1 Einleitung

In einer Welt, die sich durch die rapide fortschreitende Digitale Transformation kontinuierlich verändert, ist es entscheidend, dass Unternehmen und ihre Mitarbeiter:innen die notwendigen digitalen Kompetenzen entwickeln und anwenden. Diese Notwendigkeit spiegelt sich insbesondere in der globalen Wettbewerbslandschaft wider, wo Nationen wie die USA und asiatische Länder, einschließlich China und Südkorea, als führende Akteure in der Technologiebranche hervortreten. Die Europäische Union und speziell Deutschland stehen vor der Herausforderung, in diesem rasanten Wettbewerb mitzuhalten. Der „Digital Dependence Index“ (DDI) von Mayer und Lu illustriert die führende Rolle der USA in der weltweiten digitalen Wirtschaft und die zunehmende Bedeutung digitaler Technologien in Ländern wie China (Platz 2) und Südkorea (Platz 3). Der DDI zeigt eine hohe Verwundbarkeit der europäischen Digitalwirtschaft, was die Dringlichkeit unterstreicht, digitale Kompetenzen in der EU zu stärken (Abb. 1).

Abb. 1
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Digitale Dependenz Rangliste 2019 (Standard DDI)

In Reaktion darauf hat die Europäische Kommission eine Digitalstrategie entwickelt, die Schlüsseltechnologien wie künstliche Intelligenz (KI), Internet der Dinge, Blockchain, Cybersicherheit sowie Quanten- und Cloud-Computing umfasst. Diese Strategie zielt darauf ab, die Wettbewerbsfähigkeit und digitale Souveränität Europas zu stärken und eine florierende digitale Zukunft für seine Bürger:innen und Unternehmen zu sichern.

Trotz Deutschlands wirtschaftlicher Stärke und Technologieführerschaft in Europa gibt es, laut dem Jahresgutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), signifikante Schwächen in der Adressierung dieser Schlüsseltechnologien (Groß 2022). Dieser Artikel beleuchtet, wie deutsche Unternehmen, insbesondere KMUs, im Kontext der digitalen Transformation und im Umgang mit Schlüsseltechnologien am Beispiel der Künstlichen Intelligenz aufgestellt sind.

Künstliche Intelligenz (KI) wird zudem von Unternehmen in Deutschland als zentrale Zukunftstechnologie identifiziert. Diese Erkenntnis wurde unter anderem durch Deloitte (Günther 2023) gewonnen, die regelmäßig Befragungen von Finanzvorständen durchführen. Trotz sich eintrübender Geschäftssituationen bleibt KI eine der Informations- und Kommunikationstechnologien, auf die Unternehmen ihre unternehmerische Aufmerksamkeit richten. Dies zeigt sich daran, dass bereits 50 % der Befragten in ihren Unternehmen bereits mit KI experimentieren. Zudem betrachten innerhalb eines Fünf-Jahres-Horizonts zwei Drittel der Befragten KI als wichtig oder sogar sehr wichtig für ihre jeweiligen Geschäftsfelder.

Basierend auf den Erfahrungen des vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAGS) geförderten Zukunftszentrum KI NRW, werden die Herausforderungen und Chancen im Bereich Digitalisierung und KI, denen sich deutsche KMUs gegenübersehen, dargestellt. Die Zukunftszentren sind dabei über die gesamte Bundesrepublik verteilt und dienen laut Beschreibung des BMAS dazu, KMU zu beraten und zu vernetzen sowie innovative Konzepte zur Weiterbildung im Betrieb zu entwickeln und erproben. Dazu sollen Einführungs- und Anwendungsprozesse von digitalen Technologien und KI-basierten Systemen partizipativ, das heißt gemeinsam mit den Beschäftigten, gestaltet werden.

Die retrospektive Analyse der Beratungsfälle des Zukunftszentrums zeigt, dass deutsche KMUs noch Aufholbedarf in Bezug auf Künstliche Intelligenz haben und häufig Beratungen zu grundlegenden Aspekten der Digitalisierung wie Prozessmanagement und datenbasierten Geschäftsmodellen nachfragen. Ziel des Artikels ist es, ein umfassendes Verständnis der digitalen Kompetenzen zu erarbeiten, das notwendig ist, um sowohl aktuelle als auch zukünftige Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen. Auf Basis der retrospektiven Analyse der Beratungsfälle werden Kompetenzlisten erarbeitet, die als Grundlage für die Entwicklung von Handlungsempfehlungen dienen. Diese Listen umfassen spezifische Fähigkeiten und Kenntnisse, die in der heutigen digital transformierten Arbeitswelt mit dem Schwerpunkt auf den Einsatz von Digitalisierung und vor allem Künstlicher Intelligenz unerlässlich sind. Darüber hinaus werden die ermittelten Kompetenzen in Form von Leitfragen strukturiert, um konkrete Handlungsempfehlungen für Unternehmen und ihre Mitarbeiter:innen zu formulieren. Diese Fragen sollen Unternehmen dabei unterstützen, ihre aktuellen digitalen Kompetenzen zu bewerten und gezielt Maßnahmen zur Kompetenzentwicklung und -erweiterung einzuleiten, um den dynamischen Anforderungen der Digitalen Transformation gerecht zu werden.

2 Digitale Transformation und deren Dimensionen

Die digitale Transformation hat sich zu einem zentralen Thema in der heutigen Geschäftswelt entwickelt. Sie betrifft dabei Unternehmen unabhängig ihrer Größenordnungen und Branche. Die „Digitale Transformation“ bezieht sich dabei auf den Einsatz von digitalen Technologien, um signifikante Veränderungen in Geschäftsmodellen, Prozessen, Produkten und Dienstleistungen zu bewirken (Westerman et al. 2014). Sie geht über die reine Automatisierung bestehender Prozesse hinaus und erfordert von den Unternehmen oftmals eine umfassende Neuausrichtung, um den sich verändernden Anforderungen gerecht zu werden. Lacity und Willcocks (2015) beschreiben vielmehr, dass sich digitale Transformation auf Strategie, Kultur, Prozesse, Technologien und Menschen erstreckt und eine koordinierte Anstrengung erfordert. Dabei umfasst die digitale Transformation verschiedene Dimensionen innerhalb von Unternehmen auf. Westerman et al. (2014) stellen zum einen die technologische Infrastruktur als Grundlage für den Einsatz digitaler Technologien und eine nahtlose Integration in (bestehende) Systeme in den Fokus. Auch Lacity und Willcocks (2015) beschreiben als einen der wesentlichen Aspekte der digitalen Transformation die Geschäftsprozessoptimierung und Automatisierung zur Steigerung der Effizienz. Diese eher technologiezentrierte Sicht erweitern Westerman et al. (2014) um die organisatorische Perspektive und die Notwendigkeit einer Unternehmenskultur, die offen für Veränderungen und kontinuierliches Lernen ist. Al-Debei und Avison (2010) betonen, dass ein wesentlicher Aspekt der digitalen Transformation auch neue Formen der Kundenzentriertheit sein sollte, um passgenaue Angebote zu ermöglichen. Ludwig et al. (2016) untersuchten, welche Spannungsfehler sich speziell für KMU bezüglich des digitalen Wandels und Ansätzen von Industrie 4.0 ergeben. Diese Spannungsfelder umfassen dabei (a) die sozio-technische Adaptierbarkeit von Industrie 4.0 Konzepten auf den Mittelstand, (b) die Qualifikation von Mitarbeiter:innen, (c) die Mensch-Maschine-Kooperation, (d) den Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie (e) die Sicherheit von Unternehmens- und Beschäftigtendaten. Fast 15 Jahre nach der Proklamation von Industrie 4.0 und den damit einhergehenden Spannungsfeldern für KMU, möchten wir mit dieser Studie untersuchen, wie vor allem KMU bezüglich der durch die EU ausgerufenen Schlüsseltechnologien aufgestellt sind.

3 Empirische Studie

Um die aktuellen Bedarfe seitens der KMU zu verstehen, haben wir in der Retrospektive verschiedene Beratungsfälle, welche innerhalb des Zukunftszentrum KI NRW durchgeführt wurden, analysiert. Hinter dem seit 2021 bestehenden Zukunftszentrum KI NRW stehen als Konsortialführer die ZENIT GmbH, die beiden Bildungswerke TBS-Technologieberatungsstelle des Deutschen Gewerkschaftsbund und das Bildungswerk der NRW-Wirtschaft, sowie die agentur mark als Vertreterin der NRW-Regionalagenturen. Als wissenschaftlicher Partner mit Schwerpunkt auf Qualifizierung und Beratung im Bereich Digitalisierung und KI fungiert die FernUniversität in Hagen. Zentrale Aufgabe des Zukunftszentrums KI NRW ist die Unterstützung vor allem von KMU sowie deren Beschäftigten durch praxisnahe Beratung und Qualifizierung im Bereich Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. Ziel ist es, die Chancen und Potenziale von Digitalisierung im betrieblichen Umfeld zu nutzen und so Unternehmen in ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Das Projekt Zukunftszentrum KI NRW wird im Rahmen des Programms Zukunftszentren durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW sowie durch die Europäische Union über den Europäischen Sozialfonds Plus gefördert.

3.1 Anwendungsfeld

Die Beratungsangebote des Zukunftszentrum KI NRW umfassen zwei verschiedene Formen der Beratung: Zum einen die Kurzberatung, bei der hauptsächlich eine erste Einschätzung und Sensibilisierung für bestimmte Technologien oder Veränderungsprozesse und die praktische Diskussion potenzieller Anwendungsfälle im Unternehmen erfolgt. Die Kurzberatungen variieren in ihrer Dauer, überschreiten jedoch nie einen Tag. Unternehmen und Betriebsräte können diese in Anspruch nehmen, ohne dass ein festgelegtes Thema vorgegeben ist. Zum anderen die Intensivberatung, bei der ein Beratungsteam eng mit einem KMU an einem konkreten Anwendungsfall arbeitet und diesen gegebenenfalls bis zu einem Proof-of-Concept vorantreibt. Die Intensivberatung schließt in der ersten Phase des Zukunftszentrums eine Zusammenarbeit von bis zu fünf und in der zweiten Phase bis zu zehn Beratungstagen ein. Mit der Fertigstellung des Proof-of-Concept bzw. dem Nachweis der Technologiefunktionalität endet die Begleitung durch das Zukunftszentrum KI NRW. Es liegt dann in der Verantwortung des Unternehmens, auf Basis der Kollaborationsergebnisse interne Veränderungen anzustoßen oder sie bis zur Marktführung weiterzutreiben. Aufgrund der öffentlichen Förderung des Projekts ist eine vollständige Begleitung bis zur „Marktreife“ aus Gründen der Beihilfe und zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrung untersagt. Diese beiden Beratungsangebote ergänzend bietet das Zukunftszentrum Förderberatung an, bei der es eine Lotsenfunktion übernimmt und Unternehmen in Kurzberatungen auch spezifische Fördermöglichkeiten erläutert.

In diesem Artikel wird sich auf KI als Proxy für die, von der EU ausgerufenen digitalen Schlüsseltechnologien fokussiert. Der Fokus ergibt sich einerseits aus der Förderstruktur im Konsortium und andererseits aus der Tatsache, dass sie zentral in den Angeboten des Zukunftszentrums (Vorträge, Medienarbeit, Sensibilisierungsworkshops) im Mittelpunkt steht. Dadurch hat sich das Zukunftszentrum KI NRW als Ansprechpartner für diese Schlüsseltechnologie in verschiedenen Branchen innerhalb NRWs etabliert. KI wird außerdem im Unternehmenskontext als die disruptivste der Schlüsseltechnologien betrachtet, woraus ein besonderer Förderbedarf zu schließen ist (Benbya et al. 2020). Diese Einschätzung hat durch den weltweiten Durchbruch von Large Language Models Anfang 2023 mit ChatGPT als prominentester Vertreter zusätzlichen Auftrieb erhalten.

3.2 Methodik und Datengrundlage

Die Arbeit des Zukunftszentrums wird in einem digitalen Tool dokumentiert, das eingeführt wurde, um interne Vereinbarungen zu überwachen und den Beratungsprozess festzuhalten. Zusätzlich erfassen die Beratenden in diesem Tool den Schriftverkehr, Gedächtnisprotokolle und das Endergebnis. Alle Berichte zu den einzelnen Fällen sind in einer Datenbank gespeichert, die als Grundlage für die Analyse zur Verfügung steht. Zu Beginn eines Falls kategorisieren die Beratenden die Beratung anfragenbezogen. Wenn der Fall inhärent Fragen zur Digitalisierung betrifft, wird dies in einem Feld markiert. Das Gleiche gilt im Falle von Beratungsbedarf im Kontext von Künstlicher Intelligenz. Bei den Kurzberatungen erhält man so einen Einblick in das Interesse der KMUs in NRW an KI. Ob dieses Interesse umgesetzt wird und welche Herausforderungen im Unternehmen auftreten, kann man nachgelagert in den Intensivberatungen beobachten. Hierbei müssen die Unternehmen (Personal‑)Ressourcen mobilisieren, um in Zusammenarbeit mit den Beratern ein KI- oder Digitalisierungsprojekt umzusetzen.

Um stichhaltige Aussagen über die Beratungsergebnisse bei den Unternehmen insbesondere hinsichtlich der Aufstellung in der Schlüsseltechnologie treffen zu können, wurden die Datensätze aus der Dokumentationssoftware untersucht. Der Datensatz besteht aus 498 Erstberatungen und 50 Intensivberatungen. Die Daten stammen aus Beratungen im Zeitraum von Mai 2021 und Juli 2023. Anschließend hat ein Team von Codierenden mithilfe von MAXQDA, einer Software zur Auswertung qualitativer Daten, die Fälle entlang der durchgeführten Beratungen kategorisiert. Des Weiteren wurde die nicht strukturierten Daten auf Schlüsselstellen innerhalb der untersuchten Beratungsfälle analysiert und gegebenenfalls mit den Beratenden nachbesprochen, um fehlendes Kontextwissen nachverfolgen zu können. Daraus folgend wurden die Fälle, in denen KI im Beratungsverlauf thematisiert wurde, gesondert markiert. Diese Fälle wurden hinsichtlich der Umsetzung, des Interesses und Herausforderungen bei der Implementierung von KI basierten Lösungen in mehreren Sitzungen von den Codierenden analysiert.

3.3 Ergebnisse: Das Spannungsfeld zwischen Schlüsseltechnologien und digitalen Grundlagen

Zunächst lässt sich ein ausgeprägtes Interesse des Mittelstands an der Digitalisierung und KI als Technologie feststellen. Dies wird durch die Erstanfragen in Form von Kurzberatungen an das Zukunftszentrum KI NRW deutlich, von denen rund 37 % primär KI-Themen behandeln. Dies kann das Erkunden von Einsatzmöglichkeiten von KI, die Sensibilisierung für technische Voraussetzungen, die Bereitstellung von Informationsgrundlagen usw. umfassen. Bei den betrachteten Intensivberatungen in Unternehmen zeigt sich eine ähnliche Verteilung der Themenfelder Digitalisierung und KI. In der qualitativen Analyse der Fälle eröffnete sich allerdings eine differenziertere Sicht auf die Anwendung der Schlüsseltechnologie in den KMU. 17 Intensivberatungen wurden gestartet mit dem expliziten Ziel, eine mehrwertschaffende Innovation unter Verwendung von KI unternehmensintern zu erproben und als weitere Basis dem Unternehmen zu überlassen. Diese Fälle wurden einer Feinanalyse unterzogen.

Dabei zeigte sich, dass nur in sechs KI-Beratungen die Datenlage und das Vorwissen der Unternehmen es zuließen, dass im Zuge des Beratungsprozesses der Unternehmen ein anwendungsnaher KI-Demonstrator entwickelt werden konnte. In einem dieser Fälle konnte ein Unternehmen beispielsweise eine adäquate Datenbasis seiner Anfragen für Angebote zur Verfügung stellen, sodass ein KI-Projekt aufgesetzt werden konnte. Dessen Ziel war es, die Auftragswahrscheinlichkeiten von neuen Angeboten vorherzusagen. Das Unternehmen stand vor dem gängigen Problem, dass viele eingehende Aufforderungen für Angebote nicht mit Bestellabsicht gestellt wurden. Dies bindet wertvolle Arbeitskraft von Fachkräften und führt unter Umständen dazu, dass nicht alle Angebotswünsche bedient werden können. Mit den Fachleuten für Angebotserstellung des Unternehmens und der zur Verfügung gestellten ausreichend wertigen Daten konnte ein KI-Modell trainiert werden, das eingehende Anfragen überprüfte und mit einer Treffsicherheit von über 80 % Angebotsanfragen identifizieren konnte, die ein wirkliches Interesse von Seiten potenzieller Kunden widerspiegelten. So können zukünftig Mitarbeitende in der Beurteilung von Angeboten unterstützt werden, wodurch Arbeitszufriedenheit steigen und die knappen Personalressourcen auf vielversprechende Anfragen fokussiert werden könnten. Dieses Beispiel zeigt eine optimale Fallentwicklung an, bei dem das vordefinierte Ziele und die Grundlagen, die von Seiten des Unternehmens zur Verfügung gestellt werden mussten (Personalressourcen und Daten), zu einem idealen Beratungsabschluss geführt haben.

In den verbleibenden elf identifizierten Fällen musste allerdings trotz bester Absicht der Projektbeteiligten aufgrund einer unzureichenden Qualität der Datenbasis oder einer fehlenden Aufbereitung der erfassten Daten eine Transformation des Projektziels hin zu vorgelagerten Digitalisierungsstrategien veranlasst werden, bzw. der Beratungsprozess unterbrochen werden. Die Entwicklung eines KI-Prototypen war umstandsbedingt also trotz Absicht nicht möglich. So wurden in der Beratung eines Unternehmens zunächst Potenziale zur Automatisierung des Einkaufs oder der Verbesserung der Materialerfassung mit Unterstützung von KI identifiziert. Vor der prototypischen Umsetzung musste jedoch bei der Prozesserfassung festgestellt werden, dass die Datenlandschaft aus den IT-Systemen mangels Ordnung und Konsistenz für eine Auswertung ungeeignet ist. Das Projektziel verschob sich insofern zugunsten einer Optimierung der Datenerfassung und des Datenmanagements. Manche Unternehmen priorisierten Digitalisierungsziele auch eigenständig höher als die Einführung von KI. Bei einer Beratung im Prozessbereich wurden Potenziale der Prozesserweiterung durch ein Large Language Model vorgestellt und aktuelle Prozesse analysiert. Im Verlauf der Beratung wurde der Beratungsschwerpunkt zu Gunsten der Verbesserung der Verwaltungsprozesse durch eine Kooperationssoftware transformiert, da das Unternehmen in der Digitalisierung dringendere Bedarfe identifizierte als in der Erweiterung des Angebots. Im Extremfall ist es auch mehrmals geschehen, dass Unternehmen auf Grund der Anforderungen an Personal und Datenbasis, die KI-Projekte erstmal unterbrochen haben, um sich auf Ihrer Sicht wichtigere Geschäftsaspekte zu konzentrieren. Dies hat dazu geführt, dass die Unternehmen für die realen Anforderungen in Rahmen von KI-Einführungen sensibilisiert wurden und intern notwendige Schritte identifiziert haben, um in Zukunft KI-gestützte Technologien einführen zu können.

Der Eindruck einer starken Nachfrage nach Digitalisierungsthemen konnte auch in der Sichtung der 33 weiteren „Digitalisierungsfälle“ bestätigt werden. Exemplarische Projekte sind Konzepte zur digitalen Erfassung und Anpassung des Produktportfolios, Ersteinführung von ERP-Systemen, Datenerfassung und -Verarbeitung, digitale Geschäftsmodelle, Datenschutzfragen oder die Implementierung von Kooperationssoftware. Die Einführung künstlicher Intelligenz im Haupterwerbsbereich kann nur erfolgen, wenn durch die Digitalisierung der Geschäftsprozesse zukünftig eine belastbare Datenhistorie geschaffen wird. Die extensive Nachfrage dieser grundlegenden Digitalisierungsvorhaben durch die Beratenden stützt die Vermutung, dass viele, vor allem KMU vor einer zukünftigen Umsetzung von Schlüsseltechnologien wie KI zunächst externe Unterstützung in Digitalisierungsbestrebungen in Form einer schrittweisen Befähigung erhalten sollten. Für die sinnhafte Einführung von KI in KMU wird eine unternehmensspezifische und differenzierte Qualifizierungsstrategie benötigt, welche die diversen Vorkenntnisse der Unternehmen stärker in den Vordergrund stellt.

4 Diskussion und Handlungsempfehlungen

Aus den Bedarfen der Unternehmen konnten insgesamt acht Kategorien als Handlungsempfehlungen in zwei Dimensionen hergeleitet werden. Die erste Dimension beinhaltet die Technischen Kompetenzen, also solche, die notwendig sind, um Digitalisierung in der Produktion zu initiieren, anwenden zu können und zu verstehen. Hier rückten beispielweise seit Anfang 2023 zunehmend Bedarfe bezüglich eines sinnvollen unternehmensspezifischen ersten Einstiegs in KI in den Vordergrund.

In der zweiten Dimension beziehen sich die Handlungsempfehlungen auf Schlüsselkompetenzen, die es allen Mitarbeitenden im Unternehmen ermöglichen die zahlreichen Herausforderungen der Digitalisierung zu bewältigen. Diese Dimension reicht weit über den technischen Bereich hinaus. Sie gilt für alle Mitarbeitenden im Unternehmen, deren Vertretung, für Führungskräfte, sowie die Geschäftsführung. Aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet und entsprechend aufbereitet sind diese Schlüsselkompetenzen für alle im Unternehmen gleichermaßen relevant.

In der ersten Dimension Technische Kompetenzen konnten die Kategorien Einstieg in KI, innovativer Einsatz von KI, Digitalisierung und Prozessgestaltung sowie ökologische Nachhaltigkeit identifiziert werden. Die zweite Dimension, die Dimension der Schlüsselkompetenzen bezieht sich auf Kreativität/Agilität/Lösungs- & Innovationskompetenz, den Bereich Kommunikation/Motivation/-Veränderung, darüber hinaus auf die Bereiche Resilienz und Gesundheit im digitalen Wandel, sowie die Kategorie Fachkräftesicherung/Gestaltung des demografischen Wandels/Diversität.

Die Kategorien der Technischen Kompetenzen und Schlüsselkompetenzen sind in Tab. 1 zusammengestellt.

Tab. 1 Die 8 Kategorien der Handlungsempfehlung Technische Kompetenzen und Schlüsselkompetenzen

Die Handlungsempfehlungen in Bezug auf die alltägliche Arbeit, die Bedürfnisse der KMU und die Kompetenzen ihrer Mitarbeitenden lassen sich durch die nachfolgend in den in Tab. 2 und 3 dargestellten Fragestellungen unternehmensübergreifend für jedes Unternehmen spezifisch ermitteln.

Tab. 2 Fragestellungen in der Dimension Technische Kompetenzen
Tab. 3 Fragestellungen in der Dimension Schlüsselkompetenzen

Im Zukunftszentrum KI NRW wurden zu den hier aufgeführten Bedarfen partizipativ mit Pilot-Unternehmen Qualifizierungsangebote entwickelt, angewendet, evaluiert und weiteren Unternehmen zur Verfügung gestellt. Die Studie wird in den kommenden drei Jahren sukzessiv erweitert, neue Fragestellungen und damit einhergehend neue Angebote ergänzt, in der Praxis evaluiert und allgemein zugängig gemacht. So entstehen durch neue Konsortien aus Hochschule und Industrie praxisnahe Anwendungsfelder, die den KMU neue arbeitsnahe Formen des Kompetenzerwerbs und der Qualifizierung ermöglichen und anschlussfähig an die realen Bedarfe und Qualifizierungsformen der Unternehmen sind.

Nach der ersten Entwicklung diverser Qualifizierungsangebote für die beiden Kompetenzgruppen im Frühjahr 2022 wurden Erprobungsrunden durchgeführt, die wertvolle Einblicke lieferten und die Grundlage für die Verfeinerung der Angebote bildeten. Besonders bemerkenswert ist die Tatsache, dass im Frühjahr 2022 eine erhöhte Nachfrage nach Qualifizierungen im Bereich der Schlüsselkompetenzen verzeichnet wurde. Dies umfasste insbesondere Qualifikationen im Bereich der „Kreativität, Agilität, Lösungs- und Innovationskompetenz“. Gegen Ende des Jahres 2022 wandelte sich die Nachfrage hin zu vermehrten Anfragen nach technischen Kompetenzen, insbesondere in den Bereichen „Einstieg in Künstliche Intelligenz“ und „Digitalisierung & Prozessgestaltung“. Diese Trends setzten sich auch im neuen Jahr fort. Im Jahr 2023 wurden bisher vor allem Qualifizierungsangebote im Bereich des Einstiegs in die KI stark nachgefragt. Hierbei stand sowohl ein allgemeiner Überblick über das Thema KI als auch vertiefte Einblicke in fortgeschrittene Konzepte im Fokus. Aber auch Qualifizierungen über das Aufrüsten von älteren Maschinen durch „Retrofit“-Ansätze, um diese in das aktuelle Zeitalter zu bringen, wurden stark besucht. Diese anhaltende Nachfrage verdeutlicht das gesteigerte Interesse der Unternehmen daran, die Potenziale der künstlichen Intelligenz zu verstehen und gewinnbringend zu nutzen.

Die Gründe für einen solchen Trend könne vielfältig sein. Zum einen lässt sich die Entwicklung durch ein gesteigertes Angebot an technischen Qualifizierungsprogrammen erklären, welches vor etwa einem Jahr noch nicht verfügbar war. Zum anderen wurde das Einbeziehen von Schlüsselkompetenzen in die Beratungsprozesse als wichtiger Einflussfaktor identifiziert. Dies ermöglichte Unternehmen, diese Fähigkeiten während der Beratung zu erlernen und zu entwickeln. Die zunehmende Präsenz von KI-Angeboten im Internet, darunter populäre Modelle wie ChatGPT und DALL‑E, trägt maßgeblich zur Wahrnehmung der Chancen einer qualitativ hochwertigen KI-Lösung bei. Dennoch besteht bei vielen Unternehmen immer noch eine Unsicherheit darüber, was genau hinter KI steckt, welche Herausforderungen bei ihrer Implementierung auftreten können und worauf bei der Einführung von KI-Lösungen zu achten ist. Ein häufig anzutreffendes Dilemma besteht darin, dass Unternehmen den Wunsch haben, KI zu integrieren, jedoch nicht genau wissen, wo und wie sie beginnen sollen. Eben durch solche immer populärer werdenden KI Technologien kann es auch dazu führen, dass der Erwerb von Soft Skills in den Hintergrund gerückt wird und Unternehmen vorübergehend ihren Fokus auf technischere Bereiche legen.

Trotz des aktuellen Trends, bei dem Unternehmen vermehrt ihre Aufmerksamkeit auf den Erwerb von Kompetenzen im Bereich der KI legen, sollte der Erwerb von Soft Skills keinesfalls in den Hintergrund rücken. Während die Fähigkeiten im Bereich KI zweifellos von großer Bedeutung sind, spielen Soft Skills eine unersetzliche Rolle bei der Gestaltung eines ganzheitlichen, erfolgreichen Unternehmensumfelds. Nicht zuletzt spiegelt sich ihre wachsende Bedeutung auch in den Kompetenzprofilen der als Metaanalyse angelegten NextSkills Studie (Ehlers 2020) wider. Soft Skills, wie beispielsweise Kommunikationsfähigkeit, Kooperationskompetenz und Reflexionsfähigkeit sind grundlegende Eigenschaften, die das Arbeitsumfeld positiv beeinflussen. Sie sind essenziell, um effektiv in Teams zu arbeiten, innovative Ideen zu entwickeln, kreative Lösungen für Probleme zu finden und zwischenmenschliche Beziehungen zu pflegen. Diese Fähigkeiten tragen dazu bei, eine unterstützende und kollaborative Kultur zu fördern, die wiederum das Engagement der Mitarbeiter steigert und die allgemeine Produktivität steigern kann.

Zudem sollten wir bedenken, dass die rasante technologische Entwicklung und die sich ändernde Arbeitslandschaft in der Zukunft unvorhergesehene Herausforderungen mit sich bringen könnten. Soft Skills sind in dieser Hinsicht von unschätzbarem Wert, da sie eine hohe Anpassungsfähigkeit und Flexibilität ermöglichen. Die Fähigkeit, in unterschiedlichen Situationen empathisch und effektiv zu kommunizieren, mit Veränderungen umzugehen und kontinuierlich zu lernen, wird Unternehmen in der Lage versetzen, unerwarteten Herausforderungen souverän zu begegnen. Besonders im Zusammenhang mit der Einführung von KI in Unternehmen wird deutlich, wie unerlässlich Soft Skills sind. Die Integration von KI-Ansätzen erfordert eine sorgfältige Planung, Kommunikation und den respektvollen Umgang mit den Mitarbeitenden. Hierbei spielen Soft Skills eine zentrale Rolle, da sie sicherstellen, dass der Übergang zu KI nahtlos verläuft und die Mitarbeitenden rechtzeitig mitgenommen werden. Der erfolgreiche Einsatz von KI erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine. Mitarbeitende müssen verstehen, wie KI-Technologien in ihren Aufgabenbereichen eingesetzt werden können, um ihre Produktivität zu steigern und nicht zu ersetzen. Sie sollten sich aktiv in die Ausgestaltung ihrer Aufgabenbereiche einbringen können und als Expertinnen und Experten ihrer Tätigkeiten wahrgenommen werden. Um all dies zu gewährleisten ist eine klare und verständliche Kommunikation, eine offene Teamarbeit, die Fähigkeit zur Empathie und die Bereitschaft, Ängste und Bedenken zu adressieren erforderlich. Soft Skills wie Kommunikation, Konfliktlösung und interpersonelle Fähigkeiten ermöglichen es Führungskräften und Teams, ein unterstützendes Umfeld zu schaffen, in dem die Einführung von KI als Chance und nicht als Bedrohung wahrgenommen wird. Ein weiterer entscheidender Punkt ist die Vermeidung eines möglichen Boykotts oder Widerstands gegenüber der Einführung von KI. Mitarbeitende können skeptisch oder ängstlich reagieren, wenn sie nicht ausreichend über die Vorteile und den Nutzen von KI informiert sind. Hierbei sind Soft Skills von entscheidender Bedeutung, um Ängste zu mildern, Missverständnisse auszuräumen und eine positive Einstellung gegenüber der KI-Integration zu fördern. Dies erfordert ein einfühlsames und respektvolles Vorgehen, das die individuellen Bedürfnisse und Anliegen der Mitarbeitenden berücksichtigt.

Insgesamt ist klar erkennbar, dass Soft Skills bei der Einführung von neuen Technologien, wie beispielsweise KI, im Unternehmen eine Schlüsselrolle spielen, weshalb sie nicht getrennt betrachtet werden sollten, sondern als sich unterstützende Kompetenzen.

5 Zusammenfassung

Aktuelle Studien zeigen, dass Deutschland und die EU teilweise noch erheblichen Aufholbedarf im Hinblick auf die digitale Transformation haben. In diesem Artikel beleuchten wir auf Basis durchgeführter Kurz- sowie Intensivberatungen und Qualifizierungen wie deutsche Unternehmen hinsichtlich der Schlüsseltechnologien und damit einhergehenden Schlüsselkompetenzen aufgestellt sind. Dabei zeigt sich deutlich, dass KMU oftmals erst noch die Grundvoraussetzungen schaffen müssen, um Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz zukünftig anwenden und mitgestalten zu können. Gleichzeitig zeigt sich, dass nicht nur technologische Expertise notwendig ist, sondern auch Soft Skills in den Fokus rücken. Unser Artikel liefert kleine Einblicke in die tatsächliche unternehmerische Praxis und zeigt das Spannungsfeld zwischen KMU und Schlüsseltechnologien auf, die es zukünftig zu adressieren gilt.

6 Ausblick

Die Untersuchung innerhalb dieser Studie legt den Schluss nahe, dass die geforderte Einlösung der Digitalstrategie (innerhalb der Schlüsseltechnologien) erst auf der Basis einer grundlegenden Beratung und Qualifizierung erfolgen kann, welche die heterogenen Vorkenntnisse der Unternehmen stärker in den Vordergrund stellt. Die als Handlungsempfehlung den Unternehmen vermittelten Kompetenzerweiterungen ermöglichen KMUs darüber hinaus einen für ihr Unternehmen spezifischen und differenzierten Einstieg in eine eigene Qualifizierungsstrategie. Inwieweit die hier zusammengefassten Handlungsempfehlungen die Bedarfe der Unternehmen umfänglich abbilden oder durch die sich rasant entwickelnden Technologien permanent erweitert und verdichtet werden müssen, wird sich erst in naher Zukunft beweisen. Zusammenfassend scheint eine Bewältigung der Digitalen Transformation, in der im Rahmen des Wettbewerbsdrucks notwendigen Geschwindigkeit, für KMUs aus eigener Kraft kaum realisierbar zu sein. Hier gilt es unter anderem durch gezielte Fördermaßnahmen KMUs im Aufbau ihrer Digitalisierungsstrategie zu unterstützen, nicht zuletzt, um die notwendige Innovationsdynamik für den Standort Europa und die Digitalstrategie Europa einlösen zu können.