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Abstract
Hintergrund: Bei der Behandlung von psychischen Erkrankungen wie depressiven Störungen verbleibt eine Großzahl an Patient*innen in der hausärztlichen Versorgung. Während viele Patient*innen dort angemessen versorgt werden können, bestehen bei denjenigen, die eine spezialisierte Behandlung benötigen, erhebliche Defizite beim Übergang zu einer psychotherapeutischen Behandlung. Gründe sind ein erschwerter Zugang aufgrund von langen Wartezeiten, eine, insbesondere in ländlichen Regionen, geringe Psychotherapeut*innendichte, Stigmatisierungsängste und Vorbehalte gegenüber psychotherapeutischer Behandlung. Integrierte Versorgungsmodelle haben das Potenzial, die Lücke zwischen hausärztlicher und psychotherapeutischer Versorgung zu verringern, sind aber häufig aufgrund der zusätzlich erforderlichen Ressourcen in kleinen Hausarztpraxen nicht umsetzbar. Durch den Einsatz von Videokonsultationen durch Psychotherapeut*innen können Patient*innen innerhalb ihrer Hausarztpraxis niederschwellig behandelt werden, unabhängig davon, wo sich die*der Psychotherapeut*in befindet. Die Evidenz zur Wirksamkeit ergibt sich hauptsächlich aus Studien aus den USA und speziellen Settings, wodurch die Ergebnisse nur schwer auf andere Gesundheitssysteme wie bspw. in Deutschland bzw. Europa übertragbar sind. Dieses Dissertationsprojekt hat zum Ziel, die Wirksamkeit eines integrierten videogestützten Versorgungsmodells hinsichtlich der gesundheitsbezogenen Lebensqualität von Hausarztpatient*innen mit depressiven Störungen im Vergleich mit der Routineversorgung zu untersuchen. Material und Methoden: Um an der Studie teilnehmen zu können, mussten Hausarztpraxen Räumlichkeiten, die eine ungestörte Durchführung von Videokonsultationen gewährleisteten, und eine ausreichende und stabile Internetverbindung vorweisen. Nach dem klinischen Urteil der Hausärzt*innen befragten diese passend erscheinende volljährige Patient*innen im Rahmen der üblichen Sprechstunde nach ihrem Studieninteresse. Interessierte Patient*innen wurden anschließend per standardisiertem Telefoninterview hinsichtlich der Ein- und Ausschlusskriterien untersucht. Einschlusskriterium war eine mindestens moderate depressive Störung (gemessen mithilfe des Patient Health Questionnaire-9). Ausschlusskriterien waren u.a. Anzeichen dafür, sich selbst oder anderen Gewalt anzutun, psychotische Symptome und der dringende Bedarf nach notfallärztlicher Versorgung. Eingeschlossene Proband*innen wurden in einem 1:1-Verhältnis randomisiert und entweder der Interventions- oder der Kontrollgruppe zugeordnet. Die Intervention bestand aus fünf Videokonsultationen á 50 Minuten innerhalb von ca. drei Monaten mit mindestens in weit fortgeschrittener Ausbildung befindlichen oder approbierten Psychotherapeut*innen. Die Kontrollbedingung war die psychosoziale Routineversorgung durch die Hausarztpraxis und jede weitere Behandlungsmöglichkeit. Zu zwei Messzeitpunkten (direkt vor der Randomisierung und sechs Monate nach der Randomisierung) füllten die Proband*innen Fragebögen entweder schriftlich, online oder per Telefoninterview aus. Primäre Zielgröße war die Skala der Psychischen Gesundheit in dem Messinstrument zu gesundheitsbezogener Lebensqualität Short-Form-Health-Survey 12 (SF-12). Ergebnisse: Zwischen 24. März 2020 und 23. November 2021 nahmen 317 Hausarztpatient*innen aus 29 Hausarztpraxen mit einer mindestens moderaten depressiven Störung an der Studie teil, von denen 156 (49,2 %) der Interventionsbedingung und 161 (50,8 %) der Kontrollbedingung zugeordnet wurden. Im Mittel waren die Proband*innen 45,3 Jahre alt. Von 126 Proband*innen der Interventionsgruppe (81,1 %) und 114 Proband*innen der Kontrollgruppe (70,8 %) standen nach 6 Monaten Daten zur Verfügung. Der Unterschied der mittleren Veränderung der Psychischen Gesundheit als Komponente der gesundheitsbezogenen Lebensqualität im SF-12 war in der Interventionsgruppe statistisch signifikant höher als in der Kontrollgruppe und betrug ungefähr drei Punkte (b=3,01, p=0,020). Die Proband*innen berichteten keine ernsten negativen Effekte im Zusammenhang mit der Interventionsdurchführung. Diskussion: Das untersuchte Versorgungsmodell hat sich als wirksam erwiesen und war im Setting der Hausarztpraxen machbar und angemessen. Damit decken sich die vorliegenden Ergebnisse mit bisherigen Ergebnissen aus den wenigen Studien zu ähnlichen Modellen aus den USA. Diese Studie liefert wichtige Erkenntnisse für die Umsetzung und weitere Erforschung von videogestützten integrierten Versorgungsmodellen zur Überwindung von strukturellen Mängeln in der Versorgung von psychisch belasteten Patient*innen. Vergleichbare Modelle und ihr Anwendungsbereich sollten weiterentwickelt werden, um Patient*innen mit anderen schweren Erkrankungen oder speziellen Versorgungsbedürfnissen, wie bspw. zusätzliche Sprachkenntnisse, versorgen zu können. Außerdem sollte untersucht werden, welche speziellen Komponenten dieser Modelle sich als besonders wirkungsvoll erweisen. Politische Entscheidungsträger*innen sind angehalten, strukturelle Rahmenbedingungen anzupassen, um den Einsatz derartiger Modelle weiter zu fördern und die Versorgung damit flexibler, niederschwelliger, zeitgemäßer und effizienter zu gestalten.
Document type: | Dissertation |
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Supervisor: | Haun, PD Dr. med. Markus |
Place of Publication: | Heidelberg |
Date of thesis defense: | 9 October 2024 |
Date Deposited: | 24 Oct 2024 06:54 |
Date: | 2024 |
Faculties / Institutes: | Medizinische Fakultät Heidelberg > Psychosomatische Universitätsklinik |
DDC-classification: | 150 Psychology |
Controlled Keywords: | Psychosomatik, Hausarzt, Versorgung, Lebensqualität, Video |
Uncontrolled Keywords: | Versorgungsforschung, Videokonsultation, integrierte Versorgung |