Kabale und Liebe/3. Akt
ERSTE SZENE
[41]
Der Präsident und Sekretär Wurm kommen.
PRÄSIDENT: Der Streich war verwünscht.
WURM: Wie ich befürchtete, gnädiger Herr. Zwang erbittert die Schwärmer immer, aber bekehrt sie nie.
PRÄSIDENT: Ich hatte mein bestes Vertrauen in diesen Anschlag gesetzt. Ich urteilte so: Wenn das Mädchen beschimpft wird, muss er, als Offizier, zurücktreten.
WURM: Ganz vortrefflich. Aber zum Beschimpfen hätt es auch kommen sollen.
PRÄSIDENT: Und doch – wenn ich es jetzt mit kaltem Blut überdenke – Ich hätte mich nicht sollen eintreiben lassen. Es war eine Drohung, woraus er wohl nimmermehr Ernst gemacht hätte.
WURM: Das denken Sie ja nicht. Der gereizten Leidenschaft ist keine Torheit zu bunt. Sie sagen mir, der Herr Major habe immer den Kopf zu Ihrer Regierung geschüttelt. Ich glaub’s. Die Grundsätze, die er aus Akademien hieher brachte, wollten mir gleich nicht recht einleuchten. Was sollten auch die phantastischen Träumereien von Seelengröße und persönlichem Adel an einem Hof, wo die größte Weisheit diejenige ist, im rechten Tempo, auf eine geschickte Art, groß und klein zu sein. Er ist zu jung und zu feurig, um Geschmack am langsamen krummen Gang der Kabale zu finden, und nichts wird seine Ambition in Bewegung setzen, als was groß ist und abenteuerlich.
PRÄSIDENT (verdrüsslich): Aber was wird diese wohlweise Anmerkung an unserm Handel verbessern?
WURM: Wie wird Euer Exzellenz auf die Wunde hinweisen und auch vielleicht auf den Verband. Einen solchen Charakter – erlauben Sie – hätte man entweder nie zum Vertrauten, oder niemals zum Feind machen sollen. Er verabscheut das Mittel, wodurch Sie gestiegen sind. Vielleicht war es bis jetzt nur der Sohn, der die Zunge des Verräters band. Geben Sie ihm Gelegenheit, jenen rechtmäßig abzuschütteln; machen Sie ihn durch wiederholte Stürme auf seine Leidenschaft glauben, dass Sie der zärtliche Vater nicht sind, so dringen die Pflichten des Patrioten bei ihm vor. Ja, schon allein die seltsame Phantasie, [42] der Gerechtigkeit ein so merkwürdiges Opfer zu bringen, könnte Reiz genug für ihn haben, selbst seinen Vater zu stürzen.
PRÄSIDENT: Wurm – Wurm – Er führt mich da vor einen entsetzlichen Abgrund.
WURM: Ich will Sie zurückführen, gnädiger Herr. Darf ich freimütig reden?
PRÄSIDENT (indem er sich niedersetzt): Wie ein Verdammter zum Mitverdammten.
WURM: Also verzeihen Sie – Sie haben, dünkt mich, der biegsamen Hofkunst den ganzen Präsidenten zu danken, warum vertrauen Sie ihr nicht auch den Vater an? Ich besinne mich, mit welcher Offenheit Sie Ihren Vorgänger damals zu einer Partie Piquet beredeten und bei ihm die halbe Nacht mit freundschaftlichem Burgunder hinwegschwemmten, und das war doch die nämliche Nacht, wo die große Mine losgehen und den guten Mann in die Luft blasen sollte – Warum zeigten Sie Ihrem Sohne den Feind? Nimmermehr hätte dieser erfahren sollen, dass ich um seine Liebesangelegenheit wisse. Sie hätten den Roman von Seiten des Mädchens unterhöhlt und das Herz Ihres Sohnes behalten. Sie hätten den klugen General gespielt, der den Feind nicht am Kern seiner Truppen fasst, sondern Spaltungen unter den Gliedern stiftet.
PRÄSIDENT: Wie war das zu machen?
WURM: Auf die einfachste Art – und die Karten sind noch nicht ganz vergeben. Unterdrücken Sie eine Zeit lang, dass Sie Vater sind. Messen Sie sich mit einer Leidenschaft nicht, die jeder Widerstand nur mächtiger machte – Überlassen Sie es mir, an ihrem eigenen Feuer den Wurm auszubrüten, der sie zerfrisst.
PRÄSIDENT: Ich bin begierig.
WURM: Ich müsste mich schlecht auf den Barometer der Seele verstehen, oder der Herr Major ist in der Eifersucht schrecklich wie in der Liebe. Machen Sie ihm das Mädchen verdächtig – – Wahrscheinlich oder nicht. Ein Gran Hefe reicht hin, die ganze Masse in eine zerstörende Gärung zu jagen.
PRÄSIDENT: Aber woher diesen Gran nehmen?
WURM: Da sind wir auf dem Punkt – Vor allen Dingen, gnädiger Herr, erklären Sie sich mir, wie viel Sie bei der ferneren Weigerung des Majors auf dem Spiel haben – in welchem Grade es Ihnen wichtig ist, den Roman mit dem Bürgermädchen zu endigen und die Verbindung mit Lady Milford zustand zu bringen?
PRÄSIDENT: Kann Er noch fragen, Wurm? – Mein ganzer [43] Einfluß ist in Gefahr, wenn die Partie mit der Lady zurückgeht, und wenn ich den Major zwinge, mein Hals.
WURM (munter): Jetzt haben Sie die Gnade und hören. – Den Herrn Major umspinnen wir mit List. Gegen das Mädchen nehmen wir Ihre ganze Gewalt zu Hilfe. Wir diktieren ihr ein Billetdoux an eine dritte Person in die Feder und spielen das mit guter Art dem Major in die Hände.
PRÄSIDENT: Toller Einfall! Als ob sie sich so geschwind hin bequemen würde, ihr eigenes Todesurteil zu schreiben?
WURM: Sie muss, wenn Sie mir freie Hand lassen wollen. Ich kenne das gute Herz auf und nieder. Sie hat nicht mehr als zwo tödliche Seiten, durch welche wir ihr Gewissen bestürmen können – ihren Vater und den Major. Der Letztere bleibt ganz und gar aus dem Spiel, desto freier können wir mit dem Musikanten umspringen.
PRÄSIDENT: Als zum Exempel?
WURM: Nach dem, was Euer Exzellenz mir von dem Auftritt in seinem Hause gesagt haben, wird nichts leichter sein, als den Vater mit einem Halsprozess zu bedrohen. Die Person des Günstlings und Siegelbewahrers ist gewissermaßen der Schatten der Majestät – Beleidigungen gegen jenen sind Verletzungen dieser – Wenigstens will ich den armen Schächer mit diesem zusammengeflickten Kobold durch ein Nadelöhr jagen.
PRÄSIDENT: Doch – ernsthaft dürfte der Handel nicht werden.
WURM: Ganz und gar nicht – Nur insoweit als es nötig ist, die Familie in die Klemme zu treiben – Wir setzen also in aller Stille den Musikus fest – Die Not um so dringender zu machen, könnte man auch die Mutter mitnehmen – sprechen von peinlicher Anklage, von Schaffot, von ewiger Festung, und machen den Brief der Tochter zur einzigen Bedingnis seiner Befreiung.
PRÄSIDENT: Gut! Gut! Ich verstehe.
WURM: Sie liebt ihren Vater – bis zur Leidenschaft möcht ich sagen. Die Gefahr seines Lebens – seiner Freiheit zum mindesten – die Vorwürfe ihres Gewissens, den Anlass dazu gegeben zu haben – Die Unmöglichkeit, den Major zu besitzen – endlich die Betäubung ihres Kopfs, die ich auf mich nehme – Es kann nicht fehlen – sie muss in die Falle gehn.
PRÄSIDENT: Aber mein Sohn? Wird er nicht auf der Stelle Wind davon haben? Wird er nicht wütender werden?
WURM: Das lassen Sie meine Sorge sein, gnädiger Herr – Vater und Mutter werden nicht eher freigelassen, bis die ganze Familie einen körperlichen Eid darauf abgelegt, den ganzen Vorgang geheim zu halten und den Betrug zu bestätigen. [44]
PRÄSIDENT: Einen Eid? Was wird ein Eid fruchten, Dummkopf?
WURM: Nichts bei uns, gnädiger Herr. Bei dieser Menschenart alles – Und sehen Sie nun, wie schön wir beide auf diese Manier zum Ziel kommen werden – Das Mädchen verliert die Liebe des Majors und den Ruf ihrer Tugend. Vater und Mutter ziehen gelindere Saiten auf, und durch und durch weich gemacht von Schicksalen dieser Art, erkennen sie’s noch zuletzt für Erbarmung, wenn ich der Tochter durch meine Hand ihre Reputation wieder gebe.
PRÄSIDENT (lacht unter Kopfschütteln): Ja! ich gebe mich dir überwunden, Schurke. Das Geweb ist satanisch fein. Der Schüler übertrifft seinen Meister – – Nun ist die Frage, an wen das Billet muss gerichtet werden? Mit wem wir sie in Verdacht bringen müssen?
WURM: Notwendig mit jemand, der durch den Entschluss Ihres Sohnes alles gewinnen oder alles verlieren muss.
WURM (nach einigem Nachdenken): Ich weiß nur den Hofmarschall.
WURM (zuckt die Achseln): Mein Geschmack wär es nun freilich nicht, wenn ich Luise Millerin hieße.
PRÄSIDENT: Und warum nicht? Wunderlich! Eine blendende Garderobe – eine Atmosphäre von Eau de mille fleurs und Bisam – und jedes alberne Wort eine Handvoll Dukaten – und alles das sollte die Delikatesse einer bürgerlichen Dirne nicht endlich bestechen können? O guter Freund. so skrupulös ist die Eifersucht nicht. Ich schicke zum Marschall. (Klingelt.)
WURM: Unterdessen, dass Euer Exzellenz dieses und die Gefangennehmung des Geigers besorgen, werd ich hingehen und den bewussten Liebesbrief aufsetzen.
PRÄSIDENT (zum Schreibpult gehend): Den Er mir zum Durchlesen heraufbringt, sobald er zustand sein wird. (Wurm geht ab. Der Präsident setzt sich zu schreiben; ein Kammerdiener kommt; er steht auf und gibt ihm ein Papier.) Dieser Verhaftsbefehl muss ohne Aufschub in die Gerichte – ein andrer von euch wird den Hofmarschall zu mir bitten.
KAMMERDIENER: Der gnädige Herr sind soeben hier angefahren.
PRÄSIDENT: Noch besser – aber die Anstalten sollen mit Vorsicht getroffen werden, sagt ihr, dass kein Aufstand erfolgt.
KAMMERDIENER: Sehr wohl, Ihr’ Excellenz.
PRÄSIDENT: Versteht ihr? Ganz in der Stille.
KAMMERDIENER: Ganz gut, Ihr’ Excellenz. (Ab.) [45]
ZWEITE SZENE
HOFMARSCHALL (eilfertig): Nur en passant, mein Bester. – Wie leben Sie? Wie befinden Sie sich? – Heute Abend ist große Opera Dido – das süperbeste Feuerwerk – eine ganze Stadt brennt zusammen – Sie sehen sie doch auch brennen? Was?
PRÄSIDENT: Ich habe Feuerwerk genug in meinem eigenen Hause, das meine ganze Herrlichkeit in die Luft nimmt – Sie kommen erwünscht, lieber Marschall, mir in einer Sache zu raten, tätig zu helfen, die uns beide poussiert oder völlig zugrund richtet. Setzen Sie sich.
HOFMARSCHALL: Machen Sie mir nicht Angst, mein Süßer.
PRÄSIDENT: Wie gesagt – poussiert oder ganz zugrund richtet. Sie wissen mein Projekt mit dem Major und der Lady. Sie begreifen auch, wie unentbehrlich es war, unser beider Glück zu fixieren. Es kann alles zusammenfallen, Kalb. Mein Ferdinand will nicht.
HOFMARSCHALL: Will nicht – will nicht – ich hab’s ja in der ganzen Stadt schon herumgesagt. Die Mariage ist ja in jedermanns Munde.
PRÄSIDENT: Sie können vor der ganzen Stadt als Windmacher dastehen. Er liebt eine andere.
HOFMARSCHALL: Sie scherzen. Ist das auch wohl ein Hindernis?
PRÄSIDENT: Bei dem Trotzkopf das unüberwindlichste.
HOFMARSCHALL: Er sollte so wahnsinnig sein und sein Fortune von sich stoßen? Was?
PRÄSIDENT: Fragen Sie ihn das und hören Sie, was er antwortet.
HOFMARSCHALL: Aber, mon Dieu! Was kann er denn antworten?
PRÄSIDENT: Dass er der ganzen Welt das Verbrechen entdecken wolle, wodurch wir gestiegen sind – dass er unsere falschen Briefe und Quittungen angeben – dass er uns beide ans Messer liefern wolle – Das kann er antworten.
HOFMARSCHALL: Sind Sie von Sinnen?
PRÄSIDENT: Das hat er geantwortet. Das war er schon willens ins Werk zu richten – Davon hab ich ihn kaum noch durch meine höchste Erniedrigung abgebracht. Was wissen Sie hierauf zu sagen?
HOFMARSCHALL (mit einem Schafsgesicht): Mein Verstand steht still. [46]
PRÄSIDENT: Das könnte noch hingehen. Aber zugleich hinterbringen mir meine Spionen, dass der Oberschenk von Bock auf dem Sprunge sei, um die Lady zu werben.
HOFMARSCHALL: Sie machen mich rasend. Wer sagen Sie? von Bock sagen Sie? – Wissen Sie denn auch, dass wir Todfeinde zusammen sind? Wissen Sie auch, warum wir es sind?
PRÄSIDENT: Das erste Wort, das ich höre.
HOFMARSCHALL: Bester! Sie werden hören und aus der Haut werden Sie fahren – Wenn Sie sich noch des Hofballs entsinnen – – es geht jetzt ins einundzwanzigste Jahr – wissen Sie, worauf man den ersten Englischen tanzte, und dem Grafen von Meerschaum das heiße Wachs von einem Kronleuchter auf den Domino tröpfelte – Ach Gott! das müssen Sie freilich noch wissen!
PRÄSIDENT: Wer könnte so was vergessen?
HOFMARSCHALL: Sehen Sie! Da hatte Prinzessin Amalie in der Hitze des Tanzes ein Strumpfband verloren. – Alles kommt, wie begreiflich ist, in Alarm – von Bock und ich – wir waren noch Kammerjunker – wir kriechen durch den ganzen Redoutensaal, das Strumpfband zu suchen – endlich erblick ich’s – von Bock merkt’s – von Bock darauf zu, reißt es mir aus den Händen – ich bitte Sie! – bringt’s der Prinzessin und schnappt mir glücklich das Kompliment weg – Was denken Sie?
PRÄSIDENT: Impertinent!
HOFMARSCHALL: Schnappt mir das Kompliment weg – Ich meine in Ohnmacht zu sinken. Eine solche Malice ist gar nicht erlebt worden. – Endlich ermann ich mich, nähere mich Ihrer Durchlaucht und spreche: Gnädigste Frau! von Bock war so glücklich, Höchstdenenselben das Strumpfband zu überreichen, aber wer das Strumpfband zuerst erblickte, belohnt sich in der Stille und schweigt.
PRÄSIDENT: Bravo, Marschall! Bravissimo!
HOFMARSCHALL: Und schweigt – Aber ich werd’s dem von Bock bis zum jüngsten Gerichte noch nachtragen – der niederträchtige, kriechende Schmeichler! – Und das war noch nicht genug – wie wir beide zugleich auf das Strumpfband zu Boden fallen, wischt mir von Bock an der rechten Frisur allen Puder weg, und ich bin ruiniert auf den ganzen Ball.
PRÄSIDENT: Das ist der Mann, der die Milford heuraten und die erste Person am Hof werden wird.
HOFMARSCHALL: Sie stoßen mir ein Messer ins Herz. Wird? Wird? Warum wird er? Wo ist die Notwendigkeit?
PRÄSIDENT: Weil mein Ferdinand nicht will und sonst keiner sich meldet. [47]
HOFMARSCHALL: Aber wissen Sie denn gar kein einziges Mittel, den Major zum Entschluss zu bringen? – – Sei’s auch noch so bizarr! so verzweifelt! – Was in der Welt kann so widrig sein, das uns jetzt nicht willkommen wäre, den verhassten von Bock auszustechen?
PRÄSIDENT: Ich weiß nur eines, und das bei Ihnen steht.
HOFMARSCHALL: Bei mir steht? Und das ist?
PRÄSIDENT: Den Major mit seiner Geliebten zu entzweien.
HOFMARSCHALL: Zu entzweien? Wie meinen Sie das? – und wie mach ich das?
PRÄSIDENT: Alles ist gewonnen, sobald wir ihm das Mädchen verdächtig machen.
HOFMARSCHALL: Dass sie stehle, meinen Sie?
PRÄSIDENT: Ach nein doch! Wie glaubte er das? – dass sie es noch mit einem andern habe.
HOFMARSCHALL: Dieser andre?
PRÄSIDENT: Müssten Sie sein, Baron.
HOFMARSCHALL: Ich sein? Ich? – Ist sie von Adel?
PRÄSIDENT: Wozu das? Welcher Einfall! – eines Musikanten Tochter.
HOFMARSCHALL: Bürgerlich also? Das wird nicht angehen. Was?
PRÄSIDENT: Was wird nicht angehen? Narrenspossen! Wem unter der Sonne wird es einfallen, ein paar runde Wangen nach dem Stammbaum zu fragen?
HOFMARSCHALL: Aber bedenken Sie doch, ein Ehmann! Und meine Reputation bei Hofe.
PRÄSIDENT: Das ist was anders. Verzeihen Sie. Ich habe das noch nicht gewusst, dass Ihnen der Mann von unbescholtenen Sitten mehr ist als der von Einfluss. Wollen wir abbrechen?
HOFMARSCHALL: Seien Sie klug, Baron. Es war ja nicht so verstanden.
PRÄSIDENT (frostig): Nein – nein! Sie haben vollkommen Recht. Ich bin es auch müde. Ich lasse den Karren stehen. Dem von Bock wünsch ich Glück zum Premierminister. Die Welt ist noch anderswo. Ich fordre meine Entlassung vom Herzog.
HOFMARSCHALL: Und ich? – Sie haben gut schwatzen, Sie! Sie sind ein Stuttierter! Aber ich? – Mon Dieu! – was bin dann ich, wenn mich Seine Durchleucht entlassen?
PRÄSIDENT: Ein Bonmot von vorgestern. Die Mode vom vorigen Jahr.
HOFMARSCHALL: Ich beschwöre Sie, Teurer, Goldner! – Ersticken Sie diesen Gedanken! Ich will mir ja alles gefallen lassen. [48]
PRÄSIDENT: Wollen Sie Ihren Namen zu einem Rendezvous hergeben, den Ihnen diese Millerin schriftlich vorschlagen soll?
HOFMARSCHALL: Im Namen Gottes! Ich will ihn hergeben.
PRÄSIDENT: Und den Brief irgendwo herausfallen lassen, wo er dem Major zu Gesicht kommen muss?
HOFMARSCHALL: Zum Exempel auf der Parade will ich ihn, als von ongefähr, mit dem Schnupftuch heraus schleudern.
PRÄSIDENT: Und die Rolle ihres Liebhabers gegen den Major behaupten?
HOFMARSCHALL: Mort de ma vie! Ich will ihn schon waschen! Ich will dem Naseweis den Appetit nach meinen Amouren verleiden.
PRÄSIDENT: Nun geht’s nach Wunsch. Der Brief muss noch heute geschrieben sein. Sie müssen vor Abend noch herkommen, ihn abzuholen und Ihre Rolle mit mir zu berichtigen.
HOFMARSCHALL: Sobald ich sechzehn Visiten werde gegeben haben, die von allerhöchster Importance sind. Verzeihen Sie also, wenn ich mich ohne Aufschub beurlaube. (Geht.)
PRÄSIDENT (klingelt): Ich zähle auf Ihre Verschlagenheit, Marschall.
HOFMARSCHALL (ruft zurück): Ah, mon Dieu! – Sie kennen mich ja.
DRITTE SZENE
WURM: Der Geiger und seine Frau sind glücklich und ohne alles Geräusch in Verhaft gebracht. Wollen Euer Exzellenz jetzt den Brief überlesen?
PRÄSIDENT (nachdem er gelesen): Herrlich! herrlich, Sekretär! Auch der Marschall hat angebissen! – Ein Gift wie das müsste die Gesundheit selbst in eiternden Aussatz verwandeln – Nun gleich mit den Vorschlägen zum Vater, und dann warm zu der Tochter. (Gehn ab zu verschiedenen Seiten.) [49]
VIERTE SZENE
Luise und Ferdinand.
LUISE: Ich bitte dich, höre auf. Ich glaube an keine glücklichen Tage mehr. Alle meine Hoffnungen sind gesunken.
FERDINAND: So sind die meinigen gestiegen. Mein Vater ist aufgereizt. Mein Vater wird alle Geschütze gegen uns richten. Er wird mich zwingen, den unmenschlichen Sohn zu machen. Ich stehe nicht mehr für meine kindliche Pflicht. Wut und Verzweiflung werden mir das schwarze Geheimnis seiner Mordtat erpressen. Der Sohn wird den Vater in die Hände des Henkers liefern – Es ist die höchste Gefahr – – und die höchste Gefahr musste da sein, wenn meine Liebe den Riesensprung wagen sollte. – – Höre, Luise – Ein Gedanke, groß und vermessen wie meine Leidenschaft, drängt sich vor meine Seele – Du, Luise, und ich und die Liebe! – liegt nicht in diesem Zirkel der ganze Himmel? oder brauchst du noch etwas Viertes dazu?
LUISE: Brich ab. Nichts mehr. Ich erblasse über das, was du sagen willst.
FERDINAND: Haben wir an die Welt keine Forderung mehr, warum denn ihren Beifall erbetteln? Warum wagen, wo nichts gewonnen wird und alles verloren werden kann? – Wird dieses Aug nicht eben so schmelzend funkeln, ob es im Rhein oder in der Elbe sich spiegelt oder im baltischen Meer? Mein Vaterland ist, wo mich Luise liebt. Deine Fußtapfe in wilden sandigten Wüsten mir interessanter als das Münster in meiner Heimat – Werden wir die Pracht der Städte vermissen? Wo wir sein mögen, Luise, geht eine Sonne auf, eine unter – Schauspiele, neben welchen der üppigste Schwung der Künste verblasst. Werden wir Gott in keinem Tempel mehr dienen, so ziehet die Nacht mit begeisterndem Schauern auf, der wechselnde Mond predigt uns Buße, und eine andächtige Kirche von Sternen betet mit uns. Werden wir uns in Gesprächen der Liebe erschöpfen? – Ein Lächeln meiner Luise ist Stoff für Jahrhunderte, und der Traum des Lebens ist aus, bis ich diese Träne ergründe.
LUISE: Und hättest du sonst keine Pflicht mehr als deine Liebe?
FERDINAND (sie umarmend): Deine Ruhe ist meine heiligste.
LUISE (sehr ernsthaft): So schweig und verlass mich – Ich habe einen Vater, der kein Vermögen hat als diese einzige Tochter [50] – der morgen sechzig alt wird – der der Rache des Präsidenten gewiss ist. –
FERDINAND (fällt rasch ein): Der uns begleiten wird. Darum keinen Einwurf mehr, Liebe. Ich gehe, mache meine Kostbarkeiten zu Geld, erhebe Summen auf meinen Vater. Es ist erlaubt, einen Räuber zu plündern, und sind seine Schätze nicht Blutgeld des Vaterlands? – Schlag ein Uhr um Mitternacht wird ein Wagen hier anfahren. Ihr werft euch hinein. Wir fliehen.
LUISE: Und der Fluch deines Vaters uns nach? – ein Fluch, Unbesonnener, den auch Mörder nie ohne Erhörung aussprechen, den die Rache des Himmels auch dem Dieb auf dem Rade hält, der uns Flüchtlinge unbarmherzig wie ein Gespenst von Meer zu Meer jagen würde? – Nein, mein Geliebter! Wenn nur ein Frevel dich mir erhalten kann, so hab ich noch Stärke, dich zu verlieren.
FERDINAND (steht still und murmelt düster): Wirklich?
LUISE: Verlieren! – O ohne Grenzen entsetzlich ist der Gedanke – Grässlich genug, den unsterblichen Geist zu durchbohren und die glühende Wange der Freude zu bleichen – Ferdinand! dich zu verlieren! Doch! Man verliert ja nur, was man besessen hat, und dein Herz gehört deinem Stande – Mein Anspruch war Kirchenraub, und schaudernd geb ich ihn auf.
FERDINAND (das Gesicht verzerrt und an der Unterlippe nagend): Gibst du ihn auf?
LUISE: Nein! Sieh mich an, lieber Walter. Nicht so bitter die Zähne geknirscht. Komm! Lass mich jetzt deinen sterbenden Mut durch mein Beispiel beleben. Lass mich die Heldin dieses Augenblicks sein – einem Vater den entflohenen Sohn wieder schenken – einem Bündnis entsagen, das die Fugen der Bürgerwelt auseinander treiben und die allgemeine ewige Ordnung zugrund stürzen würde – Ich bin die Verbrecherin – mit frechen, törichten Wünschen hat sich mein Busen getragen – mein Unglück ist meine Strafe, so lass mir doch jetzt die süße, schmeichelnde Täuschung, dass es mein Opfer war – Wirst du mir diese Wollust missgönnen?
FERDINAND (hat in der Zerstreuung und Wut eine Violine ergriffen und auf derselben zu spielen versucht – Jetzt zerreißt er die Saiten, zerschmettert das Instrument auf dem Boden und bricht in ein lautes Gelächter aus):
LUISE: Walter! Gott im Himmel! Was soll das? – Ermanne dich. – Fassung verlangt diese Stunde – es ist eine trennende. Du hast ein Herz, lieber Walter. Ich kenne es. – Warm wie das Leben ist deine Liebe und ohne Schranken wie das Unermessliche – Schenke sie einer Edeln und Würdigern – sie wird die Glücklichsten [51] ihres Geschlechts nicht beneiden – – (Tränen unterdrückend.) Mich sollst du nicht mehr sehn – Das eitle betrogene Mädchen verweine seinen Gram in einsamen Mauren, um seine Tränen wird sich niemand bekümmern – Leer und erstorben ist meine Zukunft – Doch werd ich noch je und je am verwelkten Strauß der Vergangenheit riechen. (Indem sie ihm mit abgewandtem Gesicht ihre zitternde Hand gibt.) Leben Sie wohl, Herr von Walter.
FERDINAND (springt aus seiner Betäubung auf): Ich entfliehe, Luise. Wirst du mir wirklich nicht folgen?
LUISE (hat sich im Hintergrund des Zimmers niedergesetzt und hält das Gesicht mit beiden Händen bedeckt): Meine Pflicht heißt mich bleiben und dulden.
FERDINAND: Schlange, du lügst. Dich fesselt was anders hier.
LUISE (im Ton des tiefsten inwendigen Leidens): Bleiben Sie bei dieser Vermutung – sie macht vielleicht weniger elend.
FERDINAND: Kalte Pflicht gegen feurige Liebe! – Und mich soll das Märchen blenden? Ein Liebhaber fesselt dich, und Weh über dich und ihn, wenn mein Verdacht sich bestätigt! (Geht schnell ab.)
FÜNFTE SZENE
(Sie bleibt noch eine Zeit lang ohne Bewegung und stumm in dem Sessel liegen, endlich steht sie auf, kommt vorwärts und sieht furchtsam herum.)
LUISE: Wo meine Eltern bleiben? – Mein Vater versprach, in wenigen Minuten zurück zu sein, und schon sind fünf volle fürchterliche Stunden vorüber – Wenn ihm ein Unfall – wie wird mir? – Warum geht mein Odem so ängstlich?
(Jetzt tritt Wurm in das Zimmer und bleibt im Hintergrund stehen, ohne von ihr bemerkt zu werden.)
Es ist nichts Wirkliches – Es ist nichts als das schaudernde Gaukelspiel des erhitzten Geblüts – Hat unsre Seele nur einmal Entsetzen genug in sich getrunken, so wird das Aug in jedem Winkel Gespenster sehn. [52]
SECHSTE SZENE
WURM (kommt näher): Guten Abend, Jungfer.
LUISE: Gott! Wer spricht da? (Sie dreht sich um, wird den Sekretär gewahr und tritt erschrocken zurück.) Schrecklich! Schrecklich! Meiner ängstlichen Ahnung eilt schon die unglückseligste Erfüllung nach! (Zum Sekretär mit einem Blick voll Verachtung.) Suchen Sie etwa den Präsidenten? Er ist nicht mehr da.
WURM: Jungfer, ich suche Sie.
LUISE: So muss ich mich wundern, dass Sie nicht nach dem Marktplatz gingen.
WURM: Warum eben dahin?
LUISE: Ihre Braut von der Schaubühne abzuholen.
WURM: Mamsell Millerin, Sie haben einen falschen Verdacht –
LUISE (unterdrückt eine Antwort): Was steht Ihnen zu Diensten?
WURM: Ich komme, geschickt von Ihrem Vater.
LUISE (bestürzt): Von meinem Vater? – Wo ist mein Vater?
WURM: Wo er nicht gern ist.
LUISE: Um Gotteswillen! Geschwind! Mich befällt eine üble Ahnung – Wo ist mein Vater?
WURM: Im Turm, wenn Sie es ja wissen wollen.
LUISE (mit einem Blick zum Himmel): Das noch! das auch noch! – Im Turm? Und warum im Turm?
WURM: Auf Befehl des Herzogs.
LUISE: Des Herzogs?
WURM: Der die Verletzung der Majestät in der Person seines Stellvertreters –
LUISE: Was? Was? O ewige Allmacht!
WURM: Auffallend zu ahnden beschlossen hat.
LUISE: Das war noch übrig! Das! – freilich, freilich, mein Herz hatte noch außer dem Major etwas Teures – das durfte nicht übergangen werden – Verletzung der Majestät – Himmlische Vorsicht! Rette, o rette meinen sinkenden Glauben! – Und Ferdinand?
WURM: Wählt Lady Milford oder Fluch und Enterbung.
LUISE: Entsetzliche Freiheit! – und doch – doch ist er glücklicher. Er hat keinen Vater zu verlieren. Zwar keinen haben ist Verdammnis genug! – Mein Vater auf Verletzung der Majestät – mein Geliebter die Lady oder Fluch und Enterbung – Wahrlich bewundernswert! Eine vollkommene Büberei ist auch eine [53] Vollkommenheit – Vollkommenheit? Nein! dazu fehlte noch etwas – – Wo ist meine Mutter?
WURM: Im Spinnhaus.
LUISE (mit schmerzvollem Lächeln): Jetzt ist es völlig! – völlig, und jetzt wär ich ja frei – Abgeschält von allen Pflichten – und Tränen – und Freuden. Abgeschält von der Vorsicht. Ich brauch sie ja nicht mehr – (Schreckliches Stillschweigen.) Haben Sie vielleicht noch eine Zeitung? Reden Sie immerhin. Jetzt kann ich alles hören.
WURM: Was geschehen ist, wissen Sie.
LUISE: Also nicht, was noch kommen wird? (Wiederum Pause, worin sie den Sekretär von oben bis unten ansieht.) Armer Mensch! du treibst ein trauriges Handwerk, wobei du unmöglich selig werden kannst. Unglückliche machen, ist schon schrecklich genug, aber grässlich ist’s, es ihnen verkündigen – ihn vorzusingen, den Eulengesang, dabeizustehn, wenn das blutende Herz am eisernen Schaft der Notwendigkeit zittert und Christen an Gott zweifeln. – Der Himmel bewahre mich! und würde dir jeder Angsttropfe, den du fallen siehst, mit einer Tonne Golds aufgewogen – ich möchte nicht du sein – – Was kann noch geschehen?
WURM: Ich weiß nicht.
LUISE: Sie wollen nicht wissen? – Diese lichtscheue Botschaft fürchtet das Geräusch der Worte, aber in der Grabstille Ihres Gesichts zeigt sich mir das Gespenst – Was ist noch übrig – Sie sagten vorhin, der Herzog wollte es auffallend ahnden? Was nennen Sie auffallend?
WURM: Fragen Sie nichts mehr.
LUISE: Höre, Mensch! Du gingst beim Henker zur Schule. Wie verstündest du sonst, das Eisen erst langsam-bedächtlich an den knirschenden Gelenken hinaufzuführen und das zuckende Herz mit dem Streich der Erbarmung zu necken? – Welches Schicksal wartet auf meinen Vater? Es ist Tod in dem, was du lachend sagst, wie mag das aussehen, was du an dich hältst? Sprich es aus. Lass mich sie auf einmal haben, die ganze zermalmende Ladung. Was wartet auf meinen Vater?
WURM: Ein Kriminalprozess.
LUISE: Was ist aber das? – Ich bin ein unwissendes unschuldiges Ding, verstehe mich wenig auf eure fürchterliche lateinische Wörter. Was heißt Kriminalprozess?
WURM: Gericht um Leben und Tod.
LUISE (standhaft): So dank ich Ihnen! (Sie eilt schnell in ein Seitenzimmer.) [54]
WURM (steht betroffen da): Wo will das hinaus? Sollte die Närrin etwa? – Teufel! sie wird doch nicht – Ich eile nach – ich muss für ihr Leben bürgen. (Im Begriff, ihr zu folgen.)
LUISE (kommt zurück, einen Mantel umgeworfen): Verzeihen Sie, Sekretär. Ich schließe das Zimmer.
WURM: Und wohin denn so eilig?
LUISE: Zum Herzog. (Will fort.)
WURM: Was? Wohin? (Er hält sie erschrocken zurück.)
LUISE: Zum Herzog. Hören Sie nicht? Zu eben dem Herzog, der meinen Vater auf Tod und Leben will richten lassen – Nein! Nicht will – muss richten lassen, weil einige Böswichter wollen; der zu dem ganzen Prozess der beleidigten Majestät nichts hergibt als eine Majestät und seine fürstliche Handschrift.
WURM (lacht überlaut): Zum Herzog!
LUISE: Ich weiß, worüber Sie lachen – aber ich will ja auch kein Erbarmen dort finden – Gott bewahre mich! nur Ekel – Ekel nur an meinem Geschrei. Man hat mir gesagt, dass die Großen der Welt noch nicht belehrt sind, was Elend ist – nicht wollen belehrt sein. Ich will ihm sagen, was Elend ist – will es ihm vormalen in allen Verzerrungen des Todes, was Elend ist – will es ihm vorheulen in Mark und Bein zermalmenden Tönen, was Elend ist – und wenn ihm jetzt über der Beschreibung die Haare zu Berge fliegen, will ich ihm noch zum Schluss in die Ohren schreien, dass in der Sterbestunde auch die Lungen der Erdengötter zu röcheln anfangen, und das jüngste Gericht Majestäten und Bettler in dem nämlichen Siebe rüttle. (Sie will gehen.)
WURM (boshaft freundlich): Gehen Sie, o gehen Sie ja. Sie können wahrlich nichts Klügeres tun. Ich rate es Ihnen, gehen Sie, und ich gebe Ihnen mein Wort, dass der Herzog willfahren wird.
LUISE (steht plötzlich still): Wie sagen Sie? – Sie raten mir selbst dazu? (Kommt schnell zurück.) Hm! Was will ich denn? Etwas Abscheuliches muss es sein, weil dieser Mensch dazu ratet – Woher wissen Sie, dass der Fürst mir willfahren wird?
WURM: Weil er es nicht wird umsonst tun dürfen.
LUISE: Nicht umsonst? Welchen Preis kann er auf eine Menschlichkeit setzen?
WURM: Die schöne Supplikantin ist Preises genug.
LUISE (bleibt erstarrt stehen, dann mit brechendem Laut): Allgerechter!
WURM: Und einen Vater werden Sie doch, will ich hoffen, um diese gnädige Taxe nicht überfordert finden?
LUISE (auf und ab, außer Fassung): Ja! Ja! Es ist wahr. Sie sind [55] verschanzt, eure Großen – verschanzt vor der Wahrheit hinter ihre eigenen Laster, wie hinter Schwerter der Cherubim – Helfe dir der Allmächtige, Vater. Deine Tochter kann für dich sterben, aber nicht sündigen.
WURM: Das mag ihm wohl eine Neuigkeit sein, dem armen verlassenen Mann – „Meine Luise,“ sagte er mir, „hat mich zu Boden geworfen. Meine Luise wird mich auch aufrichten.“ – Ich eile, Mamsell, ihm die Antwort zu bringen. (Stellt sich, als ob er ginge.)
LUISE (eilt ihm nach, hält ihn zurück): Bleiben Sie! bleiben Sie! Geduld! Wie flink dieser Satan ist, wenn es gilt, Menschen rasend zu machen! – Ich hab ihn niedergeworfen. Ich muss ihn aufrichten. Reden Sie! Raten Sie! Was kann ich? was muss ich tun?
WURM: Es ist nur ein Mittel.
LUISE: Dieses einzige Mittel?
WURM: Auch Ihr Vater wünscht –
LUISE: Auch mein Vater? – Was ist das für ein Mittel?
WURM: Es ist Ihnen leicht.
LUISE: Ich kenne nichts Schwereres, als die Schande.
WURM: Wenn Sie den Major wieder frei machen wollen?
LUISE: Von seiner Liebe? Spotten Sie meiner? – Das meiner Willkür zu überlassen, wozu ich gezwungen ward?
WURM: So ist es nicht gemeint, liebe Jungfer. Der Major muss zuerst und freiwillig zurücktreten.
LUISE: Er wird nicht.
WURM: So scheint es. Würde man denn wohl seine Zuflucht zu Ihnen nehmen, wenn nicht Sie allein dazu helfen könnten?
LUISE: Kann ich ihn zwingen, dass er mich hassen muss?
WURM: Wir wollen versuchen. Setzen Sie sich.
LUISE (betreten): Mensch! Was brütest du?
WURM: Setzen Sie sich. Schreiben Sie! Hier ist Feder, Papier und Dinte.
LUISE (setzt sich in höchster Beunruhigung): Was soll ich schreiben? An wen soll ich schreiben?
WURM: An den Henker Ihres Vaters.
LUISE: Ha! du verstehst dich darauf, Seelen auf die Folter zu schrauben. (Ergreift eine Feder.)
WURM (diktiert): „Gnädiger Herr“ –
LUISE (schreibt mit zitternder Hand).
WURM: »Schon drei unerträgliche Tage sind vorüber – – sind vorüber – und wir sahen uns nicht«
LUISE (stutzt, legt die Feder weg): An wen ist der Brief? [56]
WURM: An den Henker Ihres Vaters.
LUISE: O mein Gott!
WURM: „Halten Sie sich deswegen an den Major – an den Major – der mich den ganzen Tag wie ein Argus hütet“ –
LUISE (springt auf): Büberei, wie noch keine erhört worden! An wen ist der Brief?
WURM: An den Henker Ihres Vaters.
LUISE (die Hände ringend auf und nieder): Nein! Nein! Nein! Das ist tyrannisch, o Himmel! Strafe Menschen menschlich, wenn sie dich reizen, aber warum mich zwischen zwei Schröcknisse pressen? Warum zwischen Tod und Schande mich hin und her wiegen? Warum diesen Blut saugenden Teufel mir auf den Nacken setzen? – Macht, was ihr wollt. Ich schreibe das nimmermehr.
WURM (greift nach dem Hut): Wie Sie wollen, Mademoiselle. Das steht ganz in Ihrem Belieben.
LUISE: Belieben, sagen Sie? In meinem Belieben? – Geh, Barbar! hänge einen Unglücklichen über dem Abgrund der Hölle aus, bitt ihn um etwas, und lästre Gott, und frag ihn, ob’s ihm beliebe? – O du weißt allzu gut, dass unser Herz an natürlichen Trieben so fest als an Ketten liegt – Nunmehr ist alles gleich. Diktieren Sie weiter. Ich denke nichts mehr. Ich weiche der überlistenden Hölle. (Sie setzt sich zum zweitenmal.)
WURM: „Den ganzen Tag wie ein Argus hütet“ – Haben Sie das?
LUISE: Weiter! weiter!
WURM: „Wir haben gestern den Präsidenten im Haus gehabt. Es war possierlich zu sehen, wie der gute Major um meine Ehre sich wehrte.“
LUISE: O schön, schön! o herrlich! – Nur immer fort.
WURM: „Ich nahm meine Zuflucht zu einer Ohnmacht – zu einer Ohnmacht – dass ich nicht laut lachte.“ –
LUISE: O Himmel!
WURM: „Aber bald wird mir meine Maske unerträglich – unerträglich – Wenn ich nur loskommen könnte“ –
LUISE (hält inne, steht auf, geht auf und nieder, den Kopf gesenkt, als suchte sie was auf dem Boden; dann setzt sie sich wiederum, schreibt weiter): „Loskommen könnte“ –
WURM: „Morgen hat er den Dienst – Passen Sie ab, wenn er von mir geht, und kommen an den bewussten Ort“ – Haben Sie „bewussten“?
LUISE: Ich habe alles.
WURM: „An den bewussten Ort zu Ihrer zärtlichen.... Luise.“
LUISE: Nun fehlt die Adresse noch. [57]
WURM: „An Herrn Hofmarschall von Kalb.“
LUISE: Ewige Vorsicht! ein Name, so fremd meinen Ohren, als meinem Herzen diese schändlichen Zeilen. (Sie steht auf und betrachtet eine große Pause lang mit starrem Blick das Geschriebene, endlich reicht sie es dem Sekretär mit erschöpfter, hinsterbender Stimme.) Nehmen Sie, mein Herr. Es ist mein ehrlicher Name – es ist Ferdinand – es ist die ganze Wonne meines Lebens, was ich jetzt in Ihre Hände gebe – Ich bin eine Bettlerin!
WURM: O nein doch! Verzagen Sie nicht, liebe Mademoiselle. Ich habe herzliches Mitleid mit Ihnen. Vielleicht – wer weiß? – Ich könnte mich noch wohl über gewisse Dinge hinwegsetzen – Wahrlich! Bei Gott! Ich habe Mitleid mit Ihnen.
LUISE (blickt ihn starr und durchdringend an): Reden Sie nicht aus, mein Herr. Sie sind auf dem Wege, sich etwas Entsetzliches zu wünschen.
WURM (im Begriff, ihre Hand zu küssen): Gesetzt, es wäre diese niedliche Hand – Wieso, liebe Jungfer?
LUISE (groß und schrecklich): Weil ich dich in der Brautnacht erdrosselte und mich dann mit Wollust aufs Rad flechten ließe. (Sie will gehen, kommt aber schnell zurück.) Sind wir jetzt fertig, mein Herr? Darf die Taube nun fliegen?
WURM: Nur noch die Kleinigkeit, Jungfer. Sie müssen mit mir und das Sakrament darauf nehmen, diesen Brief für einen freiwilligen zu erkennen.
LUISE: Gott! Gott! und du selbst musst das Siegel geben, die Werke der Hölle zu verwahren? (Wurm zieht sie fort.)
« 2. Akt | Kabale und Liebe | 4. Akt » | |||
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext. |