Empirischer Blick auf vergangene Arbeitswelten in Schwarz-Weiß
Der Fotograf Walter Erben erlebt die Welt vom Auge her
Von Wolfgang Bühling
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWalter Erben (1920–1988) kam nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus dem kriegszerstörten Berlin in das ebenfalls von Luftangriffen stark in Mitleidenschaft gezogene Neumünster und startete dort einen Neuanfang als Pressefotograf. Ab 1948 ist er, zunächst freiberuflich, in Schleswig-Holstein mit einer Leica unterwegs. Mitte der fünfziger Jahre bekommt er eine Festanstellung beim Holsteinischen Courier mit Sitz in Neumünster. Das Blatt konnte sich damals, ebenso wie die übrigen 31 – damals noch eigenständigen – Schleswig-Holsteinischen Tageszeitungen, einen eigenen Fotografen leisten. Daneben belieferte Erben auch Magazine und Agenturen. Als Pressefotograf fokussierte er naturgemäß zunächst einmal die Probleme der Zeit sowie lokale Ereignisse der unterschiedlichsten Art: Wiederaufbau, Flüchtlinge, Sportveranstaltungen, politische Versammlungen, Polizei- und Feuerwehreinsätze, Miss-Wahlen, Ereignisse im Vereinsleben und auf dem Gebiet der Kultur. Eine Besonderheit in Erbens Schaffen ist aber, dass er nicht nur gängige, tagesaktuelle Presse-Motive eingefangen hat, sondern auch den eher unspektakulären Alltag, so etwa das Leben der Kinder im Nachkriegsdeutschland oder, wie hier thematisiert, Tätigkeiten und Arbeitsplätze der unterschiedlichsten Gewerbe. Diese Art von Fotografie mag auf die Zeitgenossen in den 50er, 60er und 70er Jahren weniger spannend gewirkt haben. Aus der heutigen Retrospektive entfaltet sich ein Schatz an historischer Dokumentation, der vom Auge her gesehen in dieser Vielfalt und Qualität selten anzutreffen ist.
Walter Erben ging 1982 in den Ruhestand, er starb 1988. Sein Nachlass umfasst ca. 90.000 Negative im Format 24×36, er war der Kleinbildkamera des Fabrikats Leica sein gesamtes Berufsleben treu geblieben. Die Sammlung befindet sich heute im Besitz der Journalistin und Fotografin Monika Krebs, seinerzeit Kollegin von Erben. Zusammen mit ihrem Ehemann hat die Herausgeberin aus etwa 2500 auf die Arbeitswelt bezogenen Aufnahmen zunächst 1000 in die engere Wahl genommen. 172 davon fanden Eingang in den vorliegenden Band, wobei der technischen Qualität der Negative durch aufwendige Reproduktion im Druck entsprochen wurde.
Die in Neumünster entstandenen Bilder stellen zunächst ein lokales Erinnerungsbuch dar, es wäre aber verfehlt, die Bedeutung der Publikation hierauf zu beschränken. Das präsentierte Zeitbild ist zweifellos repräsentativ für das Arbeitsleben im gesamten Deutschland der Nachkriegszeit und der anschließenden Jahre des ‚Wirtschaftswunders‘. Die Mehrzahl der Fotos kann man als Schnappschüsse verstehen, aber es finden sich auch ‚gestellte‘ Aufnahmen: Die Teilnehmerinnen einer Friseurkonkurrenz etwa oder ein lachender Schornsteinfeger in voller Montur, der sich mit einer Flasche Milch erfrischt. Man mag sich – mit humorvollem Seitenblick – auch fragen, ob für ein Foto mit vier Fensterputzern auf vier Leitern an vier Fenstern einer Gaststätte nicht Regie geführt wurde. Für die thematische Fülle der Bildauswahl können hier nur einige Beispiele angeführt werden. Einige Abbildungen befassen sich mit Berufen oder Tätigkeiten, die so heute nicht mehr vorstellbar sind: Ein Frachtenträger schleppt mittels eines Tragjochs Kisten durch die Straßen, eine Brauerei fährt das Bier mit Pferdewagen aus, ein Angestellter der Gaswerke überprüft eine der 1000 Gaslaternen, die es in Neumünster in den 1960er Jahren noch gab. Immer wieder wird auch die Härte des Arbeitsalltags in verschiedenen Erwerbszweigen deutlich vor Augen geführt, so etwa in der Gerberei der Lederindustrie, beim Torfabbau oder im Steinbruch. Insgesamt wird hier noch viel Handarbeit dokumentiert, die längst durch Automation und Computerisierung ersetzt ist.
„Walter Erbens fotografisches Können zeigt sich in Bildkomposition und -ausschnitt, in seinem sicheren Gespür für den richtigen Moment, aber auch im Respekt vor den fotografierten Menschen.“ Diesen Satz aus dem Vorwort von Astrid Frevert, Leiterin des Museums Tuch und Technik in Neumünster, wird der Benutzer des Bandes uneingeschränkt bestätigen. Die „sprechenden Bilder“ des Walter Erben erzählen von schwierigen Zeiten, aber auch von Handwerkerstolz und von einem Gewerbefleiß, der nicht verlogen war und der die Maxime des börsennotierten Reibachs um jeden Preis noch nicht kannte.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen
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