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Eine couragierte Gräfin

In seinem Roman „Der Flakon“ erzählt Hans Pleschinski von den Vorbereitungen eines versuchten Attentats auf Friedrich den Großen

Von Michael FasselRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Fassel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein ebenso riskantes wie couragiertes Unterfangen: Reichsgräfin Maria Anna Franziska von Brühl hat „hehre Pläne“, wie sie selbst ihr Vorhaben nennt. Sie möchte dem Krieg und dem einhergehenden Leid ihres Volkes in Sachsen ein Ende setzen, indem sie König Friedrich II., auch bekannt als Friedrich der Große, ermordet. Das nötige Werkzeug dazu trägt sie in einem unauffälligen Flakon mit sich. Darin befindet sich todbringendes Gift. Hintergrund des Handlungsgeschehens ist der ohne Kriegserklärung unter Friedrich II. erfolgte Einmarsch preußischer Truppen in Sachsen im Jahre 1756. Unter dem Eindruck des preußischen Militärapparates flieht Herrscher Friedrich August mit seinem Premierminister Heinrich von Brühl nach Warschau. Zu sehr habe er seine Armee verkleinert, um den überraschenden Angriff abzuwehren. Die Reichsgräfin aber möchte nicht aufgeben. Dies ist die Ausgangssituation in Hans Pleschinskis Roman Der Flakon.

Gemeinsam mit ihrer Kammerdame Luise von Barnhelm und dem preußischen Offizier Georg Wilhelm von der Marwitz macht sich die Gräfin inkognito in einer Kutsche auf den Weg nach Leipzig, wo der König seine Audienzen hält. Um ihre Pläne in die Tat umzusetzen, benötigt die Reichsgräfin Unterstützung der Schriftsteller Christian Fürchtegott Gellert und Johann Christoph Gottsched. Bekannt ist, dass die Dichter in entsprechenden royalen Kreisen verkehren und somit unmittelbaren Zugang zum König haben. Von den intellektuellen Leuchten der damaligen Kulturlandschaft erwartet Maria Anna Franziska von Brühl Hilfe. Dies gilt insbesondere für den auch als Pazifisten bekannten Gellert, der den König persönlich zum Frieden zu bewegen versuchte. Vor allem unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges gewinnt der Roman, den Pleschinski vor Februar 2022 begonnen hat, an frappierender Aktualität. Nicht zuletzt schwingt die utilitaristische Frage während der Lektüre immer mit: Lassen sich Krieg und das damit verbundene Leid der Menschen durch den Tod eines despotischen Machthabers stoppen? Und ist Mord in einem solchen Fall gerechtfertigt? Für Gräfin von Brühl ist die Antwort eindeutig.

Auf dem Weg nach Leipzig wird das Leid der Bevölkerung ersichtlich: Vertriebene Menschen ohne Obdach, Bilder der Armut und der Zerstörung; Wegelagerer lauern hinter den Büschen, um Kutschen zu überfallen. So beschwerlich und gefährlich die Fahrt nach Leipzig auch ist, so gelingt Pleschinski die Stimmung vor allem durch erfrischende Dialoge vor einer von Krieg und Zerfall dominierten Kulisse auf eine angenehm subtile Weise mit äußerst feinen humoristischen Zwischentönen aufzulockern. Ohne in Klischees zu verfallen, steht die allseits besorgte Kammerdame Fräulein von Barnhelm oft im Gegensatz zur bedächtigen Gräfin, die in allen Situationen auf der Reise ihre Würde zu bewahren vermag. Auch von der Marwitz ist keineswegs ein Abziehbild eines strammen, preußischen Offiziers, sondern ein Mensch mit Sinn für Humor und treuer Reisegefährte der Gräfin.

Der Roman kann, wenn man so möchte, als historischer Roadtrip gelesen werden. Er ist aber weitaus mehr. Trotz der Darstellung von Kriegsschauplätzen und leidendem Volk handelt es sich um einen lebensbejahenden Roman. Zugleich ist er eine Absage an den Krieg und mitunter ein Plädoyer für die Kultur und das freie Wort. Die literarische Inszenierung des prägenden Dichters Gellert und der erfrischend geistreiche Dialog zwischen ihm und der Reichsgräfin sind ein Höhepunkt des Romans. Ein Stück weit zeichnet sich schon hier das metonymische Sprichwort „Die Feder ist mächtiger als das Wort“ ab, das der britische Schriftsteller Edward Bulwer-Lytton erst im 19. Jahrhundert berühmt gemacht hat. Ist die feingeistige Kultur um die Dichtergröße Gellert der Gegenpart zur Kriegstreiberei? So simpel macht es sich Pleschinski nicht, da er Friedrich II. nicht nur als Militärstrategen darstellt, sondern überdies als kulturell sehr gebildeten König zeichnet: „Er kennt die französische Literatur, die neue Philosophie, er komponiert und musiziert, wie wir wissen, recht vorzüglich“, erklärt Gellert der Gräfin.

Nicht in jedem Kapitel steht die Gräfin im Mittelpunkt. Der Roman entwirft ein Panorama Sachsens im 18. Jahrhundert und vermittelt durch eine ausgesprochen präzise literarische Sprache atmosphärische Dichte. Einige Kapitel beginnen mit einer kurzen Wetter- bzw. Landschaftsbeschreibung: „Das Wintergrau verschluckte die Horizonte.“

Es gehört zu Pleschinskis literarischem Programm, literaturgeschichtliche Gallionsfiguren wie Gellert in fiktionalisierter Form auftreten zu lassen, um ihre literatur- und kulturgeschichtliche Bedeutsamkeit einem heutigen Lesepublikum näher zu bringen. Pleschinski ist einmal mehr ein historischer Roman gelungen, indem er die überlieferte, aber nicht gesicherte Anekdote eines Giftanschlags auf Friedrich den Großen zum Anlass nimmt, die Vorgeschichte mittels historischer Persönlichkeiten zu erzählen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Hans Pleschinski: Der Flakon.
Roman.
Verlag C.H.Beck, München 2023.
358 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-13: 9783406806827

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