergreifung.« (Köln 1974. Bd. 2. S. 102). Die Ortsgruppenleiter hatten in den Gemeinden wesentlichen Einluss auf insbesondere: • Stellungnahmen zu Schutzhat fällen • Stellungnahmen zu Entlassungsanträgen von Schutzhät lingen • Stellungnahmen zu politischen Polizeiangelegenheiten • Stellungnahmen zu Verlegungen von Schutzhät lingen in KZ und zur »Moorkultivierung« • Stellungnahmen zur Überwachung von Gemeindeeinwohnern • Politische Beurteilungen von Gemeindebeamten, Lehrern etc. • Einluss auf alle gemeindlichen Entscheidungen. »In Düsseldorf schloss Mitte November 1933 ein kommunalpolitischer Gaukongress die Phase der Machtergreifung in den Gemeinden ab. Zuvor hatte sich das Gauamt für Kommunalpolitik eine vollständige Übersicht über die Stellenbesetzung verschat.« Peter Hüttenberger. Die Gauleiter. Düsseldorf 1969. S. 95. Auch die kommunale Ebene war vernetzt. Dann in der Symbiose NSDAP-Hauptamt für Kommunalpolitik und Deutscher Gemeindetag in Verbindung mit der Symbiose NSDAP-Hauptamt für Beamte und Reichbund Deutscher Beamter in der bürokratischer Umsetzung des Holocaust in den Gemeinden. Im Sinne des Führerprinzips und der na- Die erste Intrige | 37 tionalsozialistischen Volksgemeinschats-Ideologie wurden alle Maßnahmen gegen »Gemeinschatsfremde«, insbesondere die als »Juden« deinierten Menschen, horizontal und vertikal vernetzt koordiniert – dies bürokratisch-strukturell wie personell. Wobei Bürgermeister den »Führerwillen« antizipierten und durch ihre Vorab-Maßnahmen die formellen partei-staatlichen politischen Bürokratien unter Zugzwang setzten und damit zu formellem Nachvollzug mit Erlassen und Anweisungen zwangen. Um die Einheit von Partei und Staat zu stabilisieren, vollzogen die übergeordneten Bürokratien die – koordinierten – kommunalen Maßnahmen nach. Alles ist vernetzt – im Sinne der Zielsetzungen des NSDAP-Programms. Der Bürgermeister war in allen Fragen auf Koordinierung mit der NSDAP angewiesen, sei es mit dem Ortsgruppenleiter oder anderen NSDAP-Amtswaltern vor Ort oder höheren Parteiinstitutionen wie Kreisleiter Niehm oder Gauleiter Florian, ggf. auch Oberpräsident und Gauleiter in Essen Terboven in Koblenz. Die Zuständigkeiten Partei – Staat waren sowohl parallel als auch vernetzt – institutionell wie personell. Damit besonders efektiv und eizient. Wobei die Frage war: Wer hat »die Hosen an«. In Osterath war es Bürgermeister Hugo Recken, weil er im Sinne der NSDAP-Interessen deren bestmögliche Realisierung versprach. Die Konkurrenzsituation bedingte Synergieefekte im Sinne der NSDAP-Interessen in der Umsetzung des NSDAP-Programms: »Konkurrenz belebt das Geschät.« Die von den Bürgermeistern an den Regierungspräsidenten auf dem formellen Bürokratie-Dienstweg 1934 im Sinne des Führerprinzips in den Gemeinden eingereichte Liste mit Kandidaten für die Gemeinderäte wurde dann von dort an Gauleiter Florian weitergeleitet, begutachtet und genehmigt. Das Gauamt für Kommunalpolitik führte eine Kartei über sämtliche Bürgermeister. »Weiterhin übte die Gauleitung auf die Gemeindeverwaltungen vor allem dadurch Druck aus, dass sie bei Stellenumbesetzungen auf die Einholung von Personalgutachten der Politischen Leiter (der NSDAP-Ortgruppen, LK) über den Bewerber bestand.« (Hütteberger. S. 100) Dieser Druck wurde nach unten weitergegeben: »Im August 1934 forderte der Landrat alle kreisangehörige Gemeinden auf, ›in Zukunt Vorschläge von Beigeordneten, Schulzen und Schöfen zunächst dem Ortgruppenleiter der NSDAP vorzulegen‹.« So Konrad hies und Wolfgang Schluning (Hrsg.) in »Der Kreis Viersen am Niederrhein« (Stuttgart 1978. S. 118 f.) 38 | Die erste Intrige Die Kreisleitung der NSDAP musste den Hauptsatzungen der Gemeinden zustimmen. Siehe: Kreisarchiv Viersen, Bestand Lank 91. Staatliche Maßnahmen und Gesetze schlugen bis in die Gemeinden durch. So das »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« zur Entlassung aller als jüdisch deinierten Beamten 1933. Das die bürokratischen Beamten-Strukturen so nachhaltig zerstörte, dass das Berufsbeamtentum nach 1945 rekonstruiert wurde. Diese Rekonstruktion ohne Anpassungen auf Basis der historischen Erfahrungen ist der – antidemokratische – Geburtsfehler der Bundesrepublik Deutschland. »Die Gemeinde als örtliche politische Ebene war in der Hand der Partei. Durch die formell weiter bestehende Selbstverwaltung war die Gemeindeverwaltung sogar stärkeren Parteieinwirkungen ausgesetzt als die staatliche und allgemeine Verwaltung. Das Ausmaß der Parteieinwirkungen war regional und lokal verschieden; nicht selten war es auch von der Größe eines Ortes abhängig. Insbesondere in den katholischen Gebieten lässt sich feststellen, dass die konfessionelle und soziale Homogenität der Bevölkerung eine deutliche Schranke für den Einluss der Partei auf die Gemeindeverwaltung darstellte.« Horst Matzerath. Nationalsozialismus und kommunale Selbstverwaltung. Stuttgart 1970. S. 434. Die Nationalsozialisten in Osterath waren selbst (in wenigen Fällen: ehemalige) Katholiken. Für die überörtlichen NSDAP-Führer war es gleichgültig, wer vor Ort »die Hosen an hat«. Entscheidend war, wer aus ihrer Perspektive versprach, die nationalsozialistischen Zielsetzungen vor Ort am nachhaltigsten zu realisieren. In Osterath war es Bürgermeister Hugo Recken. Nicht Ortsgruppenleiter Panzer, nach 1942 Ortsgruppenleiter Dohmen. Deren Konkurrenzsituation weiter für Synergien im Sinne der nationalsozialistischen Zielsetzungen sorgte. »Die Verwaltung selbst unterlag im Dritten Reich tiefgreifenden Strukturveränderungen. Auf relativ festen Normen beruhende geregelte Verwaltungsführung als fortwirkende Struktur des Verwaltungs- und Rechtsstaates (Sic! Beachte die Reihenfolge! LK) und der sich durch ›Maßnahmen‹ verwirklichende totale politische Anspruch der totalitären Staatspartei stellten widerstrebende, unvereinbare Prinzipien dar. Bedeutet das erste Prinzip, das um der Rationalität der Verwaltung willen, wenn auch widerwillig, bis zu einem bestimmten Grad hingenommen wurde, eine gewisse Schranke für die Willkür des Maßnahmensystems, so war im Ideal nationalsozialistischer Staats- und Verwaltungsführung dieser Widerspruch überwunden; die total technisierte, an keine Norm und keine Gewalt mehr gebundene Verwaltung, die nur noch Instrument, gleichzeitig aber durch die rein personale Bindung des Gefolgsmanns an den ›Führer‹ bzw. an den von ihm bestimmten ›Unterführer‹ indoktriniert und damit zur höchsten Leistung befähigt war.« Matzerath. S. 435. Die damit verbundene politische Verwaltungspraxis im Sinne der nationalsozialistischen Zielsetzungen insbesondere in der Realisierung des Holocaust auch in Verantwortung von Bürgermeister Hugo Recken wurde dann schein-legitimiert und so bürokratisch abgesichert. Um persönliche Verantwortlichkeiten zu relativieren, auch zu verschleiern, um schein-verantwortungslos zu bleiben – unter allen Bedingungen, auch des politischen Systemwechsels. Darin hatten – und haben – die deutschen Bürokraten umfassende Erfahrung und diese Erfahrung nutzen sie – bürokratisch-gnadenlos. Erst ich und mein Bürokratennetzwerk, dann der Rest der Welt. Das Gegenteil des postulierten Gemeinwohls – in allen politischen Systemen –, das ideologischen bürokratischen Legitimationscharakter nach außen hat. Bei der Arbeitstagung in der Gauamtsführerschule Wehlenberg 15. – 17. November 1935 ist im Protokoll zu NSDAP-Gauamtsleiter Ebel zu lesen: »In seiner Eröf nungsrede wies er darauf hin, dass es an den Kommunalpolitikern, die zur Mitarbeit an der Neugestaltung des kommunalen Lebens berufen sind, liegt, dafür Sorge zu tragen, dass die Maßnahmen der Reichsregierung und der Partei, die eins sind, restlos durchgeführt werden.« Stadtarchiv Düsseldorf. Nachlass Ebel: Gauamt für Kommunalpolitik. Die selbstverständliche Exekution des nationalsozialistischen eliminatorischen Antisemitismus in den Kommunen. Auch durch das Gauamt für Kommunalpolitik in Verbindung mit dem NSDAP-Amt für Kommunalpolitik bei der NSDAP-Reichsführung vernetzt mit dem Deutschen Gemeindebund – »betreut« vom Reichinnenministerium – sowie dem Reichsbund Deutscher Beamter als NSADPOrganisation koordiniert. Als efektive und eiziente Teil-Organisation des Holocaust. Wer war in der Gemeindeverwaltung Osterath dieser Mensch? Johannes Herbrandt. Im Nationalsozialismus werden durch die handelnden Akteure aller Ebenen »... Begrife wie Rechtsstaatlichkeit und Rechtsbewusstsein zu bloßen Worthülsen degradiert, wenn sich der Staat über allgemein verbindliche sittliche Wertvorstellungen, unter denen die Achtung vor dem menschlichen Leben den ersten Rang einnimmt, hinwegsetzt.« Die speziisch deutsche Bürokratie-Kultur, die andere gesellschat liche Kulturen durch bürokratische Macht-Instrumentalisierung überlagert und dominiert, auch die demokratische Kultur. Dies mit negativen Konsequenzen für diese gesellschatlichen Kulturen und die Gesellschat insgesamt im Sinne von Verhinderung notwendiger gesellschat licher Evolution mit der Folge von Verschärfung von gesellschat lichen Gegensätzen, die einen Punkt erreichen können, wo es zu gewaltsamen gesellschat lichen Konlikten kommen kann, weil es keine friedlichen Möglichkeiten gesellschat licher Evolution gibt. Aus der Bürokraten-Perspektive geht es lediglich um die Legitimation von Maßnahmen – zu ihrer eigenen Absicherung von Verantwortungslosigkeit. Das in Bürokratie-Sprache, durch die die Ideologie durchscheint. Wenn man dies verstehen will. »Führer einer Gemeinde kann nur sein, wer den Geist der Nationalsozialistischen Weltanschauung in sich trägt.« »Die kommunale Selbstverwaltung war eines der traditionellen Elemente, die der Nationalsozialismus parasitär ausnutzte und zersetzte.« Adalbert Rückerl. Vergangenheitsbewältigung mit den Mitteln der Justiz. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 43/82. S. 25. Matzerath. S. 437. So der Leiter des Gauamtes für Kommunalpolitik Düsseldorf Ebel 1937. (Stadtarchiv Düsseldorf. Nachlass Ebel: Gauamt für Kommunalpolitik 131) Und an selber Stelle weiter: »Dem Parteibeaut ragten steht die Auswahl und politische Erziehung derjenigen Menschen zu, die in der Gemeindeverwaltung tätig sind. Er hat die Männer auszuwählen, die berufen sein sollen, die Geschicke der Gemeinde zu lenken.« Parasiten in diesem Sinne waren die Bürokraten, die so handelten. Wie Bürgermeister Hugo Recken und sein Symbiont Johannes Herbrandt in Osterath. Das Bundesverfassungsgericht charakterisierte die kommunale Selbstverwaltung in der NS-Zeit als »bloße Erscheinungsform des dezentralen gesteuerten Einheitsstaates«. (BverfGE Bd. 11, S. 275) Nach Matzerath. S. 434f. Die erste Intrige | 39 In dem bürokratische Akteure in ihren jeweiligen Funktionen im Sinne der nationalsozialistischen Programmatik vernetzt agierten. Wie in Osterath Bürgermeister Hugo Recken in Symbiose mit Johannes Herbrandt. Fokussiert auf die Personen Rudolf Bartels und Hugo Recken im konkreten Umfeld in Osterath: Die katholische Gemeindeelite instrumentalisierte ihre abgefallenen Glaubensbrüder von der NSDAP – siehe auch: Osterather Pfarrchronik von Pastor Hövelmann, S. 12 –, um die Chance zu nutzen, den Protestanten Bartels durch den Katholiken Recken ersetzten zu können. Dabei hatten die Agierenden zwei vernetzte Zielsetzungen: Weitest möglich die dörlich-katholisch-konfessionellen gesellschat lichen Bedingungen zu konservieren und damit vernetzte katholisch-bürokratische Strukturen als integralen Teil der katholischen Dorf-Kultur gegen die nationalsozialistischen Aulösungsbestrebungen zu konservieren. Ein Bündnis von Katholiken, dessen nachhaltiger Erfolg – über die NS-Zeit hinaus – bedingt war durch das NS-Interesse nach Konsolidierung nach dem »Röhm-Putsch«. Mit einem im Hintergrund agierenden nationalsozialistischen Gemeindebeamten Johannes Herbrandt, der rechten Hand von Recken, einer Symbiose im gemeinsamen Interesse. Zur Demonstration der katholischen Macht-Verhältnisse in Osterath hat Bürgermeister Hugo Recken an kirchlichen Veranstaltungen und Umzügen 40 | Die erste Intrige teilgenommen. Die im Einzelfall in nationalsozialistische propagandistische Feierlichkeiten eingebettet waren. Die Übergänge waren ließend und verschoben sich. Es gab nicht einfach klar Braun oder Schwarz, sondern Abstufungen dazwischen, die sich ändern bzw. verschieben konnten. Wer aber in gesellschatlichen Funktionen war und blieb, der war Teil der nationalsozialistischen bürokratischen Mordmaschine. Wie Hugo Recken und Johannes Herbrandt. Spekulierend auf Unkenntnis der Besatzungsmächte und interessengeleitetem Desinteresse der – neuen-alten – zuständigen deutschen Bürokratien hat Hugo Recken dies nach der Befreiung 1945 zur Selbst-Legitimation uminterpretiert und uminterpretieren lassen, insbesondere durch seinen Symbionten Johannes Herbrandt und die katholische Geistlichkeit in Verbindung mit der katholischen Gemeinde-Elite. Mit dem Ergebnis der pathologischen Recken-Legende. Die Enkel und Urenkel im bürokratischen Geist von Hugo Recken und Johannes Herbrandt führen dies heute fort. Wir werden erleben, wie weit sie damit Erfolg haben. Nichts ist determiniert, so Karl Popper. »Es gibt drei Dinge auf der Welt, die nicht lange verborgen werden können: die Sonne, der Mond und die Wahrheit.« Konfuzius Hugo Recken als Bürgermeister in Osterath, Januar 1934 bis März 1945: Antisemitische Maßnahmen gegen als Juden bezeichnete Menschen und die geschichtswissenschaftliche Bewertung a. Die Um- und Durchsetzung von antisemitischen Maßnahmen zur Diskriminierung, Terrorisierung, Absonderung, Enteignung und Ermordung der betroffenen Deutschen in Verantwortung des Bürgermeisters in Osterath Hugo Recken »Nicht der Staat beielt uns, sondern wir befehlen dem Staat.« Adolf Hitler »Jede Herrschat äußert sich und funktioniert als Verwaltung.« Max Weber Hugo Recken war Bürgermeister in Osterath. Damit Verwaltungschef und als solcher verantwortlich Karte Osterath, 1940 für alles, was von Seiten der Gemeindeverwaltung an Maßnahmen umgesetzt wurde. Dies trit ebenso zu für seine Rolle als örtlicher Polizeichef – und dann seine Rolle als die örtliche Gestapo. Durch die Verschmelzung von Partei und Staat auch auf der kommunalen Ebene, durch die Übernahme der Polizei durch die SS in Verbindung mit den sich daraus ergebenden Aufgaben eines Verwaltungs- und Polizeichefs war Hugo Recken Teil des NS-Terrorsystems. Und dieses Terrorsystem deinierte als einen zentralen zu eliminierenden Feind »den Juden«. Dies auch im Sinne des Göbbels-Zitats: »Wer Jude ist, bestimme ich.« Konkret: Wer »gemeinschatsfremd« sei, das wurde willkürlich deiniert. Aus dieser Verquickung ergab sich die Mittäter-Rolle von Bürgermeister Hugo Recken im Holocaust. Reckens ideologische Ausrichtung wurde durch jeweils einwöchige Schulungen des Gauamtes für Kommunalpolitik Düsseldorf vertiet, zu denen er 41 regelmäßig dienstverplichtet war. So verinnerlichte er die Grundsätze der NS-Ideologie, niedergelegt im NSDAP-Programm. Im Zentrum der eliminatorische NS-Antisemitismus. Hitler – und über ihn die NSDAP – als Staatsgewalt legitimierte alle Terror- und Gewalthandlungen damit, dass er – aus seiner Perspektive damit Deutschland – angegrifen würde und damit Notwehr zum Selbstschutz gegeben sei. Notwehr im Sinne der Ermordung aller – vermeintlichen – Gegner. Fokussiert formuliert: »Mein Kampf«. Der Nationalsozialismus war – und ist – eine Kultur des Todes. Per Gesetz galt das Postulat der »Einheit von Partei und Staat« – in dieser Reihenfolge und auf allen Ebenen. Die Nationalsozialisten postulierten die »Volksgemeinschat« – und deinierten, wer ihr angehört und wer nicht und deswegen ausgegrenzt bis »sonderbehandelt« – also schein-legal ermordet – wurde. Wobei das willkürlich festgelegt, geändert und erweitert wurde. In dieser »Volksgemeinschat« galt das Führer- und Gefolgschatsprinzip. »Der nationalsozialistische Staat ist ein Rechtsstaat, weil in ihm die Rechtsidee aufs engste mit der Staatsidee verbunden ist. Denn beide führen sich auf dieselbe Quelle, nämlich die Volksgemeinschat, zurück.« Prof. Dr. Otto Kollreuther. Der nationalsozialistische Rechtsstaat. 1934. Adolf Hitler Führer NSDAP Reichskanzler und -Präsident, oberster Gerichtsherr Deutsches Reich NSDAPReichsleitung Reichsregierung Gauleiter Oberpräsidien Bezirksregierungen Kreisleiter Kreise und Kreisfreie Städte Ortsgruppenleiter Bürgermeister NSDAP-Mitglieder Gemeindebürger: Wer der »Volksgemeinschat« zugerechnet wurde Die Hierarchie des NS-Partei-Staates: Das Führerprinzip, Schaubild: Lothar Klouten 42 | Antisemitische Massnahmen Diese Juristen-Sophistik ist juristische Perversion. In diesem Stil ist alles zu legitimieren: Nenne mir ein Ziel, ich legitimiere es schein-juristisch scheinbegründet. Positivistischer Wahn – ethiklos. Was sich durchsetzt, ist Recht. Auch Auschwitz. Die NSDAP-Institutionen dominierten nicht nur die gesellschat lichen Subsysteme. Sondern nur soweit die NSDAP-Institutionen von ihren Machtmöglichkeiten keinen Gebrauch machten, regelte sich das private und öfentliche Leben nach den Normen des überkommenen oder neu geschafenen »Rechts«. »Nazideutschland ist der Inbegrif der Lüge, des Verbrechens und der brutalen Gewalt.« Sebastian Haffner. Jekyll & Hyde. 1939. S. 8. Oberpräsident für die Rheinprovinz war der Gauleiter von Essen Terboven. Die Gestapo-Leitstelle Düsseldorf, die größte im Deutschen Reich, war der Bezirksregierung Düsseldorf angegliedert und im selben Gebäude untergebracht. So war der Dienstweg zur Übermittlung von Anordnungen zu Maßnahmen gegen »Juden« und ihre Weiterleitung an die Kreis-, Stadt- und Polizeibehörden besonders kurz – und bürokratisch efektiv. Im »Nachrichtenblatt der Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Köln« am 15. Oktober 1934 lesen wir (LAV NRW R, RW 34 Nr. 001): »... die Erfolge der Kreis- und Ortspolizeibehörden auf dem Gebiet der politischen Polizei in erheblichem Maße zur Beseitigung staatsfeindlicher Bestrebungen und damit zur Befriedung des Regierungsbezirks beigetragen haben.« Das gilt analog für den Regierungsbezirk Düsseldorf: Die Erfolge auch in Osterath unter Ortspolizeichef Bürgermeister Hugo Recken. Im Gestapo-Gesetz vom 10. Februar 1936 hieß es im § 4 »Zuträgerfunktion für alle Kreis- und Ortspolizeibehörden als Hilfsorgane der Gestapo« in Absatz 1 Satz 2: »In diesem Rahmen haben die Kreis- und Ortspolizeibehörden den Weisungen der zuständigen Staatspolizeistelle Folge zu leisten.« Das bedeutet: Den Primat der Gestapo, einem aus einer NSDAP-Parteigliederung entstandenen staatlichen Organ, gegenüber den Kreis- und Ortspolizeibehörden. Die wiederum über die Vernetzung mit der SS mit der NSDAP nochmals vernetzt sind. Was bedeutet das für die polizeiliche Praxis? Die Kompetenzen waren neu geordnet worden. Regionalapparat Partei Staat 14 Reichsstatthalter in den nichtpreußischen Ländern 13 Oberpräsidenten in den preußischen Provinzen 31 11 Gauleiter in den nichtReichsstatthalter und Gauleiter preußischen Ländern und in den Reichsgauen preußischen Provinzen (Diese Gebiete wurden unter dem Nazi-Regime dem Reich (Das Gebiet eines Gaus war nicht immer mit der Grenze angegliedert; beim Reichseines Landes oder statthalter und Gauleiter einer Provinz identisch) in den Reichsauen handelte es sich um eine Person) Regierungspräsidenten Landräte Bürgermeister (Land) (Stadt) Da Bürgermeister und Ortspolizeibehörde und damit örtliche Gestapo auch NSDAP-Mitglieder waren, war eine weitere Vernetzung gegeben. Auch mit den örtlichen NSDAP-Gliederungen, dies auch in der Verwaltung. Am Beispiel von Bürgermeister Hugo Recken inden wir in den Gestapo-Akten im Staatsarchiv Nordrhein-Westfalen einige Schreiben von ihm an die Gestapo-Außendienststelle Krefeld oder die Gestapo-Leitstelle Düsseldorf. Seine schrit liche formelle dienstliche Kommunikation bezieht sich auf »Fälle«, in denen er im Rahmen der deinierten Kompetenzen agierte, auch initiativ. H. G. Adler in »Der Verwaltete Mensch. Studien zur Deportation der Juden aus Deutschland« (S. 1025) zitiert aus »Stuckart / Schurbarth. Verwaltungsrecht« (Leipzig 1938, S. 60 – 62) zur »Organisation der Polizei«: »4. Ortspolizeibehörden sind a. in den Städten: die Leiter der Gemeinden (... Bürgermeister) ... 1. Die Geheime Staatspolizei ... c. Kreis und Ortsbehörden der Geheimen Staatspolizei sind die Kreis- und Ortspolizeibehörden« In den Dokumenten des Nürnberger Prozesses ist PS-1852 »Der Aubau der Deutschen Polizei (Stand Sommer 1940)«. Ein Auszug: »Der Reichsminister des Innern Der Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei: Heinrich Himmler – NSDAP und Staat I Ortspolizeibehörden Bürgermeister mit Gemeindepolizeibeamten und Gestapo« Kreisleiter Ortsgruppenleiter Raul hilberg: Der Regionalapparat Im »Polizei-Handbuch« (37. Aulage, Lübeck 1942) wird in »Erster Teil: Staatsrecht« ausgeführt: »Vorbemerkungen Der Staat I. Das Parteiprogramm Mit einer neuen, zum Durchbruche und Siege gelangten Weltanschauung durchpulst in uns Geist staatliche Formen und staatliches Leben. Nur vom Boden der nationalsozialistischen Weltanschauung her kann eine neue Staatslehre aubauend über Begrife formen. Mit dem Siege der Idee sind die Parteidogmen und der sie vertretenden Kampbewegung die neue Staatsgrundsätze der Gemeinschat des Volkes geworden. Sie sind richtungsweisend für neue und überkommene Gesetze (NSDAPProgramm). Verfassung und Verwaltung Nationalsozialistische Verfassungsgrundsätze. 1. Die nationalsozialistische Weltanschauung ist die weltanschauliche Grundlage der Existenz und damit der Organisation des Dritten Reiches. »Die nationalsozialistische Idee hat ihren Sitz in der Partei.« (Hitler) II. Staatsgrundgesetze Da wesentliche Teile der Reichsverfassung vom 11. 8. 1919 z. Zt. aufgehoben oder gegenstandslos geworden sind, im übrigen auch in absehbarer Zeit eine Verfassung nationalsozialistischer Prägung erwartet werden kann, ist von dem Abdruck der veralteten Wortlauts Abstand genommen worden.« Die juristischen Gehirnkrämpfe drücken sich in der verqueren Sprache aus. Der Text in Kurzfassung: Der Führerwille – aller Ebenen – ist Recht. Alles Weitere ist Legitimations-Beiwerk – für maß- Antisemitische Massnahmen | 43 lose schein-legale Willkür. Im NS-Staat gab es kein Recht im juristischen Sinn. Alle Maßnahmen waren illegal und illegitim, damit kriminell und strabar. Wolfgang Benz hat formuliert: »Mit der Verschmelzung von SS und Polizei verwischten die Grenzen zwischen normativkontrolliertem staatlichen Handeln und im Vollzug nationalsozialistischer Ideologie ausgeübter Willkür.« Eben willkürlicher Staats-Terrorismus bis zur Gemeindeebene, schein-legal kostümiert. Raul Hilberg hat in »Die Vernichtung der europäischen Juden« (S. 48) nach dem Dokument aus dem Nürnberger Prozess PS-2905 – von Reichsinnenminister Frick beglaubigte Organisationstafeln – den »Regionalapparat« dargestellt (s. vorherige Seite). Zu den Hierarchien formuliert Hilberg (S. 49): »Alle vier Hierarchien trugen nicht nur mit administrativen Maßnahmen, sondern auch mit ihren jeweiligen organisatorischen Eigenheiten zum Vernichtungsprozess bei. Die Beamtenschat brachte ihre unbestechliche planerische und verwalterische Gründlichkeit ein.« In meinem Buch »Hubert Vootz. Ein Leben für die Freiheit – Vom deutschen Kaiserreich bis zur Bundesrepublik Deutschland« (S. 91) habe ich ein Terror-Schaubild veröfentlicht, das die Vernetzung von NSDAP und Staat auf allen Ebenen für die Rolle der Bürgermeister integriert: Anselm Faust benennt in »Die Kristallnacht im Rheinland« (S. 69) die »personellen Verlechtungen zwischen Partei und ihren Verbänden, den kommunalen Verwaltungen und dem Polizeiapparat.« »Die Vernichtung der Juden war nicht zentralisiert. Weder hatte man ein Behörde für Judenangelegenheiten gegründet, noch ein Budget für den Vernichtungsprozess bereitgestellt. Die antijüdischen Maßnahmen verteilten sich auf den Staatsdienst, das Militär, die Unternehmen und die Partei. Alle deutschen Organisationen wurden in das Projekt einbezogen. Jede einzelne Behörde trug dazu bei; man nutzte jede Spezialisierung; und an der Umklammerung der Opfer waren durchweg alle Gesellschatsschichten beteiligt.« So Raul Hilberg in »Täter, Opfer, Zuschauer« (S. 33). Zum arbeitsteiligen Charakter der Deportationen schreibt Yvonne Riecker in »Von der rechtlichen Gleichstellung bis zum Genozid« (S. 253): »An deren Vorbereitung und Durchführung sowie an der Abwicklung der Folgeprobleme waren auf regionaler und lokaler Ebene in der Tat zahlreiche Instanzen beteiligt ... Es waren kleine und kleinste Verwaltungsakte, die erst in der Bündelung eine Deportation ergaben. Eine solche Aufspaltung der Zuständigkeiten entlastete die Beteiligten und enthemmte sie zugleich. Sie waren zudem durch die Terror Der Verfolgungs-, Unterdrückungs- und Vernichtungsapparat SA Justiz Verwaltung Oberbürgermeister Kommunaler Polizeichef Polizei – in SS integriert – staatlich, inkl. Gestapo SS Aufgabe: örtliche Gestapo Kommunale Polizei Gegner Vermeindliche und reale: Krankheitserscheinungen .....> Bekehren oder Beseitigen / Ausrotten Urteil Nürnberger Hauptkriegsverbalprozess : SS, SD, Gestapo, politische Leiter der NSDAP : verbrecherische Organisationen 44 | Antisemitische Massnahmen Konsequenz der Integration / Vernetzung : dies bedeutet, dass damit erfasst sind die Polizei, die Oberbürgermeister und über sie die Kommunalverwaltungen Terror Schaubild: Lothar Klouten Sprache abgesichert, in deren Zentrum die Termini ›Evakuieren‹ und ›Arbeitseinsatz‹ standen. Diese Begrife verhüllen den systematischen Mord gerade durch ihre Deutungsofenheit.« Dies auch in der Form, dass sich heute der Meerbuscher Stadtarchivar Regenbrecht selbstverständlich nichts dabei denkt, den Terminus »Evakuieren« unrelektiert wiederzugeben. Raul Hilberg führt in »Täter, Opfer, Zuschauer« (S. 36) unter »Tätergruppen« »Kommunalbehörden« auf: »Beschränkungen der Freizügigkeit und des Wohnrechts.« Stefan Nothe formuliert in »Alte Kameraden und neue Kollegen« (S. 36 f.): »Ab 1936 war die gesamte Polizei formal ein Hilfsorgan der Gestapo und hatte diese bei allen ihren Maßnahmen zu unterstützen – und sie ist dieser Aufgabe in erheblichem Maße nachgekommen.« Hilfsorgan im Sinne von: Integraler weisungsgebundener Bestandteil. Holger Berschel formuliert in »Bürokratie und Terror« (S. 431): Für die Vertreibung der Juden aus ihren Wohnungen und ihre Zusammenfassung in ›Judenhäusern‹ waren zuerst die Gemeindebehörden zuständig, ehe 1941 die Gestapo auch hier die Leitung übernahm.« »Die örtlichen Stadt- und Landpolizeistationen waren angewiesen, alles zu übermitteln, was ihnen an politisch interessantem zu Ohren kam.« Ausführlich hat Hans-Günter Adler in seinem Buch »Der verwaltete Mensch« die Rolle der Bürgermeister beleuchtet: »Die Landräte ... beaut ragten mit den verlangten Maßnahmen die Bürgermeister der Städte und übrigen Gemeinden ihres Kreises. In allen solchen Orten wurde die vorbereitende Deportationsarbeit trotz Beaut ragung der städtischen Schutzpolizei und auf dem Lande der Gendarmerie vom Bürgermeister mitbesorgt oder zumindest genau überblickt. Kein Landrat und kein Bürgermeister in Deutschland, aus dessen Verwaltungsgebiet auch nur ein einziger Jude verschickt worden ist, konnte nach dem Winter 1941/42 über den bürgerlichen Tod der Juden in Unkenntnis bleiben. Mit Ausnahme der Vorgänge bei der Verladung in einen Deutschland endgültig verlassenden Zug gibt es ungefähr keine wichtige Einzelheit der Deportation, die ein Landrat oder Bürgermeister nicht ebenso genau wissen musste wie ein Beamter der Gestapo, soweit er in die blutigen Geheimnisse der ›Endlösung‹ eingeweiht war.« (S. 373) Berschel weiter (S. 431): »Die Abmeldung der Deportierten erfolgte in Zusammenarbeit mit dem Einwohnermeldeamt.« Auf der Einwohnermeldedateikarte von Dan Lucas aus Osterath ist der Eintrag zu lesen: »9.12.41 Osten Riga« »Alle Informationen, die durch die ›Richtlinien‹ aus dem RSHA IV B 4 an die Gestapo gelangten, sowie alles, was in diesem Zusammenhang die Gestapo für sich selbst schrit lich festlegte, sind auch den Landräten, Bürgermeistern und zahlreichen anderen Amtsinhabern der zivilen Verwaltung mit Aut rägen zur Ausführung im eigenen Zuständigkeitsbereich oder nachrichtlich mitgeteilt worden. Was diese Stellen sich dabei dachten oder zu denken verabsäumten, ist eine andere Sache; mitgewirkt – sofern auch nur ein betrofener Jude in ihrem Wirkungsbereich lebte – haben sie alle, wenn sie nicht, sei es auch mit begreilicherweise verschwiegenem Grunde, deswegen ihr Amt aufgegeben haben oder zumindest für die Dauer der Aktion ›erkrankt‹ sind. Selbstverständlich mussten die Landräte und untergeordneten Bürgermeister die Bestimmungen über den zu deportierenden Personenkreis kennen. Sie erfuhren, was mit dem Vermögen zu geschehen hatte. Sie mussten sich darum kümmern, dass innerhalb ihres Kompetenzbereiches den Juden all das weggenommen und sonst angetan wurde, was nur in bestimmten großen Städten die Gestapo selbst erledigte. Die Gestapo erteilte genaue Aufschlüsse, wenn diese auch gewiss nicht überall gleich ausielen.« (S. 373) Darüber hinaus hatten die Bürgermeister eine generelle Kontrollfunktion, so Jaques Delarue in »Geschichte der Gestapo« (S. 90 f.): »Das Zusammenspiel war perfekt, die ›Geheimnisträger‹ wussten fast nichts mehr von dieser ihrer Eigenschat, weil sie im Staube der nicht den Für Osterath bedeutet das: Bis 1941 hat Bürgermeister Recken die »Entjudung« und Ghettoisierung in »Judenhäusern« im Rahmen seiner Amtsgewalt realisiert. Dann musste er sich mit der zuständigen Gestapo-Außendienststelle in Krefeld arrangieren. Daher sein Schreiben an diese vom 4. Juni 1942: »Es wird um Abschiebung des Juden gebeten.« (RW 58-34996, in: Anselm Faust. Die Kristallnacht im Rheinland, S. 100) Gemeint war Julius Gutmann – gemeinsam mit seiner Ehefrau Sabine. Am 24. Juli 1942 – also kaum sechs Wochen später – wurde das Ehepaar Gutmann nach heresienstadt deportiert. Und: »Es« ist eine typische bürokratische Rationalisierung und Neutralisierung. Wie das Wort »Abschiebung«. Antisemitische Massnahmen | 45 Menschen sehenden formalen Verwaltung ihr Gewissen erstickten oder gar nichts sehen und hören wollten, was in den Papieren enthalten war, die sie empingen, behandelten und selber schrieben, was sogar noch dann galt, wenn sie, sei es auch durch Vermittlung ihrer Untergebenen, unmittelbar leidvoll auf die Opfer der gesammelten unmenschlichen Maßnahmen einwirkten. Die Stuttgarter Gestapo stand schwerlich allein, wenn sie einen Landrat Ende März 1942 in der Sprache des ›Wannseeprotokolls‹ verständigte: ›Die in der letzten Zeit in einzelnen Gebieten durchgeführten Umsiedlungen nach dem Osten stellen den Beginn der Endlösung der Judenfrage im Altreich, der Ostmark und im Protektorat Böhmen und Mähren dar.‹ – Beginn der Endlösung, ganz unverfänglich steht es hier, es hat nichts zu bedeuten, zu Sorgen liefert das ofenbar keinen Anlass, wenn auch die Deportierten, nahezu ganz ihrer Habe beraubt, irgendwohin verschwinden sollen. In diesem Brief wurde dem Landrat noch eingeschärt: ›Im Hinblick auf die vorläuig letzte Gelegenheit zur Entjudung der einzelnen Kreise ersuche ich, nur in schwersten Fällen von Gebrechlichkeit bzw. Erkrankung Juden vom Transport zurückzustellen.‹ Unbekümmert konnte dieser Brief nach dem Absatz über den ›Beginn der Endlösung‹ auf folgende Weise fortgesetzt werden: ›Im Rahmen dieser Umsiedlung geht in der nächsten Zeit ... ein weiterer Transport von Juden ... nach dem Osten.‹ Wie gewiss viele seiner Amtsbrüder in ähnlicher Lage, so hat auch unser Landrat am 30. März 1942 diesen Brief der Gestapo in ungefähren Wortlaut abgeschrieben, weil er den Aut rag den Bürgermeistern zweier Städte zu übermitteln hatte. Die Ankündigung des zweiten Transports wurde wörtlich mit dem vorhin mitgeteilten Satz über den ›Beginn der Endlösung‹ eingeleitet. Daran anschließend hat der Landrat auch alles Übrige nach der Vorlage kopiert.« (S. 374 f.) »Die vorgesehenen Transportopfer erfuhren amtlich von der Deportation mitunter durch eine staatspolizeiliche ›Eröf nung‹, die schrit lich oder mündlich oder in beiderlei Form im Büro der Gestapo (in kleineren Orten auch bei einer lokalen Polizeibehörde) erfolgen konnte. Ot war hierbei der Empfang durch Unterschrit zu bestätigen ... Mitunter wurden gleichzeitig die Reserveleute herangezogen, doch kam es auch vor, dass sie sogar noch am Tage der Abreise benachrichtigt wurden.« (S. 390) »Die Bürokratie nahm sich der Angelegenheit an. Es war ein bürokratischer Vernichtungsprozess.« So Raul Hilberg in »Die Vernichtung der europäischen Juden« (S. 41). 46 | Antisemitische Massnahmen »Von Deutschland ging der Vernichtungsprozess aus. Es verlief keine Klut zwischen dem Mann auf der Straße und den Tätern, die man in jeder Behörde oder Dienststelle fand.« So Raul Hilberg in »Täter, Opfer, Zuschauer« (S. 217). »Wie wurde der deutsche Bürokrat mit seinen moralischen Widerständen fertig? Mit einem Unterdrückungsmechanismus und einem System von Rationalisierungen.« So Raul Hilberg in »Die Vernichtung der europäischen Juden« (S. 686). Wie Hugo Recken: »Es« – nicht »Ich«. Im Sinne des Deutschen Beamtengesetzes §3 Abs. 2: Der Beamte hätte »jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat« einzutreten. Das bedeutete für den Bürgermeister als örtliche Polizeibehörde und damit örtliche Gestapo nach Bader / Pohlen »Polizeirecht (in »Die Verwaltungsakademie«. O. J. (1940), S. 47): »Die Geheime Staatspolizei hat in unmittelbarem Kampfe die politischen Feinde der Volksgemeinschat zu erforschen, zu bekämpfen und zu vernichten.« An oberster Stelle der politischen Feinde waren nach dem Verständnis der Nationalsozialisten per Geburt alle Menschen, die sie als »Juden« deinierten. Die die – wie es hieß – »kämpfende Verwaltung« im Rahmen ihrer Aufgaben endzulösen hätte. In den Dokumenten des Nürnberger Prozesses inden wir einen Geheimbericht der Einsatzgruppe A als PS 2273. Im Kontext von »Säuberungsarbeit« wird dort zu »möglichst restlose Beseitigung des Judentums« beschrieben, nach dem NSDAPProgramm das – im doppelten Wortsinn – globale Kernziel des nationalsozialistischen eliminatorischen Antisemitismus. Zu dessen ideologischen Wahn auch gehörte, dass es nach dem Verständnis von nationalsozialistischen Mördern für ihre nichtjüdischen Mordopfer nicht zumutbar sei, neben ihren jüdischen Mordopfern verscharrt zu werden. So von Eugen Kogon in »Der SS-Staat« beschrieben. Das bedeutet: Eliminatorisch ist weitestdenkbar zu verstehen. Auch im Sinne von: Alles jüdische in und aus Osterath zu eliminieren – Menschen und ihre Häuser nebst Inventar und Geld sowie Sachen wie Leichen und Grabsteine, auch durch Überbauung des jüdischen Friedhofs mit Einfamilienhäusern. Recken »schwebte sicher die Idee eines ›judenreinen‹ Friedhofs vor«, so Günter Janß (S. 45). Mit Bezug auf die ursprüngliche Überlegung der Gemeindeverwaltung, eine Umlegung auf den neuen Friedhof in Osterath zu realisieren, was dann von Hugo Recken nach seinem Amtsantritt in Osterath im Januar 1934 mit Zielrichtung auf einen »Export« nach Krefeld annuliert wurde. Die Bauherren der Einfamilienhäuser direkt über dem jüdischen Friedhof waren nicht zufällig aktive Osterather Nationalsozialisten. Dessen Existenz von Hugo Recken 1946 – als antisemitisch zu werten – amtlich schrit lich geleugnet wurde – und dies folgenlos. Da er persönlich als Bürgermeister für dessen Beseitigung initiativ verantwortlich war – auch im justiziablen, also straf- und zivilrechtlichen sowie dienstrechtlichen Sinn. Die Strafanzeige gegen ihn wegen »pietätloser Beseitigung des jüdischen Friedhofs« 1946 – im Kontext wohl von Sabine und Julius Gutmann gestellt – wurde bürokratisch ignoriert und mittels eines »Persilscheins« seines Symbionten und bürokratischen Mit-Täters Johannes Herbrandt zur Legitimation dieser Rechtsverweigerung neutralisiert. Bürokraten vertrauen – blind – erstrangig Bürokraten, ihresgleichen, und können sich darauf ebenso blind verlassen. Bürokratie-Prois spielen die Bürokratie-Klaviatur zur Aushebelung von – formalem – Recht im Sinne ihrer Deinitionsmacht von Realität. In dieser bürokratischen Kontinuität ist heute der Meerbuscher Stadtarchivar Regenbrecht im Aut rag seines bürokratisch-politischen Vorgesetzten Bürgermeister Spindler zur apologetischen Legitimation aller Maßnahmen von Hugo Recken aktiv – insbesondere auch aktiv-passiv, um auf Zeit und Vergessen zu spielen. Ex-NRW-Innenminister Herbert Schnoor schrieb 1990 (Melling S. 496): »Auch die Polizei war ein Mittel des Terrors, auch sie hat die Gewaltherrschat von 1933 bis 1945 ermöglicht, getragen und gestaltet.« Dr. Anselm Faust formulierte in einer eMail an mich am 12. März 2012: »Wer seit 1933 NSDAP-Mitglied und von 1934 bis 1945 Bürgermeister einer Gemeinde war, muss als aktiver Nationalsozialist angesehen werden; hätte er Vorbehalte gehabt oder gezeigt, hätte er sein Amt sehr schnell verloren. Auch wenn Recken nur ein ›kleiner Täter‹ gewesen sein sollte, hat er doch das nationalsozialistische Unrechtsregime aus freien Stücken gestützt.« Das Landgericht Düsseldorf stellte in einem Urteil am 27. Mai 1948 (8 KS 21/49) fest: »Die gesamte Tätigkeit der Gestapo, die einen wesentlichen Teil der nazistischen Gewalt- und Willkürherrschat darstellte, war ... ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.« Ein Urteil gegen den Leiter des Judenreferats der Gestapo-Leitstelle Düsseldorf, Georg Pütz, auch verantwortlich für Deportation und Ermordung der aus Osterath verschleppten Menschen. In enger bürokratischer Koordinierung mit seinem Kollegen in Osterath, Hugo Recken. Wo beginnen bürokratische interessengeleitete Zweck-Lüge und Antisemitismus? Auch durch Dokumenten- und Informationsunterdrückung und deren Manipulation sowie bewusster gezielter interessengeleiteter bürokratisch-politischer Fehlbeurteilung (nicht geschichtswissenschat licher Analyse und Wertung) – auch durch kommentarlosen, den Inhalt ignorierenden, Abdruck von Quellen. Deren Inhalt dann auch negiert, wegbeurteilt, als nicht geschichtswissenschat lich diskreditiert wird – mit dem sie Zitierenden, also mich persönlich. Auch durch die Behauptung, Quellen-Zitate seien »Vorwürfe von Klouten« – gegen Hugo Recken. Das ist bürokratische Perversion gegen meine Würde. Und die Würde der Opfer, die so symbolisch ein weiteres Mal aktiv zu Opfern gemacht werden. Die Akten der Gemeinde Osterath, insbesondere was die Gemeindepolizei und die antisemitischen Verwaltungsmaßnahmen betrit, sind erkennbar »ausgedünnt«. Dazu zwei Hinweise: Egon hiel schreibt in »Die Polizei in Osterath« (Meerbuscher Geschichtshete 1995, S. 68): Susanne Melling formuliert in »Immer treu« (S. 364 f.): »Durch höchstrichterliche Entscheidung wurde die systemstabilisierende Funktion der Beamtenschat als integraler Bestandteil des Nationalsozialistischen Unrechtsstaates unmissverständlich zum Ausdruck gebracht.« Ähnlich formuliert Hans Kaiser in »Zum Schicksal der rheinischen Juden« (Viersen 1991, S. 82): »Beim Kreis und in den Gemeinden hat man sich kurz vor dem Einrücken der Amerikaner Anfang März 1945 bemüht, alle Akten, die die Amtsträger des NS-Regimes hätten belasten können, zu vernichten.« »Was das Auinden von Akten aus der Zeit des Nationalsozialismus angeht, so ist dies immer mit großen Schwierigkeiten verbunden. In den meisten Fällen wurden die Akten der Polizeiund Kommunalverwaltungen noch schnell vor dem Einrücken der Allierten vernichtet. Vielfach gingen somit nicht nur belastendes Material, sondern auch alle weiteren historisch interessanten Akten unwiederbringlich verloren.« Antisemitische Massnahmen | 47 Amtsträger des NS-Regimes in Osterath waren u. a. Bürgermeister Hugo Recken und seine rechte Hand in der Gemeindeverwaltung, Johannes Herbrandt. Die Vernichtung der Akten, von der mir Zeitzeugen berichteten, bedeutet auch: Die Handelnden hatten ein Bewusstsein des Unrechtes dessen, was damit in Papierform dokumentiert »entsorgt« werden sollte. Doch nur dann, wenn man ausschließlich die Kommunalarchive einbezieht, ist eine große Lücke festzustellen. In den Akten z. B. des Staatsarchivs NRW in Düsseldorf sind die Lücken zumindest teilweise zu schließen. »Ortsgruppenleiter Panzer gedachte des durch jüdische Mörderhand niedergestreckten deutschen Diplomaten vom Rath, wobei eine Musikkapelle das Lied vom guten Kameraden spielte. Gauredner Amelung führte in seinem Vortrag aus, dass der jüdische Einluss sich in den Jahren vor der Machtergreifung (sic!) immer mehr ausgeweitet habe. Die Juden seien uns Deutschen artfremde Elemente, die nur das Ziel verfolgten, die Geschlossenheit des deutschen Volkes zu zerstören. Immer mehr sei nach der nationalsozialistischen Erhebung das Judentum zurückgedrängt worden und nunmehr sei die Zeit gekommen, wo Deutsche in jüdische Paläste einziehen könnten und den Juden einmal Siedlungs- und Volkswohnungen zugewiesen würden. Nach Beendigung des Vortrages schloss der Ortsgruppenleiter mit der Führerehrung.« Was Meerbusch betrit, so gibt es ein weiteres – in die speziisch Meerbuscher Kultur passendes – Detail: Johannes Herbrandt hat in den 1980er Jahren ehrenamtlich und allein das Stadtarchiv Meerbusch geführt. Ich habe ihn in diesem Kontext im Rahmen meiner Recherchen zu meiner Ersten Staatsarbeit »Verfolgung und Widerstand in Meerbusch 1933 – 1945« kennen gelernt. Aus dieser Perspektive sind alle Dokumente im Stadtarchiv Meerbusch im Bestand Osterath und diese in ihrer Gesamtheit zu verstehen und geschichtswissenschat lich zu bewerten. Und sie können in den Kontext der Dokumente in anderen Archiven gebracht werden, die das – zum Teil – abbilden, was in Osterath »verloren ging«. In wenigen Sätzen kommt der gesamte antisemitische Wahn der Nationalsozialisten zum Ausdruck, den Zeitgenossen voll präsent und bewusst. Welche jüdischen Paläste – in Osterath? Und hier ist klar formuliert: Nach dem Ausschluss aus der »Volksgemeinschat« kommt der nächste Schritt: die Enteignung. Als Selbstverständlichkeit zur Kenntnis genommen. Perversion und Pathologie als – vermeintliche – Normalität. Auch in Lokalzeitungen wie der Osterather Zeitung sowie in Regionalzeitungen wie der in Düsseldorf erscheinenden »Rheinischen Landeszeitung. Volksparole« inden sich Berichterstattungen aus Osterath mit antisemitischen Bezügen. Hier ein Beispiel: In der »Rheinischen Landeszeitung. Volksparole« lesen wir am 13. November 1938 im Kontext der Reichskristallnacht zu einer »Großkundgebung der NSDAP-Ortgruppe Osterath im Saal Hannen (heute Weindorf, LK), die voll besetzt war«: Im Bestand Osterath im Stadtarchiv Meerbusch gibt es insbesondere eine Akte mit zahlreichen Dokumenten zu antisemitischen Maßnahmen durch Bürgermeister Hugo Recken: III 1997 – in der – alten – Aktennummerierung von Johannes Herbrandt P 15. So z. B. zur Familie Dr. Goldberg, Arzt deutscher Nationalität in Osterath, jüdischen Glaubens. Modell der NS-Zeit Schaubild: Lothar Klouten Modell der NS-Zeit Kontra : Widerstand Kontra : Gegner Zuschauer Pro : Mitläufer Pro : Aktivisten 48 | Antisemitische Massnahmen In der Osterather Zeitung inden wir am 5. April 1933 und am 23. April 1935 Anzeigen von Dr. Goldberg: ihr Kind Herbert dann auf eine Schule in Luxemburg geschickt. Mit Datum vom 23. August 1936 erhielt Dr. Goldberg von Bürgermeister Hugo Recken das folgende Schreiben: Anzeige Dr. Goldberg, 5. April 1933 »Es wurde polizeilicherseits festgestellt, dass in Ihrem Haushalt die österreichische Staatsangehörige Gertrud Kreutner, 15 Jahre alt, ohne Genehmigung beschätigt wird. Nach ... (Aufzählung einer Verordnung und deren Durchführungsbestimmung, LK) Da Sie hiernach gegen die Bestimmungen der vorgenannten Verordnung verstoßen, fordere ich Sie auf, die Gertrud Kreutner sofort aus Ihren Diensten zu entlassen.« Das bedeutet: Recken hat seinen Dorfpolizisten schnüfeln lassen, um etwas zu inden, Dr. Goldberg zu terrorisieren. Anzeige Dr. Goldberg, 23. April 1935 Der Unterschied der beiden Anzeigen: Dr. Goldberg war von den antisemitischen Maßnahmen gegen jüdische Ärtze betrofen. Er musste seine Öf nungszeiten massiv einschränken. Wie der mit einer »Jüdin« verheiratete »arische« Arzt Dr. Langenbach. Dies wie alle anderen antisemitischen Maßnahmen waren den Menschen in Osterath bekannt. Und deren Folgen für die betrofenen Familien. Am Beispiel der Familie Cervelli – Paul Cervelli »Halbjude«, seine Frau »Arierin«, der Sohn Paul »Vierteljude« – hat mir Frau Cervelli 1984 berichtet, dass es Menschen in Osterath gab, die ihre Familie u. a. mit Nahrungsmitteln unterstützt haben. Am 10. September 1935 erließ der Preußische Minister für Wissenschat, Erziehung und Volksbildung eine Anordnung zur Entfernung der Juden aus den Schulen. Zur Durchführung erstellte die Gemeinde Osterath eine Aufstellung: »Nachweisung der Rassenzugehörigkeit der die öfentlichen und privaten Volksschulen besuchenden reichsdeutschen Kinder«, bei der die Zahl der »Volljuden (beide Elternteile jüdisch)« mit »eins« angegeben ist, mit der handschrit lichen Zufügung »Goldberg«. Die Glaubensangehörigkeit des Kindes wird mit »mosaisch« angegeben, die Frage nach der Unmöglichkeit des Verbleibs an der Schule – der Volksschule Bovert – mit »ja«. Das Ehepaar Dr. Goldberg hat Herbert Goldberg kehrte nach der Flucht der Familie 1938 am 1. März 1945 als US-amerikanischer Soldat nach Osterath zurück. Er hat geholfen, Deutschland von den Nationalsozialisten zu befreien. Wer tatsächlich zielgerichtet sucht, der indet. Oder das Gegenteil, wenn es politisch gewollt ist, wie im Fall des Meerbuscher Stadtarchivars Regenbrecht. Verbunden mit bewusster Ignorierung von Quellen – auch im »eigenen« Archiv – und bewusster politischer Fehl-Bewertung – nicht geschichtswissenschat licher Interpretation. In zwei Beiträgen von Marie-Sophie Aust in den Meerbuscher Geschichtsheten – »Jüdische Familien in Osterath« (1) und »Ein jüdischer Mitbürger in Osterath: Julius Gutmann und seine Familie« (2) – inden wir Hinweise dieser Zeitzeugin und von anderen Zeitzeugen zur Entwicklung der partei-staatlichen kommunalen antisemitischen Maßnahmen durch Bürgermeister Hugo Recken und in seiner Verantwortlichkeit als Bürgermeister, örtlicher Polizeichef und damit örtliche Gestapo – sowie deren Folgen: »Das gute Zusammenleben endete bald nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten. Da es verboten wurde, Kontakt mit der jüdischen Bevölkerung zu unterhalten, konnten jüdische Freunde nur noch heimlich besucht werden, immer in der Furcht, evtl. von einem aktiven Nationalsozialisten gesehen und auf dem Bürgermeisteramt oder bei der Leitung der NSDAP ... angezeigt zu werden« (1, S. 77) Antisemitische Massnahmen | 49 Die Reihenfolge Bürgermeisteramt – NSDAP ist kein Zufall: Recken war der Garant des NS-Terrorsystems in Osterath für die Realisierung des NSDAP-Programms. »Eine allgemeine Angst vor Repressalien und Denunziantentum hatte sich unmerklich eingeschlichen und bestimmte mehr und mehr das Klima. Im dörlichen Osterath, wo damals noch jeder jeden kannte und seiner Gesinnung nach einzuordnen wusste, hatte sich Misstrauen breitgemacht. Der Alltag hatte seine Normalität verloren.« (1, S. 77) »Es begann im März (1933, LK) mit dem Aufruf der Partei zum Geschätsboykott. Überall wurde verkündet: ›Deutsche – kaut nicht beim Juden!‹. Diejenigen, die sich davon nicht abhalten ließen, bekamen es zu spüren und wurden unter Druck gesetzt, z. B. wurde den Gemeindebeamten und -angestellten verboten, in jüdischen Geschäten einzukaufen.« (2, S. 53) Eine antisemitische Maßnahme von Bürgermeister Hugo Recken. In eigener Verantwortlichkeit, im Vorgrif auf eine Anordnung dazu von überörtlichen partei-staatlichen Bürokratien. 1933 »beim Juden« – dann von Recken am 4. Juni 1942 an die Gestapo-Außendienststelle Krefeld: »Es wird um Abschiebung des Juden gebeten«. »Es«: Eine unpersönliche Sache – das Ehepaar Gutmann, das er persönlich – amtlich – terrorisiert hat. Wobei die Gestapo-Außendienstelle Krefeld dann von »den Juden« bzw. dem »jüdischen Ehepaar Gutmann« an Recken schrieb, also »weniger« nationalsozialistisch-ideologisch als Recken. »Damals lebte auf der Strümper Straße eine Frau, die von ihrer Nachbarin angezeigt worden war, weil sie ›jüdische Hühner gefüttert hatte‹. Diese Frau wurde auf das Bürgermeisteramt geladen, verhört, verwarnt und musste anschließend für viel Geld eine 2 Meter hohe Mauer zwischen ihrem Grundstück und der benachbarten jüdischen Familie bauen. Es durte kein Törchen in dieser Abtrennung sein, damit jeder heimliche Kontakt mit den Juden unmöglich war. (2, S. 53) So satirisch dieses Geschehen heute wirken mag, es ist ein Spiegelbild der damaligen Realität – und des realen Habitus der großen Mehrheit der »Volksgemeinschat«. Was lesen wir? Die Nachbarin zeigte die Fütterin jüdischer Hühner beim Bürgermeister an, der umgehend konsequent seines nationalsozialistischen Amtes waltete. Bürokratisch perfekt – und gnadenlos, als furchtbarer Bürokrat. Stellen Sie sich einmal vor: Sie gehören zu der betrofenen jüdischen Familie. Oder sie wissen als 50 | Antisemitische Massnahmen Teil der katholisch-dörlichen »Volksgemeinschat« von diesem und allen weiteren antisemitischen Maßnahmen von Bürgermeister Hugo Recken. Was denken und fühlen Sie? Genau darum ist es gegangen. Und genau darum geht es auch heute. »Judenfreundliches Verhalten« wurde zumeist auf Denunziation bei der Gestapo verfolgt und in zahlreichen Fällen bestrat. Verfolgt und bestrat wurde ein menschliches Verhalten gegenüber MitMenschen, das als gegen die Volksgemeinschatsideologie gerichtet ideologisch verstanden wurde: Die Exklusion der Menschen, die die Nationalsozialisten als »Juden« bezeichneten und töten wollten, wurde »hintergangen«, also die »nationalsozialistische Bevölkerungspolitik« im Sinne des NSDAP-Programms. In den Gestapo-Akten im Staatsarchiv NRW in Düsseldorf inden sich dazu viele Beispiele. In Kontext seiner Gestapo-Rolle hat Bürgermeister Recken staatspolizeiliche Verwarnungen ausgesprochen und Betrofene scheinlegal zu Exklusions-Maßnahmen genötigt. Da in Osterath diese Maßnahmen bekannt waren mit der Wirkung in der Gesellschat. Die so von Recken als örtlichem nationalsozialistschen partei-amtlichbürokratischen Repräsentanten des NS-Regimes beabsichtigt war. Auch in Richtung auf NSDAPFunktionäre lokal und regional sowie gegenüber seinen Vorgesetzten. Es ging schließlich um seinen guten Ruf als Bürgermeister. Demonstriert in dokumentiertem – damals wie heute – Agieren im Sinne des exakten Gegenteils von »judenfreundlichem Verhalten«. Sabine Gutmann schrieb am 17. Dezember 1945 (KK 1023 Bl. 182), nachdem sie mit ihrem Mann Julius als einzige Überlebende der aus Osterath deportierten Menschen aus dem KZ heresienstadts nach Osterath zurückgekehrt war und Hugo Recken in Osterath erzählte, er würde wieder – wie 1933 – Rudolf Bartels als Bürgermeister ablösen: »Recken ist von jeher eifrig bemüht gewesen, in seiner Eigenschat als Bürgermeister den Nationalsozialisten herauszukehren. Besonders in der Judenfrage war er unerbittlich ... Von vier jüdischen Häusern ließ Recken zwei verkaufen, damit nicht soviel jüdische Häuser am Platze seien, wie Recken selber sagte.« »Arisierung« war nationalsozialistisch-ideologisches Schein-Legales Wirtschatsverbrechen im Sinne von ungesetzlichem Recht. Im Kontext der Wiedergutmachung wurde dies nach 1945 juristisch so beurteilt. Auch in Bezug auf die auf Initiative von Bürgermeister Hugo Recken »arisierten« Häuser von Menschen jüdischen Glaubens in Osterath und ihrem Eigentum. Dazu gibt es zahlreiche Akten im Bestand des Landgerichts Krefeld – und in weiteren Beständen. antwortlichkeit war in Lemgo vor 30 Jahren. Die Uhren in Meerbusch gehen langsam – und nach. Angela Genger und Hildegard Jakobs formulieren in Düsseldorf – Getto Litzmannstadt (S. 19): Der Fokus des Beitrags ist die »aktive Rolle Gräfers bei der Verwirklichung nationalsozialistischer Politik im lokalen Bereich« (S. 217) – versus: »Die Verklärung seiner Person.« (S. 212) »Einige waren nach den Pogromen vom November 1938 in die größeren Städte zu Verwandten gezogen, weil die NSDAP-Funktionäre und ihre Helferinnen und Helfer sie nach Jahren massiver Bedrohung und direkter Gewalt endgültig vertrieben hatten und es keine jüdischen Hilfseinrichtungen für sie gab, von den sie nach dem Gewerbeverbot hätten unterstützt werden können. Sie hatten schon bis Ende 1938 fast alles verloren oder zurücklassen müssen, was sie ihr Eigen genannt hatten. Ihre Ersparnisse – soweit sie überhaupt nach solche besaßen – standen ihnen nur mehr nach Abzügen durch Sondersteuern und auf Antrag zur Verfügung.« Osterath war von dieser Welt. Nach der Befreiung 1945 war Recken dann der verfolgte Katholik, der den Nationalsozialisten aus katholisch-christlicher Überzeugung Widerstand leistete, die Osterather Juden auch schützte. So heute kontextlos von Stadtarchivar Regenbrecht rezipiert, die Recken-Selbst-Legitimation wiedergebend, als geschichtswissenschat liche Wahrheit. Weil es von Bürgermeister Spindler bürokratischpolitisch so gewollt ist. Ein Hohn für die Opfer, die so symbolisch ein zweites Mal von Bürgermeister Spindler zu Opfern gemacht werden. Tote können sich nicht wehren. Bürokratische Perversion, mit allen Mitteln inkl. struktureller Gewalt vertreten. Dies auch im Sinne von: Ich darf als Bürgermeister bürokratisch-politisch alles für mich persönlich folgenlos machen, um meine bürokratisch-politischen Ziele zu verfolgen. Es hat sich diesbezüglich in Meerbusch nichts geändert. Auch die Gefolgschat nicht. In den »Lippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde« inden wir im Band 51 (1982, S. 211– 239) den geschichtswissenschat lichen Beitrag von u. a. Arnd Bauerkämper »Zur Stellung des Bürgermeisters im nationalsozialistischen Staat. Wilhelm Gräfer in Lemgo«. Die Lektüre dokumentiert: Hugo Recken war wie Wilhelm Gräfer ein Fraktal als Mensch in seinen gesellschat lichen Rollen, gestaltet nach seinem freien Willen. Der Konlikt in Lemgo um die Rolle des Bürgermeisters in der NS-Zeit und seine persönliche Ver- Das Besondere an Gräfer: Ähnlich wie Jürgens in Düsseldorf wollte er den US-amerikanischen Einheiten Lemgo im April 1945 kamplos übergeben, wurde deswegen von Nationalsozialisten scheinlegal ermordet. Im Gegensatz dazu beruht die Recken-Legende auf seinen eigenen apologetischen Behauptungen nach 1945, gestützt durch seine rechte Hand seit 1934 und nach 1945 Johannes Herbrandt sowie der Allianz katholischer Geistlichkeit und katholischer Gemeindeelite – sowie dem Zeitgeist, den Interessen der britischen Militärregierung und denen seiner Vorgesetzten auf Kreisebene. Der besondere Fokus der Autoren liegt auf »seinen (Gräfers, LK) Handlungsmöglichkeiten und seine realen Entscheidungen mit ihren vielfältigen Konsequenzen,« (S. 215) »das individuelle Handeln Gräfers innerhalb seines Kompetenzbereichs.« (S. 216) Also exakt der Fokus dieser Arbeit zu Osterath und die Rolle von Recken, Herbrandt und weiteren lokalen Nationalsozialisten. »Am 29. 12. 1923 wurde Wilhelm Gräfer zum Bürgermeister von Lemgo gewählt.« (S. 217). Recken war Bürgermeister in Vorst, trat nach seiner Versetzung im Sinne einer Anerkennung Ende Januar 1934 seinen Dienst in Osterath an. Er hatte eine »national-konservative politische Einstellung.« (S. 218) Was für Hugo Recken im Grundsatz auch konstatiert werden kann. Gräfer »... am 1. Mai 1933 in die Partei eintrat und im Gegensatz zu vielen anderen Bürgermeistern im Amt blieb.« (S. 220) Identisch zu Recken, inkl. des Termins. Die Frage ist interessant: Welche Einrittsdaten hatten alle anderen Bürgermeister, die zur NSDAP übertraten und im Amt blieben? Es wird bei sehr vielen der 1. Mai gewesen sein und dies hat aus der Perspektive der Nationalsozialisten hohen symbolischen Charakter – für die Machtübernahme in allen deutschen Kommunen. Antisemitische Massnahmen | 51 Die Annäherung von Gräfer an die NSDAP belegen die Autoren mit Zitaten von ihm: »... bis der letzte Feind vernichtet ist ... einem dreifachen Sieg Heil ... gegründet auf die Gemeinschat von Rasse und Vaterland.« (S. 222 f.) Den Kontext zu Recken-Zitaten in diesem Buch können Sie relektieren. »... die Bestrebungen der nationalsozialistischen Machthaber nach möglichst vollständiger Erfassung der Bevölkerung, wobei der Bürgermeister in Lemgo als ausführendes Organ fungierte.« (S. 228) Wie in Lemgo, so in Osterath mit Recken. »Andererseits unterlagen auch Bürgermeister und Gemeindebeamte der Kontrolle und Aufsicht von Staats- und Parteiinstanzen, so dass deren Stellung zunehmend der von Staatsbeamten glich.« (S. 228) Genauer dürte es heißen: Partei-Staats-Beamte – die »Einheit von Partei und Staat« auf kommunaler Ebene. Dieser Aspekt wurde in Osterath durch die Machtübertragung auf Recken durch NSDAPKreisleiter Niehm sowie die quasi Doppel-AgentenRolle von Johannes Herbrandt – teilweise – neutralisiert. 52 Zu »Die Durchsetzung der NS-Judenpolitik in Lemgo« formulieren die Autoren (S. 229): »Im Zuständigkeitsbereich Gräfers als Vorsitzender der Ortspolizeibehörde und als Vorgesetzter der kommunalen Verwaltung lag die Verwirklichung der staatlichen Judenpolitik auf kommunaler Ebene.« Analog: Bei Recken in Osterath. »Antisemitische Maßnahmen«, »die Judenfriedhöfe geschändet« (S. 230), »die Ghettoisierung in sog. Judenhäusern« (S. 233): Ein Fraktal – generell, also auch für Osterath. Ebenso wie die bewertenden Sätze der Autoren: »... Bürgermeister Gräfer seinen Entscheidungsspielraum nicht zugunsten der jüdischen Einwohner Lemgos nutzte. Er hat vielmehr sowohl Verordnungen vorgesetzter Behörden ausgeführt als auch selbstständig die allgemeine Judenpolitik des Nationalsozialistischen Regimes durch weitere Maßnahmen auf kommunaler Ebene durchgesetzt.« (S. 233) In einer NSDAP-Stellungnahme zu Gräfer heißt es: »Gräfer ist ein sehr wendiger und anpassungsfähiger Mensch.« (S. 235) »Als eine der wichtigsten Funktionen des Bürgermeisters oblag Gräfer die Kontrolle über die Ortspolizei.« (S. 228) Das kann so verstanden werden: Er zweck-lügt besser als wir. Ist also der bessere Bürokrat – und Politiker. Und Hugo Recken? Bürokraten in ihren Bürokratien erhalten sich für ihre Interessen als Selbstzweck – unter allen – politischen – Bedingungen. Staatsformunabhängig. Analog wie bei Recken in Osterath. Und genau die Bedeutung – und Vernetzung – dieser Bürgermeister-Funktion wird heute in Meerbusch (-Osterath) bürokratisch-politisch interessengeleitet wegdeiniert und wegmanipuliert, sowie als nicht geschichtswissenschat lich verleumdet. »Konlikte mit der NSDAP-Ortsgruppe sind jedoch nicht als ›Widerstand‹ gegen das nationalsozialistische Regime zu interpretieren, sondern als Reaktion auf Versuche der Partei, in Kompetenzen des Bürgermeisters einzudringen.« (S. 237) »Bei Anfragen höherer Polizeidienststellen war Gräfer verplichtet, Informationen weiterzugeben und gegebenenfalls ermitteln zu lassen. Als Beispiel für die praktische Durchführung sind Anfragen der Außendienststelle Detmold der Gestapo an den Bürgermeister als Ortspolizeibehörde.« (S. 228) Analog bei Recken. Allerdings unter umgekehrten Vorzeichen: In Osterath hatte er als Bürgermeister »die Hosen an«. Deswegen waren seine Teilnahmen an (rechts-)katholischen Veranstaltungen – auch in propagandistische NSDAP-Feierlichkeiten eingebettet – Machtdemonstrationen gegenüber den Osterather Nationalsozialisten. In Osterath: Anfragen der Gestapo-Außendienststelle Krefeld an Bürgermeister Recken als Ortspolizeibehörde. Warum genau diese Schritstücke im Bestand Osterath nicht überliefert sind, das hat seinen nachvollziehbaren Grund: Recken und Herbrandt war klar, dass sie – auch im juristischen Sinn – Schuld auf sich geladen hatten, sie hatten Unrechtsbewusstsein. »Das politische Verhalten Gräfers ist ... durch weitgehende Übereinstimmung mit der NS-Ideologie und deren Realisierung sowie durch enge persönliche Kontakte zu führenden lokalen und regionalen Parteigrößen gekennzeichnet« (S. 237), »eine immer deutlicher werdende Hinwendung zur neuen nationalsozialistischen Regierung.« (S. 237) »... drücken Grundstimmungen und Ideologiemuster national | Antisemitische Massnahmen und monarchistisch gesonnener Bevölkerungsteile aus. Der Übergang von dieser politischen Aufassung zur speziisch nationalsozialistischen Ideologie muss als ließend angesehen werden.« Da sie auf Ideologien aubaute und sie auch integrierte bzw. vereinnahmte. Erneute Analogie zu Recken – und dem Osterather Rechtskatholiken, der katholischen Gemeinde-Elite, im Verhältnis zu den katholischen Osterather Nationalsozialisten. »Am Beispiel der nationalsozialistischen Judenpolitik lässt sich zeigen, dass Gräfer nicht nur Anordnungen und gesetzliche Regelungen, die seinen Kompetenzbereich berührten, rückhaltlos ausführte, sondern auch bestehende Freiräume in seiner Amtsführung nicht nutzte ... Eigeninitiative ... Anpassung und willige Unterordnung ... Opportunismus ... Die NSDAP vertraute einem Bürgermeister, von dem sie nicht ohne Grund annahm, dass er in der Gemeinde Zustimmung inden, andererseits gemäß den Prinzipien nationalsozialistischer Politik handeln würde.« (S. 238f.) Wie Recken. Er im Kontext seiner katholisch-dörflichen sowie bürokratischen Eingebundenheiten auch nach der Befreiung 1945. Osterath ist nicht von ihm und seinem Symbionten Herbrandt befreit worden. Das hat bis heute gesellschat liche Konsequenzen. Auch im Sinne von unbewältigter Vergangenheit. »Anhand der Analyse der Stellung des Bürgermeisters Gräfer wird die hese bestätigt, dass der Nationalsozialismus bei der ›Machtergreifung‹ in der ›Provinz‹ weitgehend auf Repräsentanten der traditionellen dörl ichen und kleinstädtischen Elite zurückgrif.« (S. 239) Auch Osterath ist – wie ich es in diesem Buch herausgearbeitet habe – ein Fraktal dieser Feststellung. Wobei Recken im Januar 1934 als Beförderung aus einem nahen katholischen Nachbardorf »exportiert« wurde, aus Vorst. Zur Sicherstellung katholischer Dorf-Kultur-Kontinuität, gegen den evangelischen Bürgermeister Rudolf Bartels – 1933 und nach der Befreiung 1945. Also staatsformunabhängig. »Gelogen wird nicht nur mit Worten, sondern auch mit Schweigen.« Arienne Rich Die Namen der deutschen Bürokratie-Prois sowie ihre bürokratischen Funktionen sind austauschbar, auch fraktal. Was ist es, dass die speziisch deut- sche Bürokratie-Kultur so ofensichtlich von anderen Bürokratie-Kulturen – negativ – abhebt, der »furchtbare« Bürokrat eher der Normalfall ist? Die zielführenden Fragen dazu hat 1946 Alfred Weber in seinem Beitrag »Bürokratie und Freiheit« formuliert (S. 1033): • Welche Allgemeinbedingungen unseres Daseins führen zur Bürokratisierung? • Welche besondere Form hat sie? • Wie weit ist sie abwendbar, ablösbar, wie weit unentrinnbar? • Wie können wir ihren ofenkundigen Gefahren der Ausgestaltung zum Totalitarismus oder gar Terrorismus entgehen? • Wie können wir die Freiheit retten?« Um das analytisch zu erfassen, ist es zielführend, auf Arbeiten zum hema Bürokratie von drei Deutschen zurückzugreifen, die es aus ihrer jeweiligen zeitlichen und inhaltlichen Perspektive und damit sich synergetisch ergänzend durchdrungen haben: • Otto Hintzen. Der Beamtenstand. 1911. • Max Weber. Wirtschat und Gesellschat. Grundriss der verstehenden Soziologie. 1922. • H. G. Adler. Der verwaltete Mensch. Studien zur Deportation der Juden aus Deutschland. 1973. Die Erscheinungsjahre sind von Bedeutung: 1911 – vor dem Ersten Weltkrieg, im monarchistischen Deutschland. 1922 – nach dem Ersten Weltkrieg, in der sich konsolidierenden Weimarer Republik. 1973 – nach der NS-Terrorherrschat und mit dem zeitlichen Abstand, der unter Einbeziehung der bis dahin vorliegenden Forschungsergebnisse einen tiefen, geradezu röntgenartigen Blick auf die Bürokratie und ihre Rolle im Holocaust, davor und danach, erlaubte. 1999 erschien der – kurze – Sammelband-Beitrag von Bernd A. Rusinek »Nationalsozialismus, Judenverfolgung und ›Bürokratie‹« mit Fokus auf die Rolle der Finanzbehörden. Einem Bürokratie-Fraktal. »Preußen war das Krebsgeschwür Deutschlands. Sein Gesetz: wachsen, verschlingen, zerstören.« Sebastian Haffner. Jekyll & Hyde. 1939. S.128 f. Ergänzend dazu auf S. 130: »neurotische Folgen« Das mittelalterliche Vasallen-Verhältnis zwischen Lehen-Geber und Lehen-Nehmer transformierte sich im 18. /19. Jahrhundert in den modernen Verwaltungs-Staat. Wobei der preußische VerwaltungsStaat und dessen speziische Bürokratie-Kultur bereits vor der Reichsgründung 1870 in den Staaten Antisemitische Massnahmen | 53 des Deutschen Bundes eine Hegemoniestellung einnahm. Die nach 1870 weiter wucherte, insbesondere in Verbindung mit »Assessorismus« – der bürokratiekulturellen Auslese und Prägung durch Verwaltungslehranstalten – und dem – preußischen »Militarismus« – der bevorzugten Besetzung von Beamtenstellen durch ausgediente Unteroiziere, den »Militäranwärtern«. Zwei im wilhelminisch monarchistisch-obrigkeitsstaatlichen Deutschland vernetzte, sich gegenseitig verstärkende bürokratiekulturelle Tendenzen, die bis heute staatsformunabhängig in die Gesamtgesellschat wirken. Nicht auf Deutschland begrenzt: In die EU und damit international / global. »Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.« Otto Hintze arbeitete in »Der Beamtenstand« (1911) Merkmale der deutschen Beamten heraus: • Unselbstständigkeit • gegen den Dienstherren Abhängigkeit Treue Gehorsam Verschwiegenheit Dafür als Gegenleistung: • Schutz des Dienstherren • Lebenslange Anstellung bei leidlicher Versorgung • Das Prestige, Staatsdiener zu sein • und damit an der Macht teilzuhaben. Ein Teilaspekt der Bürokratie-Kultur ist das damit verbundene Ethos der Träger der Obrigkeitsfunktionen. Ausprägungen dieses Ethos: • positiv: eine besondere Verantwortung und Plicht • negativ: die Lust an der administrativen Exponierung Hier zeichnet sich ein Spannungsverhältnis ab: Gesellschat licher Aut rag versus bürokratisches Machtstreben – in Verbindung mit bürokratisch organisierter – im doppelten Wortsinn – Verantwortungslosigkeit. »Führerprinzip« in diesem Sinn: Den Führerwillen handelnd adaptieren, die Verantwortlichkeit für das eigene Handeln imaginär auf den »Führer« projezieren – der ebenso verantwortungslos ist. Dies augenscheinlich in: • Streberei und Unterwürigkeit nach oben versus Brutalität nach unten • Geist der Abhängigkeit • Routine und seelenloser Dienstmechanismus 54 | Antisemitische Massnahmen »Tatsächlich ist die Tüchtigkeit in vielen Teilen Preußens und in Nazideutschland zu einem Selbstzweck geworden. Ihr wird eine Bedeutung beigemessen, die sie nicht hat – die eines absoluten Wertes ... Tüchtigkeit ist in den Augen der meisten Deutschen heute zu einem Wert und Selbstzweck geworden, weshalb sie keinen höheren Maßstab kennen.« Sebastian Haffner. Jekyll and Hyde. 1939. S. 47 + 51. »Unten« in der NS-Zeit: Die Nicht-Volksgenossen, auf die die gesamte bürokratische Aggression und Perversität gelenkt wurde, sich widerstandslos – auch vorauseilend Hitler im Sinne des Führerprinzips und der Volksgemeinschats-Ideologie antizpierend – lenken ließ. Das normative Beamten-Ethos nach Otto Hintze: • Treue, Ergebenheit, Plichteifer im Diensttag • wohlwollende patriarchalische Fürsorge • die in der NS-Zeit ausschließlich den »Volksgenossen« galt. Und konsequent umgekehrt. »Patria atque Parentes.« Das römische Gesellschafts-Prinzip »Die Bürokratie ist ›rationalen‹ Charakters: Regel, Zweck, ›sachliche‹ Unpersönlichkeit beherrschen ihr Gebaren.« Max Weber Die normative Bedingung dafür: Die Einhaltung des Gleichheitsgrundsatzes. Wird diese normative Bedingung – wie im Nationalsozialismus – negiert, dort durch die Volksgemeinschatsideologie in ihr Gegenteil verkehrt, dann bedeutet dies Ausgrenzung und organisierten Mord an ungleich behandelten Menschen. Im nationalsozialistisch-ideologischen Partei-Staat gilt zentral der Ungleichheitsgrundsatz – in Vernetzung mit dem Führerprinzip: Zu antizipieren, was Hitler im Kontext der NS-Ideologie – des NSDAP-Programms und »Mein Kampf« – wünscht, vorauseilend und seelenlosbrutal, eben als »kämpfende Verwaltung« in durchaus militärischem Sinn. Zur Legitimation eigenen doch persönlichen Handelns und Nicht-Handelns, dessen Unrechtscharakter also bewusst war, nach der Befreiung 1945 umgekehrt: Ich konnte nicht anders, war gezwungen, hatte einen Befehlsnotstand. Rusinek führt ein konkretes Beispiel an: Den höheren Finanzbeamten Heisig. Leitend an der Umsetzung antisemitischer Bürokratie-Maßnahmen beteiligt, so dem Schreddern von Grabsteinen Menschen jüdischen Glaubens zum Straßenbau, und generell an der »Verwertung jüdischen Vermögens«. Heisig macht eine staatsformunabhängige bruchlose Karriere. 1946 erklärt er in juristischer Perversion, die Finanzverwaltung – damit er – habe mit der Enteignung der Juden »nichts zu tun gehabt«. Gegen einen überlebenden Menschen jüdischen Glaubens geht er mit bürokratischer Perversion vor, handelt sich so einen dezenten Rüfel des NRW-Innenministers ein, »ein seltenes Beispiel für Sprachgefühl in den Akten«. Heisig betrieb unmittelbar nach Kriegsende seine Beförderung, und zwar »ggf. im Weg der Wiedergutmachung«. Er stellte sich als Mann des Widerstands dar, der wegen seiner »ablehnenden Haltung zum nationalsozialistischen Staat« und wegen der Schwierigkeiten mit der NSDAP von Beförderungen ausgeschlossen gewesen sei. Am 9. April 1949 wird Heisig zum Präsidenten des Finanzgerichts Düsseldorf ernannt. Ein Fraktal der Symbiose Recken – Herbrandt – wie für unzählige weitere Täter und Mit-Täter. Die Begrife »Sachlichkeit« und »Routine« sind vernetzt und sind nach Hintze und Weber die Grundcharakteristika der Bürokratietätigkeit. Sachlichkeit zieht von einem Gesamtvorgang die Bestandteile ab, die der angestrebten und gleichmäßigen und arbeitsteiligen Verwaltungshandhabung im Wege stünden. Die Menschen und ihre Schicksale werden auf administrative Praktikabilität reduziert und es wird eine Distanz zu ihrem Schicksal geschafen. Dasselbe gilt für die Routine. Routinehandeln dampt darüber hinaus Einzelschicksale in Gleichförmigkeiten ein und versucht, sie auf den ausgetretenen Wegen tradierter Verwaltungstechnik zu behandeln. Menschen werden dabei auf den Vorgang reduziert und dabei in ihrer Identität notwendig negiert. Die Funktion von Distanzierung, Reduktion der Menschen auf Vorgänge, alleinige Übersetzung des Geschehens in Delikts- und Verordnungsrelevanz hat auch die Sprache der Bürokratie. In dieser selbst geschafenen verbalen Bürokratie-Umwelt, durch die im NS-Terrorstaat das ganze Ausmaß der mitproduzierten Perversität auf Distanz gehalten wurde, sind Sachlichkeit und Routine miteinander vernetzt. Bürokraten sind nicht emotionslos. Ihre Afekte von Mitgefühl und Hass sind in ihrem Handeln zu inden. Das, was Karl Jaspers als »heimliche Liebe und Abneigung« umschreibt, bedingt eine Sachlichkeit mit vorgelagerter Abneigung – und dem damit verbundenen persönlich zuordnenbaren bürokratischen Handeln gegen z. B. Menschen jüdischen Glaubens. Wie bei der Symbiose Recken – Herbrandt. Januar 1934 bis März 1945 – und dann weiter bis zum Tod von Recken 1953. Sowie für Herbrandt bis zu dessen Tod. Das Handeln von Bürokraten hat die Spielräume Ermessen und Zeit – im Sinne von Nutzung zugunsten von Menschen und Verschleppung. Die fraktale Realität der NS-Zeit waren Nichtnutzung von Ermessensspielräumen in kurzen Fristen. Beispiele zu Hugo Recken sind in diesem Buch dargestellt. Diese bürokratische Zeitpolitik war Ausdruck der Abneigung, des persönlichen Antisemitismus. Die Bürokraten wie Recken und Herbrandt waren im Takt des nationalsozialistischen Unrechtsregimes. »Bürgernahes« Handeln galt selbstverständlich ausschließlich NS-Funktionären und weiteren »Volksgenossen«, also den Tätern und Mit-Tätern. H. G. Adler arbeitet auch die sprachliche Perspektive heraus: • Verwaltung • Walten • Gewalt • Staatsgewalt Hier spiegelt sich Verwaltungslogik, -denken und -handeln, die »Normalität« bzw. »Selbstverständlichkeit« bürokratischen Handelns – staatsformunabhängig und unter allen Bedingungen. »Kratie« mit altgiechischer Wurzel bezeichnet Herrschatsformen. Bürokratie bezeichnet demnach Büro-Herrschat, die Herrschat der – leitenden – Büro-Menschen. Nach Bürokratie-Synonymen im Web gegoogelt, kam ich zu folgenden Ergebnissen: • Beamtenherrschat • Beschränktheit • Borniertheit • Bürokratismus • Dummheit • Enge • Engstirnigkeit • Exaktheit • Intoleranz Antisemitische Massnahmen | 55 • Pedanterie • Umständlichkeit • Verwaltungsstaat • Vorurteil In den vierzehn alphabetisch sortierten Synonymen scheint durch, was bürokratischen Handeln von Bürokraten unter speziischen Bedingungen sein kann: pervers. H. G. Adler formuliert zum »Grundsatz der Verhältnismäßigkeit« (S. 1022): »Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn nicht peinlich genau deiniert und gegen böswillige wie leichtfertige Verletzung abgesichert, ist ein fragwürdiges Mittel gegen polizeiliche Eigenmächtigkeiten. Bei jeder Erschütterung der rechtsstaatlichen Ordnung stehen wir vor dem Abgrund.« Was für das Bürokratie-Subsystem Polizei gilt, das gilt für das gesamte gesellschat liche Subsystem Bürokratie, ist ein Fraktal. Historisch, gegenwärtig, zukünt ig und staatsformunabhängig. Wie das Beispiel der Symbiose Recken – Herbrandt exemplarisch dokumentiert. Zu »Verwaltung und Missbrauch« (S. 980) führt H. G. Adler fokussiert auf das Handeln von Bürokraten aus: »Beim subjektiven Verhältnis geht die Verwaltung über ihren Aufgabenkreis hinaus und tut das von sich aus, wozu sie von ihr fern stehenden Kräten im objektiven Verhältnis missbraucht wird; sie maßt sich ihr nicht zukommende Aufgaben an und verletzt die dienende Rolle, die ihrer Stellung innerhalb der öfentlichen Einrichtungen zukommt.« Beispiele dazu der Symbiose Recken – Herbrandt inden Sie in diesem Buch zahlreich. Die Adressaten dieses persönlich zurechenbaren bürokratischen Handelns erleben Missbrauch durch durchaus persönliche Bürokraten. »Schutz des Menschen vor Verwaltung« formuliert H. G. Adler in Anbetracht der speziisch deutschen Bürokratie-Erfahrungen dezidiert (S. 987 – 989): »Die Rolle der öfentlichen Verwaltung bleibt so lange bedenklich, als es nicht gelingt, sie auf die ihr zustehenden Aufgaben zu beschränken. Die Verwaltung wird in dem Augenblick für die Gesellschat gefährlich, wo sie selbstständig handelt. Ebenso verderblich ist es, wenn die Verwaltung beaut ragt oder gar ermächtigt wird, als Befehls- 56 | Antisemitische Massnahmen instanz zu wirken und in eigener Kompetenz ›behördenplichtigen‹ Menschen namentlich über sie verfügende Befehle zu erteilen. Durch eine derart missbrauchte Verwaltung entsteht gleichsam eine Gegenwelt zur menschlichen Gesellschat. Dann dient die Verwaltung nicht mehr der Gesellschat, bildet sie nicht mehr ab; das korrelative Verhältnis wird aufgehoben und durch ein reziprokes ersetzt. Schließlich versucht die Verwaltung die Gesellschat – genauer: den Wandel der Zustände – insofern zu ersetzen oder zu übernehmen, als sie ihr verschiedene Funktionen des sozialen Verkehrs abnimmt oder geradezu entzieht. So kommt die Verwaltung dazu, gleichsam ein Duplikat der Gesellschat zu erzeugen. Das ist so zu verstehen, dass die Spiegelung, die das Gesellschat liche in den Vorgängen der Verwaltung erfährt, durch die eigene Vorzeichnung ersetzt und diese in den gesellschatlichen Ablauf, mit der Absicht ihn zu bestimmen, hineinträgt. Sobald dies geschieht, wird der Verwaltungsakt zum Akt schlechthin: der Akt, der das Leben, den Akt des Lebens in seinen Ausdruck, – eben das Gesellschat liche – nachzeichnen soll, kehrt sich um und will selbst Leben, will gesellschat liches Dasein sein ... Eine intakte Verwaltung, die der Gesellschat dient, schat mit jedem Vorgang, den sie verbucht (›beurkundet‹) ein Korrelat zu einem Vorgang in der gesellschat lichen Wirklichkeit. Jeder Verwaltungsakt ist deswegen – zumindest auch – eine res gesta, also ein Vorgang. Im Vorgang spiegelt sich ein Geschehen der gesellschat lichen Welt.« Das war der Sinn der Machtübertragung auf Hugo Recken in Osterath. Dass er diesem Sinn im nationalsozialistisch-ideologischen Sinn entsprach, machte er bewusst in der »Umlegung« des jüdischen Friedhofs unmissverständlich in beide Richtungen deutlich. »Eine Herrschat, wenn nicht die des Papiers, so doch mit dem Papier hat begonnen. In einem so verwalteten Staat büßt der Mensch viel von seinem natürlichen Wesen ein; durch die vielen Verknüpfungen mit dem Schreibbetrieb der Verwaltung wird er gewiss nicht künstlerisch, sondern künstlich und gekünstelt. Gegen die ihn überschwemmende Ordnung der Verwaltung bleiben ihm als Grundlage seines natürlichen Daseins dann bald nur noch die ursprünglichen vitalen Akte zwischen Geburt und Tod ... Leicht verdrängt die Verwaltung das primär Menschliche oder erkennt es nur stilisiert an; dann wird bald der Akt der Verwaltung als das sozial eigentliche (und möglichst ausschließlich) Wertvolle postuliert. Der Mensch, den die Verwaltung jetzt meint oder ›ergreit‹, ist nicht mehr der autonome im Geist einer humanen Aufassung, worunter sich ebenso demokratische, liberale oder humanitäre Ideale verstehen lassen. Ein so behandelter Mensch wird seiner natürlichen Würde beraubt.« Darin war die Symbiose Recken – Herbrandt im nationalsozialistisch-ideologischem Sinn geradezu perfekt. »Zu leicht wird mit der Verwaltung über den Mensch verfügt, wo das nicht durch gesetzliche oder andere Vorschriten verhindert wird; im totalitären Staat kann auf diesem bequemen Weg Menschen alles Recht, Beruf, Hab und Gut, Freiheit und Leben geraubt werden ... Hier wird eine ermächtigte ... Administrative zusammen mit der exekutiven Polizei angeschirrt: dies der verrufene Apparat, wo wir die ›Schreibtischmörder‹ genannten Funktionäre entdecken. Mit der Hypertrophie jeder, auch der nicht bewusst oder gar absichtlich inhumanen Verwaltung erwächst die Gefahr der Zerstörung des Menschen ... Jedenfalls ist es besser, den Schutz der Menschen vor dem Missbrauch staatlicher Gewalt und der öfentlichen Verwaltung zu übertreiben (falls dies überhaupt denkbar wäre), als diesen in Wahrheit zu ot fehlenden und meist zu geringen Schutz auch nur im geringsten zu vernachlässigen.« Recken war Bürgermeister, Chef der örtlichen Polizei und damit der örtlichen Gestapo, also mit Macht-Potenzierung ausgestattet. So, wie er in diesem Rahmen in Symbiose mit Herbrandt im nationalsozialistisch-ideologischem bürokratischpolitisch handelte, war es das Armageddon der davon betrofenen Menschen. Wie soll sonst der Tod als Konsequenz daraus von 21 der 23 betroffenen Menschen jüdischen Glaubens deutscher Nationalität deiniert werden? Und das bürokratische Verhalten, wie es in diesem Buch beschrieben ist, nach der Befreiung 1945, das auch mehrere tödliche Ausgänge hatte? Für Recken und Herbrandt war ihr Handeln ofensichtlich immer normal und selbstverständlich – mit Unrechtsbewusstsein. Und diese Normalität und Selbstverständlichkeit wurde und wird von der Osterather bzw. Meerbuscher Volks-Gemeinschat bzw. Dorf-Elite geteilt, materialisiert in der Straßenbenennung nach Hugo Recken – sowie der Recken-Legende. Ver-rückter Wahn-Sinn. H. G. Adler hat seine Analyse in einer Grai k (siehe unten) fokussiert (S. 972). Etwas pointiert formuliert: Die Bürokratie als Spinne im Netz, mit Agenten in allen anderen gesellschat lichen Subsystemen. H. G. Adler: Der verwaltete Mensch | 57 Bürokraten in Bürokratien haben »ihre« Bürokratie als Selbstzweck im Fokus. Agieren staatsformunabhängig, die jeweilige Verfassung, die politische Ideologie und das Recht haben für sie ausschließlich Legitimationscharakter – ihres persönlichen bürokratischen Handelns, vernetzt mit dem in ihrer Bürokratie und den weiteren Bürokratien. Eine Potenzierung erfährt dieses Muster, wenn in bürokratischen Diktaturen – wie den faschistischen und kommunistischen – sich Partei- und staatliche Bürokratien vernetzen und gegenseitig durchdringen. Eine Partei übernimmt einen Staat, der lediglich Legitimations-Hülle bleibt. Bürokraten nutzen das in ihrem Sinn – und gemeinsamen Interesse: Sie nutzen die Chance, alle – wie es sich aus ihrer bürokratischen Perspektive darstellt – Fesseln für ihr bürokratisches Handeln abzustreifen. Um – auch aus ihrer Perspektive – absolut bürokratisch efektiv und eizient handeln zu können. Das nationalsozialistische Führerprinzip bedeutete so gewendet: Es gibt den Bürokraten, was sie wollen. Da das so ist, sind sie ebenso loyal. Die kommunistische Analogie: »Die Partei hat immer Recht.« – Im doppelten Wortsinn. Eine Konsequenz ist, dass Macht und Gewalt bürokratischen Handelns sich potenzieren, für bürokratische Täter und ihre Opfer. Die Bedeutung im Kontext der nationalsozialistischen Volksgemeinschats-Ideologie: Die willkürlich als »gemeinschatsfremd deinierten Menschen – insbesondere »Juden« – sind so aus bürokratischer Perspektive lebende Tote; es ist »nur« die Frage, wann und wie der Zustand des gesellschat lichen – schrittweise – in den biologischen Tod transformiert wird. Als selbstverständlicher bürokratischer Verwaltungsakt, schein-legal schein-legitimiert. Die kommunistische Analogie: »Staatsgefährdung« bedingt den sozialen Tod. Und in Deutschland heute? Die speziisch deutsche staatsformunabhängige Bürokratie-Kultur dominiert alle gesellschat lichen Subsysteme, auch die politische Kultur, stellt so das Grundgesetz auf den Kopf und ist ihr eigener illegitimer gesellschat lich-parasitärer Selbstzweck. Jenseits von »Recht und Gesetz« – die ausschließlich bürokratischen Legitimationscharakter haben. Die Diktatur der Bürokraten mit ihren vernetzten Bürokratien. Gesellschats- und staatsgefährdend. Aus dieser Perspektive sind die zu relektierenden gesellschat lichen Fragen: Wie ist die Gesellschats- und Staatsgefährdung durch die speziisch deutsche staatsformunabhängige Bürokratie qualiizierbar und quantifzierbar? 58 | Antisemitische Massnahmen Wie kann diese Bürokratie-Kultur in einen evolutionären Prozess im Sinne des gesellschat lichen Aut rags von Bürokratie als gesellschat lichem Subsystem verändert werden: Dass Bürokratie und die in ihr agierenden Menschen von ihrem Bewusstsein und strukturell darauf fokussiert sind, ihren Beitrag zu einer gemeinsamen würdigen Zukunt aller Menschen zu leisten? Das ist eine gesamtgesellschat liche Aufgabe. Diesen Weg real zu be-schreiten ist das Ziel. Dieser Weg beginnt mit der Relexion. Angefangen bei Ihnen. Und Ihrer Kommunikation mit Menschen darüber. Sowie der gesellschat lich wirksamen Organisation und Implementierung, die im Ergebnis zu einem Prozess positiven Wandels der Bürokratie-Kultur mit Eigendynamik und Synergien führt. Was bedeutet: Die bisherige Bürokratie-Kultur wird vom Kopf auf die Füße gestellt. »Die Frage heute ist, wie man die Menschheit überreden kann, in ihr eigenes Überleben einzuwilligen.« Bertrand Russell Das 25-Punkte-Programm der NSDAP »Wir werden weiter marschieren, wenn alles in Scherben fällt. Denn heute gehört uns Deutschland, und morgen die ganze Welt.« Nazi-lied »Und wenn das Judenblut vom Messer spritzt, dann geht’s noch mal so gut.« Nazi-lied Das 1920 beschlossene NSDAP-Programm ist die Fokussierung der Ideen des deutsch-österreichischen eliminatorischen Antisemitismus, verbrämt mit »sozialistischen« Programmpunkten. Die 1919 gegründete Deutsche Arbeiterpartei DAP wurde in Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSDAP umbenannt. »Es gibt in der Geschichte den Begrif der wertlosen Größe. Sie drückt ot tiefe Spuren in die Menschheit, aber es sind keine Furchen, aus denen Saat hervorgeht.« Konrad Heiden. Hitler. 1936. Bd. 1. S. 6. Ein Fokus aus heutiger Perspektive ist die Analyse der nationalsozialistisch-ideologischen Perspektive dieses Programms: Was verstanden Hitler und seine Vasallen unter den verwendeten Zentral-Begrifen? Wie sind auf dieser Basis die Programmpunkte in ihrer nationalsozialistisch-ideologischen Vernetzung zu verstehen? Die wiederum in ihrer Mobilisierungs- und Legitimationsfunktion ebenso vernetzt sind. »Die Entwicklung einer simpliizierten Philosophie, die als ... Doktrin gilt und das gesamte Denken auf Klischees reduziert.« Otto F. Kernberg. Ideologie, Konflikt und Führung. »Im Kontext der Gruppen- und Massenpsychologie bezeichnet Ideologie ein System von Überzeugungen, die einer Gruppe, einer Masse oder einer Gesellschat hinsichtlich des Ursprungs und der Funktion ihres Soziallebens gemeinsam ist, so wie die für ihre Gesellschat erstrebten kulturellen und ethischen Ziele und Erwartungen.« Otto F. Kernberg. Ideologie, Konflikt und Führung. »Unter psychoanalytischem Blickwinkel ist vor allem das Ausmaß von besonderem Interesse, in diesem ein ideologisches System eine Weltanschauung enthält, die per deinitionem all jene ausschließt, die sie nicht teilen, und zu Feinden erklärt, die kontrolliert und eliminiert werden müssen – ein System also, das danach strebt, sämtliche Aspekte des sozialen Verhaltens zu beherrschen.« Otto F. Kernberg. Ideologie, Konflikt und Führung. Die Kernaussagen werden erläutert mit Zitaten aus: Alfred Himstedt. Das Programm der NSDAP wird erfüllt! Zentralverlag der NSDAP Franz Eher Nachf. München 19407. 85 Seiten. In der Einleitung heißt es (S. 7 f.): »Wenn du für die nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei kämpfst, so kämpfst du damit für dein Volk. Adolf Hitler So schreibt es der Führer im Vorwort eines jeden Mitgliedsbuchs der NSDAP und letzten Endes heißt Nationalsozialist sein weiter nichts als: glauben, opfern, arbeiten und kämpfen für das Leben des deutschen Volkes auf allen seinen Lebensgebieten. Das Rüstzeug gibt uns die nationalsozialistische Weltanschauung. Ihre erste Verkündung erfuhr sie in den 25 Punkten des Programms der NSDAP ... Ein neues Lebensgefühl hat mit diesen Punkten Gestalt angenommen ... Das Programm ist so der Bauplan unseres Reiches geworden und voller Stolz können wir heute schon feststellen, dass der Bau von Jahr zu Jahr wächst und einst seine restlose Vollendung erfahren wird. Seit der Machtübernahme erleben wir die Verwirklichung des Programms in einer Weise, die selbst die größten Optimisten nie geahnt hätten.« »... die restlose Verbundenheit mit der nationalsozialistischen Weltanschauung und ihrem Führer Adolf Hitler. Sie herzustellen und ständig zu erneuern und zu vertiefen, ist eine der Hauptaufgaben der NSDAP. Ihre Arbeit ist damit eine fortdauernde und nie zu Ende gehende Erziehungsarbeit, in der auch die Behandlung des Programms der NSDAP stets ihren Platz behalten wird.« »Der Nationalsozialismus will zur Religion werden.« Konrad Heiden. Hitler. 1936. Bd. 2. S. 144. Im NSDAP-Programm ist die partei-staatliche nationalsozialistisch-ideologische Praxis von 1933 bis 1945 angelegt. In der wiederum die vernetzte Praxis der nationalsozialistisch-ideologischen Zentral-Begrife Führerprinzip und Volksgemeinschat der Kern der vernetzten Mobilisierungs- und Legitimationsfunktion waren. Aus nationalsozialistisch-ideologischer Perspektive bedeutet das Führerprinzip die Legitimation grenzenloser Willkür, in der »Recht« ausschließlich formellen Legitimationscharakter insbesondere für gesetzliches Unrecht hat. Dies ist vernetzt mit der nationalsozialistisch-ideologischen Volksgemeinschat als Legitimation zur Exklusion aller »Gemeinschatsfremden«, insbesondere willkürlich deinierten »Juden« – im Sinne von Schuld durch Geburt, die Eliminierung, also den Mord, legitimiert. Die Kernaussagen des NSDAP-Programms: 1. Anschluss von Österreich. Himstedt: »Gerade in Erfüllung dieser Forderung hat der Führer dem deutschen Volke bereits die größten Erfolge geschenkt. Deutschland ist dort, wo Deutsche leben. 10.4.38 In allen fünf Erdteilen fanden an Bord deutscher Schife Abstimmungen statt, an denen sich die Auslandsdeutschen in bisher nicht gekanntem Ausmaß beteiligten. 16.3.39 Böhmen und Mähren sind auf Beschluss der Prager Regierung in den Schutz des Deutschen Reichs zurückgekehrt, zu dessen Lebensraum sie schon einmal ein Jahrtausend lang gehörten. Antisemitische Massnahmen | 59 1.9.39 Beginn des polnischen Feldzuges, der uns weiteren ehemals bereits deutschen Lebensraum neu gewinnen lässt.« »Das Programm Adolf Hitlers ist das Programm der deutschen Weltherrschat.« 18.1.39 Konrad Heiden. Hitler. 1936. Bd. 2. S. 254 2. Gleichberechtigung Deutschlands. Himstedt: »Adolf Hitler hat die Gleichberechtigung Deutschlands wiederhergestellt. Auhebung der Friedensverträge von Versailles und St. Germain. Friedensgarnisonen, Politik des Friedens und der Freiheit« 3. Forderung nach Kolonien. Himstedt: »Seit der Machtübernahme stets Ziel der deutschen Politik. Mit unserem Recht auf Leben erklären wir auch das Recht auf Raum für uns. Dabei können wir uns nicht allein mit der inneren Kolonisation begnügen. Sie reicht für die Lebensbedürfnisse unseres Volkes bei weitem nicht aus. So werden wir unser Recht auf Kolonien nie aufgeben. Innere und großdeutsche Raumgewinnung 28.9.39 Grenz- und Freundschatsvertrag mit der UdSSR 6.10.39 Der Führer stellt vor dem Reichstag als wichtige Aufgabe der Zukunt die Schaf ung fester, völkischer Verhältnisse im Osten durch Umsiedlung klar heraus. Vorbereitung kommender kolonialer Arbeit 14.6.35 Eine deutsche Kolonialtagung in Freiburg erhebt in aller Form Protest gegen die Koloniallüge. 18.1.36 Die ›Afrikanische Fruchtkompanie AG:‹ in Hamburg, ein deutsches Planzungs- und Reedereiunternehmen, berichtet, dass sie in Kamerun bereits 10.000 Hektar unter Bananenkultur hat. Ähnliche deutsche Kolonialgesellschaten und vor allem deutsche Unternehmen, Handwerker, Farmer stellen in allen geraubten deutschen Kolonialgebieten unter Beweis, dass Deutsche auch unter ot schwierigen Verhältnissen zu kolonisieren verstehen. 18.1.36 Gründung des ›Reichskolonialbundes‹ unter nationalsozialistischer 60 | Antisemitische Massnahmen Aug. 40 25.8.40 1.10.40 1.10.40 Führung (Reichsleiter v. Epp) ... Leistung notwendiger, vorbereitender Arbeiten, unter anderem Unterhaltung kolonialpolitischer Ausbildungs- und Schulungsstätten. In Windhuk beschließt eine Delegiertenversammlung des ›Deutschen Südwestbundes‹ unter anderem einstimmig: ›Der Deutsche Südwestbund steht auf dem Boden der moralischen und sachlichen Berechtigung der deutschen Kolonialforderung.‹ Das Deutsche Volksbildungswerk führt Kurse für die afrikanische Sprache Kisuaheli durch. Der NSD Dozentenbund führt das erste Arbeitslager der Kolonialwissenschat ler Deutschlands durch zur Bildung der ersten festen Gemeinschaten. Neuregelung der theoretischen und praktischen Ausbildung des ›staatlich geprüten Kolonialwirts‹ an der Kolonialschule in Witzenhausen durch Erlass des Reichserziehungsministers im Einvernehmen mit dem Reichsinnenminister. An der Universität Göttingen wird ein Institut für koloniale Landwirtschat gegründet. Der Führer fordert Kolonien 28.4.39 ›Die einzige Forderung, die ich an England stelle und immer stellen werde, ist die Rückgabe unserer Kolonien.‹ (Vor dem Großdeutschen Reichtag)« 4. Staatsbürger = Volksgenossen = deutschen Blutes – nicht: Juden. 5. Nicht-Staatsbürger: Gäste in Deutschland unter Fremdengesetzgebung. 6. Nur Staatsbürger in staatliche Funktionen. Gegen Parlamentswirtschat. Himstedt: »Diese Punkte (4.–6., LK) sind heute allgemein anerkannte Staats- und Lebensgesetz unseres Volkes. Reichsbürgerbrief 8.10.34 Standesämter zu Sippenämtern ausgebaut 21.5.35 Wehrgesetz und seine Ergänzung vom 26.6.36, wonach jüdische Mischlinge nicht Vorgesetzte in der Wehrmacht werden können. 3.12.38 Eine Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens enthält die gesetzliche Grundlage für die Gesamtentjudung der deutschen Wirtschat. Besonders wichtig ist auch die Entjudung des Haus- und Grundbesitzes. 15.4.39 Reichsleiter A. Rosenberg gründet das ›Institut der NSDAP zur Erforschung der Judenfrage‹. 30.4.39 Ein Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden schat die Möglichkeit, schneller als bisher auch auf diesem Gebiet eine klare Trennung zwischen Deutschen und Juden durchzuführen. 7. Staatsbürger haben Vorrang bei der staatlichen Förderung von Erwerbs- und Lebensmöglichkeiten. Himstedt: »Heute ist das Recht auf Arbeit verwirklicht, die Arbeitslosigkeit ist überwunden.« 8. Keine Einwanderung nach Deutschland. Himstedt: »Heute gesetzlich entsprechend geregelt.« 9. Staatsbürger: gleiche Rechte und Plichten. Himstedt: »Völlig erfüllt durch die nationalsozialistische Gesetzgebung und Volksverbundenheit.« 10. Staatsbürger: Plicht, geistig oder körperlich zu schafen. Himstedt: »Die Plicht zur Arbeit ist einer der ersten durchgeführten Grundsätze des neues Reiches geworden.« 11. Kein arbeitsloses Einkommen. Brechung der Zinsknechtschat. Himstedt: »Durch eine Reihe von Maßnahmen und Gesetzen heute bereits verwirklicht.« 12. Restlose Einziehung aller Kriegsgewinne. Himstedt: »Heute wird jede Spekulation schärfstens bekämpt.« 13. Verstaatlichung von Trusts. Himstedt: »Bei Reichsbahn, Reichsbank und Reichspost bereits völlig durchgeführt.« 14. Gewinnbeteiligung an Großbetrieben. Himstedt: »Freiwillig bereits von vielen Betrieben erfüllt.« 15. Großzügiger Ausbau der Altersvorsorge. Himstedt: »Als Staats- und Volksnotwendigkeit bereits tatkrät ig in Angrif genommen.« 16. Mittelstandsförderung. Himstedt: »Durch zahlreiche Maßnahmen eingeleitet.« 17. Bodenreform und Bodenpolitik. Himstedt: »Heute bereits gesetzlich festgelegt.« 18. Rücksichtsloser Kampf gegen Schädiger des Gemeininteresses: Todesstrafe. Himstedt: »Durch entsprechende Gesetze bereits verwirklicht. Der Nationalsozalismus schützt deshalb die deutsche Volksgemeinschat vor diesen Schädlingen durch deren rücksichtlose Bekämpfung. Und wer gar das Leben dieser Gemeinschat auf irgendeinem Gebiet antastet, der hat selbst sein Leben verwirkt. Er wird vernichtet, genau wie ein Bauer das Unkraut vertilgt, damit das wertvolle Leben nicht gestört oder gar erstickt wird. 26.4.33 Gesetz über die Schaf ung des Geheimen Staatspolizeiamtes. 10.2.36 Gesetz über die Geheime Staatspolizei.« 19. Ersatz des römischen Rechts – diene der materialistischen Welt – durch ein deutsches Gemeinrecht. Himstedt: »In der nationalsozialistischen Gesetzgebung heute schon wirksam. Durch die umfassende nationalsozialistische Rechtserneuerung vor der baldigen endgültigen Verwirklichung. ›Recht ist, was dem Volke dient, Unrecht, was ihm schadet!‹ Von den wichtigsten weltanschaulichen Gesetzen sei erwähnt: 21.3.33 Straf reiheit für Strataten, die im Kampfe um die nationale Erhebung des deutschen Volkes oder im Kampf um die deutsche Scholle begangen worden sind. 4.10.33 Schrit leitergesetz 1.12.33 Gesetz über die Einheit von Partei und Staat 30.1.35 Deutsche Gemeindeordnung 15.9.36 Die Nürnberger Gesetze 26.1.37 Deutsches Beamtengesetz 1.5.35 Veröfentlichung der ›Nationalsozialistischen Leitsätze für ein neues deutsches Strafrecht‹ ... Die Plicht aus der Antisemitische Massnahmen | 61 Treue ist die höchste völkische, sittliche Plicht. Nur der Volksgenosse, der seine Treueplicht erfüllt, hat seinen Platz, seinen Wert und seine Ehre in der Gemeinschat. Wer diese Treue verletzt, löst sich von seinem Volke, wird zum Verräter an der Volksgemeinschat, verliert seinen Platz und seine Ehre in der Volksgemeinschat und muss einen Treuebruch sühnen. Der Staat hat diese Sühne zu vollziehen und den Treuebruch zu bestrafen. 28.6.35 Das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches beseitigt die liberalistische Einstellung ›Keine Strafe ohne gesetzliche Strafandrohung‹ und stellt den nationalsozialistischen Grundsatz auf: ›Kein Verbrechen ohne Ahndung.‹« 20. Für Deutsche: Schul- und Begabtenförderung. Himstedt. »Heute bereits weitgehend erreicht.« 21. Hebung der Volksgesundheit. Himstedt: »Heute schon verwirklicht. 15.5.34 Schaf ung des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP. 15.1.35 Richtlinien für die rassenpolitische Erziehung in den Schulen. 30.9.38 Keine jüdischen Ärzte mehr in Deutschland!« 22. Bildung eines Volksheeres. Himstedt: »Heute volle Wirklichkeit.« 23. Presse- und Kulturlenkung: Nur Volksgenossen dürfen in der Presse tätig sein. Zeitungsverbot bei Verstoß gegen das Gemeinwohl. Bekämpfung »entarteter« Kunst. Himstedt: »Sofort in Angrif genommen und bis heute immer mehr durchgesetzt.« 24. Religionsfreiheit, vorausgesetzt keine Staatsgefährdung und muss der germanischen Rasse entsprechen. Himstedt: »Heute völlig gewährleistet.« Gemeinnutz vor Eigennutz. 25. Zentrale Forderung zur Durchführung von 1. – 24.: Schaf ung einer starken Zentralgewalt. Himstedt: »Dieses ist geschehen. 62 | Antisemitische Massnahmen Damit bekennt sich das Reich aber gleichzeitig zur Totalität der nationalsozialistischen Weltanschauung und nicht zu einer reinen Totalität des Staates. 19.5.33 Gesetz zum Schutz der nationalen Symbole. 1.12.33 Das Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat erhebt die NSDAP zur Körperschat des öffentlichen Rechts und zur alleinigen staatstragenden Bewegung. 15.9.35 Das Reichslaggengesetz von Nürnberg erklärt die Hakenkreuzfahne zur alleinigen deutschen Reichs-, National- und Handelslagge. 28.8.39 Erlass des Führers über die Vereinfachung der Verwaltung, um schnelle und von bürokratischen Hemmungen freie Entscheidungen der Behörden herbeizuführen.« Hitler war – bis 1932 – Österreicher. Daher der Anschluss Österreich an erster Stelle. Im nationalsozialistisch-ideologischen Sinn gedanklich erweitert: Anschluss der gesamten Welt. Um aller »Gemeinschatsfremder« habhat zu werden, um sie dann zu ermorden. »Gemeinschatsfremd« war nach diesem Verständnis jeder Mensch, der nicht »arischer« pathologischer Nationalsozialist war. Das Selbstzerstörungs-Programm, das im Erfolgsfall die Selbst-Auslöschung der Menschheit bedeutet hätte. Denn dies war die innere Logik der Vernetzung von Führerprinzip und Volksgemeinschat im nationalsozialistisch-ideologischem Sinn. Wer Staatsbürger, Volksgenosse, Arier sei, das wurde von den nationalsozialistischen Willkür-Habern deiniert. »Wer Jude ist, bestimme ich«, so Göbbels. Und so ist die Vernetzung der 25 Punkte des NSDAP-Programms zu verstehen. Inkl. Ankündigung von Diktatur mit ausschließlich partei-staatlicher Zentralgewalt, mit Lenkung von Presse und Kultur, partei-staatlicher Exklusion-Politik inkl. Deportation und Mord: Todesstrafe für die Schädiger des Gemeininteresses. Was aus nationalsozialistisch-ideologischer Perspektive »Juden« durch Geburt waren. »Als zu Beginn des Jahres 1933 erstmals ein Ministerialbeamter eine Deinition der Bezeichnung ›nichtarisch‹ in einen Richtlinienerlass hineinschrieb, war das Schicksal der europäischen Juden besiegelt.« Raul Hilberg Die grausame Mord-Realität des nationalsozialistischen eliminatorischen Rassenwahns war auf Euro- pa und Nordafrika begrenzt. In den Machtbereich Hitlers gelangt, wäre jedes Land derselben Realität begegnet. Letztlich dem deutsch-japanischen Showdown. Adolf Hitler am 24. Februar 1942 vor »alten Kämpfern«: »Meine Prophezeihung wird ihre Erfüllung inden, dass durch diesen Krieg nicht die arische Menschheit vernichtet, sondern der Jude ausgerottet wird.« Proklamation Hitlers an die NSDAP-Mitglieder am 24. Februar 1942: »Heute haben die Gedanken unserer nationalsozialistischen und der faschistischen Revolution große und gewaltige Staaten erobert und meine Prophezeihung wird ihre Erfüllung inden, dass durch diesen Krieg nicht die arische Rasse vernichtet, sondern der Jude ausgerottet wird. Was auch immer der Kampf mit sich bringen oder wie lange er dauern mag, dies wird sein endgültiges Ergebnis sein. Und dann erst, nach der Beseitigung dieser Parasiten, wird über die leidende Welt eine lange Zeit der Völkerverständigung und damit des wahren Friedens kommen.« Rademacher, Auswärtiges Amt, an dessen Personalabteilung am 24. März 1942: »Je stärker sich der deutsche Sieg abzeichnen wird, umso größer und vordringlicher werden die Auf- gaben des Referats, denn die Judenfrage muss im Laufe des Krieges gelöst werden, da sie nur so ohne allgemeines Weltgeschrei erledigt werden kann. Nach der Erledigung der Judenfrage in Deutschland wird es notwendig werden, an die anderen europäischen Länder der Reihe nach heranzugehen.« »Wir beinden uns in einer Situation, in welcher der Untergang der Menschheit droht. Wie wir wissen, überlebt der Mensch in einer sonst lebensfeindlichen Umgebung mit Hilfe Zivilisation, und das entscheidende Merkmal der Zivilisation besteht in der Eliminierung von Gewalt.« S. 22. »Weltherrschaft aus Langeweile. Weil sie den Frieden sterbenslangweilig finden Vernichtung Hass und Verachtung.« S. 84 f. »Aber die Zerstörung der eroberten Länder ist kein ewiges Vergnügen. Es kommt der Tag, da sie völlig und endgültig zerstört sind. Dann muss etwas Neues und Größeres zerstört werden.« S. 86. »Alles ist dem Untergang geweiht.« S. 125. Zitate aus: Sebastian Haffner. Germany – Jekyll & Hyde. 1939. Foto: Charlie Chaplin »der Grosse Diktator« Antisemitische Massnahmen | 63 Die ungebrochene Selbstverständlichkeit des NSBewusstseins in einem Fraktal: Helge Grabitz war Oberstaatsanwältin in Hamburg: »... die grausamen Fotos ... die zum großen Teil heimlich von ... Beobachtern der Massaker, des »normalen Lebens« im Ghetto, der Ghetto-Räumungen, oder zum Beweis und zur Erinnerung an die glorreichen Heldentaten durch die Vollstrecker aufgenommen worden sind, und die wir bei Hausdurchsuchungen nicht etwa gesondert aubewahrt oder heute gut versteckt, sondern in Familienalben (!) entdeckten. Zwischen Aufnahmen von Oma, Kind und Hund fanden wir Fotograien von Exekutionen, ofenen Massengräbern, übervollen Leichenkarren mit grauenhat ausgemergelten Körpern oder Ghetto-Szenen. Friedliche spießbürgerliche Idylle wechselten in diesen Alben mit der Dokumentation der Hölle.« Helge Grabitz. NS-Prozesse. Psychogramme der Beteiligten. Heidelberg 1985. S. 161. Die dantesche Hölle, die ein Spiegelbild der Hölle in den Köpfen ist. Wie den Köpfen der BraunenArmee-Fraktion, die ein Fraktal der aktuellen Realität in deutschen Köpfen ist. Und ihre Basis in der Fiktion der Stunde Null hat – wie die Rote-ArmeeFraktion. Und unter speziischen Bedingungen wieder zur gelebten Hölle werden kann. Weil es keine institutionalisierten Schutzmechanismen gibt und die »Erziehung nach Auschwitz« Kopfgeburt blieb. Die Chance beides zu ändern haben wir – noch. Stadtarchiv Düsseldorf: Nachlass Ebel, Gauamt für Kommunalpolitik 64 | Antisemitische Massnahmen »... den schützenden Netzwerken der zurückgekehrten Täter, die bis weit in die Nachkriegszeit funktioniert haben. Massenmörder wurden in ihren Heimatdörfern voller gesetzestreuer Bürger der Justiz entzogen, indem sie versteckt oder mit einer neuen Identität versehen wurden.« Harald Welzer. Täter. S. 266. Die Analogie zu Osterath Die Täter wie die Symbiose Hugo Recken und Johannes Herbrandt, die Osterath nie verlassen haben, waren weitgehend bruchlos in ihren gesellschat lichen Macht- und Gewaltpositionen – eine Stunde Null ist Fiktion. Die Täter behielten ihren Habitus bei, eine Änderung war rein äußerlich zur Legitimation vor der alliierten Staatsmacht und zur Kaschierung eines »demokratischen Neuanfangs«. Was von Historikern als Restauration bezeichnet wird – mit Blick auf die Weimarer Republik – war eine Re-Naziizierung. Es gab formell kein Führerprinzip und keine Volksgemeinschat mehr – man nannte sie anders. Real gab es keine Gestapo und keine Konzentrationslager mehr, den bürokratischen Macht- und Gewaltmitteln wurde im Einzelfall – der empfundenen Bedrohung entsprechend – direkte Gewalt eingesetzt. Wenn Johannes Herbrandt an hellen Tag in seiner schwarzen SA-Uniform z. B. 1948 »Hausbesuche« bei Familie Dr. Langenbach machte. Dr. Langenbach war kurze Zeit später tot. Wo ist im Efekt der reale Unterschied zu Gestapo und Konzentrationslager? b. 1935: Die Umlegung des jüdischen Friedhofs Osterath nach Krefeld und die Kontroverse über die Rolle von Bürgermeister Recken bis heute »In Osterath wurde der dortige jüdische Friedhof 1934 geschändet und zerstört.« Text auf der Webseite »Denkmalgalerie in Meerbusch« des »Ortskuratoriums Meerbusch der Deutschen Stiftung Denkmalschutz«. Zwei Menschen haben sich mit der Geschichte des jüdischen Friedhofs in Osterath intensiv auseinandergesetzt: – Günter Janß. Der Osterather Judenfriedhof und die Geschichte der jüdischen Gemeinde. Meerbuscher Geschichtshete 14. 1979. S. 49 – 78. – Manfred Klaes. Auf den Spuren der Vergangenheit. Lebensbilder Osterath. Meerbusch 2002. Der Beitrag von Günter Janß wurde 1996 unter anderem Titel und in anderer Version in »Die Heimat. Krefelder Jahrbuch« veröfentlicht. Auf diesen Beitrag hatte Frau Dr. Schupetta verwiesen, als bei ihr von der Stadt Meerbusch angefragt wurde. Doch welche Schlussfolgerungen auf diesen Hinweis und den Inhalt beider Versionen sind von Herrn Regenbrecht gezogen worden – außer die Version in den Meerbuscher Geschichtsheten als Literatur zu benennen? Dazu schweigt er beredt. »Man kann nicht nicht kommunizieren.« Paul Watzlawick. Im Bestand Osterath III 1997 inden wir ein Schreiben von Bürgermeister Hugo Recken an den stellvertretenden NSDAP-Ortsgruppenleiter Schwengers vom 10. Dezember 1934: oben: Schreiben von Bürgermeister Hugo Recken an den Stellvertretenden Ortsgruppenleiter Osterath Also Umlegung auf eine weitestmöglich separierte Ecke des Osterather Friedhofs. In der Osterather Zeitung inden wir am 9. Februar 1935 die »Bekanntmachung: ›Errichtung von Eigenheimen‹« von Bürgermeister Hugo Recken. Den sich bei der Gemeindeverwaltung meldenden Adressaten war klar, dass »ihr« Grundstück Teil des jüdischen Friedhofs sein könnte. links: Bekanntmachung von Bürgermeister Hugo Recken, Osterather Zeitung, 9. 2. 1935 Umlegung des jüdischen Friedhofs | 65 Lothar Klouten. Das Schicksal der Meerbuscher Juden 1933 – 1945. in: Meerbuscher Geschichtshefte 1, 1984 Am 18. Mai 1935 inden wir in der Osterather Zeitung die Meldung »Ausgrabungen auf dem israelitischen Friedhof«. Was war in Osterath innerhalb weniger Monate geschehen? Diese Frage beantwortet Günter Janß: »In den zwanziger Jahren soll in Osterath der Plan entwickelt worden sein, eine Siedlung für kinderreiche Familien zu bauen. Dafür, dass das Projekt auch zu Anfang der dreißiger Jahre noch nicht verwirklicht worden war, gab es eine Menge Gründe: Inlation, die noch ungewohnten Arbeitsstrukturen in der jungen Demokratie und manches andere mehr. Ein Grund bestand auch in gewissen Hemmungen, weil die Gemeinde die Siedlung genau dort errichten wollte, wo sich der kleine Friedhof der Juden befand, in der ›Hoterheide‹. Aber ermutigt durch die immer aggressiver aut retende antisemitische Propaganda wähnte man die Gelegenheit günstig und beschloss im Herbst 1934 die Schaf ung der Heimstätte für kinderreiche Familien, wie seit langem geplant, denn es gäbe im gesamten Bereich der Kommunalgemeinde sonst kein anderes Gelände, das derart für das Vorhaben geeignet sei.« (S. 51 f.) Wer war »man«? Und wie ist das Argument keiner anderen Gelände-Alternative zu bewerten? »Man« war die örtliche Elite in Gesellschat und Politik inkl. Verwaltung, dort Hugo Recken und seine rechte Hand Johannes Herbrandt. Zur ScheinLegitimation wurde in bürokratischer Manier ein Grund erfunden: keine Gelände-Alternative. Ein Blick auf eine Osterather Karte aus dieser Zeit genügt zur Einsicht. Bürokratie schat sich interessengeleitet ihre Legitimation – hier für eine extreme antisemitische Maßnahme. Zur bürokratischen Absicherung nach außen der Brief an den stellvertretenden NSDAP-Ortsgruppenleiter. In der aktuellen apologetischen Darstellung der historischen Sachverhalte weist der Meerbuscher Stadtarchivar Regenbrecht im Autrag von Bürgermeister Spindler – interessengeleitet bewusst – 66 | Umlegung des jüdischen Friedhofs unrelektiert auf ein Argument, das Johannes Herbrandt für Bürgermeister Hugo Recken – und sich selbst – nach 1945 verwandte: Die Umlegung des jüdischen Friedhofs sei im guten Einvernehmen mit der jüdischen Gemeinde erfolgt. Sehen wir uns dieses Legitimations-Argument genauer an. Günter Janß führt aus, dass für die örtliche jüdische Gemeinde Gustav Kiefer einer Umlegung in Osterath zustimmen wollte, die jüdische Gemeinde in Krefeld, zu der die Osterather jüdischen Glaubens gehörten, teilte aber am 7. Februar 1935 Bürgermeister Hugo Recken schrit lich Bedenken mit. Zu diesem Schreiben formulierte Janß: »Aus den abschließenden Sätzen desselben Schreibens kann man jahrhundertealte Erfahrung verfolgter Judengemeinden heraushören und spürt deutlich die Sorge vor der sich ausweitenden Intoleranz des nationalsozialistischen Staates. Dort heißt es: ›Nachdem Sie uns bestätigt haben, dass das Eigentum an dem Friedhofsgelände der Zivilgemeinde zusteht, haben wir uns den Anordnungen der Zivilgemeinde zu fügen. Wenn also die Umlegung unvermeidlich sein sollte, bitten wir Sie diese in pietätvoller Weise vorzunehmen ... Wir geben dabei der Erwartung Ausdruck, dass nach menschlichem Ermessen eine nochmalige Umlegung in späterer Zeit nicht mehr in Frage kommt.‹ « (S. 52) Wie oben zitiert war bereits am 9. Februar 1935 in der Osterather Zeitung die oizielle Anzeige von Bürgermeister Recken abgedruckt: »... auf dem zwischen dem Sportplatz und Rheinischer Bahn gelegenen Grundstück ...«, also unter Einbeziehung des jüdischen Friedhofs. Die geschafenen Fakten mussten von Recken noch Schein-Legal verpackt werden, die Strategie der Nationalsozialisten. Günter Janß führt weiter aus, dass Bürgermeister Hugo Recken auf die Verlegung des jüdischen Friedhofs drängte. Und: »Dem schwebte sicher die Idee eines ›judenfreien‹ Friedhofs vor.« (S. 54 f.) »Ob und inwieweit er als Amtsträger in einem ideologisierten, totalitären Staat für den Wechsel des Verhandlungsansatzes verantwortlich und sogar letztverantwortlich war, kann im Rahmen dieser Ausarbeitung nicht sachgerecht diskutiert und entschieden werden.« (S. 68, Anm. 16) Hat Herr Regenbrecht seine Argumentation aus diesem Zitat bezogen? Im Kontext der in diesem Buch dokumentierten Aktivitäten von Bürgermeister Hugo Recken: Er wollte, das aus Osterath alles Jüdische getilgt wird. Janß weiter: »Als der Vorstand der Synagogengemeinde, um den innergemeindlichen Frieden zu retten, am 21. Februar 1935 noch einmal an die Landbürgermeisterei schrieb und dabei den Wunsch der Osterather Judengruppe wieder ins Gespräch zu bringen versuchte, antwortete man mit ›Erstaunen und Befremden über den Sinneswandel‹. In dem Schreiben der Bürgermeisterei vom 9. März 1935 an die Krefelder Synagogengemeinde werden nun schärfere Töne angeschlagen. Es wird sogar gedroht: ›Bei den mündlichen Verhandlungen war allen beteiligten Stellen zugesagt worden, dass bei der Umlegung des Friedhofes und den dabei zu trefenden Maßnahmen nach jeder Richtung Entgegenkommen gezeigt würde. Nachdem nunmehr die von Ihnen aufgezeigten Schwierigkeiten aufgetreten sind, kann der hiesigen Stelle eine Mehrleistung, über die gesetzlich vorgeschriebene hinaus, nicht zugemutet werden. Aus diesem Grund werden bei einer Umbettung der Leichen auf den neuen Osterather Friedhof diejenigen Gräber nicht berücksichtigt, in welchen sich Leichen beinden, die bereits vor (mehr als) 30 Jahren beerdigt wurden. Unter Berücksichtigung der Ihnen mitgeteilten Verhältnisse bitte ich nochmals um die Übernahme der Leichen hiesiger jüdischer Religionsangehöriger. Einer diesbezüglichen Mitteilung sehe ich bis zum 25. ds. Mts. entgegen.« (S. 54) Kreisarchiv Neuss: Katasterkarte Osterath Hoterheide Umlegung des jüdischen Friedhofs | 67 In Elie Pracht-Jöns. Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen. Teil II: Regierungsbezirk Düsseldorf. Köln 2000. lesen wir auf S. 482 unter dem Titel »Die Friedhöfe in der Hoterheide in Osterath und an der Uerdinger Straße in Lank-Latum«: »Im Jahre 1867 stellte die Bürgermeisterei Osterath den in der Ortschat wohnenden Juden ein 638 qm großes Grundstück für die Anlage eines Begräbnisplatzes zur Verfügung, das in der Hoterheide 1,5 km nordöstlich des Ortszentrums lag ... Bei dem 1867 angelegten Osterather Friedhof handelt es sich um ein extrem abgelegenes und einsames Terrain ... Möglicherweise wurden lediglich die jüngeren Gräber umgebettet.« Geht es nicht wie bürokratisch gewünscht, fällt der Schleier der bürokratischen Schein-Freundlichkeit und das Mittel der Nötigung wird genutzt. Die bürokratische Verärgerung ist auch bedingt durch den ausgelösten Zwang zur Schrit lichkeit. Ergebnisse mündlicher Verhandlungen sind gut interessengeleitet zu interpretieren, die Gegenseite gegenüber Bürokraten chancenlos. Und: Noch am 9. März 1935 ist oiziell vom »neuen Osterather Fried hof« als Option die Rede. Bürokratische Aussagen ohne absolute rechtliche Absicherung haben keinen Wert. Und die konnte es für Juden in Deutschland 1935 nicht geben. Janß weiter: »Nach einer Zwischenantwort schon am 13. März 1935 schreibt der Synagogenvorstand fristgerecht und endgültig: »Unsere Osterather Glaubensgenossen haben sich auf unsere Vorstellung hin mit der Umbettung nach hier einverstanden erklärt ... Wir setzen aber voraus, dass die Umbettung sämtlicher Leichen, die auf dem Osterather Friedhof begraben sind, durch Sie und auf Ihre Kosten erfolgt, dazu gehört natürlich auch die Aus- und Zuwerfung der neuen Gräber hier und die Wiederaufstellung der Grabsteine.« (S. 54) »Neun der zur Diskussion stehenden Gräber lassen sich auf dem neuen jüdischen Friedhof in Krefeld im Feld 10, in den Reihen 8 und 9, wenn auch sehr dicht gedrängt und in einer Ecke platziert, wiederinden.« (S. 56) »So weit wäre alles ›legal‹ abgelaufen und in Ordnung, wenn sich nicht bis heute in Osterath und in der Siedlung Gerüchte hielten, dass nach der Umbettung auf dem Gelände des früheren Friedhofes noch Totenschädel und andere widerstandsfähige Knochenteile gefunden worden wären. ›Als Zehnjähriger haben wir damals auf dem nahegelegenen Sportplatz Fußball gespielt. Grauen hat uns erfasst!‹ erzählt ein Zeuge. Man will auch wissen, wo die Knochen später innerhalb der Siedlung vergraben wurden. Auch glaubt man, für die berichteten Be- 68 | Umlegung des jüdischen Friedhofs obachtungen eine einleuchtende Erklärung liefern zu können. Die Bürgermeisterei Osterath hätte damals eine Kolonne von zwangsweise zur Arbeit verplichteten Leuten mit der Umbettung beaut ragt. Da den Leuten nur 10 Pfennig pro Stunde Lohn gezahlt worden sei, wäre es durchaus verständlich, dass sie nicht sonderlich motiviert für die unangenehme Arbeit gewesen wären. Auch habe es an geordneter Aufsicht gefehlt. Die Osterather Juden werden es nicht gewagt haben, die Abwicklung des Umbettungsaut rages zu überwachen, beziehungsweise bei Nichteinhalten der getrofenen Abmachung Beschwerde einzulegen.« (S. 57 f.) »Aber nicht nur das veränderte geistige Klima im ganzen Land ließ die Osterather Juden hinsichtlich einer Beschwerde über die schludrige Ausführung der Umbettung vorsichtig sein, sondern auch das Wissen um ihre absolute Minderheitensituation im Ort.« (S. 60) Sabine Gutmann schrieb am 17. Dezember 1945 (KK 1023 Bl. 182): »Frühzeitig schon ließ er die jüdischen Gräber unter einem nichtigen Vorwand entfernen.« Julius Gutmann ergänzte: »... dass Recken in pietätloser Weise die Särge auf einem Pferdefuhrwerk mit den Grabsteinen nach Krefeld schafen ließ.« Recken wahrte den äußeren Schein. Zu seiner bürokratischen Absicherung. Die Rheinische Heimstätte GmbH Düsseldorf, eine Vorgängergesellschat der Landesentwicklungsgesellschat Nordrhein-Westfalen, errichtete die Neubausiedlung, deren Häuser Schiefelberg 28 und 30 über dem jüdischen Friedhof liegen. Die Bauherren dieser Häuser waren aktive Osterather Nationalsozialisten. Was aus der Perspektive der eliminatorischen antisemitischen Ideologie der Nationalsozialisten symbolische Bedeutung hat. Was überbaut ist, hat nie existiert, es ist getilgt. Im Sinne von Bürgermeister Hugo Recken. Auch nach 1945, wie unten dokumentiert ist. Der Meerbuscher Stadtarchivar Regenbrecht ist bis heute nicht in der Lage, seinen »Irrtum«, die »Umlegung« sei auf den Friedhof in Uerdingen erfolgt, öffentlich zu korrigieren. Bürokratie irrt nie; irrt sie, dann muss zur Legitimation die – vermeintliche – Macht-Position durch Schweigen gehalten werden. Johannes Herbrandt hat sich zum Vorgang in zwei Schreiben geäußert, am 2. Januar 1946 und am 15. Juli 1947. Das erste Schreiben beindet sich in den Akten des Stadtarchivs Meerbusch, das zweite im Nachlass Herbrandt im Stadtarchiv Meerbusch. Das erste Schreiben wird von Herrn Regenbrecht herangezogen, das zweite nicht. Es trägte die Überschrit. »Zu den gegen Herrn Gemeindedirektor Recken aus Osterath erstatteten Anzeige wegen pietätloser Beseitigung des ehemaligen Judenfriedhofs in Osterath.« Herbrandt wiederholt die bürokratisch-legitimierende und damit auch sich selbst legitimierende und absichernde Position von 1934/35; wo beginnt interessengeleitete bürokratische Zweck-Lüge? Die von Herrn Regenbrecht unrelektiert übernommen wird. Zwei Formulierungen von Herbrandt sind darüber hinaus hervorzuheben: »Da eine Einebnung des Friedhofes nicht aus pietätlosen Gründen vorgenommen wurde und eine Umbettung erfolgte, halte ich die Errichtung eines Gedenksteins für nicht erforderlich.« »Der Judenfriedhof war damals bereits sehr verwahrlost und seit vielen Jahren nicht mehr benutzt.« Johannes Herbrandt hat das ofensichtlich bürokratisch torpediert. Dafür gibt es den Begrif Insubordination – auch im strafrechtlichen und dienstrechtlichen Sinn. Dass dies so geschehen konnte, dokumentiert, wie sicher sich Herbrandt sein konnte, dass er abgesichert ist. Am 29. Juni 1946 folgte ein Schreiben des Oberpräsidenten der Nord-Rheinprivinz Düsseldorf »Betrit: Instandhaltung jüdischer Friedhöfe«, das über den Regierungspräsidenten Düsseldorf und den Oberkreisdirektor Kempen-Krefeld an die Gemeindedirektoren ging, in Osterath dann Hugo Recken: »Anliegende Abschrit übersende ich Ihnen mit der Bitte, mir bis zum 24. ds. Mts. zu berichten, ob in ihrer Gemeinde ein jüdischer Friedhof liegt, in welchem Zustand sich dieser beindet, welche Maßnahmen zur Wiederherstellung getrofen wurden und bis zu welchem Zeitpunkt dieser Friedhof wieder ein würdiges Aussehen bekommt.« Handschrit licher Vermerk von Hugo Recken: In der von Herrn Regenbrecht genannten Akte Bestand Osterath III 1997 inden wir drei weitere Dokumente: Eine handschrit liche Notiz zum jüdischen Friedhof von vor der »Auhebung«, auf der 18 Namen von Beerdigten mit Daten aufgelistet sind, inkl. Moses Gutmann 1933, dem Vater von Julius Gutmann. Und seine Mutter, die 1928 dort beerdigt wurde. Recken und Herbrandt waren vollständig informiert. 1934/35 und nach 1945. Am 24. August 1945 schreibt der Regierungspräsident Düsseldorf die Oberbürgermeister und Landräte im Aut rag des Oberpräsidenten der NordRheinprovinz »Betrit: Jüdische Friedhöfe« an: »Während der Naziherrschat sind die jüdischen Friedhöfe verwüstet, zum Teil sogar eingeebnet worden. Es ist ein selbstverständliches Gebot der Pietät gegenüber den jüdischen Mitbürgern, dass, soweit es nicht schon geschehen ist, der Zustand der Verwüstung beseitigt und soweit die Friedhöfe eingeebnet sind, ein Gedenkstein errichtet wird, zum Andenken an die auf diesen Friedhöfen beerdigten Juden. Ich ersuche, das hiernach Erforderliche baldigst zu veranlassen.« Der Landrat Kempen-Krefeld leitet dieses Schreiben am 1. September 1945 an die Bürgermeister weiter, zu diesem Zeitpunkt in Osterath Rudolf Bartels: »Abschrit übersende ich mit Bezug auf meine Verfg. vom 22. 8. 1945 zur Kenntnis mit dem Ersuchen, das Erforderliche baldigst zu veranlassen.« »Fehlanzeige« Bürokratie passt – so weit es in ihrer Macht liegt – die Realität der von ihr deinierten und geschafenen Realität an. »Fehlanzeige« bedeutet: Recken teilt auf dem bürokratischen Instanzenweg nach oben mit, dass es in Osterath bezüglich der Fragestellung eine »Fehlanzeige« gäbe; eine interessengeleitete bürokratische Zweck-Lüge. Wie der Umgang mit der schrit lichen Intervention des Ehepaares Gutmann und die Anzeige gegen Hugo Recken wegen pietätloser Beseitigung des jüdischen Friedhofs, legitimiert mit einer Gefälligkeits-Eidesstattlichen Erklärung »Zu dem Judenfall Gutmann« bürokratisch vom Tisch gewischt wurde. In diesem Kontext erhalten die beiden Schreiben von Johannes Herbrandt eine völlig neue Bedeutung. Nachträgliche Legitimation des Unrechts, an dem er beteiligt war, in Symbiose mit Bürgermeister Hugo Recken. Antisemitismus von verantwortlichen deutschen Bürokraten nach der Befreiung, heute durch die manipulierende bewusst auslassende Darstellung von Herrn Regebrecht im Aut rag von Bürgermeister Spindler wiederum legitimiert und damit toleriert. Hier stellt sich nicht nur die Frage, wo Lüge beginnt. Sondern auch: Wo beginnt Antisemitismus? Auf dem Straßenschild »Am Gutort« – der Name wurde auf Anregung der evangelischen Kirchengemeinde gewählt – beindet sich heute der Hinweis: Umlegung des jüdischen Friedhofs | 69 »In der Nähe befand sich der Osterather jüdische Friedhof Hoterheide / Schiefelberg, der ›Gute Ort‹ genannt. Er wurde 1935 überbaut.« Auf den Straßenrand gegenüber dem Straßenschild wurde ein Gedenkstein gelegt; ein Stein ohne alles. Also ohne reales Gedenken. Schein-Gedenken. Im Sinne der Recken-Legende. Bild oben und links: Gutort (Quelle: Falk Nevken) Straße und der Heideckstraße umgesetzt, dies amtlich mit Datum vom 20. August 1935 festgehalten. Auch dies ist ein Indiz dafür, dass sich die Symbiose Recken – Herbrandt im Sinne des eliminatorischen NS-Antisemitismus verhalten hat. Manfred Klaes hat in akribischer Kleinarbeit die Lage der Gräber auf dem jüdischen Friedhof Osterath und dann auf zwei jüdischen Friedhöfen in Krefeld recherchiert und dokumentiert. Im Gegensatz zu der Falschdarstellung von Johannes Herbrandt 1945 und 1946 wurde die »Umlegung« je etwa zur Hälte auf die Friedhöfe an der Gladbacher Lagepläne der Grabsteine auf zwei jüdischen Friedhöfen in Krefeld 70 | Umlegung des jüdischen Friedhofs Wie ist die unrelektierte Wiedergabe heute der Legitimation dieser extremen antisemitischen Maßnahme 1934 / 35 und 1946 / 47 sowie in den Folgejahren von der Symbiose Recken – Herbrandt durch Herrn Regenbrecht ethisch, politisch, archivwissenschat lich und geschichtswissenschat lich sowie ggf. auch juristisch zu bewerten? Meine Bitte: Relektieren Sie diese Frage selbst. »Es ist die Art aller Zeiten, Irrtum statt Wahrheit zu verbreiten.« Johann Wolfgang von Goethe c. Die Deportation nach Riga im Dezember 1941 Der organisierte Mord an der Mehrheit der von den Maßnahmen gegen Juden betroffenen Menschen und die Rolle von Bürgermeister Hugo Recken Kaka: »Ein Henker ist heute ein ehrsamer, nach der Dienstpragmatik wohlbezahlter Beamtenberuf. Warum sollte also nicht in jedem ehrsamen Beamten ein Henker stecken?« Janouch: »Die Beamten bringen doch keine Menschen um!« Kaka: »Und ob sie dies tun! Sie machen aus den lebendigen, wandlungsfähigen Menschen tote, jeder Wandlung unfähige Registraturnummern .« »Als zu Beginn des Jahres 1933 erstmals ein Ministerialbeamter eine Deinition der Bezeichnung ›nichtarisch‹ in einen Richtlinienerlass hineinschrieb, war das Schicksal der europäischen Juden besiegelt.« Raul Hilberg. 1982. S. 709. Nach der vollständigen Ausgrenzung, Entrechtung und Enteignung blieb noch die inale Stufe: der bürgerliche und der biologische Tod. Der endgültige bürgerliche Tod durch Ausbürgerung. Für »Vermögensverfall« und Ausbürgerung hat H. G. Adler den Begrif »Finanztod« geprägt. Der biologische Tod durch Deportation und Mord durch organisierten Hunger, Erschießen, Erschlagen, Erhängen und Vergasen. Und »Vernichtung durch Arbeit«. Der Reichsleiter des deutschen Gemeindebundes und Oberbürgermeister von München Fiehler an das Reichsinnenministerium am 28. Oktober 1941 Das »Steueranpassungsgesetz« vom Oktober 1934 ist ein Fraktal der Terror-Willkür-Gesetzgebung im Sinne gesetzlichen Unrechts gegen willkürlich als Juden dei nierte Menschen. Es ging auf Fritz Reinhard zurück, dem NSDAP-Finanzfachmann, der am 6. April 1933 Staatssekretär im Reichinanzministerium wurde. Für Hitler und seine Vasallen zentrale Bürokratie-Positionen wurden von NSDAP»Fachleuten« besetzt, um den gewünschten Prozess anzustoßen, zu steuern, zu vernetzen und Synergien im Sinne von – bürokratischer – Efektivität und Efizienz zu erreichen. Die kostengünstigste Organisation des Massenmords. »§1 (1) Die Steuergesetze sind nach nationalsozialistischer Weltanschauung auszulegen. §1 (3) Entsprechendes gilt für die Beurteilung von Tatbeständen« Das NSDAP-Progamm als rechtliche Grundlage und Auslegungsmaßstab eines Gesetzes. Da den ausführenden Beamten klar war, was wie gemeint war, ersparte sich die Bürokratie so das mühsame Ändern aller einschlägigen Gesetze. Der Ermessensspielraum war unbegrenzt, also auch von Steuergerichten nicht überprübar. Das Prinzip der Ausführungsbestimmungen zur Deinition unbestimmter Rechtsbegrife für die Rechtspraxis und damit auch einer juristischen Überprübarkeit im Einzelfall wurde auf den Kopf gestellt, vollständig ausgehebelt. Also gesetzliches Schein-Recht zur äußeren Legitimation von Unrecht. Die Bürokratie löste sich von ihrer verfassungsmäßigen Legitimationsbasis, wurde zum reinen Instrument zur Exekution der NS-Ideologie im NS-Terror-Mord-ParteiStaat mit dem Kernziel, alle willkürlich als Juden deinierten Menschen weltweit zu ermorden. »Was ist mit der nationalsozialistischen Weltanschauung? ... Hinter dem prahlerischen Namen verbirgt sich entweder nichts oder die Doktrin, die es gestattet oder sogar beiehlt, Juden zu berauben, zu quälen und zu töten.« Sebastian Haffner. Jekyll & Hyde. 1939. S. 54. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion und die umgehende Besetzung großer Gebiete sahen die Nationalsozialisten und ihre bürokratischen Helfershelfer eine neue Realisierungsmöglichkeit für ihr Ziel, Deutschland und weitere »angegliederte« Gebiete »judenrein« zu bekommen: durch Deportation. Mit einem Schlag sollte die Hälte der noch in diesem Gebiet lebenden Menschen, die die Deportation nach Riga | 71 Antwort des Reichsinnenministerium Litzmannstadt=Ghetto Lodz Landesarchiv Berlin Rp. 142/7, 1-2-6/ Nr. 1 den Gerichten wurde der Vorgang als ein bürokratischer Akt behandelt. Die Banken erließen genaue Richtlinien, wie mit den Anordnungen des Reichsinanzministeriums umzugehen sei. Die NSDAP und ihre Organisationen, vornehmlich die NSVVolkswohlfahrt, versteigerten und verteilten das Hab und Gut der Deportierten, nachdem zunächst vornehmlich die Finanzämter und andere Behörden sich aus dem beweglichen Hab und Gut für ihre Zwecke bedient hatten.« www.volksbund.de/partner/deutsches-riga-kommitee So lesen wir in der Entschädigungsakte Bernhard Abrahams in einem amtlichen Schritstück mit dem Datum vom 7. Februar 1951 den Satz: »Eine Herrenzimmereinrichtung beindet sich noch im Finanzamt Krefeld.« Nationalsozialisten als »Juden« deinierten, »abgeschoben« werden. Ein Teil in das Ghetto Riga, das dazu »judenrein« gemacht wurde: Etwa 43.000 überwiegend lettische, aber auch z. B. emigrierte Deutsche, wurden innerhalb weniger Tage in der Nähe von Riga »endgelöst«, erschossen und in Massengräbern verscharrt. Dazu kamen die ersten Deportationen, die direkt »miterledigt« wurden. Adolf Hitler war also federführend von vornherein in den Holocaust involviert. Er war schließlich »der Führer«. Und sein Kernziel war die Ermordung aller Menschen, die er als Juden deinierte. Wenn er sich die Ernennung bis runter zum NSDAP-Ortsgruppenleiter vorbehielt: Sein Herzensanliegen war »Chefsache«. Siehe Dokumente Seite 71 unten links und Seite 72 oben links. Aus den »Richtlinien für die Schulung im Kriege« der Reichsorganisation der NSDAP von 1942: »Er (der Jude, LK) muss als der schließliche und entscheidende Gegner erkannt werden, auf den sich der Vernichtungswille unseres Volkes zu konzentrieren hat.« »Die Deportationen der deutschen Juden war ein in den Behörden weithin bekannter Vorgang, der die Verwaltungen umfangreich beschät igte. Von den Arbeitsämtern, den Industriebetrieben, den Finanzämtern, den Wohlfahrtbehörden bis hin zu 72 | Deportation nach Riga »Am 4. November 1941 ... teilte das Reichsinanzministerium den Oberpräsidenten die grundsätzlichen Regelungen der Arbeitsteilung bei den Deportationen mit ... In den folgenden detaillierten Bestimmungen wurde auch die Zusammenarbeit weiterer Dienststellen geregelt: mit den Regierungspräsidenten..., den Stadtverwaltungen, die möglichst schnell frei gemachte Wohnungen übernehmen sollten.« Hans-Dieter Schmid. S. 142 Das bedeutet: Über ihre Rolle im Holocaust sind die Kommunalverwaltungen, also die Bürgermeister wie Hugo Recken, von der Bezirksregierung Düsseldorf informiert worden. Und wie die Kooperation mit allen Dienststellen zu erfolgen habe. Hans-Dieter Schmid führt dann (S. 142) zu »Schreibtischtätern« aus: »Schreibtischtäter in ›normalen‹ Bürokratien wie Stadtverwaltungen ... ohne deren ›fachkundige‹ Beihilfe die Verbrechen von SS und Gestapo, insbesondere die systematische Ermordung der europäischen Juden, nicht möglich gewesen wäre.« Hugo Recken handelte nicht nur von seinem Schreibtisch aus. Er erfüllte seinen Part im Holocaust auch ganz persönlich von Angesicht zu Angesicht, wenn er z. B. Sabine und Julius Gutmann durch dauernde Vorladungen zu sich ins Rathaus terrorisierte und Julius Gutmann zum Verkauf seines elterlichen Hauses nötigte. Bei Friedberger (S. 2) lesen wir: »Das Formular zur Vermögenserklärung war ein Musterbeispiel für die pedantisch-bürokratische Vorgehensweise bei der restlosen Verwertung des von den Deportierten zurückgelassenen Vermögens. Im Unterschied zum Vermögensverzeichnis von 1938 fragte der zunächst 8-seitige, später 16-seitige Vordruck auf den Seiten 8 – 10 dezidiert nach dem Wohnungsinventar und den Kleidungsstücken. Dort wurde den für die Deportation vorgesehenen Personen zugemutet, jeden einzelnen Strumpf, jede Lampe und jeden Stuhl etc. aufzulisten, den sie noch besaßen. Das Formular wurde in der Regel mit der Benachrichtigung über den Deportationstermin und der Anweisung, sich in einem Sammellager einzuinden, zugeschickt, so dass das Ausfüllen des Formulars zugleich mit dem Gefühl der Angst und Ungewissheit über das bevorstehende Schicksal verbunden war.« Bewusst organisierte bürokratische Perversion, in Osterath in Kooperation mit Bürgermeister Hugo Recken exekutiert. Indem er sich persönlich z. B. das Sparbuch von Julius Gutmann aushändigen lässt, den er dazu vorgeladen hatte, um es dann zuständigkeitshalber an die Gestapo-Leitstelle Düsseldorf wiederum zur Weiterleitung an den Oberpräsidenten zu schicken. dieser Verwaltung an den nationalsozialistischen Verbrechen.« Friedberger. S. 24. Solche Personalakten existieren auch im Bestand des Finanzamtes Krefeld von Menschen aus Osterath. Der überwiegende Teil der niederrheinischen »Juden« wurde am 11. Dezember 1941 vom Schlachthof Düsseldorf-Derendorf nach Riga verschleppt. Alle aus Osterath verschleppten Menschen wurden im »Osten« ermordet. »Der Transport war präzise vorbereitet; seit Wochen haben die Juden, die im Kreisgebiet (Kempen-Krefeld, LK) wohnten, das nötigste Reisegepäck bereitstehen; etwa einen Monat vor dem Abreisetermin sind ihnen die genauen Vorschriten über Möbelverkauf, Kontenaulösung und Versiegelung der Wohnungen mitgeteilt worden.« Hans Kaiser. S. 102 Der Holocaust war fraktal, also selbstähnlich. Alle Schicksale und bürokratischen Mord-Prozesse ähnelten sich. Und Riga war das Auschwitz der Osterather Juden. Fraktal war er auch in der Perspektive deutscher Bürokratien aller Ebenen. »Ein Karteiblatt für jeden abgeschobenen Juden erleichtert die Übersicht.« Friedberger formuliert zusammenfassend (S. 10): »... das ungetrübte, ja durchaus kollegiale Verhältnis der Finanzverwaltung zur Gestapo, das die Finanzbeamten zu willigen Komplizen bei der staatlich organisierten Judenverfolgung werden ließ.« In diesem Zitat können die Wörter »Finanzverwaltung« und »Finanzbeamte« durch die Worte »Kommunalverwaltungen« und »Bürgermeister« ausgetauscht werden. Alle Bürokratien kooperierten – ot im vorauseilenden Gehorsam, den »Führerwillen« quasi antizipierend, das ideologische Kernziel von Hitler und den Nationalsozialisten zu erreichen: Den Mord an möglichst allen Menschen, die sie als »Juden« deinierten. »Zu den Hinterlassenschaten dieser zwölf Jahre gehören unzählige einzelne Personenakten der deutschen Finanzverwaltung, die in ihrer ganzen bürokratischen Sachlichkeit und thematischen Schlichtheit die Zerstörung menschlicher Schicksale und Biographien spiegeln und damit in jedem einzelnen Fall Zeugnis ablegen von der Beteiligung So ein Erlass des Reichsinanzministers vom 4. November 1941 im Kontext der anstehenden Deportationen. »Da wir in der Organisation Anhänger von Sauberkeit und Ordnung sind, wird der politische Gegner oder Jude festgenagelt, aber selbstverständlich nur auf der Karteikarte.« Reichsorganisationsleitung der NSDAP. 19. 7. 1933 »Für sie, die Eingeweihten, war der Ton das, was zählte, weil er ot mehr sagte als die Worte: ›Gebt es ihnen‹, ›Los auf sie drauf‹, ›Wir werden es ihnen zeigen‹ und ›Schlagt sie zusammen‹.« Sebastian Haffner. Jekyll and Hyde. 1939. S. 79. Bürgermeister Hugo Recken sandte wenige Tage vor dem 9. Dezember 1941 der Gestapo-Leitstelle Düsseldorf (II B4) Zimmer 226 auf die schritliche Anordnung wiederum wenige Tage zuvor unter dem Betref »Evakuierung von 12 Juden aus Osterath« die »ausgefüllten Formulare« zu diesen zwölf Menschen weiter. Die betrofenen Familien erhielten über ihn »Ausreiseauforderungen«, am Deportation nach Riga | 73 9. Dezember 1941 begann ihre »Aussiedlung« durch ihre Festnahme. »Mit der Benachrichtigung über die bevorstehende ›Evakuierung‹ erhielten die Betrofenen ein großes (15-seitiges) oder kleines (8-seitiges) Formular zur ›Vermögenserklärung‹, das die Gestapoaußendienststellen oder Ortspolizeibehörden, meist zusammen mit den Namenslisten und statistischen Angaben der zu Deportierenden, ausgefüllt und von den Betrofenen unterschrieben, an die Gestapoleitstelle in Düsseldorf weiterleiteten. Angehängt an die Formulare und ebenfalls von ihnen zu unterschreiben war eine Erklärung, in der es hieß, es sei ihnen eröfnet worden, dass ihr Vermögen beschlagnahmt sei und dem Deutschen Reich zufalle.« Genger / Jakobs. S. 23. »Am Tag der Deportation waren Einheiten verschiedener Sparten aus den Reihen der Sicherheits- und Ordnungspolizei im Einsatz. Gestapomitarbeiter und Beamte der Kriminalpolizei sowie Einheiten der Schutzpolizei und der Gendarmerie führten die Verhateten und den Abtransport der Juden nach einem festgelegen Einsatzplan durch. Den Polizisten lag ein als ›geheim‹ klassiiziertes ... ›Merkblatt für eingesetzte Beamte‹ vor, das diese in 13 Artikeln genauestens über ihre Aufgaben instruierte. Für den Abtransport aus den einzelnen Orten war ein Kriminalbeamter als ›Transportführer‹ verantwortlich, dem ›je nach Bedarf‹ eine bestimmte Anzahl Kriminalpolizisten zugeteilt wurde. Wahrscheinlich erst an den ›Sammelstellen‹ in den größeren Städten waren dann Beamte der Gestapo zur Durchführung weiterer Maßnahmen und zur Überwachung des Abtransports zugegen. Jede diese ›Sammelstellen‹ wurde von einem leitenden Beamten befehligt, der den einzelnen Transportführern Listen mit den ›Namen und Anschriten der festzunehmenden Personen‹ aushändigte.« Andreas Nachama u. a. (Hrsg). Vor aller Augen. S. 17. Auf die aus den Fotos hervorgehende »neugierige Passivität« der Zuschauer bezogen: »Der Historiker Peter Steinbach hat darauf hingewiesen, dass die Machthaber eine solche Teilnahmslosigkeit der Bevölkerung in dieser Form wohl nicht erwartet hatten. Diese Reaktion machte ihnen endgültig deutlich, dass die Vertreibung und Beraubung deutscher Juden mittlerweile gesellschat lich weitgehend akzeptiert wurde.« Nachama. S. 20. Osterather als »Juden« deinierte Menschen wurden am 9. Dezember 1941 morgens im Halbdunkeln mit einem LKW abgeholt. Die Bewacher waren Fremde in Zivil. 74 | Deportation nach Riga Auf der Einwohnermeldekarte von Dan Lucas lesen wir den Eintrag des zuständigen Sachbearbeiters des Einwohnermeldeamtes Osterath: »9. 12. 41 Osten Riga«. Marie-Sophie Aust hat in ihrem Beitrag in den Meerbuscher Geschichtsheten »Jüdische Familien in Osterath« (S. 77) beschrieben: »Schon seit der Veröfentlichung des Reichsgesetzes über die Mietverhältnisse mit Juden am 4. Mai 1939 hatte man begonnen, die jüdischen Familien in sogenannten ›Judenhäusern‹ zwangsweise zusammenzulegen. Bis 1941 wurden ... alle noch in Osterath verbliebenen jüdischen Mitbürger in dem ehemaligen Wohnhaus der Familie Kiefer, Kaarster Str. 14, untergebracht. Von hier aus wurden sie am 9. Dezember 1941 auf einem Lastwagen der Sauerkrautfabrik nach Düsseldorf zur Sammelstelle für die Deportation nach Riga verfrachtet. Ruth Kiefer verheiratete Lucas mit ihrem noch nicht zwei Jahre alten Söhnchen Danny durfte ›als Vergünstigung‹ wegen des schlechten Wetters vorne beim Fahrer in der Kabine sitzen und musste nicht wie die anderen auf der zugigen Ladeläche des LKW transportiert werden. Als das geschah, standen ihre Nachbarn und ehemaligen (sic!) Freunde weinend am Straßenrand und winkten ihnen hillos nach, wohl ahnend, dass sie sie nie wiedersehen würden.« Was Marie-Sophie Aust schrieb, ist Teil ihrer persönlichen Vergangenheitsbewältigung. Zu der ihre Kooperation mit Johannes Herbrandt bis zu dessen Tod in der 1990er Jahren zählt. »Genau genommen weiß jeder Deutsche auf Grund von Beobachtungen, was mit den Juden in Deutschland passiert. Aber weil er kaum etwas darüber liest und weil er das undeutliche Gefühl hat, dass es nicht gut wäre, viel darüber zu wissen, misstraut er ot lange dem, was er mit eigenen Augen sieht.« Sebastian Haffner. Jekyll & Hyde. 1939. S. 109. »In aller Öfentlichkeit, in Gegenwart hunderter Zuschauer gerieten diese Verfolgungsmaßnahmen von Polizei und Gestapo zusätzlich zu kollektiven Proklamationen der NS-›Volksgemeinschat‹ zur rassistischen Militanz des NS-Regimes und seiner Führung.« Nachama. S. 63. »Die ... besonders deutlich fokussierten Gestapomänner repräsentieren den gewalthaten Kern des in der Bildfolge festgehaltenen Geschehens, stärker noch als die beteiligten Angehörigen der Ordnungspolizei. Die Geheime Staatspolizei war die administrativ-politische, auch die logistische Schaltzentrale der Deportationen. Die beiden Gestapomänner, zwei ›Scharführer‹ der Sicherheitspolizei, strahlen auf diesen Fotos in Körperhaltung und Gesichtsausdruck eine plebejisch-brachiale, bereits physischer einschüchterne Brutalität aus. Sie wirken wie eine vulgäre Mauer aus Befehl, Hass und physischer Gewalt, die kaum gebändigt in ihren Mienen zum Ausdruck kommt.« Nachama. S. 63 f. Nach der »Klein-Übung« bei der Reichskristallnacht 1938 auf der Wevelsburg waren die – aus NSPerspektive bürokratisch gelungenen – Deportationen 1940 nach Gurs das – fraktale – Muster für alle Deportationen, die folgten. Wer war »man«? Bürgermeister Hugo Recken – und sein rechte Hand Johannes Herbrandt. Standen sie mit am Straßenrand? Dass beide Unrechtsbewusstsein hatten, dokumentiert sich durch die Aktenvernichtung vor der Befreiung durch US-Amerikaner am 1. März 1945. Die Täter wollten im Bewusstsein ihres Unrechts ihre Taten vertuschen, um nicht bestrat zu werden. Dieses Foto gehört zu einer Foto-Serie, aufgenommen 1940 in Lörrach und es ist fraktal: So oder ähnlich war es immer und überall, wenn Nationalsozialisten und ihre bürokratischen Mit-Täter – inkl. des PolizeiFotografen – 1940 bis 1945 Menschen aus ihren Heimatorten verschleppten. Dargestellt ist aus der Perspektive von 1940 eine Selbstverständlichkeit, die vom Polizei-Fotografen als »ordnungsgemässe Abwicklung« einer Amtshandlung festgehalten wurde, die nach dem Verständnis der agierenden Beamten und ihrer Vorgesetzten rechtmässig und damit legal war. Und wie bei der »Umlegung« des jüdischen Friedhofs 1935 organisierte er 1941 die für die Gemeinde Osterath kostengünstigste TransportLösung: nach einem Pferdefuhrwerk für die Grabsteine und Särge nun die Menschen auf einem ofenen LKW. Wobei Dan Lucas und seine Mutter das Privileg erhielten, in der Fahrerkabine in den Tod fahren zu dürfen. »Am 10. Dezember 1941 saß der alte Mann in Untersuchungshat. Nach Gegenüberstellungen mit seinen Denunziantinnen und aussichtslosem Leugnen nahm sich Struckenmeyer das Leben. Am 11. Dezember um 3 Uhr morgens fand man ihn tot in seiner Zelle.« Robert Gellately. Hingeschaut und Weggesehen. S. 267. »In schärfster Form Feinde des deutschen Volkes der gerechten Todesstrafe zuzuführen.« Heinrich Himmler am 12. Dezember 1941 an die Höheren SS- und Polizeiführer in der besetzen Sowjetunion. Vermögensverfall Im »Buch des Gedenkens« inden wir die folgenden Ausführungen zu den Deportationen nach Riga (S. 7 f.) sowie zur Deportation am 11. Dezember 1941 ab dem Schlachthof in Düsseldorf-Derendorf (S. 692): Deportation nach Riga | 75 Foto oben: Arisierungsversteigerung Foto links: Versteigerungsanzeige Was ist die Botschaft dieses Fotos? Es steht für Entzivilisierung und Brutalisierung der deutschen Gesellschaft. Gewalt, Terror, Raub und Ermordung von »Gemeinschaftsfremden« und die Aneignung ihres Besitzes als Selbstverständlichkeit, Normalität im Sinne von gesellschaftlicher selbstverständlicher Norm. Der Führerwille wird selbstverständlich exekutiert, von allen »Volksgenossen«. Geworden-Sein wie – fanatische – Nationalsozialisten, und es nicht sehen, verstehen, wissen wollen, verdrängen. Dass der Verkaufserlös – zu Gunsten der Kriegsmitfinanzierung durch Abschöpfen von Kaufkraft – etwa 20 % des realen Wertes ausmachte, war eine Form von Korruption der »Volkgemeinschaft«: Für das NS-Partei-Staats-Regime kostenfreier Kauf von Zustimmung und Loyalität – durch Mit-Täterschaft in Form des selbstverständlichen Kaufs von Raubgut. Fraktal für die generelle perverse NS-ideologische Strategie: Mit Gewalt – psychisch und /oder physisch – nötigen, um die Opfer zur Finanzierung und Organisation ihrer Ermordung weitestmöglich zu missbrauchen und die Gesellschaft gleichzeitig zu korrumpieren. Was die Bereitschaft voraussetzt, sich korrumpieren lassen zu wollen. »Für die Transporte nach Minsk und Riga erließ ... das Reichsinanzministerium am 4. November 1941 grundlegende Bestimmungen: ›Die Abschiebung der Juden wird von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) durchgeführt. Die 76 | Deportation nach Riga Gestapo sorgt auch für die Sicherstellung des Vermögens ... Die Einziehungsverfügungen werden von den Regierungspräsidenten ... erlassen. Sie werden den Juden vor ihrem Abtransport durch Gerichtsvollzieher zugestellt.‹ Mit der 11. Verordnung schuf der Staat einen gnadenlosen Automatismus. Der angebliche ›Auslandsaufenthalt‹, die Verbindung zu den emigrierten Juden, verband den Deportationsvorgang mit dem Verlust der Staatsangehörigkeit und damit dem gesetzlich geregelten Vermögensverfall. Mit der eigenen Unterschrit mussten die auf die Deportation wartenden Menschen in den jeweiligen Sammellagern ihren bürokratischen Tod besiegeln. Die Personalausweise, die ›Judenkennkarten‹, die ohne hin mit einem ›J‹ gekennzeichnet waren, erhielten darauhin den Stempel ›Evakuiert nach Riga‹. Der nationalsozialistische Staat nahm seinen eigenen Staatsbürgern die Staatsangehörigkeit und das Vermögen. Die nichtjüdische Allgemeinheit verdiente am Eigentum ihrer vertriebenen Landsleute.« Über die konkrete lokale Bedeutung des Wortes »Arisierung« haben bei der Veranstaltung im Dezember 2011 in Osterath Zeitzeugen berichtet: Wie sie dabei waren, als ihre Eltern mit vielen anderen Dorf-Einwohnern – Volksgenossen – in der Turnhalle einer Schule das gesammelte Raubgut der aus Osterath verschleppten Menschen ersteigerten. Der Sinn dieser Veranstaltungen: Kauk rat zur Kriegsinanzierung abzuschöpfen. Das war außerhalb des Fokus der Steigernden. Wie die Tatsache, dass sie sich unrechtmäßig bereicherten. Die Restribution nach 1945 dokumentiert, das diese Handeln scheinjuristisch und schein-legal war. Wie eine verführte Herde haben sich die Osterather Volksgenossen um die Sachen gestritten. »Partizipation und Zustimmung zu den rassistischen Maßnahmen des Nationalsozialismus ist auch und gerade in den Kleinstädten des ›Dritten Reichs‹ nachhaltig belegt.« Nachama. S. 99. »Die Auswahl der zu deportierenden Personen erfolgte in Düsseldorf gezwungenermaßen durch die Vertreter der jüdischen Gemeinde, in Orten ohne innerjüdische Organisation durch die GestapoAußenstellen oder die Gemeindeverwaltung. In der Regel erhielten die Betrofenen Ende November 1941, teilweise auch erst Anfang Dezember, also weniger als zehn Tage vor dem vorgesehenen Deportationstermin, eine schrit liche Mitteilung, die sie über den Zeitpunkt der Deportation und die damit zusammenhängenden Formalitäten, u. a. Abgabe ihres Vermögens, Durchsicht und Plombierung des Gepäcks sowie der Höhe der Transportkosten, informierte. Wegen der großen Zahl der beteiligten Ortschaten war die Zusammenziehung und Beförderung der Personengruppen mit einem enormen logistischen Aufwand verbunden. Für die Organisation waren die Gemeinden weitgehend selbst verantwortlich, so dass sich in Bezug auf die Handhabung Unterschiede zwischen einzelnen Ortschaten feststellen lassen. Die betrofenen Personen aus den kleineren Gemeinden wurden in der Regel am frühen Morgen des 10. Dezember 1941 von einem Beamten der Gestapo oder einem Ortspolizisten abgeholt, mit Lastwagen, teilweise auch mit Pferdefuhrwerken, zum Bahnhof oder zum Sammelpunkt in der nächstliegenden Stadt gebracht. Die Züge mit den Juden aus den umliegenden Ortschaten trafen im Laufe des 10. Dezember 1941 am Düsseldorfer Hauptbahnhof ein. Von dort aus mussten alle Personen, auch die älteren Menschen und Kinder, die rund fünf Kilometer lange Strecke bis zum Schlachthof in einer streng bewachten Kolonne durch eigens zu diesem Zweck abgesperrte Straßen zu Fuß zurücklegen. Die von den Juden im Schlachthof vorgefundenen Bedingungen entsprachen der ursprünglichen Funktion des Gebäudes: eine kahle, feuchte und dreckige Halle, in der zudem ein fürchterlicher Gestank geherrscht haben muss. Dieser Aufenthaltsort wurde von den Vertretern der jüdischen Gemeinde in Düsseldorf in ihren Benachrichtigungsschreiben euphemistisch als ›Versammlungsraum des städtischen Gebäudes, Rather Str. 23‹ bezeichnet und kann nur als verzweifelter Versuch gewertet werden, diese weitere Herabsetzung der zur Deportation bestimmten Juden etwas abzuschwächen. In dieser Umgebung mussten die über tausend Menschen die Nacht vor Schlachthof DüsseldorfDerendorf: Düsseldorf – Litmannstadt, S. 61. | 77 ihrer Abfahrt aus Düsseldorf in eisiger Kälte und – in Ermangelung jeglicher Sitzgelegenheit – zumeist stehend verbringen. Zusätzlich sahen sich die Anwesenden permanenten Schikanen des Wachpersonals ausgesetzt, das während der in alphabetischer Reihenfolge durchgeführten Leibesvisitationen und Gepäckkontrollen willkürlich Wertgegenstände und Teile des Gepäcks koniszierte. Nach einer rund zwölfstündigen Wartezeit im Schlachthof mussten die Juden am 11. Dezember 1941, gegen 4:00 Uhr morgens, den Weg zum Güterbahnhof Derendorf antreten, wo sich die Ankunt des Personen-Sonderzuges, dessen Abfahrt für 9:30 Uhr vorgesehen war, aufgrund personeller Probleme bei der Reichsbahn wesentlich verzögerte. Als Konsequenz dieser Verspätung mussten die Betrofenen zunächst bis zur Einfahrt des Zugs vier Stunden an der Verladerampe warten, um dann unter Gewaltandrohung und größter Hast in die Abteile gedrängt zu werden.« Hilde Sherman beschreibt in »Zwischen Tag und Dunkel« zwei Begebenheiten im Schlachthof Düsseldorf-Derendorf: »Ich drehte mich um ... , als ich plötzlich einen Stoß in den Rücken bekam und die schmale Treppe in den Schlachthof hinunterstürzte. Diesen Augenblick werde ich im Leben nicht vergessen: Oben bei der Treppe stand P. (Pütz, LK), ein hoher Gestapobeamter. Mit wutverzerrtem Gesicht brüllte er hinter mir her: ›Auf was wartest du noch? Auf die Straßenbahn? Die fährt für dich niemals mehr.‹« (S. 29 f.) »Plötzlich schlugen sie (die Gestapobeamten, LK) einem jungen Mann mit einem Gummiknüppel auf den Kopf. Er sank zusammen und blieb auf der Rampe liegen. Dort lag er drei Stunden später noch immer, der erste Tote unseres Transports.« (S. 31) Aus dem Abgleich der Deportationsliste gehen drei Namen hervor, die den Schlachthof nicht lebend verlassen haben. Das Morden begann in Deutschland, im Schlachthof. Ab Düsseldorf wurden ca. 9.000 Menschen verschleppt, zumeist ab dem Schlachthof Derendorf. Der ganz überwiegende Teil dieser Menschen wurde »im Osten« von den Nationalsozialisten und ihren Mord-Mittätern ermordet. Die immer noch genannte Zahl von 6.000 deportierten Menschen ab Düsseldorf beruht auf rudimentären staatsanwaltschat lichen Ermittlungen in den 1960er Jahren gegen Angehörige des Juden-Referats der Gestapo-Leitstelle Düsseldorf, 78 | Deportation nach Riga siehe Berschel, S. 363. Bis auf eine liegen uns heute alle Deportationslisten vor. Aus den vorliegenden Deportationslisten ergibt sich eine Gesamtzahl von ca. 8.400 verschleppten Menschen. Im Kontext der Deportationen davor und danach werden mit der – bisher – nicht dokumentierten Deportation ca. 9.000 Menschen verschleppt worden sein. Wo ist eine Grenze geschichtswissenschat licher – bürokratischer – Penetranz, wo beginnt – normale – Menschlichkeit? Vor bundesdeutschen Gerichten gab es zwei große Verfahren im Kontext der Deportationen ab dem Schlachthof in Düsseldorf-Derendorf sowie dem Mord-Geschehen in und um Riga, deren Urteile in »Justiz und NS-Verbrechen« abgedruckt sind. Vor dem Landgericht Düsseldorf gegen Mitglieder des Judenreferats der Gestapo-Leitstelle Düsseldorf. Deren Leiter Georg Pütz wurde 1949 zu acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt: Wegen insbesondere Mitwirkung an der Deportation der Juden aus Düsseldorf und Umgebung nach Lodz, Minsk, Riga, Izbica und heresienstadt. (Nr. 142) Deren Verwaltungsbeamter Hermann W. wurde 1949 zu dreieinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt: Wegen insbesondere Mitwirkung an den Deportationen nach Lodz, Minsk, Riga, Izbica und heresienstadt durch Erfassung des jüdischen Vermögens, Aufstellung der Deportationslisten, Abfassung der Schlussberichte für das Reichssicherheitshauptamt, Beschaf ung der Transportmittel bei der Reichsbahn sowie Abwicklung und Begleitung der Transporte und Gepäckkontrolle. (Nr. 148) Vor dem Landgericht Hamburg wurden die Mordtat-Geschehen in Lettland verhandelt. 1951 wurden Kurt Richard Rudolf Migge und Rudolf Joachim Seckt zu lebenslänglichen Freiheitsstrafen verurteilt: Als Mitglieder der Sicherheitspolizei Riga für insbesondere die Selektion und den Abtransport von Juden des Rigaer Ghettos, die anschließend in einem auswärtigen Waldstück erschossen wurden. (Nr. 307) 1973 wurde Otto Tuchel zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt: Als Mitglied des Polizeibattallions 21 wegen insbesondere Liquidierung des Rigaer Ghettos, bei der im Wald von Rumbula mindestens 25.000 lettische Juden erschossen wurden. (Nr. 789) Gerhard May wurde 1977 zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt: Als Mitglied der Sicherheitspolizei Riga und der Einsatzgruppe A wegen der Selektion von Juden im Rigaer Ghetto, die anschließend in der Nähe Rigas erschossen wurden. (Nr. 843) Viktor Bernhard Arjas wurde 1979 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt: Als Leiter der lettischen Hilfspolizei wegen insbesondere der Mas- Rheinische Post, 29. Oktober 2003 senerschießung der im Großen Ghetto lebenden Juden im Wald von Rumbula. (Nr. 856) Karl Tol wurde 1983 zu dreieinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt: Als Mitglied der Einsatzgruppe 2 wegen insbesondere Massenerschießungen von Juden im Bickernicker Wald, im Ghetto Riga sowie in der Nähe von Riga. (Nr. 883) Verurteilt wurden also ausschließlich Polizeibeamte. Die Polizei ist ein Bürokratie-Fraktal. Im Interview mit dem Überlebenden Karl Coppel aus Neukirchen-Vluyn 2001 lesen wir zur Ankunt auf dem Bahnhof Skirotawa: »Dort wurden zunächst alle alten, kranken und gebrechlichen Transportteilnehmer in einen nahe gelegenen Wald bei Skirotawa transportiert und von SS-Leuten erschossen.« Hilde Sherman hat in einem Interview 1994, im Archiv von Yad Vashem Kassette Nr. VD 431, berichtet: »Und ein Kind von vier Jahren.« Damit kann sie Dan Lucas gemeint haben. Mehr habe ich bis heute nicht zu seinem Schicksal in Riga inden können. Die Recherche geht weiter. Details zu den Verschleppten, die Deportation und ihr Schicksal in Riga in den Dokumenten dieses Kapitels und im Teil »Dokumente«. Umsiedlungsaktion – Man spricht nicht von Tod zwei Stunden noch alles ist gepackt fünfzig Kilo der Morgen ist kalt wir sind nicht mehr jung zu alt um unser ganzes Leben auf unsere Schultern zu laden dorthin zu gehen wohin wir nicht gehen wollen wissend wissend dass wir nicht hierher zurückkommen werden wir sind erschöpt diese Jahre waren hart lieber Gott wie konnte es dazu kommen wir sind die Verlorenen wir sind vergessen Gott hat uns verlassen löscht das Feuer macht das Licht aus schlüssel um die Tür unseres Lebens abzuschließen wir haben eine lange Reise vor uns in welches fremde Land mit welchem Empfang? Anne Ranasinghe Katz Deportation nach Riga | 79 Lothar Klouten Menschen jüdischen Glaubens in Osterath A. Deportationen Litzmannstadt 27. 10. 1941 Emily Ephraim, geb. Salomon Riga 11. 12. 1941 Bernhard Abrahams Berta Gutmann Marta Königsthal Selma Königsthal Alfred Levy Alice Fellheimer, geb. Kiefer Franziska Kiefer Selma Kiefer Gustav Kiefer Carola Lucas, geb. Kiefer Ruth Lucas, geb. Kiefer Dan Lucas, geb. 23. 02. 1939 Izbica 24. 04. 1942 Ida Kiefer heresienstadt 25. 07. 1942 Klara Lachs, geb. Kiefer. dann: 26. 09. 1942 Treblinka Selma Davids, geb. Kiefer Valentin Davids Hedwig Davids, geb. Rives Julius Gutmann Sabine Gutmann heresienstadt 27. 07. 1942. Dann: 16. 10. 1944 Auschwitz Karl Gutmann Emmi Gutmann, geb. David Sobibor 20. 03. 1943 aus den Niederlanden Siegfried Gutmann Aus der Geburtsurkunde von Dan Lucas geht hervor, dass seine Mutter ihn zu Hause, im »Judenhaus« Kaarster Str. 14, ohne Hilfe eines Arztes oder einer Hebamme geboren hat. Dan Lucas wurde gemeinsam mit seiner Mutter Ruth nach Riga verschleppt. Er wurde im Alter von noch nicht einmal drei Jahren von den Nationalsozialisten ermordet. Der Vater von Dan Lucas – Max – und dessen Bruder Justin, verheiratet mit der Schwester seiner Mutter, waren nach Kenia ausgewandert. Hatten dann keine Chance mehr, ihre Familien aus Deutschland nachzuholen, die bei den Eltern bleiben wollten. Von den 23 verschleppten Menschen überlebten lediglich Sabine und Julius Gutmann. Sie kehrten nach Osterath zurück. B. Adressliste Schiefelberg. Jüdischer Friedhof. 1934 aufgehoben Meerbuscher Str. 7. Bis ca. 1900 Standort der Synagoge Meerbuscher Str. 27. Nach 1900 im Anbau Betsaal Meerbuscher Str. 17. Familie Langenbach Meerbuscher Str. 21. Familie Goldberg Kaarster Str. 8. Sabine und Julius Gutmann sowie Berta Gutmann. Dann: Kaarster Str. 14 und Strümper Str. 25 Kaarster Str. 14. Familie Kiefer Hoterheideweg 44. Familie Lucas, dann Kaarster Str. 14 Strümper Str. 25. Marta und Selma Königsthal Krefelder Str. 11. Paul Cervelli C. Weitere Verifizierungen sind möglich Geburtsurkunde Dan Lucas 80 | Deportation nach Riga Stadtarchiv Meerbusch: Vorderseite der Einwohnermeldekarte von »Dan lucas« – »9. 12. 41 Osten Riga« Stadtarchiv Meerbusch: Rückseite der Einwohnermeldekarte von »Dan lucas« – »9. 12. 41 Osten Riga« Die überwiegend deutschen Menschen jüdischen Glaubens kamen aus über 60 Gemeinden, u. a. Alpen Anrath Breyell Brüggen Dinslaken Dülken Düsseldorf Duisburg Dormagen Emmerich Friemersheim Garzweiler Goch Grefrath Grevenbroich Hamborn Hochneukirch Hüls Issum Jüchen Kaldenkirchen Kamp-Lintfort Kempen Korschenbroich Krefeld Langenfeld Lank Lobberich Mönchengladbach Monheim Moers Mülheim/Ruhr Neuss Oberhausen Odenkirchen Oedt Opladen Osterath Rees Rheinhausen Rheydt Ruhrort St. Hubert St. Tönis Straelen Süchteln Uedem Viersen Waldniel Wesel Wevelinghoven Wickrath Willich Deportation nach Riga | 81 Yad Vashem: Gedenkblätter für die von Nationalsozialisten ermordeten Menschen aus Osterath 82 | Deportation nach Riga Yad Vashem: Gedenkblätter für die von Nationalsozialisten ermordeten Menschen aus Osterath Deportation nach Riga | 83 Yad Vashem: Gedenkblätter für die von Nationalsozialisten ermordeten Menschen aus Osterath 84 | Deportation nach Riga Lothar Klouten: Karte des Deportationsweges nach Riga Plan des Ghettos in der Moskauer Vorstadt 1942 Deportation nach Riga | 85 Lage der Lager und Massengräber in und um Riga Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945 Lucas, Dan geboren am 23. Februar 1939 in Osterath / Kempen-Krefeld / Rheinprovinz wohnhat in Osterath Deportationsziel: ab Düsseldorf 11. Dezember 1941, Riga, Ghetto Todesdatum/-ort: für tot erklärt Bundesarchiv | Stand: 12. März 2012 Bundesarchiv: Eintrag »Dan Lucas« im Gedenkbuch 86 | Deportation nach Riga d. Drei Familien als exemplarische Beispiele 1. Sabine und Julius Gutmann Julius Gutmann wurde am 9. Februar 1883 in Osterath geboren. Sein Vater führte im elterlichen Haus Kaarster Str. 8 eine kleine Metzgerei, die Julius Gutmann nach seiner Ausbildung zum Metzgermeister übernahm. Das Elternhaus von Julius Gutmann war durch die – die große Mehrheit der Deutschen jüdischen Glaubens betrefenden – Entwicklung geprägt: Im 19. Jahrhundert identiizierten sich diese Menschen zunehmend mit dem aukommenden deutschen Nationalbewusstsein. Sie neigten ihrer Sozialstruktur entsprechend der bürgerlichen Mitte und der Rechten zu. Und sie waren ganz überwiegend akulturiert, national denkend und kaisertreu. So besaßen sie ein Selbstverständnis als Deutsche jüdischen Glaubens. Diese Haltung war gekennzeichnet durch das gleichzeitige Festhalten an der religiösen Tradition und am deutschen kulturellen Erbe. Die so sozialisierten Menschen lehnten dann eine Emigration prinzipiell ab. Bei vielen von ihnen verband sich politische Naivität mit dem blinden Glauben an ihre christlichen Mitbürger und die deutsche Kultur. Dieses Festhalten am Deutschtum wurde vor allem für die älteren Generationen zu einer ausweglosen Tragödie, die dann auch ihre Kinder und Kindeskinder betrefen konnte; wie bei Dan Lucas in Osterath, wenn die Kinder gemeinsam mit den Kindeskindern ihre Eltern nicht verlassen wollten. Bis in den Tod in Ghettos und KZs kennzeichnete ein hilloses Nichtverstehen ihren Habitus. Julius Gutmann war ein Spiegelbild, ein Fraktal dieser Entwicklung. 1909 ist er Schrit führer im Osterather Kegelklub »Alle Neune«. Er ist Mitglied der Synagogengemeinde Krefeld, zu der Osterath gehörte, und des jüdischen Jugendbundes Krefeld. Im Ersten Weltkrieg Frontkämpfer u. a. in Riga, mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse und dem Verwundetenabzeichen ausgezeichnet und 50 % kriegsbeschädigt, hat er an der Ost- und Westfront für »Kaiser, Volk und Vaterland« sein Leben eingesetzt und gekämpt. Die deutschen Soldaten jüdischen Glaubens im Ersten Weltkrieg haben nicht nur ihre persönliche Ehre, sondern auch die des deutschen Judentums vor ihren Kameraden vertreten. Mit dieser Vergangenheit glaubten sie, ein gutes und anerkanntes Glied im Vaterland geworden zu sein. Julius Gutmann lernte während der Lazarettbehandlung in Krefeld Helene Zimmermann kennen. Nach dem zuerst die Mutter, dann 1933 der Vater gestorben war – begraben auf dem jüdischen Friedhof in Osterath, dann 1935 auf den in Krefeld »verlegt« – verlobten sich die beiden 1933. Sie planten für August 1935 die Trauung, wollten dann abwarten bis rechtlich klar war, ob dies zulässig sei. Denn Helene Zimmermann war nach dem nationalsozialistischen Rechtsverständnis 1935 »Arierin«. Nach Erlass der »Nürnberger Gesetze« beantragte Julius Gutmann eine Ausnahmegenehmigung. Dazu die Dokumente aus Bestand Osterath III 1997, dann eine geschichtswissenschat liche Kommentierung. Mit Datum vom 26. November 1935 stellt »Der Bürgermeister als Ortspolizeibehörde« Julius Gutmann ein Führungszeugnis aus: »... in der Zeit vom Tage der Geburt bis zum heutigen Tage hier polizeilich gemeldet gewesen und dass über ihn in den polizeilichen Listen eine Stratat nicht verzeichnet ist.« Stadtarchiv Meerbusch: Führungszeugnis Julius Gutmann | 87 Seine »Stratat« nach dem Verständnis der nationalsozialistischen Partei-Staats-Ideologie war seine Geburt als Mensch mit jüdischen Glauben. Die Rolle von Hugo Recken als Bürgermeister, örtlicher Polizeichef und damit örtliche Gestapo war die Exekution der nationalsozialistischen antisemitisch-eliminatorischen Partei-Staats-Ideologie vor Ort, auch ganz persönlich gegenüber Julius Gutmann, das auch von Angesicht zu Angesicht. »Weil ich Frontkämpfer bin, wende ich mich vertrauensvoll an den Führer, der immer Verständnis für die Sorgen seiner Frontkameraden gezeigt hat. Seiner Entscheidung werde ich mich in jedem Fall beugen ... Mit deutschen Gruß!« Aus heutiger Perspektive unglaubliche Formulierungen. Vor allem, dass ein Mensch jüdischen Glaubens Ende 1935 einen Brief »Mit deutschem Gruß!« beendet. Hier spiegelt sich das Selbstverständnis von Julius Gutmann. Für ihn ist es undenkbar, dass sein Glaube ihn auf einmal außerhalb der deutschen Volksgemeinschat stellt. Dass dies so ist, wird in einer kaum zu überbietenden Deutlichkeit im Schreiben der NSDAP-Kreisleitung Viersen-Kempen vom 8. Juni 1936 formuliert: »Er hat seine Plicht als Soldat getan. Das haben auch die Negersoldaten unter General v. Letow-Vorbeck in Afrika getan. Das berechtigt aber keinesfalls zur Heirat mit einer deutschen Frau!« Was fällt hier noch auf? Es ist keine staatliche Behörde, die eine Stellungnahme zu einem Antrag an die Reichsregierung formuliert. Die staatliche Behörde – das Preußische und Reichsministerium des Innern – hatte den Ausnahmeantrag von JuliEinwohnermeldekarte Julius Gutmann 88 | Sabine und Julius Gutmann us Gutmann auf dem realen Instanzenweg an die NSDAP-Kreisleitung Viersen-Kempen geleitet. Die NSDAP ist real der Staat, dessen formale Institutionen noch als leere Hülle zur Schein-Legitimation existieren dürfen. Wie die Bezirksregierung Düsseldorf, die laut Eingangsstempel vom 25. Juni 1936 auf dem Schreiben der NSDAP-Gauleitung Düsseldorf vom 22. Juni 1936 die Vorgabe der NDSAP gegenüber Julius Gutmann formal – und nach Außen – zuständigkeitshalber bürokratisch zu exekutieren hatte. Organisierte Intransparenz im höchstem Maß, die heute zur Legitimation von bewussten Fehl-Interpretationen instrumentalisiert wird. Im Detail und Einzelfall geht es dann um die Frage: Bedingt durch die – jenseits von formalem Recht und Gesetz sowie formaler Bürokratieorganisation gelegenen – Interessen des NSDAP-Partei-Staates handeln Menschen in ihren partei-bürokratischen Rollen, wie Bürgermeister Hugo Recken in Osterath im Macht-Verhältnis hier zum NSDAP-Ortsgruppenleiter, dem örtlichen NSDAP-Beaut ragten für Kommunalpolitik und der NSDAP-Gemeinderatsfraktion. Wer ist im konkreten Einzelfall im Rahmen dieser Interessen, die überörtlich andere als örtlich sein können, womit dann das Führerprinzip zum Tragen kommt, »Chef im Ring«? Das ist nicht selbstverständlich zu Gunsten der örtlichen NSDAP-Funktionäre entschieden, wie das Beispiel Recken dokumentiert. Wenig später lernte Julius Gutmann Sabine Herzberger aus Krefeld kennen, ein »Volljüdin«. Sie hat ihr Leben in einem Artikel in der Rheinischen Post am 25. November 1978 zusammengefasst: Ergänzungsbogen Julius Gutmann (Vorderseite) »Am 11. Januar 1901 wurde Sabine Gutmann als Tochter des Pferdehändlers Herzberger ... geboren. Die Familie gehörte zum alteingesessenen Stamm der Krefelder Juden. Sabine wuchs behütet im kleinbürgerlichen Haushalt auf, wo von Politik eigentlich nie gesprochen wurde. Man fühlte rheinisch- krefeldisch, gehörte im übrigen religionstreu der jüdischen Gemeinde an. Sabine besuchte die jüdische Volksschule ... und die Bürgermädchenschule. Sabine heiratete den Metzger und Viehkaufmann Julius Gutmann, selbstverständlich einen Juden, und zog mit ihm nach Osterath. Während Julius Sabine und Julius Gutmann | 89 Ergänzungsbogen Julius Gutmann (Rückseite) Gutmann in Osterath seinen Geschäten nachging, arbeitete Sabine Gutmann in der Krawattenfabrik Herz in Krefeld. Die Firma war in jüdischem Besitz, beschät igte zahlreiche jüdische Angestellte. ›Wir hörten Bemerkungen vom arischen Personal. Vier Wochen vor der Kristallnacht wurde die Inhaberin, Frau Herz, enteignet, die Firma arisiert. Am Tag nach der Kristallnacht wurden alle Juden rausgeworfen. Mein Mann durte auch nicht mehr arbeiten. Ich habe uns mit Näharbeiten über Wasser gehalten.‹ Eines Morgens um 5:30 Uhr drangen SA-Leute in die Osterather Wohnung des Ehepaares Gutmann ein. ›Es blieb keine Untertasse ganz. 90 | Sabine und Julius Gutmann Alles, aber auch alles, wurde kaputt gemacht. Es waren SA-Leute aus Uerdingen.‹« Zur Reichskristallnacht in Osterath schrieb Julius Gutmann am 17. Dezember 1945 (KK 1023 Bl. 182): »1938 wurden wir von Recken ins Gefängnis geworfen. Recken erschien im Gefängnis und erklärte uns Juden, dass wir alle nach Anrath ins Staatsgefängnis gebracht würden. In derselben Nacht wurde unter Duldung des Recken unser ganzes Heim zerstört.« Sippentafel Julius Gutmann (Seite 1) Es gab keinerlei legale Legitimation für Verhatung und Hat von Julius Gutmann und allen anderen betrofenen Menschen. Schein-Legal verfügte dann die Reichsregierung, dass von Zerstörungen betrofene Menschen keine Versicherungsansprüche hätten. Und dass die Gemeinschat der deutschen Juden die Schäden als Sühne mit 1.000.000.000 Reichsmark zu zahlen habe, was ein Gutteil des noch verbliebenen Vermögens war, an das die Nationalsozialisten zur Kriegsvorbereitung und -durchführung vollständig herankommen wollten. Marie-Sophie-Aust führt zu Julius Gutmann aus (S. 59): »... wurde Julius Gutmann am 10. November 1938 gegen 9:30 Uhr in seiner Wohnung abgeholt und für einen Tag auf dem Bürgermeisteramt Osterath in Schutzhat gehalten. In der folgenden Nacht, in Sabine und Julius Gutmann | 91 Sippentafel Julius Gutmann (Ausschnitt von Seite 2) Sippentafel Julius Gutmann (Ausschnitt von Seite 3) der Nacht vom 10. zum 11. November, in den frühen Morgenstunden zwischen 3 und 4 Uhr, haben ihn dann auswärtige SA-Männer verhatet und nach Anrath gebracht. Dort wurde er bis zum 30. November 1938 im KZ-Flügel des Gefängnisses in Willich-Anrath festgehalten.« Wegen seiner Kriegsbeschädigung ist Julius Gutmann nicht ins KZ Dachau deportiert worden. Im Kontext der Reichskristallnacht gab es eine Beobachtung, die sich dann bei den Versteigerungen nach Arisierung und Deportation konsequent fortsetzte: 92 | Sabine und Julius Gutmann »Nachbarn unterschlugen Gegenstände, die ihnen anvertraut worden waren, oder stahlen Einrichtungsgegenstände in den aufgebrochenen Nachbarwohnungen.« Karola Frings. S. 44. Umwertung und Aulösungen von Werten, die nationalsozialistische Gewalt-Praxis im Privaten – Sozialdarwinismus legitimiert mit »Gemeinschatsfremdheit« im Sinne der Volksgemeinschats-Ideologie. Erst brennen die Bücher. Später brennen die Gotteshäuser. Dann brennen die Menschen. Schreiben von Julius Gutmann an das Reichs- und Preussische Ministerium des Innern, Eingang am 6. Januar 1936 Sabine und Julius Gutmann | 93 Stellungnahmen zum Schreiben von Julius Gutmann: NSDAP-Kreisleitung Viersen Amt für Volksgesundheit und N.S.D. Ärztebund 8. Juni 1936 Stellungnahmen zum Schreiben von Julius Gutmann: Gauamtsleiter Schulze, 17. Juni 1936 94 | Sabine und Julius Gutmann Stellungnahmen zum Schreiben von Julius Gutmann: Gauleiter-Stellvertreter 22. Juni 1936 – mit Eingangsstempel der Bezirksregierung Düsseldorf, 25. Juni 1936 Zu der Folgezeit in Osterath formulierte Sabine Gutmann am 17. Dezember 1945 (KK 1023 Bl. 182): »Uns selbst ließ Recken sehr ot vorladen und drang darauf, dass wir Osterath verließen.« Dazu formulierte Julius Gutmann an selber Stelle: »Ich habe damals in ständiger Angst gelebt, die insbesondere durch die Einstellung des Bürgermeisters R. hervorgerufen wurde. Niemals ist es Recken eingefallen, als Mensch zu handeln und etwas zur Erleichterung unserer Lage zu tun. Jedesmal, wenn die Hausklingel ging, wurde ich in große Angst versetzt, wieder zu Recken gerufen zu werden.« Der amtliche Terror von Bürgermeister Recken gegen das Ehepaar Gutmann. Um sie aus Osterath wegzunötigen. Als Teil seines Ziels eines judenfreien Osterath, nachdem der jüdische Friedhof bereits unter seiner bürokratischen Federführung beseitigt war. Damit der Osterather Friedhof judenrein bliebe. Was hätten die anderen Familien aus Osterath zu berichten gehabt, die dieselben Erfahrungen mit Bürgermeister Hugo Recken machten? Die nicht berichten konnten, weil sie alle verschleppt und ermordet wurden, unter Beteiligung vor Ort in Verantwortung von Bürgermeister Hugo Recken. Hier traf keine anonyme bürokratische Institution auf als »Juden« bezeichnete Menschen, sondern ein Bürokrat handelte als Mensch gegenüber anderen Menschen, ganz persönlich, auch von Angesicht zu Angesicht. Und er funktionierte uneingeschränkt im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie der Volksgemeinschat, aus der als »Juden« deinierte Menschen ausgeschlossen waren – mit allen Konsequenzen, bis zur Ermordung. Zum elterlichen Haus Kaarster Str. 8 schrieb Julius Gutmann am 17. Dezember 1945 im Kontext von Steuerschulden bei der Gemeinde Osterath (KK 1023 Bl. 182): »Seiner Zeit hatte ich 300 RMK. Schulden bei der Gemeinde. Recken war als Gläubiger unbarmherzig. Seinem hartnäckigen Drängen folgend musste ich schließlich zum Verkauf meines Hauses schreiten, zumal ich durch die drohende Beschlagnahme jüdischen Vermögens keinen anderen Ausweg mehr hatte.« Sabine und Julius Gutmann | 95 Bürgermeister Recken exekutierte bürokratischantisemitisch. Wieder ein »Judenhaus« weniger in Osterath. Wodurch war die ofensichtliche ökonomische Misere von Julius Gutmann bedingt? Dazu lasen wir vorher die Schilderung seiner Frau. Und MarieSophie Aust schreibt dazu (S. 53): »So fuhr Julius Gutmann mit seinem Rad durchs Dorf, auf dem Gepäckträger das von treuen Kunden bestellte Fleisch, und lieferte seine Ware persönlich aus. Aus einem Bericht des Osterather Bürgermeisters an den Landrat wissen wir, dass der Metzger jede Woche eine halbe Kuh kaute und diese nach erfolgter Bearbeitung pfundweise weiterverkaute. Es traute sich kaum noch jemand, seinen Fleischerladen auf der Kaarster Straße zu betreten, denn das hätte ja beobachtet und der Betrefende angezeigt werden können. Inzwischen hatten alle Angst vor der Macht und dem Einluss der allgegenwärtigen Partei, die derartige Anzeigen verfolgte.« Nachdem Julius Gutmann der Viehhandel untersagt wurde, bestand die Metzgerei auf dem Papier noch bis 1938. Dann blieb noch die karge Kriegsversehrtenrente. Und die Näharbeiten seiner Frau. Julius Gutmann versuchte trotz aller Recken – Schläge sein gewohntes Leben in seinem Heimatdorf Osterath so weit wie möglich fortzuführen. Am 1. Juli 1941 heirateten er und Sabine standesamtlich, am 9. Juli 1941 religiös. Gestapo-Aussendienststelle Krefeld 96 | Sabine und Julius Gutmann Nach dem zwangsweisen Verkauf des elterlichen Hauses Kaarster Str. 8 zog das Ehepaar Gutmann gemeinsam mit seiner Schwester Berta in das Osterather »Judenhaus« Kaarster Str. 14. In dieses Haus und in das Haus Strümper Str. 25 wurden alle noch in Osterath lebenden »Juden« auf Veranlassung von Bürgermeister Hugo Recken auf engstem Raum zusammengepfercht. Diese Menschen und die beiden Häuser waren das, was Bürgermeister Hugo Recken noch bürokratisch zu exekutieren hatte – und wollte. In den Akten der Gemeinde Osterath wurde dann ein Eintrag gefälscht: Das Ehepaar Gutmann sei vorübergehend in Krefeld auf der Alten Linner Str. 39 wohnhat gewesen. Wer in der Gemeindeverwaltung Osterath hatte die Möglichkeit Akten zu »frisieren«? Und was wurde noch »frisiert«? Die Schwester von Julius Gutmann, Berta, wurde am 11. Dezember 1941 gemeinsam mit vielen weiteren Menschen aus Osterath und Lank nach Riga deportiert und dort von den Nationalsozialisten und ihren bürokratischen Helfershelfern ermordet. Julius Gutmann erhielt von seiner Schwester Berta kein Lebenszeichen mehr. Ebenso wenig wie von den Angehörigen seiner Familie und der seiner Frau. Bis auf die Familienmitglieder von Sabine und Julius Gutmann, die wie sie selbst nach heresienstadt deportiert wurden, und dort bzw. in Auschwitz von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Fast alle ihre Familienmitglieder ermordeten die Nationalsozialisten – bis z. B. einen Nefen, der 1939 mit einem Kindertransport nach England kam. Vom Haus Kaarster Str. 14 wurde das Ehepaar Gutmann in das Haus Strümper Str. 25 vertrieben, dann erreichte Bürgermeister Hugo Recken sein Ziel: Alle Osterather deutscher Nationalität, die im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie als »Juden« deiniert wurden, wurden deportiert, alle »Judenhäuser« »arisiert«, Osterath war »judenrein«. Abgesehen von einigen Menschen wie Paul Cervelli – »Halbjude« – und Frau Dr. Langenbach, mit einem »Arier« verheiratete »Volljüdin«, den Bürgermeister Recken zur Scheidung versuchte zu nötigen, um die »Jüdin« loszuwerden. Um seinem guten Ruf als nationalsozialistischer Bürgermeister gerecht zu werden. Was passierte im Kontext des Hauses Kaarster Str. 14? Dazu die Dokumente aus einer Gestapo-Akte zu Julius Gutmann (LAV NRW R, RW 58- 24996), dann eine geschichtswissenschat liche Kommentierung dieser Dokumente. Bürgermeister Hugo Recken schreibt mit Datum vom 4. Juni 1942 die Gestapo-Außendienststelle Krefeld an. »Das Finanzamt Krefeld hat das Haus ... als ehemaliges Judenhaus in Verwaltung genommen.« Das Haus ist also formell »arisiert«, es muss von Bürgermeister Recken noch »entjudet« werden. Es ist in Vorbereitung der folgenden, ebenfalls vor Ort von Bürgermeister Recken organisierten Deportationen »arisiert«. »Dem Finanzamt liegt ein Kaufgesuch des Hellings vor. Es bestehen keine Bedenken ... das Haus als Eigentum zu übertragen.« Ein konkretes Beispiel für die reibungslose bürokratische Koordinierung der antisemitischen Maßnahmen zur Enteignung und Deportation zwischen Gestapo, Finanzverwaltung und Bürgermeister Recken als Gemeindeverwaltung, Ortspolizeibehörde sowie örtliche Gestapo – im Rahmen der jeweiligen Zuständigkeiten. »Es liegt im Interesse der Gemeinde, dass der Jude das Haus sofort räumt ... Wohnung ... Volksgenosse frei wird.« »Der Jude«: Gemeint ist das Ehepaar Gutmann. Das Feindbild der nationalsozialistischen Ideologie: »Der Jude.« »Es« und »der Jude« als bürokratische Rationalisierung – unpersönliche Exekution einer »normalen« Verwaltungsmaßnahme. Dies zu Gunsten eines »Volksgenossen«. »Juden« sind keine Volksgenossen, werden daher »rechtmäßig« durch die Gemeindeverwaltung in Person Bürgermeister Hugo Recken exekutiert, enteignet und vertrieben. »Der Jude hat bisher keine Anstalten gemacht ... Es wird um Abschiebung des Juden gebeten.« Nach dem nationalsozialistischen Verständnis ist Jude-Sein Legitimation für bürokratische Zwangsmaßnahmen, Deportation und Mord. Das Ehepaar Gutmann lässt sich von Bürgermeister Hugo Recken trotz aller seiner bürokratischen »Bemühungen« nicht einfach vertreiben. Also will Bürgermeister Hugo Recken, dass die Gestapo im Rahmen ihrer Kompetenzen durch Deportation nachhilt. Dazu wird er persönlich initiativ. Antwort der Gestapo-Außendienststelle Krefeld an Bürgermeister Hugo Recken mit Datum vom 9. Juni 1942 – also nach fünf Tagen, der Bedeutung aus nationalsozialistischer Perspektive angemessen umgehend. »... ist die staatspolizeiliche Aulage zu erteilen.« Recken hat sein Ziel, das er mit seinem Schreiben an die Gestapo-Außendienststelle Krefeld verbunden hat, erreicht: Im Rahmen der Kompetenzverteilung die bürokratische Auforderung an Bürgermeister Hugo Recken, das Ehepaar Gutmann formell als Ortspolizeibehörde und damit örtliche Gestapo »eine staatspolizeiliche Aulage zu erteilen«. Das hat er dann umgehend weisungsgemäß als Gestapo-Hilfsorgan bürokratisch exekutiert. Sabine und Julius Gutmann | 97 Bürgermeister-Schreiben an die Gestapo-Leitstelle Düsseldorf vom 23. Juli 1942 Aktenvermerk der Gestapo-Außendienststelle vom 11. Juli 1941 – in rot »... die Juden sind demnächst zu evakuieren!« In rot hat die bürokratische Bedeutung: Umgehende Maßnahme. »Die Juden« – das Ehepaar Gutmann. Im Gegensatz zu Recken oben: »der Jude«. Bürgermeister Hugo Recken formuliert nationalsozialistisch-ideologischer als die Gestapo-Außendienststelle Krefeld. Die Deportation des Ehepaares Gutmann ist terminiert (s. Deportationsliste S. 104). Aktenvermerk der Gestapo-Außendienststelle Krefeld am 4. August 1942: »Das jüdische Ehepaar Gutmann, wohnhat in Osterath wurde am 24. 7. 1942 nach heresienstadt evakuiert und dürte die Angelegenheit ihre Erledigung gefunden haben.« »Evakuiert«, also verschleppt, und damit »erledigt«: Die euphemistische Feststellung des bürgerlichen Todes des Ehepaares Gutmann, deren bürokratischer Nicht-Existenz. In Verantwortung von Bürgermeister Hugo Recken, auch durch entsprechende Einträge des Einwohnermeldeamtes Osterath auf die Einwohnermeldekarten von Sabine und Julius Gutmann bürokratisch exekutiert. Herr Regenbrecht hat die Dokumente aus dem Buch von Dr. Anselm Faust in seinem »Recherchebericht« abkopiert – kommentarlos. Hat dann Frau Dr. Schupetta instrumentalisiert, um ihr über die Pressemitteilung der Stadt Meerbusch eine Bewertung dessen 98 | Sabine und Julius Gutmann in den Mund zu legen, was ich nie veröfentlicht oder vorgetragen habe, dies als »Vorwürfe« gegen Recken qualiiziert. In Kenntnis der Dokumente – und ihrer Bedeutung. Wie ist dieses Handeln von Herrn Regenbrecht – als Archivar und Historiker – aus ethischer, politischer und archivwissenschat licher sowie geschichtswissenschat licher Perspektive zu bewerten? Und wo beginnt – strabewährter – Antisemitismus – durch bewusste und gezielte Quellen- und Informationsunterdrückung? In der zweiten Gestapo-Akte zu Julius Gutmann – LAV NRW R, RW 58-9277, Bl. 3 –, von Herrn Regenbrecht in seinem Recherchebericht »vergessen«, indet sich ein Brief von Bürgermeister Hugo Recken – zuständigkeitshalber – an die GestapoLeitstelle Düsseldorf datiert auf den 23. Juli 1942 (siehe oben): Das bedeutet: Bürgermeister Hugo Recken war vollständig in den Teil-Holocaust von Osterath direkt und persönlich involviert. Er hatte alle Informationen zu den Zuständigkeiten inkl. seiner als Bürgermeister, Ortspolizeibehörde und damit örtliche Gestapo, war vollständig in den bürokratischen Informationsluss der Holocaust-Umsetzung einbezogen und handelte im Sinne seines guten Rufs als Bürgermeister; hier auch mit der Formulierung »Israel«. Und hier konkret, indem er das Sparbuch von Julius Gutmann, das dieser ihm persönlich im Bürgermeisteramt hatte aushändigen müssen, der zuständigen Bürokratie zusandte, der Gestapo-Leitstelle Düsseldorf. Auf Blatt 4 noch der Eintrag des Gestapo-Sachbearbeiters: »... dem Oberinanzpräsidenten Düsseldorf zu den bereits abgegebenen Evakuierungsunterlagen nachgesandt.« Wieder das reibungslose Zusammenagieren der deutschen Bürokratien im Holocaust. Immer dasselbe fraktale Muster. Die Kopie des Bürgermeister-Schreibens an die Gestapo-Leitstelle Düsseldorf ist in den Akten der Gemeinde Osterath »verloren gegangen«. Wieder die Worte »evakuieren« und »abgeschoben«. Euphemismen – im Sinne von: Beschönigung, Verdeckung, bürokratische Zweck-Lüge. Am 3. September 1945 – nach der Befreiung – teilt der Osterather Bürgermeister Rudolf Bartels dem Landrat in Kempen zu »Betrit: Wiedergutmachung Gutmann« u. a. mit (KK 7855): »Das Sparkassenbuch wurde nach Mitteilung der Kreissparkasse abgerechnet und ordnungsgemäß dem Landesinanzamt Düsseldorf mit einem Bestand von 463,14 RM überwiesen.« In dem bereits mehrfach zitierten Artikel in der Rheinischen Post am 25. November 1978 berichtete Sabine Gutmann über ihre Erlebnisse in heresienstadt: »Als wir in heresienstadt ankamen, wurde ich aus dem Waggon geprügelt. Mit 35 Frauen hatten wir einen Raum von 16 Quadratmetern. Viele von unserem Transport starben in der ersten Nacht. 15 nahmen sich das Leben. Acht Monate habe ich krank auf einem Bett in der Ecke gelegen. Einer meiner Brüder und seine Frau waren auch da, sie wurden bald nach Auschwitz geschat ... Ich habe mir Git besorgt. Man hat es mir abgenommen und ich musste meinem Mann versprechen, dass ich mich nicht umbringe.« Wie das »Leben« des Ehepaars Gutmann im KZ heresienstadt verlief, wie sie überlebten, dazu gibt es fast keine Informationen. In den Entschädigungsakten des Ehepaars Gutmann sind wenige Hinweise zu inden. So, dass Sabine im Juli 1943 zwangsweise sterilisiert wurde, die extrem schlechten Bedingungen zu massiven gesundheitlichen Folgeerkrankungen führten. Die von den zuständigen Entschädigungsbeamten zunächst generell angezweifelt wurden, weil sie davon ausgingen, dass es in heresienstadt kein Krankenhaus gegeben habe. Mit einem Gutachten zu einer eingehenden medi- zinischen Untersuchung konnte Sabine Gutmann dann diesen Punkt zur »Zufriedenheit« dieser Beamten klären lassen. Hans Kaiser formuliert in »Zum Schicksal der Rheinischen Juden 1933 – 1945« (S. 104) zu der Deportation nach heresienstadt am 25. Juli 1942: »Etwa die Hälte der Deportierten aus Krefeld und dem Landkreis war bereits nach fünf Monaten tot, davon die meisten im ersten und zweiten Monat nach der Ankunt; und für viele andere wurde heresienstadt zum Vorhof für das Vernichtungslager Auschwitz.« Siehe Zimmerlisten auf den Seiten 102 – 103. Raul Hilberg schrieb in »Die Vernichtung der europäischen Juden« zu heresienstadt: 141.184 Zugänge 16.832 Überlebende, also ca. 12 % Nach der Befreiung durch sowjetische Truppen am 8. Mai 1945 kehrte das Ehepaar Gutmann am 27. August 1945 nach Osterath zurück, in ihr Heimatdorf. Dazu Sabine Gutmann in dem Artikel in der Rheinischen Post am 25. November 1978: »In Osterath haben die Leute gewinkt, als wir ankamen. Ich wog noch 85 Pfund.« Dem Tod so eben entkommen. Um in Osterath eine scheinbar veränderte Situation vorzuinden. Marie-Sophie Aust schreibt (S. 60 f.): »... auf der kleinen Mauer vor dem Bürgermeisteramt Julius Gutmann und seine Frau mit kleinen Köferchen saßen und darauf warteten, dass jemand ihnen weiterhalf. In Gutmanns Haus lebten fremde Leute und sie wussten zunächst nicht, wohin, bis ein ehemaliger Klassenkamerad von Julius das Ehepaar in seinem Haus aufnahm. Sabine Gutmann, die bei ihrer Rückkehr 44 Jahre alt war, überlebte die schwere Zeit der Verfolgung und Vertreibung. Sie engagierte sich schon bald in Osterath in der Gemeindepolitik und gehörte zu den ersten 20 Gemeindevertretern, die 1946 von der britischen Militärregierung zur Bildung eines Gemeinderates aufgefordert wurden. Am 6. Februar 1946 trat dieser noch nicht gewählte, sondern ernannte Gemeinderat erstmals zusammen und Sabine Gutmann wurde bei dieser ersten Sitzung zum Mitglied des Arbeits-Ausschusses und des Entnaziizierungs-Ausschusses gewählt. Sie gehörte diesen Gremien bis zum Oktober 1946 an, als nach erfolgten Kommunalwahlen eine neue Gemeindevertretung aus Kandidaten der verschiedenen Parteien ihre Arbeit aufnahm. Sabine und Julius Gutmann | 99 Julius Gutmann dagegen erholte sich nie mehr von den durchlittenen Nöten. Am 14. März 1948 ist er im Alter von 65 Jahren im Dominikus-Krankenhaus in Düsseldorf-Heerdt gestorben. Er wurde in Krefeld auf dem Neuen Jüdischen Friedhof an der Alten Gladbacher Straße begraben. Einige Jahre nach seinem Tod kehrte Sabine Gutmann nach Krefeld zurück und verbrachte ihren Lebensabend in ihrer Heimatstadt. Dort starb sie am 27. Dezember 1986 im Alter von beinahe 86 Jahren. Ihre letzte Ruhestätte fand sie neben ihrem Mann im Grab Nr. 4 in der ersten Reihe von Feld 2.« Als das Ehepaar Gutmann nach Osterath zurückkehrte, war die rechte Hand von Bürgermeister Hugo Recken weiter im Amt. Hugo Recken dann wieder ab Ende Januar 1946 als Gemeindedirektor. Als das Ehepaar Gutmann im Dezember 1945 von den intriganten Bestrebungen erfuhr, wie 1933 Bürgermeister Rudolf Bartels durch Hugo Recken ersetzen zu lassen, legten sie beim zuständigen Landrat in Kempen schrit lich dagegen Protest ein. Obwohl Sabine Gutmann als Gemeinderatsmitglied und Mitglied des Entnaziizierungsausschusses politischen Einluss hatte: Der bürokratische Einluss von Johannes Herbrandt zu Gunsten »seines« alten Chefs war stärker. In Verbindung mit dem Bürokratennetzwerk – in Person des Oberkreisdirektors. So weit waren die lokalen Verhältnisse in Osterath und im Kreis Kempen-Krefeld schon wiederhergestellt. Diesmal nicht ofen, sondern verdeckt. Wie die gesellschat liche Isolierung des Ehepaars Gutmann, auch im Kontext von Hugo Recken und Johannes Herbrandt. Daher ging Sabine Gutmann nach dem Tod von Julius Gutmann in ihre Heimatstadt Krefeld zurück. Schreiben des Oberkreisdirektors am 10. Januar 1946 an den Regierungspräsidenten (KK 1023 Bl. 206): »Ich bin nach eingehender Nachprüfung der von den Eheleuten Gutmann gegen den Bürgermeister Recken erhobenen Vorwürfe eingetreten und zu der Aufassung gekommen, dass sie zu Unrecht erhoben werden. Anliegend füge ich die Berichte des Gemeindeinspektors Herbrandt und des Gemeinderentmeisters Narsawa, desgleichen eine eingehende Stellungnahme des Bürgermeisters Recken zur gel. Kenntnisnahme bei. Ich habe den Eindruck, dass weniger die Eheleute Gutmann Veranlassung zu der Beschwerde geben, sondern der vom Amt suspendierte Bürgermeister Bartels und der mit der Verwaltung der Gemeinde beaut ragte K. Bürgermeister Wienands: Wie mir mitgeteilt wird, sollen diese die Eheleute Gutmann mit einem Krat wagen nach Düsseldorf gefahren haben. 100 | Sabine und Julius Gutmann Da die gegen Bürgermeister Recken erhobenen Beschuldigungen sich als haltlos erweisen, bitte ich die Beschwerde der Eheleute Gutmann abzulehnen. In diesem Zusammenhang dürte Sie interesseieren, dass der Bürgermeister Recken nach eingehender Prüfung seiner Person von der Militärregierung als Gemeindedirektor wieder zugelassen worden ist. Ob allerdings Recken für die Verwaltung des Amtes Osterath bestellt worden ist, steht noch nicht fest.« Dasselbe Muster wie in der aktuellen bürokratischen Vorgehensweise: ein Spinnennetz interessengeleiteter bürokratischer Zweck-Lügen. Hier verwaltungsintern, so dass die Opfer, das Ehepaar Gutmann, keine Chance haben. Und gleichzeitig werden Rudolf Bartels und Anton Wienands direkt bürokratisch efektiv miterledigt. Dass das Ergebnis von vornherein vorgegeben ist, indet seinen Ausdruck in der mehrfachen Formulierung »Bürgermeister Recken« – nicht ehemaliger oder suspendierter, sondern ohne jeden Zusatz, also ohne Einschränkung. In der Bürokratensprache teilt der Oberkreisdirektor seinem vorgesetzten Regierungspräsidenten mit: Unser Bürokraten-Netzwerk ist wieder weiter konsolidiert, die Fremdkörper werden exekutiert. Unter Instrumentalisierung des Ehepaares Gutmann, das sich – von Hörensagen aber als Tatsache hingestellt – habe von Bartels und Wienands benutzen lassen. Wenn sie – warum zu zweit? – das Ehepaar Gutmann mit einem PKW nach Düsseldorf gefahren haben sollten: Dann wird aus einem Akt der Freundlichkeit eine Intrige konstruiert, die Realität also bürokratisch auf den Kopf gestellt. Lesen Sie »Die Debatte 2012« – ein Déjà-vu bzw. ein Fraktal. Nichts hat sich geändert. »Der Täter passt nicht zu den Untertanen. Das Ungeheuerliche wird von sehr durchschnittlichen, schwachen, unbedeutenden Männern begangen ... Nicht anders sind ihre bürokratischen Kollegen, die in den Büros sitzen und ihre Opfer mit Methoden quälen, die zwar geringere körperliche Schmerzen hervorrufen, aber nicht weniger wirksam sind. Dieser Sadismus ist überall pedantisch und roh und die Qualen der Opfer werden damit ins Unerträgliche gesteigert.« Sebastian Haffner. Jekyll & Hyde. 1939. S.83. LAV NRW R, BR 2080 Nr. 675 Akte des Oberversicherungsamts Düsseldorf zu Sabine Gutmann: Julius Gutmann starb am 14. März 1948 in einem Krankenhaus. Er war dort einige Tage zuvor eingeliefert worden. Diagnostiziert wurde eine Kombination von Herzschwäche, Leberschwellung, hochgradiger Erregung und akutem Verwirrungszustand. Die Spruchkammer des Oberversicherungsamtes Düsseldorf entschied am 2. September 1953, also etwa fünfeinhalb Jahre nach dem Tod von Julius Gutmann, mit Urteil (Bl. 7/8): »Es ist sicher, dass der Ehemann der Klägerin ohne die erlittene Verfolgung mindestens 1 Jahr länger gelebt hätte, die Verfolgung also ursächlich für den Tod anzusehen ist.« »Kurz nach seiner Aufnahme sei er unruhig und verwirrt worden, habe KZ-Wachen gesehen und geglaubt, er würde jeden Augenblick wieder abgeholt.« Die Ursache des posttraumatischen Belastungssyndroms von Julius Gutmann war ein »Hausbesuch« von Johannes Herbrandt in seiner schwarzen SAUniform kurz vor seiner Einlieferung ins Krankenhaus. Für Julius Gutmann war so Deutschland weiter ein großes ofenes Konzentrationslager. Aus ärztlicher Perspektive konnte es sich dabei nur um Halluzinationen eines Verwirrten handeln. Wie dann fünf Jahre später für die Richter am Oberversicherungsamt Düsseldorf. Was die entscheidenden Menschen nicht im Fokus haben konnten, weil es außerhalb ihrer bürokratisch limitierten Wahrnehmung lag: Welchen gravierenden Einluss auf das mutwillig verkürzte Leben von Julius Gutmann die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für ihn traumatischen Deja-Vu-Erlebnisse mit seinem NS-Peiniger Hugo Recken und dessen Symbionten Johannes Herbrandt hatten, so wie ich es in diesem Buch konkret beschreibe. Es gibt auch einen durch bürokratische strukturelle Gewalt – fahrlässig / mutwillig – herbeigeführten sozialen Tod. Und es sind immer Menschen, deren konkretes, persönlich zurechenbares Handeln Menschen so massiv betrefen kann. Im Kontext des Terminus Mobbing mit zunehmend deutlicheren juristischen Konsequenzen. Was 1945 bis 1948 noch nicht justiziabel war, das war unethisch – und unchristlich. Wie die verdeckte bürokratische strukturelle Gewalt durch Bürgermeister Hugo Recken nachträglich legitimiert wurde, wird aus einer Eidesstattlichen Erklärung von Frau Polakowski vom 14. Juli 1949 deutlich, die wir im Bestand Osterath III 1997 inden und die sicher mitverantwortlich für die lange Dauer des Verfahrens war: »Zu dem Judenfalle Gutmann gebe ich nachstehende Erklärung ab: Ich bin längere Zeit Mieter bei der jüdischen Familie Gutmann in Osterath, Neusserstr. 8 gewesen und habe dort zur Zeit des Judenpogroms gewohnt. Die Verhatung des Julius Gutmann und den Überfall auf die Wohnung habe ich miterlebt. In der eigent- Karteikarte Theresienstadt Sabine Gutmann Karteikarte Theresienstadt Julius Gutmann lichen Pogromnacht vom 9.–10. November, in der sonst überall etwas passierte, ist bei Gutmann und den anderen Juden in Osterath nichts vorgefallen. Am Morgen des 10. November ist Herr Gutmann vormittags spätestens zwischen 9 ½–10 Uhr verhatet worden. Ich entsinne mich dieser Zeit genau und irre nicht. Ob Gemeindepolizei oder Gendarmerie die Verhatung vorgenommen haben, kann ich nicht sagen. Gegen elf ½ Uhr des gleichen Tages kam die Berta Gutmann, Schwester des Inhat ierten, zu mir und sagte, dass Bürgermeister Recken alle Erleichterungen zugesagt habe. Die Männer säßen bereits im Keller-Vorraum und es könnten Verplegung, Decken, Kissen und anderes herüber gebracht werden. Dann kam es in der folgenden Nacht vom 10. zum 11. November 1938 in den frühen Morgenstunden zwischen 3 und 4 Uhr zu dem Überfall durch fremde S.A. Ich bezeuge insbesondere, dass mir Berta Gutmann, wenn sie auf ihr Leid zu sprechen kam, mehrfach betont hat, dass Bürgermeister Recken ein guter Mensch sei, der auch Sabine und Julius Gutmann | 101 ihnen, den Juden, gut sei. Ich entsinne mich dabei des Vorfalls, als einmal Herr Recken draußen am Fenster vorbeiging, Berta Gutmann dies wiederum bestätigte.« Das ist so dick aufgetragen, dass es heute schon fast satirisch wirkt. Als es geschrieben wurde, war es extrem pervers. Eine Ermordete so zu instrumentalisieren. Gegen deren bereits auch toten Bruder und dessen Ehefrau, auch Opfer des NS-Rassewahns. Verbrämter Antisemitismus. Im Interesse von Hugo Recken. Weil Sabine Gutmann sich nicht bürokratisch von Recken abschrecken ließ und um ihr gutes Recht im Rahmen des Entschädigungsverfahrens kämpte. Also das Fraktal der für den Adressaten nicht veriizierbaren, weil intransparenten büro- »Hier ist begraben (hebräisch) Julius Gutmann 9. 2. 1883 – 14. 3. 1948 Seine Seele sei eingebunden in das (hebräisch) Bündel des Lebens (hebräisch) Im Gedenken An die lieben Geschwister Carl, Siegfried, Berta, Emmi, Else, Henny, Hanna, Josef, Max, Siegmund. Ermordet in Auschwitz u. Riga.« Der Text des Grabsteins von Julius Gutmann, www.steinheim-institut.de 102 | Sabine und Julius Gutmann kratischen Zweck-Lügen. Bürokratie agiert i. d. R. nicht-öfentlich, bzw. lässt nicht-öfentlich agieren. Wie aktuell im Kontext des Ältestenrats des Rates der Stadt Meerbusch in Verantwortung von Bürgermeister Spindler. Dessen Konsequenz eine Verhöhnung der Osterather Opfer des nationalsozialistischen Rassewahns ist, dies in Verantwortung vom im Kontext auch antisemitisch-initiativen Bürgermeister Recken. Wo beginnt Antisemitismus? Fast alle Familienangehörigen von Sabine und Julius Gutmann sind von den Nationalsozialisten und ihren Mit-Tätern ermordet worden. »Viele verlorene Stimmen und Leben«, so Elie Wiesel. Darum kehrte Julius Gutmann »geschlagen an Leib und Leben« (Aust S. 60) zurück. »Sehr still in sich gekehrt, auf Fragen nur in sich hineinschweigend. Ein Überlebender.« (Aust S. 51) Die Summe der physischen und psychischen Folgen von Verfolgung – insbesondere ganz persönlich von Bürgermeister Hugo Recken durch dessen antisemitischen bürokratischen Terror auch von Angesicht zu Angesicht – und KZAufenthalt bedingten das, was heute als posttraumatische Belastungsstörung deiniert wird und das Sterben von Julius Gutmann massiv beschleunigte. Dass derselbe Mensch und dessen rechte Hand Johannes Herbrandt dann wieder massiv Einluss auf das Leben von ihm und seiner Frau nahmen und sie trotz schrit licher Intenvention organisiert ignoriert wurden, wie oben dokumentiert, das wird für seinen physischen und psychischen Gesundheitszustand auch nicht folgenlos geblieben sein. wird Julius Goldschmidt vom NS-Kollegen von Recken genötigt, sich mit einer »Frist von einer Woche« zum Verkauf von Grundstücken zu entscheiden, deklariert als »Ausgleichsgrundstücke für den sozialen Wohnungsbau«. Was dem einen »sein« jüdischer Friedhof für eine Kinderreichensiedlung, ist dem anderen »sozialer Wohnungsbau« auf dem Grund eines Menschen jüdischen Glaubens. Und das bürokratische »Spiel« mit Zeit und Schein-Legitimation. Wie Julius Gutmann wird Julius Goldschmidt Schritt für Schritt die ökonomische Grundlage zielgerichtet entzogen, im Sinne der »nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik«. Wie Julius Gutmann muss er in ein »Judenhaus« umziehen, mit allen damit verbundenen Konsequenzen. Zimmerlisten Ghetto Theresienstadt 29. April 1945 – Sabine und Julius Gutmann Auf dem Bürgersteig vor dem elterlichen Haus von Julius Gutmann, Kaarster Str. 8, erinnert heute ein Stolpersein an ihn, seine Frau Sabine und seine Schwester Berta. Ein Gutmann hat überlebt: Kurt, am 18. Februar 1927 in Krefeld geboren, weil es der Mutter von Kurt gelang, ihn in einem Kindertransport nach Großbritannien zu bringen. Wo er sich nach Erreichen des Mindestalters zur britischen Armee freiwillig meldete und bis zu seiner Entlassung 1948 Dienst tat. Seitdem lebt er in Deutschland und war Dolmetscher und Redakteur. Er hat einen Sohn – und Enkel. Ein Same bleibt immer. Kurt Gutmann ist heute Vorsitzender des Verbandes Deutscher in der Resistance, in den Streitkräten der Anti-Hitlerkoalition und der Bewegung »Freies Deutschland« e. V. DRAFD. Das reale Fraktal von Julius Gutmann und seinem Peiniger Hugo Recken: Ulrich Oppermann beschreibt in »›Es kann hier keinerlei Rücksichten geben.‹ Enteignung und Deportation am Beispiel einer kleinstädtischen Familie« das Schicksal von Julius Goldschmidt, Jahrgang 1871, wie Julius Gutmann Metzgermeister, er in Berleburg. So, wie Julius Gutmann von Hugo Recken genötigt wurde, das elterliche Haus zu verkaufen, so Wie Julius Gutmann wird Julius Goldschmidt am 27. Juli 1942 nach heresienstadt deportiert. Enteignet wird er auf Grundlage des »Gesetzes über die Einziehung kommunistischen Vermögens vom 16. Mai 1933 ... in Verbindung mit dem Gesetz über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens vom 14. Juli 1933«. Die äußerliche bürokratische Legitimation dieses Unrechts. Von den 21 Familienangehörigen von Julius Goldschmidt werden 13 deportiert, nur er überlebt. Wie Julius Gutmann kehrt er Mitte 1945 in sein Heimatdorf zurück. »Auf Goldschmidts Rückgabeverlangen ging die Stadtverwaltung monatelang trotz Mahnung erst gar nicht ein, kassierte aber weiterhin wie selbstverständlich die Pacht. Sie lehnte jede Rückerstattung ab. Es sei alles rechtmässig gewesen.« Opfermann. S. 96. So brachte die Stadtverwaltung von Berleburg bürokratisch zum Ausdruck, dass das Überleben von Julius Goldschmidt ein nicht vorgesehener Betriebsunfall war. Wie der von Julius Gutmann für Hugo Recken, der ebenso mit bürokratischer struktureller Gewalt gegen ihn agierte. Das reale Fraktal zu Osterath nach der Befreiung am 1. März 1945 durch US-amerikanische Einheiten: »Die mehrheitsgesellschat liche Wahrnehmung unterschied auch nach dem Ende des Nationalsozialismus auf bemerkenswerte Weise zwischen den Handlungsträgern der Verfolgung und deren Opfern. Während die familiären und berulichen Jubiläen des Berleburger Zahnarztes Dr. Otto Nölke, Altparteigenosse, SS-Mitglied und 1949 wegen Beteiligung an der Synagogenbrandstituung verurteilt, jeweils ausführliche und freundliche bis herzliche Erwähnung in der Lokalpresse fanden, musste Sabine und Julius Gutmann | 103 Julius Goldschmidt neunzig werden, um diese Form der Anerkennung zu erfahren. In einer 1 ½ ZeilenNotiz aus Anlass seines Geburtstages einige Jahre zuvor hatte man sich ohne nähere Begründung gewundert, dass er so ›aufallend rüstig‹ sei. Als Goldschmidt 1962 starb, war dies der lokalen Presse keine Meldung wert. Eine Woche nach ihm starb Karl Heinrich Schneider, jener Parteigenosse und ehemalige geschätsführende Bürgermeister, der es sich nicht hatte entgehen lassen, das Hab und Gut der deportierten Juden und angeblichen Zigeuner persönlich öfentlich zu versteigern. Wegen Beteiligung an der Deportation der letzteren war er 1949 verurteilt worden. Nach dem Ende des Nationalsozialismus weitete dieser Mann in den besten Jahren seine wirtschat lichen und gesellschat lichen Aktivitäten krät ig aus. Entsprechend umfangreich iel der seine vielen Verdienste aufzählende Nachruf aus. Nölke und Schneider hatten wie viele andere vor wie nach 1945 geachtete Positionen in der Mitte der kleinstädtischen Gesellschat inne, während Julius Goldschmidt an deren Rand blieb und froh sein konnte, überlebt zu haben.« Opfermann. S. 97. Da ist am Ende ein kleiner Unterschied. Weil Julius Gutmann – gemeinsam mit seiner Frau Sabine – das Wirken der Symbiose Recken / Herbrandt nicht still und schweigend hinnahm, nicht in der ihm zugewiesenen Opferrolle blieb, sondern gegen seine NS-Peiniger Recken und Herbrand direkt aktiv wurde, hat das damit verbundene Handeln seines NS-Peinigers Recken sein Leben in der neuen Volksgemeinschat verkürzt, wie per Urteil festgestellt. ITS Arolsen: Blatt aus der Deportationsliste – Sabine und Julius Gutmann 104 | Sabine und Julius Gutmann Nach dem Militärregierungsgesetz Nr. 59 vom 10. November 1947 wurde das Entschädigungsverfahren für Arisierungen geregelt. Die Umsetzung lag bei der deutschen Bürokratie. Das über zahlreiche Akten verteilte Entschädigungsverfahren von Sabine Gutmann ist ein Fraktal aller Entschädigungsverfahren der Menschen aus Osterath, die ich alle durchgearbeitet habe. Das Muster: Verfahrenszeit über viele Jahre, die bürokratische Zeit-Politik zu Lasten der Opfer. Alle Angaben werden von zuständigen deutschen Bürokraten im Rahmen ihres Ermessens erst einmal angezweifelt. Müssen im Detail dokumentiert und nachgewiesen werden. Was unter den konkreten Bedingungen nach Deportation, Enteignung und Verlust aller beweglicher Güter inkl. Dokumenten nicht möglich sein kann. Es waren also bewusste bürokratische Schikanen, um das Recht formell, aber nicht dem Sinn nach zu erfüllen. Im doppelten Wortsinn verantwortungslos exekutiert. Die Opfer wurden erneut bürokratisch zu Opfern gemacht. Im Gegensatz zu z. B. den Pensionansprüchen von verurteilten NS-Mördern, bei denen im Gegensatz z. B. zu Beteiligten am 20. Juli 1944 nicht festgestellt wurde, dass verurteilte Beamte bzw. deren Nachkommen keinen Pensionsanspruch mehr haben. Die gelernte staatsformunabhängige bürokratische Willkür, mit ihren hintergründigen ideologischen braunen Färbungen, schein-sachlich exekutiert. Der bürokratische Kleinkrieg gegen die Opfer – von Mit-Tätern. Wie denen bei der Oberinanzdi- rektion Düsseldorf: Erst zentral für die Arisierungen zuständig, dann für die Entschädigungen – im Sinne von Abwehr möglichst aller Ansprüche. Was dieselben Beamten einmal vereinnahmt haben, das wollen sie nicht mehr rücktransferieren. Denn das ist das Eingeständnis ihres persönlichen Unrechts. War es Zufall, dass die Zuständigkeiten so extrem unsachlich organisiert wurden? Dies widerspräche der speziisch deutschen Bürokratie-Kultur diametral. Das immer wiederkehrende Muster der Arisierungs-Proiteure auch in Osterath: Die Behauptung, z. B. ein Haus sei in einem sehr schlechten Zustand übernommen worden, die Investitionen müssten auf Basis des Verkehrswertes gegengerechnet werden – die Proiteure rechnerisch im Einzelfall dann Zahlungen der Opfer erhalten – wofür dann »Zeugen« angeführt werden, die bei amtlicher konkreter Befragung keine Angaben zum Zustand des Hauses bei »Arisierung« machen können oder wollen, um keinen Meineid zu leisten. Ein guter Opfer-Anwalt leitet dem zuständigen Gericht eine Zeitungsanzeige der Proiteure weiter, in dem das Haus mit Angaben angeboten wird, die im krassen Gegensatz zur Behauptung des schlechten Zustandes bei Übernahme stehen. Wie gelernt wird gelogen, manipuliert und betrogen. Die Täter geben sich als Opfer, die sich nur so gegen ungerechte Ansprüche wehren können. »Der Jude« will ihnen schon wieder an ihr Eigentum. Sabine Gutmann in einem Entschädigungs-Formblatt: »Verkauf Februar 1939 zur Bezahlung von Steuern und Kontributionen sowie zur Finanzierung einer eventuellen Auswanderung.« Steuern = Gemeindesteuern Kontributionen = »Sühnezahlung« nach der Reichskristallnacht 1938 Da sie schein-gesetzlich keinen Zugrif auf das Bankkonto hatten, konnten sie keine Auswanderung organisieren. »... von den Erwerbern in bar überwiesener Kaufpreis von RM 5.000 ganz oder teilweise zur freien Verfügung erhalten hätte.« Ein immer wiederkehrendes gern verwandtes Schein-Argument: Die jüdischen Veräußerer hätten einen Teilbetrag zur freien Verfügung gezahlt. Gute Opfer-Anwälte wiesen dann nach, dass gesetzlich gar nicht möglich war, dass Juden über ihre Konten verfügen konnten. Und womit Täter und ihre Anwälte ofensichtlich nicht rechneten: Dass die Bank wie im Fall Gutmann dem zuständigen Gericht eine vollständige Kontenaufstellung zukommen lassen konnte, aus der unzweideutig hervorging, dass eine behauptetet Zahlung dort nie eingegangen ist. Die alliierten Bomben haben nicht das getrofen, was gewünscht war. Und die Bankangestellten ließen keine Unterlagen »verschwinden«. »... hier vorliegenden Unterlagen des Oberinanzpräsidenten Düsseldorf (Devisenstelle) vom 6. 11. 1939 nicht mehr frei über ihre Konten verfügen konnten.« »Kuhaupt übergaben wir zur Aubewahrung bei der Deportation ... Nichts davon erhielten wir zurück.« Deutsche – arische – Freunde in der Not. »... meinem Bevollmächtigen Herrn Bartels ...« Recken und Herbrandt waren keine Bartels-Freunde, so wurden sie noch mehr Feinde. »... das Gesetz nur auf feststellbare konkrete Vermögensgegenstände bezieht ... .« Was nicht mehr persönlich greibar ist oder wie ein Haus materiell existiert, ist nach dieser bürokratischen Rechts-Auslegung von der Entschädigung ausgeschlossen. Also fast alles. Gegen den Sinn des Gesetzes. Wenn dann alles nichts mehr gegen berechtigte Ansprüche half, dann wurde das Erbrecht instrumentalisiert. Im Fall Gutmann mit der Behauptung, das Haus sei auf den Vater von Julius Gutmann – Moses – eingetragen, der 1933 verstarb, und Sabine Gutmann habe keinen Erbschein von Moses Gutmann. An dieser Stelle trat dann – wie in sehr vielen anderen Fällen – der auch für solche Rechtsmissbrauchs-Fälle gegründete »Jewish Trust Corporation for Germany« mit seinem »Regional Oice« in Mülheim/Ruhr in Aktion, um berechtigte Ansprüche durchzusetzen. In vielen Fällen mit Erfolg, ot im Form eines Vergleichs. Auf den sich die Proiteure dann einließen, aus Angst, ansonsten voll zahlen zu müssen. Die Direktorin des Amtsgerichts Neuss, Frau Gerats, bewegt sich im Rahmen ihrer rechtlichen und bürokratischen Vorgaben. Im diesem Rahmen schreibt sie mir mit Datum vom 12. Juli 2012: »Zu Ihrer Frage, ob das Eigentum von Herrn Julius Gutmann auf die Gemeinde oder auf eine private Person gewechselt hat, kann ich Ihnen mitteilen, dass eine Privatperson Eigentümer nach Julius Gutmann geworden ist.« Ein auf den ersten Blick im Zeitkontext nicht auf älliger Satz. Was macht diesen Satz so ganz besonders? Das Landgericht Krefeld als zuständiges Restritutonsgericht für Julius Gutmann, seine Frau Sabine und seine Schwester Berta hatte nach dem Tod von Berta Gutmann und von Julius Gutmann Erbansprüche und damit Restritutionsansprüche Sabine und Julius Gutmann | 105 mit dem Hinweis abgewehrt, im Grundbuch sei der Vater von Julius Gutmann, Moses, eingetragen und Sabine Gutmann müsse einen entsprechenden Erbschein vorlegen, um ihre Ansprüche zu dokumentieren. Was sie nicht konnte, da es diesen Erbschein nicht geben konnte. Weil Julius Gutmann nach dem Tod seines Vaters 1933 im Grundbuch eingetragen war, Sabine als seine Frau Erbin von Julius war, wie auch von Berta. Was bedeutet das juristisch? Der entscheidende Richter am Landgericht Krefeld hat die Delikte Urkundenfälschung und Urkundenunterdrückung begangen, also zwei Strataten. Wo kein Kläger, dort kein Richter. Insbesondere über einen kriminellen Richter. Beim Bundesamt für zentrale Dienste und ofene Vermögensfragen in Berlin liegen Akten zu Berta Gutmann, Valentin Davids, Margarete Königsthal, Bernhard Abrahams, Carola Lucas sowie Selma und Gustav Kiefer. Was bedeutet das grundsätzlich? Dass es zu diesen Menschen jüdischen Glaubens aus Osterath, die von Nationalsozialisten wie Hugo Recken und ihren bürokratischen Mit-Tätern verschleppt und ermordet wurden, bis heute 2012 ofene Vermögensfragen gibt. In der Akte zu Berta Gutmann ist formell amtlich festgehalten: »I Sabine Gutmann II a)Julius Gutmann (Ehemann von I) b) Berta Gutmann (Schwester von Julius G.) III Moses Gutmann (Erben: II a + b)« Sabine Gutmann hat u. a. von »arischen Freunden« zur Aubewahrung gegebene Gegenstände zurückgefordert. »... diese Gegenstände seien beim Einmarsch der Amerikaner abhanden gekommen. Hierüber hat das Amt die Ehefrau des Antragsgegners als Zeugin gehört ... glaubhate Aussage der Zeugin Kuhaupt.« Die gelernte juristische Sophistik zu Lasten eines Opfers – einer Jüdin. »Rauchen ist nicht gesundheitsschädlich. gez. Dr. Marlboro« Zu dem gern zur Abwehr von Restritutionsansprüchen genutzten Schein-Argument, Opfer hätten über ihr Vermögen frei verfügen können: »Unsere Ermittlungen haben inzwischen ergeben, dass das Sparkonto des verfolgten Metzgermeisters Julius Gutmann bei der Kreissparkasse Osterath Nr. 3545 auf Anweisung des Oberinanzpräsidenten Düsseldorf vom 10. 11. 1939 gesperrt wurde und der Ver- 106 | Sabine und Julius Gutmann folgte lediglich einen monatlichen Freibetrag in Höhe von RM 100,-- abheben durte.« Das galt generell. Wie so viele andere Begrife hat der »Freibetrag« hier eine neue entrechtende und enteignende Bedeutung erhalten. Constantin Goschler schreibt in der Web-Ressource »Die öfentliche Auseinandersetzung um die Rückerstattung jüdischen Eigentums nach 1945 und 1990«: »Die Auseinandersetzung um die Rückerstattung geraubten jüdischen Eigentums ... eignet sich besonders dazu, um grundlegende Einstellungen in der deutschen Öfentlichkeit gegenüber der Judenverfolgung zu untersuchen. ... basierte diese Aufassung auf der Vorstellung der prinzipiellen Kontinuität der bürgerlichen Rechtsordnung in Deutschland vor und nach 1945, die während des ›Dritten Reiches‹ lediglich punktuell durch Staat und Partei durchbrochen worden sei ... In dieser vielstimmigen Kritik dominierte ein Bild der Judenverfolgung, wonach die Verantwortung beim Staat bzw. nationalsozialistischen Parteigliederungen gelegen habe, während der deutschen Gesellschat keine lediglich passive Rolle zugesprochen wurde ... jene heimliche oder ofene Obstruktion, die das Handeln westdeutscher Verwaltungen und Gerichte in den ersten Jahrzehnten nach Kriegsende ot mals geprägt haben ... Hier spielen symbolische Aspekte eine wesentliche Rolle: Die Auseinandersetzung um das jüdische Eigentum erinnert die Europäer daran, dass das Projekt der europäischen Integration auf eine Geschichte der Verfolgung und Verwüstung reagiert. War die schöne phönizische Königstochter Europa in der Mythologie nach ein Objekt des Raubs, so muss sich das politische Europa heute damit auseinandersetzen, inwieweit es sich als gemeinsames Subjekt unter anderem auch durch den Raub des jüdischen Eigentums und den gewaltsamen Ausschluss der Juden konstituierte. Zukunt und Vergangenheit Deutschlands und Europas liegen deshalb bei diesem hema eng beieinander.« Arisierung, Rückerstattung und – wie im Folgenden dargestellt wird – Entnaziizierung inklusive deren juristischer Begleitung stehen in einem unmittelbaren untrennbaren Zusammenhang. Der bürokratischen Perfektion der Arisierung steht die bürokratische Perfektion bei der organisierten Nicht-Realisierung von Rückerstattung und Entnaziizierung gegenüber. Mit ihren gesellschat lichkulturell-politischen Konsequenzen bis heute. Wie der pathologischen Recken-Legende. 2. Familie Cervelli: »Halbjuden« und ihre »arischen« Familien trifft das »Recht« und Bürgermeister Hugo Recken – fast – gleichermaßen wie »Volljuden« Paul Cervelli, geboren am 2. Juli 1906 in Viersen, war nach den ideologischen Kriterien der Nationalsozialisten »Halbjude« – seine Mutter war getaute Jüdin, sein Vater »Arier«. Seine Frau war »Arierin«, ihr Sohn Helmut »Vierteljude«. Die Familie wohnte Krefelder Str. 11. Heute gedenkt auf dem Gehweg vor dem Haus ein Stolperstein Paul Cervelli. Er war von den Maßnahmen zur Ausschaltung der als Juden deinierten Menschen aus dem Wirtschatsleben betrofen. 1937 setzte sich die Gestapo mit ihm auseinander, weil er an einer Volksabstimmung teilgenommen hat. Seine Frau wurde erst in die NS-Frauenschat genötigt. Als bekannt wurde, dass ihr Mann »Halbjude« ist, wurde sie ausgeschlossen. So ging es dem Sohn Paul mit der HJ: Erst reingenötigt, dann rausgeworfen. Die NSV – Nationalsozialistische Volkswohlfahrt – hatte größte Teile der staatlichen und kommunalen Sozialleistungen übernommen, inklusive der dann »Winterhilfswerk« genannten Unterstützungen. Familie Cervelli war von allen Unterstützungen ausgeschlossen, weil Paul Cervelli »Halbjude« war. Frau Cervelli hat mir 1984 berichtet, dass die Familie von Menschen aus Osterath unterstützt wurde. Und dass sich ihr Mann wegen der antisemitischen Maßnahmen in Osterath, also in Verantwortung von Bürgermeister Hugo Recken, das Leben nehmen wollte. 1939 wurde Paul Cervelli zur Wehrmacht eingezogen, blieb bis November 1942 Soldat – und damit unbehelligt, wie seine Familie. Dann wurde Frau Cervelli vom Gemeindebeamten Herbrandt ins Rathaus einbestellt. Ihr Mann sei nicht arischer Abstammung. Die Gemeindeverwaltungsspitze hatte also intensiv recherchiert, wer der Judenreinheit von Osterath noch im Wege stünde. Bürgermeister Hugo Recken teilte dieses Ergebnis der Einheit von Paul Cervelli mit, der dann umgehend aus der Armee entlassen wurde und seine Uniform abgeben musste. Am 17. August 1944 kam der Dorfpolizist Ide im Aut rag von Bürgermeister Hugo Recken in das Haus Cervelli, und erkundigte sich nach dem Verbleib von Paul Cervelli. Er sei bei Dröge ein Bier trinken. Zurückgekehrt musste Paul Cervelli so- fort 30 Pfund Gepäck und für drei Tage Verplegung einpacken, um dem Dorfpolizisten Ide ins Rathaus und dort ins Polizeigefängnis – eine Zelle im Keller – zu folgen. »Wir nehmen ihren Mann in Schutzhat, damit ihm nichts passiert.« Was verstanden die nationalsozialistischen Bürokraten unter »Schutzhat«? »Volksgemeinschatsfremde« zu verhaten, dann endzulösen. Paul Cervelli wurde zum Schlachthof in Düsseldorf-Derendorf transportiert. Kam von dort nach einigen Stunden zurück: Es habe sich um einen Irrtum des Landrats in Kempen gehandelt. Nach den Erinnerungen von Helmut Cervelli wurde sein Vater Sonntag morgens verhatet, war mittags zurück: weil er getaut sei. Der Vater habe in Krefeld, wohin er nach der Verhatung gebracht worden sei, noch seine verhate Mutter gesehen. Die nach Berlin-Moabit verschleppt worden sei, wo sie von den Russen befreit wurde. Am selben Tag nach der Rückkehr hätte die Familie Nachmittags den Dorfpolizisten Ide getrofen, NSDAP-Mitglied: »Wie, Sie sind noch hier? Da haben Sie aber noch einmal Glück gehabt.« Dieser Satz spricht für das umfassende Wissen eines Dorfpolizisten über die Verfolgungsmaßnahmen. An Ide hat Helmut Cervelli eine weitere Erinnerung: Solange er in das Jungsvolk gezwungen wurde und nicht hinging, wurde er von diesem abgeholt. »Recken hatte immer das NSDAP-Parteiabzeichen am Jackett.« Die Familie Recken wohnte gegenüber etwa 50 Meter Lut linie zur Familie Cervelli im Rathaus. Helmut Cervelli und der Recken-Sohn kannten sich gut. Drauf komme ich später zurück. Aus Paul Cervellis Familie sind etwa 40 Menschen von den Nationalsozialisten und ihren Mit-Tätern ermordet worden. Nach der Befreiung durch US-amerikanische Einheiten wollten viele (Ex-)Nationalsozialisten von Helmut Cervelli, Mitglied des Osterather Entnaziizierungsausschusses, »Persilscheine« für die Entnaziizierung, auch wenn er sie nicht kannte. Wie der Ortsgruppenleiter Dohmen und der Lehrer Weiß. Familie Cervelli | 107 Schriftliche Erklärung Hugo Recken schrieb im Kontext seines Entnaziizierungsverfahrens von »Verhatung durch die Gestapo«. Die reale Bedeutung dieses Recken-Satzes: Der im Aut rag von Bürgermeister Hugo Recken handelnde Dorfpolizist Ide hatte als Legitimation seinen Dienstvorgesetzten auch als örtliche Polizeibehörde – und damit örtliche Gestapo. Recken spekulierte darauf, dass diese Verquickung nicht bekannt sei. Heute ist sie – seit langem – bekannt, wird aber im Kontext der Recken-Legende im Auftrag von Bürgermeister Dieter Spindler apologetisch verleugnet, ihr sogar in seinem Autrag vom Stadtarchivar Regenbrecht die Geschichtswissenschat lichkeit abgesprochen. Ein Bürgermeister, von Hause aus Jurist, maßt sich an zu bestimmen, was geschichtswissenschat lich sei. Der Anspruch auf Deinitionsmacht ist Ausdruck von Diktaturen aller Couleur. Aus der Entschädigungsakte von Paul Cervelli geht hervor, dass die zuständigen deutschen Bürokraten entschieden, dass es bei ihm und seiner Familie nichts zu entschädigen gäbe. Für diese Einschätzung war ein Schreiben von Gemeindedirektor Hugo Recken an die Kreisverwaltung vom 22. Juli 1952 maßgeblich (Bestand Osterath III 1997): 108 | Familie Cervelli »Es trit zu, dass Cervelli in Osterath ein Friseurgeschät hatte. Nach Bekanntwerden seiner Abstammung war es Parteimitgliedern untersagt, mit C. in geschät liche Verbindung zu treten. Diese feindliche Einstellung weiter Kreise führte sicherlich zu einem geschät lichen Rückgange. Wie hoch sich der wirtschatliche Schaden bezifert, kann von hier aus nicht angegeben werden, da Unterlagen darüber nicht vorliegen und Vergleiche nicht möglich sind. Vielleicht kann das Finanzamt in Krefeld einen Überblick geben über die Einkommensentwicklung des Geschäts Cervelli. Mir ist bekannt, dass C. von der Polizei verschiedentlich vernommen worden ist. Wie diese Vernehmungen durchgeführt wurden und ob es zu den geschilderten Übergrifen gekommen ist, entzieht sich meiner Kenntnis.« Bürokratische Perversion und Scheinheiligkeit in kaum zu überbietender Form. Rhetorisch lavierend indet Recken die Schein-Legitimation für den Status quo in seinem – ihn in seiner Rolle als NSBürgermeister, örtlichen Polizeichef und örtliche Gestapo rechtfertigenden – Sinn: »Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein.« Muss nur gut bürokratisch verpackt legitimiert werden. Die Steigerung war, dass Hugo Recken vorher in seinem Entnaziizierungsverfahren für einen Persilschein mit einer Unterschrit von Paul Cervelli diese Unterschrit fälschte. So sein Sohn Helmut nach Einsicht des Dokuments. Er hat Originalunterschriten seines Vaters unter Zeugnisse. 1984 waren die Geschehnisse seit 40 Jahren Geschichte. Nach dieser langen Zeit war Frau Cervelli im Gespräch deutlich anzumerken, wie sehr sie dabei unter dem Erlebten noch litt. Welche Relexion, Einsicht und Trauer stand dem und steht dem gegenüber? Und welches Gedenken? »Oh, welche wirren Netze wir weben, wenn wir die Welt täuschen streben.« Sir Walter Scott Zeugnis mit Unterschrift von Paul Cervelli Familie Cervelli | 109 Handschriftlicher Brief von Helmut Cervelli Helmut Cervelli Jahnstr. 25 40670 Meerbusch 22. 06. 2012 Sehr geehrter Herr Klouten! Eidesstattliche Erklärung vom 12. 7. 49 Punkt 1: korrigiert »kenne Recken« Punkt! Punkt 2: ich Helmut Cervelli kannte jeden Kunden meines Vaters. Korrigiert: Recken war nie Im Geschäft meines Vaters. Mein Vater hat Recken nie die Haare geschnitten. – Lüge – Punkt 3: Bürgermeister Recken konnte sich demnach nicht mit meinem Vater unterhalten haben, weil er kein Kunde war. – Lüge – Punkt 4: Judenfrage mit meinem Vater???? Verdammte – Lüge – siehe Recken / Gutmann. Punkt 5: Einstellung und Haltung des H. R. So einen Wisch / leider Dokument hätte mein Vater nie geschrieben geschweige unterschrieben. Ich vermute, dass hier ein Faksimile angelegt wurde. So ein Stück Lüge habe ich noch nie gelesen. Ernst Recken, Sohn des H.R. E. R. hat während des Krieges kleine Jungen verführt und misshandelt. Er ist mit uns in den Heizungskeller des Amtes gegangen. Ich habe ihm einmal gegen das Schienenbein getreten!! E. R. besuchte das Fichte Gymnasium in Krefeld. Als ich dort 1946 eingeschult wurde, bekam ich gerade noch mit, dass E. R. der Schule verwiesen wurde, wegen Jungenmissbrauch. Danach war er in Neuss mit den gleichen Umständen ist er dort ebenfalls verwiesen worden. Letztlich hat er in Köln sein Abitur gemacht!! Alte Seilschaften des alten Recken. Recken – nein Danke!! Mit freundlichen Grüßen Ihr Helmut Cervelli Abschrift des handschriftlichen Briefs von Helmut Cervelli 110 | Familie Cervelli 3. Familie Dr. Langenbach: Die von Hugo Recken in seinem Entnazifizierungsverfahren missbrauchten »Entschuldigungsjuden« »Eine merkwürdige, nur wenigen eingeweihten Nazis bekannte Tatsache ist, dass mit den ›Nürnberger Gesetzen‹ Liebenden der Krieg erklärt wurde und zwar solchen, die trotz des Gesetzes und der Drohungen zusammenblieben. Endlich konnte man sich an jener ›bürgerlichen‹ Liebe rächen, die nicht nüchternberechnend war.« Sebastian Haffner. Jekyll & Hyde. 1939. S. 79 f. Im Kontext seines Entnaziizierungsverfahrens behauptete Hugo Recken schrit lich (KK 1023 Bl. 163): »Schutz der Juden. Bürgermeister verhalf der Familie Dr. Langenbach (Frau ist Jüdin) zur Flucht vor der Verhatung durch die Gestapo.« Dafür fanden sich dann auch Zeugen. Wie sah die Perspektive der Familie Dr. Langenbach aus? Dr. Langenbach war »Arier« und Arzt, seine Frau Lucie »Volljüdin« und Ärztin, ihre Tochter Jutta war »Halbjüdin«. Bei dem Ehepaar Dr. Langenbach handelte es sich also um eine »Mischehe«. Dr. Langenbach unterlag denselben antisemitischen Maßnahmen wie »jüdische« Ärzte. So wurde er schein-legal gezwungen, seine Sprechzeiten – wie Dr. Goldberg – massiv einzuschränken, wie eine Anzeige in der Osterather Zeitung am 26. Juni 1936 dokumentiert: Diktion die antisemitische Aggression durchscheinen lässt und in denen er die Diskriminierung gegen »Mischehen« – wie bei der Familie Cervelli – konsequent bürokratisch exekutiert, eins vom 23. Dezember (sic!) 1936 (Bestand Osterath III 1997): »Um unliebsame Erörterungen bzgl. der Belaggung der Wohnungen zu vermeiden, teile ich zu Ihrer Orientierung mit, dass nach dem Runderlass des Reichs- und Preuss. Ministers des Innern vom 7. 12. 1936 ein Belaggen von Gebäuden oder Wohnungen mit der Reichsund Nationallagge für solche deutschblütigen Ehegatten nicht mehr gestattet ist, die in einer deutschjüdischen Mischehe leben.« Das bedeutet den optischen und faktischen Ausschluss aus der »Volksgemeinschat«. Bürgermeister Hugo Recken forderte Dr. Langenbach auf, sich von seiner Frau scheiden zu lassen, was deren Deportation zur Konsequenz gehabt hätte. Das wusste und wollte Recken, um Osterath »judenrein« zu bekommen. Er versuchte Dr. Langenbach zur Scheidung zu nötigen, da seine diskriminierenden Maßnahmen mit ihren ökonomischen Folgen nicht den gewünschten Erfolg hatten. Hätte Dr. Langenbach dem Druck von Recken nachgegeben und sich scheiden lassen, dann hätte er wieder laggen dürfen; als Teil der »Volksgemeinschat«, in deren Schoss er dann zurückgekehrt wäre. »Die Gestapo und andere NS-Institutionen übten enormen Druck auf die nichtjüdischen Ehepartner in sogenannten Mischehen zwischen Juden und Nichtjuden aus, doch gab es trotzdem im ›Altreich‹ noch immer 16.760 solcher Ehen.« Robert Gellately. Hingeschaut und weggesehen. S. 201. In Bestand Osterath III 1997 inden wir ein handschrit liches Schreiben von Lucie Langenbach, dass den Eingangsstempel der Gemeinde Osterath vom 23. Januar 1939 trägt: Osterrather Zeitung, 27. Juni 1936, Anzeige Dr. Langenbauch Wer hatte ihm dies amtlich-bürokratisch mitgeteilt? Bürgermeister Hugo Recken. Als ein Beispiel solcher amtlich-bürokratischen Schreiben von Bürgermeister Hugo Recken, deren »Hiermit teile ich Ihnen mit, dass ich den Vornamen Sara annehmen muss.« Vor der Unterschrit »Lucie Langenbach« steht mit Abstand und in abweichender Schreibweise »Sara«. Familie Dr. Langenbach | 111 bürokratisch. Und behauptete nach der Befreiung das Gegenteil, sekundiert von der Osterather katholischen Geistlichkeit, Johannes Herbrandt und »Zeugen«. Mit Erfolg – bis heute. ITS Arolsen: Verkartung einer Anfrage – Lucie Langenbach Die Symbolik ist klar: Der aufgenötigte Name ist fremd, nicht Teil ihrer Persönlichkeit. Im Gesamtkontext hatte die Familie Dr. Langenbach keinerlei Veranlassung Bürgermeister Hugo Recken zu vertrauen, denn die konkreten Erfahrungen mit seinem realen antisemitischen Handeln sprachen dagegen. »Das Motiv vieler Denunziationen war im Zusammenhang mit Rassefragen der Gedanke an einen persönlichen Vorteil.« Robert Gellately. Hingeschaut und weggesehen- S. 268. In der Gestapo-Akte von Dr. Langenbach (LAV NRW R, RW 58- 40669) ist eine Erklärung von ihm, datiert auf den 22. April 1940: » ... erklärt hiermit, dass er arischer Abstammung und im Besitz eines Radioapparates ist.« Das bedeutet: Die Familie Dr. Langenbach war wegen Radiohören von Juden denunziert worden. Das Gerät durte er behalten, weil das Postamt Osterath am 29. April 1940 der Gestapo schrit lich mitteilte (LAV NRW R,RW 58- 40669): » ... dass selbst darauf, dass die Ehefrau Langenbach Jüdin ist, gegen die weitere Teilnahme des Langenbach am Rundfunkempfang Bedenken nicht bestehen.« Ein ungewöhnlicher Vorgang, denn die Stellungnahme hätte unter den Bedingungen des NS-Terrorsystems anders ausfallen sollen. Der verantwortliche Postmeister in Osterath hatte sich damit sehr weit vorgewagt. Dass er – Herr Dohmen – später auch der NSDAP-Ortsgruppenleiter wurde, macht den Vorgang noch außergewöhnlicher. Und dokumentiert, welche Handlungsspielräume – auch für Hugo Recken als Bürgermeister – es tatsächlich gab. Recken nutzte diese Handlungsspielräume zugunsten von Menschen nicht. Er handelte antisemitisch- 112 | Familie Dr. Langenbach Am 17. September 1944 sollte Frau Dr. Langenbach – wie Paul Cervelli – verhatet und nach heresienstadt deportiert werden – wie Sabine und Julius Gutmann. Zu der Verhatung kam es nicht. Weil die Familie gewarnt und versteckt wurde. Eine Gemeinschatsaktion von Herrn Dohmen und dem Ex-Bürgermeister Rudolf Bartels. Zu den Umständen der Warnung unten. Rudolf Bartels war Jäger, hatte in der Eifel eine Jagd, auf dem Jagd-Gelände einen ausrangierten Waggon. Dort wurde die Familie untergebracht und verplegt. Mitte 1945 kehrte die Familie nach Osterath zurück. Die Familie Dr. Langenbach war mit Rudolf Bartels befreundet. Der nach der Flucht der Familie in deren Haus einzog, nach deren Rückkehr der Familie das Haus übergab. Diese Beziehung hat Rudolf Bartels die zusätzliche Feindschat der Symbiose Recken / Herbrandt eingetragen. Dr. Eduard Langenbach wurde entnaziiziert. Und als Entlasteter eingestut. Wie letztlich Hugo Recken und Johannes Herbrandt. Opfer und Täter werden in der Bewertung zur Säuberung vom Nationalsozialismus gleichgestellt. Dr. Langenbach starb am 6. März 1948, im selben Jahr wie Julius Gutmann und Rudolf Bartels. Aus der Entschädigungsakte von Frau Dr. Langenbach geht hervor, dass sie einen Antrag auf Entschädigung stellte, den aber dann zurückzog. Dr. Langenbach hatte kurz vor seinem Tod von Johannes Herbrandt in dessen SA-Uniform einen »Hausbesuch« erhalten. Wie später im selben Jahr ofensichtlich Julius Gutmann. Und wohl auch Rudolf Bartels. Wie die Unterschrit von Paul Cervelli wurden die Unterschriten von Dr. Wilhelm Langenbach, seiner Frau Lucie und ihrer Tochter Jutta unter einem Persilschein von Hugo Recken gefälscht. Diese Fälschung war die Basis für ein auf den 1. Oktober 1948 datiertes Schreiben des Oberkreisdirektors Kempen-Krefeld, in dem auf weitere »Beweise« Bezug genommen wird: • Amtliche Erklärung des Gemeindedirektors in Osterath, also Hugo Recken selbst. • Bescheinigung des katholischen Pfarramtes Osterath, also von Pfarrer Josef Hövelmann. Der als beamteter Lehrer in Krefeld 1934 den Beamteneid auf Hitler unterschrieben hat. Und von dem die zuständigen britischen Stellen ausgingen, dass er die NSDAP aktiv unterstützt habe, deswegen entnaziiziert wurde. • Rudolf Lensing: Bürgermeister in Osterath seit Januar 1946, da vemeintlich nicht in der NSDAP, nicht belastet und deswegen nicht entnaziiziert. Mit der NSDAP-Mitgliednummer 8578766 seit dem 9. November 1940 NSDAP-Mitglied. Lucie Langenbach ist auf dem Osterather Friedhof begraben. Wer die Familie Dr. Langenbach warnte – und wozu das Geheimnis von Hugo Recken instrumentalisiert wurde Es ist Herbst 1944. Die westalliierten Streitkräte stehen fast schon an der belgisch-niederländischen Grenze, nicht sehr weit von Osterath entfernt. Das Leben in Osterath geht seinen gewohnten KriegsGang. So weit ist die dörliche Nazi-Welt noch intakt. NSDAP-Ortsgruppenleiter Dohmen ist der Osterather Postmeister. Eine seiner Mitarbeiterinnen ist die Dienstverplichtete junge Frau Brassel. Da sie unverheiratet ist, gehört zu ihren regelmäßigen Verplichtungen der nächtliche Telefondienst. Die Routine wird am Abend des 17. September 1944 durchbrochen. In Gegenwart von Frau Brassel zieht sich Herr Dohmen eine Postuniform über und verlässt das Haus. Das weicht von allem Üblichen ab, weil der Postmeister grundsätzlich keine Post austrägt, erst recht nicht in der Nacht. Nach etwas zwei Stunden erkundigt sich Frau Dohmen aufgeregt bei Frau Brassel, ob ihr Mann noch nicht zurückgekehrt sei. Sie verneint, etwas später kehrt Herr Dohmen zurück. Und sagte zu Frau Brassel: »Bitte merken Sie sich: Sie haben mich heute Abend nicht gesehen.« Frau Brassel denkt sich erst nichts dabei. Auch in der späteren Nacht nicht, als Herr Dohmen sie bittet, im Flur nicht Licht anzuschalten. Sie bekommt mit, dass das Haus von aktiven Osterather Nationalsozialisten beobachtet wird. Als sich Frau Brassel am nächsten Morgen auf den Weg nach Hause macht, bemerkt sie an zwei Stellen Straßensperren von SA-Leuten. Das ist sonst nicht an der Tagesordnung. Auf dem Weg nach Hause wird sie von Frau Fells in deren Wohnung gebeten, entgegen deren üblichem Verhalten. Durch einen Türspalt sieht Frau Brassel mehrere Osterather Nationalsozialisten, u. a. Herrn Held. Frau Fells, die ihr später berichtet, unter Druck gesetzt worden zu sein, versucht sie in ein Gespräch zu verwickeln. »Der Jud Langenbach ist gelüchtet.« Was sie darüber wisse. Frau Brassel erklärt nichts zu wissen, da sie die Nacht im Post-Dienstraum zumeist schlafend verbracht habe. Nach der Rückkehr von Dr. Langenbach nach Osterath hat er Frau Brassel auf deren Nachfrage bestätigt: »Ja, es war Herr Dohmen, der mich und meine Familie gewarnt hat.« Einige Zeit später nach der Befreiung durch USamerikanische Einheiten am 1. März 1945 hat das Ehepaar Dohmen Frau Brassel besucht, um sich dafür zu bedanken, dass sie geschwiegen hat. Geschwiegen hat sie auch gegenüber ihren Eltern und allen anderen Menschen. In seinem Entnaziizierungsverfahren hat Hugo Recken ausschließlich am Beispiel seiner behaupteten Warnung an die Familie Dr. Langenbach belegen wollen, er habe Juden geholfen. Eine Zweck-Lüge. Die mit Unterstützung aus der Allianz katholischer Geistlichkeit und katholischer Gemeindeelite sowie des Gemeindebeamten Johannes Herbrandt Erfolg hatte, auch weil der Zeitgeist dem entsprach. Hugo Recken hat sein Amt als Bürgermeister und damit Polizeichef – und örtliche Gestapo – umfassend systemkonform ausgefüllt. Dabei hat er nicht unter Zwang, sondern freiwillig – und auch initiativ – gehandelt. Die Geschehnisse hatten bei Dr. Langenbach nach 1945 die Folge geistiger Verwirrung und den frühen Tod. Hugo Recken hatte keine negativen gesundheitlichen, psychischen, materiellen oder berulichen Folgen. Nach einer kurzen Phase von etwa einem Jahr nach der Befreiung am 1. März 1945 hat er seinen berulichen Weg bis zu seinem Tod 1953 in ungebrochener Kontinuität fortgesetzt. Als sei er als NS-Bürgermeister von 1934 – 1945 nicht im Rahmen seiner von ihm umfassend systemkonform ausgefüllten Funktion entsprechend in das NS-Terrorregime direkt und auch aktiv verstrickt gewesen. Gedenktafel auf dem Osterather Friedhof für die Opfer der Nationalsozialisten Foto: Christoph Behlen Familie Dr. Langenbach | 113 Nachtrag von Manfred Klaes 114 | Familie Dr. Langenbach e. Geschichtswissenschaftliche Bewertung Osterath war ein fraktaler Mikrokosmos der antisemitischen »Bevölkerungs-Politik« des NS-Terrorregimes. Vor Ort von den dafür Verantwortlichen bürokratisch exekutiert, allen voran Bürgermeister Hugo Recken – in Symbiose mit seiner rechten Hand Johannes Herbrandt. Recken war ein williges und auch initiatives Rädchen im Holocaust-Getriebe, ein williger Vollstrecker Hitlers. Gemeinsam mit Herbrandt und seinen Helfershelfern. Wolfgang Benz (2009, S. 15 f.) führt zur Symbiose Hitler / Bormann aus: »Als ... verkörperte er die zweifelhaten Tugenden des ausführenden Organs ohne eigene Macht und Bedeutung, nämlich Servilität gegen dem Inhaber der Macht und Härte in der Durchsetzung nach unten ... trat nach außen kaum in Erscheinung, spielte hinter den Kulissen eine erhebliche Rolle.« Dieses symbiotische Handeln begegnet uns bei Recken / Herbrandt. Wobei Herbrandt im Gegensatz zu Bormann auf Reichsebene aufgrund seiner Funktionen als Blockleiter und NS-Beamtenführer in Osterath reale Macht hatte. Solche Symbiosen ziehen sich durch die Weltgeschichte und folgerichtig durch die Literatur. So bei J. R. R. Tolkien »Herr der Ringe« Saruman und Grima. Im Gegensatz zu diesen beiden überlebten Recken und Herbrandt ihren Showdown am 1. März 1945 – als sei nichts gewesen. Hugo Recken hat als Katholik im Januar 1934 erst den evangelischen Bürgermeister Rudolf Bartels abgelöst, sich dann gegen die örtlichen NSDAP-Funktionäre durchgesetzt. Flankiert von der Union von katholischen Geistlichen und katholischer Gemeindeelite. Recken war daher in seinem VerwaltungsHandeln relativ frei. Diesen Spielraum hat er für als »Juden« deinierte Menschen nicht genutzt. Wie Julius Gutmann auf den Punkt brachte: »Niemals ist es Recken eingefallen, als Mensch zu handeln und etwas zur Erleichterung unserer Lage zu tun.« Hugo Recken handelte als nationalsozialistischer Bürokrat. »Es wird um Abschiebung des Juden gebeten.« »Es« – eine unpersönliche bürokratisch entmenschlichte Sache. Ein Ding wird »abgeschoben«. Für 21 der betrofenen Menschen deutscher Nationalität aus Osterath mit tödlichem Ausgang. Im Sinne des NSDAP-Programms. Die interessengeleiteten bürokratischen ZweckLügen von vor und nach 1945 inden heute engagiert apologetisch – im Sinne von Wolfgang Benz – ihre Fortsetzung. So kann Zeit auch gerinnen. Johannes Herbrandt hat eine »Orts- und Kriegschronik der Gemeinde Osterath« überliefert, die 1989 vom Stadtarchiv Meerbusch in Auszügen veröfentlicht wurde. Johannes Herbrandt listet in der Chronik die im Krieg zu Tode gekommenen Osterather in zwei Kategorien auf: Gefallene Soldaten und »Weitere Kriegsopfer«. Bei den »weiteren Kriegsopfern« inden wir eine Gruppe von Menschen nicht: Die deportierten und ermordeten Osterather deutscher Nationalität. Das war bisher das selbstverständliche Bewusstsein in Osterath und Meerbusch insgesamt. Und lässt auf das Bewusstsein sowie damit auf die reale Einstellung zu den ermordeten Osterathern deutscher Nationalität – wie die aus Büderich und Lank – schließen: Sie seien Opfer des – unpersönlich-anonymen – Nationalsozialismus allgemein, ohne konkreten – menschlichen – Bezug zu Osterath bzw. Meerbusch. Die Grundlage der »Basiserzählung« in ihrer speziisch Meerbuscher dorf-kulturellen Ausprägung. Mit gesellschat lichen und individuellen Konsequenzen bis heute, die Gegenwart und die Zukunt. »Legenden, Lügen, Vorurteile« Buchtitel von Wolfgang Benz Was hier zum Ausdruck kommt, ist die – nationalsozialistische – Wahnvorstellung der Angst vor »dem Juden« und dessen vermeintlicher Rache. Das schlechte Gewissen meldet sich. Und diejenigen, die es haben, schließen von sich auf die Opfer. Wie war die Realität dieses vermeinlichen Rache-Bewusstseins der Opfer? Herbert Goldberg kommt am 1. März 1945 als Mit-Befreier nach Osterath zurück. Freundestrahlend geht er in ein Geschät: »Ich bin zurück«. In meinem Heimatdorf. Eine Frau Lucas kommt in der 1950er Jahren nach Osterath, geht freudestrahlend in ein Osterather Geschät: »Ich bin zurück!« In meinem Heimatdorf. Sabine und Julius Gutmann kehren aus heresienstadt nach Osterath zurück. Sie wollen im Frieden im Heimatdorf von Julius leben. Ohne von ihren NS-Terroristen weiter drangsaliert zu werden. Die Familie Dr. Langenbach kehrt nach ihrer Flucht nach Osterath zurück. Sie wollen im Frieden in ihrem Heimatdorf leben. Geschichtswissenschaftliche Bewertung | 115 Der »Judenfreund« Rudolf Bartels, 1918 als Protestant nach Osterath zugezogen, lässt sich trotz aller »Bemühungen« von Recken und Vasallen unter Instrumentalisierung auch der Gestapo nicht aus Osterath vertreiben. Die Verbundenheit zu seiner WahlHeimat Osterath indet im Relief auf seinem Grab auf dem Osterather Friedhof seinen Ausdruck. Menschen können nur in Frieden leben, wenn man sie lässt. Osterath, die katholische Gemeindeelite, war – und ist – mit sich selbst nicht im Frieden. Kein Frieden nach innen – kein Frieden nach außen. Lediglich Schein-Äußerlichkeit. Ein Ausdruck davon war und ist das schlechte Gewissen den Verfolgten gegenüber, kompensiert in Angst und Neid. Typisch deutsch. Wir sind immer und unter allen Nach der Befreiung von der US-Armee für das Rheinland herausgegebene deutschsprachige Zeitung 2. April 1945 12. Mai 1945 3. Juli 1945 116 | Geschichtswissenschaftliche Bewertung Umständen die eigentlichen Opfer. Dafür lassen sich immer Argumente zur Legitimation basteln. Das Ergebnis steht fest, es muss nur scheinbegründet werden. Nur nicht dran rühren, am Tabu. Konkret der Manifestation in Form der Recken-Legende. Die mit allen Mittel verteidigt wird. Was ein Beweis ihrer Existenz und des Wissens um die Fakten der daran Beteiligten ist. Es ist die Angst, mit der Recken-Legende die Legitimität als Dorfelite zu verlieren. Aus dieser Perspektive: Diese Legende ist pathologsch. Und diese Pathologie färbt ab. So kamen 1948 innerhalb weniger Monate Julius Gutmann, Dr. Langenbach und Rudolf Bartels unter aktiver Wirkung von Johannes Herbrandt zu Tode. 1945: Die zweite Intrige gegen Bürgermeister Rudolf Bartels Der vom US-amerikanischen Ortskommandanten eingesetzt wurde. Diesmal über die dazu instrumentalisierte britische Militärregierung – Wie Hugo Recken abermals Rudolf Bartels ablöste und das kurze Intermezzo des kommissarischen Bürgermeisters Anton Wienands, KPD Am 1. März 1945 wurden Osterath und die Osterather durch US-amerikanische Einheiten vom Nationalsozialismus und den Nationalsozialisten befreit. Wie die katholische Geistlichkeit und die katholische Gemeindeelite – unabhängig davon, ob sie, wie in den meisten Fällen, NSDAP-Mitglieder geworden waren oder nicht –, die nun trachtete, sich mit der neuen Staatsgewalt in ihrem Sinn zu arrangieren. Zunächst wurde Bürgermeister Hugo Recken vom US-amerikanischen Ortskommandanten in seinem Amt belassen. »Alles war vorher geplant und koordiniert. Nichts blieb dem Zufall überlassen.« Heiner Lichtenstein. Ein Merkmal der organisierten Nationalsozialisten war ihre bürokratische Perfektion – für alles. So hat der Kern der aktiven Nationalsozialisten auch den erneuten Übergang in den Untergrund organisiert. Im Gegensatz zu den 1920er Jahren auf der Basis der noch umfassenden auch ökonomischen Möglichkeiten. In Konferenzen z. B. im Haus der Wannseekonferenz in Berlin sowie in Straßburg im Herbst 1944 wurde der Übergang geplant. Ökonomisch und organisatorisch. Das Doppelspiel auch zur Täuschung war: Es gab ab Herbst 1944 die ARLZ-Maßnahmen in Zuständigkeit der Gauleiter als Reichsverteidigungskommissare – Aulösungs-, Räumungs-, Lähmungs- und Zerstörungs-Maßnahmen. Es gab auf der parteistaatlichen Ebene regionale »Richtlinien für Maßnahmen bei unmittelbarer Feindbedrohung und Feindbesetzung«. Hierzu zählte der Aufruf von Gauleiter Friedrich Karl Florian am 10. April 1945 in der Rheinischen Landeszeitung zum »Kampf dem jüdischangloamerikanischen Sklaventum«. Und es gab die NSDAP-internen Maßnahmen zum »Täuschen – Tarnen – Verpissen«, wie sie in der Eidesstattlichen Erklärung des Osterather Nationalsozialisten Josef Smeets am 25. August 1945 deutlich werden, aufgenommen durch den Hilfspolizisten Heinrich Eller (Stadtarchiv Meerbusch Bestand Osterath, Entnaziizierung): Nach der Befreiung von der US-Armee für das Rheinland herausgegebene deutschprachige Zeitung, 3. Juli 1945 Die zweite Intrige | 117 »Am 15. September 1944 erhielten wir als Ortsgruppe den Befehl von der Kreisleitung in Neuss sämtliche Unterlagen der Ortsgruppe und der einzelnen Ämter, sämtliche Parteisachen in Kisten zu verpacken, weil dieselben von der Kreisleitung abgeholt würden. Die alten Sachen wurden bei Stein auf Anordnung durch den Ortsgruppenleiter (Dohmen, LK) verbrannt. Die Parteisachen (Schritstücke) wurden nach ein paar Tagen durch Hubert Gather nach Neuss gebracht … Der nach September 1944 eingegangene Schrit verkehr und Anordnungen befanden sich im persönlichen Besitz von Dohmen in Mappen mit dem Vermerk: Geheim. Wo dieselben geblieben sind, weiß ich nicht.« »Der lautlose Übergang von der Lüge zum Selbstbetrug ist nützlich: Wer auf ›Treu und Glaube‹ lügt, lügt besser, spielt seine Rolle besser, indet leichter Glauben beim Richter, beim Historiker, beim Leser, bei Frau und Kindern.« Primo Levi. Die Untergegangenen und die Geretteten. Terroristische Bewegungen wie die NSDAP stellen sich auf jede Situation aus ihrer Perspektive ein. Dabei antizipieren sie auch das Bild, das ihre Feinde von ihnen haben. Um dies dann zu instrumentalisieren. So wurden aus überzeugten Nationalsozialisten gute Katholiken. Da sie antizipiert hatten: Insbesondere die West-Alliierten hatte ein Deutschlandbild, nach dem es eine Klut zwischen NSDAP und katholischen Eliten gegeben habe. Das berechnend wurde zwischen den NSDAP-Aktivisten vor Ort auch vereinbart, wessen Namen dann nicht in zu schreibende NSDAP-Mitgliederlisten autauchen sollen. Wie in Osterath der Name Rudolf Lensing. Im Kölnischen Kurier inden wir am 7. Juli 1945 den Artikel »Der Dritte Weltkrieg war schon im Geheimen vorbereitet«. Beschrieben wird der Bericht des US-Unterstaatssekretärs im Außenministerium Clayton vor einem Untersuchungsausschuss des Senats: »Selbst während große Teile deutschen Gebietes schon von den alliierten Armeen bereits besetzt waren, schaten die Nationalsozialisten noch beträchtliche Geldmittel und besonders ausgebildete Fachleute ins Ausland, um dort Hilfsmittel für einen neuen Versuch der Welteroberung anzusammeln.« Dieses Komplott wurde aufgedeckt. So inden sich auch Artikel über Schein-Selbstmorde von NSDAP-Aktivisten: Täuschen – Tarnen – Verpissen – Weitermachen bis zum »Endsieg« – dem »deutschen Frieden«. Es gibt in diesem Kontext Selbsttötungen, die kritisch gesehen werden können. Wie die von Terboven als Reichsstatthalter in Norwegen – Gauleiter Essen, Oberpräsident Rheinprovinz, ein sehr enger Hitler-Vertrauter – in seinem Residenzbunker bei Oslo. Der US-amerikanische Ortskommandant Mondell bestellte am 10. April 1945 Rudolf Bartels, Rechtsanwalt Dr. homassen und Fabrikant Georg Stoessel ein, seine Kandidaten für das Amt des Bügermeisters. (KK 875 Bl. 128f.) Dr. homassen und Stoessel lehnten ab, weil ihre Berufsplichten sie bänden und weil sie in der Kommunalverwaltung unerfahren seien. Bartels ließ sich überzeugen und dann zusichern, dass Mondell ihn bei den von ihm erwarteten örtlichen Problemen unterstützt. »Alles wurde zugesagt und auch bis zum Abzug der Amerikaner gehalten. Bereits einige Wochen Nach der Befreiung von der US-Armee für das Rheinland herausgegebene deutschprachige Zeitung, 12. Juli 1945 118 | Die zweite Intrige später verfasste ein hier ansässiger übelbeleumdeter Zeitungsreporter Karl Hubert Meier (Strafregisterauszug beiliegend) eine Eingabe an die amerikanische Besatzung, die unwahre Behauptungen über mich enthielt. Diese Schmähschrit über mich überbrachte der hiesige katholische Pfarrer persönlich der Militärregierung … Der Pastor Hövelmann … trat für seinen Schützling Recken ein, weil dieser Katholik ist … Er wird geschützt durch eine kleine, aber örtlich einlussreiche Klique, die sich zum Teil aus früheren Nationalsozialisten zusammensetzt. Bürgermeister Recken versucht erklärlicher Weise aus dieser Situation für sich Nutzen zu ziehen. Er lässt durch den Pfarrer behaupten, dass er niemals innerlich Nationalsozialist gewesen sei. Ich stelle hingegen zum Beweis, dass er Parteimitglied war und sogar in öfentlichen Parteiversammlungen als Redner für die Partei aufgetreten ist.« Die autistische Perspektive der katholischen Dorfelite ist festgehalten in der Chronik der Pfarrei St. Nikolaus Osterath: »Auf ganz seltsame Weise wurde der Bürgermeister Hugo Recken beiseite geschoben. Sein Vorgän- ger brachte es fertig, ihn fast ein Jahr aus dem Amt zu treiben. Dann konnte er in sein Amt zurückkehren.« Die extrem selektive Wahrnehmung schließt alles aus, was nicht »passt«, insbesondere was von außen kommt. Es kann ausschließlich in persönlichen Feindbildern gedacht werden. Hier der Protestant, der den guten Katholiken aus dem Amt drängt, der dann zurückkehren kann, also seinen legitimen Platz wieder einnehmen kann. Das Pathologische daran: Es hat sich bis heute in Meerbusch nichts geändert: »Die Vorwürfe von Klouten gegen Recken.« »Es wird um Abschiebung des Juden gebeten.« Fakten werden bürokratisch im Sinne von struktureller Gewalt zu persönlichen Meinungen umdeiniert, die inkompetent und illegitim seien, insbesondere persönlich auf den vermeintlichen Absender bezogen. Annette Barfurth-Igel führt zu dieser ersten Phase von Bürgermeister Rudolf Bartels aus (S. 557): »Zu seiner Beratung und Unterstützung ernannte die Militärregierung noch als vorläuige Gemeinderäte den Rechtsanwalt Dr. Gustav homassen sowie den Fabrikanten Georg Stoessel und berief den als Kommunisten bekannten Anton Wienands zum besoldeten Beigeordneten. Die Bevölkerung wurde auf die neue Verwaltung mit dem Hinweis verplichtet, dass ›den Anordnungen der neuen Gemeindeverwaltung unbedingt Folge zu leisten sei‹.« In der Übergangsphase zwischen Recken und Bartels leitete die rechte Hand von Hugo Recken, Johannes Herbrandt, Ende März bis zum 10. April die Gemeinde kommissarisch. Was ihm die Chance gab, sowohl gegenüber Ortskommandant Mondell, den Mitarbeitern in der Gemeindeverwaltung als auch der verbündeten Allianz katholischer Geistlichkeit und katholischer Gemeindeelite im gemeinsamen Interesse für die Zukunt mit Recken weiter – auch illegitimen – Einluss zu nehmen. Er führte seine Rolle im nationalsozialistischen Terrorsystem bruchlos weiter. Das war möglich, weil ihn Ortskommandant Mondell trotz aller über ihn vorliegenden Informationen im Amt ließ, Mondell ließ sich täuschen. Mit gesellschat lichen Konsequenzen bis heute. Kleine Ursache, große nachhaltige Wirkung. Im Pfarrarchiv Osterath inden wir das folgende Dokument (K16/157): »Johann Mathias Münks, geboren am 25. 5. 1892 zu Osterath, hat heute vor mir und den beiden mitunArtikel von Dwight D. Eisenhower, Oberkommando der alliierten Streitkräfte in Europa , 2. April 1945 Die zweite Intrige | 119 Nach der Befreiung von der US-Armee für das Rheinland herausgegebene deutschprachige Zeitung, 12. Juli 1945 120 | Die zweite Intrige terzeichneten Zeugen Leo Hövelmann und Joseph Tepel den früheren Irrlehren abgeschworen und das vorgeschriebene Glaubensbekenntnis abgelegt. Darauf ist Krat bischölicher Ermächtigung vom 7. Nov. 1946 Johann Mathias Münks durch mich seine Aufnahme in den Schoss der katholischen Kirche erfolgt. Hövelmann Pfarrer …« Die Irrlehre war der Nationalsozialismus. Die verlorenen Schafe wechselten von »heim ins Reich« zu »heim ins himmlische Reich«. Nachdem sie ein »Reueprotokoll« unterschrieben und eine dreimonatige »pfarramtliche Unterrichtung in den religiösen Wahrheiten« absolviert hatten, wurden sie feierlich in die katholische Kirche wieder aufgenommen (Hövelmann S. 13) Es fand also eine katholischideologische Umerziehung statt, eine Reeducation besonderer Art. Die erfolgreich Umerzogenen haben dann sicherlich auf Auforderung von Pfarrer Hövelmann Briefe unterschrieben, um den Katholiken Recken wieder gegen den Protestanten Bartels durchzusetzen. In der Chronik der Pfarrei St. Nikolaus Osterath lesen wir: »Zwischen 1933 und 1944 waren 61 Katholiken aus der Kirche ausgetreten. Viele davon wegen ihrer Parteizugehörigkeit. Nun kehrten 27 wieder zurück.« Wohin kehrten sie konkret zurück? Pfarrer Hövelmann hat als Lehrer für katholische Religion in Krefeld 1934 seinen Amts-Eid auf Adolf Hitler unterschrieben, wie seiner Personalakte im Stadtarchiv Krefeld im Original zu entnehmen ist. Die zuständigen britischen Behörden sahen ihn als aktiven Unterstützer der NSDAP an, daher musste er das Entnaziizierungsverfahren durchlaufen, was seiner Entnaziizierungsakte im Staatsarchiv NRW entnommen werden kann. Sein Habitus wird auch daran deutlich, dass er, wie vielfach überliefert ist, als Lehrer an der katholischen Dorfschule in Osterath ot Kinder misshandelt hat. Ein in verschiedener Weise gewaltsamer Mensch in einer gewaltsamen Gesellschat – mit dem katholischen Mantel. Die US-amerikanische Journalistin Martha Gellhorn berichtete im April 1945 aus dem Rheinland: »Niemand ist ein Nazi. Niemand ist je einer gewesen. Es hat vielleicht ein paar Nazis im nächsten Dorf gegeben und es stimmt schon, diese Stadt da, zwanzig Kilometer entfernt, war eine regelrechte Brutstätte des Nationalsozialismus. Um die Wahrheit zu sagen, ganz im Vertrauen, es hat hier eine Menge Kommunisten gegeben. Wir waren schon immer als rot verschrien. Oh, die Juden? Tja, es gab eigentlich in der Gegend nicht viele Juden. Zwei vielleicht, vielleicht auch sechs. Sie wurden weggebracht. Ich habe sechs Wochen lang einen Juden versteckt … Wir haben nichts gegen Juden; wir sind immer gut mit ihnen ausgekommen. Wir haben lange schon auf die Amerikaner gewartet. Ihr seid gekommen und habt uns befreit … Die Nazis sind Schweinehunde … Oh, wie wir gelitten haben … Die Bomben … Sie reden alle so. Wir stehen mit fassungslosen und verächtlichen Gesichtern da.« Am 22. Juni 1945 lösten die Briten im heutigen Nordrhein-Westfalen die US-Amerikaner ab. Im August 1945 hatte Osterath 4.391 Einwohner. Ähnlich wie 1933 mit 4.314 Einwohnern. Die rechte Hand von Hugo Recken als Bürgermeister ab Januar 1934 war der Gemeindebeamte Johannes Herbrandt, seit dem 11. Juli 1933 in einer Gehilfenstelle bei der Gemeinde Osterath beschäftigt. (KK 1022 Bl. 309f.) Herbrandt wurde vom USamerikanischen Ortskommandanten Mondell im Gegensatz zu Recken in der Gemeindeverwaltung belassen. Herbrandt war von 1936 bis 1945 im Reichsbund der deutschen Beamten, in diesem Kontext »Vertrauensmann der Gemeindebeamten«. 1938 wurde er Mitglied der NSDAP, 1933 der SA, und war stellvertretender Blockwart in Osterath. Beginnend am 11. Juli 1933 als Gemeinde-Inspektor brachte er es im Laufe seiner Symbiose mit und für Recken in zwölf Jahren bis zu seiner Ernennung zum stellvertretenden Gemeindedirektor am 23. Februar 1946. Herbert Roser (S. 76) schreibt: »Nach der ›Machtergreifung‹ bildeten die NS›Vertrauensmänner‹ die unterste Stufe des überall in der Verwaltung verbreiteten Spitzelsystems … Auf lokaler Ebene wurden außerdem ›Beamtenarbeitsgemeinschaten‹ gebildet, deren Mitglieder sich größtenteils nicht aus beamteten Parteigenossen, sondern Angehörigen und Sympathisanten der NS-Bewegung zusammensetzen.« Sympathisanten einer terroristischen Bewegung. »Das Parteiprogramm bildet die Richtschnur für das Tun und Lassen des Beamten.« Dr. Karl Vogt. Hauptschriftleiter des Reichsbundes deutscher Beamter 1939 Auf der Webseite des Bundesarchivs lesen wir: »Dem Hauptamt (der NSDAP für Beamte, LK) ob- Die zweite Intrige | 121 lag u. a. die Betreuung des 1934 errichteten Reichsbund Deutsche Beamte (RDB), ein der NSDAP angeschlossener Verband. Der Leiter des Hauptamtes für Beamte war in Personalunion Reichswalter des RDB. Aufgabenbereich war u. a. die Beförderung und Versetzung.« Gössel schreibt zum »Reichsbund Deutscher Beamter« (S. 107): »Der Reichsbund Deutscher Beamter … wurde zur Einheitsorganisation für alle Beamte … Zu seinen Aufgaben gehörten lt. Satzung die Erziehung der Mitglieder zu vorbildlichen Nationalsozialisten.« Im Deutschen Beamtengesetz 1937 lesen wir: »§ 1 (1) Der deutsche Beamte steht zum Führer und Reich in einem öfentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis (Beamtenverhältnis). (2) Er ist Vollstrecker des Willens des von der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei getragenen Staates. (3) Der Staat fordert von dem Beamten unbedingten Gehorsam und äußerste Plichterfüllung; er sichert ihm dafür eine Lebensstellung. §3 (2) Der Beamte hat jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einzutreten und sich in seinem gesamten Verhalten von der Tatsache leiten zu lassen, dass die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei in unlöslicher Verbundenheit mit dem Volke steht. §4 (1) Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reichs und Volks, Adolf Hitler, treu und gehorsam sein …« Prof. Dr. Arthur Brand führte dazu in seinem Kommentar zum DBG u. a. aus: »Das sog. Ethos des Berufsbeamtentums … kommt darin zum Ausdruck, dass die Partei mit ihrem nationalsozialistischen Ideengut den Staat und die ihn verkörpernde Beamtenschat führt … Der neue Staat verlangt eine Beamtenschat, … die unausgesetzt tatkrät ig mithelfen muss, den Sieg der nationalsozialistischen Bewegung im Volke mehr und mehr zu festigen … Der Beamte ist politischer Soldat in Zivil … Es gilt der Satz; ›Erst Deutscher (Nationalsozialist), dann Beamter.‹« Die am 21. April 1933 verfügte Mitgliedssperre der NSDAP ab dem 1. Mai 1933 wurde am 20. April 1937 gelockert. »… für diejenigen Volksgenossen verfügt worden, die durch ihre nationalsozialistische Haltung und Betätigung in den Jahren seit der Machtübernahme des Führers sich eine Anwartschat auf Aufnahme in die NSDAP erworben haben. Bei der Aufnahme von Volksgenossen in die NSDAP muss oberster Leitsatz aller mit der Aufnahme befassten Dienststellen der Partei sein, dass der Führer in der Partei eine verschworene Gemeinschat politischen Kämpfertums gestaltet wissen will. In die NSDAP sollen nach dem Ausspruch des Führers nur die besten Nationalsozialisten aufgenommen werden. Die Freiwilligkeit ist eines der wertvollsten und wesentlichsten Merkmale der Bewegung, das voll aufrechterhalten werden muss.« Weiter auf Seite 127 Bundesarchiv Berlin: NSDAP-Aufnahmeantrag Paul Salitter 122 | Die zweite Intrige Hauptamt für Beamte der Reichleitung der NSDAP. ABC des Deutschen Beamtengesetzes. Berlin 1940: Themenfokussierte Zusammenfassung »Die Nazis belügen Gott und die Menschen.« Sebastian Haffner. Germany: Jekyll & Hyde. 1939. S. 103. der Skrupellosigkeit. Der Novize muss in der Lage und dazu bereit sein, die Schutzlosen zu verfolgen, zu berauben und zu ermorden.« Diese Quelle ist ein Fraktal: Für das, in welchem Legitimations-Kontext Beamte handelten, deutsche Bürokratien insgesamt und die deutsche Gesellschat insgesamt. Sowie wie alle Teilaspekte von der NS-Führung vernetzt organisiert waren, damit Eigendynamik und Synergien erhielten – im Sinne der Realisierung des NSDAP-Programms, im Zentrum die Ermordung aller »Juden« der Welt. Sebastian Haffner. Germany: Jekyll & Hyde. 1939. S. 70. In dieser Quelle wird deutlich: Jedes einzelne Wort, dies dann vernetzt mit den Sätzen, Absätzen, Artikeln und Gesamt-ABC ist aus nationalsozialistischer Perspektive zu verstehen, es ist ein ABC des nationalsozialistischen Selbst-Verständnisses. So wie Sebastian Haf ner in Jekyll & Hyde, 1939, feststellte: Wenn Nationalsozialisten »Weiß« sagen, dann verstehen wir – erst einmal – »Schwarz« – und umgekehrt. Die speziische ideologisierte NS-Sprache muss übersetzt, dekodiert werden, um den Sinn hinter den Buchstabenkombinationen zu verstehen, zu deuten, zu interpretieren – und Schlüsse daraus zu ziehen. Alles wird umgewertet, in sein Gegenteil verkehrt. Zur Legitimation des Mordens. »Diese Männer kennen keine Religion, Moral und Ästhetik. Nicht einmal eine soziale Norm … Die Naziführer haben nichts, keine Verfassung, kein Prinzip, kein Ideal. Sie dienen nicht einmal ihrem Land.« In diesem Kontext mein Hinweis auf: Lutz Winckler. Studie zur gesellschat lichen Funktion faschistischer Sprache. Frankfurt a. M. 1977. Sprache und Ideologie dienten den Nationalsozialisten als Machtinstrument für ihre gesellschat lich totale terroristische Herrschatsausübung. So wie es fraktal in allen Diktaturen und terroristischen Bewegungen ist, allen Kulturen des Todes. »Leistungen als Beamte für ›Führer, Volk und Reich‹ « bedeutet: Nach und mit allen Kräten gelebte Volksgemeinschat im Sinne von unbegrenztem Kampf gegen Gemeinschatsfremde mit allen »legalen« Mitteln, also allen Mitteln bis zur Ermordung. Sebastian Haffner: Germany: Jekyll & Hyde. 1939. S. 53. »Deutscher Friede« bedeutet: Alle als Juden willkürlich deinierte Menschen sowie alle anderen willkürlich als gemeinschatsfremd deinierten Menschen sind weltweit ermordet. Also alle Menschen, die nicht-arisch und nicht pathologische Nationalsozialisten sind, so gut wie die gesamte Menschheit. »Die entscheidenden Merkmale der Naziführer sind grenzenlose Korruption, grenzenlose Tüchtigkeit und grenzenloser Zynismus.« Sebastian Haffner. Germany: Jekyll & Hyde. 1939. S. 43. »Deutsch« bedeutet: Bewusst ein Teil der »arischen« »Volksgemeinschat« zu sein. Woraus sich Vernetzungen ergeben, insbesondere die selbstverständliche Übernahme der Umkehrung: »Gemeinschatsfremde«, also insbesondere »Juden«, werden ausgegrenzt und ermordet. Denn als Gemeinschatsfremde haben sie kein Lebensrecht, sind lediglich eine unzumutbare Belastung der Volksgemeinschat. »Ein im deutschen Volk wurzelndes, von nationalsozialistischer Weltanschauung durchdrungenes Beamtentum, das dem Führer des Deutschen Reiches und Führer Adolf Hitler in Treue verbunden ist, bildet einen Grundpfeiler des nationalsozialistischen Staates.« bedeutet: Die Volksgemeinschat-Bürokratie setzt adaptierend den Willen von Adolf Hitler zum Mord an allen »Gemeinschatsfremden« um, schat dazu die Voraussetzungen, inkl. der efektiven und eizienten Realisierung: Kostengünstiger Mord an allen willkürlich als gemeinschatsfremd deinierten Menschen – in Vernetzung mit den weiteren Macht-»Pfeilern«, also insbesondere NSDAP, Polizei inkl. Gestapo und Wehrmacht. »Ziel und Richtung des Staates werden durch die nationalsozialistische Weltanschauung und durch die Partei bestimmt.« bedeutet: Der Primat der pathologischen Welt-Anschauung, des Welt-Verständnisses der pathologischen Nationalsozialisten als Vorgabe im Sinne des NSDAP-Programms: grenzenloser Mord. Die NSDAP als Instrument Hitlers ist der Staat, dessen von allen Beamten gelebtes Kernziel die Ermordung aller Gemeinschatsfremden ist. »Die Prüfung zur Feststellung der Eignung als Nazi ist jedoch keine Mutprobe, sondern dient dem Nachweis »Die außerordentliche Wirkung seiner primitiven Propaganda erklärt sich … daraus, dass Hitler von Anfang »Hitler verfolgt keine Idee, dient keinem Volk, hat kein staatsmännisches Konzept, sondern befriedigt einzig sein Ego. Seine Motive sind sture Eigenliebe, Erbitterung und korrupte Phantasie. Er ist ein armseliger Mensch – ohne Würde, ohne Haltung, ohne wahre Größe … Alles ist vorgetäuscht und Taktik.« Sebastian Haffner. Germany: Jekyll & Hyde. 1939. S. 27. Die zweite Intrige | 123 an Propaganda, Überzeugen und Verhandeln mit Gewalt und Terror verknüpt hat. Gewalt, ständige, direkte unverhüllte Anwendung nackter Gewalt, um jeder Behauptung und Forderung Nachdruck zu verleihen – das ist Hitlers Methode, mit der er steht oder fällt.« Sebastan Haffner. Germany: Jekyll & Hyde. 1939. S. 24. »Aktive Betätigung … Der Beamte darf nicht nur Mitläufer, er muss Mitkämpfer des Führers sein.« bedeutet: Bewusste aktive Adaption des Führerwillens – im Sinne des Führerprinzips. Es konnte bei den Beamten keine »Mitläufer« geben – wie sie sich dann nach 1945 in den Entnaziizierungsverfahren – meist mit Erfolg – präsentiert haben. Denn wer von Nationalsozialisten als »Mitläufer« verstanden wurde, der wurde sofort entlassen. »Von Angst und Ehrgeiz getrieben handeln sie gegen ihr Gewissen.« Sebastian Haffner. Germany: Jekyll & Hyde. 1939. S. 102. »Außerdienstliches Verhalten« bedeutet: Im Bewusstsein seiner NS-Stellung tritt der »deutsche« Beamte immer und überall als Vollstrecker des hitlerschen Willens auf. Das gilt im besonderen Maße für Beamte, die »Politische Leiter« sind, wie z. B. Blockleiter. Totale gesellschat liche Machtausübung, es gibt kein im Sinn des NSDAP-Programms unpolitisches Privatleben. »Hitlers Doktrin, wonach nur die größten Lügen eine Chance haben, geglaubt zu werden – weil es unmöglich scheint, dass jemand den Mut hat, sie auszusprechen.« Sebastian Haffner. Germany: Jekyll & Hyde & Hyde. 1939. S. 44, »Deutscher Gruß »Heil Hitler« bedeutet: Die Beamten grüßen immer – im Dienst und außerdienstlich – mit dem »Erheben des rechten Armes und durch den gleichzeitig deutlichen Ausspruch ›Heil Hitler‹«. Als gleichzeitige Ergebenheitsgeste und Machtdemonstration. Ein Fraktal für diesen Aspekt der NSRealität. An dieser Stelle passend der aus meiner Perspektive trefendste Flüster-Witz aus der NS-Zeit: »Heil Hitler!« – »Heil Du ihn.« »Flaggenhissung. Das Hissen der Hakenkreuzfahne bei feierlichen Anlässen (z. B. Geburtstag des Führers, 1. Mai, Entedankfest, 9. November usw.) gehört zu den Plichten eines jeden deutschen Beamten.« »Gefolgschatsappelle, die meist aus besonderen Anlässen oder aus Anlass allgemeiner Gedenktage stattinden, bekunden den nationalsozialistischen Geist der Betriebs- und Behördenangehörigen und ihre Verbundenheit untereinander und mit den übrigen Volksgenossen.« bedeutet: Alle Formen von Ergebenheitsgesten und Macht- 124 | Die zweite Intrige demonstrationen sind vernetzt. »Gehorsam. Will ein Beamter die Plicht zur Treue seinem Führer gegenüber ganz erfüllen, so muss er unbedingt alles tun, was ihm dienstlich geheißen wird.« bedeutet: Selbstverständlicher preußisch-bürokratischer Kadavergehorsam. »Führer beiehl, wir folgen.« Im Sinne des Führerprinzips: Es ist klar, was Hitler will, und es wird selbstverständlich exekutiert. »Er lebt in der ständigen Angst, betrogen zu werden, und fühlt sich nur sicher, wenn er jemand einen Schlag versetzen kann; er hat kein friedliches, sondern ein kriegerisches Selbstbewusstsein.« Sebastian Haffner. Germany: Jekyll & Hyde & Hyde. 1939. S. 32. »Mitgliedschat bei Gliederungen der Partei und den ihr angeschlossenen Verbänden«. Als Mitglied des Reichsbund Deutscher Beamte: »Unterstützung der Regierung als Vollzieher der Weisungen des Führers in ihren beamten-politischen Maßnahmen.« bedeutet: Da aus Perspektive der Nationalsozialisten alles Handeln politisch war, meint diese Formulierung den selbstverständlichen Hinweis auf die Rolle der Beamten in der Ermordung der »Gemeinschatsfremden«. »Nationale Feiertage«. Ernennung und Beförderung i. d. R. zu nationalen Feiertagen: »30. Januar, 20. April, 1. Mai, 30. September, 9. November«, bevorzugt »der Geburtstag des Führers«. So indet es sich auch bei NSDAP-Mitgliedschaten. Hugo Recken: 1. Mai 1933. Als – freiwillige – Ergebenheitsgeste. »Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei. Die NSDAP ist Trägerin des neues deutschen Staates« als »Körperschat des öfentlichen Rechts«. bedeutet: Die schein-juristische schein-legale Vernetzung von NSDAP und deutschem Staat – das Primat der NSDAP: Ein Partei-Staat, in dem die formalen staatlichen Institutionen die tote Legitimations-Hülle für bürokratische Realisierung des hitlerschen terroristischen Willens sind. »Nationalsozialistische Presse. Das regelmäßige Studium der nationalsozialistischen Tagespresse, in erster Linie des Völkischen Beobachters, gehört zu den unerlässlichen Plichten des deutschen Beamten.« bedeutet: Selbstverständliche und freiwillige Selbst-Indoktrinierung durch das Göbbels-Zentralblatt, über das die oiziellen »Sprachregelungen« des NS-Staats-ParteiStaates kommuniziert wurden. Internalisierung des eliminatorischen NS-Antisemitismus, der selbstverständlich exekutiert wurde. »Ich habe nur meine Plicht getan, kein Unrecht begangen, als katholischer Christ gehandelt, war gezwungen.« »Öfentliche Kundgebungen und sonstige Veranstaltungen der NSDAP. Diese Kundgebungen sind dazu bestimmt, den deutschen Volksgenossen zum Nationalsozialistischen Staatsgedanken zu erziehen. An ihr müssen deshalb auch alle Beamten in erster Linie teilnehmen.« bedeutet: Die Nationalsozialisten vernetzten alle ihre MachtMöglichkeiten zur tiefen Implantierung des selbstverständlichen Mordes an allen »Gemeinschatsfremden«. »Opferbereitschat. Der Beamte muss bereit sein, für sein Vaterland und sein deutsches Volk jedwedes Opfer zu bringen.« bedeutet: Sich selbst bewusst freiwillig zum Sklaven zu machen, Preisgabe der eigenen Würde, des persönlichen Selbst. Um alle humanen gesellschat lichen zivilisatorischen Schranken abzulegen, so zum perfekten Instrument des Vernichtungs-Willens Hitlers und seiner Vasallen zu werden. Sich freiwillig und bewusst zu einem armseeligen Menschen zu transformieren. »›Deutschland‹ verlangt auch Opfer, die ganz allgemein als unehrenhat angesehen werden: Opfer an Charakter, Gewissen, Einsicht und Moral.« Sebastian Haffner. Germany: Jekyll & Hyde. 1939. S. 124. »Partei und Staat«, »Wort des Führers: ›Nicht der Staat beiehlt uns, wir befehlen dem Staat‹.« Klarer und deutlicher ist es nicht zu formulieren. »SA. Sturmabteilung der NSDAP ist eine Gliederung der Partei. Der Beamte muss politischer Kämpfer sein; unpolitisch sein heißt, kein Interesse zu haben an der deutschen Volksgemeinschat, ein Haltung, die für einen Beamten des nationalsozialistischen Staates unmöglich ist.« Mitgliedschat in SA – oder SS – des Beamten als Plicht. »… dienen die deutschen Volksgenossen in erster Linie als Instrument zur Vertretung und Stärkung des Weltanschauungskampfes der Bewegung.« bedeutet: Synergetische Vertiefung der Bindung des Beamten an Hitler und damit an die selbstverständliche Mitwirkung im Rahmen aller persönlichen Fähigkeiten bei der Ermordung aller Gemeinschatsfremden. »Treueeid. Die dem Führer und Reichskanzler bis zum Tode zu haltende Treue wird mit dem Treueeid besiegelt.« »Die Naziführer haben überhaupt nichts für Deutschland getan. Sie lieben Deutschland nicht. Es ist ihnen völlig gleichgültig und sie bemühen sich niemals, es zu kennen oder zu befragen. Es würde ihnen auch nichts ausmachen, es zu zerstören.« Sebastian Haffner. Germany: Jekyll & Hyde 1939. S. 55. »Vaterlandsliebe« »Das erste Land, auf dem sie rumgetrampelt sind, war Deutschland. Nicht einmal Deutschland ist sich dessen genügend bewusst.« Sebastian Haffner. Germany: Jekyll & Hyde. 1939. S. 57. »Plichten« bedeutet: Selbstverständliche freiwillige bewusste Realisierung des NSDAP-Programms. »Politische Leiter. Bei Beamten, die Politische Leiter sind, gilt ein Verhalten im Rahmen ihrer parteiamtlichen Tätigkeit nicht als außerdienstliches Verhalten.« »Keine Vaterlandsliebe, sondern Vaterlandsbindung. Es ist ein Gefühl, das die sittliche, geistige und ästhetische Verantwortung teilweise lähmt. Es ist sozusagen ein blinder Fleck im geistigen Auge.« Sebastian Haffner. Germany: Jekyll & Hyde 1939. S. 125. »Völkische Plichten« »Der Machthaber ist niemandem gegenüber verantwortlich, er ist respektabel und unangreibar.« Sebastian Haffner. Germany: Jekyll & Hyde. 1939. S. 24. »Politische Plichten … er jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat eintritt und für die Idee Adolf Hitlers kämpt und die nationalsozialistische Weltanschauung gegen jeden Angrif verteidigt. Zur Plicht des Beamten der Partei gegenüber gehört es auch, dass er alle Vorgänge, die den Bestand des Reiches oder der NSDAP gefährden könnten, zur Kenntnis eines Dienstvorgesetzten bringt.« bedeutet: Redundante Formulierung zu dem, was bereits vorher kommuniziert wurde. Und sowohl Auforderung zur Denunziation als auch Drohung für den Fall des Unterlassens. Ausdruck des grundsätzlichen und pathologischen Misstrauens der Nationalsozialisten gegenüber allen anderen Menschen – weil sie sich selber kannten. »Volksgemeinschat« »Diese Deutschen führen ein Doppelleben wie Dr. Jekyll and Mr. Hyde.« Sebastian Haffner. Germany: Jekyll & Hyde. 1939. S. 105. »Für den Durchschnittsdeutschen existiert eine private und eine politische Moral, wobei die politische Moral das ganze Gegenteil von der privaten ist. Verrat, Erpressung, Diebstahl, Meineid, Mord, Raub sind nach deutscher Aufassung im politischen Leben keine Verbrechen und Exzesse wie im Privatleben.« Sebastian Haffner. Germany: Jekyll & Hyde. 1939. S. 116. Die zweite Intrige | 125 Bundesarchiv Berlin: NSDAP-Zentralkartei Johannes Herbrandt (Vorder- und Rückseite) Bundesarchiv Berlin: NSDAP-Gaukartei Johannes Herbrandt 126 | Die zweite Intrige NSDAP-Reichsschatzmeister und Oberster Parteirichter (Hrsg.). Richtlinien für das Verfahren bei der Aufnahme neuer Mitglieder in die Partei. O. O. 1937. Im Bundesarchiv Berlin, NS 001/001117 »Bei der Lockerung der Mitgliedersperre 1937, die zeitlich mit dem stark erhöhten Personalbedarf nach der Umstrukturierung der Blöcke zusammeniel, wurde versucht, gezielt ›Volksgenossen‹ aufzunehmen, die zu aktiver Mitarbeit bereit waren und dies bereits in anderen NS-Organisationen in den vergangenen Jahren unter Beweis gestellt hatten.« Müller-Botsch. S. 296. »Über die Bestimmungen zur Aufnahme von Mitgliedern steuerte die NSDAP zugleich die Zusammensetzung des Funktionärskorps entlang der NS-Rassepolitik und legte immer strengere Kriterien bei der Aufnahme und Funktionsübertragung an.« Müller-Botsch. S. 98. Johannes Herbrandt gab seinen NSDAP-Aufnahmeschein bei der NSDAP-Ortsgruppe Osterath ab. Der Aufnahmeschein ging mitsamt einer positiven Stellungnahme von NSDAP-Ortsgruppenleiter Panzer an einen für Parteiaufnahmen gebildeten Prüfungsausschuss bei der NSDAP-Kreisleitung in Kempen. Dieser Prüfungsausschuss bewertete in einer Sitzung in Anwesenheit von Ortsgruppenleiter Panzer und zwei weiteren »verdienten« Osterather NSDAP-Mitgliedern, ob Herbrandt die notwendigen Voraussetzungen zur Aufnahme in die NSDAP erfüllt. Kreisleiter Diestelkamp stimmte dem positiven Prüfungsergebnis zu, Herbrandt war in die NSDAP aufgenommen. Denn der Düsseldorfer NSDAP-Gauleiter Florian verzichtet auf sein letztes und entscheidendes Wort. »Diese Leute, die allein schon dadurch einen Beweis für Charakterschwäche geliefert haben, dass sie die Aufnahme in die Partei beantragen, tendieren, sobald sie ihr angehören, ohne Zweifel dazu, rasch ihre bisherigen Meinungen aufzugeben und das nazistische Gedankengut zu übernehmen.« Sebastian Haffner. Jekyll & Hyde. 1939. S. 89. Mitglied der NSDAP zu werden bedeutete das bewusste Bekenntnis zum gelebten nationalsozialistischen eliminatorischen Antisemitismus. Es war immer ausdrücklich freiwillig und auf eigenen Antrag. Die NSDAP war eine nach außen geschlossene terroristische Gesinnungs- und Kampfgemeinschat, die alles tat, um aus ihrer Perspektive nicht unterwandert zu werden. Um in ihr Aufnahme zu erhalten, musste der dies Begehrende beweisen, dass er dieser Ehre und diesem Privileg durch sein Organisationhandbuch der NSDAP 1937: Block- und Zellensystem der NSDAP praktisches Tun – in seinem privaten und berulichen Leben, aus NS-Perspektive auch eine untrennbare politische Einheit – im Sinne des NSDAPProgramms durch Gefolgschat und Treue würdig war. Als einlussreicher Gemeindebeamter mit konkreten existenz- und lebensbedrohenden Konsequenzen für die von dieser terroristischen ParteiStaats-Ideologie auf Basis des NSDAP-Programms betrofenen »Gemeinschatsfremden«, insbesondere denen, die an erster Stelle gemeint waren: »Der Jude ist unser Unglück.« »Juda verrecke.« Die NSDAP-Mitgliedskarte erhielt Herbrandt von der dafür zuständigen NSDAP-Reichsleitung. In der Zwischenzeit war er »Parteianwärter«. Damit oblagen ihm alle Plichten der Parteigenossen, insbesondere die Melde- und Beitragsplicht, allerdings konnte er nicht alle Rechte eines ordentlichen NSDAP-Mitglieds beanspruchen. Nachdem er wie vorgesehen seine NSDAP-Mitgliedskarte innerhalb von drei Monaten erhalten hatte, war er NSDAPMitglied mit allen Plichten und Rechten. Der Schulungsleiter der NSDAP-Ortsgruppe Osterath leitete NSDAP-Veranstaltungen, um die »NSDAP-Tauglichkeit« neuer Mitglieder wie Herbrandt zu prüfen. Die Teilnahme war obligatorisch. Nur wer diese NSDAP-Kurse »erfolgreich« absolvierte, kam für »höhere« Aufgaben wie der Mitarbeit in NSDAP-Blocks in Betracht. Wie dies bei Die zweite Intrige | 127 Herbrandt der Fall war, der dann Blockleiter werden wollte. Dies bedingte, dass er zu den »besten Parteigenossen innerhalb der Ortgruppe zählte«. NSDAP-Ortsgruppenleiter Panzer berief Herbrandt zum Blockleiter-Anwärter. Nach einer mehrmonatigen Probezeit mit »erfolgreichem« Praxiseinsatz und dem »Nachweis der arischen Abstammung bis 1800« wurde Herbrandt auf Vorschlag von Ortsgruppenleiter Panzer von Kreisleiter Diestelkamp feierlich zum NSDAP-Blockleiter in Osterath ernannt. Wie alle Politischen Leiter der NSDAP trug Herbrandt eine hellbraune NSDAP-Uniform. Er hatte auch – über 1945 hinaus – seine graue SAUniform. Seine NSDAP-Dienstbezeichnung lautete Im »Dienstbuch für Blockleiter in der N.S.D.A.P.« lesen wir: »… die Hoheitsträger an der Front mitsamt den Zellen und Blockleitern … in steter Fühlung mit den Volksgenossen ihres Bereichs lebende Führer ihrer Gefolgschat sein sollen.« »Der Stellvertreter des Führers« Rudolf Hess »Die Block- und Zellenleiter sind mit die wichtigsten Politischen Leiter der Partei. Sie sind die Stütze unserer Organisation und tragen als unmittelbare Mittler der Partei dem Volk gegenüber eine ungeheure Verantwortung … Sie sollen die Seelsorger, Mittler und Vertrauensleute der Partei sein, die ihr höchstes Ziel darin sehen, das volle Vertrauen des ihnen anvertrauten Volksteils zu erhalten.« »Reichsorganisationsleiter« Dr. Robert Ley. »Der Blockleiter ist somit der äußere Führer der Partei und muss dazu beitragen, folgende Aufgaben möglichst restlos zu lösen.« a) Clearingstelle zu »allen wertvollen Volksgenossen«, also denen, die freiwillig und bewusst an der Umsetzung des NSDAP-Programms mitwirken. »b) alles Verwerliche, Sabotierende und das Volksganze Schädigende auszuschalten und dafür zu sorgen, dass Saboteure und Volksschädlinge durch die zuständigen Organe der Partei und des Staates unschädlich gemacht werden; denn die NSDAP will die Einheit, weil Zersplitterung Schwächung unserer Krat bedeutet.« Also »Ausschaltung« im Sinne von KZ und Ermordung aller »Reichsfeinde« wie »Gemeinschatsfremde«, um alle Kräte auf die Realisierung des NSDAP-Programms konzentrieren zu können, im Kern die Ermordung aller »Juden« weltweit, was einen globalen Eroberungskrieg bedingte. c) und d) Im Kern Redundanzen zu a) »Zu diesem Zweck muss der Blockleiter sich im klaren sein, und sich fortlaufend unterrichten.« a) b) c) zu a: »Er muss insbesondere wissen, dass er sich der Ehre, Politischer Leiter und damit Mitarbeiter des Führers sein zu dürfen, durch ständig neue Erfüllung der übernommenen Plichten stets von 128 | Die zweite Intrige neuem würdig zu erweisen hat … die Kameradschat als schönstes Erlebnis unserer politischen und weltanschaulichen Gemeinschat.« »zu b: Dieses Kameradschatsgefühl greit über auf das Volksganze. Im Kleinen muss die Einheit des Volkes angestrebt und verwirklicht werden.« Der Block als gesellschat liches Fraktal im terroristischen NS-Partei-Staat. »Mit der intensiven Überwachung und Schulung der Parteigenossenschat … auf das genaueste erledigt.« Allseitige Überwachung und Indoktrinierung im Sinne des NSDAP-Programms. »Bei der inanziellen Sicherung der Maßnahmen der Partei fallen dem Blockleiter ganz besondere Aufgaben durch die Einziehung der Mitgliederund Hilfskassenbeiträge, durch den Verkauf von Eintrittskarten, Broschüren, Plakaten, Anzeichen usw. zu.« Die NSDAP als hypermoderne MerchandisingPartei. Merchandising zur Abschöpfung von Kauk rat mit dem Ziel der Mit-Kriegsi nanzierung als Bedingung des Kern-ParteiprogrammZiels: alle »Juden« weltweit zu ermorden. Wobei dieses Merchandising – auch im Kontext der Blockhelfer – »allen wertvollen Volksgenossen« sowie denen gilt, die so ihre systemkonforme Haltung dokumentieren wollen. »Die Handhabung des Dienstbuches.« Ein Fraktal bürokratisch-perfekter Anweisung – Perfektion ohne Kontext zur Realisierung des NSDAP-Programms. Ein Beispiel von mehreren: »Das Öf nen des Markenhetchens erfolgt zweckmäßigerweise derart, dass Daumen und mittlerer Finger der linken Hand an der Ecke links oben und rechts unten einen kleinen Druck ausüben. Das Hetchen öf net sich dann von selbst wie eine Tüte und es können die Markenwerte mit der rechten Hand ohne weiteres herausgenommen werden. Nach Gebrauch ist das Markenhetchen dann stets wieder in die hierfür vorgeschriebene Tasche zu schieben.« Der kleine Fingerdruck für den Holocaust. Bild links: Lothar Klouten: Foto Blockleiter Bild rechts: SA-Sturmhauptführer »Blockleiter der NSDAP«. »Die Grundhaltung des Politischen Leiters ist soldatisch«, so das NSDAPOrganisationshandbuch. 1932 – vor der Machtüberragung am 30. Januar 1933 – waren die Kreisorganisationen gebildet worden, zeitgleich wurde das Block- und Zellensystem eingeführt. Ein Zufall? 1937 erfuhr das Blocksystem eine wesentliche Änderung: Von der Organisation nach der Anzahl der Parteigenossen wurde die Größe der Blocks nach Einwohnern bestimmt. Dies als Teil der bereits seit April 1933 laufenden Kriegsvorbereitungen, denn der von den Nationalsozialisten erwartete Bürgerkrieg blieb aus, sie konnten sich auf den äußeren Krieg konzentrieren. Die NSDAP deinierte den geographischen Bereich eines Blocks als »Hoheitsgebiet« – des jeweiligen Blockleiters als Führer der Partei- und Volksgenossen in »seinem« Hoheitsgebiet. In einem Block lebten etwa 170 Volksgenossen; »Juden« zählten nicht. Der Blockleiter wurde – jährlich wiederholend – persönlich auf Hitler vereidigt. Wie Beamte – auch der Polizei – und Wehrmachtsangehörige. In »seinem« Block, seinem »Hoheitsgebiet«, hatte Herbrandt mehrere ehrenamtliche Helfer, de- ren »Führer« er war. Diese Helfer waren z. T. nicht NSDAP-Mitglieder, hatten aber ihre »arische Abstammung« nachzuweisen. Diese »Blockhelfer« waren von Ortsgruppenleiter Panzer berufen und ernannt worden, soweit sie nicht NSDAP-Mitglieder waren. Die wurden von ihm wohl berufen, aber von Kreisleiter Diestelkamp ernannt. Blockhelfer waren »Vertrauensmänner der NSDAP«. Im Block, der Zelle und der Ortsgruppe Osterath gab es monatliche »Führerbesprechungen« und »Dienstappelle«. Für die monatlichen Trefen mit seinen Blockhelfern galt für Herbrandt: »Der Blockleiter legt für die Zukunt vorgesehene Aufgaben fest.« (Radatz. S. 14) Dem Organisationshandbuch der NSDAP von 1936 entnehmen wir zu den Aufgaben eines Blockleiters: Er war für die »gesamtpolitische Lage in seinem Hoheitsgebiet verantwortlich«. »Die Verbreiter schädigender Gerüchte hat er feststellen zu lassen und sie an die Ortsgruppe zu melden, damit sie zuständige staatliche Dienstellen unterrichten kann. Der Blockleiter treibt nationalsozialistische Propaganda von Mund zu Mund.« Die zweite Intrige | 129 »Ewig rührige Prediger, Mahner und Verfechter der nationalsozialistischen Weltanschauung.« und rennen hin, ›Heil Hitler‹ und schon waren sie drin. Und denn kuschen sie schon.« »Der Hoheitsträger«. Nr. 2. 1937. Eine 1906 geborene Hamburgerin »Der Hoheitsträger muss sich um alles kümmern. Er muss alles erfahren. Er muss sich überall einschalten.« »Man sagte, die da oben, die sind nicht so schlimm, am schlimmsten sind die Kleinen, die Blockwarte, die konnten einen triezen und bedrohen wegen Äußerungen. Da musste man vorsichtig sein.« Hauptamt der NSDAP zu den Aufgaben eines Blockleiters »Der Blockleiter hat die propagandistische Kernarbeit zu leisten, er muss bei den Volksgenossen die innere Bereitschat erzeugen, das Verständnis wecken, er muss die Voraussetzungen schafen, die immer notwendig sind, um eine politische Aufgabe erfolgreich durchzuführen.« Der Stuttgarter Kreisleiter 1937 »Die Wohnungen gehörten ja schon dem Blockwart, da hatte der Hauswirt nichts mehr zu melden. Die kamen ja dauern an, die hatten immer irgend etwas. Die klingelten Sturm, da denken sie Wunder Eine Zeitzeugin. »Kleine Hitler« Formulierung zahlreicher Zeitzeugen »Es gibt jedoch einige Merkmale, an denen man erkennen kann, ob man es mit einem Nazi zu tun hat. Im großen und ganzen sind die Nazis unter den … niederen Parteifunktionären … Das wichtigste und einfachste Kriterium ist die Haltung zur Politik gegenüber den Juden in Deutschland … Ein Nazi ist jemand, der dieser allgemeinen und sadistischen Orgie vorbehaltlos zustimmt und sich daran beteiligt … Schon seit Jahren bemühen sich die Nazis Linzer Tagesblatt, 28. 10. 1939: Aus dem Tagewerk eines Blockwalters 130 | Die zweite Intrige nicht mehr, sich Vorwände auszudenken, um die Juden zu berauben, zu quälen und zu ermorden.« Sebastian Haffner. Germany: Jekyll & Hyde 1939. S. 68f. »Die Blockwarte haben durch ihre tägliche selbstverständliche, ja ot unbewusste Aufsicht über die Bewohner mehr zur Stärkung des Regimes beigetragen als die Geheime Staatspolizei.« Erich Kordt. 1947 »Bei den unteren NSDAP-Funktionären »handelte es sich um eine aktive, organisierte Unterstützung der NSDAP-Parteiorganisation. Die Funktionäre der NSDAP-Ortsgruppen bildeten eine Gruppe von NS-Aktivisten, die mehrheitlich erst nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in die NSDAP eintraten … Mit dieser Kategorisierung – NS-Aktivisten, die aus dem Befreiungsgesetz von 1946 aufgegrifen wird – ist meines Erachtens die Gruppe am zutrefendsten bezeichnet. Innerhalb der fünf Untergruppen von Verantwortlichen wird sie als eine Untergruppe zu der Gruppe 2 (Belastete) angeführt.« Müller-Botsch. S. 8. »Die schrittweise Entrechtung und Verfolgung der Jüdinnen und Juden in Deutschland bis hin zu ihrer Deportation in Konzentrationslager und Vernichtungslager erfolgte zu einem erheblichen Teil vor dem Hintergrund und dem Zusammenspiel mit der antisemitischen Propaganda- und Verfolgungspraxis der unteren NSDAP-Funktionäre auf Ortsgruppenebene.« Müller-Botsch. S. 42. »Über diese Struktur des Erfassens und Meldens beteiligten sich auch die unteren Parteieinheiten an der Verfolgung tatsächlicher und vermeintlicher politischer Gegner, deren systematische Verfolgung bis zur Deportation der in ihrem Zuständigkeitsbereich lebenden Juden sowie Verfolgung der »jüdischen Mischlinge« und weiterer »rassepolitischer Gegner.« Müller-Botsch. S. 99. »Vernichtungskartelle aus Mitläufern und Blockwarten, Beamten und NS-Bonzen.« Karin Wickmann in »Die Zeit«. 16. Januar 1998 »Faktisch arbeiteten ›Blockwarte‹ … als Hilfspolizisten der Gestapo zu, indem sie die ständige Kontrolle von politisch Verdächtigen übernommen oder besondere Vorkommnisse zur Anzeige brachten.« Detlef Schmiechen-Ackermann. S. 592. In Karl Reibel »Das Fundament der Diktatur: Die NSDAP-Ortsgruppen 1932 – 1945« inden wir folgende Informationen: NS-Nachrichtendienst in den Ortsgruppen »SD-Beobachter«. »Einsatz der Politischen Leiter der NSDAP im Dienst des RFSS« – Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei Heinrich Himmler. (S. 310) »… nahmen die Politischen Leiter in den Ortsgruppen eine exponierte Stellung im organisierten Überwachungswesen des NS-Regimes ein – zum einen im Feld der ›politischen Beurteilungen‹, zum anderen als direkte Informationslieferanten für den SD bzw. die Gestapo.« (S. 310) »… mit welchem Selbstverständnis die unteren Parteifunktionäre über die Menschen in ihrem Dienstbereich urteilten und sie Krat ihres Postens in ›gute‹ und ›schlechte‹ Staatsbürger im Sinne des NS-Regimes einteilten.« (S. 314) »Ein elementarer Bestandteil der Aufgaben der NS-Funktionäre in den Ortsgruppen war die … aktive Mitwirkung an der Verfolgung und Vernichtung jüdischen Lebens in den Städten und Gemeinden in Deutschland.« (S. 316) »Treibende Krat war ein antisemitisch geprägter oder von Ideologie- und Regimetreue geleiteter Wille zur Gewalt.« (S. 321) »Die Ortsgruppenverwaltung bildet … ein wichtiges Bindeglied zwischen den Organen der NSDAP und den in die Vernichtung jüdischen Lebens in Deutschland ebenso verwickelten Kommunal-Instanzen.« (S. 327) »Die NSDAP-Ortsgruppenorganisation war eines der entscheidenden Herrschatsinstrumente der Hitler-Partei zum Aubau und Erhalt der Diktatur in Deutschland.« (S. 382) »Ein gravierendes Problem für die Ortsgruppen-Bürokratie war der Mangel an Personal … durch den Einsatz von ›Stellvertretern‹ Ersatz für Amtsleiter im Fall ihres Ausscheidens bereitstellen zu können.« (S. 384) »Eine der Hauptaufgaben der Politischen Leiter in den Ortsgruppen war die Umsetzung der Grundprinzipien der NS-Weltanschauung in die Wirklichkeit, um die Bevölkerung in den Ortsgruppen so zu beeinlussen, dass sie die Ziele von Hitlers Ideologie als ihre eigenen begrifen.« (S. 386) Das Gewicht der Zellen im NS-Herrschatsgefüge wird auch dadurch deutlich, dass die unteren zehn Ränge der insgesamt 30 »Amts«-Ränge der NSDAP die der Zelle umfassten. Das dokumentiert: Die NSDAP-Basisgliederung hatte die zentrale MachtPosition in der Umsetzung des Mordes an allen willkürlich als Juden deinierten Menschen, an allen »Gemeinschatsfremden« – beginnend bei »Asozi- Die zweite Intrige | 131 alen«, weil sich abweichend äußernden Menschen. Der unbegrenzte Mord als Normalität, an der sich zu beteiligen Selbstverständlichkeit ist. Johannes Herbrandt war als gelernter und aktiver Bürokrat ein perfekter NSDAP-Blockleiter in Osterath, der seinen gesamten parteiamtlichen Aut rag umfassend umsetzte, dabei seine persönliche Synergie als rechte Hand von Bürgermeister Recken im Sinne des NSDAP-Parteiprogramms nutzte. Ein Aspekt der Blockleiter-Tätigkeit von Herbrandt war die kontinuierliche Anfertigung von Berichten zu Stimmung und politischer Lage in »seinem« Block sowie zu den dortigen NSDAP-Aktivitäten und dessen Organisationsstand. Kontinuierlich und systematisch bürokratisch verfolgte er die Umsetzung der bevölkerungspolitischen Ziele der NSDAP: Erfassung, soziale Isolierung und Terrorisierung der willkürlich als »gemeinschatsfremd« deinierten Menschen, insbesondere der »Juden«. Herbrandt führte die »Hauskartei« »seines« »Hoheitsgebietes«: In dieser Kartei erfasste er lückenlos alle Bewohner und nutzte Hausbesuche und Gespräche, um sich einen Eindruck von allen im Block lebenden Menschen zu verschafen, den er schritlich festhielt. Was die als »Juden« deinierten Menschen betraf: Herbrandt registrierte in enger Zusammenarbeit mit der (Gemeinde)Polizei und dem Osterather Einwohnermeldeamt diese Menschen in seinem »Hoheitsgebiet«. Um sie letztlich loszuwerden, denn das war der Sinn der ganzen Aktivitäten. Hatte Herbrandt etwas zu »berichten«, und das wurde von ihm erwartet, kam er dieser Erwartung plichtgemäß nach, dann ging es auf einem normierten Dienstweg über die NSDAP-Kreisleitung in Krefeld ggf. an die zuständige Gestapo-Außendienststelle Krefeld. Oder in seinem Fall auch informell an Bürgermeister Recken, der dann selbst tätig wurde oder seine Gemeindepolizei beaut ragte. Leumundsanfragen der Gestapo wurden über die »Hauptstelle Politische Gutachten« bei der Gauleitung Düsseldorf direkt an die Blockwarte und Zellenleiter gerichtet. Zur Durchsetzung des NSDAP-Programms hatte Herbrandt »Judenfreunde« zu melden und auf die Einhaltung aller Vorschriten für Juden zu achten. Es listete jüdischen Besitz und jüdische Wohnungen auf. Eine Informationsgrundlage für die folgenden »Arisierungen« und Verschleppungen. Zur politischen Überwachung führte er eine normierte 132 | Die zweite Intrige Haushaltskartei, notierte Unmutsäußerungen und Verhalten bei Belaggung, gab Leumundszeugnisse ab und war Ansprechpartner für Menschen, die etwas über andere Menschen zu berichten hatten. Er hatte zu vermerken, seit wann der »Völkische Beobachter« bezogen wurde, ob die Familie bereits vor dem Flaggengesetz von 1935 eine Hakenkreuzfahne besaß und welche Rundfunkgeräte im Haushalt vorhanden waren. Als NSDAP-Blockleiter hatte Herbrandt die »Volksgenossen« »seines« Blocks zum Besuch von NSDAPKundgebungen und NSDAP-Feierstunden anzuhalten und ihnen den Beitritt zu Parteigliederungen und angeschlossenen Verbänden nahezulegen. Herbrandt war auch für die Organisation der »inneren Front« in »seinem« Block zuständig, der Organisation der Kriegsvorbereitungen. Im Krieg hatte er Blockleiter-Aufgaben während und nach Bombenangrifen auf Osterath, die Überwachung von Zwangsarbeitern und nächtliche Streifendienste. Die NSDAP wollte auf Nummer sicher gehen und vertraute nur ihren eigenen Mitgliedern. Sein Vorgesetzter Bürgermeister Recken war hier als »stellvertretender Gemeindegruppenführer« des Reichslutschutzbundes ab 1937 in einer weiteren amtlichen Funktion mit ihm vernetzt. Wie auch im Kontext des Deutschen Roten Kreuzes, dessen Ortsgruppenschatsleiter Bürgermeister Recken ab 1939 war. Die Nationalsozialisten instrumentalisierten das DRK für die Umsetzung des NSDAPProgramms. Der im April 1933 gegründete Reichslutschutzbund diente der Kriegsvorbereitung und war in Osterath nach der Berichterstattung in der Osterather Zeitung als Ortsgruppe mit Zellen und Blocks – wie die NSDAP – organisiert. Herbrandt war ganz umfassend willfähriges Instrument der Umsetzung des NSDAP-Programms in allen seinen persönlichen und mit Bürgermeister Recken vernetzten Funktionen und Ämtern. Ein Teil von Osterath war also das persönliche Hoheitsgebiet von Herbrandt. Und er war der NSDAPParteiführer der Osterather Beamten. In Symbiose mit Recken führte er die Gemeinde Osterath. Es gab also zwei vernetzte Bürokratien: die partei-staatliche und die partei-amtliche, deren Schnittstelle Herbrandt in Osterath war – quasi als Doppelagent für Bürgermeister Recken und die NSDAP, nach allen Seiten lexibel und ofen. In einem Schreiben von Bürgermeister Hugo Recken an den Landrat in Kempen am 20. 12. 1937 steht zur »Anstellung Herbrandt« (KK 1022 Bl. 310): »Während der Zeit seiner Beschät igung hat Herbrandt gezeigt, dass er bereit ist, jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einzutreten. Es ist verheiratet und hat die arische Abstammung für sich und seine Ehefrau nachgewiesen.« So Recken zu seiner rechten Hand Herbrandt. Was muss dann für Recken als Bürgermeister, örtlicher Polizeichef und örtliche Gestapo gelten, über den höheren SS- und Polizeiführer in Düsseldorf auch unmittelbar mit der SS vernetzt? Siehe das Zitat aus der Osterather Zeitung vom 23. März 1935: »… die Gemeinde Osterath einen Bürgermeister erhalte, der jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintritt.« Die »Sprachregelung« für nationalsozialistische Amtswalter, denen die NSDAP-Verantwortlichen – aus guten Gründen – vertrauten: »rückhaltlos … eintritt«. Dieses Schreiben ist ein manifestierter Ausdruck der Symbiose Recken / Herbrandt bis zum Tod von Recken 1953 – und darüber hinaus, auch dem Tod von Herbrandt. Von allen diesen Zusammenhängen hatte erst der US-amerikanische Ortskommandant Mondell, dann der britische Ortskommandant Grier so gut wie keine Vorstellung. Erst mit dem Nürnberger Prozess wurde schrittweise klar, dass es »nicht nur« Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit insgesamt über 50.0000.000 Opfern gegeben hat, sondern wie umfassend vor allem deutsche Bürokratien mit ihren Bürokraten aller Ebenen darin verquickt waren. Vor Ort wie in Osterath kam es dann darauf an: Wie gelang es interessengeleitet den verantwortlichen Alliierten ein Bild der örtlichen Realität in Verbindung mit den konkreten örtlichen Verantwortlichkeiten zu vermitteln? Wobei dies von denjenigen realisiert wurde, von denen die Alliierten aus der Perspektive ihres Bildes der deutschen Realität annahmen, dass sie unbelastet und daher glaubwürdig seien. Wie katholische Geistliche und aktive Katholiken, die so unter den Generalverdacht des Widerstandes gegen das NS-Regime ielen, von ihnen dann – auch in Entnaziizierungsverfahren – instrumentalisiert. So wurde von Alliierten ot der Bock zum Gärtner gemacht. Gegen Gärtner dann Wölfe in Schafspelzen intrigant installiert. In Osterath – wie 1933 – Recken gegen Bartels. Hier hat auch die Aktenvernichtung in Verantwortung von Recken und Herbrandt vor dem Einrücken der US-amerikanischen Einheiten in Osterath am 1. März 1945 eine erwünschte Wirkung erzielt. Was zwischen den beiden Ortskommandanten und ihren Osterather Gesprächspartnern ablief, war ein Kommunikationsprozess, intern und extern, der von beiden Seiten aus ihrer jeweiligen Perspektive und ihren Interessen geführt wurde. »Gelernten« Katholiken ist es auch hier – bedingt durch ihre katholische Sozialisation – gelungen, ihre Gesprächs»Partner« in ihrem Sinn zu beeinlussen. Beeinlussen im Sinne von: Erfolgreich ihre Sicht der Realität zu »vermitteln« – der der örtlichen Osterather, auch auf die Verantwortlichkeiten von Personen wie Recken und Herbrandt bezogen. Die Entlassung von Bürgermeistern war alliiertes Postulat, die von Gemeindebeamten nicht. Und mit diesem Ergebnis des Kommunikationsprozesses war die Basis für die Zukunt gelegt – wieder mit Recken im verantwortlichen Gemeinde-Amt in Osterath. Die Frage war »nur« noch: Wie gehen wir das an, mit welchen konkreten Schritten? Und wie lange dauert es – dieses Mal –, dieses Ziel zu erreichen? Und wie sichern wir dieses Ziel nachhaltig – auch in der Zeit – ab? Am 7. November 1945 schreibt der Landrat des Kreises Kempen-Krefeld (KK 875 Bl. 107): »Gegen den Bürgermeister Bartels, in Osterath, ist von der Militärregierung heute eine Untersuchung angeordnet worden. Für die Dauer dieser Untersuchung wird Herr Bartels von seinem Amt als Bürgermeister suspendiert und der bei der Gemeinde Osterath als Beigeordneter tätige Anton Wienands mit der kommissarischen Leitung der Amtsgeschäte des Bürgermeisters, in Osterath, hiermit beaut ragt.« Drei Tage später, am 10. November 1945, schreibt Rudolf Bartels an die britische Militärregierung des Kreises Kempen-Krefeld in Kempen (KK 875, B. 79f.): Die angeordnete Untersuchung beruhe auf einer Anzeige des entlassenen Hilfspolizeibeamten Josef Lennsen, eines »alten Nazis«, der in der NS-Zeit 2. Beigeordneter der Gemeinde Osterath gewesen sei. Diese Denunziation sei als Racheakt zu verstehen. Lenssen habe am 10. April bei seiner Amtsübernahme die Hilfspolizei in Osterath geleitet, sei dazu von Recken eingestellt worden, zu dem dieser eine enge Beziehung habe. Das bedeutet: Recken hat die Gelegenheit, nicht sofort am 1. März 1945 entlassen worden zu sein, genutzt, personelle Weichen für die Zukunt zu stellen, mit (Ex-)Nationalsozialisten, seinen TeilBündnispartnern, in Verbindung mit Herbrandt. Der dann in der Übergangszeit zu Bartels kommissarisch die Gemeinde leitete und weiter konsolidierte – vor dem 10. April 1945, gerade etwa fünf Wochen nach der Befreiung. Er und sein Umfeld rechneten sicher damit, dass sich dies wiederhole, Die zweite Intrige | 133 Kreisarchiv Viersen: Protokoll der Hilfspolizei Osterath über die Vernehmung der Maria Hoters, 30. 11. 1945 wenn Bartels beurlaubt würde. Der Kommunist Wienands, als kommissarischer Bürgermeister, war ein »Betriebsunfall«, der schnell reguliert wurde, auch durch Herbrandt von innen der Gemeindeverwaltung unter Kontrolle war. Und: Wienands war kein Bürokrat, daher Bürokratie-Prois wie Herbrandt ausgeliefert. Bartels weiter: »Etwa Anfang Oktober ging bei mir eine Anfrage des Landgerichts Aachen ein, das wissen wollte, wie der mit 3 Monaten Gefängnis und Bewährungsfrist bestrate Josef Lenssen sich geführt habe. Erst durch diese Anfrage erfuhren ich und der Ort Osterath, dass Lenssen vorbestrat war. Als ich ihm das mitteilte und ihm sagte, dass er unter diesen Umständen nicht mehr Polizeibeamter bleiben könne, begehrte er auf … die Entscheidung der Militärregierung … ordnete seine Entlassung an. Als ich ihm diese mitteilte, glaubte er, durch Drohung mich zu beeinlussen, um sie rückgängig zu machen.« 134 | Die zweite Intrige In KK 875 Bl. 135 inden wir den folgenden Text des Landrats vom 30. November 1945: »Am … 29. Nov. … überbrachte ein Bote aus Osterath der Militär-Regierung in Kempen ein Schreiben in der Bürgermeisterangelegenheit in Osterath, das von etwa 30 Bürgern der Gemeinde unterschrieben war … erklären hiermit an Eides statt, … ohne Einwirkung und ohne Wissen des Herrn Bürgermeister Recken angefertigt und unterzeichnet haben … Es solle damit zum Ausdruck kommen, dass die gesamte Gemeinde dringend wünscht, dass Bürgermeister Recken bald möglichst in sein Amt eingesetzt wird.« Recken wird als Bürgermeister tituliert, der wieder in »sein« Amt eingesetzt werden solle. Das Machtübertragungs-Revival ist im vollem Gange. Warum »an Eides statt«? Dazu das Protokoll der Hilfspolizei Osterath der Vernehmung von Maria Hoters am 30. November 1945 (KK 875 Bl. 134) Die Antwort: So sollte das Vernehmungsprotokoll neutralisiert werden. Was auch gelang. Die Intrige konnte ungestört weiterlaufen. Organisiert von Recken selbst. Flankiert durch Herbrandt von innen der Gemeindeverwaltung, abgesichert durch die katholische Geistlichkeit und die katholische Gemeindeelite, zu der auch NSDAP-Rückkehrer zählten. Ein Bündnis in gemeinsamem Interesse. Das sich mit dem Staatsformwechsel nicht verändert hatte. Am 17. Dezember 1945 schreibt Julius Gutmann, mit seiner Frau Sabine die beiden einzigen überlebenden Deportierten aus Osterath, an den Landrat im Kempen, unterzeichnet auch von seiner Frau (KK 1023 Bl. 181f.): »Seit gestern wird hier in Osterath erzählt, und zwar von Bürgermeister a. D. Recken, dass Herr Bürgermeister Bartels zu seinen, Reckens, Gunsten, auf das Bürgermeisteramt verzichten und Recken wieder als Bürgermeister eingesetzt werde.« Dagegen protestiert Julius Gutmann, insbesondere begründet mit dessen antisemitischen Verhalten auch ihnen persönlich gegenüber in der NS-Zeit. Am 30. Dezember 1945 schreibt Bürgermeister Rudolf Bartels an den Landrat (KK 875 Bl. 136f.): »… ich zu meiner Rehabilitierung Wert darauf legen müsse, das Amt wenigstens auf kurze Zeit wieder anzutreten … Ich bin nunmehr 52 Jahre Staat- und Kommunalbeamter und möchte mit diesem Klecks auf der Weste nicht in der Versenkung verschwinden.« Eine Rehabilitierung wurde Bartels nicht gewährt. Katholische Eliten kennen keine christliche Gnade. Bartels verschwand in der Osterather Versenkung und starb 1948. Wie Julius Gutmann und Dr. Langenbach. Am 30. Januar 1946 schreibt der Landrat (KK 1023 Bl. 190), dass Rudolf Bartels von einem Militärgericht überführt worden sei. Wegen: »Falsche Anmaßung von Amtsgewalt der alliierten Streitkräte und eine Handlung zum Schaden der guten Ordnung oder des Interesses der alliierten Streitkräte.« Mir gelang es nicht zu veriizieren, in welchem alliierten Recht das kodiiziert wurde und was für einen Stratatbestand diese Formulierung umschreibt. Denn es ist eine Allgemeindeinition, unter die alles fallen kann. Der Landrat verfügt die Entlassung von Bartels mit Wirkung vom 7. November 1945. »Da die Osterather Gemeindevertretung mit großer Mehrheit darum gebeten hat, dass der letzte Bürgermeister Herr Recken zum Gemeindedirektor ernannt werden möge, gebe ich meine Zustimmung zur Übernahme dieses Amtes durch Herrn Recken.« Spiel, Satz und Sieg. In etwa neun Monaten – einer Schwangerschat. Wie 1933, staatsformunabhängig in einem Staatsformwechsel dieselbe – erfolgreiche – Intrige 1933 und 1945. Mit – überwiegend – denselben Akteuren und demselben Ziel. Am 25. April 1946 schreibt Rudolf Bartels an den Oberkreisdirektor in Kempen (KK 875 Bl. 148): »Mir ist erst heute bekannt geworden, dass durch den Herrn Pastor Hövelmann in Osterath und seinem engeren kommunalpolitischen Anhang Anfang Dezember 1945 bei einer Sammlung von Unterschriten für die Wiedereinsetzung des damals amtsenthobenen Bürgermeisters Recken eine schwere Beleidigung gegen mich ausgesprochen wurde, dadurch, dass behauptet wurde, ich sei durch eigennützige und selbstsüchtige Handlungen von der Militärregierung vom Amt suspendiert worden. Der frühere kommissarische Bürgermeister Wienands hat die Angelegenheit, da auch er angegrifen wurde, durch Bericht vom 6. Dezember dorthin mitgeteilt mit dem Antrag, gegen die Verleumder Strafantrag zu stellen. Ich bitte um Mitteilung, ob die Angelegenheit dort aufgegrifen ist und wie weit die Verfolgung dieses Antrages jetzt vorgeschritten ist.« Der Strafantrag gegen Pastor Hövelmann und dessen Entwurf in den Akten der Gemeindeverwaltung – Recken Gemeindedirektor und Herbrandt sein Stellvertreter – sind dann »verschwunden«. (KK 875 Bl. 149 und 152) Folgenlos. Am 25. Mai 1946 schreiben mehrere Osterather an Bürgermeister Rudolf Lensing (KK 875 Bl. 154): »Die Berufung des früheren Bürgermeisters Bartels und des früheren besoldeten Beigeordneten und kommissarischen Bürgermeisters Wienands in den Vorstand der Kreissparkasse in Krefeld indet den immer stärker werdenden Widerstand der Mehrheit der Bevölkerung.« Die – neue – (Volks)Gemeinschat soll – wieder – Katholiken-rein sein. Wer einer Minderheit – politisch oder religiös – angehört, der ist katholischgemeinschatsfremd. Der Unterschied: Es gibt keine Gestapo und keine Deportation und kein KZ. Die psychischen und physischen Auswirkungen auf die Betrofenen sind dennoch ähnlich. Deswegen der frühe Tod von Julius Gutmann, Dr. Langenbach und Rudolf Bartels. Mehr als »nur« soziale Tode. Ähnlich wie die bürgerlichen Tode vorher unter der NS-Terrorherrschat. Für Rudolf Bartels war 1933 und 1945 nicht zu verstehen, was passierte, mit und gegen ihn in Osterath geschah. Ihm fehlte das Verständnis katholischer Die zweite Intrige | 135 Sozialisation. Obwohl er seit 1918 in Osterath lebte, von 1918 bis Ende 1933 Bürgermeister war, dann wieder seit dem 10. April 1945: Die katholische Kultur war eine Welt außerhalb seiner Welt. Von beiden Seiten. Ähnlich, wie ich es für Julius Gutmann stellvertretend für Menschen jüdischen Glaubens herausgearbeitet habe. Wie es im Zitat aus »Geschichte der Juden im Rheinland und Westfalen« bezogen auf Protestanten und Juden heißt: »… die übermächtige und wenig tolerante katholische Mehrheit«. Zum Beginn der Phase nach der zweiten Intrige gegen Bürgermeister Rudolf Bartels schreibt Annette Barfurth-Igel (S. 558): »Am 21. Januar 1946 fand sich der ernannte Gemeinderat unter Anwesenheit von Major Grier und Oberkreisdirektor Feinendegen zu seiner ersten Gemeinderatssitzung zusammen.« 136 Ernannt waren u. a. Sabine Gutmann und Rudolf Lensing, der zum Bürgermeister ernannt wurde. In der Sitzung wurde die Besetzung der Stelle des Gemeindedirektors mit Hugo Recken beschlossen. Sabine Gutmann stimmte dagegen. 3. Januar 1946 Stadtrat Viersen Kommandant Oberstleutnant Sewell Protokollbuch der Stadt Viersen. Stadtarchiv Viersen »Wir versuchen, alle Regierungen innerhalb der britischen Zone, gleich welcher Instanz, zu demokratisieren, so dass das Volk selbst den Kreis regiert und nicht die ganze Verwaltung in den Händen der Beamten liegt … Dann wünschen wir die Beseitigung des Führerprinzips, indem wir den höchsten Beamten mit ausführender Gewalt zu einen politisch ungebundenen Diener der Stadtverwaltung machen. Indem wir alle Mitglieder der Stadtverwaltung zu Staatsdienern machen, denen es nicht gestattet ist, sich politisch zu betätigen. Wir hofen die Macht der Beamten herabzusetzen und die Macht der demokratischen Stadtvertretungen zu erhöhen … und sich nicht von irgendeinem Beamten oder Blockleiter kommandieren zu lassen.« Was das betrit: Osterath war wohl auch in der britischen Besatzungszone, aber nicht von dieser Welt. Die Gemeindevertretung wollte mit großer Mehrheit »ihren« Gemeinde-Führer Hugo Recken – gemeinsam mit seinem Symbionten Johannes Herbrandt – zurück. Mit Wirkungen bis heute. Wer war der mehrfach erwähnte Anton Wienands? Und welche Rolle spielte er in Osterath? Anton Wienands wurde am 26. Juni 1894 geboren. Er war Kommunist in Osterath. Er war KPDOrtsgruppenleiter, Gemeinderatsmitglied in Osterath und Kandidat für den preußischen Landtag. Vom 28. Februar bis zum 16. März 1933 wurde er im Polizeigefängnis Osterath inhat iert. Von dort kam er in das Gefängnis Anrath; ein Flügel dieses Gefängnisses war bereits das für den gesamten linken Niederrhein zuständige Konzentrationslager und blieb es bis zur Befreiung 1945. Vom KZ Anrath kam er bis einschließlich Juni 1933 in die Polizeigefängnisse Sonnenburg und Berlin-Plötzensee, die in KZs umgewandelt worden waren. (RW 58-11767) In der Osterather Zeitung am 4. März 1933 – er war bereits inhat iert – lesen wir die »Wahlvorschläge für die Gemeinderatswahl am 14. März 1933«, »Wahlvorschlag 3 Kennwort: Kommunistische Partei Deutschlands«, »1. Wienands Anton Hilfsmonteur«. In derselben Ausgabe der Osterather Zeitung ist zu lesen: »Anstelle des Schlossers Anton Wienands, der als Wahlvorsteher für den Bezirk 3 bereits ernannt und als solcher bekannt gegeben wurde, ist … ernannt worden.« In der Osterather Zeitung am 15. März 1933 lesen wir unter »Feststellung der Ergebnisse der Gemeinderatswahl in Osterath«, »Verteilung der Mandate«: »Kommunisten Wienands Anton«. Nach der Befreiung von Osterath am 1. März 1945 wurde Anton Wienands mit der Ernennung von Kreisarchiv Viersen: Schreiben des kommissarischen Bürgermeisters Osterath Anton Wienands an den britischen Kommandanten des Kreise Kempen-Krefeld 21. Januar 1946 Rudolf Bartels zum Bürgermeister am 10. April 1945 besoldeter Beigeordneter. Ein evangelischer Bürgermeister und ein kommunistischer Beigeordneter: Für die katholische Geistlichkeit und die katholische Gemeindeelite eine Provokation durch die neue Staatsgewalt, die sie in ihrem Sinn begannen beheben zu wollen. Vom 7. November 1945 bis zum 29. Januar 1946 war Anton Wienands kommissarischer Bürgermeister – eine noch größere Provokation. Auf den 27. November 1945 ist ein Schreiben von Wilhelm Maahsen an den Landrat datiert (KK 875 Bl. 127): »Beschwerde gegen den kommissarischen Bürgermeister Wienands.« Eine Aulistung von Behauptungen. Am 22. Januar 1946 schreibt Anton Wienands an den Militärkommandanten in Kempen (KK 1023 Bl. 188): »Bewerbung auf die Gemeindedirektorenstelle in Osterath.« Was fällt in diesem Schreiben auf? Es ist ein persönliches Schreiben mit persönlichen Details. Kein unpersönliches bürokratisches Schreiben – mit Hinweisen auf bürokratische Leistungen und bürokratische Netzwerk-Verbindungen. Mit Ausnahme seiner Verwaltungstätigkeit in Osterath ab dem 10. April 1945. Die spielt aber in einer bürokratischen Bewertung keine Rolle. Er wurde dann mit der Ernennung von Hugo Recken zum Gemeindedirektor und von Rudolf Lensing zum Bürgermeister Gemeinde-Angestellter, stieg also bürokratisch ab. Am 9. November 1946 erhielt er von Recken eine Kündigung zum 31. Dezember 1946. Der Kommunist sollte endgültig entsorgt werden. Zum Kündigungsschreiben äußerte sich Anton Wienands am 21. November 1946 in einem Schreiben an den Regierungspräsidenten in Düsseldorf (KK 16420): Der im Kündigungsschreiben angegebene Grund sei, dass die von ihm wahrgenommene Stelle wegfallen solle. Dies sei fadenscheinig. Denn auf die Stelle werde auf Anordnung von Gemeindedirektor Recken der Ex-Stahlhelmer und Ex-SA-Mann Gelberg – mit Herbrandt in der SA Osterath – eingearbeitet, obwohl der Entnaziizierungsausschuss beschlossen habe, dass dieser für fünf Jahre kein Amt bekleiden dürfe. Wo sind die Dokumente des Entnaziizierungsausschusses Osterath dazu? »Ausgedünnt«? Die zweite Intrige | 137 Eine der Bürokratie-Strategien: Unliebsame Stellenbesetzer werden durch – vermeintliche – Stellenstreichung legitimiert entsorgt. Es geht bei Bürokratie immer um formale Legitimation nach außen, egal in welchem politischen System. Und: An diesem Beispiel dokumentiert sich die reale Entnaziizierungs-Praxis: Wer einem Bürokraten-Netzwerk angehörte, der blieb oder kam rein. Wer dennoch auf Veranlassung der Besatzungsmacht entlassen wurde, wurde nach deren Ende wieder eingestellt. Ein wesentlicher Aspekt, in dem sich Hugo Recken und Johannes Herbrandt von sehr vielen Osterather Männern unterschieden: Sie mussten nicht an die Front. Die NSDAP sah ihren Platz für den Endsieg an der Heimatfront in Osterath. Dort bei den verbliebenen Mitgliedern des Führungschorps der NSDAP. Und im Gegensatz zu anderen NSDAPBürgermeistern wurde Hugo Recken von den USAmerikanern nicht interniert. Die katholischen Verhältnisse in Osterth waren also wiederhergestellt. In der Gemeindeverwaltung gesteuert durch Johannes Herbrandt. Ein deutscher Bürokratie-Proi nahm illegitim Einluss auf die Bürokratie vor Ort und darüber hinaus – auch zum eigenen Vorteil und zur eigenen Absicherung. Ein Instrument dazu war die interessengeleitete bürokratische Zweck-Lüge. Bis heute. »Die Menschen glauben viel leichter eine Lüge, die sie schon hundertmal gehört haben, als eine Wahrheit, die ihnen völlig neu ist.« Alfred Polgar. Die Basis für die Recken-Legende war gelegt. Der nächste Schritt war die bürokratie-immanente Legitimierung seiner – i ktiven – Amtszeit seit Ende 138 | Die zweite Intrige Januar 1934, damals auf zwölf Jahre bis Ende 1946 begrenzt. Im »Auszug aus dem Protokollbuch der Gemeindevertretung« Osterath vom 19. Februar 1946 – auf einem Vordruck mit »193« – lesen wir (Kreisarchiv Viersen, Bestand KA): »3. Festsetzung der Bezüge des Gemeindedirektors … Der Gemeindedirektor erhält die Bezüge des früheren beamteten Bürgermeisters (Bes.Gr. A 3b). Für seine Person erhält Gemeindedirektor Recken den ministeriellen Richtlinien entsprechend nach einer 12-jährigen Dienstzeit in Osterath die nächst höhere Besoldungsgruppe A 2d.« »Bürgermeister. Hauptamtliche B… werden nach § 44 DGO auf zwölf Jahre berufen. Sie sind also B. auf Zeit und somit verplichtet, nach Ablauf ihrer Amtszeit das Amt weiterzuführen.« Hauptamt für Beamte der Reichsleitung der NSDAP. ABC des Deutschen Beamtengesetzes. Berlin 1940. S. 30. Genau das ist die – staatsformunabhängige – Recken-Legende. Und genau um die geht es heute. Wieder bürokratisch schein-legitimiert von Seiten Herrn Regenbrecht im Autrag von Bürgermeister Spindler. Koste es, was es wolle. Auch in der Verwendung bürokratischer Mittel – bis hin zu struktureller Gewalt. Das ist die reale und wirksame Kontinuität der speziisch deutschen staatsformunabhängigen Bürokratie-Kultur. Unter diesen Vorzeichen bedarf es nur eines kleinen Schritts – in einem Staatsformwechsel – zu direkter bürokratischer Gewalt. »Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher.« Bertolt Brecht Die Rolle des Gemeindebeamten Johannes Herbrandt Die Rolle des Gemeindebeamten Johannes Herbrandt sowie der Allianz von katholischer Geistlichkeit und katholischer Gemeindeelite sowie deren geschichtswissenschaftliche Bewertung In der ganz überwiegend katholischen Gemeinde Osterath gab es seit der Weimarer Republik bis zur Bundesrepublik Deutschland zwei vernetzte staatsformunabhängige Kontinuitäten. Der Gemeindebaamte Johannes Herbrandt machte im Kontext seiner Symbiose mit Bürgermeister Hugo Recken sowie den katholischen Geistlichen und der katholischen Gemeindeelite Karriere: Vom einfachsten Gemeindeangestellten Juli 1933 bis Februar 1946 zum stellvertretenden Gemeindedirektor. Er war der Mann im Hintergrund für alle Fälle – von Bürgermeister Hugo Recken und der NSDAP. Er zog im Hintergrund die Fäden, ohne die primäre Verantwortlichkeit zu haben – oder anzustreben. Er wurde nach dem 1. März 1945 vom US-amerikanischen Ortskommandanten Mondell im Amt belassen, der britische Ortskommandant Grier änderte dies nicht. In der Übergangszeit zwischen Recken und Bartels leitete er kommissarisch die Gemeindeverwaltung, blieb dann in einer leitenden Funktion. So konnte er von innen der Gemeindeverwaltung daran federführend mitwirken, dass »sein« Chef Hugo Recken im Januar 1946 wieder in Amt und Würden kam. Beide Intrigen – 1933 und 1945 – liefen in jeweils neun Monaten ab, der Zeit einer Schwangerschat. Zwölf Jahre: – von 1933 bis 1945 war die nationalsozialistische Gewalt- und Terrorherrschat. – von Februar 1934 bis gegen Ende 1946 war die 1934 NS-verfügte Amtszeit von Hugo Recken als NS-Bürgermeister in Osterath, von März 1945 bis Januar 1946 von den Alliierten unterbrochen, dann durch Gemeinderatsbeschluss per interessengeleiteter bürokratischer Zweck-Lüge am 19. Februar 1946 legitimiert – die Recken-Legende war nach zwei Schwangerschaten geboren. – im Windschatten von Recken seit dessen Amtsantritt im Februar 1934 und als dessen Agent in der Gemeindeverwaltung von März 1945 bis Januar 1946 hat Johannes Herbrandt seit seinem Dienstantritt als einfacher Angestellter bei der Gemeinde Osterath im Juli 1933 bis Februar 1946 als beamteter stellvertretender Gemeindedirektor vergleichsweise schnell Karriere gemacht, von Februar 1934 bis zum 1. März 1945 als Doppelagent der NSDAP und von Recken – als dessen Symbiont, dann weiter bruchlos ab dem 2. März 1945. Katholischer Geistlichkeit und katholischer Gemeindeelite ging es unter allen – politischen – Bedingungen darum, ihre Position zu behaupten. Und dabei in Kooperation erst die Osterather Nationalsozialisten, dann die US- und die britische Militärregierung gegen den Protestanten Rudolf Bartels zu Gunsten des Katholiken Hugo Recken zu instrumentalisieren. Nur im Zusammenwirken konnte dies gelingen. Und es gelang. Auch 1934 zugunsten von Bürgermeister Hugo Recken die örtlichen NSDAP-Funktionäre auswechseln bzw. auf Linie bringen zu lassen. Und 1945/46 das Ehepaar Gutmann zur Machtsicherung – erneut – aus der dörlichen (Volks)Gemeinschat zu isolieren. Ein Teil – nicht mehr – der örtlichen Nationalsozialisten ist aus der katholischen Kirche ausgetreten. Die Ausgetretenen sind überwiegend wieder in die katholische Kirche eingetreten – um der neuenalten (Volks-)Gemeinschat anzugehören. Nach katholisch-ideologischer Umerziehung. Und haben damit die Macht der Allianz von katholischer Geistlichkeit und katholischer Gemeindeelite gestärkt. Was wir hier vor uns haben ist ein exemplarisches Beispiel von staatsformunabhängiger Machtkontinuität in einem katholischen Dorf bis in die 1950er Jahre – und darüber hinaus. In der es keine Stunde Null 1945 gab. Für diese Kooperation von Bürokratie und Katholizismus existiert eine besondere Basis: Für eine Bürokratie – religiös oder weltlich – existiert nur das, was es – von ihr – schrit lich gibt. Der logische Umkehrschluss: Beide vernetzten Bürokratien gehen davon aus, dass Dokumentenvernichtung gleichbedeutend mit Nicht-Geschehen und Nicht-Existenz ist. Wird dies – z. B. mit Dokumenten anderer Herkunt, selbst wenn sie von Angesprochenen stammen – in Frage gestellt, dann kommen bürokratische MachtabsicherungsMechanismen zum Tragen. Wie in der Debatte um die – Umbenennung der – Hugo-Recken-Straße. Johannes Herbrandt | 139 Ernst Klee u. a. (HRSG.), »Schöne Zeiten«, Judenmord aus der Sicht der Täter und Gaffer, Frankfurt a. M., 1988 140 | Johannes Herbrandt 1945 – 1949: Die Entnazifizierung von Hugo Recken, Johannes Herbrandt und Pastor Joseph Hövelmann sowie ihre geschichtswissenschaftliche Bewertung »Über Weniges ist nach 1945 so viel gelogen worden, wie über die Nähe oder Ferne zur NSDAP.« Die Zeit. 10. Januar 2004. »Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht« Otto Mayer »Davon proitierten nicht wenig Belastete, die glimplicher davonkamen als die minder belasteten Fälle, die zu Beginn der Entnaziizierung behandelt worden waren.« Wolfgang Benz. 2009. S. 17 Alles scheint aufs Vergessen angelegt. Max Horkheimer. 1946 »Ideologien mag man abstreifen wie Kleider, Mentalitäten hingegen bleiben an der Haut kleben.« theodor Geiger Die – nicht aussagefähige – Ultrakurzfassung: Hugo Recken wurde erst in Ia, letztlich in die Kategorie V – Unbelastete – eingestut, Johannes Herbrandt erst in die Kategorie II – Belastete, dann nach einigem bürokratischem Aufwand und mehreren Stufen letztlich in Kategorie V. Pastor Joseph Hövelmann musste einen Entnaziizierungs-Fragebogen ausfüllen. Dann ging das Verfahren in deutsche Hände über – und wurde beendet. Was sagt das katholische Kirchenrecht in Bezug auf die in diesem Buch dokumentierten Handlungen von Pfarrer Hövelmann? Richard Puzza. Katholisches Kirchenrecht. Heidelberg 1986. Norbert Reef. Das Recht der katholischen Kirche nach dem neuen Codex Iuris Canonis. Freiburg 1983. Delikt c. 1374 Aktive Unterstützung ... kirchenfeindlicher Organisationen. Delikt C. 1391 nn. 1-3 n.1: Urkundenfälschung und Urkundenunterdrückung n.2: Verwendung gefälschter Urkunden n3: Falsche Angaben in öfentlichen kirchlichen Dokumenten Recken, Herbrandt und Hövelmann spielten zusammen mit einer Gruppe Osterather und weiteren regionalen (Ex-)Nationalsozialisten das BürokratieSpiel: Das auf Zeit und Ermessen. In Verbindung mit ihren Bürokraten-Netzwerken. Aus ihrer Perspektive mit Erfolg. In der US-amerikanischen Direktive JCS 1067 zur »Säuberung der öfentlichen Verwaltung« im April 1945 lesen wir: »Alle Mitglieder der Nazipartei, die nicht nur nominell in der Partei tätig waren … (Als solche) sind diejenigen zu behandeln, die (1) ein Amt innehatten … von der örtlichen bis zu den Reichsstellen der Partei … (2) irgendwelche Naziverbrechen, rassische Verfolgungen oder Diskriminierungen veranlassten oder an ihnen teilgenommen haben … keine dieser Personen in irgendeiner der oben aufgeführten Beschät igungsarten aus Gründen der verwaltungstechnischen Notwendigkeit, Bequemlichkeit oder Zweckdienlichkeit beibehalten werden.« Dies ist in der Direktive Nr. 24 des alliierten Kontrollrates zur »Entfernung von Nationalsozialisten aus öfentlichen Ämtern« vom 12. Januar 1946 – wenige Tage vor dem Dienstantritt von Hugo Recken als Gemeindedirektor in Osterath – fast wortwörtlich übernommen und konkretisiert. Diese Direktive hatte den Charakter eines unmittelbar geltenden Gesetzes, band also Legislative und Exekutive – also alle Bürokratien – unmittelbar. Dort heißt es in »1. Zweck und Ziel«: »Diese sind durch Personen zu ersetzen, die nach ihrer politischen und moralischen Einstellung für fähig erachtet werden, die Entwicklung wahrer demokratischer Einrichtungen in Deutschland zu fördern.« Unter »2. Begrifsbestimmungen« wird ausgeführt: 2a) Als Personen, die der Partei ›aktiv und nicht nur nominell angehört haben‹ und solche, ›die den Bestrebungen der Alliierten feindlich gegenüberstehen‹, sind anzusehen: I. Personen, die als Amtsträger oder in einer anderen Weise in der Partei, von den Orts- bis hinauf zu den Reichstellen, oder in einer ihr Entnazifizierung | 141 angeschlossenen oder in solchen Organisationen, die militärische Lehren fördern, aktiv tätig waren; II. Personen, die nationalsozialistische Verbrechen, Rassenverfolgung oder ungleichmäßige und ungerechte Behandlung gutgeheißen oder an solchen Taten willig teilgenommen haben.« »Der Ausdruck ›öfentliches Amt‹ schließt alle Staats- und Gemeindebeamten oder Angestellten ein … Der Ausdruck ›Entfernen‹ im Sinne der Direktive bedeutet, dass der Betrefende sofort und unbedingt zu entlassen … ist … Personen, die aus öfentlichen Ämtern entfernt werden, haben keinen Anspruch auf Ruhegehälter oder andere Beamtenrechte … Es ist wesentlich, dass die leitenden deutschen Beamten … erwiesene Gegner des Nationalsozialismus sind, selbst wenn dies die Anstellung von Personen nach sich zieht, deren Eignung, ihren Aufgabenkreis zu erfüllen, geringer ist.« »f. Die Namen der entfernten Personen und die Gründe für ihre Entfernung sind den zuständigen Leitern der Vermögensverwaltung (Militärregierung) oder den entsprechenden Behörden der Militärregierung zu übermitteln, die gemäß den einschlägigen Gesetzen und Anordnungen der Militärregierung die Maßnahmen zur sofortigen Sperre und Kontrolle des Vermögens solcher Personen trefen.« »b. Alle Mitglieder der NSDAP, die der Partei beitraten oder als Mitglieder aufgenommen wurden, bevor die Mitgliedschat in der Partei im Jahre 1937 ein Zwang wurde oder die in anderer Weise sich mehr als nominell an der Tätigkeit der NSDAP beteiligt haben.« »Beamte Alle Personen, die nach dem 30. Januar 1933 zu einer der nachgenannten Stellungen ernannt wurden, und diejenigen Personen, die solche Stellungen bereits inne hatten und sie trotz wiederholter nationalsozialistischer Säuberungsaktionen beibehalten haben: … 68. Bürgermeister« »11. Richtlinien für Entfernung und Ausschluss nach Ermessen Die Ausmerzung des Nationalsozialismus und Militarismus macht es erforderlich, Personen, die voraussichtlich undemokratische Traditionen verewigen würden, von allen ausschlaggebenden oder einlussreichen Stellungen zu entfernen und auszuschließen.« »12. Unter Entlassung oder Ausschluss nach Ermessen fallende Kategorien … c) Personen, die nach dem 1. April 1933 der SA beitraten … f) Nominelle Mitglieder der NSDAP, die dieser Partei nach dem 1. Mai 1937 beitraten.« Amtsblatt des Kontrollrats Nr. 5 vom 31. März 1946, S. 98 ff. 142 | Entnazifizierung Hier spiegelt sich u. a., wie deutsche BürokratieProis durch für sie gewohnte sophistische Interpretation den klaren Willen des Gesetzgebers aushebeln wollten. Im diametral umgekehrten Verhältnis zu ihrem Handeln vor der Befreiung. Wenn sie dies unter den Bedingungen der vollständigen alliierten Regierungsgewalt und Kontrolle taten, unabhängig vom Erfolg im Einzelfall – wie bei Herbrandt und Recken –, wie agierten dann die staatsformunabhängigen Bürokraten-Netzwerke, wenn sie Spielraum für bürokratisches Handeln erhielten? »Kontrollratsgesetz Nr. 10 Bestrafung von Personen, die sich Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen den Frieden oder gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht haben vom 20. Dezember 1945 … Artikel II. 1. Jeder der folgenden Tatbestände stellt ein Verbrechen dar: … c) Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Gewalttaten und Vergehen, einschließlich der folgenden den obrigen Tatbestand jedoch nicht erschöpfenden Beispiele: … Freiheitsberaubung … Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen … 2. … wird eines Verbrechens … für schuldig erachtet, wer a) als Täter oder b) als Beihelfer bei der Begehung eines solchen Verbrechens mitwirkte oder es befohlen oder begünstigt oder c) durch seine Zustimmung daran teilgenommen hat oder d) mit seiner Planung oder Ausführung in Zusammenhang gestanden hat oder e) einer Organisation oder Vereinigung angehört hat, die mit seiner Ausführung in Zusammenhang stand … 4. a) Die Tatsache, dass jemand ein amtliche Stellung eingenommen hat, … befreit ihn nicht von der Verantwortlichkeit für ein Verbrechen und ist kein Strafmilderungsgrund. b) Die Tatsache, dass jemand unter dem Befehl seiner Regierung oder eines Vorgesetzen gehandelt hat, befreit ihn nicht vor der Verantwortlichkeit für ein Verbrechen … Artikel III 1. Die Besatzungsbehörden sind berechtigt, innerhalb ihrer Besatzungszonen die folgenden Maßnahmen zu trefen: a) Wer sich innerhalb der Zone beindet und der Begehung eines Verbrechens verdächtig ist, … kann verhatet werden; das in seinem Eigentum stehende oder seiner Verfügungsmacht unterliegende bewegliche oder unbewegliche Vermögen soll unter Aufsicht gestellt bis darüber endgültig verfügt wird.« www.verfassungen.de Für den damaligen Kreis Kempen-Krefeld beschreibt die Rahmenbedingungen der Entnaziizierung: Gerhard Rehm (Bearb.). Der Landkreis KempenKrefeld in der Nachkriegszeit. Die monatlichen Berichte des Oberkreisdirektors an die Militärregierung (September 1945 – Juli 1948). Viersen 2008. Daraus: »September 1945 (S. 48) Die Prüfung der Personen, insbesondere der Anhänger der Nazipartei und ihrer Gliederungen, wird systematisch fortgesetzt … Die Reinigung der Ämter ist noch nicht abgeschlossen. Sie waren überall stark mit Nazielementen durchsetzt. Die Frage von Ersatzmännern für gemaßregelte Beamte und Angestellte stöß auf nicht unerhebliche Schwierigkeiten. Der Reinigungsprozess wird daher nur schrittweise vorwärts gehen.« »Oktober 1945 (S. 71) Soweit die Aufrechterhaltung der Verwaltungsbetriebe die Entlassung von Nazis zulässt, erfolgt diese sofort. Die aus den Ämtern entlassenen Nazis halten enge Verbindungen zueinander.« Diese vernetzte bürokratische Argumentation »gegen den Strich« verstanden: Damit legitimierten die Verantwortlichen in der Kreisverwaltung Kempen-Krefeld ihr Handeln gegenüber der Militärregierung im Kempen. Sie legitimierten so, das Bürokraten-Netzwerker wie Herbrandt nicht entlassen werden konnten, weil »alternativlos«. Und wieder in Amt und Würden eingesetzt wurden, wie im Januar 1946 Recken. Die Militärregierung hat sich täuschen lassen. Bedingt durch die Adaption ihres Bildes der deutschen Realität durch die Kreisverwaltungsspitze, die dies im Sinne ihrer Mit-Bürokratennetzwerker instrumentalisierte. Staatsformunabhängig, auf das eigene persönliche und Gruppen-Interesse bedacht, auf das ein Recht bestünde, erarbeitet durch die Gefolgschat zuvor. In den »Kempen-Krefelder Mitteilungen«, dem »Amtsblatt für den Landkreis Kempen-Krefeld. Herausgegeben von der Militärregierung« vom 18. Januar 1946 lesen wir (Bestand Osterath 1500) zur »Bildung von Säuberungsausschüssen« die »Ansprache des Kommandanten an den Kreistag« am 15. Januar 1946. »Eine Hauptaufgabe des Kreistages ist die Säuberung des Landkreises von den Nazis … Die Militärregierung ist immer bemüht gewesen, die zu entfer- nen, von denen sie annahm, dass sie Nazis gewesen sind … Mit den Fällen der Gemeinden und den örtlichen Beamten sollen sich die Säuberungskommissionen der Gemeinden befassen.« Das wurde dem äußeren Schein nach von den Verantwortlichen in den deutschen Bürokratien umgesetzt. Wie, das haben wir an den Beispielen Herbrandt, Recken und Hövelmann vor Augen. Eine klare – unbürokratische – Sprache: »Säuberungsausschüsse«. Dann bürokratisch in »Entnaziizierung« umgedeutet. So dann u. a. von Historikern übernommen, damit auch die veränderte Perspektive, bedingt durch bürokratische Deinitions-Macht. Bis heute. Die Briten bringen nicht ein Jahr nach Kriegsende den Deutschen das Vertrauen entgegen, diese Angelegenheit selbst zu regeln. Und geben damit den Bürokraten-Netzwerken den Handlungsspielraum in die Hände, ihre Mitglieder zu protegieren. Unabhängig davon, ob sie nach dem geltenden Recht zu sanktionieren und zu entlassen waren, denn für Bürokraten sind politische Fragen nur vordergründig von Bedeutung, soweit sie sie zur Legitimation ihres Bürokraten-Handelns instrumentalisieren können. Zur Wahrung des Scheins wurde »gesäubert« – von den aktiven Nationalsozialisten, die nicht den Bürokraten-Netzwerken angehörten. Drei Proiteure: Hugo Recken, Johannes Herbrandt und Joseph Hövelmann. In der britischen Besatzungszone bedeutete das »Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus« vom 5. März 1946 den Übergang der Entnaziizierung in deutsche Verantwortung, konkretisiert durch die Zonen-Instruktion Nr. 2 vom 17. Januar 1946. Im Gesetz heißt es: »Die Beurteilung des Einzelnen geschieht in gerechter Abwägung der individuellen Verantwortlichkeit und der tatsächlichen Gesamthaltung.« Der Freibrief für bürokratisch genutztes Ermessen. Mit der Verordnung Nr. 110 vom 1. Oktober 1947 glaubte die britische Militärregierung dann den deutschen Behörden einen aus ihrer Perspektive zielführenden Handlungsrahmen vorgegeben zu haben. Im Entnaziizierungsverfahren – und darüber hinaus – haben sich die Beteiligten gegenseitig »Persilscheine« – und damit für sich selbst – ausgestellt. Im Kontext ihrer bürokratischen Symbiose. Herbrandt hatte trotz seiner Einstufung in die Kategorie »Minderbelastete« keinerlei Konsequenzen zu tragen, Entnazifizierung | 143 wurde also geschützt und protegiert. Im Gegenteil: Er wurde weiter befördert. Da er sich gegenüber Hugo Recken absolut loyal verhielt, dafür seinen Vorgesetzten Bürgermeister Rudolf Bartels in einer Weise hinterging, die dienstrechtliche, strafrechtliche und zivilrechtliche Konsequenzen hätte haben müssen – auch für Recken. Hohes Risiko – hohe Position: Stellvertretender Gemeindedirektor einen Monat nach Reckens Amtseinführung als Gemeindedirektor im Januar 1946 – beginnend als einfachster Verwaltungsangestellter im Juli 1933. Die geschichtswissenschat liche und die juristische Literatur sind sich einig: Die Entnaziizierung – die Säuberung von Nationalsozialisten – ist gescheitert. Recken und Hövelmann, noch mehr Herbrandt, sind Prototypen dafür. Gescheitert an den Westalliierten, weil sie sich täuschen ließen, dann täuschen lassen wollten – als Selbst-Legitimation, als sie im beginnenden Kalten Krieg auf die Feinde ihrer – kommunistischen – Feinde zurückgrifen. Und an den deutschen Bürokratien, die die Entnaziizierung schnellstmöglich beenden wollten. Vernetzt mit den lokalen und regionalen Bürokraten-Netzwerken, die »ihre« Angehörigen schützen und im Amt halten wollten. Wo dies erst nicht gegen die alliierte Besatzungsmacht gelang, dann später nach derem Ende durch Wiedereinstellung. Wiedereinstellung derer, die in diesen Netzwerken waren – im Einzelfall seit vor 1918. Die Kontinuität deutscher Bürokratie – unter / in / über welchem politischen System auch immer. Der äußerliche Unterschied die jeweilige ideologische Legitimation, die gewechselt wurde wie die Kleidung. Mitglieder des Entnaziizierungsausschusses der Gemeinde Osterath waren u. a. die NS-Verfolgten Sabine Gutmann – für die KPD – und Paul Cervelli – parteilos –. Sie waren erwiesenermaßen unbelastet. Im Gegensatz zu ihrem Gemeindeverwaltungsmitarbeiter Johannes Herbrandt. Paul Cervelli wurde von (Ex)Nationalsozialisten um »Persilscheine« gebeten, gab sie aber nicht. Warum auch? Sabine Gutmann schloss sich gegen ihre Herkunt der Partei an, die für sie die Verfolgten am deutlichsten repräsentierte: die KPD. Stellte sich damit außerhalb der – neuen – Dorf-(Volks)Gemeinschat. Weniger – aber auch – Paul Cervelli, da er sich keiner der Dorf-Parteien anschloss, unabhängig blieb. Als der Osterather Entnaziizierungsauschuss im Februar 1946 gebildet wurde, war der besoldete Beigeordnete Anton Wienands (KPD) aus dem Amt 144 | Entnazifizierung gedrängt worden, wurde im selben Monat oiziell durch Johannes Herbrandt als stellvertretender Gemeindedirektor ersetzt. Und die katholische Geistlichkeit verbunden mit der katholischen Dorfelite in Union mit der Bürokratie in Person der Symbiose Recken / Herbrandt war es gelungen, den evangelischen Bürgermeister Rudolf Bartels abermals – wie 1933 – mit einer Intrige durch den Katholiken Hugo Recken ersetzen zu lassen. Die dörlichen katholischen Verhältnisse waren also wieder zurechtgerückt. Und im Entnaziizierungsausschuss saß für die CDU der katholische Pfarrer Hövelmann. So war auch dort durch den Recken-Protegee alles unter Kontrolle. Vorher – im Jahr 1945 seit der Befreiung durch USamerikanische Einheiten am 1. März 1945 – gab es eine aktive Entnaziizierung in Osterath, wie aus den beiden Akten im Bestand Osterath 1500 und 1501 hervorgeht. In Verantwortung von Bürgermeister Rudolf Bartels und seines besoldeten Beigeordneten Anton Wienands. Also so weit, wie Johannes Herbrandt es – noch nicht – verhindern konnte. Im August 1944 überschritten alliierte Einheiten bei Aachen die deutsche Grenze, nicht weit von Osterath. Neben den letzen regionalen DurchhalteKriegsanstrengungen gab es den Versuch der Fortführung der Mord-Politik im Rheinland. Einer der Nürnberger Nachfolgeprozesse war der Einsatzgruppenprozess in Nürnberg 1947/48. Einer der Angeklagten war der Einsatzgruppenleiter Gustav Nosske. Er wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, 1951 entlassen. Von den 24 Angeklagten schieden zwei wegen Krankheit und Suizid aus dem Verfahren aus. Von den übrigen 24 Angeklagten wurden 14 zum Tode verurteilt, 4 tatsächlich hingerichtet, alle anderen nach kurzer verbüßter Strafe entlassen. Im Urteil gegen Nosske lesen wir (Trials of War Criminals Before the Nürnberg Military Tribunals. Volume IV: »he Einsatzgruppen Case« »he RuSHA Case«, S. 558f. Web-Ressource. Übersetzung des Autors): »Im September 1944 wurde der Angeklagte, der inzwischen nach Deutschland zurückgekehrt war (Nosske wurde Leiter der Gestapo-Leitstelle Düsseldorf, LK), vom Höheren SS- und Polizeiführer (Düsseldorf, LK) beaut ragt, alle Juden und Halbjuden in diesem Bereich (Regierungsbezirke Düsseldorf, Köln und Dortmund, also aus Osterath Lucie Langenbach und Paul Cervelli, LK) zu erschießen. Der Angeklagte erklärte, dass er gegen diesen Befehl protestierte und der Befehl schließlich widerrufen bzw. er nicht zu dessen Durchführung gezwungen wurde. Nosske protestierte gegen diesen Befehl mit der Begründung, dass er annahm, dass viele der Opfer, insbesondere die Halbjuden, Deutsche seien (Als Einsatzgruppenleiter hat er da nicht diferenziert. LK) Sein Handeln demonstriert entgegen der Gutachten mehrerer Angeklagter zum Befehls-Zwang, dass die Mitglieder der deutschen Wehrmacht gegen Befehle protestieren konnten ohne Gefahr zu laufen, selbst erschossen zu werden. Obwohl es wahr ist, dass der Angeklagte einige Nachteile erlitt wegen seiner Weigerung, die Menschen im Bereich Düsseldorf zu erschießen, wurde er nicht erschossen oder entlassen.« Kommentar: Nosske wird seinen Vorgesetzten Höheren SS- und Polizeiführer von Dienstzimmer zu Dienstzimmer primär auf die Nicht-Durchführbarkeit des Befehls aufmerksam gemacht haben. Nosske hatte nicht mehr »seine« Einsatzgruppe zur Verfügung und es gab im Bereich Düsseldorf keine Polizei-Einheiten mehr. Die Gestapo-Beamten mordeten »nur noch« individuell. Für kollektiven Mord fehlte zu diesem Zeitpunkt im Bereich Düsseldorf das – ausgebildete – Personal. Das bedeutet: Nosske hätte das »Gesetz gegen die Gemeinschatsfremden« ebenso konsequent umgesetzt wie seine Tätigkeit als Einsatzgruppenleiter. Im Einsatz für den Führer und sich an seinen Eid auf Hitler gebunden fühlend. Wie alle Menschen, die ihren persönlichen Eid auf Hitler geschworen hatten. Über die Befreiung hinaus. Damit haben wir bereits die Muster von vernetzten individuellem Habitus, Säuberung und juristischer Aufarbeitung erfasst. 1985 habe ich im Rahmen des heimatkundlichen Arbeitskreises Osterath vorliegende Zeitzeugeninterviews zum Kriegsende in Osterath ausgewertet und eigene Zeitzeugeninterviews geführt. Das Ergebnis war mein Beitrag in den Meerbuscher Geschichtsheten 1985 »Das Kriegsende in Osterath« (S. 98 – 106). Daraus: »Ein Teil der (am 1. März 1945, LK) auf den Kirchplatz Geführten wurde anschließend in die Kirche gebracht, in der Nacht in den Keller eines nahe liegenden Hauses. Neben Dr. Ley wurden noch einige andere von ihnen in die USA transportiert, wo sie in Gefangenschat blieben. Bürgermeister Recken wurde Anfang April 1945 seines Amtes enthoben. An seiner Stelle musste der Gemeindebeamte Johannes Herbrandt in den folgenden Tagen kommissarisch die Gemeinde leiten … Am 3. März mussten deutsche Gefangene den ganzen Tag mit dem Gesicht zur Gartenmauer am ehemaligen Plöneshof, jetzt heodor-Heuss-Straße, stehen. Der Grund war, dass die US-Amerikaner wegen des Werwolfs teilweise in Panik gerieten (Ein Werwolkommando hatte den von den US-Amerikanern eingesetzten Bürgermeister von Aachen ermordet). Bis Ende März durten sich die Osterather nur im Ort auhalten, für Ausnahmen wurden Passierscheine benötigt. Diese Regelung wurde durch die Einführung der Registration Cards im April 1945 abgelöst … Im Haus Hochstraße 15 war in den ersten Tagen die Kommandantur eingerichtet. Im Bürgermeisteramt war ein niederes amerikanisches Militärgericht, im Keller ein Aufanglager eingerichtet … Am 19. März 1945 wurden Büderich, Lank und Osterath bis zur Bahnlinie geräumt. Das bedeutete weitere Einquartierungen … Die Evakuierung dauerte sechs Wochen.« (S. 105f.) Aus meiner Ersten Staatsarbeit »Verfolgung und Widerstand in Meerbusch 1933 – 1945« Kapitel 23. Die Vorgänge in Meerbusch vom lokalen Kriegsende bis zur Gesamtkapitulation am 9. 5. 1945« (S. 328 f.): »Die gesamte gesetzgebende und vollziehende Gewalt lag in den Händen der Militärregierung. Große Plakate, die öfentlich zum Aushang gebracht wurden und in englischer und deutscher Sprache gedruckt waren, verkündeten Proklamationen, Deklamationen, Befehle, Gesetze, Verordnungen, Bekanntmachungen, Anordnungen, Anweisungen usw. des Kontrollrates, der zonalen, regionalen und örtlichen Befehlshaber und Gesetzgeber, und bestimmten, was Recht sei und was zu tun und zu lassen sei. Es gab zunächst kaum eine Angelegenheit allgemeiner oder persönlicher Bedeutung, die nicht von oder über den Kommandanten entschieden wurde.« NSDAP-Ortsgruppenleiter Dohmen und sein Vorgänger Panzer wurden von den Alliierten verhatet und für längere Zeit interniert. Mit Datum vom 19. Mai 1945 inden wir im Bestand Osterath 1500 einen handschrit lichen Brief einer Osteratherin »An die Militär-Kommandantur in Osterath«, der typisch war. Der »Antrag auf Rückgabe des Radio-Gerätes« schließt mit der Formulierung: »… bitte ich in der Sache den Herrn Pastor Hövelmann zu hören.« Sechs Wochen nach der Befreiung war das katholische Dorf-Machtspiel schon wieder im vollen Entnazifizierung | 145 Gange. Auch deswegen, weil es für die Besatzungsmacht – ob nun US-Amerikaner und dann Briten – außerhalb ihres Fokus lag. Eine Reihe Osterather Nationalsozialisten wurde verhatet, musste u. a. die Radioapparate abgeben und nach der Hatentlassung Hausarrest einhalten, verbunden mit Dienstverplichtungen. In KK 882 »Sofortmaßnahmen Aktion Werwolf« lesen wir ein Schreiben des Landrats Kempen-Krefeld an die Bürgermeister vom 4. April 1945: »Bei allen örtlich bekannten Mitgliedern, soweit sie Parteifunktionen ausgeübt haben, sind die Radioapparate zu beschlagnahmen und sicher zu stellen«. In Osterath wurden bei 25 bekannten aktiven Nationalsozialisten 31 Radioapparate koniziert. In einem Dokument von Bürgermeister Rudolf Bartels vom 24. August 1945 sind von ihm die »Personen nach Gesetz No. 52« – Sperre und Kontrolle von Vermögen von Nationalsozialisten – aufgelistet: »43. Hugo Recken, Bürgermeister, Osterath, Hauptstr. 1 (entlassen)« »Überprüt wurde … der gesamte Lebenswandel zwischen 1933 und 1945. Um ihre Belastung zu mindern oder ihre Ablehnung des NS-Regimes unter Beweis zu stellen, legten viele Betrofene eidesstattliche Erklärungen von Freunden, Bekannten und Kollegen, die sogenannten Persilscheine, vor, die ihren politischen Leumund bezeugen sollten … Persilscheine, deren Wahrheitsgehalt in vielen Fällen nicht allzu hoch anzusetzen war.« Matthias Meusch. Die Entnaziizierung und die Anfänge der juristischen Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus. in: Landtag Nordrhein-Westfalen. 1946. Politik und Alltag im Gründungsjahr des Landes Nordrhein Westfalen. Düsseldorf 2006, S. 51. »Beginnend im Oktober 1945 führte die Militärregierung das System der Kategorien ein … Kategorie I – V (I: Hauptschuldige, II: Belastete, III: Minderbelastete, IV: Mitläufer, V: Entlastete). (Meusch. S. 51) »12. 02. 1952 Inkrat treten des Gesetzes zum Abschluss der Entnaziizierung im Land Nordrhein-Westfalen« (Meusch. S. 52) In der diesem Dokument zugehörigen »Nachweisung über die aufgrund des Gesetzes Nr. 52 der Militärregierung gesperrten Privatkonten« vom 1. November 1945 lesen wir: »Hugo Recken 8.000, -Kreissparkasse Zweigstelle Osterath« Das bedeutet: Die britische Militärregierung für den Kreis Kempen-Krefeld in Kempen ging davon aus, dass Recken zu den NS-Tätern, zumindest NS-Mittätern, zählen könnte. Die Aufgabe des Entnaziizierungsausschusses war insbesondere: Alle aktiven Nationalsozialisten aus dem öfentlichen Dienst auszuschließen. Die realen Machtverhältnisse in Osterath Ende 1945 dokumentierten sich dadurch, dass gerade Herbrandt blieb, wo er war. Im Gegensatz zu Sabine Gutmann und ihrem Mann Julius, die erneut aus der (Volks-)Gemeinschat ausgeschlossen wurden. Weil sie es wagten, sich zu ihrem persönlichen Peiniger Hugo Recken im Dezember 1945 schrit lich zu äußern und sich so erst die bürokratische Feindschat von Johannes Herbrandt, dann ab Januar 1946 von Gemeindedirektor Hugo Recken – und seinem Stellvertreter ab Februar 1946 Johannes Herbrandt – zuzogen. 146 | Entnazifizierung Etwa 10% der NRW-Einwohner wurden der Entnaziizierung unterzogen: 817.819 Personen 90 Kategorie I und II 33.531 Kategorie III 59.630 Kategorie IV 624.568 Kategorie V = über 75% (nach: Meusch. S. 52) Im Staatsarchiv Nordrhein-Westfalen gibt es gut 1.200.000 Entnaziizierungsakten. Das bedeutet: Etwa 50% der Betrofenen gingen in die Berufung – um dann i. d. R. als Unbelastet eingestut zu werden. Im April 1948 beschloss der Landtag NordrheinWestfalen ein Entnaziizierungsgesetz. Das Gesetz wurde von der britischen Militärregierung abgelehnt. Die Landtagsdrucksachen dazu sind eine historisch interessante Lektüre. In der Landtagssitzung am 9. Dezember 1947 führte Landesjustizminister Dr. Heinemann – später Bundespräsident – aus: »Als wir noch alle unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschat standen, hatte ein großer Teil unseres Volkes den sehnlichen Wunsch, die Träger und die Nutznießer dieses Systems einmal für alle Schandtaten zur gründlichen Rechenschat gezogen zu sehen … Ich bin überzeugt davon, dass eine spätere Zeit einmal sagen wird, dass mit den Trägern des Dritten Reiches ungeheuer glimplich verfahren worden ist.« Wohin waren die – aktiven – Nationalsozialisten verschwunden? Eine rhetorische Frage: Sie waren ganz überwiegend da, wo sie auch vorher waren. Nur das ihre Vergangenheit wegdeiniert wurde. Um eine Perspektive darzustellen: Der Leiter des Judenreferats der Gestapoaußendienststelle Krefeld Schulenburg – zuständig auch für die als »Juden« deinierte Menschen in Osterath und Lank – wurde in die Kategorie IV eingestut. In die Kategorie IV wurde ebenso der Leutnant der Schutzpolizei Paul Salitter eingestut, der den Deportationszug nach Riga 11. Dezember 1941 ab Schlachthof Düsseldorf-Derendorf leitete und dessen Deportationsbericht eine zentrale Rolle im Eichmann-Prozess in Jerusalem hatte. Der Unterschied von Schulenburg und Salitter zu Recken und Herbrandt: Sie durten nicht mehr in den öfentlichen Dienst zurückkehren. Sie waren also nicht in den Bürokraten-Netzwerken. Werfen wir noch einen genauen Blick auf die Argumentation von Hugo Recken in seinem Entnaziizierungsverfahren sowie ihrer apologetischen Rezipierung heute durch Herrn Regenbrecht in Kontext zu den geschichtswissenschat lichen Fakten. In einer von Hugo Recken erstellten Aulistung von zwei Seiten führt er elf Punkte zu seiner Entlastung auf. (KK 1023 Bl. 163) Hier ist zwischen den Zeilen die Gesamtkonstellation mit Johannes Herbrandt sowie katholischer Geistlichkeit und katholischer Gemeindeelite zu lesen – wenn diese Perspektive wahrgenommen wird. Seine Darstellung wurde ihm letztlich oiziell im Urteil des NRW-Entnaziizierungsausschusses vom 11. Juli 1949 bestätigt. (LAV NRW R, NW 1034 Nr. 4803) An seinem einzigen konkreten Beispiel der Familie Dr. Langenbach, »Schutz der Juden«, habe ich in diesem Buch geschichtswissenschat lich dokumentiert, dass Hugo Recken in seiner Funktion als Bürgermeister, örtlicher Polizeichef und damit auch örtliche Gestapo keinen Menschen jüdischen Glaubens oder als Halbjuden deinierte Menschen geschützt hat. Im Gegenteil: Im vorauseilenden Gehorsam und auf eigene Initiative hat er Verfolgungsmaßnahmen umgesetzt bzw. umsetzen lassen. Für Bürokraten ist die Zweck-Lüge Teil des Selbstverständlichen nicht nur im bürokratischen Alltag. Und der Verweis auf zwei Recken-Entnaziizierungs-Akten im Landesarchiv NRW in Düsseldorf und ihrer – vermeintlichen – Teil-Nichtverfügbarkeit wird von Bürgermeister Spindler als Legitimation benutzt, auf Zeit zu spielen, um im Sinne der Recken-Legende bürokratisch auf Vergessen zu spekulieren. Tatsächlich sind alle Entnaziizierungsakten ohne Einschränkung frei verfügbar. Den Text der entsprechenden eMail der zuständigen Mitarbeiterin des Landesarchivs NRW können Sie im Kapitel »Die Debatte 2012« lesen. Der NSDAP-Gauleiter Düsseldorf Florian wurde von einem deutschen Gericht in Düsseldorf verurteilt, dann begnadigt. Auf diese Begnadigung haben sich dann zahlreiche NS-Täter bezogen: Wenn dieser Haupt-Täter begnadigt würde, dann könne er in Relation zur Schwere der Taten nicht verurteilt werden. So Georg Pütz, Leiter des Judenreferats der Gestapoleitstelle Düsseldorf, auch zuständig für die Deportation der Menschen aus dem heutigen Meerbusch. Die Staatsanwaltschat Düsseldorf begann 1947 gegen ihn Ermittlungen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Diese Ermittlungen ergaben sich aus dem Artikel II 1c des Kontrollratsgesetzes Nr. 10, nach dem die gesamten Maßnahmen gegen von den Nationalsozialisten als Juden deinierten Menschen – ob nun durch die NS-Führung oder deren Helfershelfern – als Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufzuklären und zu ahnden waren. Helfershelfer auf allen Ebenen. Georg Pütz gehörte bis 1937 der katholischen Kirche an, trat dann aus, 1948 wieder ein. Was ihm bereits vor dem Wiedereintritt die Unterstützung von Seiten der katholischen Geistlichkeit in seinem Gerichtsverfahren und später bei Begnadigungsanträgen eintrug. Herbert Schmid zitiert aus den Vernehmungen von Georg Pütz sowie der Urteilsbegründung zur Verurteilung u. a. wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit: »Aus Gründen der Menschlichkeit habe ich mich dann bewegen lassen, den einen oder anderen Juden vom Abtransport zu schonen.« (S. 173) »Wäre es dem Angeklagten darauf angekommen, nur seine unausweichlichen Dienstobliegenheiten zu erfüllen, dann hätte er das Los von der Verschickung betrofener Juden in vielfacher Hinsicht erleichtern und bei der Durchführung der Transporte menschlich handeln können, anstatt das Elend, die Not und die Seelenpein der Opfer sowie ihrer Angehö- Entnazifizierung | 147 Georg Pütz wurde zu einer vieljährigen Hatstrafe verurteilt, die er überwiegend verbüßte. (Klasse II), unter besonderen Umständen auch als Minderbelastete (Klasse III) angeklagt werden. Diese Vorhaben erfolgten auch vor dem Hintergrund, dass das Korps der Politischen Leiter der NSDAP als verbrecherische Organisation eingestut worden war.« (S. 44) Und das antisemitische bürokratische – auch initiative – Handeln von Hugo Recken und seiner rechten Hand Johannes Herbrandt – vor und nach 1945 -, wie es in dieser Arbeit dokumentiert ist? Und dessen – bürokratische – Legitimation heute? Müller-Botsch bezieht sich auf das Urteil des Nürnberger Prozesses, in dem das Korps der Politischen Leiter der NSDAP als verbrecherische Organisation verurteilt worden war. Im Fokus von ihr sind Um sich einer Antwort auf diese beiden vernetzen Fragen zu nähern, macht es Sinn, die Entnaziizierungsverfahren von Recken und Herbrandt in ihrem historischen Kontext vor und nach der Befreiung am 1. März 1945 im Detail auf der Basis des fallrekonstruktiven biographischen Forschungsansatzes aus der historisch orientierten Politischen Soziologie zu analysieren. Mit Bezug auf: Christine Müller-Botsch. »Den richtigen Mann an der richtigen Stelle.« Biographien und politisches Handeln von unteren NSDAP-Funktionären. Frankfurt a. M. 2009. »Selbstrepräsentationen gegenüber der NSDAP und der Spruchkammer« (S. 266) rigen und Freunde durch hartherziges, gefühlloses und unmenschliches Verhalten noch zu vergrößern.« (S. 178) Um einen Fokus zu beschreiben, drei Zitate aus: Sebastian Haf ner. Germany: Jekyll & Hyde. 1939. Berlin 1996. »… Psyche der Deutschen verstehen. Zu deren krankhaten Geisteszustand gehört ihre Fähigkeit, sich die Realität so vorzustellen, wie sie sie brauchen.« (S. 33) »Die Nazis sind wichtiger und gefährlicher als ihre gegenwärtigen Führer … Nur wenn jene Leute ausgeschaltet werden, sind der Frieden, die Freiheit und die Zivilisation in Deutschland wie in Europa gesichert.« (S. 60 und 67) »Seine Führer begehen die Verbrechen, vor denen er zurückschreckt, die er insgeheim für notwendig und wünschenswert hält, und sie ersparen ihm sogar gnädig die Unannehmlichkeit, sich als Mittäter vorzukommen.« (S. 117) Christine Müller-Botsch führt – auf unser hema fokussiert – aus: »Je später das Spruchverfahren stattfand, desto milder ielen die Sprüche aus. Davon proitierten insbesondere die stärker belasteten Funktionäre.« (S. 46) »Im Befreiungsgesetz war vorgeschrieben, dass sämtliche Funktionsträger auf Ortsgruppenebene in der Klageschrit durch den öfentlichen Ankläger aufgrund ihrer formalen Belastung als Belastete 148 | Entnazifizierung »Die Selbstrepräsentationen der Belasteten sagen mehr über den allgemeinen gesellschatlichen Umgang mit der NS-Vergangenheit als über die jeweilige Person, die sich zu verantworten hatte.« Christine Arbogast »Die Selbstpräsentationen der NSDAP-Funktionäre im Spruchkammerverfahren können als Prozess der selektiven Aufnahme und des Mitkonstruierens der westdeutschen Entnaziizierungsdiskurse vor dem Hintergrund der verschiedenen biographischen Fallstrukturen beschrieben werden.« (S. 262) »Fokussieren, Verleugnen, Reformulieren: Der handelnde Umgang der ehemaligen Funktionäre mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen.« (S. 263) »Um nicht als Belasteter eingestut zu werden – die für die unteren Funktionäre formal vorgesehene Einstufungskategorie –, müssen die ehemaligen Funktionäre nachweisen, dass in ihrem Fall eine Einstufung als Minderbelasteter, Mitläufer oder Entlasteter gerechtfertigt sei.« (S.264) »Die Einstufungen sagen weit mehr über das politische Klima der Nachkriegszeit in Westdeutschland und den Willen zur Integration der politisch Belasteten in die Bevölkerung aus, als dass die Urteile der Spruchkammern Rückschlüsse auf die tatsächliche politische Belastung … zulassen.« Kathrin Meyer Neuordnung der Biographie im Verfahren in Entlastungsabsicht: – Fokus auf diejenigen Aspekte von NS-Ideologie und NS-Maßnahmen, mit denen sie dann vorgeblich nicht einverstanden waren. – Situationen werden in den Vordergrund der Darstellung geschoben – in denen sie nun Handlungsdruck vermitteln wollen – die als Zeichen für Hilfsbereitschat gegenüber NS-Verfolgten gedeutet werden könnten Zum Beleg der Behauptungen sowie zur Entlastung von Anklagepunkten werden zielgerichtet Entlastungsschreiben organisiert, die »Persilscheine«. In der Selbstdarstellung: – weglassen – verschweigen – dethematisieren nach: S. 264f. »Vielfach nutzen sie auch ein begrenztes Wissen der Spruchkammern aus.« (S. 265) »Hinter dem Fälschen der eigenen Lebensgeschichte verbarg sich die Idee, dem alten Elitenaut rag treu zu bleiben. Und auch hier spielt regelmäßig das Rasse-Diapositiv eine entscheidene Rolle.« Christian Schneider. In: Wilfried Loth u.a. (Hrsg.). S. 257. Dies konnte auch – im konkreten Einzelfall – bürokratisch interessegeleitetes Wollen gewesen sein. Insbesondere – wie in den vernetzten Fällen Recken und Herbrandt – wenn es um Mitglieder von Bürokraten-Netzwerken ging. Was im Folgenden konkret belegt werden wird. Was war im Fokus des öfentlichen Klägers, welche Aspekte von Parteitätigkeiten und Tätigkeiten im Kontext öfentlicher Ämter? Primär die notwendig subjektive, damit mit einem sehr weiten Ermessensspielraum verbundene Abschätzung des Verhaltens des NS-Belasteten für die Zukunt. Lediglich rudimentär die faktischen Aktivitäten. Die i. d. R. so weit, wie sie doch in der Klage eine Rolle spielten. Insbesondere dann, wenn schrit liche Zeugenaussagen dazu vorlagen, die gewichtet und gewertet wurden – bis hin zu dethematisiert. Wie z. B. die von Sabine Gutmann bei Recken. Sowie gerade bei Recken und Herbrandt alle, die nicht »passten«. Bis hin zu Rechtsbeugung im Amt im Fall eines Strafantrags wegen Mordversuch, dazu später die Details. Müller Botsch nennt als Beispiele nicht beachteter Aktivitäten, die im Kontext von Recken / Herbrandt relevant sind: – NSDAP-Bockleiter stellen ihre Funktion als reine NSDAP-Beitrags-Kassierung hin. – Die Aufrechterhaltung der Inneren Front – Lutschutz – wird von NS-Belasten als soziales und humanitäres Handeln umgedeutet, »ich gehöre zu den Guten«. Im Kontext mit den Deutschen als – eigentlichen – Opfern, also auch ihm als Opfer. nach: S. 264f. »Die Darstellung von Parteibeitritt, Funktionsübernahme und -ausübung: Produktion und Reproduktion von Nachkriegsdiskursen im biographischen Kontext.« (S. 268) Was NS-Belastete durchgängig in Spruchkammerverfahren nicht zugaben: – jegliche Beteiligung an NS-Gewaltverbrechen – Denunziationen – Beteiligung an der Reichskristallnacht 1938 – antisemitische Einstellungen und Handlungen – revisionistische und imperialistische Einstellungen (S. 266 f. und 271) »Nicht hematisieren, Verschweigen und Verleugnetes kann … gleichwohl auf der latenten Ebene zum Ausdruck kommen.« (S. 266) Man muss also »zwischen den Zeilen lesen«, die Bedeutung von Formulierungen und sprachlichen Konstruktionen dekodieren. »Die Argumentationen und Darstellungen sind … eng mit jenen biographischen Handlungsmustern und -orientierungen verbunden, die auch das speziische Verhalten im Nationalsozialismus strukturiert haben. Die Präsentationen sind verbunden mit den jeweiligen biographischen Erfahrungen und Sinnbezügen. Insofern konstruieren die Funktionäre mit ihren Argumentationen die Nachkriegsdiskurse in einem erheblichen Maße mit, beziehungsweise wählen – interaktionistisch verstanden – aus dem Pool der Nachkriegsdiskurse diejenigen aus, die für sie ›passen‹ und die mit ihrer Biographie verbunden sind.« (S. 268f.) Im Sinne des Modells »Basiserzählung« von homas Herz. »In der Regel werden mehrere Argumente aufgeführt, die fallspeziisch kombiniert werden.« (S. 269) Mit berulichen Orientierungen wird insbesondere von denjenigen argumentiert, die in ihren Biographien generell so argumentieren. »Ein NSDAP-Beitritt wird hier insbesondere mit Absicherung von Positionen begründet.« (S. 269) »Die Auswahl der Argumente der ehemaligen Funktionäre zeigt auch, was von ihnen als ›sagbar‹ akzeptiert und mit der Nachkriegsgesellschat kom- Entnazifizierung | 149 patibel angesehen wird.« (S. 270) »Im Entnaziizierungsverfahren konstruierte Selbstsichten.« (S. 271) Müller-Botsch entwickelt ein Modell von vier »Typen biographischer Bedeutung der NSDAP-Parteitätigkeit« (S. 272f.), die im Folgenden auf Recken und Herbrandt bezogen werden. Typus 1: NSDAP-Parteitätigkeit als biographische Chance. a. Funktionsausübung als legitimiertes Ausleben einer bislang negativ sanktionierten Handlungsstruktur. b. NSDAP-Funktion als Gelegenheit zur Realisierung bislang nicht gelebter biographischer Entwürfe. Typus 2: NSDAP-Parteitätigkeit als eine Modii kation biographischer Handlungsorientierungen angesichts veränderter Herrschatsverhältnisse. Typus 3: NSDAP-Parteitätigkeit als Instrument zur Fortsetzung anderer biographischer Handlungsorientierungen. a. Funktionsausübung als Instrument zur Dokumentation nationalsozialistischer Gesinnung. b. Parteibeitritt und Funktionsausübung als Instrumente zur Fortsetzung anderer biographischer Handlungsorientierungen. Typus 4: Beitritt und Funktionsausübung als erzwungener Bruch mit biographischen Handlungsorientierungen. nach: S. 272 – 284 Kreisarchiv Viersen: Verordnung der MIlitärregierung zur Entnazifizierung 150 | Entnazifizierung »Die biographische Bedeutung einer NSDAPParteitätigkeit ist für den Verlauf der NSDAPParteitätigkeit innerhalb der NSDAP-Ortsgruppe erheblich relevanter als andere in der Literatur fokussierte Aspekte bei der Untersuchung von NSDAP-Mitgliedern und Funktionären.« (S. 272) Als Relex auf die »Basiserzählung« wird die individuelle Ebene und ihr insbesondere lokal-gesellschat licher Kontext ausgeblendet. So kommt es zu einer – unangemessenen einseitigen – Betonung der »Strukturgeschichte«. Die Vernetzung und damit verbundene Synergie beider sich gegenseitig bedingenden Ebenen führt zu Verstehen. »Hier stellen sich auch weiterführende Fragen. Inwieweit gerade durch die Selbstkonstruktion im Kontext der Entnaziizierung bestimmte Nachkriegsdiskurse, die teilweise bis heute wirksam sind, befördert und mitproduziert wurden.« (S. 265) »… die Bearbeitung der NS-Vergangenheit in der bundesrepublikanischen Gesellschat, auch in transgenerationeller Perspektive.« (S. 271) Wie die Recken-Legende in Osterath. Und für das ehemalige Amt Lank die Gustav-van-Beek-Allee, benannt nach dem NS-Bürgermeisterkollegen von Recken in Lank. Sowie das historische Umfeld des HJ-Heims in Büderich, heute Verwaltungsgebäude. Die gesammelten Leichen im Keller der speziisch Meerbuscher »Basiserzählung« im Sinne von homas Herz. Die nicht – wohin auch immer – ausgegraben und umgebettet wurden. Bis heute. »Es stellt sich … die Frage, inwieweit es genau diese im Kontext des Entnaziizierungsverfahrens hergestellten Selbstdarstellungen sind – als jemand, der Dissens mit dem Regime hatte, unter Druck gehandelt hat, gegebenenfalls Verfolgten geholfen hat und selbst durch das Regime geschädigt wurde – die von den Belasteten von da ab vertreten und bis heute an die folgenden Generationen weiter vermittelt werden.« (S. 265) Im konkreten Dreifach-Fall kommt hinzu: Das symbiotische Handeln von Recken und Herbrandt – aus dessen Perspektive auch zur eigenen Absicherung – weit über den Tod von Recken 1953 bis in die 1990er Jahre, in Verbindung mit der vom Osterather Gemeinderat 1953 geschafenen gesellschat lich-kulturell-politischen Recken-Legende, in deren Tradition heute der amtierende Meerbuscher Bürgermeister Spindler agiert. In Meerbusch – wie anderswo – gab es keine »Stunde Null«. Die müssen wir uns heute – endlich – erarbeiten. Dem Gedenken eine Chance. Sehen wir nun einmal auf der Basis des Vorherstehenden ganz genau hin: 1. Literatur, die den juristischen und praktischen Rahmen der Entnaziizierung konkret deiniert. 2. In die Entnaziizierungsakten insbesondere von Recken und Herbrandt. 3. Wie ist das Verhältnis von juristischem Anspruch und der aus den Akten ablesbaren – juristischen – Realität? Wie ist die Divergenz zu deuten und zu bewerten? Das legitime und legale insbesondere Straf-Recht vor der Außerkratsetzung der Weimarer Verfassung nach dem 30. Januar 1933. Das alliierte Recht und das daraus abgeleitete deutsche Umsetzungsrecht sind auf dessen Grundlage einordnenbar. Das bedeutet auch: Dieses Recht war kein nachträgliches Recht, also nach Vollzug der juristisch zu beurteilenden Sachverhalte erlassenes Recht, sondern speziische Konkretisierung. Also die Weimarer Verfassung und das daraus abgeleitete Recht, insbesondere das Strafgesetzbuch in der vor März 1933 geltenden Fassung. Das alliierte Recht, so wie es in diesem Kapitel bereits aufgeführt ist. Sowie: Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946 und Anlage zum Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus. Stuttgart 1946. Irmgard Lange (Bearb.). Entnaziizierung in Nordrhein-Westfalen. Richtlinien – Anweisungen – Organisation. Siegburg 1976. Das umfassende sechsbändige Werk von Lange in seiner vollständigen Version im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf. Clemens Vollnhals (Hrsg.). Entnaziizierung. Politische Säuberung und Rehabilitierung in den vier Besatzungszonen 1945 – 1949. München 1991. Robert M. W. Kempner war in verantwortlicher Position im preußischen Innenministerium an der Abfassung der preußischen Denkschrit von 1930 »Die NSDAP als staats- und republikfeindliche, hochverräterische Verbindung« beteiligt, die er unter dem Titel »Der verpasste Nazi-Stop« in Verbindung mit weiteren Dokumenten zur Denkschrit 1983 veröfentlichte. Dieses formelle Staatsdokument ist eine juristische Basis zur rechtlichen Bewertung mehrerer Aspekte: Der Charakter der NSDAP als terroristische Vereinigung mit einer Gruppe veriizierter Terroristen als Führer, an der Spitze Adolf Hitler. Die kriminellen Handlungen des Reichsanwalts, der Entnazifizierung | 151 152 sich als aktives NSDAP-Mitglied entpuppte. Sowie das illegitime, illegale und kriminelle Handeln aller Menschen in Verantwortungspositionen ab spätestens dem Zeitpunkt, als im März 1933 die Weimarer Verfassung illegitim und illegal ausgehebelt war. Da die demokratieverteidigenden Aktivitäten Robert M. W. Kempners bekannt waren, war es aus der NSPerspektive konsequent, ihn mit als ersten aus dem Staatsdienst illegal zu entfernen. Robert M. W. Kempner emigriert in die USA, wurde dort Jura-Professor und kehrte 1945 als Assistent des US-Chefanklägers bei den Nürnberger Prozessen zurück. Unter dem Titel »Die preußische Bürokratie auf der Anklagebank« trug Robert M. W. Kempner dort seine Anklagerede gegen Wilhelm Frick vor. Der juristische Stil dieser Rede hat mich zum folgenden Teilkapitel meines Buchs inspiriert. Bei genauem Hinsehen sind für konkrete Fragestellungen immer Muster zu identiizieren. So auf den Fall Recken bezogen konkret: Peter Gelber. Die Mär von »Fremdbestimmten« und »Widerstandskämpfern«. Entnaziizierung von NS-Bürgermeistern am Beispiel von Fällen vor der Spruchkammer Wiesloch. In: Badische Heimat 1 / 1997, S. 85 – 95. Der Beitrag des Historikers Peter Gleber beruht auf dessen Magisterarbeit zum hema. akte Hugo Recken NW 0007 Nr. 47434. In ihr inden wir den von Recken ausgefüllten »Fragebogen zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtenstandes vom 7. April 1933«. Zu »5. Welcher politischen Partei haben Sie bisher angehört? Von wann bis wann?« schrieb Recken: Dem Kapitel »Quellen« können Sie alle von mir herangezogene Quellen, Zeitzeugeninterviews etc. entnehmen. Und »Literatur« die gesamte von mir herangezogene Literatur. Im Buch inden Sie an zahlreichen Stellen für diesen Teil relevante Fakten. Eine weitere Quelle in der Recken-Personalakte: Mit Datum vom 10. November 1933 schreibt der Regierungspräsident Düsseldorf an den Herrn Landrat in Kempen, Eingangsstempel Kreisausschuss Kempen 12. November 1933: Aus dem NSDAP-Mitgliederbuch (im Besitz des Autors): »Schimpfe leissig über die Juden und kaufe ebenso leissig bei Ihnen ein! Das vernichtet sie am sichersten!« »Spare an Deiner Bewegung jeden Pfenning, damit Du den Juden und dem Staat dafür etwas mehr geben kannst!« »Ich ersuche ergebenst um Bericht bis zum 20. ds. Mts., ob inzwischen der Bürgermeister Recken in Vorst mit der vertretungsweisen Verwaltung der Bürgermeisterstelle in Osterath und der Bürodirektor aus Viersen mit der Bürgermeisterstelle in Vorst beaut ragt ist.« »Im Zentrum im Jahr 1923, Austritt März 1933, alsdann Übertritt zur N.S.D.A.P.« »Ich bestätige hiermit, alle Angaben nach besten Gewissen gemacht zu haben. Hugo Recken.« Nach eigener per Formel und Unterschrit bestätigter Aussage war Hugo Recken einer der »Märzgefallenen«. Aus der Logik von NSDAP-Aufnahmestopp zum 1. Mai 1933 und der Tatsache, dass der überwiegende Teil der im Amt belassenen in die NSDAP gewechselten Bürgermeister im Regierungsbezirk Düsseldorf nach der Aufstellung des Gauamtes für Kommunalpolitik im Nachlass Ebel im Stadtarchiv Düsseldorf aus NS-Symbolik zum 1. Mai 1933 in die NSDAP aufgenommen wurde, bedeutet dies: Die Behauptung von Recken nach 1945, im Herbst 1933 in die NSDAP genötigt worden zu sein, um seine Bürgermeisterstelle nicht zu gefährden, ist ein Lüge. Wie alle seine Behauptungen zu seiner Entlastung im Entnaziizierungsverfahren. Richten wir hier den Fokus auf die ersten Jahre ab 1933. Hugo Recken ist Bürgermeister in Vorst, Johannes Herbrandt beginnt im Juli 1933 als einfacher Gemeindeangestellter in Osterath, Joseph Hövelmann ist katholischer Religionslehrer in Krefeld. Wie ist das Verhältnis von Reckens Darstellung seines Wechsels nach Osterath und der veriizierbaren Realität insbesondere von ihm selbst stammender Formulierungen in Quellen? Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus den daraus gewonnenen Erkenntnissen ableiten? Das Revirement ist also schon längst eingestielt – unter Einbeziehung von Recken. Nicht wie Recken dann als Beispiel seiner »NS-Verfolgung« behauptet, ein Vorster Nationalsozialist wurde Bürgermeister in Vorst, sondern ein als qualiiziert angesehner Viersener Beamter nach Vorst versetzt. Für beide war es eine Beförderung, keine Degradierung – und auch nicht gegen ihren Willen. Die Realität war also das jeweilige Gegenteil von dem, was Recken nach 1945 behauptete. Jedes Lügengebäude hat so viele tragende Pfeiler, dass die Widerlegung weniger der tragenden Pfeiler zu dessen gesamten Einsturz führt. Im Staatsarchiv Nordrhein-Westfalen inden wir im Bestand Bezirksregierung Düsseldorf die Personal- Noch eine Quelle aus der Recken-Personalakte: Das Amt für Kommunalpolitik der NSDAP-Gauleitung | Entnazifizierung Digitalisierung des Original-Dokuments aus dem Staatsarchiv Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, Bestand Entnazifizierung. Seite 1. Entnazifizierung | 153 Digitalisierung des Original-Dokuments aus dem Staatsarchiv Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, Bestand Entnazifizierung. Seite 2. 154 | Entnazifizierung Düsseldorf teilt mit Datum vom 20. Dezember 1934 dem Herrn Regierungspräsidenten in Düsseldorf betr.: Berufung der Bürgermeister des Kreises Kempen-Krefeld mit: »Gegen die beabsichtigte Berufung 1) des stellvertr. Bürgermeisters Recken in Osterath 2) Schneider in Vorst 3) … wurden vor mir, nachdem der Kreisleiter keinerlei Bedenken hatte, Einwendungen nicht erhoben.« Hier dokumentiert sich der reale Dienstweg – und dessen Konsequenzen. Die NSDAP ist die Entscheidungsinstanz, die Bezirksregierung die leere Hülle, die den NSDAP-Willen zu exekutieren hat. Mit seinem NS-Gesellenstück der »Umlegung« des jüdischen Friedhofs hat sich Hugo Recken diese NSDAP-Zustimmung »erworben«. Diese »Umlegung« war eine extreme antisemitische Maßnahme, in der Recken juristisch verantwortlich zahlreiche im Strafgesetzbuch deinierte Strataten begangen hat. Insbesondere § 253 Erpressung, § 263 Betrug und § 274 Urkundenunterdrückung. Und weitere Stratatbestände wie Störung der Totenruhe. Der Zweck – seine Bestätigung durch die NSDAP – rechtfertigte für ihn alle Mittel. Wir können auf der Basis seines erkennbaren Argumentationsmusters davon ausgehen, dass Recken bei Beweis dieser Fakten nach 1945 eine neue Argumentation aufgebaut hätte: Er habe so gehandelt, um in der Folgezeit in der Position zu sein, Schlimmeres zu verhindern. Dafür hätte er wiederum Zeugen gefunden wie Herbrandt und Hövelmann. Und auch diese Argumentation würde heute von Stadtarchivar Regenbrecht im Aut rag von Bürgermeister Spindler übernommen. Für den guten Katholiken Recken. Im Stadtarchiv Düsseldorf inden wir im Nachlass Ebel den Bestand »Gauamt für Kommunalpolitik Düsseldorf«. Der Leiter dieses Gauamtes Ebel hielt zu einem »Gespräch« mit Regierungsdirektor Hild bei der Bezirksregierung Düsseldorf dessen Zusage schritlich fest: Dass dieser den Landrat Odenthal in Kempen anweisen werde, A zunächst zum kommissarischen Bürgermeister in W zu bestellen. Dem gesprächsweise vorgetragenen »Wunsch« des bei der NSDAP-Gauleitung Düsseldorf zuständigen Parteiamts-Führers entspricht der zuständige Bezirksregierungsbeamte – selbstverständlich. So ist die von Hugo Recken selbst geschriebene Eintragung in seinem Personalbogen beim Gauamt zu verstehen: »Übernahme der Verwaltung in Osterath erfolgte auf besonderen Wunsch der Kreisleitung der NSDAP und der vorgesetzten Behörde.« »Partei – Staat« – neu: »Es galt eben generell – Partei – dann Staat.« Ebenso in diesem Sinn ist in den Gauamts-Akten die Abschrit einer Aktennotiz des Kempener Landrats vom 17. Juli 1934 zur Landrätekonferenz am 10. Juli 1934 mit der Anweisung des Regierungspräsidenten an die Landräte zu verstehen, die bisher vertretungsweise eingesetzten Bürgermeister »sofort in ihr Amt einzuführen bzw. zu bestätigen … Recken in Osterath sofort Schneider in Vorst sofort van Beek in Lank« In einer weiteren Notiz ist festgehalten, dass dies von NSDAP-Kreisleiter Krefeld-Kempen Diestelkamp am 1. August 1934 bestätigt wurde. Mit Datum vom 14. Dezember 1934 teilt der Regierungspräsident NSDAP-Gauamtsleiter Ebel Vollzug mit. Die Einheit von Partei und Staat – genau in dieser Reihenfolge. Den Abschluss bildet eine »Beurteilung des Bürgermeister Recken, Osterath« durch den NSDAPOrtsgruppenleiter Panzer vom 10. Mai 1935: »Bürgermeister Recken hat es durch sein Reden verstanden, die Bevölkerung zum größten Teil auf seine Seite zu bringen, aber diejenigen, die mehr mit ihm zu tun hatten, sind schnell wieder von ihm abgefallen, da er nicht, wie man es wohl annehmen sollte, zu seinem Wort steht. Bürgermeister Recken versucht bei Außenstehenden immer einen guten Eindruck zu erwecken und die etwa entstehenden Unannehmlichkeiten, die durch das Gesetz bedingt sind, den Dienststellen der Partei zu überlassen.« Das hat der NSDAP-Kreisamtsleiter für Kommunalpolitik Kempen um einen Satz ergänzt: »Die politische Einstellung des Recken ist stark von seiner früheren zentrümlichen Einstellung noch heute durchtränkt, er ist mit Vorsicht zu genießen.« Da Hugo Recken aus der Perspektive von Kreis- und Gauleiter die bestverfügbare personelle Möglichkeit im Sinne der Umsetzung der nationalsozialistischen Zielsetzungen war, ofenbaren diese Beurteilungen seine bürokratische Professionalität – im Sinn von interessengeleiteter bürokratischer Zweck-Lüge und Durchlavieren unter allen Bedingungen. Mit der Osterather katholischen Dorfelite im Rücken. Entnazifizierung | 155 Vereidigungs-Nachweis Hövelmann, 1934 Mit Datum vom 21. Dezember 1934 wird Hugo Recken vom Regierungspräsidenten auf 12 Jahre als Bürgermeister in Osterath berufen. Also bis zum 21. Dezember 1946. Ein Datum, auf das wir später zurückkommen werden. Johannes Herbrandt lebt in Kempen, der Kreisstadt. Über seinen Vater, der in einer führenden Position der Gemeindeverwaltung Kempen ist, hat er Beziehungen zu den Beamten-Netzwerken. Gustav van Beek ist Kempener Bürgermeister, der spätere NSDAP-Bürgermeister in Lank. Man(n) kennt sich. Über das Netzwerk werden Recken und Herbrandt verknüpt – Saruman und Grima –, Herbrandt kommt vor Recken im Juli 1933 in die Gemeindeverwaltung Osterath. Der Beginn dieser bis zum Tod von Recken im August 1953 – und weit darüber hinaus – dauernden Symbiose. 156 | Entnazifizierung So wie Herbrandt innerhalb der Gemeindeverwaltung Osterath 1933 gegen Bürgermeister Rudolf Bartels agiert, die Unterwanderungs-Strategie der NSDAP, straf-, zivil- und dienstrechtlich zu ahnden, wiederholt er dieses »erfolgreiche« Manöver 1945. Illegitim und illegal mit hoher krimineller Energie. Die Wirksamkeit 1933 und 1945 setzt die Mitwirkung weiterer interessierter Personen voraus: die katholische Gemeindeelite in Osterath, vereint mit den Osterather katholischen Nationalsozialisten. Johannes Herbrandt engagiert sich dann in und für die NSDAP. Zu Joseph Hövelmann inden wir im Stadtarchiv Krefeld dessen Personalakte als katholischer Religionslehrer. Es gibt in seinem EntnaziizierungsFragebogen an, Mitglied des Zentrums gewesen zu sein. Mit Datum vom 5. Oktober 1933 lesen wir in einem Schreiben von Hövelmann an das Schulamt der Stadt Krefeld-Uerdingen, in dem er um einen Zuschuss zur Teilnahme am »Kursus für Religionslehrer an Berufsschulen« »Die sittliche religiöse Vertiefung der beruflichen und nationalen Lebens durch den Religionsunterricht« bittet. Mit Datum vom 21. September 1934 unterschreibt Hövelmann seinen Beamten-Diensteid auf Adolf Hitler. (siehe Faksimile auf Seite 156.) Hövelmann ist im Kontext seiner gesellschat lichkulturellen Sozialisation an diesen Eid gebunden – in welchem Umfang und bis wann? 1938 wird er zum Pfarrer in Osterath berufen. Übernimmt von seinem Vorgänger Pörting die Rolle als katholischer Geistlicher im gesellschat lichen Mikrokosmos Osterath. Relektieren wir: Recken, Herbrandt und Hövelmann arrangieren sich aktiv mit der terroristischen Vereinigung NSDAP, richten ihre Tätigkeiten auf sie aus, werden ein Teil von ihr. Aktiv, ohne Zwang. Sie kennen die NS-Ideologie und ihr Kernziel, an dem sie damit im Rahmen ihrer Positionen aktiv mitwirken: alle »Gemeinschatsfremden« zu ermorden. Aktive Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, Beihilfe, Mittäterschat, Täterschat. Zum gesamtem Katalog des Strafgesetzbuchs inkl. Mord. Als Selbstverständlichkeit in einer gewaltsamen Gesellschat, in der es aus der Perspektive von Recken, Herbrandt und Hövelmann besser ist, zu den Tätern zu zählen Mord verjährt nicht. »Zu den Mördern gehörten ja nicht nur jene Schergen, die die Menschen direkt verfolgt, denunziert, im Versteck aufgespürt, abtransportiert und umgebracht haben, sondern auch diejenigen, die das System der Barbarei propagiert, organisiert und gerechtfertigt haben.« Anke Brunn. Ex-NRW-Ministerin für Wissenschaft. Recken, Herbrandt und Hövelmann sind in der Zeit des NS-Terror-Mord-Partei-Staates Mitglieder in NS-Organisationen, die vernetzt und integraler Bestandteil dieses Schein-Staates sind. Der die Bedingungen für Staat-Sein nicht erfüllt. Das, was als Fiktion von Staat äußerlich als leere Hülle vegetiert, ist reines NS-Instrument – ohne Ethik und ohne Recht, bindungslos. Die Nationalsozialisten führen aus ihrer Perspektive einen Krieg, dessen Front die gesamte Gesellschat ist – in Deutschland und der ganzen Welt. Der in diesen Sinn angestrebte »deut- sche Friede« bedeutet: Weltweit sind alle Menschen ermordet, die nicht pathologische »arische« Nationalsozialisten sind. Die Menschheit ist ausgelöscht. Bis zur Befreiung 1945 und dem Stand der Realisierung des NS-Kernziels wirken daran Recken, Herbrandt und Hövelmann aktiv mit – im Rahmen ihrer gesellschat lichen vernetzten Positionen und ihrer Möglichkeiten. Und unter neuen Bedingungen und verschobenen Prämissen darüber hinaus. Verdeckt und im blinden Fleck der gesellschat lichen Wahrnehmung, da es in gesellschat lichen Tabubereichen wie Antisemitismus geschah. Dies ist aus den vorliegenden schrit lichen Aussagen insbesondere in den Entnaziizierungsakten von Recken und Herbrandt, weiteren Quellen sowie Zeitzeugenaussagen weitgehend zu dekodieren – wenn man für diese Perspektive frei ist. Der Sinn des Prozesses, der dann interessengeleitet zur »Entnaziizierung« umgedeutet wurde, war die Säuberung von Nationalsozialisten und deren Einlüsse u. a. in den Bürokratien als Basis einer demokratischen Entwicklung. Das wurde in alliiertes und deutsches Recht umgesetzt – und zu Gunsten der Zielgruppe in bewährter sophistischer Weise gezielt massiv in sein Gegenteil ausgelegt. Die konsequente Fortsetzung juristischer Perversion. Mit gesellschat lichen Konsequenzen bis heute. Nach dem Sinn und dem Buchstaben des Säuberungs-Rechts war eindeutig: Recken und Herbrandt gehören nicht mehr in den öfentlichen Dienst, Hövelmann ist kirchlich zu maßregeln. Für alle drei geschieht im Kern das exakte Gegenteil. In Verbindung mit ihren vernetzten Netzwerken – auch von (ex)Nationalsozialisten. Was inden wir dazu in den Entnazii zierungsakten von Recken und Herbrandt – die uneingeschränkt für jeden Interessierten zugänglich sind? LAV NRW R, NW 1034 Nr. 4803 Hugo Recken Jeder Mensch kann diese digitalisierte Akte im Lesesaal des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, Mauerstraße, am PC einsehen – und kopieren. Blatt 066 Wilhelm Bürvernich. 1. August 1946 »… dass der frühere Bürgermeister von Osterath Herr Recken … das Parteiabzeichen ofen trug und ich den Eindruck hatte, dass Herr Recken als Nationalsozialist und in meinem als Miterbe eigenen Hauses, wo Nationalsozialisten als Mieter untergebracht sind, mir den Zuzug verweigerte.« Entnazifizierung | 157 Blatt 068 Albrecht Neviger 17. Februar 1946 »Seit November 1939 wurde ich durch den Bürgermeister der Gemeinde Osterath, Parteigenosse Hugo Recken, aus rassischen Gründen verfolgt. Sein Hauptziel war, wie aus beiliegender Fotokopie zu ersehen ist, den Juden oder Halbjuden in der Gemeinde das Leben auf alle Fälle unmöglich zu machen. In meinem Fall intrigierte er in Gemeinschat mit einer Familie Schmidthuisen und erzwang auf die brutalste Art und Weise, im Verein mit der Gestapo, meine Trennung von meiner damaligen Haushälterin, meiner jetzigen Frau, und meinem Kind. Er war stets eifrig bemüht, auf allen Gebieten – besonders auf dem Gebiet der Judenverfolgung – die erste Geige zu spielen.« Blatt 065 Michael Schumacher. 1. April 1945 »Schadenersatzklage. Betrit: Bürgermeister Hugo Recken … Mieterschutzverein (Vorsitzender August Legermann) … Zwangsräumung am 6. September 1936 … 3 kleine Kinder … weil ich Kommunist war und aus der Kirche ausgetreten bin.« Blatt 064 Sabine Gutmann. 22. Januar 1946 an den britischen Kreiskommandanten »Als im Dez. 41 die 10 Juden ins KZ gekommen sind, wir diese nach Krefeld begleitet haben, fanden wir bei der Rückkehr um 2 Uhr bereits die Vorkehrung für den Umzug nach Krefeld vor. Bei der Rücksprache mit Recken äußerte sich dieser, wenn die Revolte losging, wäre es doch besser, wenn wir an einem Platz wohnten, wo mehrere Juden wären als hier ganz allein.« Das Ehepaar Gutmann habe sich geweigert, Osterath zu verlassen, sei dann später deportiert worden. (Dass Recken den Umzug des Ehepaars Gutmann von langer Hand vorbereitet hatte, dokumentiert die Quelle im Stadtarchiv Meerbusch mit der von ihm organisierten Juden-Wohnung in Krefeld.) »Wir sind z. Zt. persönlich bei Herrn Oberregierungsrat Dr. Auerbach gewesen und haben Schritstücke überreicht, die der Regierung Auk lärung über das Verhalten des Bürgermeisters Recken den Juden gegenüber Auskunt geben.« (Diese Schritstücke sind dann auf dem Dienstweg »verloren gegangen«. Wie die Strafanzeigen gegen Hövelmann, Recken und Herbrandt.) 158 | Entnazifizierung Blatt 057 Josef Hüsges. 10. Juli 1947 »Ich erkläre hiermit an Eides statt, dass der damalige Bürgermeister Hugo Recken, heute Gemeindedirektor in Osterath, beim Abtransport der Juden Julius Gutmann und Frau gesagt hat: Gut, dass die letzten dreckigen Juden aus Osterath fort sind.« Blatt 056 und Blatt 058 Peter Cammanns. 5. Februar 1946 »… in Osterath der Erz-Nazi-Bürgermeister Parteigenosse Hugo Recken als Gemeindedirektor … sein mehr als schändliches und gemeines Verhalten während der Hitlerherrschat … Über den schmutzigen Charakter des alten Nazi-Parteigenossen Recken herrscht in der Öfentlichkeit schon einige Klarheit … Pfarrer Hövelmann … sich als katholischer Priester so nachhaltig und mit allen seinen Kräten für die Widereinstellung des Recken eingesetzt hatte. Ich sehe noch die Plakatanschläge der Nazis in Osterath! ›Achtung! Achtung! Am Sonntag den … spricht Pg. Recken!‹ Damals: Recken als Propagandaredner der NSDAP. Heute: Recken als ›braver Katholik‹ … ist stramm hinter der Nazifahne hermaschiert … Seine ständigen Redensarten waren ja auch entsprechend. Recken war es auch, der sich während des ganzen Krieges für die totalitären Kriegsmaßnahmen Hitlers fanatisch einsetzte. Auch Reckens eigene Worte, als notgelandete alliierte Flieger auf das Bürgermeisteramt geführt wurden, klingen mir noch unvergessen in den Ohren. Recken sagte. ›Herein mit den Schweinen!‹ Ich frage: Ist das nationalsozialistisch oder etwa katholisch?« (Für Osterath sind lediglich Gräber von alliierten Piloten überliefert. Recken hat im Entnaziizierungsverfahren angegeben, für würdige Beerdigungen gesorgt zu haben. Im Kontext ist diese Aussage interpretationsfähig.) Blatt 088 und Blatt 089 Pfarrer Hövelmann. 1. September 1947 Pfarramtliche Bescheinigung Persilschein für Hugo Recken – pfarramtlich. Blatt 029 Handschrit liche Notizen aus dem Kreis-Entnaziizierungsausschuss, damit amtlich: »Johannes Herbrandt weigert sich zu reden.« »Recken hat sich geweigert zu reden.« Blatt 055 Ausschussbeschluss vom 3. Juli 1947 Entnazifizierung | 159 Blatt 057 Handschrit liche Notiz aus dem KreisEntnaziizierungsauschuss Abstimmung zur Kategorisierung von Hugo Recken IV 7, III 5 u. a. Hermann Dortans Blatt 052 Hermann Dortans, SPD, führender Kreispolitiker, 1. März 1948 an den Kreis-Entnaziizieungsausschuss »Bei Recken muss ich Kat. 4 ablehnen, wenn damit gleichzeitig die Zulassung als Gemeindedirektor verbunden ist. Ich habe in Osterath ebenfalls mit mir objektiv erscheinenden Leuten Rücksprache genommen und halte meine damalige Einschränkung aufrecht, d. h. ich muss mich bei Recken für Kat.3 entscheiden.« LAV NRW R, NW 1023 Nr. 05278 Johannes Herbrandt Wie bei der Recken Akte: Ist frei für jeden Menschen verfügbar. Blatt 007 Aufstellung von Herbrandt in seinem Entnaziizierungs-Fragebogen zu seinem Einkommen 1931 – 1945 25. November 1946 1934 – 1937 Gemeindeangestellter von 1640 RM auf 2722 RM 1937 – 1945 Gemeindebeamter von 2722 RM auf 4560 RM Blatt 037 Einreihungsbescheid Kategorie II und IV. 26. Januar 1946 »Ist für die Stellung als Gemeindedirektor nicht zugelassen. Es ist ihm jedoch zu erlauben, eine Stellung nicht über eines Obersekretärs in der gleichen Berufsgruppe oder eine entsprechende Stelle im öfentlichen, halböfentlichen Dienst oder Privatunternehmen anzunehmen.« (Einen Monat später hatte der Gemeinderat Osterath Herbrandt zum stellvertretenden Gemeindedirektor gemacht, als Stellvertreter von Recken. Bürgermeister Lensing war auch NSDAP-Mitglied, im Gegensatz zur Annahme der Briten.) Blatt 046 Bürgermeister Rudolf Lensing. 8. August 1949 Persilschein für Johannes Herbrandt. Blatt 019 und Blatt 020 Gemeindedirektor Hugo Recken. 6. August 1949 Persilschein für Johnnes Herbrandt. Blatt 022 Pfarrer Hövelmann. 6. August 1949 Persilschein für Johannes Herbrandt. 160 | Entnazifizierung Blatt 029 »Abschrit«. 25. Mai 1949 SA Krefeld 26. November 1935 Ausschluss von Johannes Herbrandt aus der SA 1935. (Das Original existiert in keinem Archiv, wurde von einem Osterather Gemeindebeamten als Abschrit amtlich bestätigt. Frage: Wo sind die gesamten NSDAP-Unterlagen aus dem Bereich des NSDAPKreises Krefeld-Kempen heute versteckt?) Blatt 036 Gemeinderäte Osterath am 25. Mai 1949 Gemeinsamer Persilschein für Johannes Herbrandt, NSDAP-Mitglied Rudolf Lensing, NSDAP-Mitglied 09. 11. 1940 Nr. 8578768 (s. Seite 163) Erich Bacher NSDAP-Mitglied, Ehefrau Hilde: NSDAP-Ortsfrauenschats-Führerin Paul Bommers Karl Bommers: NSDAP Strümp Wilhelm Merzenich NSDAP-Mitglied – Lank/ Ilverich Josef Oellers NSDAP-Mitglied Karl Röllges W. Gillessen NSDAP-Mitglied Hermann Stahl NSDAP-Mitglied J. Schündelen Peter Pescher NSDAP-Mitglied – Krefeld Aug. Bommers H. Wiebusch NSDAP-Mitglied Ferd. Splissenbach sein Bruder Josef war NSDAP-Mitglied Blätter 046 bis 049 Michael Schumacher. 2. Juni 1946 »Strafantrag wegen versuchten Mord« gegen Johannes Herbrandt Schumacher beschreibt ausführlich und im Detail eine Stratat am 4. Oktober 1933 in Osterath, bei deren Verübung ihn eine Gruppe SA-Leute, darunter Johannes Herbrandt, schwer misshandelt habe, verbunden mit schwerer Körperverletzung. (Die Personenbeschreibung von Johannes Herbrandt ist konkret – und aus meinem eigenen Erleben von ihm zutrefend. Mit der Schein-Legitimation, Herbrandt habe zu diesem Zeitpunkt (noch) nicht in Osterath gewohnt und Schumacher habe ihn wohl mit einem anderen SA-Mann verwechselt, haben die verantwortlichen Bürokraten die Stratat Rechtsbeugung im Amt begangen. Hätten sie ihrer gesetzlichen Plicht genüge getan, dann wären Julius Gutmann, Dr. Langenbach und Rudolf Bartels 1948 unter Einwirkung von Johannes Herbrandt wohl nicht zu Tode gekommen.) Welches Resümee können wir an dieser Stelle ziehen? Strukturierte Gedanken zur Osterather – und Meerbuscher – Gesellschaft und Kultur Wir haben es hier mit Rechts-Terrorismus im doppelten Wortsinn zu tun – vor und nach der Befreiung 1945. Die Perspektive: Osterath als gesellschat lich-kulturell-politischer Raum – vernetzt mit den umliegenden und den hierachisch übergeordneten Räumen »Das Dritte Reich ist verschwunden, aber nicht der Antisemitismus.« Julius Dreifuss am 28. Oktober 1946. Nach der Befreiung 1945 fanden äußerliche Anpassungsprozesse statt. Anpassungsprozesse, die in die katholische Kultur von Äußerlichkeit passten. Unter den gegebenen Bedingungen der Herrschat der Alliierten ging es in der Säuberung darum, durch äußere Anpassung und Nutzung der bürokratischen Machtinstrumente kollektiv die Positionen zu behalten ggf. darin zurückzukommen. Alles andere empfanden diese Menschen kollektiv als Unrecht. Umgekehrt weigerten sie sich, den Gedanken zu relektieren, was ihr persönliches und kollektives Unrecht sein könnte. Sie wollten sich unter allen Umständen immer als die eigentlichen Opfer verstehen. Wie sie dann in der Restribution ihre Opfer als Täter verstanden und insbesondere die als Juden verfolgten Menschen aus ihrer Perspektive diejenigen waren, die ihnen – wieder – zu Unrecht an ihr Eigentum wollten. »So ist der Jude eben.« Nach der deutschen Gemeindeordnung 1935 § 3(1) »Der Bürgermeister führt die Verwaltung in voller und ausschließlicher Verantwortung.« hatte Hugo Recken »die volle und ausschließliche Verantwortung in zivil-, straf- und arbeitsrechtlicher Hinsicht«, so der amtliche Kommentar. Hugo Recken hat – in Verbindung insbesondere mit seinem Symbionten Johannes Herbrandt – vor und nach 1945 – zahlreiche dokumentierte Strataten begangen. Für die er sich vor irdischen Richtern nicht verantworten musste – wie Johannes Herbrandt und Joseph Hövelmann sowie viele andere Menschen aus Osterath. Da juristisch als Morde qualiizierbar, die auch in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen, der Afekt ausschließt, ist die staatsanwaltschat liche Auseinandersetzung mit den Todesfällen Julius Gutmann, Dr. Langenbach und Rudolf Bartels ein ofenes Kapitel deutscher Rechts-Geschichte. Eine ganz persönliche zentrale Erkenntnis von mir: Alles ist möglich, auch wahrscheinlich. Das lässt sich konkret veriizieren – im wissenschat lichen sowie im juristischen Sinn. Wenn ich dafür frei bin. Daraus kann ich lernen. Im Osterather Raum besteht eine Abstufung von individueller Macht sowie im Verhältnis zur Position in Staats-Macht bzw. Staats-Gewalt gesellschat liche – zum Teil erzwungene – Akzeptanz von Verhalten – inklusive struktureller und direkter Gewalt – von Einzelnen sowie in Verbindung von Menschen. Unter speziischen Bedingungen kann sich das Gesamtgefüge verschieben, so in Staatsformwechseln, die zu einer Neujustierung gesellschat licher und staatlicher Zielsetzungen führen, auch die, die mit Ausübung von Staats-Gewalt verbunden sind. Dabei sind formelle und informelle Ebenen vernetzt. So die formelle Ebene bürokratischer schritlicher Kommunikation und die informelle Ebene des – im Kontext ihrer persönlichen Dispositionen – persönlichen Handelns von Bürokraten. Auf den beiden vernetzten Ebenen kann der individuelle Bürokrat im Rahmen dessen, was in der Bürokratie-Kultur akzeptables Verhalten ist, vernetzt mit dessen Entsprechung im Raum agieren. Dies dann vernetzt mit anderen Handelnden – auch außerhalb der eigenen Bürokratie –, jeweils kombiniert nach den speziischen augenblicklichen und langfristigen individuellen und kollektiven Interessen. Im nationalsozialistischen Terror- und Mord-Partei-Staat wurde das bereits vorher angelegte Gewalt-Potenzial staatliche Zielsetzung. Nach außen legitimiert mit der Volksgemeinschats- und Führerideologie. Im Sinne von gewaltsamer Exklusion willkürlich deinierter Menschen als Schein-Gruppen bis hin zu deren Ermordung – in Verbindung mit der Selbstverständlichkeit der gewaltsamen Umsetzung bis zum Mord. Die Position im NS-Terror-Mord-Gefüge bestimmte dabei, in welchem Umfang Einzelne ihre Perversion ausleben durten, ja sollten – genau danach ausgewählt wurden. Dem steht gegenüber, in welchem Maße die ausgeschlossenen Menschen davon betrofen waren. Unter dem Mantel der ideologischen Legitimation waren Bürokraten frei zu handeln. Im Kontext der Bürokratie-Kultur immer im Gedanken an ihre bürokratische und gesellschat- Entnazifizierung | 161 liche Absicherung – auch nach einem erneuten Staatsformwechsel. Die als Juden deinierten Menschen in Osterath wurden unter bürokratischer Täterschat und MitTäterschat der dafür verantwortlichen Osterather Bürokraten auch persönlich Auge in Auge terrorisiert, entrechtet, enteignet und dann aktiv und bewusst in Kenntnis der Todes-Konsequenz in den Tod geschickt. Allen voran Bürgermeister Hugo Recken. Bis auf den – aus Perspektive dieser Bürokraten – bürokratischen Betriebsunfall, dass im Herbst 1945 Sabine und Julius Gutmann aus heresienstadt lebend zurückkehrten. Durch die Besetzung Osteraths am 1. März 1945 durch US-amerikanische Einheiten hatte formell ein Staatsformwechsel stattgefunden, der weder direkt, noch kurz- und langfristig Einluss auf die Osterather Gesellschat und ihre vernetzten Kulturen hatte. Die Osterather katholische Gemeindeelite in Union mit der katholischen Geistlichkeit begrif diesen Staatsformwechsel als Chance, ihren vernetzen gesellschat lichen, kulturellen und politischen Einluss auszubauen. Osterath war zu 98 % katholisch, die überhaupt aus der katholischen Kirche ausgetretenen Nationalsozialisten kehrten von »Heim ins Reich« »heim ins himmlische Reich«. Indem sie ein Reuebekenntnis unterzeichneten, dass sie dem Irrglauben – des Nationalsozialismus – abschworen, dann drei mal die Woche über drei Monate pfarramtliche Unterweisung in »den kirchlichen Wahrheiten« erhielten, also katholisch-ideologisch umerzogen wurden. Eine Reeducation der – so von den Alliierten sicher nicht vorgesehenen – besonderen Art. Nationalsozialismus und Nationalsozialisten waren von der Macht ausgeschlossen, die katholische Dorf-Macht konnte sich nicht nur reorganisieren, sondern eine neue Qualität erreichen. 162 Die Osterather katholische Gemeinde-Elite – vernetzt mit den wiederum vernetzen – umliegenden und übergeordneten Eliten agierte in diesem Sinn: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist – so weit wir es müssen und wollen. Und gebt Gott – damit seinen Stellvertretern vor Ort auf Erden, also uns – was Gottes ist. Der katholische totalitäre Allmachts-Anspruch, realisiert weitest möglich unter den speziisch gesellschat lich-kulturell-politischen Bedingungen. Die gesellschat lich-kulturell-politische MachtWirksamkeit dieses eliten-kollektiven Handelns ergab sich wesentlich aus der intakten staatsformunabhängigen speziisch deutschen Bürokratie mit ihrer Bürokratie-Kultur, die in der Folgezeit wieder vollständig hergestellt wurde. Der antidemokratische Gründungs-Fehler der Bundesrepublik Deutschland. Aus der Perspektive der in der Bürokratie-Kultur Agierenden wurden die bürokratie-fremden Strukturelemente eliminiert, die von den Nationalsozialisten implantiert worden waren. Das bedeutet: Die Macht der Bürokratie-Eliten und ihrer informellen Netzwerke wurde wieder vollständig hergestellt. Nach außen auch gegenüber der Besatzungsmacht legitimiert mit Entnaziizierung und Demokratisierung. Für – deutsche – Bürokraten ist Ideologie und Recht lediglich Mittel zum Zweck der eigenen Legitimation im Sinne bürokratischer Absicherung und Unverantwortlichkeit. Das Gegenteil dessen, was Robert M. W. Kempner für die USA konstatiert: Achtung der Republik und Mut zur Republik. Dies war auch deswegen möglich, weil die katholische Dorf-Elite verstand: Ein zentraler Aspekt des Deutschland-Bildes der US-Amerikaner – dann ab Ende April 1945 der Briten – war, dass katholische Kirche und katholische Gläubige von den Nationalsozialisten verfolgt worden waren, unter den Generalverdacht der Widerstandes gegen das NS-Regime ielen. Die Osterather Gesellschat fand nach dem 1. März 1945 eine bruchlose Fortsetzung, es gab keine »Stunde Null«. So war es aus der Perspektive der katholischen Gemeinde-Elite ein großes Unrecht, dass Bürgermeister Hugo Recken, seit Januar 1934 im Amt, vom US-Ortskommandanten Mondell Ende März 1945 entlassen wurde. So wie alle Bürgermeister entlassen wurden. Dieses – vermeintliche – Unrecht war im Januar 1946 geheilt: Hugo Recken war Gemeindedirektor und blieb dies bis zu seinem Tod im August 1953. Das nutzten sie für ihr Macht-Agieren gegenüber der neuen Staatsgewalt und stellten ihre kollektive Darstellung der Dorf-Realität zuvor darauf ab. Das auch in den Folgejahren in der Entnaziizierung – und bis heute in den Folgegenerationen. In diesem gesellschat lich-kulturell-politischen speziisch Osterather Biotop war es möglich, dass zur Entlastung der seit Januar 1934 bruchlos bestehenden Symbiose in der Gemeindeverwaltung Recken / Herbrandt nicht nur Persilscheine produziert | Entnazifizierung wurden. Ihr Kontext war Nötigung, Erpressung, Bestechung sowie Fälschung von Unterschriten – von Verfolgten. Die maßgeblich Agierenden: Hugo Recken, Johannes Herbrandt – der vom US-Ortskommandanten Mondell in der Verwaltung belassen worden war, also justiziable Obstruktion von innen betrieb – und Pastor Hövelmann. Der Zweck heiligt alle Mittel. Aus der Perspektive der katholischen GemeindeElite in Osterath machten die geduldeten DorfParias, das überlebende Ehepaar Gutmann, einen unverzeihlichen Tabu-Bruch: Sie hielten sich nicht an die selbstverständliche gesellschat liche Regel, wie vor 1945 sag- und klaglos die Opferrolle einzunehmen. Nicht nur, dass Sabine Gutmann für die KPD in den Gemeinderat und dessen Entnaziizierungsausschuss ging, gemeinsam mit dem parteilosen verfolgten Halbjuden Paul Cervelli. Wo sie vom von der CDU entsandten Pastor Hövelmann neutralisiert wurden. Als das Ehepaar Gutmann im Dezember 1945 durch öfentliche Äußerungen von Hugo Recken selbst erfuhr, dass ihr persönlicher Peiniger in der NS-Zeit wieder in Amt und Würden kommen soll, indem er – wie 1933 – den vom US-Ortskommandanten Mondell eingesetzten evangelischen Bürgermeister Rudolf Bartels, nun im Verein mit dem kommunistischen besoldeten Beigeordneten Anton Wienands, wurden sie gegen Recken aktiv. Was sie schrit lich unternahmen, das indet sich zum guten Teil heute nicht nur in den Archivalien der Adressaten, sondern auch im Stadtarchiv Meerbusch. Wurde also von den – mit Recken solidarischen – Bürokraten und ihren informellen Netzwerken z. B. der Bezirksregierung Düsseldorf unter Verletzung ihrer Amtsplichten an diese in Kopie weitergegeben. Wie die Inhalte von Terminen z. B. in Amtsräumen der Bezirksregierung Düsseldorf. Wobei diese Informationen dann gezielt instrumentalisiert wurden, um Recken scheinzulegitimieren sowie gleichzeitig und parallel Rudolf Bartels, Anton Wienands, Juli- us Gutmann und Sabine Gutmann gesellschat lich und politisch zu eliminieren. Selbstverständlich erhielt das Ehepaar Gutmann keinerlei mündliche Informationen oder Kopien von Recken-Schreiben, Persilscheinen etc. Die bürokratischen und informellen Aktionen von Hugo Recken vernetzt mit seinem Symbionten Johannes Herbrandt – der dann zum stellvertretenden Gemeindedirektor befördert wurde – auf den empfundenen Tabubruch des Ehepaars Gutmann – waren dann – ausweislich eines Gerichtsurteils aus dem Jahr 1953 – ursächlich für den vorzeitigen dramatischen Tod von Julius Gutmann 1948, der Panik hatte, wieder deportiert zu werden, weil sein persönlicher Peiniger Hugo Recken dies schon einmal sechs Jahre zuvor erreicht hatte. Julius Gutmann starb an dem durch die bürokratische Perversion von Hugo Recken ausgelösten posttraumatischen Stress. Ein Recken-Todesopfer. Das die Hälte seines Betriebsunfalls heilte. Opfer wie die Osterather und anderen jungen Menschen, die vom Recken-Sohn sexuell missbraucht wurden. Der Recken-Sohn, weil er über seinen Vater keine Hilfe bekam. Und die Menschen, die Recken im Verbund mit Pastor Hövelmann und Johannes Herbrandt nötigte und erpresste. Um die heile katholische Dorf-Welt der katholischen DorfElite abzusichern. Im Kontext gab es 1948 – also demselben Jahr wie Julius Gutmann – zwei weitere Todesfälle: Dr. Wilhelm Langenbach und Rudolf Bartels. Zu einem Toten ein zweiter Toter begrenzt den Zufall. Ein dritter Toter im unmittelbaren Kontext begrenzt den Zufall mathematisch auf fast null. Und das, bevor es für Recken und Herbrandt in ihrem Entnaziizierungsverfahren 1949 Ernst wurde. So werden katholische christliche Werte praktisch gelebt. Bis heute. NSDAP-Karteikarte Rudolf Lensing Entnazifizierung | 163 Heute zum Beispiel im Aut rag des katholischen Meerbuscher Bürgermeisters Dieter Spindler vom Meerbuscher Archivleiter Regenbrecht. Indem er zum Beispiel in einer Presseerklärung der Stadt Meerbusch im Aut rag von Bürgermeister Spindler behauptet, die sich im Staatsarchiv NordrheinWestfalen in Düsseldorf beindende Recken-Entnaziizierungsakte sei in der Entsäuerung, also Konservierung, daher zeitlich nicht abschätzbar nicht einsehbar. Sie ist in digitalisierter Form von jedem Interessierten im Lesesaal des Landesarchiv einsehbar – und kopierbar. Und enthält alle Quellen, die ich angesprochen habe. Ist deswegen »Git«, das über eine interessengeleitete bürokratische Zweck-Lüge neutralisiert werden soll. Wie groß die Macht der heutigen Meerbuscher überwiegend katholischen Gemeinde-Elite ist, doku- NSDAP-Parteibuch 164 | Entnazifizierung mentiert sich daran, dass die Meerbuscher Lokalredaktionen von Rheinischer Post und Westdeutscher Zeitung meine beiden Pressemitteilungen ignorieren, in denen ich das manipulierende Agieren von Regenbrecht im Autrag seines Vorgesetzten Spindler ofen lege. Die Redakteure könnten sich im Landesarchiv selbst überzeugen. Warum sie dies nicht tun, das liegt auf der Hand. Es geht um Macht und Gewalt, um die Deinitionsmacht über Realität. Die passend gemacht wird – mit allen Mitteln. Was außerhalb des Fokus dieser armseligen Menschen ist: Ich bin nicht von ihnen abhängig, sie haben keinen Einluss auf mich – und mein Buch über das Gesamtthema, das kommt. Und dann werden sie mit allen Mitteln versuchen, dessen Verkauf zu torpedieren. Ihr Agieren ist kalkulierbar. Friede ihren Seelen. 1953: Der Tod von Hugo Recken und die Straßenbenennung nach ihm – Apologie der Kontinuität seit 1934 Traueranzeige Hugo Recken (STA Meerbusch Nachlass Herbrandt) Am 3. August 1953 erschien diese Traueranzeige. Der Text impliziert eine seit 1934 ununterbrochene Tätigkeit für die Gemeinde Osterath. Tatsächlich war sie von März 1945 bis Februar 1946 für fast ein Jahr unterbrochen. Der Sinn der Falsch-Aussage ist die Symbolik – für die Union von Gemeindebürokratie und Allianz katholischer Geistlichkeit und katholischer Dorfelite, für die Hugo Recken als Person stand. In Symbiose mit dem im Hintergrund agierenden Johannes Herbrandt. Im Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 3. August heißt es (STA Meerbusch Bestand Osterath Gemeindeprotokolle 1952 – 1956): »Die Sitzung fand statt zum Gedächtnis des verstorbenen Gemeindedirektors Hugo Recken. Der am 2. 8. 53 verstorbene Gemeindedirektor Recken war im Sitzungssaal des Rathauses aufgebahrt. An seinem ofenen Sarge versammelten sich die Ratsmitglieder, die Beamten, Angestellten und Arbeiter der Gemeindeverwaltung sowie die Angehörigen des Verstorbenen. Der Tod von Hugo Recken | 165 Bürgermeister Lensing würdigte in seiner Ansprache das Lebenswerk des zu früh verstorbenen Gemeindedirektors, der fast 20 Jahre die Geschicke der Gemeinde Osterath leitete. Er war in den langen Jahren seiner Tätigkeit den Bürgern immer Freund und Helfer. Klugheit, Gerechtigkeit und Güte kennzeichneten seinen Lebensweg. Mit all seiner Krat diente er der Gemeinde und förderte durch zielbewusste Arbeit und tatkrät ig ihr Wohl. Das saubere geplegte Ortsbild, die zahlreichen Verbesserungen und Verschönerungen legen dafür ein beredtes Zeugnis ab. Jetzt hinterlässt er ein geordnetes und inanziell gesichertes Gemeinwesen. Auch in schwerer Zeit war er sich und seiner Gemeinde treu und hat sich für sie geopfert. Nach einem Gebet für die Seelenruhe des Verstorbenen nahmen Gemeinderäte und Mitarbeiter Abschied vom Gemeindedirektor Recken.« Welche Stichworte stehen im Zentrum? Das saubere Ortbild und die zahlreichen Verbesserungen und Verschönerungen. Wesentlich ist also der äußere Schein – inkl. der geordneten Finanzen. Und: Wer zählte zu den Bürgern – und wer nicht? Zur »Volksgemeinschat« – und wer nicht? Scheinheiligkeit. In Bürokratie-Deutsch verpackte Lüge. Protokollant: Johannes Herbrandt. Dem Artikel in der Rheinischen Post am 7. August 1953 »Hugo Reckens letzter Weg« können wir entnehmen, dass die katholische Geistlichkeit anwesend war, die seine Zeit in Osterath seit Januar 1934 begleitet hatte. Und die katholische Gemeindeelite. »Die Grut … liegt gegenüber dem Grabmal eines seiner Vorgänger, des Bürgermeisters Rudolf Bartels, der, von ganz anderer Art, ebenfalls als markante Persönlichkeit in die Geschichte Osteraths eingegangen ist.« In der Westdeutschen Zeitung am 7. August 1953 lesen wir: »Ein würdiges Geleit« »Im politischen Ränkespiel einer schweren Zeit sei er mutig und entschlossen als tief religiöser Mann in seinem Glauben und sich selbst treu geblieben.« Dieses Zitat hat Herr Regenbrecht ofensichtlich als Vorlage für seine bewertende Formulierung in der Pressemitteilung der Stadt Meerbusch nach der Ältestenratssitzung am 15. März 2012 genutzt. Stellen Sie sich vor: Sie kennen die vorhergehenden Darstellungen dieser Arbeit nicht. Wie verstünden Sie die Zitate? Es war nur konsequent, die Recken-Legende quasi zu institutionalisieren: eine Straße »Hugo-ReckenStraße« zu benennen. Und darauf zu achten, dass die Recken-Legende der Kontinuität äußerlich aufrecht erhalten wird. Unabhängig von der Tatsache, dass sie eine interessengeleitete bürokratische Zweck-Lüge ist. »Wenn wir Hitler loswerden wollen, muss er dreifach ausgetilgt werden – als Institution, als Mensch, als Legende.« Sebastian Haffner. Jekyll & Hyde. 1939. S. 37. »Ein Land, dass seine politische Säuberung versäumt, versäumt es, sich selbst zu erneuern.« Albert Camus Im Kontext der vorhergehenden Darstellungen dieser Arbeit können die Zitate aus diesem Artikel verstanden werden: »Johannes Herbrandt … am Grab des väterlichen Freundes und gerechten Vorgesetzten.« »Dem Ränkespiel politischer Gegner vor allem in der Zeit des politischen Terrors habe er stets mannhat Widerstand entgegengesetzt.« 166 | Der Tod von Hugo Recken »Wenn die Tatsache, auf die man stößt, in Widerspruch zur herrschenden heorie steht, muss man die Tatsache akzeptieren und die heorie aufgeben, selbst wenn letztere, von bedeutenden Größen unterstützt, allgemein vertreten wird.« Claude Bernard Die Debatte um die Straßenumbenennung seit Dezember 2011 – und die Rolle des Meerbuscher Stadtarchivleiters Michael Regenbrecht im Auftrag des Meerbuscher Bürgermeisters Dieter Spindler (CDU): Wo beginnt apologetische interessengeleitete bürokratische Zweck-Lüge? »Schuld oder Unschuld eines ganzen Volkes gibt es nicht. Schuld ist, wie Unschuld, nicht kollektiv, sondern persönlich. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren.« Richard von Weizsäcker »Die Ermordeten sollen noch um das Einzige getrogen werden, was unsere Ohnmacht ihnen schenken kann, das Gedächtnis«. Theodor W. Adorno. Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit? 1959. Die Debatte hat eine Vorgeschichte. 1983 stellte ich meine Erste Staatsarbeit fertig: »Verfolgung und Widerstand in Meerbusch 1933 – 1945«. Entstanden insbesondere, weil es bis dahin keine geschichtswissenschat liche Aufarbeitung der Zeit der NS-Terrorherrschat in Meerbusch gab. In den Folgejahren erschienen eine Reihe von Beiträgen von mir u. a. in den Meerbuscher Geschichtsheten, die auf meiner Ersten Staatsarbeit beruhten und weitere Forschungsergebnisse von mir berücksichtigten. Und eine Reihe von Veröfentlichungen, die sich auf meine Erste Staatsarbeit und meine Veröffentlichungen beziehen. 1988 führte meine Erwähnung des Schreibens von Bürgermeister Hugo Recken vom 4. Juni 1942 »Es wird um Abschiebung des Juden gebeten« im Rahmen meines VHS-Vortrags und der damit verbundenen Veröfentlichung zum 50. Jahrestag der Reichskristallnacht in Meerbusch zu einer Reaktion der Tochter von Hugo Recken: »So etwas hat mein Vater nicht getan.« Ausdruck der Recken-Legende. Als Dr. Dohms beautragt wurde, »Meerbusch. Die Geschichte der Stadt und der Altgemeinden« herauszugeben, gehörte zu seinen ersten Auträgen, mich darüber in Kenntnis zu setzen, dass ich nicht den Teil »Das Dritte Reich (1933 – 1945)« schreiben solle. Eine geschichts-politische Entscheidung mit einem – aus meiner Perspektive – fatalem Ergebnis. Lesen Sie, was Sophie Wego geschrieben hat. Zum guten Teil aus meiner Ersten Staatsarbeit übernommen – ohne Quellenangaben, also Plagiat –; aber nur das, was geschichtspolitisch unverfänglich ist. Auf geistiges Eigentum gibt es keinen Rechtsschutz. 1994 bat mich die SPD-Ratsfraktion Meerbusch, der ich bis 1989 fast zehn Jahre angehört habe, um eine Liste mit Straßennamen, die insbesondere wegen ihrer Benennung mit Belasteten der NS-Zeit zu bedenken seien. Und nach welchen NS-Verfolgten ich Straßenbenennungen empfehlen würde. Auf dieser Liste stehen u. a. die Hugo-Recken-Straße sowie das Ehepaar Gutmann. Darauf gab es dann keinerlei Feedback von Seiten Meerbuscher Sozialdemokraten. Wie Anfang 2012, nachdem der SPDOrtsverein Osterath von mir auf seine Bitte Hinterrundinformationen zu Hugo Recken erhalten hatte. 2011 trat der Bürgerverein Pro Osterath an mich heran, wie im Vorwort bereits dargestellt. Mein Vortrag am 14. Dezember 2011 beruhte auf meinen geschichtswissenschat lichen Arbeiten. »Unerbetene Erinnerung.« Buchtitel von Raul Hilberg Die geschichts-politische Reaktion des Meerbuscher Bürgermeisters Dieter Spindler (CDU) auf die Anregung des UWG-Fraktionsvorsitzenden Christian Staudinger-Napp war, den Leiter des Stadtarchivs Meerbusch Michael Regenbrecht mit einer kurzfristigen Recherche zu Hugo Recken zu beaut ragen. Der Titel des auf den 25. Januar 2012 datierten Papiers: »Recherchebericht des Stadtarchivs Meerbusch zur Person Hugo Recken, Osterather Bürgermeister in den Jahren 1934 bis 1945 und Osterather Gemeindedirektor 1946 bis 1953.« Mit Datum vom 9. Februar 2012 leitete Bürgermeister Spindler den »Recherchebericht« in Kopie den Fraktionsvorsitzenden im Stadtrat zu. Die Headline des Anschreibens: »Berichterstattung in der Presse über den Vortrag von Herrn Lothar Klouten hinsichtlich des Schicksals von Juden in Osterath zur NS-Zeit.« Herr Spindler fokussiert also auf meine Person, klammert die Initiative aus der Mitte der Veranstaltungsteilnehmer und dann von Herrn Staudinger-Napp – bewusst – aus. Und insbesondere Kopien von Dokumenten waren zum Teil unleserlich. Lediglich Herr Staudinger-Napp hat auf meine Anregung hin Herrn Regenbrecht um die Datei als Attachement gebeten und erhalten. Das Die Debatte | 167 reale Interesse der anderen Fraktionsvorsitzenden am vordergründigen Sachverhalt kann daraus geschlossen werden. Hintergründig ist für Bürgermeister und Fraktionsvorsitzende – bis auf den »unangepassten« Herrn Staudinger-Napp – wesentlich, die Leichen im Keller zu belassen, wo sie sind. »Und ist so gut, als wär’ es nicht gewesen.« Johann Wolfgang von Goethe In diesem Sinn ist dann auch der »Recherchebericht« von Herrn Regenbrecht im Autrag seines Dienstvorgesetzten Bürgermeister Spindler zu lesen. Auf den Kern fokussiert: Eine recht oberlächliche Recherche – begründet mit Zeitdruck –, die alle genannten Informationen und Dokumente in keinerlei Kontext bringt. Insbesondere die Dokumente aus der NS-Zeit unrelektiert widergibt, bis hin zur Übernahme von NS-Sprachregelungen wie »Abschiebung« – des Ehepaares Gutmann. Nach Herrn Regenbrecht erfolgte die Verlegung des jüdischen Friedhofs Osterath nach Uerdingen; tatsächlich wurde er je zu Hälte auf die jüdischen Friedhöfe an der Gladbacher Straße in Krefeld und in Uerdingen verlegt, wo heute viele der Grabsteine sind. Das im Gegensatz zur Schutz-Darstellung von Johannes Herbrandt nach 1945, dass die »Umlegung« ausschließlich auf den jüdischen Friedhof an der Gladbacher Straße erfolgt sei; eine der unzähligen vernetzten bürokratischen Zweck-Lügen im Fall. Was auch ein Hinweis auf die geschichtswissenschat liche Qualität der »Recherche« von Herrn Regenbrecht ist. Dass dies so ist, können Sie in diesem Buch dezidiert nachvollziehen. »Kein Archiv ohne Draußen.« Jacques Derrida Die von Herrn Regenbrecht angegebenen – und nicht angegebenen – Akten im Stadtarchiv Meerbusch und im Kreisarchiv Viersen in Kempen der Gemeinde Osterath habe ich durchgearbeitet. Kurzes Resümee: Herr Regenbrecht hat – bewusst – auftragsgemäß selektiv gearbeitet. »Heute besteht Geschichte darin, Quellen zu Überresten zu machen.« Michael Focault Im Artikel zur Präsentation des »Rechercheberichts« in der Westdeutschen Zeitung am 15. Februar 2012 »Bürgermeister Hugo Recken im Zwielicht« heißt es: »… stöberte durchs Kreisarchiv Viersen und das Landesarchiv NRW«. Das Wort »stöberte« ist trefend gewählt. Weiter: 168 | Die Debatte »Auch nach der Sichtung des Materials enthält sich Regenbrecht jeder Bewertung Reckens. Die Belege reichen nicht aus. Zwei wesentliche Akten aus dem Hauptstaatsarchiv seien angefordert, aber noch im Entsäuerungsprozess. Wann sie zugänglich werden, sei völlig ofen.« Was bedeutet: Aut ragsgemäße Enthaltung und bürokratische Zeit-Politik. Am 8. März 2012 erschien auf www.buergerstimme. com mein Artikel »Bürgermeister 1933 – 1945: auch ›Hitlers willige Vollstrecker‹«. Am 9. März 2012 führte die UWG-Ratsfraktion Meerbusch ein Pressegespräch zum »Recherchebericht« »zusammen mit dem Historiker Lothar Klouten« durch, um eine »Hintergrundbetrachtung abzugeben«. Dazu hatte ich eine umfangreiche Stellungnahme vorbereitet und trug meine Informationen den Journalisten vor, um dann auf deren Fragen zu antworten. Herr Staudinger-Napp erhielt von mir weitere Exemplare zur Weitergabe an die Fraktionsvorsitzenden. Das Pressegespräch war im Vorfeld der Ältestenratssitzung am 15. März 2012, wo in nichtöfentlicher Sitzung das hema Benennung der HugoRecken-Straße einziger Tagesordnungspunkt war. Das dokumentiert: Der Wunsch nach Gedenken war von Bürgermeister Spindler zum Gegenstand von Geschichtspolitik gemacht worden. Die Westdeutsche Zeitung berichtete noch am 9. März 2012 online über das Pressegespräch, die Rheinische Post am 12. März 2012. In der WZ lesen wir: »Klouten zu den Aussagen über Hugo Recken: ›Man muss sie im historischen Kontext betrachten.‹« Die UWG-Ratsfraktion wolle: »Ein externer Historiker soll den ›Fall Recken bearbeiten, das hema zudem öfentlich diskutiert werden. Die Stadt solle ofen mit ihrer Geschichte umgehen‹, sagte Fraktionsvorsitzender Christian Staudinger-Napp. Eine Umbenennung der HugoRecken-Straße könnte ein weiterer Schritt sein, ›aber nur in Abstimmung mit den Anwohnern‹, betonte seine Stellvertreterin Daniela Glasmacher.« »Kloutens Befürchtung, dass Bürgermeister Dieter Spindler das hema mit Regenbrechts Recherche abwürgen wolle, weil er sich möglicherweise mit seinem konservativen Amtsvorgänger verplichtet fühle, weist Stadtsprecher Gorgs energisch zurück; ›Es ging darum ergebnisofen erste Daten zusammenzutragen.‹ Das Ergebnis werde gemeinsam diskutiert.« Die Keywords: »ergebnisofen« und »erste Daten«. Ersten Daten müssen – mindestens – zweite Daten folgen. Die Rheinische Post druckte am 17. März 2012 einen Leserbrief von mir ab: »Wer weiß etwas über Hugo Recken? In der RP lesen wir: »Die Diskussion über Recken erinnert an die Umbenennung des Carl-Diem-Wegs in Bösinghoven.« Und zu einem sachverständigen Gutachter: »Dafür komme zum Beispiel der frühere Leiter des Hauptstaatsarchivs Düsseldorf, Dr. Anselm Faust, in Frage, der Verfasser der Publikation ›Reichskristallnacht im Rheinland‹.« Dr. Faust war Archivdirektor. In seiner genannten Publikation hat er den Schrit wechsel von Bürgermeister Hugo Recken mit der Gestapo-Außendienststelle Krefeld im Juli 1942 publiziert: »Es wird um Abschiebung des Juden gebeten.« Das Ergebnis der Ältestenratssitzung am 15. März 2012: Herr Regenbrecht solle weiter recherchieren. Bis wann? Am 16. März 2012 erschien in der Rheinischen Post der Artikel »Dr. Anselm Faust urteilt über Hugo Recken.« Dr. Faust hatte auf meine Bitte hin eine kurze Beurteilung formuliert. »Wer seit 1933 NSDAP-Mitglied und von 1934 bis 1945 Bürgermeister einer Gemeinde war, muss als aktiver Nationalsozialist angesehen werden; hätte er Vorbehalte gehabt und gezeigt, hätte er sein Amt sehr schnell verloren. Auch wenn Recken nur ein ›kleiner Täter‹ gewesen sein sollte, hat er doch das nationalsozialistische Unrechtsregime aus freien Stücken gestützt.« Der Enkel von Hugo Recken, Heiko Hensell, wird zitiert: »Er wisse von Osterathern, dass sein Opa Hugo Recken bei der Fronleichnamsprozession der katholischen Gemeinde an prominenter Stelle mitgezogen sei. ›Für einen überzeugten Nazi eher unwahrscheinlich‹, kommentierte Hensell. Kaum ins Bild passe auch, dass Hugo Recken seine Tochter (›meine Mutter‹) auf ein bischöliches Gymnasium geschickt habe. Die Nähe zur Kirche sei den Nazis doch ein Dorn im Auge gewesen. ›Das muss man doch nicht groß erklären, das weiß doch jeder, der im Geschichtsunterricht aufgepasst hat‹, so Hensell.« »Mein Opa war kein Nazi«, so ein Buchtitel. »Tatsächlich fördert historische Forschung ot Genaueres und Zutrefenderes zu Tage als noch so ernsthates Erinnern.« Karl Otto Conrady Der Historiker Lothar Klouten meldet sich zur Diskussion um Hugo Recken (Osterather Bürgermeister während des Dritten Reichs) zu Wort: Im Kontext meiner Ersten Staatsarbeit ›Verfolgung und Widerstand in Meerbusch 1933 – 1945‹ habe ich zahlreiche Zeitzeugen befragt und Zeitdokumente gefunden. Wie im Keller des Rathauses Osterath die Einwohnermeldedatei Osterath inklusive der jüdischen Einwohner und die Osterather Zeitung in der Druckerei Hamacher. Bei der Veranstaltung im Dezember in Osterath meldeten sich Zeitzeugen, berichteten – und aus ihrer Mitte kam der Vorschlag, die Hugo-Recken-Straße umzubenennen. Meine Bitte an Zeitzeugen: Schreiben Sie Herrn Staudinger-Napp, Fraktionschef der UWG, Ihre Erinnerungen zu Hugo Recken, speziell seinem Handeln gegenüber den Deutschen, die als ›Juden‹ diskriminiert, verfolgt, enteignet, ihrer Gesundheit und ihres Lebens beraubt wurden. Mail: christian.staudingernapp@arcor.de. ›Jeder hätte Helfer Hitlers werden können. (…) Die menschliche Natur allein ist zu schwach.‹ (Zitat aus Guido Knoop. Hitlers Helfer. Täter und Vollstrecker. München 1999, S. 23)« Nach der Ältestenratssitzung am 15. März 2012 gab der Pressesprecher der Stadt Meerbusch im Aut rag von Bürgermeister Spindler eine Pressemitteilung heraus, auf der Webseite der Stadt Meerbusch verfügbar. Lesen Sie den Text der Pressemitteilung und lassen Sie ihn kurz auf sich wirken. Dann lesen Sie meine Analyse dieses Textes. Und dann relektieren Sie bitte selbst den Kontext. »Der Glaube an das Gedruckte ist seit Gutenberg einer der mächtigsten Aberglauben dieser Welt.« Ludwig Marcuse »Du sollst nicht falsches Zeugnis über deinen Nächsten ablegen.« Exodus 20,16 »Lügen scheint zum Handwerk nicht nur des Demagogen, sondern auch des Politikers … zu gehören. Ein bemerkenswerter und beunruhigender Tatbestand.« Hannah Arendt Die Debatte | 169 »Nach dem Sturm schlägt man auf die Barometer ein.« Dirk van Laak »Diskussion um NS-Vergangenheit Hugo Reckens soll versachlicht werden Ältestenrat beautragt das Stadtarchiv mit weiteren Nachforschungen – Ein Foto von Herrn Regenbrecht, mit einer aufgeschlagenen Akte in den Händen – Die Diskussion über die Rolle des ehemaligen Osterather Bürgermeisters Hugo Recken während der NS-Zeit soll versachlicht werden. Das ist der Wille des Ältestenrats. ›Alles, was an Quellen und Zeitzeugenaussagen zur Person Hugo Recken noch verfügbar ist, muss gründlich gesichtet werden‹, so Bürgermeister Dieter Spindler. Erst danach sei es möglich, ein qualiiziertes und diferenziertes Urteil abzugeben. Gründliche Prüfung Auch die derzeit eingehenden Zeitzeugenaussagen müssten überprüt werden. Auslöser der Beratung im Ältestenrat waren Aussagen des Osterathers Lothar Klouten, welche die Meerbuscher UWG dazu bewegt hatten, eine unverzügliche Umbenennung der Hugo-Recken-Straße zu fordern. Klouten hatte zuletzt Anfang der 80er Jahre in den Meerbuscher Geschichtsheten zwei Aufsätze über das Schicksal jüdischer Familien in Meerbusch veröfentlicht. Stadtarchivar Michael Regenbrecht, so der Wunsch des Ältestenrats, soll nun wissenschat lich belegte Erkenntnisse über die Person Hugo Recken zusammentragen. Unter anderem soll Reckens Entnaziizierungsakte nochmals eingesehen werden. Ein Teil der alten Papierdokumente wird nach Angaben des Landesarchivs konserviert und ist deshalb derzeit nicht greibar – aber bereits vorbestellt. Ausgewiesener Fachmann Regenbrecht, der sich nach seinem Studium der Geschichte im Rahmen seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit an der Universität Wuppertal und später in eigenen Arbeiten, Vorträgen und Ausstellungen intensiv mit lokalgeschichtlichen hemen befasst hat, prüt die Vorwürfe gegen Recken eingehend. Dabei hat er unter anderem die NS-Dokumentationsstelle Krefeld und die NS-Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf zu Rate gezogen. ›Recken war weder örtlicher Chef der Gestapo, noch ihr Mitarbeiter‹, so Dr. Ingrid Schupetta, die im Aut rag der Dokumentationsstelle Krefeld umfangreiche Untersuchungen über die Gestapo in der Region geführt hat. Die örtliche Polizeibehörde in Osterath sei lediglich Hilfsorgan und Weisungsempfänger der Staatspolizeistelle Düsseldorf gewesen. Demzufolge habe Recken auch persönlich niemanden deportieren lassen können. 170 | Die Debatte Zeitzeugen mit interessanten Aussagen Inzwischen haben sich bei Regenbrecht mehrere Zeitzeugen gemeldet. Sie erinnern sich vor allem an das örtliche Engagement Reckens als Katholik in der Gemeinde St. Nikolaus. So habe Recken Probleme mit der Düsseldorfer Gauleitung bekommen, weil seine Tochter die katholische Marienschule in Krefeld besuchte. Recken beharrte darauf. Über Wochen, so ein Zeuge, habe Recken am schwarzen Brett des Rathauses einen wütenden Artikel des ›Stürmers‹ aushängen müssen, der ihn als Teilnehmer der Fronleichnamsprozession in Frack und Zylinder zeigte. Berichtet wurde zudem von der deutsch-jüdischen Familie Dr. Langenbach aus Osterath, die Hugo Recken vor dem Zugrif der NS-Schergen warnte und in ihrem Versteck in der Eifel heimlich mit Lebensmittelkarten versorgen ließ. Viele Vorwürfe wohl wissenschat lich nicht haltbar Weitere Vorwürfe Lothar Kloutens halten laut Regenbrecht einer wissenschat lichen Prüfung nicht stand. Beispiele stellt er derzeit auf Wunsch des Ältestenrats zusammen. Regenbrechts Eindruck bis jetzt: ›Die bisher vorliegenden Erkenntnisse weisen Recken natürlich nicht als Widerstandskämpfer aus. Es war als Bürgermeister durchaus konform, er war aber auch ein Mensch mit christlichen Prinzipien, nach denen er handelte.‹« »Wir sollten niemals aus den Augen verlieren, dass der Weg zur Tyrannei mit der Zerstörung der Wahrheit beginnt.« Bill Clinton »Du musst bedenken, dass eine Lüge dich nicht bloß die Wahrheit kostet, sondern die Wahrheit überhaupt.« Friedrich Hebbel Eine Presseerklärung eines Stadt-Pressesprechers im Namen seines Bürgermeisters ist eine politische Erklärung mit politischen Zielsetzungen, für die rhetorische Mittel eingesetzt werden. Sehen wir uns den Text dieser Presseerklärung aus dieser Perspektive näher an. »Die Diskussion über die Rolle des ehemaligen Bürgermeisters Hugo Recken während der NS-Zeit soll versachlicht werden.« Das impliziert: Was vorher kam – und seien es Dokumente –, war unsachlich – und damit unqualiiziert. »Das ist der Wille des Ältestenrats.« Ein vermeintlich monolithischer nichtöfentlicher Block spricht ein Machtwort. Welche Macht hat er? Die Vorgeschichte impliziert: Der UWG-Fraktionsvorsitzende Staudinger-Napp ist der Outlaw im Gremium, das also nicht monolithisch ist. Das bedeutet: Es geht in der Summe der rhetorischen Formulierungen um Wirkung nach außen in die Gesellschat. Dann wird Bürgermeister Spindler zitiert, was die Bedeutung des Satzes hervorheben soll: »Alles, was an Quellen und Zeitzeugenaussagen zur Person Hugo Recken noch verfügbar ist, muss gründlich gesichtet werden.« »Erst dann sei es möglich, ein qualiiziertes und diferenziertes Urteil abzugeben.« Womit die veröfentlichte Formulierung vom in seiner Qualii kation unstrittigen Dr. Anselm Faust rhetorisch ausgeklammert und ignoriert wird. grenzen: Ich gehörte nicht zur (Volks-)Gemeinschat der Historiker. »Auch die derzeit eingehenden Zeugenaussagen müssen überprüt werden.« Überprüt ist ein politischer, ggf. juristischer Begrif. Geschichtswissenschat lich müsste die Formulierung etwa lauten: »Auch die derzeit eingehenden Zeitzeugenaussagen müssen in den historischen Kontext gebracht und dann bewertet werden.« »Auslöser der Beratung im Ältestenrat waren Aussagen des Osterathers Lothar Klouten, welche die Meerbuscher UWG dazu bewegt hatten, eine unverzügliche Umbenennung der Hugo-ReckenStraße in Osterath zu fordern.« Richtig hieße es: Ex-Osterather. Namensnennung ohne Zusatz – Schein-Neutral. Meine »Aussage« war das Zitat des Recken-Briefes an die Gestapo-Außendienstelle Krefeld: »Es wird um Abschiebung des Juden gebeten.« Und die Position der UWG hat – wie oben dokumentiert – nichts mit dieser Darstellung zu tun. Die Formulierung »dazu bewegt« impliziert im Kontext: Da hat sich die naive UWG vor den Karren von diesem Klouten spannen lassen. Da der Name Klouten gefallen ist, kommt konsequenter Weise im Folgesatz der – vermeintlich – inale rhetorische Todesstoß: »Klouten hatte zuletzt Anfang der 80er Jahre in der Meerbuscher Geschichtsheten zwei Aufsätze über das Schicksal jüdischer Familien in Meerbusch veröfentlicht.« Zwei Aufsätze in einer nicht-geschichtswissenschat lichen Publikation und das auch vor so langer Zeit: Dieser Mensch ist nicht qualiiziert. Hier wird die Grenze zwischen politischer Rhetorik und manipulativer, bewusst selektiver Rhetorik deutlich überschritten. Ein Blick auf meine Veröfentlichungen genügt zur Erkenntnis. Mit einem Mittel struktureller Gewalt wird eine Legitimation kultureller Hegemonie im Sinne Gramscis formuliert, einem Stil, der ansonsten Diktaturen aller Couleur vorbehalten ist. »Stadtarchivar Michael Regenbrecht, so der Wunsch des Ältestenrats, soll nun wissenschat lich belegte Erkenntnisse über die Person Reckens zusammentragen.« Wie ist hier die Begrilichkeit »wissenschat liche Erkenntnis« deiniert? Im Kontext ist dies ein ideologischer rhetorischer Begrif, mit dem nur von vornherein gewünschte Ergebnisse – von Bürgermeister und Ältestenrats-Mehrheit – zugelassen werden sollen. Wo – und wann – leben wir? »Unter anderen soll Reckens Entnaziizierungsakte nochmals eingesehen werden. Ein Teil der alten Papierdokumente wird nach Angaben des Landesarchivs konserviert und ist deshalb derzeit nicht greibar – aber bereits vorbestellt.« Die rhetorische Begründung für das Spiel auf Zeit – und Vergessen. Mit einer groben Lüge: Die Akte ist digitalisiert, kann im Lesesaal des Landesarchivs in Düsseldorf von jedem Bürger frei eingesehen werden – und auch kopiert. Und: Herr Regenbrecht kann mit der geschichtswissenschat lichen Analyse der Akten in dem Archiv beginnen, dessen Chef er ist. Und die Akten des Kreisarchives Viersen, die er in seinem »Recherchebericht« nennt, vollständig und nicht selektiv zur Kenntnis nehmen – sowie geschichtswissenschat lich analysieren. Was auch für die Akten des Staatsarchivs NRW und andere Archive gilt. Entspricht es dem Kriterium von »wissenschat lich belegte Erkenntnisse« bewusst selektiv ergebnisorientiert politisch zu agieren? Wie wissenschat lich ist es, im Kontext – Zitat des Recken-Briefs – zu formulieren »Vorwürfe gegen Recken«? Herr Regenbrecht zitiert dann Frau Dr. Schupetta: »Recken war weder örtlicher Chef der Gestapo, noch ihr Mitarbeiter.« »Die örtliche Polizeibehörde in Osterath sei lediglich Hilfsorgan und Befehlsempfänger der Staatspolizeistelle Düsseldorf gewesen. Demzufolge habe Recken auch persönlich niemanden deportieren lassen können.« Nach Lektüre dieser Sätze und in Anbetracht dessen, was sie gefragt wurde und darauf diferenziert geantwortet hatte, formulierte Frau Dr. Schupetta die Begriflichkeit »interessengeleitete Geschichtspolitik«. Und wo habe ich veröfentlicht oder vorgetragen, dass Recken persönlich hat deportieren lassen? Ein schlechter manipulativer rhetorischer Trick im Kontext, mich abzuqualiizieren. Aus der Perspektive von Frau Dr. Schupetta wird umgekehrt ein Schuh daraus. Der Sinn dieser bewussten Manipulation ist es, die dann folgende Lobhudelei zur Qualii kation von Herrn Regenbrecht – »ausgewiesener Fachmann« – noch zu überhöhen bzw. mich rhetorisch auszu- Die Zeitzeugen, die sich bei Herrn Regenbrecht gemeldet haben sollen, sind interessant. Ihre Darstellungen müssen im historischen Kontext gewertet werden, nicht nur einfach aufgelistet. Die Debatte | 171 »Weitere Vorwürfe Lothar Kloutens halten laut Regenbrecht einer wissenschat lichen Prüfung nicht stand. Beispiele stellt er derzeit auf Wunsch des Ältestenrats zusammen.« Ich harre der konkreten Beispiele – und ihrer geschichts-wissenschat lichen Begründung. Diese Buch ist die Dokumentation dessen, was im Sinne von »wissenschat licher Prüfung« möglich ist. Abschließend formuliert Regenbrecht die von seinem Vorgesetzten Bürgermeister Spindler erwartete Absolution für Hugo Recken: »Die bisher vorliegenden Erkenntnisse weisen Recken natürlich nicht als Widerstandskämpfer aus. Er war als Bürgermeister durchaus konform, er war aber ein Mensch mit christlichen Prinzipien, nach denen er handelte.« Um es pointiert auszudrücken: Wer nach seinen christlichen Prinzipien handelte, konnte in seiner amtlichen Funktion als Bürgermeister in der NS-Zeit konform handeln, sich also aktiv daran beteiligen, Menschen zu diskriminieren, auszugrenzen, zu entrechten, zu enteignen und in der Tod zu schicken. Als Katholik erhielt Hugo Recken dafür die Absolution – bis heute. Damit wäre nicht nur die Frage nach der Benennung der Hugo-ReckenStraße erledigt: Wäre. In Formulierungen von Wolf Schneider in »Wörter machen Leute«: »Das Wort als Aggressor« »Fahnenträger der Gewalt« »Wörter wie Arsen« »Umwertung der Wörter« »Das Verhältnis zwischen Sprache und Realität« »Kobolde deuten die Welt« Ich lass von ihr, sie sich von mir betrügen, umlügend unsere Fehler zum Vergnügen. William Shakespeare Die WZ berichtete am 21. März 2012 über diese Pressemitteilung, die RP am 22. März. Der ExtraTip am Sonntag Meerbusch hat die Pressemitteilung am 1. April (sic!) 2012 kommentarlos abgedruckt. Einen Leserbrief von mir zu dieser Pressemitteilung druckten die RP und die WZ am 17. März 2012 ab. »›Versachlichen‹: Gemeinsam Aus dem Artikel ergeben sich zwei grundsätzliche Fragen: Welches Verständnis von Versachlichung ist gemeint? Wie wird hier ›wissenschat lich belegte Erkenntnisse‹ deiniert? Denn: Das Zitat von Dr. Faust wird nicht erwähnt. Dessen Buch über die Reichskristallnacht im Rheinland und die dort wie- 172 | Die Debatte dergegebenen Schreiben von Bürgermeister Hugo Recken an die Gestapo-Außendienstelle Krefeld, wo er um ›Abschiebung des Juden‹ nachsucht, quasi der Stein des Anstoßes war. Woraus der nächste Aspekt folgt: Es ist ein schlechter rhetorischer Trick, sich von etwas zu distanzieren, was ein Autor nie schrit lich oder mündlich dargestellt hat. Recken konnte niemanden deportieren lassen. Er war als Bürgermeister örtlicher Polizeichef, damit auch die örtliche Gestapo. Und wie ›wissenschat lich‹ ist es, meine auf Dokumenten und historisch dokumentierten Fakten beruhende Darstellung als ›Vorwurf‹ zu qualiizieren? Und dann noch nebulös zu formulieren, dies stelle er dem Ältestenrat auf Wunsch zusammen? Ist das eine Retourkutsche von Herrn Regenbrecht darauf, dass ich ihn z. B. damit korrigiert habe, dass die Umlegung des jüdischen Friedhofs in Osterath nicht nach Uerdingen, sondern auf den neuen Friedhof an der Gladbacher Straße erfolgt ist? Und was soll im konkreten historischen Kontext ›ein Mensch mit christlichen Prinzipien, nach denen er handelte‹ bedeuten? In Osterath war 1933 der Nazi-Kaplan Hilmer, der das sicher auch für sich in Anspruch genommen hat. Quellen, Zeitzeugenaussagen und historische Geschehen müssen immer im historischen Kontext eingeordnet und dann bewertet werden. Das bedeutet auch: Politisch gewollte Ergebnisse sind nicht vorgegeben; ansonsten ist es nicht geschichts-wissenschat lich. Ich biete Herrn Regenbrecht an, ihm Dokumente und Fundstellen zu benennen sowie meine entsprechenden Kontakte zu vermitteln.« Am 2. April 2012 sandte ich Herrn Regenbrecht eine E-Mail: »Guten Tag Herr Regenbrecht! Ausschließlich zum Stadtarchiv Meerbusch: Im Bestand Osterath beindet sich die Akte P 15, in der sich einige Dokumente zu Maßnahmen der Gemeindeverwaltung gegen als Juden deinierte Osterather deutscher Nationalität beinden. In der Einwohermeldekartei Osterath bis 1945 sind die Karteikarten der als Juden diskriminierten Menschen. Mit Einträgen wie z. B. bei Dan Lucas: ›9. 12. 41 Osten Riga‹. In der Sammlung / dem Nachlass Herbrandt beinden sich u. a. zwei Dokumente: - Schreiben von Herrn Herbrandt vom 15. 07. 1947 ›Zu der gegen Herrn Gemeindedirektor Recken aus Osterath erstattete Anzeige wegen pietätloser Beseitigung des jüdischen Friedhofs in Osterath‹ - Todesanzeige der Gemeinde Osterath für Hugo Recken 1953 In Ihrem Recherchebericht geben Sie Artikel in den Meerbuscher Geschichtsheten an. Insbesondere den Artikel von Günter Janß ›Der Osterather Judenfriedhof und die Geschichte der jüdischen Gemeinde‹ empfehle ich Ihnen zur intensiven Analyse. Und die Anmerkung 12 im Artikel ›Die Polizei in Osterath‹ von Egon hiel empfehle ich Ihnen zu relektieren. Auch in diesem Kontext: Im Bestand Osterath dürte sich die Akte zum Entnaziizierungsausschuss der Gemeinde Osterath 1945 f. beinden. Die ich bei Gelegenheit einsehen möchte. Mit freundlichen Grüßen. Lothar Klouten« Der Text der genannten »Anmerkung 12« lautet: »Was das Auinden von Akten aus der Zeit des Nationalsozialismus angeht, so ist dies immer mit großen Schwierigkeiten verbunden. In den meisten Fällen wurden die Akten der Polizei- und Kommunalverwaltungen noch schnell vor dem Einrücken der Alliierten vernichtet. Vielfach gingen damit nicht nur belastendes Material, sondern auch alle weiteren historisch interessanten Akten unwiederbringlich verloren. Somit bleibt als einzige Quelle die Befragung von noch vorhandenen Zeitzeugen übrig und die beleuchteten Sachverhalte zeigen sich mitunter recht dürt ig.« Was denken Sie: Habe ich ein Feedback von Herrn Regenbrecht erhalten? »Die meisten Menschen haben vor der Wahrheit mehr Angst als vor der Lüge.« Ernst Ferstl Am 2. Mai besuchte ich gemeinsam mit Frau mit Frau Fingerhut von der UWG-Fraktion Meerbusch das Stadtarchiv Meerbusch. Herr Regenbrecht verhielt sich bürokratisch freundlich. Er meinte dann einen rhetorischen Trefer landen zu können, indem er mir gegenüber erklärte, dass die von mir erstellten 26 Kopien – deren Anzahl er für gering hielt – kostenfrei seien, wenn sie im Rahmen einer wissenschat lichen Arbeit seien und das Stadtarchiv ein Belegexemplar dieser Arbeit erhielte. Ich bedankte mich für die kostenfreien Kopien und sagte ihm ein Belegexemplar zu. Ähnlich der Vorsitzende des Geschichtsvereins Meerbusch Herr Rameil, der ins Stadtarchiv kam. Der glaubte einen rhetorischen Trefer gelandet zu haben, indem er mich süisant als den großen Historiker ansprach und dann mit bedeutungsschwangerer Stimme auf lediglich acht Veröfentlichungen von mir in den Meerbuscher Geschichtsheten in gut 30 Jahren verwies. Diese Zahl ist zumindest um 400 % höher als die vom Stadt-Pres- sesprecher in der Pressemitteilung für Bürgermeister Spindler genannte. Und hat genauso wenig mit der Realität zu tun – insbesondere der außerhalb von Meerbusch. Herr Rameil sah sich genötigt, sich so als Teil der Meerbuscher Gemeinde-Elite positionieren zu müssen. Als er mich am 9. Mai 2012 im Landesarchiv NRW in Düsseldorf traf, war er erkennbar erstaunt. Das passte nicht in sein Bild vom Nicht-Historiker Lothar Klouten. Danach trafen wir uns noch mehrfach dort. Am 2. Mai 2012 schrieb ich Herrn Regenbrecht eine E-Mail: »Nochmals danke für Ihre freundliche Unterstützung heute. Sie erhalten wie zugesagt ein Exemplar meines neuen Buches, das in Arbeit ist. Als ich an meiner Ersten Staatsarbeit »Verfolgung und Widerstand in Meerbusch 1933 – 1945« arbeitete – die erste geschichtswissenschat liche Aufarbeitung dieses hemas –, war Herr Herbrandt – ehrenamtlicher – Leiter des Stadtarchivs Meerbusch, also einer Ihrer Vorgänger. Herr Herbrandt gewährte mir umfassende Akteneinsicht, nachdem er verstand, dass es mir um Geschichtswissenschat geht. In diesem Kontext: Damals P 15 ist heute III 1997. Und Frau Dr. Aust gewährte mir Zugang insbesondere zu ihrem Fotoarchiv sowie ihren Zeitzeugenkenntnissen. Meine gesammelten Dokumente und Aufzeichnungen habe ich mit den 26 heute erstellten Kopien ergänzt, die meine aktuelle erweiterte Perspektive betrefen. Grüßen Sie bitte Herrn Rameil von mir.« Am 25. Mai 2012 mailte ich den Meerbuscher Lokalredaktionen von Rheinischer Post und Westdeutscher Zeitung eine Pressemitteilung: Wer einmal lügt In der Pressemitteilung der Stadt Meerbusch im Aut rag von Bürgermeister Spindler zur Ältestenratssitzung im März 2012, in der ich persönlich angegrifen und difamiert wurde, wird vom Leiter des Stadtarchivs Meerbusch Herrn Regenbrecht – im Aut rag seines Vorgesetzten Bürgermeister Spindler – u. a. behauptet: Eine der Recken-Entnaziizierungsakten befände sich in der Entsäuerung, sei daher nicht einsehbar, sei vorbestellt, es sei ofen, wann sie einsehbar sei. Dies als Legitimations-Argument für eine unbegrenzte zeitliche Verzögerung weiterer Recherche-Ergebnisse des Stadtarchivs Meerbusch bzw. seines Leiters Herrn Regenbrecht zur Rolle von Hugo Recken in der NS-Zeit als Bürgermeister in Osterath Januar 1934 bis März 1945 sowie dann Januar 1946 bis zu sei- Die Debatte | 173 nem Tod 1953 als Gemeindedirektor in Osterath. Die im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf zuständige Frau Dr. Hönerlage teilte mir heute auf meine Anfrage per E-Mail mit: »Die Entnaziizierungsakten NW 1023 Nr. 4803 liegen seit April im Lesesaal digital vor und können von Ihnen am Benutzer-PC eingesehen werden. Wie das zuständige Dezernat auf meine Anfrage mitteilte, hat die zweite Entnaziizierungsakte zu Hugo Recken folgende Signatur: NW 1037-BI Nr. 15313. Die Akte liegt noch analog vor und ist ohne Sondergenehmigung im Lesesaal einsehbar.« Auch eine weitere Pressemitteilung von mir wenige Tage später hatte keinerlei Reaktion der Meerbuscher Lokalredaktionen. Warum wohl? Welche politischen Konsequenzen in Meerbusch folgen aus der Aufdeckung dieser gezielten Desinformation von Herrn Regenbrecht im Autrag seines Vorgesetzten Bürgermeister Spindler, mit der Stadtrat und Bürgerschat bewusst getäuscht wurden? Am 25. Mai 2005 schrieb mir Kurt Gutmann, Überlebender aus der Familie von Sabine und Julius Gutmann und Vorsitzender von DRAFD e. V.: »Unterstützung Ihres Buchprojekts zur Geschichte von Meerbusch-Osterath Mit regem Interesse habe ich in den letzten Wochen Ihr Buchprojekt zum Umgang mit der Verfolgung ›rassisch Minderwertiger‹ in meiner Heimat verfolgt. Als Kind vor meiner Emigration nach Schottland und als junger Soldat der britischen Armee nach 1945 habe ich im Rheinland selber antisemitische und faschistische Angrife erleben müssen und deshalb blicke ich mit Hochachtung auf Ihre Bemühungen, diese Geschichte für eine Gemeinde auch gegen Widerstände zu dokumentieren. Als Herr Bürgermeister Hugo Recken am 4. Juni 1942 an die Gestapo-Außendienststelle Krefeld zu Sabine und Julius Gutmann schrieb: ›Es wird um Abschiebung des Juden gebeten‹, waren meine Mutter Jeanette Gutmann, geb. Kann, und mein Bruder Hans-Josef schon abtransportiert. Ihr Transport war am 2. April über Düsseldorf in Richtung Izbica gegangen. Von diesem Transport gab es keine Überlebenden. Vielen Dank für Ihre Bemühungen. Ich und auch meine Kinder würden es begrüßen, wenn Sie tatkrät ige Unterstützung bekommen, um diese Geschichte lebendig zu halten.« 174 | Die Debatte Am 26. Mai 2012 erhielt ich ein Schreiben des Bundespräsidialamtes: »Bundespräsident Joachim Gauck dankt Ihnen für Ihre E-mail vom 23. April 2012 und für Ihre Glückwünsche zu seinem Amtsantritt. Die vielen Beweise der Zustimmung und der Verbundenheit sind ihm Ermutigung für die kommenden Aufgaben. Mit all seiner Krat und mit seinem Herzen wird er dafür arbeiten, dem in ihn gesetzten Vertrauen gerecht zu werden. Die aktive Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit ist dem Bundespräsidenten ein wichtiges Anliegen. Zu einer tief empfundenen Erinnerung tragen Aktivitäten, wie sie in den von Ihnen beigefügten Anlagen – von Dokumenten, Zeitzeugenaussagen und Literaturzitaten über Mahnmale bis hin zu Stolpersteinen – beispielhat erwähnt sind, in erheblichem Maße bei. Daran zu erinnern, wird dem Bundespräsidenten ein Anliegen sein.« Am 26. Juni 2012 schrieb der Fraktionsvorsitzende der UWG Herr Staudinger-Napp an Bürgermeister Spindler: »Entnaziizierungsakte Hugo Recken Sehr geehrter Herr Bürgermeister Spindler, bezüglich des o. g. hema möchte ich um einen kurzen Sachstandsbericht Ihrerseits bitten. Seinerzeit hatten Sie mitgeteilt, dass die Entnaziizierungsakte Hugo Recken NR 1034 Nr. 4803 nicht einsehbar wäre, weil sie sich in der Entsäuerung beindet. Nach meinen Informationen kann die Akte anscheinend aber doch jederzeit digital im Landesarchiv NRW Mauerstraße in Düsseldorf eingesehen werden.« Die Zeit läut. Von Seiten der Stadt Meerbusch bzw. Bürgermeister Spindler beredte Funkstille. Schweigende Lüge. Heute ist der 2. August 2012. Ich bin dabei, das Manuskript zu diesem Buch abzuschließen. Dieses Buch zu schreiben ist die richtige Entscheidung von mir. Wir werden erleben, was es bewirkt. Auch im Sinne des zentralen Satzes der Riga-Überlebenden Prof. Dr. Gertrude Schneider in »Reise in den Tod. Deutsche Juden in Riga 1941 – 1944« S. 12: »Ein Weiterleben mit diesen Verletzungen ist ot nur mittels Umdeutungen des Erlebten und der eigenen Handlungen möglich.« Das gilt gleichermaßen für die Opfer wie die Täter – und deren Nachkommen. Also auch für die Herren Spindler und Regenbrecht. Unsere gesellschat liche Aufgabe ist es, das bewusst zu machen. Als Basis zu einer realen Entnaziizierung von Gesellschat und allen ihren Menschen – über Deutschland hinaus. Für eine gemeinsame Zukunt in Würde aller Menschen. Die Würde des Menschen ist unteilbar. »Gedenken macht Leben menschlich. Vergessen macht es unmenschlich. Wir wissen natürlich von einer Gnade des Vergessens. Aber auch wenn Erinnerung Trauer und Scham transportiert, füllt es die Zukunt mit Perspektiven. Und Leugnen der Vergangenheit forciert das Geschäts des Todes; gerade wenn und weil er nur Heute will. Das Maß der Rechenschat über das Gestern bestimmt das Maß an Stabilität für das Morgen.« Hans-Jochen Vogel (Hrsg.). Gegen Vergessen – Für Demokratie. München 1994. Der erste Absatz des Beitrages (S. 13) von Eberhard Bethge »Forschen – Vermitteln – Gedenken. Schritte gegen das Vergessen«. Der heutige Vorsitzende von »Gegen Vergessen – Für Demokratie« ist Bundespräsident Joachim Gauck. Titelseite des Buches Die Debatte | 175 ((XI_71b)) Newsletter aus New York, Sommer 2012 176 | Die Debatte Eine geschichtswissenschaftliche Gesamtbewertung: Der Erinnerung eine Chance »Verwaltung umzingelt den Menschen – auf seinen Wunsch. Das Individuum wird in der westlichen Welt zunehmend von einer Bedingung begleitet, die ihm verhältnismäßig neu ist: das Verwaltet-Sein.« Fritz Morstein Marx »Eine« impliziert: Es kann durchaus verschiedene geschichtswissenschat lichen Gesamtbewertungen geben. Denn es gibt nicht die historische Wahrheit. Der Anspruch auf diese Wahrheit ist der ideologische Machtanspruch auf kulturelle Hegemonie im Sinne Gramscis, auf Deutungs-Macht. In welchem ideologischen Gewand dieser Anspruch auch immer daherkommt: Er ist ein totalitärer Anspruch. Dessen Umkehrung in den Worten von Joseph Vogt: Besinnung auf »die Heterogenität von Entstehungsgeschichten, Herkünten und tatsächlichen Praktiken«. Was ist der Kern geschichtswissenschat licher Methodik? – Quellensuche – Quellenanalyse – geschichtswissenschat liche Kontextualisierung, Einordnung und Erklärung – aus transparent deinierten Perspektiven, womit annähernd intersubjektive Überprübarkeit möglich ist Das bedeutet: – Quellensuche ist nie erschöpfend. – Quellenanalyse kann sehr unterschiedlich sein – auch nach der Einordnung in den historischen Kontext. Ebenso können geschichtswissenschatliche Bewertungen sehr unterschiedlich sein. »Geschichte muss immer wieder neu geschrieben werden, nicht, weil neue historische Tatsachen bekannt werden, sondern weil sich der Standpunkt des Betrachters ändert.« Arnold Toynbee Zusammenhangs von Vergangenem und Gegenwärtigem. »Man weiß, dass die Verarbeitung der Vergangenheit zur Geschichte, also das Geschäts des Historikers, nur unter leitenden Gesichtspunkten der Gegenwart möglich ist, also subjektiv, als Rekostruktion: zwar in Ansehung der Befunde, aber immer auch als Konstrukt, und das heißt immer auch abhängig von den sich mit der Zeit wandelnden Erfahrungen und Erwartungen derer, die die Geschichte für ihre Gegenwart schreiben. Denn Geschichte hat ja nie nur mit Vergangenheit zu tun, sondern auch immer mit der Gegenwart und Zukunt. Die Geschichte ist nicht das Vergangene, sondern, so der niederländische Historiker Johan Huizinga, die geistige Form, in der sich eine Kultur über die Vergangenheit Rechenschat gibt. Geschichte ist, so der Diplomat Carl Jakob Burckhardt, was ein Zeitalter an einem anderen interessiert.« Jürgen Kocka »Ein allgemeiner Prozess der Abstraktion und Entsinnlichung der NS-Vergangenheit, der die Geschichte gewissermaßen ihres Personals und ihrer Orte beraubte, so dass man sich in der Öfentlichkeit sogar mit einigem Pathos gegen die vergangene Gewaltherrschat aussprechen konnte, ohne sich mit konkreten Orten und wirklichen Menschen – weder den Tätern noch den Opfern – zu befassen«. Ulrich Herbert, S. 110. »Die gemeinsame Aufgabenstellung der Zeithistoriker besteht nun darin, nach den Inhalten der öffentlichen Diskurse über die NS-Vergangenheit zu fragen, also nach dem Vergessenen und Beschwiegenem in der Erinnerung nach den subjektiven und objektiven Dimensionen zeitgenössisch verzerrter Bilder ›des Dritten Reichs‹ in der Öfentlichkeit.« Axel Schild, in: Wilfried Loth u.a. Hrsg., S. 21. »Die Quellen sprechen nicht selbst.« Jürgen Kocka Historische Erkenntnis ist standortgebunden. »Wer in der Zukunt lesen will, der muss in der Vergangenheit buchstabieren.« Wahrnehmung ist bereits Interpretation. Indem Informationen in die eigene – subjektive – Kognition eingepasst werden. Wobei es wesentliche Differenzierungen gibt: Erstens, ob der wahrnehmende Mensch »nur« subjektiv wahrnimmt oder sich seiner Subjektivität bewusst ist – und so die Chance Andre Malraux Nach der Geschichtstheorie von Johann Gustav Doysen ist Geschichtswissenschat ein Modell des Der Erinnerung eine Chance | 177 zu einer Annäherung an Objektivität hat. Zweitens, ob bewusst interessengeleitet selektiv ausgewählt wird – und das dann Ausgewählte auch aus der interessengeleiteten Perspektive nochmals um-interpretiert wird. Dies auch im Sinne von: Informationen – bewusst – nicht wahrnehmen (wollen). Was ist der gesellschat liche Aut rag von Geschichtswissenschat als Gesellschatswissenschat, als historische Sozialwissenschat? Eine grundsätzliche Antwort auf diese Kernfrage ist mit den drei Grundfragen aller Religionen und Philosophien vernetzt: Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Der gesellschat liche Aut rag von Geschichtswissenschat ist es, ihren speziischen Beitrag zum offenen gesellschat lichen Diskurs dieser Fragen zu leisten. Was sind Bedingungen zur Wahrnehmung dieses gesellschat lichen Aut rags? Meine Antwort: Lebens-Geschichte Die Ebene verlassen, auf der Geschichtswissenschat ganz überwiegend betrieben wird, und in die – menschliche – Tiefe gehen: Die Ebene des kollektiven Verdrängens und Vergessens durchstoßen Und zur realen Geschichte des Lebens gelangen. Geschichte beschreibt menschliches Leben. Wenn Geschichte als Wissenschat ihren gesellschat lichen Aut rag wahrnehmen will, muss sie den Zusammenhang von Geschichte und Menschen dokumentieren, mit allen denkbaren Facetten. Die nationalsozialistische von Adolf Hitler geprägte Ideologie ist nicht aus dem Nichts entstanden und nicht im Nichts verschwunden. Adolf Hitler und die ihn umgebenden Menschen haben ihre speziische Sozialisation erlebt, geprägt von den gesellschat lichen, kulturellen, sozialen und politischen Bedingungen. Zu denen in Deutschland und Österreich seit gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein eliminatorischer Antisemitismus zählte. Nach dem 1. Weltkrieg wurden Hitler und das von ihm geprägte NSDAP-Programm der Fokus dieser gesellschat lichen Entwicklung. In einem Umfeld, das von Hitler und seiner Umgebung instrumentalisiert und gestaltet wurde. Von Beginn an lankiert von der ganz überwiegend bruchlos in die Weimarer Republik übernommenen monarchistischen Eli- 178 | Der Erinnerung eine Chance te in den Bürokratien und den anderen gesellschatlichen Subsystemen. So hat das Reichsgericht nicht, wie es verplichtet gewesen wäre, deutsche Kriegsverbrechen und Kriegsverbrecher verfolgt und dann rechtsstaatlich verurteilt. Eine wesentliche Basis für die in der Hitler-Propaganda zentrale »Kriegsschuldlüge«. Das Reichsgericht hat dann 1932 eine zweite analoge Rechtsverweigerung begangen. Indem der Oberreichsanwalt die Annahme der Denkschrit der preußischen Landesregierung »Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei als staats- und republikfeindliche, hochverräterische Verbindung« verweigerte. Der Sinn dieser Denkschrit: Die Einleitung eines Verbotsverfahrens gegen die NSDAP. Die Analogie zum ofenen Verbotsverfahren gegen die NPD liegt auf der Hand. Wie der Sinn der kriminellen Handlung des Oberreichsanwalts: einen weiteren Sargnagel in die Weimarer Republik zu schlagen. Die sich mit Hitler verbündenden Nationalkonservativen und Reaktionäre auch in den beiden Kirchen – so sind sie dann auch in den SD-Berichten tituliert worden – hatten die Vorstellung, sie könnten Hitler und die NSDAP instrumentalisieren, zur Vernichtung der verhassten Demokratie und der verhassten Arbeiterbewegung. Dass Hitlers Interessen mit diesen beiden Zielen erst begannen, das lag außerhalb der Kognition dieser Menschen. Und sie gaben Hitler und seinen Vasallen die Macht. In Verbindung mit den ebenso irreal taktierenden »Führern« der demokratischen Parteien und der KPD. Dies war aus heutiger Perspektive eine gut gelungene Gemeinschatsaktion mit millionenfach tödlichem Ausgang. Hitlers im NSDAP-Programm niederlegte Idee war auch seinen Zeitgenossen klar: Den deutschen Staat als Partei übernehmen und die Kernziele realisieren. Da »der Jude« für alles Negative verantwortlich sei, würde er dafür verantwortlich gemacht, von der Erde getilgt. Jude sein ist nach diesem Verständnis ein Verbrechen per Geburt, das mit dem Tod zu sühnen sei. Dieses Ziel korrespondiert mit dem zweiten Kernziel: Will man das erste erreichen, muss man die Macht, die Verfügung über die Menschen bekommen, die ermordet werden sollen. Was nur Eroberungskrieg bedeuten kann. Legitimiert mit der Ideologie von »arischer« Überlegenheit und »fehlendem Lebensraum«. Gekoppelt mit dem, was im »Generalplan Ost« Gestalt bekam: Auch »slawische Untermenschen« sollten und wurden zu Millionen ermordet. Wie alle von Hitler und seinen Helfershelfern ideologisch begründeten »Reichsfeinde«: »Zigeuner«, »Asoziale«, politische Gegner inkl. der Nationalkonservativen und Reaktionäre – siehe »Röhm-Putsch –, Zeugen Jehovas, Freimaurer … Das Führerprinzip ist die Negation von Rechtstaatlichkeit und Rechtssicherheit, es ist grenzenlose Rechtlosigkeit und Willkür. »Recht« ist ausschließlich Legitimation gesetzlichen Unrechts. Die Exklusion von willkürlich nationalsozialistisch-ideologisch deinierten Menschen-Gruppen durch die Volksgemeinschatsideologie und ihre schein-legale und illegitime Recht-Werdung bedingte für die betrofenen Menschen prinzipiell Rechtlosigkeit und Ausgeliefert-Sein – bis zum grausamen gewaltsamen biologischen Tod. schein-legitimiert, auch schein-juristisch und zum Teil sprachlich verbrämt und getarnt. So hatte die vermeintlich angestrebte »jüdische Auswanderung« nur ein Ziel: Ökonomische Ausplünderung zur Mitinanzierung des geplanten Krieges, nach gewaltsamer Einverleibung der Auswanderungs-Staaten Ermordung. Das nationalsozialistische bürokratische Organisations-Fraktal: Die Opfer zu nötigen – weitestmöglich als bürokratische Efektivität und Eizienz –, ihre Ermordung selbst zu inanzieren und zu organisieren. Für dieses Ziel wurde die deutsche Gesellschat umfassend mobilisiert; wer sich nicht mobilisieren ließ, der wurde durch bürokratischen Terror gelähmt, damit zumindest neutralisiert, wenn nicht ermordet. Dass diese Menschen-Vernichtung grenzenlos war, wird durch das »Gesetz zur Behandlung Gemeinschatsfremder« deutlich, das zum 1. Januar 1945 in Krat treten sollte. Danach hätten Polizeibehörden die Legitimation erhalten, alles abweichende Verhalten umgehend und ohne Staatsanwaltschaften und Gerichte sofort durch Ermordung dieser Menschen zu ahnden. Maßloses ideologisches »Recht«. Nur absolute Nationalsozialisten sollten leben. Legitimiert mit der »Dolchstoßlegende« hätte es dann – nach erfolgreichem »Einsatz im Osten« – den Mord-Einsatz von Polizeieinheiten an der »Heimatfront« gegeben. Die Nemesis der Selbstvernichtung. Wie es sie – bezogen insbesondere auf vermeintliche Fahnenlüchtlinge – im Chaos kurz vor dem Einmarsch alliierter Einheiten in vielen Bereichen Deutschlands gab, als pathologische Nationalsozialisten ihrem Mordtrieb schein-legal freien Lauf ließen. Die deutsche staatsformunabhängige Bürokratie dokumentierte mit ihrer im Sinne des Führerprinzips Adaption des »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« – ein klassischer Euphemismus – im April 1933: Wir sind dabei – dann mit kommunalen antisemitischen Maßnahmen im Sinne der eliminatorischen Volksgemeinschatsideologie, z. T. in diesem Sinne vom Deutschen Gemeindebund koordiniert, vorauseilend, also im Sinne des Führerprinzips. Das der speziisch deutschen Bürokratie-Kultur wie auf den Leib geschneidert war: Bürokratisch »perfekte«, durch nichts limitierte Exekution – vernetzte Koordination und Zeitaspekt – als Selbst-Zweck für das gemeinsame Ziel: Alle als Juden – im Sinne von nicht-pathologischen Nationalsozialisten – deinierten Menschen global – in allen Ländern der Erde – in die – bürokratische – Gewalt zu bekommen, um sie dann zu ermorden, ggf. mit »Vernichtung durch Arbeit«. Dieses »Gesetz« weist auf einen zentralen Aspekt hin: Die »Einheit von Partei und Staat«, wie es in einem 1934 von Hitler erlassenen Gesetz hieß und für alle bis zur kommunalen Ebene galt. Führerprinzip und Volksgemeinschat im Parteistaat. In dem die NSDAP immer umfassendere Staatsfunktionen annektierte, mit dem Ziel, eine Identität von NSDAP und Staat zu erreichen. Einem Staat, in dem ausschließlich pathologische Nationalsozialisten leben, alle anderen Menschen ermordet werden. Auch die eigenen Abweichler: »Der Weg aus der Gestapo führt in das KZ«, so Heydrich. Eine vergleichbare Ideologie vertreten heute Al Kaida und Scientology. Das – im doppelten Wortsinn – globale Ziel des nationalsozialistisch-ideologischen, antisemitischeliminatorischen Parteien-Staates war dessen konsequente Umsetzung – in dem jeweils von Hitler und seinen Vasallen als realisierbar angesehenen Rahmen und Umfang und koste es, was es wolle. Alles wurde darauf fokussiert, nach außen insbesondere mit der Volksgemeinschats-Ideologie Diese Konsequenz ist die Konsequenz aller terroristischen Bewegungen, für deren Anhänger nur sie selbst ein Recht auf Leben haben. Allen anderen Menschen der Tod! Es ist die globale Kultur des Todes, unter welchen ideologischen Vorzeichen auch immer. Diese Ideologie beinhaltet die Selbstvernichtung in sich. Wobei im Einzelfall die Frage ist: Wie hoch ist der Preis an Menschenleben für diese Selbstvernichtung? Welche Instrumente und Mechanismen kann die Menschheit entwickeln, solchen Prozessen vorzubeugen, wenn sie in Gang kommen, um sie weitest möglich einzugrenzen? Auch mit Gewalt der dazu legitimierten Weltinstitution, den Vereinten Nationen. Im Sinne von WeltInnenpolitik. Deren nächste Stufe Regionalpolitik ist, wie die der Europäischen Union. Was insbesondere Historiker – aus ihrer speziischen Perspektive – als Widersprüche des NS-Systems beschrieben, war Ausdruck der inneren Logik dieses Partei-Staats-Terrorismus. Der Erinnerung eine Chance | 179 Die Konsequenz, die die Weltgemeinschat aus der Nazi-Barbarei gezogen hat, waren die Gründung der Vereinten Nationen und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Beides ein Anfang. Auch auf der lokalen Ebene hat dieser Prozess Konsequenzen. Auch für das notwendige Gedenken als eine Basis für eine gemeinsame menschenwürdige Zukunt. Gegen den Bürokratie-Parteien-Staat. Zwei zentrale in dieser Arbeit herausgearbeitete Aspekte sind: Was unter speziischen gesellschat lichen und kulturellen Bedingungen selbstverständlich ist und welche Rolle dabei Bürokratie und ihre Bürokraten mit ihrer speziischen Bürokratie-Kultur haben. Dazu eine philosophische Relexion: Selbstverständlichkeit Was ist selbstverständlich? Wodurch bzw. wie wird festgelegt, was selbstverständlich ist? Durch wen, welche gesellschat lichen und kulturellen Bedingungen und Interessen? Also wie legitimiert? Wie, in welchen Prozessen, verändert sich das, was selbstverständlich ist? Basierend auf dem NSDAP-Programm wurde es selbstverständlich, dass Menschen andere Menschen töten. Willkürlich und unbegrenzt. Weil sie als Menschen geboren waren, die die Nationalsozialisten als Juden bezeichneten. Weil sie Behinderungen hatten, Slawen waren, Kommunisten, Andersdenkende. Weil sie Nationalsozialisten störten, im Weg waren. »Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.« Paul Celan Die nationalsozialistische Ideologie als Legitimation zum selbstverständlichen grenzenlosen bürokratischen Mord. Und als Negation von christlicher Kultur und Auk lärung. Auch im Sinne der Selbstzerstörung der Kirchen-Bürokratien in ihrem antisemitischen und anti-aufklärerischen Wahn. Die Haut der menschlichen Zivilisation ist dünn – und sehr verletzlich. Als Mahnung zum Gedenken – für alle gesellschat lichen Subsysteme, global. Was ist heute selbstverständlich? Welche Selbstverständlichkeit und Normalität von Lüge gibt es? Welches bürokratische Handeln wird heute von Bürokraten als selbstverständlich vorausgesetzt – und von der bürokratisch-politischen 180 | Der Erinnerung eine Chance Klasse für die Gesellschat als selbstverständlich gesellschat lich deiniert, also legitimiert? Dieses Selbstverständliche hinterfragt und am allgemeingültigen Maßstab der Menschenwürde als Kern zivilisierter humaner Welt-Kultur gemessen: Was wird dann als doch nicht selbstverständlich dekodiert? Und wie können wir einen welt-gesellschat lichen Prozess zur Evolution dieses doch nicht Selbstverständlichen in Richtung Menschenwürde initiieren? Und uns dabei nicht beirren lassen? In der vorliegenden Arbeit geht es um das katholische Dorf Osterath in der Zeit von der Weimarer Republik bis zur Bundesrepublik Deutschland im historischen Kontext – stellvertretend für alle deutschen – und österreichischen – Kommunen. Die gesellschat lichen, kulturellen, sozialen und politischen Strukturen und ihre Vernetzung vor Ort sowie mit der Region und darüber hinaus. Also eine holistische Perspektive, in der es zentral um Menschen geht, die über gesellschat liche Funktionen gesellschat liche Macht erhielten und ausübten. Wovon andere Menschen – und sie selbst – betroffen waren. Und es geht um die – überwiegend – geschichtswissenschat liche Analyse und Bewertung dieses Handelns – aus heutiger Perspektive. Auf der Basis meiner oben ausgeführten geschichtswissenschat lichen und philosophischen Prämissen. Womit Sie als Leser die Chance haben, mich »beim Wort« zu nehmen. Durchaus auch im Sinne Martin Bubers: »Geist ist Wort.« An dieser Stell erlaube ich mir aus meiner dokumentierten Perspektive eine Bewertung dessen, was der Meerbuscher Stadtarchivleiter Regenbrecht im Aut rag des Meerbuscher Bürgermeisters Spindler (CDU) vorgelegt hat. Dieses »Recherche-Ergebnis« hat mit Geschichtswissenschat nichts zu tun. Es ist ein politisches, interessengeleitetes Elaborat. Basierend auf bewusst selektiv ausgewählten Quellen, die auch aut ragsgemäß interessengeleitet bewertet – nicht interpretiert – werden; auch ein kommentarloser Abdruck ist eine Bewertung. Ohne sie in den historischen Kontext zu stellen oder ihren Inhalt überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Was ist der ofensichtliche bürokratisch-politische Aut rag von Bürgermeister Spindler an Archivleiter Regenbrecht? Über Geschichts-Politik die Recken-Legende unrelektiert stehen zu lassen. Deswegen auch die »Beratung« im nichtöfentlichen Ältestenrat, der also berät und im Sinne von Bür- germeister Spindler verbindlich entscheidet, was in Meerbusch als geschichtswissenschat lich und historisch richtig zu gelten hat. Die Elite der Meerbuscher Kultur in ihrem »Biotop für Bekloppte«. Dem Gedenken keine Chance geben. Der Kern ist die speziisch Meerbuscher »Basiserzählung« im Sinne von homas Herz (S. 140 f.), eingebettet in die der Bundesrepublik. »Die Basiserzählung der Bundesrepublik ist die NS-Vergangenheit und ihre ›Aufarbeitung‹ nach 1945. Die Basiserzählung lautet etwa wie folgt: Das deutsche Volk sah sich eines Tages mit den Nationalsozialisten konfrontiert. Die Nationalsozialisten errichteten ein totalitäres und despotisches Regime. Es war ein Willkür- und Unrechtsstaat. Es gab Widerstand gegen dieses Regime, denn das deutsche Volk war verleitet worden. Die Deutschen waren in Wirklichkeit eine ›Gemeinschat‹ der Leidenden. Dies gilt vor allem für die Soldaten. Sie kämpten für ihr Vaterland und nicht für die Nazis. Ein Mittel, um das Herrschatssystem zu stabilisieren, war der wirtschat liche Erfolg, zumindest bis Anfang des Krieges. Nach dem Krieg hat man sich erfolgreich mit der NS-Vergangenheit auseinandergesetzt. Die Deutschen haben aus der Vergangenheit gelernt. Das Wirtschatswunder und der Wohlfahrtstaat haben dazu beigetragen, eine stabile Gesellschat zu errichten. Die Bundesrepublik ist pluralistisch und ofen. Die Vernichtung der europäischen Juden war ein Verbrechen, aber auch die Vertreibung der Deutschen war ein Verbrechen. Andere Länder haben auch Kriegsverbrecher. Es gibt keine Kollektivschuld, nur Kollektivverantwortlichkeit. Die deutschen haben Wiedergutmachung an das jüdische Volk geleistet und haben die Verbrechen verurteilt. Das Leiden an der NSVergangenheit ist Teil des jüdischen, nicht aber des deutschen Schicksals.« Die gesellschat lich-kulturelle Funktion der Basiserzählung: Nach ihr muss es einen klaren Schnitt geben: Die Stunde Null 1945. Auch in Osterath, Lank und Büderich. Klarer Schnitt bedeutet: Keinerlei Kontinuität. War der Hugo Recken nach der Befreiung durch US-amerikanische Einheiten am 1. März 1945 ein anderer als noch einen Tag zuvor? Und Johannes Herbrandt? Und die katholische Geistlichkeit und die katholische Gemeindeelite? Und die Nationalsozialisten – die zum Teil der katholischen Gemeindeelite angehörten –, die dann heim ins himmlische Reich ihrer – anderen – Kirche kehrten? Diese Frage hat sich aktuell auf die Benennung der Hugo-Recken-Straße fokussiert. Die Geschichtspolitik mit allen Mitteln durch Bürgermeister Spindler erklärt sich als Relex zur Erhaltung des Status quo. Flankiert durch alle Fraktionen im Rat der Stadt Meerbusch – bis auf die UWG. Die Analogie zu Anfang 1946 in Osterath: Gemeindedirektor Hugo Recken mit den Dorf-Parteien – bis auf die KPD, die damaligen »Outlaws«. Die deutsche Elite in allen gesellschat lichen Subsystemen in der NS Zeit – die bei weitem nicht mit den führenden Nationalsozialisten identisch war geschweige denn Pg. waren –, hat sich individuell an der Umsetzung der hitlerschen Kernziele »selbstverständlich« beteiligt: Der Ermordung möglichst aller »gemeinschatsfremden« Menschen, zuvorderst die willkürlich als Juden deinierten Menschen. Denn für sehr viele der Elite-Arier galt: Sie dokumentierten Systemkonformheit in diversen anderen – nach 1945 als »Neben« verklärten – Organisationen. Da die vernetzte Elite in Partei und Staat alles auf die Realisierung der Kernziele fokussierte, bedeutet dies: Was nach der Befreiung 1945 apologetisch als »Neben« verklärt wurde, war mit-Haupt. Weil integraler Teil des vertikalen und horizontalen Macht-Netzwerks. Organisationen bestanden ausschließlich so weit und so lange, wie sie sich im Sinne der Übernahme der Kernziele gleichschalteten, oder sie wurden aufgelöst. Die Konsequenz: Individuell ist zu veriizieren, welche Mitgliedschaten von wann bis wann in Verbindung mit welchen Funktionen bestanden. Und wie diese Mitgliedschaten und Funktionen mit Partei- und Staatsfunktionen vernetzt waren. Alles im NS-System war zweckrational auf das Hauptziel ausgerichtet und die horizontale und vertikale Vernetzung hatte den Sinn von Synergien und Eigendynamik zu Efektivität und Eizienz – des Massenmordens. Modernes ethikloses Management in Verbindung mit der preußischmilitaristisch geprägten Bürokratie: Eine tödliche Mischung für über 50 000 000 Opfer der hitlerschen Aggression gegen die Menschlichkeit. Hugo Recken und Johanne Herbrandt waren deutsche Bürokraten. Was ist der gesellschat liche Sinn von Bürokratie als gesellschat lichem Subsystem? Ihren Beitrag zu einem friedlichen Zusammenleben aller Menschen zu leisten. Was geschieht, wenn Bürokratie zu ihrem eigenen Zweck wird? Sie pervertiert gegen ihren gesellschat lichen Aut rag. Und mit ihr pervertieren die Menschen in ihr. Bis hin zum Mord. Der Erinnerung eine Chance | 181 Was sagt insbesondere die Geschichtswissenschaft zu Teilaspekten der in dieser Arbeit geschichtswissenschaftlich analysierten Fragestellungen? »Dokumente sind nicht ein Brunnen, aus dem lauter Wahrheiten ließen, schon gar nicht in Diktaturen.« Manfred Rommel »Die Wirklichkeit des Massenmordes war schier unvorstellbar grausam und niemals anonym.« »Die nationalsozialistischen Bestrebungen, sogenannte Gemeinschatsfremde mit terroristischen Mitteln aus der ›Volksgemeinschat‹ auszugrenzen, wurden im Rheinland und Westfalen wie andernorts von der Bevölkerung weitgehend geduldet, wenn nicht gar begrüßt.« Robert Gellatey Dieter Pohl »Der Raubmord an den Juden.« »Aulösung bzw. Pervertierung von Ethik.« Götz Aly Hans-Jürgen Wirth »In ihrer moralischen Indiferenz sind die Deutschen damals fast alle schuldig geworden.« Norbert Frei »Der Täter passt nicht zu dem Untertan. Das Ungeheuerliche wird von sehr durchschnittlichen, schwachen, unbedeutenden Männern begangen … Nicht anders sind die bürokratischen Kollegen, die in den Büros sitzen und ihre Opfer mit Methoden quälen, die nur geringe körperliche Schmerzen hervorrufen, aber nicht weniger wirksam sind. Dieser Sadismus ist überall pedantisch und roh und die Qualen der Opfer werden damit ins Unerträgliche gesteigert.« Sebastian Haffner. Jekyll & Hyde. 1939. S. 83. »Der deutsche Täter war kein besonderer Deutscher. Stets stellte die Vernichtungsmaschinerie einen bemerkenswerten Querschnitt der deutschen Bevölkerung dar.« Raul Hilberg »Der Holocaust war kein Verbrechen, das in den kranken Hirnen Hitlers und Himmlers ausgebrütet und hinter dem Rücken der Bevölkerung ins Werk gesetzt wurde; er entstand aus der Mitte der deutschen Gesellschat heraus und wurde von einem großen Teil der Bevölkerung stillschweigend gebilligt bis tatkrät ig gefördert.« Volker Ulrich »Wenn Deutsche sich für oder gegen die Befolgung eines Befehls entschieden oder ihn auf diese oder jene Weise ausführten, dann muss nicht nur das bloße Befolgen von Befehlen, sondern auch die Art ihrer Durchführung untersucht und erklärt werden.« Daniel Jonah Goldhagen »Eine Kombination ideologischer und situationsbedingter Faktoren, die es einem populären, diktatorischen Regime und dem harten Kern der Gefolgschat ermöglichten, den Rest der Gesellschat für ihre Zwecke zu mobilisieren und einzuspannen.« Christopher R. Browning »Täter ist jeder, der wissentlich zum Massenmord an den Juden beitrug. Diese Deinition des ›Täters‹ entspricht ungefähr der, die die Gerichte der Bundesrepublik Deutschland anwandten, um festzustellen, ob sich jemand der ›Mittäterschat‹ beim Massenmord an den Juden schuldig gemacht hat.« Daniel Jonah Goldhagen »Die Täter, die sich an ihren eigenen Überzeugungen und moralischen Vorstellungen orientierten, haben die Massenvernichtung der Juden für gerechtfertigt gehalten, sie wollten nicht nein dazu sagen.« Daniel Jonah Goldhagen »Zunehmend koordinierte der Deutsche Gemeindetag die Judenpolitik in allen Kommunen des Reiches.« Rüdiger Flieter »Die Initiative, gesellschat liche Kontakte zwischen Juden und Deutschen zu unterbinden, ging auf Gemeinde- und Stadtverwaltungen zurück, auf Deutsche aus allen Schichten, und zwar bevor der Staat dies vorschrieb.« Daniel Jonah Goldhagen »Auf dem Gebiet der Verfolgungspolitik lassen sich keine nennenswerten Gegensätze zwischen den Kommunen und den örtlichen Parteistellen ausmachen.« Rüdiger Flieter »Wenn wir Nationalsozialisten das Wort ›gottgläubig‹ gebrauchen, meinen wir nicht denselben Gott wie die Christen.« Martin Bormann. Chef der NSDAP-Kanzlei 182 | Der Erinnerung eine Chance »Kommunen waren ein eigenständiges aktives Glied innerhalb eines regional austarierten Herrschatssystems. Sie nutzen ihre erheblichen Gestaltungsmöglichkeiten stets im Sinne des ›Führers‹. Zudem stabilisierten sie das ›polyzentrische‹ NS-Herrschatssystem durch beständige Koordinationsleistungen. Sie waren eine tragende Säule des NSSystems.« Bernhard Gotto »Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Staatsformwechsel von den meisten städtischen Beamten lebensgeschichtlich als Einheit, politisch als Bruch und berufsständisch als Kontinuität erfahren wurden.« Susanne Mellig »Eine Stunde Null der Bürokratie durte es nicht geben.« Karin Werum »Es wird der Eindruck vermittelt, ›Terror‹ sei der Bevölkerung von außen zugefügt worden. Es gibt aber den Terror des NS-Regimes als Gefüge dynamischer und ofener gesellschat licher Abläufe zu verstehen, das nicht nur von Politikern und Oi ziellen oder oiziösen Einrichtungen, sondern auch von der Bevölkerung getragen wurde.« Robert Gellatey »Es handelte sich vielerorts bei den oiziell als ›Gestapo-Mitglied‹ geführten Männern nicht immer um hauptamtlich tätige Beamte, sondern vielfach um Verwaltungsbedienstete, die neben zahlreichen anderen Aufgaben auch die lokale Funktion der politischen Polizei versahen.« Robert Gellatey »Die Institutionen, die mit Juden zu tun hatten, ihnen unablässig Leid zufügten und sie, sobald die Zeit gekommen war, in den Tod schicken würden.« Daniel Jonah Goldhagen »›Administrative Normalität‹ im Dienst der ›Volksgemeinschat‹«. Bernhard Gotto »Nach dem Zusammenbruch des ›Dritten Reiches‹ bestimmten Abwehrhaltungen gegen die Wahrnehmung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen, die Betonung der reinen Plichterfüllung und die Ablehnung der vermeintlichen Kollektivschuldbehauptungen der Siegermächte das Bewusstsein des überwiegenden Teils der deutschen Bevölkerung. Mitverantwortung und Mitschuld wurden geleugnet.« Stefan Groh »Das entscheidende Charakteristikum des Handelns lag darin, dass der Abtransport ›nach dem Osten‹ nicht anders abgewickelt wurde als andere Verwaltungsakte auch. Hier wie dort bildeten Termingenauigkeit, äußere Korrektheit und Reibungslosigkeit des Vorgehens bei gleichzeitiger Flexibilität sowie präziser Kostenberechnung die Richtpunkte für die Beteiligten. Eine Deportation stellte sich also weder als zynische Aktion noch primär als ein von Unrechtsbewusstsein oder Verdrängung geprägtes Tun dar, sondern hauptsächlich als Ergebnis einer Routine, die als regelgeleitetes Handeln gewohnt war, von konkreten Inhalten abzusehen. Die Korrektheit des äußeren Ablaufs wurde zum entscheidenden Erfolgskriterium. Durch die Erhebung des Formalen zum eigentlichen Inhalt, durch die zum institutionenspeziischen Ethos geronnene Morallosigkeit erwiesen sich Verwaltung und Polizei aufgrund ihrer Strukturprinzipien als geeignete Erfüllungsgehilfen bei der Vernichtung von Minderheiten. Insofern machten diese rationalen Strukturen des modernen Alltagslebens, die Nutzung etablierter bürokratischer und technischer Verhaltensstile den Genozid erst möglich.« Robert Gellatey »Zwölf Jahre der Lüge und des Terrors, der widerlichsten Heuchelei, der entsetzlichen Grausamkeiten hat die deutsche Bevölkerung über sich ergehen lassen müssen. Zwölf Jahre wurden wir von größenwahnsinnigen Psychopathen, Päderasten, erblich und kriminell Belasteten regiert.« Jeanette Wolf. Sadismus oder Wahnsinn. Erlebnisse in den deutschen Konzentrationslagern im Osten. Greiz 1947. »Es muss alles neu gemacht werden.« Konrad Adenauer vor dem CDU-Bundesvorstand am 26. Januar 1953. »Verwandlungspolitik. NS-Eliten in der westdeutschen Nachkriegsgesellschat.« Buchtitel von Wilfried Loth »Die Deutschen werden ihre Zukunt nur bestehen, wenn sie die Vergangenheit nicht verdrängen.« Peter Glotz »Die Nazi-Vergangenheit so vieler wurde kommunikativ beschwiegen: 1. weil die überwältigende Mehrheit der Deutschen Nazis oder doch zumindest Nazi-Sympatiesanten waren und 2. weil schnell deutlich wurde, wie viele der alten Nazi-Ziele man auch mit nicht-terroristischen Mitteln erreichen konnte ... Bolschwistenvertreibung.« Jochen Härisch. In: Wilfried Loth u. a. (Hrsg.). S. 191. Der Erinnerung eine Chance | 183 »Ir-Realisierung ist ein Rückzug des Realitätsgefühls von bestimmten Faktenzusammenhängen und bezieht sich vor allem auf den Zusammenhang von Vergangenheit und Gegenwart.« Christian Schneider. In: Wilfried Loth u. a. (Hrsg.). S. 253. »Es kommt wohl wesentlich darauf an, in welcher Weise das Vergangene vergegenwärtigt wird; ob man beim bloßen Vorwurf stehen bleibt oder dem Entsetzen standhält durch die Krat, selbst das Unbegreiliche noch zu begreifen.« Theodor W. Adorno. Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit? 1959. Michael Stürmer »Mut ist, Verbrechen zu beweisen, die angeblich nie passiert sind.« MISEREOR »Reizklima des Rechthabenmüssens.« Martin Walser »Wahn ist der Ersatz für den Traum, dass die Menschheit die Welt menschlich einrichtet, den die Welt der Menschheit hartnäckig austreibt.« »Eine rassistische Mischung aus Paranoia, Wut, Politik und Pseudophilosophie. Man muss … notfalls mehr reden, faseln, quatschen lassen, als eigentlich erträglich, gerade um ihn zu widerlegen.« Theodor W. Adorno. Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit? 1959. Heinrich Wefing am 12. 04. 2012 in »Die Zeit« zu Anders Breivik »Die Notwendigkeit solcher Anpassung, die zur Identii kation mit Bestehendem, Gegebenem, mit Macht als solcher, schat das totalitäre Potential.« »Die Vergangenheit bleibt Gegenwart.« Josef Joffe Theodor W. Adorno. Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit? 1959. »Die deutsche Verwaltung hat sich ›als Ganzes‹ vom NS-Regime widerstandslos in den Dienst der Unrechtspolitik nehmen lassen.« »Das lässt nur eine Folgerung ofen: dass insgeheim, unbewusst schwelend und darum besonders mächtig, jene Identii kationen und der kollektive Narzissmus gar nicht zerstört wurden, sondern fortbestehen ... Dass der beschädigte kollektive Narzissmus darauf lauert, repariert zu werden, und nach allem greife, was zunächst im Bewusstsein die Vergangenheit in Übereinstimmung mit den narzisstischen Wünschen bringt, dann aber womöglich die Realität so modelt, dass jenen Schädigung ungeschehen gemacht wird.« Michael Reck Theodor W. Adorno. Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit? 1959. »Schuld kann nur dem Einzelnen zugemessen werden, nicht also in corporare. Schuld richtet sich nach Kenntnis, Möglichkeiten, Handeln und Nichthandeln.« Ewald Heinrich von Kleist. Eine Frage des Gewissens und der Moral. Vortrag in der Henning-von-TreskowKaserne Potsdam am 19. Juli 1998. Web-Ressource. »Einmal wird niemand erwarten können, dass jemand, der gegenüber Juden feindlich empfunden hat oder gar handelte, heute darüber Auskunt gibt.« Hans Kaiser »Die Deutschen werden ihre Zukunt nur bestehen, wenn sie die Vergangenheit nicht verdrängen.« Peter Glotz 184 »Wer aber meint, dass all dies auf Politik und Zukunt keine Wirkung habe, der ignoriert, dass im geschichtslosen Land die Zukunt gewinnen wird, wer die Erinnerung füllt, die Begrife prägt und die Vergangenheit deutet.« | Der Erinnerung eine Chance »Wer heute danach fragt, was unsere Gesellschat ausmacht, was sie prägt und ihre Gestalt verleiht, wird auf drei Wesensmerkmale stoßen: Freiheit, Verantwortung und Toleranz … Wir sind das Volk! Dieser Satz hat uns gelehrt, dass wir, wenn wir unserer Sehsucht glauben und ihr vertrauen, die Angst verlieren können. Eine Angst, die willfährige Dienerin jeder Art von nicht legitimierter Herrschat ist, die uns ohnmächtig macht, die uns bindet. In dem Augenblick aber, in dem wir unsere Angst als Angst benennen und Anpassung und Angst als Geschwisterkinder erkennen, sind wir möglicherweise bereit zu erproben: Können wir auch ohne sie leben? In genau diesem Augenblick wachsen uns jene Kräte zu, die eine ganze Gesellschat verändern können … Entscheidend ist die Teilhabe an der Macht oder die Unterwerfung unter die Macht, die uns zu Bürgern oder zu Nichtbürgern macht … Nur, wenn wir an die Potenzen glauben, die in uns verborgen sind, wenn wir sie nutzen und anwenden, werden wir mit uns selbst zufrieden und anderen ein Segen sein … Ich wünschte mir, dass sich unsere Gesellschat tolerant, wertebewusst und vor allem in Liebe zur Freiheit entwickelt und nicht vergisst, dass die Freiheit der Erwachsenen Verantwortung heißt.« Bundespräsident Joachim Gauck. Freiheit. München 2012. 5. Was in Osterath in der NS-Zeit insbesondere gegen als Juden bezeichnete Menschen in Verantwortung von Bürgermeister Hugo Recken als GemeindeFührer »legal« exekutiert wurde, war organisierter vorsätzlicher Verwaltungs-Terror und Verwaltungs-Mord. Dies insbesondere unter Mitwirkung seines Symbionten Johannes Herbrandt. Sie waren Hitlers willige Bürokratie-Vollstrecker in Osterath. Was die Alliierten vor und ab 1945 in Erfahrung brachten, was dann in der Entnaziizierungszeit bis 1952 bekannt wurde, wie dieses Wissen ge- und benutzt wurde, ist eine Perspektive. Eine andere Perspektive ist es, dies aus der heutigen Perspektive wissenschat lich zu analysieren. Unter Einbeziehung der Forschungsergebnisse bis heute. Uns liegt zeitgenössische Literatur vor. Aus den Jahren vor 1933, aus den Jahren von 1933 bis 1945 – aus NS-Perspektive sowie im Exil verfasst – und aus den Jahren bis 1949 sowie danach bis heute. Was für mich auf ällig ist: Die Literatur bis 1949 wird ganz überwiegend ignoriert. Die heutige MainstreamPerspektive ist restaurativ geprägt – bis hin zu NS-Apologie, auch durch Verschweigen, Fälschen, Unterdrücken, bewusste Missinterpretation. »Die Lüge hat sich als Wahrheit verkleidet.« Papst Benedikt. 2012. Analog wie »furchtbare Juristen« existieren, so existieren »furchtbare Bürokraten«. Die glauben, sich hinter dem Vorhang der von ihnen geschafenen Bürokratie-Anonymität verstecken zu können, um für ihre individuelle Verantwortungslosigkeit nicht verantwortlich gemacht werden zu können. Und aus ihrer Bürokratie-Perspektive mit dem bürokratischen Habitus glauben, mit Aktenvernichtung, Dokumentenunterdrückung und Manipulation sei dies wesentlich zu gewährleisten. Doch: Es sind immer Menschen wie Bürgermeister Hugo Recken und sein Symbiont Johannes Herbrandt, die handeln und deren Handeln individuell zugeordnet werden kann. Diese konkrete individuelle Zuordnung von Handeln kann von ihrem Legitimations-, Rechtfertigungs- und Uminterpretations-Handeln nach der Befreiung 1945 exakt unterschieden werden. Wenn es denn gewollt ist. Was ethisch und geschichtswissenschat lich redlich ist. Ein – auch im aktuellen Kontext wirksames – Prinzip von Bürokratie ist, als vermeintlich monolithischer Block, nach innen zum Machterhalt nach außen »Solidarität« zu fordern, dies unter freiwilliger Gefolgschat der Lokalpolitiker – in Meerbusch außer der UWG. Sinn dieser »Solidarität« ist die Atomisierung der Menschen, um die vermeintlich anonyme Bürokratie-Macht zu stabilisieren und auszubauen. Bürokraten gehen aus dieser Perspektive davon aus, dass ihre Maßnahmen auch bewirken, dass Menschen nicht über eben diese Maßnahmen kommunizieren – und sich real solidarisieren. Geschieht dies doch, so wird dies von Bürokraten als Angrif auf ihre Bürokraten-Integrität deiniert, also persönlich genommen, und entsprechend massiv bürokratisch reagiert. »Ich habe doch nur als Mensch gehandelt.« Anton Schmid Er hat als Mensch gehandelt und nicht blind – bürokratisch – gehorcht – als Soldat. Genau das ist es, was die Menschen unermesslich stört, die eine dem entgegenstehende Kognition haben – wie Bürokraten. Die der Gesellschat ihre Kognition aufnötigen wollen, gegen die Gesellschat, gegen uns alle. Führen wir die bürokratische Macht auf ihr funktionelles Maß zurück. Und erziehen wir mündige Bürger in Demokratie. Die Würde des Menschen ist unteilbar Im ehrenden Gedenken der ungezählten Menschen, die von Angehörigen des NS-Terrorregimes verfolgt wurden und denen durch deren Unrechtshandlungen Eigentum, Gesundheit, Freiheit und Leben genommen wurde. Diese Menschen stehen für die demokratischen Werte: FREIHEIT, GLEICHHEIT UND SOLIDARITÄT. Welche insbesondere neuen Ansätze können unser Verstehen fördern? »Weit über die Psychoanalyse im engeren Sinne hinaus hat Freuds Arbeit ›Massenpsychologie und Ich-Analyse« (1921) einen tief reichenden Einluss auf Philosophen, Sozialwissenschat ler und Intellektuelle ausgeübt, beispielsweise die Frankfurter Schule, Alexander Mitscherlich, David Riesman und sein Buch ›Die einsame Masse‹ (1950) sowie auf Elias Canetti und sein Buch ›Masse und Macht‹ (1960), für das jener 1980 den Literaturnobelpreis erhielt … Freud (1921) erwähnt zwar den Begrif der Macht nur ganz am Rande, doch implizit spielt er in seinen Ausführungen eine zentrale Rolle. Auch zur Persönlichkeit des Führers, als dem Repräsentanten der Macht, äußert sich Freud nur in einigen kurzen Bemerkungen. Die Grundgedanken der Arbeit lassen sich wie folgt zusammenfassen: In einer psychologischen Masse indet eine gemeinsame Identiizierung aller ihrer Mitglieder untereinander und mit ihrem Der Erinnerung eine Chance | 185 Anführer statt, auf den sie kollektiv ihr eigenes Über-Ich und ihr Ich-Ideal projezieren. Sie sind deshalb bereit, dem Anführer zu folgen – wohin auch immer er sie führen mag. Die Projektion ihres Ich-Ideals und ihres Über-Ichs auf den Anführer befreit die Mitglieder der Masse von einschränkenden Normen, Werten und Schuldgefühlen, so dass sie unbelastet von Selbstvorwürfen ihre triebhaten Impulse, ihre aus unterbewussten Konlikten stammenden Ressentiments und ihre aggressiven Bedürfnisse ausleben können. Im Namen des Führers lassen sich die Masse und auch die einzelnen Individuen, insofern sie Bestandteil der Massenbewegung geworden sind und damit ihren psychischen Status als autonome Individuen aufgegeben haben, bereitwillig zu impulsgesteuerten Handlungen, beispielsweise zu Übergrifen, Zerstörungen und Gewalttaten hinreißen, die sie unter normalen Umständen verweigert hätten.« Hans Jürgen Wirth. S.53. »Jeder hätte Helfer Hitlers werden können. Die menschliche Natur allein ist zu schwach.« Guido Knoop. Hitlers Helfer. Täter und Vollstrecker. München 1999. S. 23. Benoit Mandelbrot hat den Begrif »fraktal« im Sinn von selbstähnlich geprägt. Wie in dieser Arbeit dargestellt, sind alle Ebenen nicht nur in der NS-Zeit fraktal: Die individuelle und alle kollektiven sowie ihre Vernetzungen. »Im Größten das Kleinste, im Kleinsten das Größte – unendlich abgewandelt.« Joachim Bauer weist in »Schmerzgrenze« darauf hin, das der Verlust von »Fairness, Vertrauen, sozialer Akzeptanz« schwerwiegende Auswirkungen auf das gesamte geistige-emotionale-psychischehormonelle System von Menschen hat. Das insbesondere im Kontext eines dadurch bedingten Ungleichgewichts von Motivationssystem und Aggressionsapparat. Mit der möglichen Folge bis hin zu Psychopathie. Analogien zur NS-Zeit, ihrer Vorgeschichte und ihrer Folgezeit liegen auf der Hand. »›Weltbilder‹ besitzen eine mentalitätsprägende und verhaltenssteuernde Prägung.« Hans-Ulrich Wehler In diesem Kontext und bezogen auf die NS-Zeit beschreibt Ulrich Herbert »ideologische ›Auladung‹«. Aus psychologischer Perspektive hat Luc Ciompi sein Modell »Afektlogik« in »Gefühle machen Geschichte. Die Wirkungen kollektiver Emotionen – von Hitler bis Obama« (Göttingen 2011) im Kapitel »Hitler und der Nationalsozialismus« historisch übertragen. Ein aus meiner Perspektive sehr fruchtbarer Ansatz. Fokussiert auf die Inhalte meines Buches hat Ciompi dort ausgeführt: »Die Interaktion zwischen Fühlen, Denken und Handeln weisen auf der mikro-, meso- und makrosozialen Ebene grundlegende Ähnlichkeiten auf.« (S. 8) Die Analogien zu den Ansätzen von Mandelbrot, Taleb und Bauer liegen auf der Hand. Luc Ciompi Nassim Nicholas Taleb hat die Metapher »Schwarzer Schwan« geprägt. Aus der Perspektive europäischer Menschen konnte es nur weiße Schwäne geben – bis sie in Australien schwarze Schwäne entdeckten. Taleb meint sinngemäß sehr seltene Ereignisse, die wegen ihrer Seltenheit und damit in der individuellen und kollektiven Kognition nicht kulturellen Einpassbarkeit außerhalb der unbewussten Kognition liegen, aber intellektuell schließbar und damit individuell und auch kollektiv händelbar sind. Das erklärt er am Beispiel seiner libanesischen Heimat: Die libanesische »Basiserzählung« lautete im Kern etwa, dass der Libanon seit vielen Jahrhunderten, ja Jahrtausenden stabil und friedlich trotz der Vielzahl von Ethnien und Religionen sei und dass sich dies nicht ändern könne; Stabilität per Deinition. Wie wir heute wissen, eine fatale Fehleinschätzung. Als Analogie auf die Demokratie in Deutschland sollte uns das zu denken geben. Auch im Kontext der Recken-Legende. 186 | Der Erinnerung eine Chance »Gebündelte emotionale Energien vermögen enorme Wirkungen auf das kollektive Denken und Verhalten zu entfalten.« (S. 9) Bezogen auf die NS-Zeit deiniert Ciompi eine »nationalsozialistisch-afektiv-kognitive Eigenwelt«. (S. 46) »Hitlers verzehrender Judenhass hatte Schaltwirkungen auf Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und kombinatorisches Denken.« (S. 61) »Wut und Hass, die in aggressive Schuldzuweisungen gegen andere mündeten.« (S. 69) »Auf diese Weise angelegte Fühl-Denk-Bahnen vertiefen sich aufgrund der Schaltwirkungen der Affekte selbstständig fortwährend, bis sie die gesamte Wahrnehmung lenken und alles weitere Denken in den Sog dieser emotionalen Eigendynamik geriet.« (S. 75f.) Eigendynamik mit sich auladenden Vernetzungen. »Je stärker die nationalsozialistischen Glaubensüberzeugungen mit extremen Gefühlen belegt wur- den, um so tiefer gruben sich ihre Fühl- und Denkbahnen ein und legten alles Denken fest, bis selbst grobe Verstöße gegen das normalerweise existierende Rechtsempinden nicht mehr wahrgenommen werden oder als selbstverständlich erscheinen.« (S. 76) Hier spiegelt sich der dargestellte Gedankengang Freuds. »Dass die Aulösung der Ich-Grenzen mit intensiven positiven Gefühlen einhergeht, beschreibt Freud mit dem Begrif des ›ozeanischen Gefühls‹: Ein Gefühl der unlösbaren Verbundenheit, der Zusammengehörigkeit mit dem Ganzen in der Außenwelt.« (S. 89) Eine »religiöse Intensität der Zusammengehörigkeitsgefühle.« (S. 89) »Die Radikalisierung begann jedoch nicht – so unsere hese – mit dem Scheitern der Kriegsziele, sondern mit der Errichtung der nationalsozialistischen Eigenwelt, der diese zerstörerische Dynamik von Anfang an innewohnte. Das Massentöten in Konzentrationslagern und die Erschießungen von wehrlosen Menschen, Männer, Frauen und Kinder, waren nur durch die Entstehung einer Alltagslogik möglich geworden, in der die Missachtung von Menschenleben als Selbstverständlichkeit galt. Diese prozessuale Sichtweise vertritt auch der Sozialpsychologe Harald Welzer. Er beschreibt das Eindringen der nationalsozialistischen Moral in den Alltag als einen gesellschat lichen Umbauvorgang, der eine neue soziale Normalität etablierte. ›In dieser Normalität mag es zwar ein Durchschnittsvolksgenosse noch 1941 für undenkbar halten, das Juden umstandslos getötet werden, aber nichts Bemerkenswertes darin inden, das Ortsschilder verkünden, dass der entsprechende Ort judenfrei sei, dass Parkbänke nicht von Juden benutzt werden dürfen, dass die jüdischen Bürger völlig entrechtet und beraubt werden.« (S. 92) »Im Zentrum dieses gesellschat lichen Umbauprozesses sieht Welzer die ›unhintergehbare und absolute Unterscheidung von Zugehörigen und NichtZugehörigen‹, ein Merkmal, das auch in anderen ›ansonsten höchst verschiedenen mörderischen Gesellschaten‹ zu beobachten sei. Im Nationalsozialismus war es die Ideologie der Volksgemeinschat, welche die Menschen in zwei Gruppen spaltete, die nichts miteinander gemein hatten und die ›nur zwei Existenzmöglichkeiten‹ erlaubte: ›Entweder man stand drinnen oder man war draußen.‹« (S.92) So konnte »eine Dynamik entstehen, in der sich Inklusion und Exklusion immer stärker gegenseitig bedingten: ›Zur Volksgemeinschat gehören hieß, die Ausschließungen anzuerkennen, die sie verfügte‹. Die Volksgemeinschatsideologie ließ zwischen Juden und Nichtjuden eine Klut entstehen, die sich nur noch als Abgrund bezeichnen lässt.« (S. 92f.) »Die Gewalttätigsten und Grausamsten des NSRegimes bildeten den inneren Kern der Volksgemeinschat. Ihre Leitafekte und Leitideen bestimmten das Fühlen und Denken der Menschen, die sich in verschiedenen Abständen um dieses Zentrum gruppierten.« (S. 94) Dazu zählten »Denunziationen und aktive Beteiligung an Gewalt. Die emotionale Stimmung dieser ›aktiven Gleichgültigkeit‹ wurde gespeist von den gewaltigen Hass- und Aggressionsgefühlen des nationalsozialistischen Zentrums und wenn auch ihre Energie nicht ausreichte, diese Gefühle in ihrer Extremität bis an den äußersten Rand der Gesellschat zu tragen, so war ihr Nachhall doch auch hier in Form widerstandsloser Akzeptanz präsent.« (S. 94) »Die bereitwillige Akzeptanz und Teilnahmslosigkeit wurden erst durch die Entstehung der nationalsozialistischen Eigenwelt möglich, in deren Alltagslogik das Wegsehen, Dulden, Akzeptieren, Mitwirken und Aktivwerden sukzessive zur Selbstverständlichkeit wurden. In dieser Eigenlogik wurde die menschenverachtende Grausamkeit des NS-Regimes von den Deutschen nicht mehr wahrgenommen, das Leid ihrer Mitmenschen fand keinen emotionalen Widerhall.« (S.94) Anhand eines Zitats von Sebastian Hafner aus dem Jahr 1940 analysiert Ciompi konkret (S. 84): »Die Anhänger und die Gegner des Regimes sind sich fremder als verschiedene Rassen oder verschiedene Arten von Tieren. Sie sprechen eine unterschiedliche Sprache. Was für den einen schwarz, ist für den anderen weiß. Gegenseitiges Verständnis und eine Diskussion zwischen ihnen ist undenkbar. Wenn sie sich zufällig begegnen, besteht Lebensgefahr – natürlich in der Hauptsache für den Gegner des Regimes, der damit rechnen muss, ohne Vorwarnung denunziert, verhatet und zu Tode gequält zu werden.« »Diese Klut ist ein typisches Merkmal extremistischer afektiv-kognitiver Eigenwelten. Die eigenen Überzeugungen besitzen für die Menschen, die sich innerhalb dieser Eigenwelt beinden, ein so hohes Maß an Selbstverständlichkeit, dass sie sich im alleinigen Besitz der einzig gültigen Wahrheit sehen. Schon allein die Möglichkeit einer anderen Sichtweise ist unvorstellbar. Diese unhinterfragbare Logik der Eigenwelt macht die Kommunikation mit Andersdenkenden unmöglich. Der fehlende Aus- Der Erinnerung eine Chance | 187 Gustav Radbruch Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht. III Der Positivismus hat in der Tat mit seiner Überzeugung »Gesetz ist Gesetz« den deutschen Juristenstand wehrlos gemacht gegen Gesetze willkürlichen und verbrecherischen Inhalts. Dabei ist der Positivismus gar nicht in der Lage, aus eigener Kraft die Geltung von Gesetzen zu begründen. Er glaubt, die Geltung eines Gesetzes schon damit erwiesen zu haben, daß es die Macht besessen hat, sich durchzusetzen. Aber auf Macht läßt sich vielleicht ein Müssen, aber niemals ein Sollen und Gelten gründen. Dieses läßt sich vielmehr nur gründen auf einen Wert, der dem Gesetz innewohnt. Freilich: einen Wert führt schon jedes positive Gesetz ohne Rücksicht auf seinen Inhalt mit sich: es ist immer noch besser als kein Gesetz, weil es zum mindesten Rechtssicherheit schafft. Aber Rechtssicherheit ist nicht der einzige und nicht der entscheidende Wert, den das Recht zu verwirklichen hat. Neben die Rechtssicherheit treten vielmehr zwei andere Werte: Zweckmäßigkeit und Gerechtigkeit. In der Rangordnung dieser Werte haben wir die Zweckmäßigkeit des Rechts für das Gemeinwohl an die letzte Stelle zu setzen. Keineswegs ist Recht alles das, »was dem Volke nützt«, sondern dem Volke nützt letzten Endes nur, was Recht ist, was Rechtssicherheit schafft und Gerechtigkeit erstrebt. Die Rechtssicherheit, die jedem positiven Gesetz schon wegen seiner Positivität eignet, nimmt eine merkwürdige Mittelstellung zwischen Zweckmäßigkeit und Gerechtigkeit ein: sie ist einerseits vom Gemeinwohl gefordert, andererseits aber auch von der Gerechtigkeit, daß das Recht sicher sei, daß es nicht heute und hier so, morgen und dort anders ausgelegt und angewandt werde, ist zugleich eine Forderung der Gerechtigkeit. Wo ein Widerstreit zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit, zwischen einem inhaltlich anfechtbaren, aber positiven Gesetz und zwischen einem gerechten, aber nicht in Gesetzesform gegossenen Recht entsteht, liegt in Wahrheit ein Konflikt der Gerechtigkeit mit sich selbst, ein Konflikt zwischen scheinbarer und wirklicher Gerechtigkeit vor. Diesen Konflikt bringt großartig das Evangelium zum Ausdruck, indem es einerseits befiehlt: »Seid untertan der Obrigkeit, die Gewalt über euch hat«, und doch andererseits gebietet, »Gott mehr zu gehorchen als den Menschen«. 188 | Der Erinnerung eine Chance Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, daß das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, daß der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, daß das Gesetz als »unrichtiges Recht« der Gerechtigkeit zu weichen hat. Es ist unmöglich, eine schärfere Linie zu ziehen zwischen den Fällen des gesetzlichen Unrechts und den trotz unrichtigen Inhalts dennoch geltenden Gesetzen; eine andere Grenzziehung aber kann mit aller Schärfe vorgenommen werden: wo Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, wo die Gleichheit, die den Kern der Gerechtigkeit ausmacht, bei der Setzung positiven Rechts bewußt verleugnet wurde, da ist das Gesetz nicht etwa nur unrichtiges Recht«, vielmehr entbehrt es überhaupt der Rechtsnatur. Denn man kann Recht, auch positives Recht, gar nicht anders definieren denn als eine Ordnung und Satzung, die ihrem Sinn nach bestimmt ist, der Gerechtigkeit zu dienen. An diesem Maßstab gemessen sind ganze Partien nationalsozialistischen Rechts niemals zur Würde geltenden Rechts gelangt. Die hervorstechendste Eigenschaft in Hitlers Persönlichkeit, die von ihm aus auch zum Wesenszuge des ganzen nationalsozialistischen »Rechts« geworden ist, war sein völliger Mangel an Wahrheitssinn und Rechtssinn: weil ihm jeder Wahrheitssinn fehlte, konnte er dem jeweils rednerisch Wirksamen ohne Scham und Skrupel den Akzent der Wahrheit geben; weil ihm jeder Rechtssinn fehlte, konnte er ohne Bedenken die krasseste Willkür zum Gesetz erheben. Am Anfang seiner Herrschaft stand jenes Sympathie-Telegramm an die Potempa-Mörder, am Ende die grauenhafte Entehrung der Märtyrer des 20. Juli 1944. Schon anläßlich des Potempa Urteils hatte Alfred Rosenberg im »Völkischen Beobachter« die Theorie dazu geliefert: Mensch sei nicht gleich Mensch, und Mord sei nicht gleich Mord; die Ermordung des Pazifisten Jaures sei in Frankreich mit Recht anders bewertet worden als der Mordversuch an dem Nationalisten Clemenceau; ein Täter, der aus vaterländischen Motiven gefehlt hat, könne unmöglich derselben Strafe unterworfen werden, tausch lässt den Graben immer tiefer werden und setzt einen Kurs der gegenseitigen Konfrontation in Gang, dessen Dynamik kaum aufzuhalten ist.« wie ein anderer, dessen Beweggründe sich (nach nationalsozialistischer Auffassung) gegen das Volk richten. Damit war von vornherein ausgesprochen, daß nationalsozialistisches »Recht« sich der wesensbestimmenden Anforderung der Gerechtigkeit, der gleichen Behandlung des Gleichen, zu entziehen gewillt war. Infolgedessen entbehrt es insoweit überhaupt der Rechtsnatur, ist nicht etwa unrichtiges Recht, sondern überhaupt kein Recht. Das gilt insbesondere von den Bestimmungen, durch welche die nationalsozialistische Partei entgegen dem Teilcharakter jeder Partei die Totalität des Staates für sich beanspruchte. Der Rechtscharakter fehlt weiter allen jenen Gesetzen, die Menschen als Untermenschen behandelten und ihnen die Menschenrechte versagten. Ohne Rechtscharakter sind auch alle jene Strafdrohungen, die ohne Rücksicht auf die unterschiedliche Schwere der Verbrechen, nur geleitet von momentanen Abschreckungsbedürfnissen, Straftaten verschiedenster Schwere mit der gleichen Strafe, häufig mit der Todesstrafe, bedrohten. Alles das sind nur Beispiele gesetzlichen Unrechts. Es darf nicht verkannt werden – gerade nach den Erlebnissen jener zwölf Jahre –, welche furchtbaren Gefahren für die Rechtssicherheit der Begriff des »gesetzlichen Unrechts«, die Leugnung der Rechtsnatur positiver Gesetze mit sich bringen kann. Wir müssen hoffen, daß ein solches Unrecht eine einmalige Verirrung und Verwirrung des deutschen Volkes bleiben werde, aber für alle möglichen Fälle haben wir uns durch die grundsätzliche Überwindung des Positivismus, der jegliche Abwehrfähigkeit gegen den Mißbrauch nationalsozialistischer Gesetzgebung entkräftete, gegen die Wiederkehr eines solchen Unrechtsstaates zu wappnen. Zwischen Gegnern und Anhängern des NS-Regimes stand die große Mehrheit der »Zuschauer«, die überwiegend Führer-Kultur und Führer-Kult teilten. »Das weiß der Führer nicht.« – als typische Rationalisierung. Und Konstrukt zur Aufrechterhaltung der Eigenwelt. Mit ihren extremen Resonanz- und Verstärkerefekten, die den Holocaust möglich machten. Zu dem die Partei-Staats-Terroristen genügend Mit-Terroristen hatten, auch in der Osterather Bürokratie. Sein Modell »Afektlogik« hat Ciompi in »sieben Kurzthesen« zusammengefasst (S. 44): 1. Fühlen und Denken (oder afektive und kognitive Funktionen) wirken ständig obligat zusammen. 2. Emotionen sind gerichtete Energien oder genauer: evolutionäre verankerte, ganzheitliche körperlich-seelische Zustände, die durch speziische Weisen des Energieverbrauchs charakterisiert sind. Gleichgerichtete kollektive emotionale Energien führen zu mächtigen Massenwirkungen. 3. Vergangene und aktuelle Emotionen üben über vielfältige Schalt- und Filterwirkungen auf die kollektive Aufmerksamkeit, das kollektive Gedächtnis und das kollektive Denken aus. 4. Je nach Leitgefühl kann aufgrund dieser Schaltund Filterwirkungen eine kollektive Angst-, Wut-, Freude-, Trauerlogik usw. entstehen. Auch die scheinbar neutrale Alltagslogik ist untergründig in hohem Maß von Afekten geleitet. 5. Über afektspeziische ›Schienen‹ oder ›Leitplanken‹ bilden sich mit der Zeit umfassende gruppen- und kulturspeziische afekt-kognitive Eigenwelten (oder ›Mentalitäten‹, ›Denkstile‹, ›Ideologien‹) aus, die sich laufend selbst-organisatorisch bestätigen und konsolidieren. 6. Bei kritisch steigenden systeminternen emotionalen Spannungen können sich die vorherrschenden kollektiven Fühl-, Denk- und Verhaltensmuster plötzlich sprunghat verändern. 7. Die beschriebenen afektiv-kognitiven Wechselwirkungen verlaufen auf beliebigen individuellen, mikrosozialen und makrosozialen Ebenen prinzipiell gleichartig. Süddeutsche Juristenzeitung 1946. S. 105 – 108. Die Würde des Menschen ist unteilbar. Als ethischer Kern-Grundsatz in Recht auf allen Ebenen bis zur UN implantiert und durchgesetzt ist dies die »Brandschutzmauer« gegen die Barbarei. Mit welcher ideologischen Legitimation die Kultur des Todes auch immer autritt. Sapere aude! Der Erinnerung eine Chance | 189 Abschrift des Kaufvertrages der Judensteine Friedhof Krefeld 190 | Der Erinnerung eine Chance Einführung in die Dokumente Paul Salitter und der Salitter-Bericht – vor und nach 1945 sowie die Deportationsliste und Fotos aus Riga Paul Salitter war ein durchaus typischer NS-Täter – vor und nach 1945. Er personiiziert »die Banalität des Bösen«. Als Leutnant der Schutzpolizei war es im Dezember 1941 seine Aufgabe, eine Deportation mit 1007 Menschen ab dem Schlachthof in Düsseldorf-Derendorf verantwortlich zu begleiten. Das Besondere: Der Dienstbericht, den er im Anschluss an die Deportation schrieb, ist als einer der wenigen solchen Berichte überliefert. Und dieser Bericht hatte beim Eichmann-Prozess in Jerusalem zentrale Bedeutung. Sein Dienstbericht wurde von seiner vorgesetzten Behörde, dem Polizeipräsidenten Düsseldorf, an die Gestapo sowie weitere interessierte Dienststellen weitergeleitet. Verbunden mit dem ausdrücklichen Hinweis, aus den im Bericht ofengelegten Missständen insbesondere bei der Reichsbahn aufzuräumen. Dass der vollständige Bericht wie vorliegend Anfang 1942 vom Polizeipräsidenten Düsseldorf weitergeleitet wird, ist darüber hinaus ein Beweis: Dafür, dass Salitter 1962 bei seiner staatsanwaltschat lichen Vernehmung in Düsseldorf bewusst log, als er nach Vorlage seines Berichts behauptete, der Bericht stamme nicht von ihm, sei gefälscht worden. Dafür dann auch ehemalige Polizisten-Kollegen als Zeugen benennen konnte. Die staatsformunabhängige Polizei-Kumpanei – Lügen als Teil der Kultur. Dr. Ingrid Schupetta schrieb zum SalitterBericht: »Bis heute ist er ein Dokument, in dem in beispielhater Weise eine doppelte Botschat zu lesen ist: Unter der scheinbar nüchternen Amtssprache scheint purer Antisemitismus hervor. Die Sprache steht für den Bezug auf die Vernunt, der Gehalt ist höchst emotional: voller Verachtung, voller Hass, voller Mordlust.« Als Web-Ressorce unter: Der Salitter-Bericht und sein Verfasser Paul Salitter. Ingrid Schupetta 2004. Und die in dieser Arbeit in zahlreichen Beispielen wiedergegebene Diktion von Bürgermeister Hugo Recken? Arthur Winter. Über das Schicksal der Kempener Juden, die im Dezember 1941 deportiert wurden. Arthur Winter hat seinen Bericht nach Kriegsende 1945 nach Aussagen von Hans Samuel – und Weiteren – verfasst. Dieser Bericht ist eine ganz außergewöhnliche Zeit-Quelle. Denn ein Mensch hat als Mensch umgehend nach dem Ende der NaziBarbarei versucht zu verstehen – und exemplarisch zu dokumentieren, was geschehen war. Dieser Bericht in Relation zum aktuellen Forschungsstand: Er enthält alles Wesentliche – bis ins Detail. Eine – positive – Abweichung gibt es: Es haben mehr als 170 der nach Riga verschleppen Menschen den organisierten Mord überlebt. Dieter Hangebruch zitiert kurz aus dem Bericht von Arthur Winter; so stieß ich auf ihn. Arthur Winter schrieb am Anfang seines Berichts 1945, er solle nicht veröfentlicht werden. Insbesondere, weil er auf wenigen Zeugenaussagen beruhe und die historische Forschung umfassendere und genauere Ergebnisse zu dem von ihm Beschriebenen erbringen würde. Nachdem der Bericht fast 70 Jahre alt ist: Arthur Winter hat die Geschehnisse exakt wiedergegeben. Und nach 70 Jahren ist es unter dieser Prämisse legitim, diesen ganz besonderen Bericht vollständig zu veröfentlichen. Weil wir aus ihm lernen können – auch für heute und die Zukunt. Geschichte am Jürgensplatz, Düsseldorf: Foto Paul Salitter Dokumente | 191 Der Polizeipräsident Düsseldorf, Anschreiben zum Bericht »Durchführung eines Judentransportes«, 6. Januar 1942 192 | Dokumente Wiener Library London: Der Salitter-Bericht Dokumente | 193 Wiener Library London: Der Salitter-Bericht 194 | Dokumente Wiener Library London: Der Salitter-Bericht Dokumente | 195 Berichte von Paul Salitter und Hilde Sherman Paul Salitters Bericht Hilde Shermans Zeugenaussage 1. Vorbereitung des Transports 1. Vorbereitung des Transports Der für den 11. 12. 1941 vorgesehene Judentransport umfasste 1.007 Juden aus den Städten Duisburg, Krefeld, mehreren kleinen Städten und Landgemeinden ... Düsseldorf war nur mit 19 Juden vertreten. Der Transport setzte sich aus Juden beiderlei Geschlechts und verschiedenen Alters vom Säugling bis zum Alter von 65 Jahren zusammen. ... Der nächste Winter, das war mein Winter. Und zwar haben die Deportationen angefangen, als er tes meine Tante Sophie aus Köln mit ihrem Mann, Onkel Benno Wolf, die sind nach Lodz gekommen ... Das war 1941, Oktober/November ... und dann bekamen meine andere Tante mit ihrem Mann ... die Auforderung zur Deportation und die Familie Winter auch, wo mein Freund herstammte, Kurt Winter. Und dann haben wir beschlossen zu heiraten, trotz allem wollten wir zusammen sein. Und so haben wir geheiratet, am 6. Dezember 1941 in dem winzigen Dorf, wo er mit seinen Eltern wohnte ... Am 10. Dezember sind wir zu meinen Eltern gegangen, um uns zu verabschieden. Inzwischen hatten meine Eltern versucht, in diese Transportliste eingereiht zu werden, aber sie wurden nicht aufgenommen. Sie wollten mit uns zusammen gehen. Sie haben sich freiwillig gemeldet ... Auf dem Wege vom Schlachthof [dem Sammelpunkt] zur Verladerrampe hatte ein männlicher Jude versucht, Selbstmord durch Überfahren mittels der Straßenbahn zu verüben. Er wurde jedoch von der Aufangeinrichtung der Straßenbahn erfasst und nur leicht verletzt. Er stellte sich anfänglich sterbend. Wurde aber während der Fahrt bald sehr munter, als er merkte, dass er dem Schicksal der Evakuierung nicht entgehen konnte. Ebenfalls hatte sich eine ältere Jüdin unbemerkt von der Verladerampe, es regnete und war sehr dunkel, entfernt, sich in ein nahe Iiegendes Haus gelüchtet, entkleidet und auf ein Klosett gesetzt. Eine Putzfrau hatte sie jedoch bemerkt, so dass auch sie dem Transport wieder zugeführt werden konnte. ... und wir mussten mitnehmen – von der Gestapo befohlen – Gepäck und zwar jeder einen Kofer bis zu 50 kg. Und eine Bettrolle, die hatte 30 cm Durchmesser und war 70 cm lang mit Decken und so weiter. Und natürlich hat jeder versucht, die besten Sachen in diese Kofer zu pressen. Denn man wusste ja nicht, wie lange die halten mussten für die »Umsiedlung« in Anführungsstrichen. Jede Familie musste mitnehmen einen kleinen Ofen und Erbsen und Graupen und Reis und so weiter. Und wir konnten doch gar nichts kaufen. Wir konnten überhaupt nichts kaufen! So hat man angefangen zu tauschen. ... Und so sind wir am 10. [Dezember 1941] in den Zug gestiegen. Ich hab mich von meinen Eltern verabschiedet, das war das zweite Mal in meinem Leben, dass ich meinen Vater hab weinen sehen. ... Er und mein Bruder haben uns zum Bahnhof begleitet, in Mönchengladbach. Und da stand schon der Zug mit Leuten aus Krefeld und der ganzen Umgebung. ... Mein Mann hieß Kurt Winter. Mit seiner Familie bin ich deportiert worden. Wir kamen an in Düsseldorf: Es war schon Dämmerung, wir mussten aussteigen und zu Fuß zum Schlachthof gehen. Und da wurden wir gesammelt. Ich erinnere mich noch, die älteren Menschen konnten schon damals nicht ihre Taschen tragen und haben sie einfach weggeschmissen, auf die Straße. Und damals habe 196 | Dokumente Paul Salitters Bericht Hilde Shermans Zeugenaussage ich gesehen, wie die Leute zugeschaut haben. Sie sind nicht auf die Straße gekommen. Sie haben hinter den Fenstern [zu]gesehen. Ich habe die Vorhänge gesehen, wie sie sich bewegt haben. So kann keiner sagen, dass er nicht gewusst hat, was passiert ist. Natürlich haben sie uns gesehen. Wir waren über tausend Menschen! Und dann sind wir in den Schlachthof gekommen. Und da haben wir die ganze Nacht gestanden. Das stand so hoch unter Wasser. Das war eine fürchterliche Nacht. Das war der Anfang, da habe ich zum ersten Mal Schläge bekommen und zwar von einem hohen SS-Oizier, der beim Eingang stand. Und da ging eine steile Treppe hinunter in den Schlachthof und das ging nicht schnell genug. Und dann hat er mich gestoßen. Und dann hat er geschrien: »Auf was wartest du noch! Auf die Straßenbahn! Die wird für dich nie wieder fahren.« Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich geschlagen worden bin. Und dass ich von einem fremden Menschen überhaupt berührt worden bin. Aber damit ging es los. Kurz darauf mussten wir uns nackt ausziehen und man hat uns die Sachen weggenommen ... Wir haben die Kofer nie wieder gesehen. 2. Abfertigung des Zuges 2. Abfertigung des Zuges Die Ablassung des Transportes war für 9:30 Uhr vorgesehen, weshalb die Juden bereits ab 4 Uhr an der Verladerampe zur Verladung bereitgestellt waren. Die Reichsbahn konnte jedoch den Sonderzug angeblich wegen Personalmangels nicht so früh zusammenstellen, so dass mit der Einladung der Juden erst gegen 9 Uhr begonnen werden konnte. Das Einladen wurde, da die Reichsbahn auf eine möglichst fahrplanmäßige Ablassung des Zuges drängte, mit der größten Hast vorgenommen. Es war daher nicht verwunderlich, dass einzelne Wagen überladen waren (60 – 65 Personen), während andere nur mit 35 – 40 Personen besetzt waren. Dieser Umstand hat sich während des ganzen Transportes nach Riga nachteilig ausgewirkt, da einzelne Juden immer wieder versuchten in weniger stark besetzte Wagen zu gelangen. Soweit Zeit zur Verfügung stand, habe ich dann auch in einigen Fällen, weil auch Mütter von ihren Kindern getrennt worden waren, Umbelegungen vorgenommen. Am nächsten Morgen beim Morgengrauen dann ging es los, da sind wir rausgetrieben worden auf eine Rampe und der Zug ist nicht gekommen, es war bitter kalt. Und wir haben gestanden und gestanden, von 4 Uhr morgens bis ungefähr 9 Uhr. Dann sind wir eingeladen worden und die Reise ging los, am 11. Dezember. Und ich erinnere mich, man hat [uns] die Handschuhe abgenommen. Und ich hatte eine Taschenlampe in der Hand. Alles das hat man uns weggenommen. Und einer hat gefragt die Bewachung, die SS-Leute: »Wann kommt der Zug!« Und sie haben einen Knüppel rausgenommen und haben solange auf ihn geschlagen, bis er da liegengeblieben ist. Er ist gar nicht erst mitgekommen. Das war unser erster Toter. Damit ing es an. ... Dokumente | 197 Paul Salitters Bericht Hilde Shermans Zeugenaussage Die Verladung der Juden war gegen 10:15 Uhr beendet. Nach mehrmaligem Rangieren verließ der Zug dann gegen 10:30 Uhr den Güterbahnhof Düsseldorf-Derendorf in Richtung Wuppertal, also schon mit einer Verspätung von einer Stunde. 198 3. Unterwegs 3. Unterwegs Nach dem letzten Rangieren in Düsseldorf stellte ich fest, dass der Wagen des Begleitkommandos (2. Klasse), anstatt in die Mitte des Zuges am Ende der Personenwagen, also als 21. Wagen einrangiert worden war. Hinter unserem Wagen befanden sich dann die 7 mit Gepäck beladenen Güterwagen. Die falsche Einrangierung des Begleitwagens hatte folgende Nachteile: a) Der Dampfdruck erreichte infolge fehlerhater Heizungsanlagen die hinteren Wagen nicht. Infolge der Kälte konnte die Kleidung der Posten nicht trocknen (fast während des ganzen Transportes regnete es), so dass ich mit Ausfällen durch Erkrankung zu rechnen hatte. b) Dem Transportführer ging die Übersicht über den Zug verloren ... Außerdem versuchten die Juden immer wieder, sofort nach dem Halten in Bahnhofshallen mit dem reisenden Publikum in Verbindung zu treten, Post abzugeben oder sich Wasser holen zu lassen. Ich musste mich daher entschließen, 2 Posten in einem Abteil des vorderen Personenwagens unterzubringen. ... So wurde ich von Bahnhof zu Bahnhof vertröstet ... Der Zug hatte bereits 155 Minuten Verspätung. Wir waren in einem Personenzug, damals haben sie noch keine Viehwaggons gebraucht. Wir waren derart eng gepresst, dass eine fürchterliche Hitze herrschte. Außerdem war Heizung, was gar nicht nötig gewesen wäre. Aber in einem anderen Waggon, wo nur Kinder waren, war überhaupt keine Heizung. Die sind fast erfroren ... Wir haben immer zum Fenster rausgeguckt. Die Waggons waren von außen verschlossen. Aber wir konnten durch das Fenster sehen, ob die letzten Waggons noch dran waren – zwei, wo unser Gepäck drin war. 4. Die Fahrt 4. Die Fahrt ... Um 10 Uhr [am 12. Dezember 1941] habe ich den Bahnhof Konitz verständigen lassen, dass der Zug dort etwa 1 Stunde Aufenthalt auf ein Nebengleis nehmen muss, um a) den leeren Wagen mit Juden zu beladen, b) die Versorgung der Juden mit Wasser vorzunehmen, c) die Umrangierung des Begleitwagens zu veranlassen, d) eine Erfrischung vom Roten Kreuz für die Begleitmannschat in Empfang zu nehmen ... Um 11:10 Uhr wurde Konitz erreicht. Ich konnte mein Vorhaben bis auf die Umrangierung des eigenen Wagens durchführen. Anfänglich wurde mir ... Ich erinnere mich, uns hat ein fürchterlicher Durst gequält, weil Brot hatten wir mitgenommen, aber der Durst war entsetzlich. Und alle bekamen Fieber und diese Hitze in diesen Waggons. Und wir sind gekommen bis nach Insterburg, das ist vor der Grenze nach Polen gewesen, damaligen Polen. Und der Zug hat gehalten und wurde aufgeschlossen. Wir durten rausgehen und Schnee auheben, so dass wir trinken konnten. [Der Schnee] ist geschmolzen, dann konnten wir trinken. Alle hatten hohes Fieber. Ich hab erst gar nicht meine Stiefel ausgezogen, weil die hätte ich nachher nicht mehr anbekommen mit den geschwollenen Beinen. Ich war die Einzige, die kein Fieber hatte, die aussteigen konnte und hab so viel Schnee auheben können | Dokumente Paul Salitters Bericht dies zugesagt, dann erklärte mir der Stationsvorsteher, dass die Einrangierung des Wagens in die Mitte des Zuges ... nicht durchführbar sei ... dass er den Zug sofort wieder abfahren lassen müsse und ein Rangieren jetzt, es waren inzwischen 50 Minuten vergangen, nicht mehr möglich sei. Das Verhalten des Stationsvorstehers erschien mir unverständlich, weshalb ich ihn in energischer Weise zur Rede stellte und mich beschwerdeführend an die zuständige Aufsichtsstelle wenden wollte. Er erklärte mir darauf, dass diese Stelle für mich nicht zu erreichen sei, er seine Anweisungen habe und den Zug sofort abfahren lassen müsse, weil 2 Gegenzüge zu erwarten seien. Er stellte sogar das Ansinnen an mich, einen Wagen in der Mitte des Zuges von Juden zu räumen, ihn mit meinem Kdo. [Kommando] zu belegen und die Juden im Begleitwagen 2. Klasse unterzubringen. Es erscheint angebracht, diesem Bahnbediensteten von maßgeblicher Stelle einmal klar zu machen, dass er Angehörige der Deutschen Polizei anders zu behandeln hat als Juden. Ich hatte den Eindruck, als ob es sich bei ihm um einen von denjenigen Volksgenossen handelt, die immer noch von den »armen Juden« zu sprechen plegen und denen der Begrif »Jude« völlig fremd ist ... Hilde Shermans Zeugenaussage mit Geschirr, dass ich in den Nachbarwaggon auch noch [Schnee] reichen konnte, zum Fenster rein. Und [ich] bin ausgestiegen und bin auf den Bahnsteig gelaufen. Am Ende habe ich einen Briek asten gesehen. Ich hatte vorbereitet eine Karte für meine Eltern. Und hab geschrieben, wenn sie soweit sind, dass sie nur warme Sachen mitnehmen, warme Sachen, warme Sachen. Diese Karte ist tatsächlich angekommen, hat mir nachher eine Bekannte erzählt. So sind wir gefahren drei Tage und vier Nächte durch Litauen. Da hab ich gesehen – das hat mich so beeindruckt – winzige Bauernhütten mit Schilfdächern, [die] man gar nicht kannte von Deutschland her. Und Ziehbrunnen! Und das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich einen Ziehbrunnen gesehen habe. In Deutschland gab es das nicht, da waren Wasserleitungen. Und daneben standen die Menschen mit Filzstiefeln bis zum Knie und Schafspelzen an, sehr miserabel. Da habe ich gedacht: »Mein Gott, diese Litauer! Das sind alles so gute Katholiken, wenn das das Leben von denen ist unter der deutschen Besatzung, was wird erst mit uns sein, als Juden, als Deportierte?« ... Um 1:50 Uhr ging es weiter nach Tilsit. Auf dieser Station nahe der ostpreußisch - litauischen Grenze wurde auf meine erneute Bitte in Insterburg hin der Wagen des Begleitkdos. nach vorn rangiert und erhielt endlich Heizung. Die Wärme wurde von der Begleitmannschat sehr wohltuend empfunden, da die Uniformen der Posten infolge des auf der ganzen Fahrt fast ununterbrochen anhaltenden Regens völlig durchnässt [waren] und nunmehr getrocknet werden konnten ... Von hier [der litauischen Stadt Tauroggen] aus sollte die Fahrt bis Riga normal nur noch 14 Stunden betragen. Infolge des eingleisigen Bahngeländes und der Zweitrangigkeit des Zuges in der Abfertigung gab es auf den Bahnhöfen ot lange Verzögerungen in der Weiterfahrt. ... Auf dem Bahnhof Schaulen (1:12 Uhr) wurde die Begleitmannschat von Schwestern des Roten Kreuzes ausreichend und gut verplegt ... In Schaulen wurde in allen Judenwagen durch litauisches Eisenbahnpersonal die Lichtzufuhr abgestellt. 5. Das Ende der Fahrt 5. Das Ende der Fahrt ... Die Ankunt in Riga erfolgte um 21:50 Uhr, wo der Zug auf dem Bahnhof 1 ½ Stunden festgehal- Plötzlich blieb nachts der Zug stehen und wir wussten überhaupt nicht, wo wir waren. Im Morgen- Dokumente | 199 Paul Salitters Bericht ten wurde ... Am 13. 12., um 23:35 Uhr, erreichte der Zug nach vielem Hin- und Herrangieren die Militärrampe auf dem Bahnhof Skirotawa. Der Zug blieb ungeheizt stehen. Die Außentemperatur betrug bereits 12° unter Null ... Die Übergabe des Zuges erfolgte alsdann um 1: 45 Uhr. Gleichzeitig wurde die Bewachung von 6 lettischen Polizeimännern übernommen. Da es bereits nach Mitternacht war, Dunkelheit herrschte und die Verladerampe stark vereist war, sollte die Ausladung und die Überführung der Juden in das noch 2 km entfernt liegende Sammelghetto erst am Sonntag früh beim Hellwerden erfolgen ... Ich selbst erhielt Unterkunt im Gästehaus des höheren SS-und Polizeiführers, Petersburger Hof, am Schloßplatz 4 ... Riga umfasst etwa 360.000 Einwohner, darunter befanden sich etwa 35.000 Juden. Die Juden waren in der Geschätswelt wie überall führend. Ihre Geschäte sind jedoch sogleich nach dem Einmarsch der deutschen Truppen geschlossen und beschlagnahmt worden. Die Juden selbst wurden in einem durch Stacheldraht abgeschlossenen Ghetto an der Düna untergebracht. Z. Zt. sollen sich in diesem Ghetto nur 2.500 männliche Juden, die als Arbeitskräte verwendet werden, beinden. Die übrigen Juden sind einer anderen zweckentsprechenden Verwendung zugeführt bzw. von den Letten erschossen worden. ... Das lettische Volk ist, soweit ich ... beobachten konnte, deutschfreundlich und spricht auch zum großen Teil deutsch. ... Ihr Hass gilt insbesondere den Juden. Sie haben sich daher vom Zeitpunkt der Befreiung bis jetzt auch sehr ausgiebig an der Ausrottung dieser Parasiten beteiligt. Es erscheint ihnen aber, was ich insbesondere beim lettischen Eisenbahnpersonal feststellen konnte, unverständlich, weshalb Deutschland die Juden nach Lettland bringt und sie nicht im eigenen Lande ausrottete. Erfahrungen: a) Die mitgegebene Verplegung war gut und ausreichend ... b) Die Mitnahme von ... warmer Kleidung, Postenpelzen und Filzstiefeln kam den Männern sehr zu statten und ist auch für künt ige Transporte wünschenswert ... c) ... d) Die beiden Handscheinwerfer haben sich gut bewährt ... e) Die Unterstützung durch das Rote Kreuz muss ich lobend erwähnen ... 200 | Dokumente Hilde Shermans Zeugenaussage grauen hat man ein Schild gesehen, Schirotawa. »Wo ist Schirotawa, was ist Schirotawa?« Es war eine bittere Kälte. So gegen halb zehn hörte man Hundgekläf und es sind SS-Leute vorgefahren und haben den Zug von beiden Seiten umzingelt. Die Türen wurden aufgerissen, und dann ging das Gebell los: »Raus, raus! Schnell, schnell !« Und wir mussten raus und die letzten mussten mit den Händen die Waggons sauber machen, weil was anderes war nicht da. Und wir mussten uns aufstellen auf der Bahnrampe. Und dann kam ein Auto vorgefahren mit zwei hohen SS-Oizieren. Die stiegen aus, und ich erinnere mich, dass [einer] angefangen hat zu brüllen: »Fünferreihen! Und Marsch ins Ghetto!« ... [Herr] Meier aus Gort – das war auch ein kleines Dorf in der Nähe von Düsseldorf – der hatte zwei Kinder auf dem Arm, zwei kleine Jungen. Der hat ... gefragt: »Herr Kommandant, ist es sehr weit bis zum Ghetto!« Statt ihm zu antworten, hat er seinen Stock hochgehoben – den habe ich im Leben nicht vergessen, den Stock, ein schwarzer Stock mit einem silbernen Knauf und hat ihm ins Gesicht geschlagen. Und [er] hat den Hund losgelassen, einen Schäferhund, und der hat sich auf ihn gestürzt und der Mann iel zu Boden und die beiden Kinder natürlich auch. Und wie er aufgestanden ist, war sein ganzer Mund ein blutiges Gerinnsel und die Zähne haben [ihm] gefehlt. Das war der erste Eindruck von Lettland, von Riga, von Schirotawa ... Es war ein fürchterliches Glatteis ... Das sind ungefähr ... 20, 25 Kilometer von Schirotawa ins Ghetto. Und dann haben die Leute ihre Taschen von sich geworfen. Und die Letten haben nicht nur zugeguckt, sie haben direkt gestohlen. Sobald der [Menschen-] Zug vorbei war, haben sie alles aufgeklaubt, was auf dem Boden lag. Dann ging es durch einen Vorort, ... sehr miserabel. Und dann rechter Hand einen kleinen Hügel aufwärts. Und dann war [da] ein riesengroßes Tor, ein Eisentor, und das ging auf und wir waren im Ghetto ... Quelle: Yad Vashem Archive 0.3/7337 (Das aufgezeichnete und transkribierte Interview wurde für diese Materialsammlung gekürzt.) Paul Salitters Bericht Hilde Shermans Zeugenaussage f) Zur Verabfolgung von Trinkwasser für die Juden ist es unbedingt erforderlich, dass die Gestapo mit der Reichsbahn für je einen Tag des Transportes 1 Stunde Aufenthalt auf einem geeigneten Bahnhof des Reichsgebiets vereinbart. Es hat sich herausgestellt, dass die Reichsbahn wegen des festgelegten Fahrplanes nur mit Widerwillen auf entsprechende Wünsche des Transportführers eingeht. Die Juden sind gewöhnlich vor Abgang des Transportes 14 Stunden und länger unterwegs und haben die mitgenommenen Getränke vor der Abfahrt bereits aufgebraucht. Bei einer Nichtversorgung mit Wasser während des Transportes versuchen sie dann, trotz Verbot, bei jeder sich bietenden Gelegenheit aus dem Zuge zu gelangen, um sich Wasser zu holen oder holen zu lassen. g) Es ist ferner dringend erforderlich, dass die Reichsbahn die Züge rechtzeitig, mindestens 3 – 4 Stunden vor der festgesetzten Abfahrtszeit bereitstellt, damit die Einladung der Juden und ihres Gepäcks geordnet erfolgen kann. Vor allem ist von der Gestapo mit der Reichsbahn zu vereinbaren, dass der gestellte Wagen für das Begleitkdo. (2. Kl.) gleich bei der Zusammenstellung in die Mitte des Zuges einrangiert wird. Diese Einrangierung ist aus Gründen der sicheren Überwachung des Transportes dringend notwendig ... Die gestellten Männer des Begleitkommandos haben zu nennenswerten Klagen keinen Anlass gegeben. Abgesehen davon, dass ich einzelne von ihnen zu schärferem Vorgehen gegen Juden, die meine erlassenen Verbote zu übertreten glaubten, anhalten musste, haben sich alle sehr gut geführt und ihren Dienst einwandfrei versehen. Gez.: Salitter Hauptmann der Schutzpolizei Quelle: Yad Vashem Archive 0.2 / 1145 Methodischer Hinweis: Rechtschreibfehler wurden in beiden Texten korrigiert. Dokumente | 201 ITS Arolsen: Die Deportationsliste Blatt 1 – 7 202 | Dokumente Dokumente | 203 ITS Arolsen: Die Deportationsliste Blatt 8 – 15 204 | Dokumente Dokumente | 205 ITS Arolsen: Die Deportationsliste Blatt 16 – 23 206 | Dokumente Dokumente | 207 ITS Arolsen: Die Deportationsliste Blatt 24 – 31 208 | Dokumente Dokumente | 209 ITS Arolsen: Die Deportationsliste Blatt 32 – 39 210 | Dokumente Dokumente | 211 ITS Arolsen: Die Deportationsliste Blatt 40 – 47 212 | Dokumente Dokumente | 213 ITS Arolsen: Die Deportationsliste Blatt 48 – 51 214 | Dokumente Kreisarchiv Viersen: Arthur Winter. Über das Schicksal der Kempener Juden Dokumente | 215 Kreisarchiv Viersen: Arthur Winter. Über das Schicksal der Kempener Juden 216 | Dokumente Dokumente | 217 Kreisarchiv Viersen: Arthur Winter. Über das Schicksal der Kempener Juden 218 | Dokumente Kreisarchiv Viersen: Arthur Winter. Über das Schicksal der Kempener Juden Dokumente | 219 Nachkriegsbiografie eines Täters Nachkriegsbiografie von Paul Salitter Im Jahre 1941, zur Zeit der Deportation der Juden aus Düsseldorf und Umgebung, besaß Paul Salitter den Rang eines Polizeihauptmanns. Ein Jahr vor Kriegsende wurde er »wegen Tapferkeit« im Kampf gegen die Resistance im Elsass zum Polizeimajor befördert. Nach dem Sieg der Alliierten geriet er für kurze Zeit in Kriegsgefangenschat. Bereits im Juni 1945 meldete er sich bei der Polizei in Düsseldorf zurück und wurde dort im 2. Polizeirevier wieder eingesetzt. Kurze Zeit darauf leitete die alliierte Militärregierung im Rahmen der Entnaziizierung ein Untersuchungsverfahren gegen Salitter ein, infolgedessen er vom Dienst suspendiert wurde. Im Juli begann sein Aufenthalt in den alliierten Internierungslagern Recklinghausen, Hemer und Eselsheide. Im Oktober erhielt er dort die Nachricht, dass er auf Anordnung der Militärregierung aus dem Polizeidienst entlassen worden war (siehe Modul C; Dokument 2). Im Dezember 1946 durte Salitter wegen guter Führung das Lager verlassen. Er war von der Entnaziizierungskommission in die Kategorie III eingeordnet worden. (Die fünf Kategorien der Entnaziizierung: I Hauptschuldige, II Belastete, III Minderbelastete, IV Mitläufer und V Entlastete) Mit einer Pension von monatlich 150 DM wurde er in Frührente geschickt, doch Salitter wollte sich diesem Beschluss nicht beugen. Mehrmals reichte er Widerspruch bei Polizeiverwaltung und Oberbürgermeisteramt ein. Aus dem Jahre 1947 stammt ein Brief, in dem er sich bei der Polizeiverwaltung Düsseldorf um eine Wiederverwendung im Dienst der Schutzpolizei bewirbt: »Ich verspreche, auch in der neuen Demokratie meine ganze Persönlichkeit in den Dienst der Sache zu stellen, genauso, wie ich es unter den Regierungen Wilhelms II., Ebert, Hindenburg und im Dritten Reich getan habe, ... « (siehe Modul C; Dokument 3). Im Oktober 1951 wurde das Urteil gegen ihn abgeändert. Die Personalstelle des Polizeipräsidiums in Düsseldorf teilte ihm mit, dass er nach der Wiederaufnahme des Verfahrens in Kategorie IV eingestut worden war. Mit dieser Einstufung als »Mitläufer« hatte Salitter nicht nur Anspruch 220 | Dokumente auf die volle Pension, auch die Degradierung vom Major zum Polizeimeister wurde rückgängig gemacht. Die Beförderung des Betrofenen während der Nazizeit, so hieß es, sei »nicht politisch bedingt gewesen« (siehe Modul C; Dokument 4). Aus Altersgründen wurde der zu diesem Zeitpunkt 52-jährige Paul Salitter nicht mehr als Polizist eingestellt. Das letzte Schreiben Salitters stammt aus dem Jahr 1966 und ist an das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen gerichtet. Das LKA ermittelte damals strafrechtlich gegen ehemalige Düsseldorfer Gestapo-Beamte, die an Deportationen beteiligt waren. Salitter behauptete in seiner Stellungnahme, er habe erst von lettischen Polizeioizieren erfahren, dass in Riga massenhat Juden erschossen wurden. Bis zu diesem Zeitpunkt habe er gedacht, dass es sich bei dem Transport um eine »Umsiedlungsaktion« handeln würde. [Vgl. dazu die Passage im Bericht Salitters über die Juden in Lettland.] Paul Salitter starb am 8. Januar 1972. Quellen: • BArch R 19 / 600, Reichsminister des Innern/Chef der Ordnungspolizei, Ernennung zu Hauptleuten der Polizei, 28. 11. 1941. • GO Villa ten Hompel (Münster) / Polizeipräsidium Düsseldorf, Ergänzungsdokumentation, ED 0011, Personalakte Paul Salitters. • Klaus Dönecke (2003): Düsseldorfer Polizeigeschichte. Deportation von jüdischen Menschen aus Düsseldorf im Jahre 1941. Bericht des damaligen Hauptmanns d. Sch. Paul Salitter, download: http://www.geschichte-am-jürgensplatz.de • Geschichte am Jürgensplatz e. V. (Verein zur Aufarbeitung der Düsseldorfer Polizeigeschichte), Biograie Paul Salitters, download: http://www. geschichte-am-jürgensplatz.de • Ingrid Schupetta (2004): Der Salitter-Bericht und sein Verfasser Paul Salitter, download: http:// www.ns-gedenkstaetten.de Methodischer Hinweis: Rechtschreibfehler wurden korrigiert. Quelle: GO Villa ten Hompel (Münster) / Polizeipräsidium Düsseldorf, Ergänzungsdokumentation, ED 0011, Personalakte Paul Salitters Dokumente | 221 Oben: GO Villa ten Hompel (Münster) / Polizeipräsidium Düsseldorf, Ergänzungsdokumentation, ED 0011, Personalakte Paul Salitters Rechte Seite: GO Villa ten Hompel (Münster) / Polizeipräsidium Düsseldorf, Ergänzungsdokumentation, ED 0011, Personalakte Paul Salitters Methodischer Hinweis: Rechtschreibfehler wurden korrigiert. 222 | Dokumente Abschrift Der Oberbürgermeister – Polizeiverwaltung – S II a/b - 32,60 - Düsseldorf, den 18. 10. 1946 I.) Betrit: Entlassungen. Auf Anordnung der Militärregierung vom 11. 10. 1945 sind folgende Angehörige der Schutzpolizei mit sofortiger Wirkung aus dem Dienst zu entlassen. 1.) 2.) 3.) 4.) 5.) 6.) 7.) 8.) 9.) 10.) 11.) 12.) 13.) 14.) 15.) 16.) 17.) 18.) 19.) 20.) 21.) 22.) 23.) 24.) Major Hauptm. R. « « Oberleutn. « Leutnant « « Meister « « « « « « « « « Hauptw. « R. Oberleutn. Oberwachtm. LS-Pol.-Angeh. d.Sch. « « « « « d.R. « « « « « « « « « « « « « « « « « Salitter Schmalfuß Klaue Neuhaus Freitmeier Sturm Kamm Bischof Hölzer Schmitz Maurer Marczynski Laschet Beyer Emschermann Friedrich Rook Kemmer Ottermann Wollscheid von Wirth Stöcker Schmitz Schrüllkamp Paul Robert Arthur August Willi Karl Konrad Peter Arthur Mathias Hubert Franz Franz Otto Josef Wilhclm Max Jakob Michael Johann Josef Hubert Franz Franz 2. Rev. S.Ak.Nor 13. R. 11. « S.Ak.Mit 15.R. Ent. 30. S.Ak. Nord 9. R. 1. R. 17. R. 2. R. 1. R. 6. R. 4. R. I. R. 6. R. SK. 5. R. 15. R. 19. R. 7 R. 18 R. Pol.- Gef. 2.) Schreibe: An die vorstehend aufgeführten Beamten. Auf Anordnung der Militärregierung werden Sie mit Wirkung vom 19. 10. 1945 aus Ihrem Amte entlassen. Sie haben nach unverzüglicher Rückgabe der in Ihrer Verwahrung beindlichen Dienstsachen Ihre Dienststelle zu räumen. Die Sie von da an nicht mehr betreten dürfen. 3.) Fertige Mitteilungen an 1 (W) bezügl. der Sperrung der Dienstbezüge, Mitteilung an P., 4.) Fertige je eine Abschrit von I.) an SK., S.Ak.Nord, S.Ak.Mitte, S-Ak.Süd und setze darunter: Vorstehende Abschrit übersende ich zur Kenntnis und weiteren Veranlassungen. Die beigefügten Schreiben sind sofort an die betrefenden Beamten gegen Empfangsbescheinigung auszuhändigen. Die Ausweise, Bekleidungs- und Ausrüstungsstücke von den entlassenen Beamten sind von den Dienststellen einzuziehen. Die Abgabe der Bekleidungs- und Ausrüstungsstücke hat gegen Empfangsbescheinigung auf der Bekleidungskammer zur erfolgen. Über das Geschehene legen mir SK, und die Abschnittskommandos bis zum 25. 10. 1945 einen Sammelbericht vor. 5.) Vermerk zur Stärke. 6.)Wv. Bei Eingang der Berichte In Vertretung: gez. R o s t Polizei-Oberst Für die Richtigkeit: Polizei-Meister Dokumente | 223 Oben: GO Villa ten Hompel (Münster) / Polizeipräsidium Düsseldorf, Ergänzungsdokumentation, ED 0011, Personalakte Paul Salitters 224 | Dokumente Begl. Abschrit Abwicklungsstelle [schwer lesbar) Düsseldorf. den 16. 10. 1951 Mü. He. So.E.B.1/14357. Beschluss. In der Entnaziizierungssache des Majors d.Sch.s.D. Paul S a l i t t er, geboren am 15. 12. 1895, wohnhat in Düsseldorf-Unterrath, Kalkumerstr. 140, wird die Entscheidung des Berufungsausschusses für den Reg. Bes. Düsseldorf vom 31. 5. 1949, unter Aufrechterhaltung im übrigen, gemäss § 28 der Verfahrensordnung, im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens wie folgt abgeändert: Der Betrofene wird in Kat. IV ohne Beschränkungen eingestut. Gründe: Der Betroffene ist durch die obengenannte Entscheidung, die der Sonderbeauftragte am 27. 6. 1949 bestätigt hat, in Kat. IV mit der Massgabe eingestuft worden, dass [er auf ] den Rang eines Polizeimeisters zurückgestuft werde. Gegen diese Beschränkung richtet sich seine Eingabe vom 10. und 12. 7. 1951. Dem Antrag war, soweit geschehen, stattzugeben. Die Einstufung des Betroffenen nach Kat. IV entspricht nach den vorliegenden Unterlagen der Sach- und Rechtslage. Insoweit war die Entscheidung aufrecht zu erhalten. Nach den vorliegenden Unterlagen kann die Zurückstufung zum Polizeimeister dagegen nicht als gerechtfertigt angesehen werden. Nach der Eingabe des Betroffenen vom 10. 7. 1951, den vorliegenden Unterlagen und der Stellungnahme des Berufungsausschusses Düsseldorf vom 20. 8. 1951 ist nicht festzustellen, dass die Beförderungen des Betroffenen über den Polizeimeister hinaus vorwiegend politisch bedingt gewesen sind. Jedenfalls konnte aber die Prüfung dieser Frage in entsprechender Anwendung der Ziffer I 3 a der Durchführungsbestimmungen zu § 7 der Ersten Sparverordnung, in Verbindung mit § 5 Abs. 2 der Ersten Sparverordnung der zuständigen Anstellungsbehörde überlassen bleiben. Die Entscheidung konnte deshalb, wie geschehen, abgeändert werden, ohne dass es einer erneuten mündlichen Verhandlung bedurfte. Gez: Dr. Frh. V. Münchausen Beglaubigt: An das Angestellte. Polizeipräsidium – Personalstelle – Düsseldorf mit der Bitte um gefl. Kenntnisnahme. Quelle: GO Villa ten Hompel (Münster) / Polizeipräsidium Düsseldorf, Ergänzungsdokumentation, ED 0011, Personalakte Paul Salitters (Methodischer Hinweis: Rechtschreibfehler wurden korrigiert.) Dokumente | 225 fotografierte Bildtafeln mit historischen Fotos zum Ghetto Riga 1941 – 1944 226 | Dokumente Fotos auf beiden Seiten: Dr. Ingrid Schupetta Dokumente | 227 Die Züge aus Deutschland mit den nach Riga Verschleppten kamen am Bahnhof Skirotawa an. Ein paar Kilometer zu Fuss zum Ghetto in Riga oder zum Tod im Bickernicker Wald – in Massengräbern nach Erschiessungen durch deutsche Polizeieinheiten: Polizeiliche Massenexekutionen von »Staatsfeinden« – vom Säugling bis zur Greisin. 228 | Dokumente Fotos auf beiden Seiten: Dr. Ingrid Schupetta Dokumente | 229 Häuser und Strassen in der »Moskauer Vorstadt« von Riga. In der Zeit der deutschen Okkupation 1941 – 1944 das von den Nazis befohlene Ghetto. Fotos von Dr. Ingrid Schupetta, Leiterin der Villa Merländer in Krefeld. 230 | Dokumente Anhang Verzeichnis der abgebildeten Quellen Über den Autor Foto Lothar Klouten 11 Der Entstehungs-Prozess dieses Buchs und seine Implikationen »Was Du für Dein Volk tust, ist immer recht getan!« 12 Die Gemeinden Osterath – sowie Büderich und Lank – bis 1945: Katholische Dörfer mit Minderheiten Landeshauptmann der Rheinprovinz: Karte des NSDAP-Gaus Düsseldorf 1937 Lothar Klouten: Bevölkerungsstatistik 1871 – 1939 Lothar Klouten: Die Reichstagswahlen in Meerbusch während der Weimarer Republik Kreisarchiv Viersen: Kreis Viersen-Kempen der NSDAP Organisationshandbuch der NSDAP: Der Ortsguppenleiter der NSDAP Osterather Zeitung 26. September 1931: An meine Leser Osterather Zeitung 31. Mai 1933: Kaplan Hilmer auf der Schlageter-Feier in Düsseldorf Organisationshandbuch der NSDAP 1937: Der Ortsgrupenleiter der NSDAP Kreisarchiv Kempen: Listen der NSDAP und der SA Osterath Fotos von Dr. Marie-Sophie Aust: Stahlhelm Osterath beim Exerzieren auf dem alten Sportplatz neben dem aufgehobenen und bereits »umgelegten« jüdischen Friedhof Erntedankfest 1934 Osterath Die Gemeindeführung Osterath Schützenkönig Osterath mit Anhang – im Hintergrund Ortsgruppenleiter und SA-Führer Mai 1934 Firma Stein Osterath 15 16 18 19 20 22 23 24 26 – 27 17 17 18 19 20 1933. Die erste Intrige gegen den evangelischen Bürgermeister Rudolf Bartels: Wie der Katholik Hugo Recken durch die dazu instrumentalisierten Nationalsozialisten Bürgermeister in Osterath wurde und sein Sieg über die örtlichen NSDAP-Funktionäre sowie die geschichtswissenschaftliche Bewertung Stadtarchiv Düsseldorf: Mitgliederliste der N.S.D.A.P.-Fraktion der Landgemeinde Osterath Ortsgruppenleiter Panzer 24. 05. 1933 an Schweiger Bundesarchiv Berlin: NSDAP-Gaukartei. Hugo Recken Osterather Zeitung 24. Februar 1934: Aufruf von Bürgermeister Recken aus Anlass des Jahrestages der Gründungsfeier der NSDAP Kreisarchiv Viersen: Schreiben von Bürgermeister Recken an den Landrat in Kempen 13. November 1934 Die Um- und Durchsetzung antisemitischer Maßnahmen zur Diskriminierung, Terrorisierung, Absonderung, Enteignung und Ermordung der betroffenen Deutschen in Verantwortung des Bürgermeisters in Osterath Hugo Recken Karte Osterath 1940 Lothar Klouten: Die Hierarchie des NS-Partei-Staates: Das Führerprinzip Terror Modell der NS-Zeit Raul Hilberg: Der Regionalapparat Osterather Zeitung: Anzeigen Dr. Goldberg Osterath 5. April 1933 und 13. April 1935 H. G. Adler: Der verwaltete Mensch Lothar Klouten: Das 25-Punkte-Programm der NSDAP Foto: Charlie Chaplin. Der große Diktator Stadtarchiv Düsseldorf: Führer-Globus 28 30 33 34 35 41 42 44 48 43 49 57 58 – 64 63 64 1935: Die Umlegung des jüdischen Friedhofs Osterath nach Krefeld als antisemitische Maßnahme und die Kontroverse über die Rolle von Bürgermeister Hugo Recken bis heute Schreiben von Bürgermeister Hugo Recken an den stellv. Ortsgruppenleiter Osterath Osterather Zeitung 9. Februar 1935: Bekanntmachung von Bürgermeister Hugo Recken vom 4. Februar 1935: »Errichtung von Eigenheimen« 65 65 Anhang | 231 Kreisarchiv Neuss: Katasterkarte Osterath Hoterheide Fotos: Am Gutort Manfred Klaes: Lagepläne der Grabsteine auf zwei jüdischen Friedhöfen in Krefeld 67 70 70 Die Deportation nach Riga im Dezember 1941: Der organisierte Mord an der Mehrheit der von den Maßnahmen gegen Juden betroffenen Menschen und die Rolle von Bürgermeister Hugo Recken Landesarchiv Berlin: Reichsleiter Deutscher Gemeindebund an Reichsinnenministerium, 28. Oktober 1941 71 Antwort des Reichsinnenministerium 72 Fotos: Deportationen 75 Vermögensverfall 75 Zeitungsanzeige Arisierungsversteigerung 76 Arisierungsversteigerung 76 Schlachthof Düsseldorf-Derendorf 77 Lothar Klouten: Menschen jüdischen Glaubens in Osterath 80 Standesamt Meerbusch: Geburtsurkunde Dan Lucas 80 Stadtarchiv Meerbusch: Einwohnermeldekarte von Dan Lucas – »9. 12. 41 Osten Riga« 81 Bundesarchiv: Eintrag »Dan Lucas« im Gedenkbuch 86 Yad Vashem: Gedenkblätter für die von Nationalsozialisten ermordeten Menschen aus Osterath 82 Lothar Klouten: Karte des Deportationsweges 85 Lothar Klouten: Liste der Gemeinden, aus denen die am 11. Dezember 1941 nach Riga verschleppten Menschen stammten 81 Rheinische Post 29. Oktober 2003: »Die Reise in den Tod begann im Schlachthof. Auch die Polizei war am Holocaust beteiligt. Wie, das beleuchtet das Buch ›Himmlers grüne Helfer‹ « 79 Karten: Ghetto Riga sowie Orte in und um Riga 85 – 86 Sabine und Julius Gutmann: Die beiden einzigen Überlebenden, der aus Osterath deportierten Menschen – Bürgermeister Hugo Recken: »Es wird um Abschiebung des Juden gebeten.« Stadtarchiv Meerbusch – Sabine und Julius Gutmann: Führungszeugnis Julius Gutmann 26. November 1935 Einwohnermeldekarte Julius Gutmann Ergänzungsbogen Julius Gutmann Sippentafel Julius Gutmann Schreiben von Julius Gutmann an das Reichs- und Preußische Ministerium des Innern, dort eingegangen am 6. Januar 1936 Stellungnahmen zum Schreiben von Julius Gutmann: NSDAP Kreisleitung Viersen Amt für Volksgesundheit und N.S.D. Ärztebund 8. Juni 1936 dito Gauamtsleiter Schulze 17. Juni 1936 dito Gauleiter-Stellvertreter 22. Juni 1936 – mit Eingangsstempel der Bezirksregierung Düsseldorf, 25. Juni 1936 Landesarchiv NRW: Gestapo-Außendienststelle Krefeld 1942 Hugo Recken an Gestapo-Leitstelle Düsseldorf, 23. Juli 1942 ITS Arolsen: Blatt aus der Deportationsliste – Sabine und Julius Gutmann Karteikarte Theresienstadt Sabine Gutmann und Julius Gutmann Zimmerliste Ghetto Theresienstadt 29. April 1945 – Sabine und Julius Gutmann Familie Cervelli: »Halbjuden« und ihre »arischen« Familien trifft das »Recht« und Bürgermeister Hugo Recken – fast – gleichermaßen wie »Volljuden« Landesarchiv NRW: (gefälschte) eidesstattliche Erklärung, 12. Juli 1949 Helmut Cervelli: Zeugnis mit Unterschrift von Paul Cervelli Schreiben von Helmut Cervelli, 20. Juni 2012, und Abschrift 232 | Anhang 87 88 89 – 90 91 – 92 93 94 94 95 96 98 104 101 102 – 103 108 109 110 Familie Dr. Langenbach: Die von Hugo Recken in seinem Entnazifizierungsverfahren missbrauchten »Entschuldigungsjuden« Osterather Zeitung 27. Juni 1936: Anzeige Dr. Langenbach ITS Arolsen: Verkartung einer Anfrage – Lucie Langenbach Christoph Behlen: Gedenktafel auf dem Osterather Friedhof für die Opfer des Nationalsozialismus Manfred Klaes: Langenbach/Heilbronn Geschichtswissenschaftliche Bewertung Kölnischer Kurier, 2. April 1945, 12. Mai 1945 und 3. Juli 1945 1945. Die zweite Intrige gegen den vom US-amerikanischen Ortskommandanten eingesetzten Bürgermeister Rudolf Bartels, diesmal über die dazu instrumentalisierte britische Militärregierung – wie Hugo Recken abermals Rudolf Bartels ablöste und das kurze Intermezzo des kommissarischen Bürgermeisters Anton Wienands, KPD Kölnischer Kurier, 3. Juli 1945, 12. Juli 1945, 2. April 1945 und 12. Juli 1945 Lothar Klouten: ABC des Deutschen Beamtengesetzes Bundesarchiv Berlin: NSDAP-Aufnahmeantrag Paul Salitter NSDAP-Zentralkartei. Johannes Herbrandt NSDAP-Gaukartei. Johannes Herbrandt Organisationshandbuch der NSDAP 1937: Block und Zellensystem der NSDAP Lothar Klouten: Foto Blockleiter und Foto SA-Sturmhauptführer Linzer Tagesblatt, 28. Oktober 1939: Aus dem Tagewerk des Blockwalters. Kreisarchiv Viersen: Protokoll der Hilfspolizei Osterath über die Vernehmung der Maria Hoters, 30. November 1945 Kreisarchiv Viersen: Schreiben des kommissarischen Bürgermeisters Osterath Anton Wienands an den britischen Kommandanten des Kreise Kempen-Krefeld, 21. Januar 1946 »Kameraden der Frontbetreuung.« 1945 – 1949: Die Entnazifizierung von Hugo Recken und Johannes Herbrandt – als seien 1945 nach der Befreiung zwei neue Menschen geboren worden sowie deren geschichtswissenschaftliche Bewertung Kreisarchiv Viersen: Verordnung der Militärregierung zur Entnazifizierung Landesarchiv NRW: Hugo Recken. Angaben zur politischen Überprüfung, 16. April 1949 Stadtarchiv Krefeld: Vereidigungs-Nachweis auf Adolf Hitler von Joseph Hövelmann, 1934 Landesarchiv NRW: Entnazifizierungsausschuss Kempen-Krefeld, 3. Juli 1947 Lothar Klouten: Strukturierte Gedanken zur Osterather-Meerbuscher-Gesellschaft und -Kultur Bundesarchiv: NSDAP-Karteikarte Rudolf Lensing NSDAP-Parteibuch 111 112 113 114 116 117 – 120 123 – 125 122 126 126 127 129 130 134 136 140 150 153 – 154 156 159 161 – 163 163 164 1953: Der Tod von Hugo Recken und die Straßenbenennung nach ihm. Apologie der Kontinuität seit 1934 Stadtarchiv Meerbusch: Todesanzeige Hugo Recken, 3. August 1953 165 Titelseite: »Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus« 175 Titelseite: »Newsletter Society of Survivors of the Riga Ghetto«, Sommer 2012 176 Eine geschichtswissenschaftliche Gesamtbewertung: Dem Gedenken eine Chance Süddeutsche Juristenzeitung 1946: Gustav Raderbruch. Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht Landesarchiv NRW: Kaufvertrag Grabsteine jüdischer Friedhöfe Krefeld, 5. Juni 1944 Einführung in die Dokumente Geschichte am Jürgensplatz: Foto Paul Salitter 188 – 189 190 191 Anhang Schreiben von Adolf Hitler, 29. November 1921 260 – 262 Umschlagseite 3 Titelseite der Osterather Zeitung 28. März 1936 266 Anhang | 233 Erklärung von Abkürzungen und Begriffen BA Bundesarchiv DAF Die Deutsche Arbeitsfront war die NS-Arbeitnehmerorganisation für alle Beschäftigten. DBG Deutsches Beamtengesetz DGO Deutsche Gemeindeordnung Gestapo Die Geheime Staatspolizei war das von den Nationalsozialisten als Partei okkupierte staatliche Organ, dass die Aufgabe hatte, mit Überwachung, Repression, Terror und Mord die NS-Herrschaft zu stabilisieren und auszubauen. Schein-legal legitimiert. HStA Hauptstaatsarchiv ITS International Tracing Service des Roten Kreuzes in Bad Arolsen JVA Der Begriff Justizvollzugsanstalt ist ein relativ moderner Begriff. Bevor er eingeführt wurde, gab es die Differenzierung Gefängnis und Zuchthaus. KA Kreisausschuss Kempen-Krefeld KK Kempen-Krefeld. Osterath und Lank gehörten bis 1970 zum Kreis Kempen-Krefeld. Kreisstadt war Kempen. 234 | Anhang KPD Die Kommunistische Partei Deutschlands wurde 1918 von ehemaligen Sozialdemokraten gegründet. KZ Konzentrationslager NRW Das Land Nordrhein-Westfalen wurde 1945 / 46 auf Bestreben der britischen Besatzungsmacht gegründet. NS / NSDAP Die 1919 / 20 vom Österreicher Adolf Hitler in München gegründete Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei vertrat die Ideologie des Nationalsozialismus. RDB Reichsbund Deutsche Beamte RM Die Reichsmark war die deutsche Währung bis nach1945. SA / SS Die Stabsabteilung und die Schutzstaffel waren Organisationen der NSDAP, die bis zur Machtübertragung 1933 die Rolle als terroristische Bürgerkriegstruppen der NSDAP hatten. Dann – insbesondere die SS – staatliche polizei- und militärische Aufgaben okkupierten. Terroristen an der Macht im Verein mit Bürokratien und Bürokraten aller Ebenen. StA Stadtarchiv YVA Yad Vashem Archives Quellen A. Zeitungen Osterather Zeitung Original in der ehemaligen Druckerei Hamacher in Osterath, Ingerweg 2. Mikrofilm im Stadtarchiv Meerbusch Eine Reihe von Ausgaben als Mikrofilme: Institut für Zeitungsforschung, Dortmund Im Buch 26. 09. 1929 04. 03. 1933 04. 03. 1933 15. 03. 1933 18. 03. 1933 25. 03. 1933 27. 03. 1933 05. 04. 1933 15. 04. 1933 03. 05. 1933 05. 05. 1933 31. 05. 1933 01. 07. 1933 21. 10. 1933 31. 10. 1933 18. 11. 1933 24. 11. 1933 24. 02. 1934 09. 07. 1934 29. 09. 1934 04. 02. 1935 23. 03. 1935 23. 04. 1935 18. 05. 1935 18. 05. 1935 28. 03. 1936 26. 06. 1936 Erstausgabe: Programmatische Erklärung des Herausgebers Karl Hubert Meyer Wahlvorschläge für die Gemeinderatswahl am 14. März 1933 Anstelle des Schlossers Anton Wienands … Feststellung der Ergebnisse der Gemeinderatswahl in Osterath Evangl. Gemeinde Kirchliche Gründungsfeierlichkeiten der kath. Jungschar und Sturmschar Kirchliche Gründung einer Jungschar und Sturmschar Anzeige Dr. Goldberg I Untersuchungsausschuss Fest der nationalen Arbeit Das Fest der nationalen Arbeit Schlageter-Feier in Düsseldorf Bericht über die Gemeinderatssitzung Gemeinderatssitzung Amtliche Bekanntmachung Volkstrauertag Kaplan Hilmer jetzt zum Kaplan an St. Fronleichnam … Amtlicher Aufruf von Bürgermeister Hugo Recken zum Flaggen Zum kommissarischen Ortsgruppenleiter der NSDAP … Ortsgruppenleiter Panzer wieder in sein Amt eingeführt Amtliche Bekanntmachung von Bürgermeister Hugo Recken: Errichtung von Eigenheimen Zur Amtsbestätigung von Bürgermeister Hugo Recken Anzeige Dr. Goldberg II Gemeinderatssitzung Ausgrabungen auf dem jüdischen Friedhof Titelseite: großes Propaganda-Foto Adolf Hitler und quasi-religiöser Text Anzeige Dr. Langenbach weitere Artikel 29. 03. 1933 Die Hetzkampagne in Ausland. Eine Unterredung mit dem Reichaußenminister – Abwehrmaßnahmen aus dem Volk 01. 04. 1933 Anordnungen des Zentralkommandos. Die Durchführung des Boykotts gegen die jüdischen Geschäfte 01. 04. 1933 Sonnabend Schlag 10 Uhr. Der nationale Abwehrkampf beginnt 22. 04. 1933 Die Ehrung für Reichskanzler Hitler in Osterath 17. 05. 1933 Schilder zur Bezeichnung deutscher Geschäfte 25. 05. 1933 Versammlung der NSBO 29. 05. 1933 Wehrsport im O. T. V. 93 23. 08. 1933 Fahnenweihe der NSBO Ortsgruppe Osterath 14. 10. 1933 Zweiter Sturm der SA in Osterath 28. 10. 1933 Die erste Wahlversammlung 04. 11. 1933 Wahlversammlung 18. 11. 1933 Hitlerjugend Winterhilfswerk 20. 01. 1934 Reichsluftschutz 27. 01. 1934 Warum Luftschutz 10. 03. 1934 Werde Mitglied des Reichsluftschutzes Ortsgruppe Osterath. Zelleneinteilung des Reichsluftschutzbundes Ortgruppe Osterath Anhang | 235 30. 04. 1934 03. 11. 1934 03. 11. 1934 20. 03. 1935 07. 11. 1935 10. 05. 1936 Zehn Gebote für die Ehefrau Gemeinschaftsübung der freiw. Feuerwehr und Sanitätskolonne vom Roten Kreuz Osterath Nörgler und Miesmacher Osteraths Jugend marschiert Luftschutzschule Ein Appell der Landesgruppe Rheinland an die Bevölkerung Rheinische Post 07. 08. 1953 Hugo Reckens letzes Geleit 25. 11. 1978 Renate Wikles-Valkaiser. Sabine Gutmann überlebte drei Jahre KZ. »Viele von uns starben in der ersten Nacht.« 05. 02. 1988 Katholische Volkswacht in Osterath gedruckt 29. 10. 2003 »Die Reise in den Tod …« 12. 03. 2012 Zum UWG-Pressegespräch am 09. 03. 2012 16. 03. 2012 Dr. Anselm Faust urteilt über Hugo Recken 17. 03. 2012 Wer weiß etwas über Hugo Recken? 21. 03. 2012 Zur Pressemitteilung der Stadt Meerbusch: Ältestenrat 24. 03. 2012 »Versachlichen«: Gemeinsam Westdeutsche Zeitung 07. 08. 1953 Ein würdiges Geleit 09. 09. 2012 Zum UWG-Pressegespräch am 09. 09. 2012 21. 03. 2012 Zur Presseerklärung der Stadt Meerbusch; Ältestenratssitzung 24. 03. 2012 »Versachlichen«: Gemeinsam Extra-Tip am Sonntag Meerbusch 01. 04. 2012 Zur Presseerklärung der Stadt Meerbusch: Ältestenratssitzung Osterather Local-Blatt 23. 09. 1933 Der Koks-Prozess Niederrheinische Volkszeitung 07. 03. 1933 Arbeitslose in Lank und Osterath Generalanzeiger Dortmund 11. 06. 1933 Nur Schulden machte er Rheinische Landeszeitung Volksparole 13. 11. 1938 Großkundgebung der NSDAP-Ortsgruppe Osterath B. Zeitzeugeninterviews Frau Cervelli, 8. Mai 1984 Frau Brassel, 30. März 2012 Herr Cervelli, 29. Mai 2012 C. Web-Ressourcen Yad Vashem database www.nizkor.org Umfassende Dokumentation des Eichmann-Prozesses, u. a. Verhandlungsteil zum Salitter-Bericht www.riga-kommitee.de www.bundesarchiv.de/gedenkbuch http://steinheim.institut.de jüdischer Friedhof Krefeld www1.jur.uav.nl Justiz und NS-Verbrechen: Urteilssammlung Ingrid Schupetta. Der Salitter-Bericht und sein Verfasser Paul Salitter Ingrid Schupetta. Die Geheime Staatspolizei in Krefeld. Von Polizisten und Schreibtischtätern Ingrid Schupetta. Riga: Massenmord und Arbeitseinsatz 236 | Anhang Detlef Schmiechen-Ackermann. Der ›Blockwart‹. Die unteren Parteifunktionäre im nationalsozialistischen Terror- und Überwachungsapparat. Christina Strick. Jenseits der Routine? Die Bezirksregierung Düsseldorf 1935 – 1955 Ludwig Mises. Die Bürokratie. www.geschichte-am-juergensplatz.de u. a. Informationen zu Paul Salitter »Denkmalgalerie in Meerbusch« des Ortskuratoriums Meerbusch der Deutschen Stiftung Denkmalschutz Kirche-Kultur in Meerbusch www.tobien.de Osterath: Die jüdische Vergangenheit wachrufen Google-Fotosuche: »Am Gutort« www.verfassungen.de www.buergerstimme.com Eine Reihe von Artikeln von Lothar Klouten, siehe Literatur. D. Archive Pfarrarchiv Osterath Chronik der Pfarrei (unveröffentlicht) Pfarrer Hövelmann. Chronik der Pfarrgemeinde St. Nikolaus Osterath 1938 – 1954. Meerbusch o. J. (unveröffentlicht) K 16/157 Reueprotokoll des Johann Mathias Münks vom 17. November 1945 Standesamt Meerbusch Geburtsurkunde Dan Lucas Stadtarchiv Meerbusch, Bestand Osterath 1500 Entnazifizierung 1501 Entnazifizierung 717 Prokokollbuch Gemeinderat 1929 – 1934 1622 Protokollbuch Gemeinderat 1934 – 1936 1623 Protokollbuch Gemeinderat 1936 – 1952 1624 Protokollbuch Gemeinderat 1952 – 1956 1684 Hauptamtliche Bürgermeister, Hauptgemeinde- und Wahlbeamte und ihre Besoldung 1931 – 1969 1693 Personalakten der Beamten, Dauerangestellten und Hinterbliebenen, Buchstabe R. 1934 – 1973 1696 Personalakten der Beamten, Dauerangestellten und Hinterbliebenen, Buchstabe B. 1933 – 1977 III1997 Judenangelegenheiten, Aufhebung des jüdischen Friedhofes, Wiedergutmachung 1913 – 1964: Polizeiakte, u. a. bürokratische Diskriminierungsakte von Bürgermeister Recken gegen »Juden« und »Mischehen« – P15 der Signatur von Johannes Herbrandt Einwohnermeldekartei Osterath bis 1945: Dan Lucas Schiefelberg Sammlung / Nachlass Herbrandt Anmerkung: Die staatsformunabhängige bürokratische Kontinuität dokumentiert sich in den Aktenführungszeiten, z. B. »1913 – 1964« – über den Zeitraum von fünf wechselnden Staatsformen. Verzeichnis der zitierten Primärquellen aus dem Stadtarchiv Meerbusch III 1997 Bürgermeister Hugo Recken am 23. 08. 1936 an Dr. Goldberg Aufstellung der Gemeinde Osterath vom September 1935 zur »Rassezugehörigkeit der die öffentlichen und privaten Volksschulen besuchenden reichsdeutschen Kinder« Bürgermeister Hugo Recken 10. 12. 1934 an den stellv. Ortsgruppenleiter Schwengers Handschriftliche Notiz: 18 Namen mit Daten zu Beerdigungen auf dem jüdischen Friedhof »Der Bürgermeister als Ortspolizeibehörde« 26. 11. 1935 Führungszeugnis für Julius Gutmann Einwohnermeldekarteikarte Julius Gutmann Ergänzungsbögen Julius Gutmann Schreiben Julius Gutmann 06. 01. 1936 (Eingang) an das Reichs- und preußische Ministerium des Innern NSDAP-Kreisleitung Kempen-Krefeld 08. 06. 1936 Stellungnahme Anhang | 237 NSDAP-Gauleitung Düsseldorf 22. 06. 1936 mit Eingangsstempel der Bezirksregierung Düsseldorf 25. 06. 1936 Bürgermeister Hugo Recken 23. 12. 1936 an Dr. Langenbach Handschriftliches Schreiben Lucie Langenbach 23. 01. 1939 an die Gemeindeverwaltung Osterath Regierungspräsident Düsseldorf 24. 08. 1945 »Jüdische Friedhöfe« Oberpräsident der Rheinprovinz 29. 06. 1946 »Instandhaltung jüdischer Friedhöfe« – Recken: »Fehlanzeige« Gemeindedirektor Hugo Recken 22. 07. 1952 an Kreisverwaltung Kempen-Krefeld zu Paul Cervelli, Stadtarchiv Meerbusch Bestand Osterath 1500: Bürgermeister Rudolf Bartels 24. 08. 1945 Auflistung »Personen nach Gesetz No. 52« sowie Nachweisung vom 01. 11. 1945 – Hugo Recken Protokollbuch der Gemeinde Osterath 19. 02. 1946 Protokollbuch der Gemeinde Osterath 03. 08. 1953 Nachlass Herbrandt: Traueranzeige für Hugo Recken 03. 08. 1953 Johannes Herbrandt. Orts- und Kriegschronik der Gemeinde Osterath Stadtarchiv Krefeld Personalakte Joseph Hövelmann Sammlung Billstein Zeitungsarchiv Stadtarchiv Viersen Protokollbuch der Stadt Viersen 3. Januar 1946. Rede von Ortskommandant Sewell Stadtarchiv Düsseldorf Nachlass Ebel: Gauamt für Kommunalpolitik Institut für Stadtgeschichte Frankfurt Vereine 11 Nr. 11, 16, 17, 18, 24, 27 Kreisarchiv Viersen KK 875 und 1021 Personalakten Rudolf Bartels 1022 Gemeindefinanzen Osterath, Besoldung Bürgermeister etc. 1023 Personalunterlagen Hugo Recken 16420 Personalunterlagen Johannes Herbrandt 1795 Anordnungen der Militärregierung (Januar bis August 1946) 1960 Entnazifizierungskartei 8075 Entschädigungsakte Paul Cervelli 12066 Entschädigungsakte Lucie Langenbach 7854, 7855, 11934, 11935, 12844 Entschädigungsakten Sabine und Julius Gutmann Bestand Gemeinde Kempen 61 Ernst Herbrandt 90 Gustav van Beek KA – Bestand Kreisausschuss Schreiben Bürgermeister Hugo Recken Arthur Winter. Über das Schicksal der Kempener Juden, die im Dezember 1941 deportiert wurden. Schweden 1945. Erstellt nach Aussagen von Heinz Samuel, Hüls. Verzeichnis der zitierten Primärquellen aus dem Kreisarchiv Viersen KK 875 Bl. 79, 80, 107, 127, 128, 129, 130, 135, 136, 137, 148, 149, 152, 154 238 | Anhang KK 1021 Bl. 154, mehrer Zitate aus Schreiben KK 1022 Bl. 142, 164, 190, 191, 201, 310 KK 1023 Bl. 163, 182, 185, 188, mehrere Zitate aus Schreiben KK 1034, 7055, 16420 KA mehrere Zitate aus Schreiben Kreisarchiv Neuss Kölnischer Kurier 1945 Katasterkarten Osterath Landesarchiv Berlin RR. 142 / 7, 1-2-6 / Nr. 1 Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen Berlin Vermögensakten von aus Osterath deportierten Menschen jüdischen Glaubens Yad Vashem Jerusalem File O.3/7337 Testemony of Hilde Sherman File TR.10/1414 German Trial: Gerhard Maiwald and others Wiener Library London Salitter-Bericht International Tracing Services Arolsen Deportationsliste 11. Dezember 1941 ab Düsseldorf-Derendorf nach Riga Anfragenverkartung Lucie Langenbach Transportlisten evakuierter Juden: Sabine und Julius Gutmann Karteikarten Ghetto Theresienstadt Sabine und Julius Gutmann Zimmerliste Ghetto Theresienstadt: Sabine und Julius Gutmann Landesarchiv NRW in Düsseldorf. LAV NRW R, Rep. 8 Nr. 161 und 162 Prozessverfahrensakten zu Rudolf Bartels Findbücher 223.19.1-6 Rückerstattungsverfahren Landgericht Krefeld: Diverse Berechtige und Verpflichtete Osterath Rep. 198 Nr. 683 Prozessverfahrensakte Julius Gutmann Wiedergutmachung Rep. 198 Nr. 68, 276, 456, 485, 488, 623, 624, 659, 682, 695, 696, 697, 698, 699, 1007, 1137, 1143, 1173, 1210, 1211, 1451, 1452, 1490, 1573, 1726, 1878, 2114, 2125, 2906, 2945 Rep. 200 Landgericht Düsseldorf Nr. 3688 Berta Gutmann Nr. 3786 Bernhard Abrahams Nr. 3788 Selma Königsthal Nr. 3844 Selma und Gustav Kiefer Rep. 298 Nr. 195 Prozessverfahrensakte Rudolf Bartels BR 0007 Nr. 32365 Personalakte Rudolf Bartels Nr. 47425 Personalakte Hugo Recken Br 0325 Nr. 1-23 Finanzamt Krefeld 1933 – 1945 BR 1411 Akten zu jüdischen Friedhöfen in der unmittelbaren Nachkriegszeit BR 2080 Nr. 675 Wiedergutmachungsakte Sabine Gutmann BR 2182 Nr. 14581 Wiedergutmachungsakte Lucie Langenbach NW 1008 Entnazifizierungsbestände mit Bezügen zu Osterath 1012 1034 1037 1129 Anhang | 239 NW 1008-KPG-01196 Entnazifizierungsakte Pfarrer Joseph Hövelmann NW 1023 Nr. 05278 Entnazifizierungsakte Johannes Herbrandt NW 1034 Nr. 4803 Entnazifizierung Hugo Recken NW 1037 BI-15313 Entnazifizierung Hugo Recken NW 1037 BI-16645 Entnazifizierung Johannes Herbrandt RW 58 9277 und 34996 Julius Gutmann 42306 Sabine Gutmann 4069 Eberhard Langenbach 7153 und 19113 Josef Karl Lenssen 25749 und D.33054 Karl Hubert Meyer 11776 Anton Wienands 43618 12 Bürger Osteraths: 1938 Hissen schwarz-weiße Kirchenfahne 31328 Kaplan Josef Conrads RW 0114 Nr. 494 Gesetz 1938: zusätzlicher Vornamen. Liste aller Betroffener im Rheinland Bundesarchiv Berlin Bundesarchiv-Verfolgten-Kartei von Gestapo-Verfolgten NSDAP-Mitgliederkarteikarten Hugo Recken. Gaukartei Johannes Herbrandt. Zentralkartei und Gaukartei Rudolf Lensing Walter Panzer Hans Neuges Maria Eikers Josef Wienands Heinz Legermann Max Legermann sowie diverse weitere Osterather Paul Salitter. Zentralkartei NSDAP Antrag auf Aufnahme in die NSDAP Paul Salitter SS-Führerkarteikarte Paul Salitter Hauptamt Ordnungspolizei R 19/1147 Paul Salitter NS 1 Reichsschatzmeister der NSDAP NS 22 Reichsorganisationsleiter der NSDAP NS 25 Hauptamt für Kommunalpolitik / Deutscher Gemeindetag NS 40 Hauptamt für Beamte / Reichsbund der Deutschen Beamten NSDP-Parteiarchiv Bundesarchiv Ludwigsburg Sowjetische Riga-Ermittlungen Israelische Riga-Ermittlungen 240 | Anhang Literatur Uwe Adam. Judenpolitik im Dritten Reich. Düsseldorf 1972. H. G. Adler. Der verwaltete Mensch. Studien zur Deportation der Juden aus Deutschland. Tübingen 1974. H. G. 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Wie ein grauenhafter Traum – Vier Jahre zwischen Leben und Tod. Jüdische Schicksale aus Lettland 1941 – 1945. Konstanz 1998. Anhang | 257 Danke! Frau Dr. Aust. Osterath Frau Dr. Künzel. Staatsarchiv NRW Düsseldorf Frau Bach. Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen Berlin Frau Küsters. PrePressPro Krefeld Herr Lilla. Stadtarchiv Krefeld Frau Brassel. Zeitzeugin aus Osterath, die sich bei mir meldete Frau Lücke. Institut für Zeitungsforschung Dortmund Herr Braisz. ITS Arolsen Frau Dr. Brockhoff. Institut für Stadtgeschichte Frankfurt Herr Mohammed. Seine irakische Freundlichkeit in seinem Internetcafe war wichtig. Frau Dr. Mykayton. Yad Vashem Jerusalem Herr Cervelli. Danke für die Informationen. Frau Meyer-Rogmann. Kreisarchiv Viersen Herr Claes. Büdericher, der mir seine im Eigenverlag erschienenen Veröffentlichungen gab. Frau Mörtl. Institut für Zeitgeschichte München und Berlin Herr Derrick. National Archives UK London Frau Nemcova. Theresienstadt-Gedenkstätte Herr Dönecke. Polizeihauptkommissar Düsseldorf, Geschichte am Jürgensplatz Dr. Augusta Niederauer. Meine Frau, die mich mit allen ihren Möglichkeiten unterstützt. Frau Dr. Dumschat. Bundesarchiv Berlin Herr Oermann. Vorsteher Finanzamt Krefeld Herr Dr. Faust. Ehemaliger Archivdirektor Landesarchiv NRW Düsseldorf Herr Perkuhn. Stadtarchiv Düsseldorf Herr Ferrero. Yad Vashem Jerusalem Herr Pinkert. Standesamt Meerbusch Frau Gerats. Direktorin Amtsgericht Neuss Herr Querl. Villa ten Hompel Münster Frau Gerke. Stasi-Unterlagenbehörde Berlin Herr Dr. Rehm. Kreisarchiv Viersen Herr Grohe. Bundesarchiv Ludwigsburg Frau Schischke. Ehemalige Druckerei Hamacher Osterath Herr Gutmann. Sohn von Kurt Gutmann Berlin Herr Dr. Schröder. Kreisarchiv Neuss Frau Häusler. Zentralbibliothek Zürich Frau Haubold. Deutsche Nationalbibliothek Frankfurt a. M. Frau Heidschmidt. Archivinform Berlin Frau Schulte. trio-design+ Krefeld Frau Dr. Schupetta. Villa Merländer Krefeld Herr Staudinger-Napp. Fraktionsvorsitzender der UWG Meerbusch Herr Klemt. Pfarrarchiv Osterath Frau Waldmann. Memminger MedienCentrum Anhang | 259 Schreiben von Adolf Hitler, 29. November 1921 , Seite 1 260 | Anhang Schreiben von Adolf Hitler, 29. November 1921 , Seite 2 Anhang | 261 Schreiben von Adolf Hitler, 29. November 1921 , Seite 3 262 | Anhang Paranoia, die Geistesstörung, die durch ein System von Wahnideen und die Projektion persönlicher Konlikte gekennzeichnet ist, die der angeblichen Feindseligkeit anderer angelastet werden; chronische funktionale Psychose mit schleichendem Verlauf, charakterisiert durch beharrliche, unerschütterliche, logische konsistente Selbsttäuschungen, die für gewöhnlich Größen- und Verfolgungswahn betrefen Paranoiker, der Eine durch Paranoia leidende Person Paranoid, adj. Durch übertriebenes Misstrauen, Größen- und Verfolgungswahn charakterisiert. Übersetzt aus: Webster New Universal Unabridge Dictionary Erich Fromm beschreibt in »Authentisch leben« (Freiburg 2009. 6, S. 89 – 98) ein reales GedankenExperiment zu »ich fühle« – »ich denke« – »ich will«, das als Analogie auf die i ktive Stunde Null in Deutschland 1945 verstehbar ist: Eine Versuchsperson wird von einem Hypnotiseur in Hypnose internalisiert, nach dem Erwachen aus einem selbst mitgebrachten Manuskript vorlesen zu wollen, das nicht existiert. Weiter soll die Versuchsperson dann annehmen, eine ihr vorher unbekannte Person habe das Manuskript gestohlen und in Folge dessen auf diese Person wütend werden. Nach dem Erwachen der Versuchsperson ist der Ablauf wie programmiert. Dabei bringt die Versuchsperson Gründe vor, die dem Diebstahl durch die weitere Person plausibel machen sollen. Die Versuchsperson formuliert also Rationalisierungen, von denen sie subjektiv überzeugt ist. Nun kommt eine unbeteiligte über den Ablauf nicht informierte Person in das Zimmer. Diese Person wird nicht anzweifeln, dass die Versuchsperson das sagt, was sie denkt und fühlt. Und diese Person wird sich fragen: Sind die Anschuldigungen richtig oder nicht? Stimmen die Gedanken der Versuchs- person mit der Realität überein oder nicht? Diese Person wird sich Gedanken machen, dabei eventuell zum Ergebnis kommen, nicht entscheiden zu können, was richtig oder falsch ist. »Was beweist die hypnotische und vor allem das posthypnotische Experiment? Es beweist, dass wir Gedanken, Gefühle, Wünsche ja sogar Sinnesempindungen haben können, die wir subjektiv als die unseren empinden, obwohl sie uns von außen suggeriert wurden und uns daher im Grunde fremd sind, und nicht das, was wir wirklich denken, fühlen und so weiter.« (S. 91) »Das Pseudo-Denken kann auch völlig logisch und rational sein.« (S. 96) »Ihre Irrationalität liegt dann darin, dass sie nicht das wirkliche Motiv für die Handlung darstellt, deren Ursache sie angeblich war.« (S. 97) »Es lässt sich daher nicht feststellen, ob wir es mit einer Rationalisierung zu tun haben, wenn wir lediglich untersuchen, ob eine Behauptung logisch ist; wir müssen auch die psychologischen Motivationen mit berücksichtigen, die in einem Menschen am Werk sind. Das Entscheidende ist nicht, was der Betrefende denkt, sondern wie er denkt.« (S. 97) »Den Rationalisierungen fehlt ihrem ganzen Wesen nach dieses Entdecken und Enthüllen; sie bestätigen lediglich unsere emotionalen Vorurteile. Die Rationalisierungen sind kein geeignetes Mittel, zur Wirklichkeit vorzustoßen, sondern nur post factum der Versuch, die eigenen Wünsche mit der vorhandenen Wirklichkeit in Einklang zu bringen.« (S. 98) Dies ist als Analogie auf den gelebten hitlerschen nationalsozialistischen eliminatorischen Antisemitismus und seine Verdrängung nach 1945 zu verstehen. »Jede Woche ist eine Versammlung ... Jedes mal sagt Hitler so ziemlich dasselbe ... Jedes mal hat er aber neue Bilder, neue Witze und neue Schimpfworte gegen Berlin und gegen die Juden. Und doch setzten sich die einfachen Gedanken binnen drei Versammlungen so tief in den Köpfen fest, dass der Hörer schon beim vierten Mal schon meint, der Redner sage nur dasselbe, was er selbst seit jeher gedacht hat.« Konrad Heiden. Hitler. Band 1. Zürich 1936. S. 141. Anhang | 263