Die Konventionen des bürgerlichen Denkmals bildeten sich nach der Französischen Revolution heraus. Bei den Stadtumwandlungen des 19. Jahrhunderts gehörte das Denkmal auf den neu angelegten Plätzen und in den Parks einfach dazu. Inflationär wurden Denkmäler in die expandierenden Städte gepflanzt (Shanken, Life, S. 92, S. 132–135) – von London bis Kapstadt wurden so Schriftsteller, Komponisten und Erfinder geehrt. Dieses Inventar umgibt sich mit einer Aura des schon immer Dagewesenen und insistiert auf Bleiberecht.
Doch seit den Protestbewegungen Rhodes Must Fall (2015) und Black Lives Matter (ab 2013 bzw. verstärkt ab 2020) wurden diese naturalisierten Platzhalter weltweit infrage gestellt, zumindest in demokratischen Gesellschaften. Das eine oder andere Denkmal musste tatsächlich weichen – darunter eben auch die Rhodes-Statue an der Universität Kapstadt (was allerdings, vor allem in Südafrika, eine Ausnahmeerscheinung darstellt1). Etwas ist aber heute grundsätzlich anders als in Zeiten früherer Denkmalstürze: Es geht in der Regel nicht darum, ein Regime oder ideologisches Modell durch ein anderes zu ersetzen. Das Interessante an den jetzigen Denkmalstreitigkeiten ist, dass sie gerade keinen Regimewechsel wollen. Im Gegenteil: Sie wollen demokratische Gesellschaften demokratischer machen; nicht nur, aber auch durch die Umgestaltung des öffentlichen Raums. Die hier zu besprechenden Publikationen beschäftigen sich alle mit der Frage der Relevanz von Denkmälern in Demokratien.
Denkmalstreit und Denkmalsturz als Handlungsoptionen
In „Smashing Statues“ widmet sich Erin L. Thompson nicht nur dem Sturz, sondern auch der Entstehung amerikanischer Denkmäler. Teil I des Buches, Rising, behandelt die Anfänge moderner Denkmalkultur in den USA. Diese Zeit beginnt nicht mit der Errichtung eines Denkmals, sondern mit einem Denkmalsturz: der Zerstörung der Reiterstatue von George III. 1776 in New York. Die Protestierenden sahen es als ihr Recht an, den britischen König als Symbol kolonialer Unterdrückung vom Sockel zu stürzen und sein Abbild zu zerstören.
Thompson hat in Archiven gegraben und sich kritisch durch die umfangreiche Literatur gelesen. Sie zeigt die Ausbeutungs- und Abhängigkeitsverhältnisse hinter den scheinbar so unschuldigen Symbolen US-amerikanischen Selbstverständnisses. Die dem Denkmalsturz nachfolgende Welle neuer Setzungen war durchweg geprägt von den Produktionsbedingungen der Sklavenhaltung. Diese physischen Marker folgten also von Anfang an nicht dem Grundsatz der Gleichheit. Der große nationale Selbstbetrug der US-amerikanischen Gesellschaft war und ist, dass Gleichheit und Freiheit vor allem die weiße Einwanderergesellschaft meinen, die die Indigenen verdrängt hatte und schwarze Menschen ausbeutete. Die Denkmalproteste als Reaktion auf die Ermordung von George Floyd im Jahr 2020 haben ihre Ursache darin, dass die US-amerikanische Gedenklandschaft – wie die Gesellschaft an sich – weiter stark von Ideen weißer Vorherrschaft geprägt ist. Für den Wandel hin zu einer gerechteren Gesellschaft ist es unerlässlich, sich dieser kontaminierten Gedenklandschaft zu stellen. Selbst wenn eine solche Überzeugung nicht allgemein geteilt wird, hat sie neuerdings an Rückhalt gewonnen.2 Denkmäler sind untote Wiedergänger (Shanken, Life, S. 352), deren einstige Bedeutung durch Denkmalstreitigkeiten erneut zum Leben erweckt wird, sich durch diese Kontroversen meist aber auch verschiebt. Tatsächlich sind es gerade die gegenwärtigen Denkmalkonflikte, die zum Neu-Sehen der steinernen Hinterlassenschaften einladen und die Beteiligten anregen zu überlegen, wer sie als Gesellschaft sein wollen (ebd., S. 14).
Obgleich bereits in der Einleitung zur Anthologie „Die Gegenwart des Denkmals“3 betont wird, dass die Beseitigung von Denkmälern nicht einer Auslöschung von Geschichte gleichkommt und solche Pauschalisierungen schlicht ahistorisch sind (Brückle / Mader / Polzer, Gegenwart, S. 11), wird dieses irrige Argument im selben Band dennoch angeführt, ausgerechnet von Aleida Assmann, die zudem behauptet, Denkmäler seien „jahrhundertelang“ vergessen gewesen und nun plötzlich – „durch einen Normenwandel in der Gesellschaft“ und erst infolge von Migration – Gegenstand von Diskussionen geworden (ebd., S. 89). Thompson hält solcher Argumentation entgegen (mit Blick auf eine US-amerikanische Gesellschaft, die seit 500 Jahren vom Sklavenhandel geprägt ist), dass die Entscheidungsmacht, für wen oder was Denkmäler errichtet werden und ob diese stehen bleiben dürfen, äußerst ungerecht in der Gesellschaft verteilt ist. Menschen, die jahrelang gegen Denkmäler protestierten, wurden systematisch ignoriert. Sie sehen in der Vandalisierung oder dem Denkmalsturz ein letztes Mittel, überhaupt eine Reaktion auf ihr Anliegen zu erhalten (Thompson, Statues, S. 33). So dauerte es Jahrzehnte, bis es im Juni 2020 zum Sturz der Edward-Colston-Statue in Bristol kam, wie es Andrea Bruggmann in ihrem hervorragenden Artikel zeigt (Brückle / Mader / Polzer, Gegenwart, S. 231).
Anders als Assmann argumentiert im gleichen Sammelband Jules Pelta Feldman, die sich intensiv mit dem Mythos der Geschichtsauslöschung durch Denkmalsturz auseinandersetzt. Feldman verteidigt Denkmalstürze und macht deutlich, dass wir uns der Logik der auf uns gekommenen Denkmäler nicht unterwerfen müssen. Gerade wenn wir Denkmälern Wirkungsmacht zugestehen und diese Objekte bestimmte Werte transportieren, die den demokratischen Idealen fundamental entgegenstehen, haben wir laut Feldman nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, diese dem Stadtraum wieder zu entziehen (Brückle / Mader / Polzer, Gegenwart, S. 145). Das hat nichts mit Geschichtsvergessenheit oder -auslöschung zu tun. Es geht um den Entzug der Ehrerbietung, die ein Personendenkmal immer impliziert (Thompson, Statues, S. 171). Feldman erinnert daran, wie bei der Bewertung von Denkmalstürzen mit zweierlei Maß gemessen wird. Während es einigen Kritiker:innen einleuchtet, dass nach dem Ende der Sowjetunion oder des Regimes von Saddam Hussein Denkmäler fallen mussten, um von menschenverachtenden Systemen Distanz zu gewinnen, schelten teils dieselben Personen das Entfernen von Denkmälern für Sklavenhändler als Auslöschung der Geschichte.
Da Denkmal und Denkmalsturz seit der Antike zusammengehören, gilt es, den Denkmalsturz zu entdramatisieren (Shanken, Life, S. 301). Das Beispiel des gestürzten Colston und dessen Umzug ins Museum zeigen, dass die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus dadurch keineswegs beendet war. Im Gegenteil: Erst dank der musealen Kontextualisierung kommt es zu einer breiten Aufarbeitung vergangenen Unrechts und seiner Nachwirkungen in der Gegenwart. Feldman legt überzeugend dar, dass die Neukonzipierung oder Beseitigung von Denkmälern, die in bestimmten späteren Konstellationen als „toxisch“ empfunden werden, keine Abkehr von Verantwortung ist, sondern ein Bekenntnis zur Erinnerungsarbeit. Demnach sind Denkmalstürze Versuche, das kollektive Gedächtnis einer Auffrischung zu unterziehen. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit erfolgt gerade auch durch das Abarbeiten an den etablierten Zeichensetzungen.
Es ist eher verhängnisvoll, wenn diese Form der Konfrontation nicht erfolgt – wie es Barbara Kristina Murovec am Beispiel der fast unverändert gebliebenen Stadtlandschaft Ljubljanas hervorhebt (Brückle / Mader / Polzer, Gegenwart, S. 189–209). Nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens wurden die meisten Denkmäler in der slowenischen Hauptstadt aus den vorangegangenen Jahrzehnten weder zerstört noch musealisiert. Stattdessen wurden sie genutzt, um „in ideologisch-nostalgischer Verbrämung die Werte der kommunistischen Revolution [zu] bewahren“ (ebd., S. 192). Im Großen und Ganzen blieben die Manifestationen alter Wertvorstellungen erhalten. Wenn uns die Vehemenz der gegenwärtigen Denkmalstürze mitunter auch verstören mag, sind sie vor diesem Hintergrund doch eigentlich ein gutes Zeichen. Das Abarbeiten an Denkmälern birgt eine Chance; es kann – wie im Fall Colston – zur Revision des Selbstbildes und zu einem neuen Gemeinschaftssinn führen.
Stehen Denkmäler auch stramm und starr da wie unverrückbare Wahrheiten, sind sie doch keine Quellen über die historischen Ereignisse oder Personen, an die sie erinnern, selbst wenn sie immer wieder so gesehen werden (Shanken, Life, S. 35). Vielmehr geben sie Aufschluss darüber, wie zu einem bestimmten Zeitpunkt an ein bestimmtes Ereignis oder eine Person erinnert wurde. Oft geschieht dies in einem großen zeitlichen Abstand (ebd., S. 295f.). Die realisierten Werke spiegeln also in erster Linie die Wertvorstellungen der Denkmalsetzer:innen wider (S. 26, S. 287). Sie können durchaus dazu ermuntern, an einen historischen Moment zu erinnern oder sich damit auseinanderzusetzen. Mit ihnen steht und fällt aber nicht das geschichtliche Wissen. Diese Einsichten sind keineswegs neu, doch ist es immer wieder wichtig, sie zu vergegenwärtigen.
Wenn wir zudem erkennen, dass es oft einfach (männliche) Eitelkeit, Ruhmsucht und Größenwahn waren, die zu Durchführung der absurdesten Denkmalvorhaben führten, wird eine Entfernung dieser Objekte denkbar. Am Beispiel Gutzon Borglums (1867–1941) zeigt Thompson, wie Künstler Denkmalvorhaben strategisch nutzten, um ihre Karriere anzukurbeln und wirtschaftlich davon zu profitieren (Thompson, Statues, S. 19, S. 63–95). Borglum hängte wiederholt das Mäntelchen nach dem Wind und schreckte vor einer Mitgliedschaft im Ku-Klux-Klan nicht zurück, um das Stone Mountain Memorial bei Atlanta zu verwirklichen. Nach Streitigkeiten über dieses Projekt widmete er sich, auch aus finanzieller Not, in den 1920er- und 1930er-Jahren mit gleicher Hingabe Mount Rushmore in South Dakota. Diese gigantischen Bildhauerarbeiten locken jährlich Millionen von Tourist:innen.
Was tun mit ererbten Denkmälern?
Der zweite Teil von Thompsons Buch, Falling, widmet sich der Frage, was mit den auf uns gekommenen Zeugnissen geschehen soll. Konföderierten-Denkmäler visualisieren Ideen weißer Vorherrschaft. Sie waren Statements darüber, wer die Stadt kontrollierte, und sollten schwarze Amerikaner:innen einschüchtern. Zwar waren sie nur ein Machtmittel neben anderen (wie dem fehlenden Wahlrecht für Schwarze, den Lynchmorden etc.), aber sie waren sichtbar, Tag und Nacht: Sie wurden bewusst vor Gerichtsgebäuden aufgestellt – an Orten, die eigentlich für demokratische Teilhabe und Rechtsprechung standen. Schwarzen wurde immer aufs Neue eingebläut, dass sie Staatsbürger zweiter Klasse waren.4
Die meisten Autor:innen sind sich einig, dass visuellen Platzhaltern weißer Vorherrschaft, von Kolonialismus oder patriarchalen Ordnungen heute kritisch begegnet werden muss (Thompson, Statues, S. 57; Brückle / Mader / Polzer, Gegenwart, S. 299). Nur wie dies geschehen soll, darin besteht keine Einigkeit. Mitunter werden diese Machtdemonstrationen aufgrund ihrer künstlerischen Gestaltung als bewahrenswert angesehen, was aber nicht zwangsläufig ihren Fortbestand im öffentlichen Raum impliziert. Überkommene Denkmäler als Lehrstücke, quasi zur Abschreckung stehen zu lassen, spielt die Erfahrungen von Menschen herunter, die weiter unter Rassismus, Antisemitismus, Imperialismus und Sexismus leiden, wie es Pelta Feldman überzeugend darlegt. Es ist naiv zu glauben, solche Denkmäler hätten keine Attraktionskraft, dienen sie doch rechtsradikalen Gruppen nicht selten als Versammlungsort. Zudem zeigt der Aufschrei über eine mögliche Entfernung umstrittener Denkmäler, dass die Werte, für die sie stehen, tatsächlich noch relevant sind (Shanken, Life, S. 300). Ginge es nur darum, historische Zeitschichten zu konservieren, wären eine Verlagerung ins Museum oder eine digitale Dokumentation annehmbare Alternativen. Wann ist ein Denkmal so kontaminiert, dass es aus dem öffentlichen Raum entfernt werden sollte, und wer entscheidet darüber? Letztlich geht es hier auch um Ressourcenverteilung: Innerhalb der vergangenen zehn Jahre wurden in den USA 40 Millionen Dollar für den Erhalt von Konföderierten-Gedenkorten ausgegeben (Thompson, Statues, S. 154).
Thompson stellt dar, wie der Denkmalschutz nicht einfach erhaltenswürdiges Kulturgut schützt, sondern etablierte Machtverhältnisse zementiert (Statues, S. 181). In den USA hat die schwarze Bevölkerung die Mythenbildung der Konföderierten-Denkmäler von Anfang an durchschaut und sich dagegen gewehrt, obgleich das Aufbegehren gegen diese Herrschaftszeichen mitunter lebensgefährlich war. Heute steht die Vandalisierung oder Zerstörung von Denkmälern unter Strafe. Es ist äußerst schwierig (und in den USA aufgrund der seit 2015 verschärften Gesetzgebung ganz besonders), selbst höchst problematische Denkmäler auf legalem Wege zu entfernen (ebd., S. 119). Dies geht soweit, dass in manchen Bundesstaaten selbst ein Verrücken untersagt ist. Thompson zeigt, dass es gerade diejenigen sind, die sich eifrig gegen Cancel Culture aussprechen, die jegliche Veränderung canceln (S. 194). Wer im öffentlichen Raum etwas ändern will, wird zu zivilem Ungehorsam gezwungen.
In ihrer radikalen Forderung, Denkmäler einzuschmelzen, die weiße Vorherrschaft proklamieren und damit Schwarzen weiter das Gefühl geben, unerwünscht zu sein (S. 44), unterscheidet sich Thompson von den meisten anderen Autor:innen. Für sie ist es keine Lösung, solche Denkmäler an den Stadtrand oder auf Friedhöfe umzusetzen. Sie vergleicht das mit einem Priester, der sich an Kindern vergangen hat. In einem Dorf mag er weniger Kindern begegnen als in der Stadt, aber kein einziges Kind darf Gewalt ausgesetzt werden (Thompson, Statues, S. 170). Thompson zufolge ist es der Selbstfindung sich wandelnder Gesellschaften durchaus zuträglich, vorhandene Denkmäler kritisch auf ihre Existenzberechtigung hin zu befragen (S. 182). Manchmal brauche es Tabula rasa, um Neuanfänge zu ermöglichen.
Vor diesem Hintergrund erstaunt das zähe Festhalten am 1958 eingeweihten Denkmal für Ernst Thälmann auf dem Weimarer Buchenwaldplatz. Der von Christian Faludi und Stephan Zänker herausgegebene Sammelband hat seinen Ursprung in den heftigen Debatten, die der von den Verfassern im November 2021 selbst initiierten, kurzfristigen Verhüllung des Weimarer Denkmals folgten. Es dauert gute 90 Seiten (und eigentlich bis S. 126), bevor erläutert wird, wer Thälmann war. Der von Nationalsozialisten ermordete KPD-Vorsitzende wurde in der DDR zu propagandistischen Zwecken ausgebeutet, gerade auch um Walter Ulbrichts eigenen Führungsanspruch zu legitimieren (Faludi in Faludi / Zänker, Denkmal, S. 60). Ohne Zweifel diente dieser prominenteste Vertreter des kommunistischen Widerstands als Symbolfigur des antifaschistischen Gründungsmythos der DDR immer wieder als Projektionsfläche. Der staatsoffizielle Thälmann-Kult blieb bis zum Ende der DDR unwidersprochen. Ausgeklammert wurde, dass der Moskau-treue Thälmann und seine Anhänger zur Destabilisierung der Weimarer Republik beigetragen und so den Nationalsozialisten den Weg bereitet hatten (Annette Leo in Faludi / Zänker, Denkmal, S. 126–129). Aber braucht die demokratische Erinnerungskultur in Deutschland wirklich einen Christo-Effekt für das Denkmal, um sich weiter an diesem männlichen Personenkult abzuarbeiten?
Das Plädoyer für die Erhaltung des Monuments, um damit das SED-Regime und seine im Stadtraum gewachsenen Geschichtsverdrehungen zu entlarven, verkennt, dass diese komplexen Strukturen schwer verständlich sind. Aufgabe des Stadtraums ist es nicht, permanent Geschichtslektionen anzubieten. Eine kritische Aufarbeitung Thälmanns kann auch erfolgen, ohne dass das Ehrenmal im öffentlichen Raum stehenbleibt. Der Band ist ein wichtiger Beitrag zur lokalen Erinnerungskultur (mit einem sehr lesenswerten Beitrag Annette Leos zum 1986 eingeweihten Thälmann-Denkmal in Berlin-Pankow), von dem man sich jedoch gewünscht hätte, dass er der internationalen Forschung mehr Beachtung geschenkt hätte.
Einigkeit im Umgang mit Denkmälern herrscht zumindest in einem Aspekt: Es ist nicht bedeutungslos, wer und was im öffentlichen Raum zu sehen ist, denn potenziell können diese Visualisierungen weiter Vorstellungen von Geschichte prägen und alternative Geschichtsbilder daran hindern, Sichtbarkeit zu erlangen (vgl. Thompson, Statues, S. 148). Wie können wir demokratische Strukturen schaffen, die nicht nur zur Errichtung neuer Denkmäler führen, sondern auch zur Entfernung solcher Denkmäler, die als überholt oder diskriminierend empfunden werden? Diejenigen Gruppen, die jetzt Denkmäler stürzen wollen, werden mitunter als nicht-repräsentativ für die Mehrheitsgesellschaft angesehen. Allerdings wurden auch die Denkmäler, die unsere Städte bis heute dominieren, zumeist von einer kleinen Gruppe einflussreicher Personen errichtet. Wer profitiert davon, dass bestimmte Denkmäler stehenbleiben?
Denkmalwollen und Alltag
Während Denkmäler immer wieder als Ausdruck nationalen Selbstverständnisses untersucht werden (so von Imke Girßmann am Beispiel des seit langem geplanten Berliner Freiheits- und Einheitsdenkmals in Brückle / Mader / Polzer, Gegenwart), zeigt der Architekturhistoriker Andrew M. Shanken, dass die Erwartung, ein Denkmal solle an jemanden oder etwas erinnern, nur eine von vielen Funktionen ist (Life, S. 31). Shanken interessiert sich für das Zusammenspiel von Stadtentwicklung und Denkmalaufstellung bzw. -verbleib. Er hebt hervor, dass es vielfach auch Zufälle und praktische Notwendigkeiten wie Fragen der Verkehrssicherheit sind, die über den Aufstellungsort bestimmen (S. 151).
Zwar verweisen Denkmäler darauf, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt die Möglichkeit hatte, sich in den Stadtraum einzuschreiben. Nach oft langwierigen Verhandlungen und mitunter pompösen Einweihungsfeiern sind Denkmäler aber einfach Teil des Stadtmobiliars, wie bestrebt sie auch immer sein mögen, etwas Besonderes zu sein (Shanken, Life, S. 32). Der Alltag ist allerdings ungnädig. Denkmäler werden von Hundedreck und parkenden Autos, blinkenden Reklameschildern und ratternden Straßenbahnen in Mitleidenschaft gezogen. Sie werden durch Luftverschmutzungen verunreinigt, werden vernachlässigt oder verfallen. Sie sind Wetter und Jahreszeiten ausgeliefert. Denkmalstürze sind also längst nicht die einzige Gefahr, die den meist doch auf Dauer angelegten Erinnerungszeichen drohen. Vernachlässigung oder Dekontextualisierung durch Umplatzierung können genauso – wenngleich weniger Aufsehen erregend – zu ihrer Diskreditierung oder Bedeutungslosigkeit beitragen (Shanken, Life, S. 18, S. 107, S. 193). Zudem war die Moderne oft schonungslos (S. 203) und priorisierte den Autoverkehr, statt die Bedeutungsaufladung von Denkmälern durch ihre Platzierung im Stadtraum zu respektieren. Um touristenfreundliche, nostalgisch verklärte, scheinbar historische Innenstädte zu kreieren, verkam das Denkmal vielerorts zu einem pittoresken Stadtverschönerungsobjekt (S. 180, S. 189, S. 199).
Denkmäler sind eben vieles gleichzeitig. Manches davon widerspricht sich. An sie werden hohe moralische, ja kathartische Erwartungen geknüpft, doch tatsächlich werden sie oft übersehen oder zu ganz anderen als den intendierten Zwecken genutzt (Shanken, Life, S. 8f., S. 17, S. 321–354). Die Wahrnehmung eines Werks hängt immer auch von den jeweiligen Rezipient:innen ab (ebd., S. 22, S. 27, S. 97). An manchen Tagen laufen wir gleichgültig an einem Denkmal vorbei, an anderen suchen wir es vielleicht ganz bewusst auf. Es kann als Treffpunkt dienen oder zur Orientierung im Stadtraum. Dabei verfehlt das Denkmal mitunter seine ursprünglich intendierte Funktion; funktionslos ist es dadurch aber nicht.
Trotz der meist starren Form ist die Bedeutung von Denkmälern nicht statisch (Shanken, Life, S. 15). Durch ihre Platzierung im öffentlichen Raum sind sie besonders anfällig für Veränderungen. Shanken zeigt, wie selbst durch minimale Eingriffe Bedeutungsverschiebungen entstehen (S. 61, S. 178), zumindest zeitweilig: Aufgeklebte Wackelaugen verleihen dem selbstzufriedenen Dichterfürsten eine ungewollte Komik; selbstgestrickte Kleidung auf bronzenem Leib entblößt die Absurdität weiblicher Nacktheit im öffentlichen Raum; und eine Gruppe erschöpfter, hungriger Tourist:innen, die die Stufen eines Denkmals für einen ihnen gleichgültigen General als Rückenlehne und Picknickplatz nutzt, beraubt es damit seines Anspruchs auf ernsthafte Ehrerbietung. Aber all diese, von den Denkmalsetzer:innen wohl kaum beabsichtigten Nutzungen laden auch zum steten (Neu-)Sehen der Werke ein.
Mitunter verschiebt oder verliert sich die Bedeutung von Denkmälern, wenn sie im Zuge von Urbanisierungsprozessen umplatziert oder ihnen andere Werke zur Seite gestellt werden. Shanken testet Begriffe wie „Musters“, „Clusters“, „Groupings“, um diese Bedeutungsverschiebung durch Ansammlung zu verstehen, und vergleicht die Wirkung mit derjenigen eines Eintopfs (S. 175, S. 233): Aus den einzelnen Zutaten entsteht etwas Neues. Der Autor veranschaulicht, dass die Bedeutung von Denkmälern niemals fixiert ist (S. 257), auch weil die Wahrnehmung von und das Verhalten an diesen Zeichensetzungen sich ständig ändern. Zeitlichkeit und Wertewandel sind die wichtigsten Parameter für Neuinterpretationen von Denkmälern. Monumente, die heute als toxisch empfunden werden – wie diejenigen zu Ehren von Christoph Kolumbus – waren einst Selbstermächtigungsprojekte: Die von anderen Weißen als minderwertig angesehenen Italiener versuchten ihren Anspruch auf Anerkennung einzufordern und ihre Verbundenheit mit den USA zu demonstrieren (Thompson, Statues, S. 103ff.). Damals spielte es keine Rolle, dass der „Entdecker“ bewohntes Land vereinnahmte. Proteste gegen die zahlreichen Kolumbus-Denkmäler gab es dann aber schon seit den 1970er-Jahren. Erst in jüngster Zeit kam es zu Konsequenzen – einige dieser umstrittenen Statuen wurden entfernt, wie in Chicago und San Francisco im Jahre 2020.
Denkmalverständnis heute: Globale Verflechtungen und Dissens als Denkmalfunktion
Denkmäler dienten immer wieder dazu, entstehende Nationalstaatlichkeit zu illustrieren und zu festigen. Die seit eh und je existierenden globalen Verflechtungen in der Denkmalkultur wurden dabei oft übersehen. Georg Kreis schildert (in Brückle / Mader / Polzer, Gegenwart), wie sehr sich das nationale Denkmalschaffen in der Schweiz schon immer an internationalen Entwicklungen in der Kunst orientierte und auf transnationalen Kooperationen beruhte, vor allem was international tätige Künstler betraf. Thompson erinnert daran, dass die Denkmalproduktion in den USA jahrzehntelang auf den (kostspieligen) Import von kunsthandwerklichem Können aus Europa angewiesen war. Besonders relevant für die aktuellen Denkmaldebatten sind Izabel Barrosʼ Reflexionen. Sie verweist darauf, dass durch Denkmäler geehrte Persönlichkeiten Teil einer globalen Geschichte waren (wie Kolumbus oder Colston) und dass der Umgang mit dieser Geschichte daher nicht bloß national oder lokal gedacht werden kann. Sie plädiert dafür, „eine globale Geschichte global zu erzählen und eine verstrickte Geschichte verstrickt zu erzählen“. Dabei geht es nicht nur darum, nicht-weiße Menschen an Aufarbeitungsprozessen teilhaben zu lassen, sondern nicht-europäische Wissenschaftler:innen in Forschungen und Debatten einzubinden (Brückle / Mader / Polzer, Gegenwart, S. 223). Es geht um Mehrstimmigkeit, die zu weiteren Nuancen beiträgt, jenseits der etablierten Standarderzählung. Dabei ist die Entfernung als toxisch geltender Denkmäler nur der Anfang. Der breitere Anspruch ist es, die globalen Ungerechtigkeiten, die als Folge des Kolonialismus weiter bestehen, transnational wiedergutzumachen.5
Die von Wolfgang Brückle, Rachel Mader und Brita Polzer herausgegebene Anthologie „Die Gegenwart des Denkmals“ zeichnet sich durch ihren kunsthistorischen Schwerpunkt aus. Die spannendsten Beiträge finden sich unter den Überschriften „Kritik, Teilhabe und Kampf um Repräsentation“ sowie „Zentralität und Dezentralität“. Franz Krähenbühl zeigt, dass Denkmäler auch in gegenwärtigen Demokratien instrumentalisiert werden können, etwa zur Imageaufbesserung und zu nationaler Selbstvermarktung. Aufschlussreich ist auch ein Beitrag Brita Polzers, der sich der Rolle von Denkmälern in der Literatur widmet (S. 446ff.). Weitere solcher Streifzüge, vielleicht zu Denkmälern in Spiel- und Reklamefilmen, wären künftig wünschenswert, um das Wirken von Monumenten auch jenseits des im traditionellen Sinn „öffentlichen Raums“ zu verstehen.
Insgesamt veranschaulicht die Anthologie, wie sehr sich unsere Annahmen davon, was ein Denkmal ist, wie es aussieht, wer es errichtet, wie es wirkt und rezipiert wird, gewandelt haben. Weder ist das heutige Denkmal an genretypische Materialien gebunden (Granit, Marmor, Bronze) noch ist es notwendigerweise auf Dauer im öffentlichen Raum angelegt. Von Interesse ist zudem nicht nur das Werk selbst, sondern ebenso dessen aktive Nutzung sowie das Nachleben, auch in den von ihm ausgehenden Spinn-Offs.
In einem weiteren Beitrag bietet Brita Polzer einen historischen Abriss über die Entstehung und Eigenschaften des für das Genre so einflussreichen Gegendenkmals. Ihr Artikel zeigt anhand von sieben Fallbeispielen, wie sich durch die dialogische Gegenüberstellung von Denkmal und Gegendenkmal ein „im öffentlichen Raum materialisierte[s] Streitgespräch“ ergibt (Brückle / Mader / Polzer, Gegenwart, S. 166). Gegendenkmäler sind hier weit gefasst und schließen künstlerische Interventionen wie temporäre Lichtprojektionen mit ein. Es geht Polzer vor allem um das dieser Gattung zugrundeliegende Prinzip des Einschreibens von Gegenbotschaften, das Konfrontieren der sichtbar aufgestellten These mit einer Gegenposition. Durch diese kritische Befragung wird etwas Neues erzeugt und gesellschaftliches Umdenken angeregt (S. 185).
Verena Krieger widmet sich dem jungen Genre des dezentralen Denkmals, das sich durch den Aufruf zur Beteiligung, Recherchearbeit und Engagement auszeichnet. Das dezentrale Denkmal ist eine Form des kritisch-reflexiven Denkmals, das sich seit den 1980er-Jahren herausgebildet hat (Brückle / Mader / Polzer, Gegenwart, S. 258). Kriegers Beitrag veranschaulicht die Erneuerung des Genres, die aus dem Bemühen resultierte, sich insbesondere mit den nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen angemessen auseinanderzusetzen (S. 256). Dadurch hat sich das Genre radikal revitalisiert und demokratisiert. Denkmäler wollen nun vor allem Denkanstöße bieten statt festgefügte Botschaften verbreiten.6 Diese Überlegungen sind nicht unbedingt neu, aber in Anbetracht dessen, dass Denkmalvorstellungen hartnäckig vom omnipräsenten bürgerlichen Denkmal geprägt sind, weiter nötig.
Anhaltende Denkmalskepsis versus Plädoyers für weitere Denkmalsetzungen: Formwille und Wirkungsmacht von Denkmälern
Nach der Lektüre dieser spannenden Beiträge verwundern die in den Publikationen wiederholt geäußerten Zweifel, ob es überhaupt (noch) sinnvoll ist, Denkmäler zu errichten (Thompson, Statues, S. 23). Christina Schröer glaubt nicht an das Denkmal als Medium des Aufbruchs in eine pluralistische Gesellschaft, und Philip Ursprung behauptet gar, das Genre stelle kein dringendes Anliegen in der gegenwärtigen Kunstproduktion dar; er ist überzeugt: Die goldene Zeit der Denkmalskulptur sei vorbei (Brückle / Mader / Polzer, Gegenwart, S. 368, S. 402). So herrscht weiter Unsicherheit, ob Denkmäler sich durch die Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte erneuert oder an Relevanz verloren haben (Shanken, Life, S. 51).
Allen wiederholt geäußerten Untergangszenarien zum Trotz: Das Genre hat immer wieder eine erstaunliche Resilienz und Innovationsfähigkeit bewiesen. Dass das nicht für die Mehrheit der Denkmäler zutrifft, hängt mit ihren Produktionsbedingungen und ihrer Funktionsgebundenheit zusammen, aber auch damit, dass sich das Genre stets aufs Neue gegen allzu eng gefasste Denkmalkonventionen und eine prinzipielle Denkmalskepsis behaupten muss. Das ist ermüdend. Viele Beispiele (gerade auch in Brückle / Mader / Polzer, Gegenwart) beweisen die Lebendigkeit des Denkmals als Repräsentations- und Reflexionsform. Es mag am wiederholten Missbrauch des Genres liegen, der eine gebetsmühlenartige Wiederholung akademischer Distanzierung verlangt. Solche Litanei steht im Widerspruch zu den vielen interessanten Beispielen jüngerer Denkmalproduktion. Eine andere Auswahl hätte noch eher davon überzeugen können, dass vom gegenwärtigen Denkmalschaffen gesellschaftlich relevante und emanzipatorische Impulse ausgehen. Progressive und künstlerisch überzeugende Lösungen existieren durchaus.7
Denkmäler regen auf und regen an, aber sie stellen eben immer auch Versuche dar, sich in einer widersprüchlichen und stets veränderlichen Welt zurechtzufinden (Shanken, Life, S. 352). Vielleicht plädieren auch deshalb die meisten Autor:innen trotz aller Skepsis für weitere Denkmalsetzungen. Nur Thompson gibt zu bedenken, dass gerade die Leere nach einer Denkmalentfernung eine Chance sein kann – eine Auszeit, die Gelegenheit bietet zu überdenken, welche Art von Denkmal von wem zu welchem Zweck gebraucht wird. Tatsächlich ist es sinnvoll, wenn dem Durcharbeiten des Stadtraums Zeit gegeben wird. Welch fatale Folgen es hat, Unsummen in ein allzu rasches Make-over (hier allerdings nicht in demokratischer Absicht) zu investieren, zeigt Susanne Hefti am Beispiel „Skopje 2014“ (in Brückle / Mader / Polzer, Gegenwart).
Denkmäler waren seit Thomas Nipperdey, Reinhart Koselleck und anderen lange Gegenstand historischer Forschung. Nun erhalten sie – ähnlich wie zur Zeit des „Gegendenkmals“ Ende der 1980er-Jahre – wieder verstärkt die Aufmerksamkeit der Kunstwissenschaft. Zunehmend wird das Denkmal nicht nur als Ausdruck der Ideengeschichte gelesen, sondern auch auf seine Ästhetik und seine Wirkungsmacht hin untersucht. Neben der Analyse von Formensprache, Materialwahl und Aufstellungsort rücken das körperliche Erfahren, die Interaktion mit dem Denkmal und die Aktionen an ihm in den Mittelpunkt des Interesses. Gleichzeitig wächst das Bewusstsein, dass klassische (kunst-)historische Methoden nicht ausreichen, die Wirkungsmacht von Denkmälern angemessen zu fassen.
Forschen und Schreiben über Denkmäler
Bereits 1916 stellte sich der Intellektuelle, Journalist und Aktivist Freeman H.M. Murray die Frage, wie Menschen auf die Konföderierten-Denkmäler reagierten (Thompson, Statues, S. 60f.). Das Schreiben über Denkmäler geschieht aber meist weiter vom Schreibtisch aus. Doch wer die Wirkungsmacht von Denkmälern erforschen will, muss vor Ort sein und die lokalen Bedingungen studieren. Harriet Senie wies 2008 darauf hin, dass wir eigentlich sehr wenig darüber wissen, wie Kunst im öffentlichen Raum tatsächlich wahrgenommen wird. Meist wird über sie erst geschrieben, wenn sie Gegenstand eines Skandals, von Vandalismus oder Denkmalsturz geworden ist.8 Im Hinblick auf die hohen Erwartungen, die an das Genre geknüpft werden, sollten wir auch Zeit dafür investieren, zu untersuchen, ob sich diese Erwartungen erfüllen oder was dem im Wege steht.
Um zu aussagekräftigen Urteilen darüber zu kommen, wie Menschen Denkmäler in ihrem Alltag wahrnehmen und was sie ihnen bedeuten, bedarf es empirischer Rezeptionsstudien. Anekdotische Betrachtungen reichen nicht aus. Rezeptionsstudien werden aber weiter gescheut. Sie sind zeitaufwendig und nicht Gegenstand kunstwissenschaftlicher Ausbildung. Wohlgemeinte ethische Auflagen und GDPR-Anforderungen (General Data Protection Regulation) machen solche Studien zunehmend schwierig. Schon die Abbildung von Interaktion an öffentlichen Denkmälern kann dem individuellen Recht widersprechen, nicht abgebildet zu werden (Shanken, Life, S. 208). Denkmäler sind aber eben mehr als nur ästhetische Zeichensetzungen. Wie kann ihr vielfältiger Gebrauch belegt werden, wenn die fotografische Dokumentation eingeschränkt ist? Die Suche nach angemessenen Methoden sollte fortgesetzt werden.9
Durch ihre Platzierung im öffentlichen Raum gehen Denkmäler potentiell alle Menschen an. Das trifft insbesondere für demokratische Gesellschaften zu. Wenn Denkmäler außerdem mit Steuergeld finanziert werden, wird die Frage noch dringlicher, wie über Kunst im öffentlichen Raum geschrieben wird und an wen sich diese Publikationen richten. Nach über 1.500 Seiten Lektüre fällt auf, dass die hier vorgestellten Bücher fast alle kürzer hätten ausfallen können. Sie richten sich in erster Linie an ein Fachpublikum, und die ansprechenden Buchtitel treffen leider oft nicht den Inhalt.
Letzteres trifft vor allem auf Mechtild Widrichs „Monumental Cares“ zu. Wie bereits ihr früheres Buch „Performative Monuments“ (2014) weckt auch der Haupttitel des neuen Bandes Erwartungen, die dann nicht erfüllt werden. Während Widrichs erstes Buch weniger performative Denkmäler behandelt als vielmehr darstellt – und das sehr überzeugend –, wie Performancekunst das Genre Denkmal nachhaltig beeinflusst hat, lässt der Titel des neuen Buches vermuten, dass es darum geht, wie Denkmäler in Gebrauch genommen werden, welche Öffentlichkeiten an Denkmälern interessiert sind, welche Bedeutungen ihnen zukommen, welche Rolle sie in unseren Gesellschaften spielen, wer sie pflegt und welche Interessen an ihnen ausgehandelt werden. In erster Linie untersucht die Autorin dann aber, ob es Künstler:innen gelingt, sich dem zu stellen, was uns heute als monumental erscheint, im Sinne von überwältigend – wie den großen Krisen der Gegenwart (Kriege, Flucht, Klimawandel). Widrich vertieft das Thema ihres ersten Buches und will verstehen, wie sich die Kunst entwickelt hat. Schwerpunkt ist nun die Frage, was „Öffentlichkeit“ in einer veränderten Mediengesellschaft meint und wie sich verschiedene künstlerische Praktiken mit geschichtlichen Ereignissen auseinandersetzen, diese materialisieren und zur Diskussion stellen. Widrich zufolge soll das dazu beitragen, die Bedingungen zeitgenössischer Denkmäler besser zu verstehen (S. 6).
Doch entgegen der Ankündigung, dass Denkmäler die Hauptrolle spielen und der Fokus auf der Gegenwart liegt (S. 14), geht es vor allem erneut um Performancekunst; der zeitliche Rahmen erstreckt sich bis in die 1950er-Jahre zurück. Insgesamt ist das Buch, auch rein sprachlich, schwer zugänglich. Wer sich dennoch auf die theorielastigen gut 200 Seiten einlässt, erhält ein paar wichtige Anregungen, etwa zur Frage, inwieweit sich heutige Wirklichkeit und durch Mobiltelefone vermittelte Wahrnehmungen dieser Wirklichkeit überlappen (S. 33f.). Physische und virtuelle Räume sind kaum mehr voneinander zu trennen (S. 44). Das Nachleben der Denkmäler erreicht erst durch die Vervielfältigung in den Social Media seine große Reichweite (S. 1, S. 5f.). Für Leser:innen, die genuin am Thema Denkmal interessiert sind, lohnt sich das (leider sehr kurze) Schlusskapitel. Dort werden die Erwartungen, die der Buchtitel weckt, am ehesten getroffen. Es ist zu hoffen, dass damit der Grundstein für ein weiteres Buch gelegt wurde.
Die anderen hier ausgewählten Publikationen reflektieren mehr oder weniger deutlich, wie ein Neudenken von Denkmälern auch ein anderes Schreiben über sie nach sich ziehen sollte. Ohne Zweifel wird der Sammelband von Brückle, Mader und Polzer seinem Anspruch gerecht, zum Verständnis der vielfältigen Aufgaben und Funktionen von Denkmälern, sowohl historisch wie gegenwärtig, beizutragen (S. 19). Die Anthologie enthält relevante Epochenüberblicke (wie von Georg Kreis, einem versierten Kenner der Schweizer Denkmalgeschichte, oder von Christina Schröer zu Denkmalsturz und Denkmalfeier in der Französischen Revolution), aber auch kürzere Artikel. Das funktioniert, doch zum assoziativen Schreiben wird hier nicht eingeladen.
Erin Thompson, Professorin für Kunstkriminalität, wendet sich direkt an die Leser:innen. Sie beginnt mit einem Fallbeispiel, das sich wie ein kleiner Krimi liest. Auch Andrew M. Shanken (dessen Buch eigentlich aus zweien besteht; hier unerwähnt blieb sein Interesse daran, wie das Verhältnis zum Tod auch das Denkmalschaffen prägte) versucht, den trockenen akademischen Ton zu vermeiden. Mitunter wirkt das etwas zu verspielt und langatmig. Aber wenn er zeigt, dass die durch Stau erzwungene Nahsicht eines auf eine Verkehrsinsel ausgelagerten Denkmals dessen erzwungene Trivialität begrübeln lässt, wird das Buch zum reinen Lesevergnügen (Shanken, Life, S. 157).
Anmerkungen:
1 Zur dortigen Übergangszeit siehe Sabine Marschall, Landscape of Memory. Commemorative Monuments, Memorials and Public Statuary in Post-Apartheid South Africa, Leiden 2010.
2 So argumentiert auch Susan Neiman, Learning from the Germans. Race and the Memory of Evil, London 2019; dt.: Von den Deutschen lernen. Wie Gesellschaften mit dem Bösen in ihrer Geschichte umgehen können, übersetzt aus dem Englischen von Christiana Goldmann, München 2020.
3 Der Band ist auch im Open Access zugänglich: https://www.diaphanes.net/titel/die-gegenwart-des-denkmals-7067 (01.02.2024).
4 Karen L. Cox, No Common Ground. Confederate Monuments and the Ongoing Fight for Racial Justice, Chapel Hill 2021, S. 9, S. 21f.
5 Auch Cox, No Common Ground, S. 4, sieht in den US-amerikanischen Denkmalstreitigkeiten nur einen ersten Schritt hin zu einer gerechteren Gesellschaft.
6 Christoph Heinrich, Strategien des Erinnerns. Der veränderte Denkmalbegriff in der Kunst der achtziger Jahre, München 1993, S. 162.
7 Siehe etwa Anna Louise Manly (Hrsg.), POWER MEMORY PEOPLE – Memorials of Today. Exhibition Catalogue, Køge 2015; Paul M. Farber / Kim Lum (Hrsg.), Monument Lab. Creative Speculations for Philadelphia, Philadelphia 2020; Annika Enqvist u. a. (Hrsg.), Public Memory, Public Art. Reflections on Monuments and Memorial Art Today, Stockholm 2022.
8 Harriet F. Senie, Reframing Public Art. Audience Use, Interpretation, and Appreciation, in: Andrew McClellan (Hrsg.), Art and its Publics. Museum Studies at the Millennium, Malden 2003, S. 185–200.
9 Hier nur zwei Beispiele: Danielle Drozdzewski / Carolyn Birdsall (Hrsg.), Doing Memory Research. New Methods and Approaches, Singapore 2019; Diana I. Popescu, Visitor Experience at Holocaust Memorials and Museums, London 2023.