1 Einleitung

Gerade kleine und mittelständische Unternehmen des produzierenden Gewerbes müssen sich in Zukunft in Deutschland auf veränderte Rahmenbedingungen einstellen. Zu den zehn Megatrends, welche die Rahmenbedingungen und die Märkte für die Produktion nachhaltig ändern, zählen unter anderem die Globalisierung, neue Technologien, dynamische Produktlebenszyklen und die dadurch entstehenden volatilen Märkte sowie der demografische Wandel (Abele und Reinhart 2011). Der stets steigende Bedarf an kundenindividuellen Produkten ist verantwortlich für dynamische Produktlebenszyklen, reduzierte Stückzahlen, stark ansteigende Produktvarianzen, wodurch die Komplexität der Produktionsplanung und -prozesse stetig zunimmt (Reinhart 2017). Dabei rücken insbesondere Montageprozesse in den Vordergrund. Diese beanspruchen je nach Branche und Produkt zwischen 15 und 70 % der Gesamtfertigungszeit und wurden überwiegend als teuerster Herstellungsprozess identifiziert (Lotter 2012). Abhängig vom Automatisierungsgrad lassen sich automatische, halbautomatische und manuelle Montagesysteme untergliedern, wobei Letztere bei höchsten Anforderungen an Flexibilität und gleichzeitig geringsten Investitionsmitteln Anwendung finden (Lotter 2012). Dennoch bietet gerade die manuelle Montage ein hohes Potenzial für die Bewältigung der sich ändernden Rahmenbedingungen für produzierende Unternehmen.

In der manuellen Montage steht der Mensch im Mittelpunkt. Die bislang überwiegend manuell von qualifizierten Facharbeitern durchgeführten Prozessschritte können zukünftig durch kognitive und physische Assistenzsysteme unterstützt werden, so dass die Fähigkeiten des Menschen vorteilhaft mit den besonderen Eigenschaften von Maschinen kombiniert werden (Apt et al. 2018). Gerade im Bereich der kollaborativen Robotik kommt es dabei zu stetigen Neu- und Weiterentwicklungen. Kollaborative Roboter, kurz Cobots, ändern grundlegend die Art und Weise, wie Menschen und Maschinen im Fertigungsbereich zusammenarbeiten. Diese Zusammenarbeit ermöglicht es Herstellern und Arbeitern in der Industrie, die Stärke, Reproduzierbarkeit und Kontinuität von Maschinen mit der Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Intelligenz von Menschen zu verknüpfen. Im Ergebnis kann dies zu Produktivitätssteigerungen und Qualitätsverbesserungen führen, während gleichzeitig die körperliche und mentale Belastung der Produktionsmitarbeiter reduziert wird. Dies erleichtert es produzierenden Unternehmen zudem, die Herausforderungen des demographischen Wandels zu meistern (Adam et al. 2019).

2 Stand der Technik kollaborativer Robotersysteme

Bei kollaborativen Robotern handelt es sich um speziell für die Kollaboration konstruierte und gestaltete Roboter. Sie zeichnen sich durch ein geringes Eigengewicht, einfache Programmierbarkeit sowie integrierte Sicherheitsfunktionen und Sensorik für den Einsatz ohne physisch trennende Schutzeinrichtungen aus (Malik und Bilberg 2019). Mittlerweile sind zahlreiche Systeme für den kollaborativen Betrieb in der Produktion kommerziell erhältlich. Dabei kann zwischen Industrierobotern, die mit spezieller Sensorik wie z. B. kapazitiven Schutzhäuten ausgestattet werden und die Kollaborationsform der kontinuierlichen Geschwindigkeits- und Abstandüberwachung nutzen, sowie Cobots, deren Sicherheit durch die Leistungs- und Kraftbegrenzung gewährleistet wird, unterschieden werden (Robla-Gómez et al. 2017). Daneben gewinnen zunehmend auch Pflege- und Serviceroboter an Bedeutung, die ebenfalls die Kriterien eines kollaborativen Robotersystems entsprechen (Buxbaum 2020). Insgesamt stieg nach den Zahlen der International Federation of Robotics die Anzahl installierter Cobots von 2017 bis 2018 um 23 % (IFR 2019).

Bekannt ist die kollaborative Robotik besonders aus Industrie und Logistik. Cobots werden vor allem in der Automobil- und Elektroindustrie eingesetzt, wobei die Materialflussteuerung ein immer attraktiverer Anwendungsbereich für die Mensch-Roboter-Kollaborationen wird. Im Rahmen des digitalen Wandels wird erwartet, dass kollaborative Roboter vermehrt in bereits etablierten sowie neu entstehenden Anwendungsbereichen eingesetzt werden. Beispiele hierfür sind der Einsatz des ABB YouMi in der Kleinteilmontage eines tschechischen ABB-Werks für Niederspannungsprodukte sowie MRK-Systeme in Klebeanlagen der Firma Dürr (Maier und Steil 2018; Xiao 2020). Die typischen Aufgaben der Cobots liegen in der Handhabung z. B. zur Objektübergabe, einfachen Fertigungsaufgaben wie Füge- oder Klebeprozessen, seltener auch in der Durchführung komplexerer Fertigungsverfahren wie Schweißanwendungen. Grundsätzlich gilt, dass ein Roboter umso einfacher einzusetzen ist, je weniger Fingerfertigkeit erforderlich wird (Buxbaum 2020). Aufgrund der meist simplen Endeffektoren können Arbeitsbereiche, die eine hohe Feinmotorik benötigen, momentan nur eingeschränkt automatisiert werden. Dieses Hindernis schränkt bis heute die vollständige Automation in der Montage ein. Trotz der mittlerweile umfassenden Normengrundlage besteht großer Bedarf an praktisch anwendbaren Auslegungsempfehlungen für kollaborative Roboterapplikation. Nutzer müssen deshalb bislang immer noch Einzelfallanalysen für die Auswahl und sichere Umsetzung von Applikationen durchführen. Dies erschwert gerade für KMUs, die meist nur wenig Expertise im Bereich der Sicherheitstechnik und Auslegung von Roboterapplikationen haben, den Einsatz neuer Technologien. Erschwerend wirkt sich zudem die typischerweise hohe Variantenvielfalt der zu montierenden Produktfamilien aus. Diese erfordert die steuerungstechnische Vernetzung von Assistenzsystemen wie dem kollaborativen Roboter und den Datenaustausch mit IT-Systemen anderer Unternehmensbereiche im Sinne des Referenzarchitekturmodells der Industrie 4.0. Im Folgenden werden ein Lösungsansatz für diese zentralen Herausforderungen präsentiert und Empfehlungen für die Übertragung auf andere Anwendungsszenarien und Branchen formuliert.

3 Integration kollaborativer Robotiksysteme an Montagearbeitsplätzen

Digital vernetzte Assistenzsysteme können kognitive und physische Unterstützung leisten, um Montageabläufe zu verbessern. Basierend auf der Analyse existierender Systemarbeitsplätze, die bei kleinen und mittelständischen Unternehmen bereits eingesetzt werden, entwickelt das Projekt SynDiQuAss eine Spezifikation für standardisierte Montagearbeitsplätze, die aufgrund ihres modularen Aufbaus mit Unternehmensplanungssystemen sowie Entwicklungswerkzeugen vernetzt werden können und die flexible Integration von Assistenzsystemen ermöglichen. Zentraler Bestandteil ist eine im Projekt entwickelte Softwareplattform, der sowohl die daten- als auch aktorgetriebene Repräsentation des Montageprozesses ermöglicht und die steuerungstechnischen Schnittstellen zu den Assistenzsystemen bereitstellt (Sochor et al. 2019). Die digitale Arbeitsanweisung als Repräsentation eines Aktivitätsdiagramms (sogenannte Editor-Funktion) wird darin ebenso wie die Interaktionsmöglichkeiten mit den Assistenzsystemen definiert. Die Visualisierung während des Montagevorgangs wird variantenindividuell angepasst (sogenannte Assistentenfunktion) und beinhaltet auch eine Kommentierfunktion für Monteure als Datenbank für ein Wissensmanagementsystem (Rusch et al. 2020). Die Softwareplattform wird als lokale Instanz am jeweiligen Montagearbeitsplatz installiert und mit der IT-Architektur des Unternehmens verknüpft.

Abb. 1 zeigt, welche allgemeinen Schnittstellen der Assistent/Editor als Integrationsplattform implementiert und welche Daten anderer Unternehmensbereiche dabei ausgetauscht werden. Die Schnittstelle zum ERP-System wird für das Benutzerrollen- und Berechtigungskonzept sowie auftragsbezogene Daten wie die Produkt-ID, Stückzahl etc. benötigt. Entwicklung und Konstruktion liefern produktbezogene Konstruktionsdaten wie CAD-Modelle (Explosionsdarstellung, Schnitt- und Zusammenbauzeichnungen), Stücklisten, Werkzeuglisten zur Erstellung der Montagesequenz im Editor und zur Bereitstellung kognitiver Assistenzfunktionalitäten im Assistenten. Zur Dokumentation und Nachverfolgbarkeit individueller Qualitätsdaten wie Prüfprotokollen und Messergebnissen wird die dritte Schnittstelle zum Qualitätsmanagement genutzt. Logistik und Arbeitsvorbereitung werden für Assistenzfunktionalitäten beim Kommissionieren ebenfalls mit der Softwareplattform vernetzt.

Abb. 1
figure 1

Schnittstellen der Softwareplattform

Die Schnittstellenspezifikation ist systemunabhängig formuliert, setzt jedoch voraus, dass die anzubindenden Unternehmensfunktionen über digitale Datenstrukturen verfügen. Der modulare Aufbau der Softwareplattform ermöglicht es hierbei, Funktionalitäten wie die Kommissionierassistenz und zugehörigen Systemkomponenten wie AR-Brillen individuell anzubinden.

3.1 Modularer Systemarbeitsplatz mit Kollaborationsräumen

Als Anwendungsbeispiel wird ein im Rahmen des Forschungsprojekts SynDiQuAss entworfenes kollaboratives System zur Kleinserienmontage von Getrieben betrachtet. Bei dem zu montierenden Getriebe handelt es sich um ein geschlossenes Getriebe, dass aus mehreren Einzelteilen besteht und zum Schutz abschließend mit einer Dichtraupe versehen wird. Kundenindividuelle Getriebevarianten werden in Kleinserie als Sequenz manueller Handhabungs‑, Füge- und Qualitätsprüfschritte montiert. Für den mechanischen Aufbau des standardisierten Systemarbeitsplatzes wird ein modularer Aufbau vorgeschlagen, wie er auch bei Rusch und Kerber (2019) beschrieben ist. Jeder Bereich des Arbeitsplatzes wird für einzelne Aktivitäten im Montageprozess genutzt und der Arbeitsplatz so in spezielle Module aufgeteilt, siehe Abb. 2. Dabei ist Modul 1 der ausschließlich für manuelle Tätigkeiten reservierte Arbeitsbereich des Werkers, in den der Roboter aufgrund seiner Sicherheitskonfiguration nicht eindringen kann (vgl. 4.1). Dort befinden sich die für die Getriebemontage benötigten Gehäuseteile, die von der Arbeitsvorbereitung bereitgestellt werden. Modul 3 enthält einen fahrbaren Aufbau für alle Normteile, die in Kleinladungsträgern sortiert sind. Der Cobot nutzt die Arbeitsfläche von Modul 2 sowie den kugelscheibenförmigen kollaborativen Arbeitsbereich in Modul 3.

Abb. 2
figure 2

Module und Arbeitsbereiche (Grau: Arbeitsbereich Roboter, Rot: Kollaborationsraum, Grün: Schutzzonen)

3.2 Universelle Schnittstelle für Peripheriegeräte zur hybriden Assistenz

Für die Integration physischer und kognitiver Assistenzsysteme verfügt die Softwareplattform über eine universelle Schnittstelle auf Basis eines TCP/IP-Protokolls, die die grundlegende Kommunikation zwischen Peripheriegeräten und dem Assistenten/Editor definiert. Über ein Konfigurationsmenu wird dabei der Typ des Peripheriegeräts angelegt, der dann bei der Definition des Montageschritts als Assistenzfunktionalität hinzugefügt werden kann. Ein Montageschritt hat dabei die Eigenschaft, dass maximal eine Assistenzfunktionalität zusätzlich zu den standardmäßig mit dem Prozessschritt verknüpften kognitiven Funktionen Pick-by-light, CAD-Darstellungen bzw. Videos, Einzelteil- und Werkzeuginformationen verknüpft wird. Sind mehrere Teilfunktionalitäten erforderlich, muss der Montageschritt aufgeteilt werden. Wie in Abb. 3 dargestellt, implementiert die universelle Schnittstelle einen bidirektionalen Informationsfluss, bei dem Steuerungsbefehle an das Peripheriegerät gesendet und Status- sowie Ergebniswerte zurückgeschickt werden. Soll eine komplexere Interaktion realisiert werden, wird die Schnittstelle durch ein dediziertes Plugin der Software für systemspezifische Kommunikationssequenzen ergänzt. Ein Beispiel hierfür ist das externe Kamerasystem, das für Qualitätsprüfaufgaben bzw. zur Bewegungsplanung des Robotersystems eingesetzt wird. Dafür müssen neben Triggerbefehlen auch weitere Kommandos zur Anzahl und Verarbeitung der Aufnahmen jeweils im Handshakeverfahren kommuniziert werden. Neben der funktionalen Interaktion wird über die universelle Schnittstelle auch ein Fehlermanagementsystem implementiert. Im Falle einer unkritischen Störung informiert der Assistent den Werker über das Fehlerereignis und liefert Anleitungsinformationen zur Behebung über ein Popup. Liegt ein kritischer Fehler wie z. B. eine Kollisionsfahrt des Roboters mit ausgelöstem Sicherheitsstopp vor, wird der im Editor mit seinen Kontaktdaten hinterlegte Experte informiert. Die erfolgreiche Fehlerbehebung wird in beiden Fällen bestätigt und im Editor als Fehlerereignis mit Zeitstempeln dokumentiert. Dadurch werden zusätzliche Daten über den Produktionsprozess generiert, die für die kontinuierliche Optimierung der Systemauslegung genutzt werden können.

Abb. 3
figure 3

Universelle Schnittstelle und Nutzerinteraktion

3.3 Mensch-Maschine Interaktion am Beispiel des kollaboratives Robotersystems

Um geeignete Montageschritte für den Einsatz eines kollaborativen Robotersystems auszuwählen, wurden alle Teilschritte hinsichtlich Ergonomie, Belastungsfaktoren für die Monteure und Qualitätsanforderungen (Fink et al. 2020) bewertet. Hinsichtlich des Grades der Interaktion zwischen Werker und Roboter werden in diesem Beitrag in Anlehnung an Bauer et al. 2016 drei Kategorien differenziert, die in Abb. 4 dargestellt sind. Die sequentielle oder synchronisierte Kooperation zerlegt einen Prozessschritt in einzelne, nicht weiter funktional zerlegbare Handhabungsaufgaben (Michniewiz und Reinhart 2014), die jeweils ausschließlich von einem Akteur – Werker oder Roboter – zeitlich synchronisiert durchgeführt werden. So wird beispielsweise der Arbeitsschritt zum Fügen von Bolzen in ein Gehäuseteil in die einzelnen Subprozesse des Bereitstellens des Gehäuseteils (Roboter) sowie der Bolzen (Werker) innerhalb des Kollaborationsraums und das eigentliche Fügen durch den Werker aufgeteilt. Ein solches Kooperationsszenario reduziert Belastungen und ergonomisch ungünstige Handhabungsvorgänge für den Menschen, da in diesem Beispiel das Gehäuseteil entsprechend der konstruktiven Merkmale zunächst erhitzt werden muss, um die Passung zu ermöglichen. Die parallele Kooperation oder Koexistenz ermöglicht es, innerhalb des gesamten Arbeitsplatzes mehrere grundlegende Arbeitsschritte gleichzeitig ablaufen zu lassen. Dies kann durch paralleles Montieren der Einzelstücke eines Auftrags oder durch parallele Ausführung unterschiedlicher grundlegender Handhabungsaufgaben innerhalb eines Montageschritts realisiert werden. In der Beispielapplikation werden bis zu drei Getriebe eines Loses parallel aufgeheizt, um das anschließende Bolzenfügen zu ermöglichen. Dabei sind die Arbeitsräume von Mensch und Roboter getrennt. Primärer Vorteil der parallelen Kooperation ist die Effizienzsteigerung aufgrund reduzierter Montagezeiten, ohne dass die kognitive Belastung zunimmt, da die Koordination der parallelen Handhabung vom Assistenzsystem übernommen wird. Die Kollaboration verbessert die Ergonomie einzelner Handhabungsaufgaben, indem Werker und Roboter dasselbe Werkstück bearbeiten. Beispielhaft wird dies für den Vorgang des Bolzenfügens realisiert, bei dem der Roboter als „dritte Hand“ das Gehäuseteil an der korrekten Position für den Werker fixiert.

Abb. 4
figure 4

Interaktionsszenarien und Grad der Zusammenarbeit von Roboter und Werker

Alle Prozessschritte des Roboters werden dabei durch Sensorik überwacht, um eine sichere Interaktion gewährleisten zu können (siehe Abschn. 4.1). Dafür werden spezielle Greifer bzw. Halterungen konzipiert, um die unterschiedlichen Szenarien mit einem Robotersystem durchführen zu können. Die Kommunikation mit der Softwareplattform wird über die in Abb. 3 beschriebene universelle Schnittstelle hergestellt.

4 Herausforderungen bei der Applikation kollaborativer Systeme

Die Auslegung als kollaboratives Montagesystem erfordert eine grundlegende Untersuchung, damit Werker und Cobot in den Kollaborationsräumen sicher zusammenarbeiten können. Für die flexible Nutzung des Systems und zur Beherrschung der Variantenvielfalt des Anwendungsbeispiels wird eine Kamera zur bildgeführten Bewegungssteuerung eingesetzt. Diese Herausforderungen werden im Folgenden näher beschrieben und abschließend Bewertungsmaßstäbe definiert, nach denen die Wirtschaftlichkeit des Gesamtsystems beurteilt werden kann.

4.1 Sichere Interaktion zwischen Mensch und Roboter

Physische Kontakte können bei der Zusammenarbeit mit einem Roboter nicht ausgeschlossen werden. Deswegen muss es die Grundvoraussetzung einer Robotikanwendung sein, einen Arbeitsraum ohne oder mit sehr geringem Gefährdungs- und Risikopotenzial für den Menschen zu schaffen. Bei Industrierobotern wird die Sicherheit durch eine räumliche Trennung des Roboters und des Menschen umgesetzt. Da für die oben definierten Interaktionsszenarien getrennte Arbeitsplätze mit Sicherheitsvorrichtungen nicht beabsichtigt sind, muss die Sicherheit durch die Gestaltung und Auslegung der Applikation gewährleistet werden. Dies beginnt bereits mit der Auswahl eines geeigneten Robotersystems, das nach den relevanten Sicherheitsnormen ein Performance Level d erreicht. Der im Anwendungsbeispiel verwendetet Doosan M1013 besitzt ein ergonomisches Design ohne Ecken und Kanten zur Oberflächenerweiterung im Falle einer Kollision. Für eine sichere Zusammenarbeit auf Basis der Leistungs- und Kraftbegrenzung besitzt der Cobot in jeder Achse einen Drehmomentsensor, der externe Kräfte präzise erkennt und der Cobot schnell anhält. Daneben hat er ein geringes Eigengewicht und ist darauf ausgelegt, Lasten von maximal 10 kg zu bewegen, da große Lasten generell gefährlicher sind (Hofbaur und Rathmair 2019).

Die Wahl des Standorts des Cobots innerhalb des Arbeitsplatzes trägt maßgeblich zu dessen Sicherheit bei. Das Gefährdungspotenzial kann gesenkt werden, indem der Cobot nicht zentral im System, sondern an einer dezentralen Stelle arbeitet. Im modularen Systemarbeitsplatz wird diese Anordnung wie in Abb. 2 dargestellt durch die Platzierung in Modul 2 umgesetzt. Der Arbeitsraum des Cobots wird dabei durch Definition von Ebenen und Schutzkörpern so eingeschränkt, dass Modul 1 nicht erreicht (Schutzzone Modul 1) und die Aufbauten auf den Modulen geschützt werden (Schutzzone Modul 3). Innerhalb der Kollaborationsbereiche wird die maximale Bahngeschwindigkeit reduziert. Darüber hinaus werden entsprechend ISO TS 15066 Kontaktkräfte für den Sicherheitsstopp nach Kategorie 2 des Roboters festgelegt, die als Teil der Sicherheitskonfiguration abgespeichert werden. Zur Absicherung können zudem Simulationstools herangezogen werden, um Kontaktkräfte für die einzelnen Interaktionsszenarien und Grenzwerte für die sichere Parametrierung der Bewegungsbefehle zu berechnen.

4.2 Variantenvielfalt und Komplexitätsmanagement

Kleine Losgrößen und kundenindividuelle konstruktive Veränderungen sind für die wachsende Komplexität des Produktportfolios vieler KMUs verantwortlich. Ein sinnvolles Komplexitätsmanagement kann nur durch die digitale Technologien und Strukturen etabliert werden. So ist die Verfügbarkeit variantenindividueller Konstruktions- und Entwicklungsdaten über die Schnittstelle der Softwareplattform eine notwendige Bedingung für die automatisierte Generierung von Assistenzsystemfunktionalitäten. Für das kollaborative Robotersystem ist die Nutzung von externen bildgebenden Sensoren darüber hinaus hinreichend, um sowohl die sichere Interaktion zu garantieren als auch eine flexible Programmierung zu ermöglichen. In der Beispielapplikation wird dies durch die Implementierung einer bildgeführten Dichtraupe demonstriert, die über eine smarte 2D-Kamera mit integrierter Bildverarbeitungssoftware die Gehäusekontur jeder Variante vermessen und mit Hilfe von Algorithmen der diskreten Geometrie die Skeletonallinie (Lee et al. 1994) als Sollbahn berechnet.

Die im Beitrag beschriebene Integrationsplattform kann zudem als Enabler für die Nutzung weiterer Digitalisierungstechnologien über alle Unternehmensbereiche hinweg angesehen werden. Die Dokumentation und Nachverfolgbarkeit aller Montagevorgänge bis auf die Ebene der grundlegenden Handhabungsschritte generiert eine Datenbasis, die neben dem verbesserten Qualitätsmanagement auch für datenbasierte Analyseverfahren zur Prozessoptimierung und Transparenz der Produktion insgesamt herangezogen werden kann.

4.3 Wirtschaftlichkeitsbetrachtung kollaborativer Robotiksysteme

Für die systematische Einführung kollaborativer Robotiksysteme in der manuellen Montage sollte immer die Wirtschaftlichkeit mitbetrachtet werden. Dabei müssen sowohl der quantifizierbare Nutzen als auch qualitative Verbesserungspotentiale für die Investitionsentscheidung berücksichtigen werden.

Als quantitative Kriterien werden dabei

  • die Investitionskosten für einzelne Systemkomponenten wie den Cobot, Greifer und Sensoriksysteme sowie deren Integrationsaufwand,

  • die berechenbaren Auswirkungen auf die Prozessdauer durch Parallelisierung von Prozessen bzw. Ablaufoptimierungen durch die vereinfachte Interaktion von Assistenzsystem und Werker sowie

  • verminderte Qualitätsaufwendungen durch automatisierte oder zusätzliche durchgeführte Prüfschritte der entstehenden Bauteile wie z. B. die bildgeführte Dichtraupe im Anwendungsbeispiel

betrachtet.

Die Berechnung der Finanzströme kann dabei nach in der Literatur etablierten Verfahren erfolgen. Grundsätzlich werden statische und dynamische Methoden der Investitionsrechnung (Müller 2006) unterschieden. Zu Ersteren gehört z. B. die Kosten- und Gewinnvergleichsrechnung, während in dynamischen Berechnungsverfahren zusätzlich insbesondere Zinseffekte berücksichtigt werden.

Nicht jeder Vorteil eines kollaborativen Robotiksystems lässt sich jedoch direkt quantifizieren. Um solche Auswirkungen trotzdem im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung zu berücksichtigen, können z. B. Nutzwerte einzelner qualitativer Kriterien berechnet werden, die in die abschließende Gesamtbewertung einfließen. Qualitative Kriterien sind zum Beispiel die physische und psychische Belastung am Arbeitsplatz. Korrekt ausgelegte Assistenzsysteme bringen Verbesserungen in beiden Belastungsdimensionen, indem ergonomisch ungünstige Aufgaben z. B. bei der Handhabung von Bauteilen durch Cobots als physische Assistenzsysteme übernommen und die Informationenbereitstellung zur kognitiven Entlastung der Werkenden beiträgt (Merkel 2019). Weitere Kriterien können die Motivation der Belegschaft sein, die durch den Einsatz der Assistenzsysteme verbessert werden kann sowie Auswirkungen auf das Unternehmensimage sowohl bei sozialen Verträglichkeit als auch bei der Innovationsfähigkeit.

5 Fazit, Empfehlungen und Ausblick

Kollaborative Robotersysteme eröffnen neue Einsatzpotentiale gerade im bisher wenig automatisierten Bereich der Montage. Ob die Systeme sinnvoll integriert werden können, hängt von den Rahmenbedingungen des Anwendungsfalls ab. Neu erarbeitete Normen definieren Kollaborationsszenarien und die dafür gültigen Grenzwerte, die bei der Programmierung der Robotersysteme berücksichtigt werden müssen. Bildgebende Sensorsysteme ermöglichen die flexible Bewegungssteuerung. Als Beispielapplikation wird in diesem Beitrag gezeigt, wie bei der Montage kundenindividuell angepasster Getriebe sowohl die Produktivität durch Parallelisierung von Prozessen als auch die Ergonomie am Arbeitsplatz durch ein kollaboratives Robotersystem verbessert werden kann. Die dafür genutzte Softwareplattform als Interaktionswerkzeug mit Schnittstellen zur IT-Infrastruktur des Unternehmens bietet zudem die Möglichkeit, weitere Assistenzsysteme anzubinden und somit zusätzliche Vorteile zu realisieren. Die Rentabilität des Gesamtsystems wird durch die kombinierte Betrachtung quantitativer und qualitativer Kriterien abgeprüft.