Im 9. Jahrhundert erreichten die Alemannen auf ihrer Wanderung vom Berner Oberland her das Goms im Wallis und besiedelten nach und nach das obere Rhonetal. Im 13. und 14. Jahrhundert verliessen einzelne Gruppen dieser Alemannen das Rhonetal und dessen Seitentäler und zogen in weitere hochgelegene Talstufen der Alpen, in Graubünden etwa das Safiental, mit der höchstgelegenen Safiersiedlung Ober Camana auf 1791 m ü. M.
Die historischen Hintergründe der Walserwanderung sind bis heute nicht völlig geklärt. Eine Ursache für die mittelalterlichen Walserwanderungen könnten der wachsende Bevölkerungsdruck und die Suche nach neuen landwirtschaftlichen Anbauflächen gewesen sein. Die Walserwanderungen stehen hier in einem ähnlichen Kontext wie die deutsche Ostsiedlung. Die Walser entwickelten Techniken, die auch das Bewirtschaften von hochgelegenen Bergregionen ermöglichten. In höchster Bergstufe wurden Feldställe im Sommer mit Heuvorräten gefüllt und mit dem Vieh von Futterplatz zu Futterplatz gezogen, mit bis zu 14 Umzügen pro Jahr. In Einzelsennereien hatte jede Familie ihre eigene Käserei mit einer «Stupa» für die Leute und einer «Hütta» für das Vieh. Hauptprodukt war der Ziger. Die Herrscher der betreffenden Gebiete förderten diese Besiedlung durch Steuerbefreiung und Vergabe besonderer Kolonistenrechte. Somit bot die Neuerschliessung von Land den Walsern die Möglichkeit zur Befreiung aus der feudalen Leibeigenschaft. Die Walser wurden wegen ihrer eigenen Rechtsverfassungen auch «Freie Walser» genannt. Insbesondere aus dem Walserdorf Gressoney stammende Walser wurden seit dem 16. Jahrhundert in der Deutschschweiz und in Süddeutschland als Hausierer, Wanderhändler und später niedergelassene Kaufleute bekannt.[2]
Eine Darstellung der Umbruchzeiten der Bergbauernregionen und der Walser wurde Anfang der 1980er-Jahre in der 9-teiligen TV-Produktion Die fünfte Jahreszeit mit Dietmar Schönherr verfilmt. Der Vorarlberger Schriftsteller Adalbert Welte hat die Walserwanderung verschiedentlich literarisch verarbeitet.
Die Wanderungen der Walser
Die Wanderungen der Walser wurden durch das zu dieser Zeit herrschende milde Klima begünstigt. Ihre Wanderungen führten unter anderem nach Norden ins Berner Oberland und nach Westen ins französische Chablais. Vor allem aber zog es die Walser nach Süden in hochgelegene piemontesische Alpentäler sowie in mehreren Schüben Richtung Osten. Sie besiedelten abgelegene Gegenden des Bündner Oberlands, das Rheinwald sowie das obere Landwassertal und von dort aus weitere entlegene Gegenden des Kantons Graubünden, z. B. das Safiental. Des Weiteren besiedelten sie das Weisstannental im St. Galler Oberland, die höchstgelegenen Regionen Liechtensteins, hochgelegene Täler im Vorarlberg und vereinzelte Gegenden im Tirol.
Nachfolgend eine Liste der im Zuge der Walserwanderungen besiedelten Gebiete:
zwar zum Wallis gehörend, aber erst im Zuge der Walserwanderungen besiedelt wurden die jenseits der Wasserscheide gelegenen Gemeinden Simplon und Gondo
die italienischen Alpentäler südlich und östlich des Monte-Rosa-Massivs:
Hinweisschild auf die Walsergemeinschaft und zweisprachige Ortstafel am Ortseingang von Issimein der Region Aostatal: Gressoney: Gressoney-La Trinité (walserdeutsch Greschunei Oberteil), Gressoney-Saint-Jean (wdt. Greschunei Underteil und Mettelteil), Issime (wdt. Eischeme), Niel ob Gaby, Cunéaz in der Val d’Ayas sowie Gettaz-des-Allemands über Champdepraz
in der Provinz Verbania-Cusio-Ossola: Formazza (wdt. Pomatt), Macugnaga (wdt. Z Maggana), Salecchio, Agaro und Ausone (wdt. Saley, Ager, Opsu; heute zu Premia), Ornavasso (wdt. Urnafasch), Migiandone, Campello Monti (wdt. Ggampel; heute zu Valstrona)
das obere Schanfigg (Arosa, Langwies) und Praden; der Walserdialekt in den Gemeinden des mittleren und unteren Schanfiggs inklusive Tschiertschen hingegen beruht auf späterer Germanisierung der romanischen Bevölkerung
die höher gelegenen Gebiete des Prättigaus (Valzeina, Furna, St. Antönien, Klosters); der Walserdialekt in den andern Gemeinden des Prättigaus hingegen beruht auf späterer Germanisierung der romanischen Bevölkerung
Die Kultur und Sprache der Walser ist zum Teil noch heute lebendig geblieben; der höchstalemannische Dialekt hebt sich von den hochalemannischen Dialekten der Bündner und den mittelalemannischen Dialekten der Vorarlberger Umgebung stark ab. Typisches, das Walserdeutsche definierende Merkmal ist der sch-Laut in Wörtern wie schi «sie» (Singular und Plural), böösch «böse», ünsch/iisch «uns», Müüsch/Miisch «Mäuse», Hüüscher/Hiischer «Häuser». Weitere Züge des Walserdeutschen sind allgemeinere west- oder südwestalemannische Dialektmerkmale, die sich aber in Graubünden und Vorarlberg deutlich von den Merkmalen der dortigen südostalemannischen Dialekte abheben, so dass dort auch diesen ein definierender Charakter zukommt. Dazu gehören etwa die Präsensformen er geit/gäit, schteit/schtäit «er geht, steht» (so auch im Berndeutschen, in den benachbarten nicht-walserischen Dialekten jedoch er gaat/goot, schtaat/schtoot) oder der zweisilbige Plural der starken Maskulina wie Taga, Tage «Tage» (in den benachbarten Dialekten jedoch apokopiert und auch oft umgelautetTaag oder Tääg). Dasselbe gilt für zu /ch/ verschobenes anlautendes /k/ wie in Chind «Kind», das zwar ein weit verbreitetes Merkmal der hochalemannischen Dialekte ist, aber in den benachbarten Dialekten des Churer Rheintals, Liechtensteins und Vorarlbergs nicht vorkommt.
Die Bewohner der Walserdörfer im Kanton Graubünden heben sich sprachlich besonders dort hervor, wo in der Umgebung Rätoromanisch gesprochen wird. So wird etwa in der Gemeinde Obersaxen Deutsch gesprochen, während im gesamten restlichen Gebiet des Vorderrheins grossmehrheitlich die rätoromanischen Dialekte verbreitet sind.
Internationales Walsertreffen
Walserhaus im touristischen Umfeld von Arosa, dem Austragungsort des Internationalen Walsertreffens 2016
Seit 1962 führt die Internationale Vereinigung für Walsertum (IVfW) alle drei Jahre ein internationales Walsertreffen durch. Hauptzweck der Zusammenkünfte ist die regelmässige Pflege des gemeinsamen Kulturerbes an verschiedenen Siedlungen mit walserischem Hintergrund. Die Treffen fanden an den folgenden Orten statt:[3]
Martin Bundi: Zur Besiedlungs- und Wirtschaftsgeschichte Graubündens im Mittelalter. Calven, Chur 1982, ISBN 978-3-905261-08-0.
Hans Kreis: Die Walser. Ein Stück Besiedlungsgeschichte der Zentralalpen. Francke Verlag, Bern 1958 (2., durchgesehene sowie um ein Nachwort und einen Literaturnachtrag von Paul Zinsli erweiterte Auflage ebd. 1966).
Elisabetta Fazzini Giovannucci: Die alemannischen Dialekte im westlichen Norditalien. Ein Forschungsbericht (= ZDL Beiheft. Band 28). Steiner, Wiesbaden 1978.
Ulrich Nachbaur: „Ob die Sage alt und ächt“ – Historische Anmerkungen zum Walserbewusstsein. In: Wir Walser. 51. Jahrgang, Nr.2/2013. Wir Walser, Brig-Glis 2013 (Volltext als PDF auf den Webseiten des Vorarlberger Landesarchivs).
Ulrich Nachbaur: Walser-Bewusstsein durch die Zeiten. In: Wir Walser. 52. Jahrgang, Nr.2/2014. Wir Walser, Brig-Glis 2014 (Volltext als PDF auf den Webseiten des Vorarlberger Landesarchivs).
Enrico Rizzi: Geschichte der Walser. Bündner Monatsblatt, Chur 1994. Italienisches Original: Storia dei Walser. Fondazione Arch. Enrico Monti, Anzola d’Ossola 1993.
Manfred Szadrowsky: Walserdeutsch. Sprecher, Eggerling & Co., Chur 1925.
Vereinigung für Walsertum (Hrsg.): Die Walser. Ein Arbeitsheft für Schulen. 4. Auflage. Verlag Wir Walser, Brig 2004 (OCLC759418511).[4]
Paul Zinsli: Walser Volkstum in der Schweiz, in Vorarlberg, Liechtenstein und Piemont. Erbe, Dasein, Wesen. Huber, Frauenfeld 1968 (7., ergänzte Auflage. Verlag Bündner Monatsblatt, Chur 2002, ISBN 3-905241-17-X).
Von mehr wissenschaftsgeschichtlichem Interesse sind die folgenden beiden Werke, welche die Grundlage der modernen Walserforschung legten:
↑Beate Kittl: Die Wiederentdeckung der Walser. In: Marco Valà (Hrsg.): GEO. 09 2020 Auflage. Schauplatz Schweiz. Hamburg/Radeburg September 2020, S.1–8.