-
Die Erfindung betrifft ein Fahrzeug mit den Merkmalen des Oberbegriffs des Anspruchs 1. Ferner betrifft die Erfindung ein Verfahren zum Lenken des Fahrzeugs.
-
Radselektive Traktionsantriebe ermöglichen durch gezieltes Verteilen der Antriebsleistung auf einzelne Räder eine Beeinflussung der Querdynamik des Fahrzeugs durch Variation vornehmlich längsdynamischer Größen. Durch die Nutzung radselektiver Traktionsantriebe an der gelenkten Achse eines Fahrzeugs kann ein Einlenken der Räder durch eine gezielte Einstellung von Differenzen der Antriebsleistung erzeugt werden.
-
Zu dieser Thematik sind die nachfolgenden Druckschriften bekannt: In der Druckschrift
DE 10 2009 025 058 A1 wird ein Kraftfahrzeug offenbart, welches eine Fahrzeuglenkung mit mechanisch bedingter Lenkübersetzung sowie mindestens eine Vorrichtung zur Verteilung eines Antriebsdrehmoments auf die Räder einer angetriebenen Fahrzeugachse gemäß einem vorgebbaren Verteilungssollwert umfasst. Weiterhin ist ein Steuergerät vorgesehen, welches im Linearbereich der Querdynamik, in dem sich ein Normalfahrer üblicherweise bewegt, in Abhängigkeit von Signalen am Fahrzeug befindlicher Sensoren sowie im Steuergerät abgelegter Algorithmen den Verteilungssollwert derart ermittelt, dass einem über die Fahrzeuglenkung erzeugten Giermoment ein durch die mindestens eine Vorrichtung zur Verteilung eines Antriebsdrehmoments erzeugtes zusätzliches Giermoment überlagert wird. Hierdurch lässt sich die Wirkung einer direkten, indirekten oder variablen Lenkübersetzung erzielen.
-
In der gattungsbildenden Druckschrift
DE 10 2007 043 599 A1 wird bei einem Verfahren zur Durchführung eines Lenkvorganges in einem Fahrzeug vom Fahrer ein Lenkwinkel vorgegeben, der über ein Lenksystem in einen Radlenkwinkel umgesetzt wird. Mittels eines Zusatzaktuators wird eine Momentenverteilung zwischen mindestens einem linken und einem rechten Fahrzeugrad durchgeführt. Über die Momentenverteilung wird eine veränderliche Lenkübersetzung realisiert, indem über die Lenkwirkung des Zusatzaktuators auf die Fahrzeugbewegung dem vom Fahrer vorgegebenen Lenkwinkel ein Zusatzlenkwinkel überlagert wird.
-
In der Druckschrift
DE 10 2008 001 136 A1 wird ein Verfahren zum Betätigen eines Lenkaktuators in einem Fahrzeug mit einer einstellbaren Kupplung vorgestellt, die eine variable Verteilung des Antriebsdrehmoments zwischen einem linken und einem rechten Rad ermöglicht. Gemäß der Druckschrift wird der Lenkaktuator abhängig von der Kupplungseinstellung derart geregelt, dass ein durch eine Änderung der Momentenverteilung verursachtes, auf die Lenkung wirkendes Moment wenigstens teilweise kompensiert wird.
-
Es ist Aufgabe der vorliegenden Erfindung ein Fahrzeug und ein Verfahren zum Lenken des Fahrzeugs vorzuschlagen, welche ein verbessertes Lenkverhalten ermöglichen. Diese Aufgabe wird durch ein Fahrzeug mit den Merkmalen des Anspruchs 1 sowie durch ein Verfahren mit den Merkmalen des Anspruchs 9 gelöst. Bevorzugt oder vorteilhafte Ausführungsformen der Erfindung ergeben sich aus den Unteransprüchen.
-
Gegenstand der Erfindung ist ein Fahrzeug. Das Fahrzeug ist beispielsweise als ein Personenkraftwagen, Lastkraftwagen, Bus etc. ausgebildet. Vorzugsweise ist das Fahrzeug zweiachsig und/oder zweispurig ausgebildet.
-
Das Fahrzeug weist eine Lenkachse, vorzugsweise ausgebildet als eine Vorderachse auf. Ferner umfasst das Fahrzeug eine Lenkeinrichtung zum Lenken der Lenkachse. Über die Lenkeinrichtung ist ein Lenkradwinkel durch einen Fahrer oder einen Lenkaktor eingebbar. Beispielsweise weist die Lenkeinrichtung ein Lenkrad auf, welches von dem Fahrer gedreht werden kann. Durch die Eingabe eines Lenkradwinkels erfolgt ein Einschlagwinkel, insbesondere Lenkwinkel, der Räder um die Lenkachse.
-
Die Lenkung des Fahrzeuges über die Lenkeinrichtung ermöglicht dem Fahrer, Einfluss auf die Querdynamik des Fahrzeuges zu nehmen und so das Fahrzeug in die gewünschte Richtung zu steuern. Der Fahrerwunsch wird durch Drehen des Lenkrades oder der Mensch-Maschinen-Schnittstelle zur Eingabe eines Lenkbefehls in Form des Lenkradwinkels deltaH an die Lenkeinrichtung übergeben, wobei der Fahrer ein Lenkmoment (MH) aufzubringen hat.
-
Das Fahrzeug weist optional eine Lenkkrafteinrichtung, insbesondere Lenkkraftunterstützungseinrichtung (LKU), sowie optional ein erstes Lenkkraftmodul zum Ansteuern der Lenkkrafteinrichtung auf. Das Lenkkraftmodul kann als ein Softwaremodul, ein Hardwaremodul oder als eine Kombination davon ausgebildet sein.
-
Bei dem Fahrzeug mit der Lenkkrafteinrichtung wird das Lenkmoment durch einen Aktor reduziert, um dem Fahrer ein komfortables Lenken zu ermöglichen. Z.B. ist vorgesehen, dass die Lenksäule die Bewegung zum Lenkgetriebe überträgt. Dort wird die rotative Bewegung der Lenksäule in eine translatorische Bewegung der Spurstangen überführt. Diese übertragen die Bewegung auf die Radträger, welche eine Rotation (Lenkwinkel delta oder Einschlagwinkel delta) um die jeweilige Lenkachse ausführen.
-
Das Übersetzungsverhältnis zwischen Lenkradwinkel delta
H und Einschlagwinkel delta der Räder wird kinematische Lenkübersetzung
genannt. Sie bestimmt zum einen den notwendigen Lenkradwinkel, der für einen gewissen Einschlag der Räder erforderlich ist, zum anderen beeinflusst sie aber auch, wie stark die an den Rädern anliegenden Kräfte auf das Lenkrad übertragen werden. Bei eingeschlagener Lenkung eines fahrenden Fahrzeuges bauen sich am Reifen-Fahrbahn-Kontakt Kräfte auf, die die Querbewegung des Fahrzeuges beeinflussen.
-
Die Summe der am Rad angreifenden Querkräfte wirkt in Form einer Seitenkraft und zusammen mit den Längskräften als Giermoment (Moment um die Hochachse) auf den Fahrzeugaufbau, wodurch eine Drehung des Fahrzeuges um die Hochachse ermöglicht wird.
-
Im Folgenden werden die Kräfte betrachtet, die am Reifen-Fahrbahn-Kontakt angreifen und über Radträger, Spurstangen und Lenkgetriebe das Lenkradmoment erzeugen. Die Kräfte und ihre Angriffspunkte am Rad werden hier als gegeben betrachtet. Für eine detailliertere Betrachtung des Kraftaufbaus an der Reifenkontaktfläche wird auf die Literatur verwiesen.
-
In der 1 sind schematisch ein linkes Vorderrad mit ausgewählten Aufhängungspunkten und Komponenten des Fahrwerks dargestellt, sowie die Kräfte, die an der Reifenaufstandsfläche (Latsch) angreifen. Die Kräfte lassen sich in die Komponenten FW,X (Antriebs- bzw. Bremskraft), FW,Y (Seitenkraft) und FW,Z (Radlast) zerlegen. Mit den sich ergebenden Hebelarmen um die Lenkachse (Achse zwischen Punkten E und G) erhält man für jeden Kraftvektor ein resultierendes Moment. Die Summe dieser Momente (beider Räder) ergeben das Lenkmoment.
-
Bei herkömmlichen Antriebskonzepten, bei denen die Antriebsdrehmomente an beiden Rädern gleich groß sind, hat gemäß z.B. Pfeffer & Harrer, 2013 die Seitenkraft FW,Y den größten Einfluss auf das Lenkmoment. Die Rückstellwirkung durch die Radlast Fw,z fällt dagegen gering aus (insbesondere bei schneller Kurvenfahrt) und wird hier nicht weiter betrachtet. Entscheidend für das umgesetzte Konzept der Lenkkraftunterstützung ist die Wirkung der Antriebs- bzw. Bremskraft Fw,x auf das Lenkmoment. Im Folgenden wird deshalb betrachtet, wie sich das Lenkmoment aus den beiden Komponenten FW,Y und Fw,x rechnerisch bestimmen lässt.
-
Wie in der 1 gezeigt, greift die Kraft Fw,x im Punkt W an und steht senkrecht zur YZ-Ebene. Um den Einfluss auf das Moment um die Lenkachse zu ermitteln, wird davon ausgegangen, dass das Antriebsdrehmoment im Fahrzeugaufbau (und nicht im Radträger) abgestützt ist und über eine Gelenkwelle auf die Achse des Rades übertragen wird. Dies ist bei bevorzugt verwendeten, innenliegenden Antrieben der Fall, zu denen die konventionellen Antriebsstränge und die radnahen Antriebe gehören. Da das Rad nur im Radlager Kräfte auf den Radträger übertragen kann, verschiebt man zur Berechnung des Momentes die Kraft Fw,x in den Mittelpunkt des Rades. Der Störkrafthebelarm ra, der senkrecht auf der Lenkachse steht, stellt damit den wirksamen Hebelarm dar, mit dem die Kraft Fw,x ein Moment um die Lenkachse erzeugt.
-
Hier wird im Folgenden modellhaft von kleinen Spreizungs- und Nachlaufwinkeln ausgegangen. Damit ergeben sich folgende Zusammenhänge zwischen der Antriebs- bzw. Bremskraft Fw,x und den dazugehörigen Komponenten des Lenkmomentes MA,a/b:
-
Die Seitenkraft F
W,Y greift nicht im Punkt W, sondern in einem um den Reifennachlauf r
τ,T verschobenen Punkt. Daraus ergibt sich folgender Zusammenhang für die von der Seitenkraft induzierte Komponente des Lenkmoments Ms:
-
Beim Konzept einer Lenkkraftunterstützung mittels radselektiver Antriebe wird das Lenkradmoment dadurch reduziert, dass das Antriebsdrehmoment in geeigneter Weise auf die beiden Räder der gelenkten Achse verteilt wird. Bei der folgenden Herleitung wird zum Zwecke einer anschaulicheren Betrachtung davon ausgegangen, dass der Spreizungswinkel und der Nachlaufwinkel 0° betragen, die Nachlaufstrecke rτ und die Lenkübersetzung is konstant sind und der Lenkwinkel beider Räder identisch ist.
-
Beim Durchfahren einer Linkskurve ergeben sich die in
2 links dargestellten Kräfte auf das Lenksystem. Das Antriebsdrehmoment wird gleichmäßig auf beide Räder verteilt, wodurch an jedem Rad die Antriebskraft F
A,l=F
A,r anliegt. Bei der Kurvenfahrt bauen sich die Seitenkräfte F
S,l und F
S,r auf. Für das Lenkradmoment erhält man unter diesen Bedingungen:
bei gleichmäßig verteiltem Antriebsmoment
-
Die beiden Seitenkräfte tragen jeweils mit gleichem Vorzeichen zum Gesamtmoment bei, wohingegen die Antriebskräfte eine positive und eine negative Komponente ergeben. Bei gleichmäßiger Verteilung der Antriebskräfte hebt sich deren Wirkung gegenseitig auf. An dieser Stelle knüpft das Konzept einer Lenkkraftunterstützung mittels radselektiver Antriebe an. Durch Verlagerung des Antriebsdrehmomentes auf
bei Verlagerung des Antriebsdrehmomentes auf das rechte Rad das kurvenäußere Rad (
2, rechts) erzeugen die beiden Antriebskräfte ein Moment um die Lenkachse, welches dem Moment der Seitenkraft entgegenwirkt.
-
Die Umverteilung der Antriebsdrehmomente hat des Weiteren auch Einfluss auf die Fahrzeugquerdynamik, da die beiden Kraftvektoren FA,l und FA,r einen Beitrag zum Giermoment (Moment um die z-Achse des Fahrzeugs) leisten (siehe Torque Vectoring).
-
Torque Vectoring bezeichnet ein Verfahren, bei dem die Antriebsdrehmomentverteilung eines Fahrzeuges variabel an jedem Rad oder bspw. zwei an der Vorderachse vorgegeben werden kann, um damit entsprechend der Fahrsituation das Fahrzeugverhalten zu optimieren. Dies wird bei konventionellen Antrieben mit Verbrennungsmotor entweder über zwei regelbare Kupplungen oder über ein Überlagerungsgetriebe (Achsverteilergetriebe) umgesetzt.
-
Bei dem erfindungsgemäßen Fahrzeug mit einem radselektiven Antrieb, insbesondere mit radindividuellen elektrischen Antrieben, kann Torque Vectoring über das Ansteuern der einzelnen Radantriebe realisiert werden. Mittels Torque Vectoring wird die Fahrdynamik, insbesondere das Giermoment, beeinflusst, wodurch sich optional folgende Anwendungen ergeben:
- • Agilitätssteigerung (zusätzliches Giermoment zur Verbesserung des Einlenkverhaltens)
- • Gierdämpfung (stabilisierendes Giermoment, der Gierrate entgegengesetzt)
- • Erhöhung der Fahrsicherheit
- • Verbesserung des Komforts
-
Ein weiterer Effekt des Torque Vectorings ist die mögliche Reduktion des Lenkwinkelbedarfs in Abhängigkeit von der Querbeschleunigung. Neben dem Torque Vectoring stellt das „Elektronische Stabilitätsprogramm“ (ESP) eine weitere Möglichkeit der Fahrdynamikregelung dar. Beim ESP wird aber ausschließlich durch Abbremsen einzelner Räder das Giermoment beeinflusst. Torque Vectoring kann somit als Erweiterung der Fahrdynamikregelung für den Antriebszustand gesehen werden.
-
Bei einer Lenkkraftunterstützung mittels radselektivem Antrieb wird Torque Vectoring an der gelenkten Achse eingesetzt, wobei konventionell die Reduktion des Lenkradmomentes im Vordergrund steht. Die Beeinflussung des Giermoments ist dabei zwangsweise auch vorhanden, sodass oben genannte Effekte ebenfalls in Erscheinung treten können.
-
Die Lenkkrafteinrichtung dient dazu, das vom Fahrer aufzubringende Lenkradmoment auf ein gewünschtes Maß zu reduzieren. Vorzugsweise werden zwei Grundbauarten unterschieden, die alternativ verwendet werden können: die hydraulisch unterstützten Lenksysteme (HPS, hydraulic power steering) und die elektrisch unterstützten Lenksysteme (EPS, electric power steering), welche der Standard in aktuellen PKWs sind. Bei einer elektromechanischen Lenkungsanlage wird das Unterstützungsmoment der Lenkkrafteinrichtung durch einen Elektromotor bereitgestellt und je nach Bauart direkt an der Lenksäule oder im Lenkgetriebe eingeleitet. Das Lenkradmoment wird über einen Drehmomentsensor gemessen und an ein Steuergerät gemeldet. Dieses berechnet daraus das nötige Unterstützungsmoment, das der Elektromotor erzeugt und über ein Getriebe in das Lenksystem einleitet. Des Weiteren kann mit einem EPS-System über das Steuergerät auch eine Vielzahl an Zusatzfunktionen realisiert werden, die den Einsatz von modernen Fahrerassistenzsystemen ermöglichen (z. B. Parkassistent, Spurhalteassistent).
-
Optional ergänzend ist eine Überlagerungslenkung vorgesehen. Die Überlagerungslenkung verändert die Lenkübersetzung, indem sie zusätzlich zu dem vom Fahrer gestellten Lenkradwinkel in einem Überlagerungsgetriebe einen Stellwinkel einbringt, ohne den Lenkradwinkel zu verändern. Dadurch wird in Abhängigkeit vom Fahrzustand die Direktheit der Lenkung angepasst. Somit können ein stabiles, indirektes Lenkverhalten (große Lenkübersetzung) bei hohen Geschwindigkeiten und ein direktes, agiles Lenken (kleine Lenkübersetzung) bei Stadtfahrten und beim Einparken realisiert werden. Auch stabilisierende Lenkeingriffe der Assistenzsysteme sind ohne störende Rückmeldung an den Fahrer möglich. Die Überlagerungslenkung wird bevorzugt mit den zuvor beschriebenen Komponenten umgesetzt. In einigen Ausgestaltungen weist das Fahrzeug keine Überlagerungslenkung auf.
-
Das Fahrzeug weist einen ersten Antrieb auf, wobei der erste Antrieb eine radselektive Verteilung eines ersten Antriebsdrehmoments auf die Räder der Lenkachse ermöglicht. Somit ist es möglich einem Rad der Lenkachse ein größeres Antriebsdrehmoment als dem anderen Rad zuzuteilen. Die Verteilung erfolgt wahlweise mit einem Beschleunigen oder Abbremsen von den Rädern.
-
Ferner weist das Fahrzeug eine Antriebsachse mit einem zweiten Antrieb auf. Vorzugsweise ist die Antriebsachse als die Hinterachse ausgebildet. Der zweite Antrieb ermöglicht eine radselektive Verteilung eines zweiten Antriebsdrehmoments auf die Räder der Antriebsachse. Die Verteilung erfolgt wahlweise mit einem Beschleunigen oder Abbremsen von den Rädern.
-
Im Rahmen der Erfindung wird vorgeschlagen, dass der Antriebsstrang eine Steuereinrichtung aufweist, welche eine Aufnahme von Eingangsgrößen umsetzt. Beispielsweise weist die Steuereinrichtung eine entsprechende informationstechnische und/oder signaltechnische Schnittstelle zur Übernahme der Eingangsgrößen auf.
-
Die Eingangsgrößen sind als fahrdynamische Größen des Fahrzeugs ausgebildet. Die fahrdynamischen Größen ermöglichen eine Ermittlung einer Änderung einer gefühlten Lenkübersetzung (in Abgrenzung zur kinematischen Lenkübersetzung iS), wie diese beispielsweise durch den Einsatz von Torque vectoring etc. umgesetzt wird. Als Ausgangsgröße stellt die Steuereinrichtung eine Stellinformation zur Verfügung. Hierzu weist die Schnittsteuereinrichtung beispielsweise eine informationstechnische und/oder signaltechnische Schnittstelle auf. Die Ausgangsinformation ist eine Stelleninformation zur Verteilung des Antriebsdrehmoments des zweiten Antriebs auf die zwei Räder er Antriebsachse. Die Steuereinrichtung ist programmtechnisch und/oder schaltungstechnisch ausgebildet, die Ausgangsgröße, insbesondere Stellinformation, derart zu bestimmen, dass die Änderung der Lenkübersetzung verkleinert oder sogar vollständig kompensiert ist.
-
Es ist dabei eine Überlegung der Erfindung, dass durch die Änderung der Verteilung des Antriebsdrehmoments auf der Antriebsachse eine Kompensation von elastischen Verformungen in der Lenkeinrichtung und/oder hervorgerufen durch Torque Vectoring erfolgt. Eine Änderung der Lenkübersetzung kann somit abgeschwächt bzw. gänzlich vermieden werden.
-
Prinzipiell kann der radselektive Antrieb der Lenkachse und/oder der Antriebsachse zum Beispiel als zwei voneinander unabhängig ausgebildete, radnahe Antriebe ausgebildet sein. Es ist auch möglich, dass diese jeweils als ein Motor ausgebildet sind, wobei die radselektive Verteilung durch ein Getriebe erfolgt. Bei einer bevorzugten Ausgestaltung der Erfindung ist der radselektive Antrieb der Lenkachse und/oder der Antriebsachse als zwei Elektromotoren ausgebildet, wobei jedem der angetriebenen Räder ein Elektromotor zugeordnet ist. Insbesondere sind die Elektromotoren als radnahe Motoren, insbesondere Radnabenmotoren ausgebildet. In dieser Ausgestaltung sind keine konstruktiven Ergänzungen notwendig, um den radselektiven Antrieb erfindungsgemäß zu verwenden.
-
Bei einer besonders bevorzugten Ausgestaltung der Erfindung ist die Steuereinrichtung ausgebildet, die Ausgangsgröße so zu bestimmen, dass die Lenkübersetzung konstant ist. Insbesondere bildet eine Linie in einer Auftragung, die den Lenkradwinkel über den Einschlagwinkel beschreibt, eine Gerade.
-
Bei einer alternativen Ausgestaltung der Erfindung ist die Steuereinrichtung ausgebildet, die Ausgangsgröße so zu bestimmen, dass die Lenkübersetzung einem Sollwert nachgeführt wird. Dabei ist es möglich, dass der Sollwert sich beispielsweise in einer Abhängigkeit eine Geschwindigkeit des Fahrzeugs verändert.
-
Es ist besonders bevorzugt, dass die Steuereinrichtung ausgebildet ist, elastokinematische Effekte im Lenksystem zu kompensieren. Treten somit Effekte auf, welche zu einer Verformung des Lenksystems, insbesondere der Lenkachse und/oder der Lenkeinrichtung, führen, welche wiederum zu einer Änderung der Lenkübersetzung führen, so ist die Steuereinrichtung derart ausgelegt, dass die elastokinematischen Effekte im Lenksystem verkleinert oder vollständig kompensiert werden.
-
Bei einer Alternative oder Ergänzung der Erfindung ist vorgesehen, dass die Eingangsgrößen eine Änderung der Drehmomentverteilung bei den Rädern der Lenkachse umfasst. Eine derartige Änderung der Antriebsdrehmomentverteilung der Räder der Lenkachse ergibt sich beispielsweise bei dem zuvor genannten Torque Vectoring. Es ist vorgesehen, dass die Steuereinrichtung auf Basis der Änderung der Antriebsdrehmomentverteilung der Lenkachse die Ausgangsgröße ändert, um Änderungen bei der Lenkübersetzung zu verkleinern oder vollständig zu kompensieren.
-
Bei einer bevorzugten konstruktiven Ausgestaltung der Erfindung weist der Antriebsstrang eine Torque Vectoring Steuereinrichtung auf, wobei die Torque Vectoring Steuereinrichtung die Änderung der Antriebsdrehmomentverteilung in der Lenkachse ansteuert.
-
Es ist besonders bevorzugt vorgesehen, dass die Antriebsdrehmomentverteilung in der Antriebsachse gegengleich zu der Antriebsmomentverteilung in der Lenkachse ausgebildet ist. Diese gegengleiche Verteilung führt zu der Verkleinerung bzw. vollständigen Kompensation der Änderung der Lenkübersetzung. Eine gegengleiche Verteilung bedeutet, dass bei der einen Achse ein höheres Antriebsdrehmoment auf einer Fahrzeugseite und bei der anderen Achse ein höheres Antriebsdrehmoment auf der anderen Fahrzeugseite beaufschlagt wird.
-
Ein weiterer Gegenstand der Erfindung betrifft ein Verfahren zum Lenken des Fahrzeugs, wie dieses beschrieben wurde bzw. nach einem der vorhergehenden Ansprüche. Es ist vorgesehen, dass die Steuereinrichtung Eingangsgrößen aufnimmt, welche als fahrdynamische Größen des Fahrzeugs ausgebildet sind. Die Steuereinrichtung bestimmt auf Basis der Eingangsgrößen eine Ausgangsgröße, welche als eine Stellinformation zur Verteilung des Antriebsdrehmoments des zweiten Antriebs ausgebildet ist. Die Steuereinrichtung ermittelt die Ausgangsgröße derart, dass die Änderung der Lenkübersetzung des Fahrzeugs verkleinert oder vollständig kompensiert ist oder einem Sollwert nachgeführt wird.
-
Es ist bevorzugt, dass die zeitliche Länge der Änderung der Lenkübersetzung der zeitlichen Länge der asymmetrischen Verteilung des Antriebsdrehmoments des zweiten Antriebs entspricht. Alternativ oder ergänzend sind die zeitliche Länge der Änderung und die zeitliche Änderung der Länge der asymmetrischen Verteilung des Antriebsdrehmoments des zweiten Antriebs gleich lang. Insbesondere ist die Steuereinrichtung ein kausales System, wobei die Eingangsgrößen ein Eingangssignal bildet und die Ausgangsgröße eine dazu kausale Systemantwort bildet.
-
Weitere Vorteile und die Wirkung der Erfindung ergeben sich aus der nachfolgenden Beschreibung eines bevorzugten Ausführungsbeispiels der Erfindung sowie der Figuren. Diese zeigen:
- 1 Reifen-Fahrbahn-Kontakt angreifende Kräfte am Beispiel des linken Vorderrades nach Pfeffer, P., & Harrer, M. (Hrsg.). (2013). Lenkungshandbuch: Lenksysteme, Lenkgefühl, Fahrdynamik von Kraftfahrzeugen. Wiesbaden: Springer Vieweg;
- 2 Funktionsprinzip einer Lenkkraftunterstützung mittels radselektiver Antriebe; links ohne und rechts mit Lenkkraftunterstützung; Lenkgeometrie vereinfacht (Spreizungswinkel 0°, Nachlaufwinkel 0°);
- 3 Lineares Einspurmodell einer Lenkung, stationäre Kreisfahrt;
- 4 Graph zur Darstellung von dem Lenkwinkel über den Lenkradwinkel, Einflüsse des Torque Vectoring und der Elastokinematik;
- 5 schematische Darstellung eines Fahrzeugs zur Umsetzung des Verfahrens.
-
Zum Durchfahren einer Kurve mit definiertem Radius R wird (gemäß Einspurmodell,
3) bei einem Fahrzeug mit Radstand l ein Lenkwinkel δ bestehend aus Ackermann-Lenkwinkel und Differenz der Schräglaufwinkel α
v und α
h benötigt:
-
Zwischen Lenkradwinkel und Lenkwinkel - auch Einschlagwinkel genannt - besteht aufgrund kinematischer Zusammenhänge/Ketten im Lenksystem eine definierte Abhängigkeit. Wird das System als starr betrachtet und treten keine elastischen Effekte auf, wird dieser Zusammenhang als Lenkübersetzung bezeichnet. Das Verhältnis zwischen Lenkradwinkel und Lenkwinkel ist im Allgemeinen während des Fahrbetriebs jedoch aufgrund elastischer Verformungen des Lenksystems inkl. Radträger (Kräfte auf Radaufhängung) nicht konstant. Diese elastischen Verformungen wirken einer Lenkbewegung entgegen, das Lenksystem wird in eine Geradeausstellung „gedrückt“. Je größer die das Lenkmoment beeinflussenden Kräfte sind, desto größer ist die elastische Verformung und damit der Lenkaufwand des Fahrers. Das heißt, dass der benötigte Lenkradwinkel zum Durchfahren einer Kurve hierdurch vergrößert wird. Der zum Erreichen eines Lenkwinkels am Rad notwendige Lenkradwinkel wird im Folgenden als Lenkradwinkelbedarf bezeichnet.
-
Dieser Lenkradwinkelbedarf wird des Weiteren durch das mittels radselektiver Antriebe erzeugte Torque Vectoring beeinflusst. Das durch das Torque Vectoring hervorgerufene (und die Kurvenfahrt begünstigende) Giermoment reduziert einerseits den vorderen Schräglaufwinkel und erhöht andererseits den hinteren Schräglaufwinkel. Wie aus der eingangs erwähnten Beziehung deutlich wird, wird dadurch der Lenkwinkel zum Erreichen des gleichen Kurvenradius geringer als bei konventionellen Systemen. Weiterhin werden durch die Reduktion des vorderen Schräglaufwinkels die Seitenkräfte vorne reduziert. Dies hat eine Reduktion der Rückstellkräfte und damit einen weiteren Einfluss auf das Lenkmoment/Lenkradmoment zur Folge. Ebenso wird der elastokinematische Effekt beeinflusst, was eine nochmalige Verringerung des Lenkradwinkelbedarfs zur Folge hat. In 4 werden diese beiden Effekte schematisch dargestellt. Bei gleich bleibendem Lenkradwinkel wird durch das Torque Vectoring der wirkende Lenkwinkel erhöht bzw. wird bei gleichem Kurvenradius der notwendige Lenkradwinkel verringert. Ein gegenläufiger Effekt wird durch die elastokinematischen Effekte erzielt. Hierbei wird bei gleich bleibendem Lenkradwinkel der wirkende Lenkwinkel reduziert bzw. der zur Durchfahrt eines gleichen Kurvenradius benötigte Lenkradwinkel erhöht.
-
Die 5 zeigt in einer schematischen Darstellung ein Fahrzeug 1 zur Umsetzung des erfindungsgemäßen Verfahrens. Das Fahrzeug 1 weist eine Lenkachse 2 sowie eine Antriebsachse 3 auf. An der Lenkachse 2 sind angetriebene Räder 4a, b angeordnet, wobei die angetriebenen Räder 4a, b durch einen ersten radselektiven Antrieb 6 angetrieben werden, welcher durch zwei Elektromotoren 5a, b realisiert ist. Die Elektromotoren 5a, b sind unmittelbar an den angetriebenen Rädern 4a, b angeordnet. Beispielsweise sind die Elektromotoren 5a, b als Radnabenmotoren ausgebildet. Jeden der angetriebenen Räder 4a, b ist ein Elektromotor 5a, b exklusiv zugeordnet. Das Fahrzeug 1 weist eine Lenkeinrichtung 7 auf, welche ein Lenkrad 8 zur Eingabe eines Lenkradwinkels aufweist. Über die Lenkeinrichtung 7 wird ein Lenkmoment an die Räder 4a, b übertragen, sodass diese um einen Einschlagwinkel eingeschlagen werden.
-
Die Antriebsachse 3 weist einen zweiten Antrieb 9 auf, der durch zwei Elektromotoren 10 a, b ausgebildet als Radnabenmotoren realisiert ist. Somit kann die Antriebsachse 3, insbesondere die Räder 14 a, b, radselektiv mit einem zweiten Antriebsdrehmoment beaufschlagt werden. Die Elektromotoren 5a, b, 10 a, b bzw. der erste und der zweite Antrieb 6, 9 sind mit einer Steuereinrichtung 11 signaltechnisch verbunden. Die Steuereinrichtung 11 steuert die Verteilung des Antriebsdrehmoments bei den radselektiven Antrieben 6, 9.
-
Die Steuereinrichtung 11 weist eine Eingangsschnittstelle 12 zur Übernahme von fahrdynamischen Größen des Fahrzeugs 1 als Eingangsgrößen. In Abhängigkeit des Betriebsmodus können die fahrdynamischen Größen eine Geschwindigkeit des Fahrzeugs oder einer Antriebsdrehmomentverteilung auf der Lenkachse 2 durch den radselektiven Antrieb 6 sein.
-
Ferner weist die Steuereinrichtung 11 eine Ausgangsschnittstelle 13 auf, welches ermöglicht als Ausgangsgröße eine Stelleninformation zur Verteilung des Antriebsdrehmoments des zweiten Antriebs 9 auszugeben und an die Elektromotoren 10 a, b weiterzuleiten.
-
Die Steuereinrichtung 11 ist programmtechnisch und/oder schaltungstechnisch ausgebildet, auf Basis der Eingangsgrößen die Ausgangsgröße derart zu berechnen oder zu bestimmen, sodass Änderungen bei der Lenkübersetzung aufgrund fahrdynamischer Größen nicht auftreten, kompensiert werden oder zumindest verkleinert werden.
-
Ein typischer Anwendungsfall zur Kompensation von Änderungen der Lenkübersetzung ergibt sich durch elastokinematische Verformungen in der Lenkeinrichtung 7 bzw. im gesamten Lenksystem. Diese elastokinematischen Verformungen erfolgen durch auf die Lenkeinrichtung 7 eingeleitete Quermomente, wobei die Auswirkungen in der 4 dargestellt sind. Durch eine asymmetrische Antriebsdrehmomentverteilung in der Antriebsachse 3 kann dieser Effekt verringert oder sogar vollständig kompensiert werden.
-
Ein anderer Anwendungsfall ist der Einsatz vom Torque Vectoring, wobei bei der Lenkachse 2 des Antriebsdrehmoments der zwei Elektromotoren 5a, b asymmetrisch verteilt wird. Diese asymmetrische Verteilung führt zu einer Änderung der Lenkübersetzung. Durch eine gegenläufige asymmetrische Antriebsdrehmomentverteilung in der Antriebsachse 3 kann dieser Effekt der Änderung der Lenkübersetzung verringert oder sogar vollständig kompensiert werden.
-
Bezugszeichenliste
-
- 1
- Fahrzeug
- 2
- Lenkachse
- 3
- Antriebsachse
- 4a,b
- Räder der Lenkachse
- 5a, b
- Elektromotor
- 6
- erster Antrieb
- 7
- Lenkeinrichtung
- 8
- Lenkrad
- 9
- zweiter Antrieb
- 10a,b
- Elektromotoren
- 11
- Steuereinrichtung
- 12
- Eingangsschnittstelle
- 13
- Ausgangsschnittstelle
- 14a,b
- Räder der Antriebsachse