Verschiedene: Die Gartenlaube (1891) | |
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daß sie dabei keinen Augenblick den Kopf verlor, wie es ihm in der ersten Minute geschehen war. Ihre Augen spähten immer wieder verstohlen nach dem halb zurückgeschlagenen Thürvorhang hinüber, ihrem wachsamen Ohr entging nicht das leiseste Geräusch – und für alle Fälle hing wirklich das kleine Marinebild, das den Vorwand für ihr Verschwinden hatte geben müssen, in ihrer unmittelbaren Nähe an der Wand. Stella konnte aber ganz unbesorgt sein – es kam niemand; man hörte von Zeit zu Zeit ein gedämpftes Lachen oder das leise Aneinanderklirren des feinen Porzellans – das war alles. Mama Brühl war auf ihrem Posten und duldete nicht, daß jemand aus der kleinen Gesellschaft den beiden nachging.
„Wir müssen zurück, Liebster!“ sagte Stella endlich leise. „Wirf wenigstens einen flüchtigen Blick auf das Bildchen, damit Du den andern sagen kannst, Du habest es gesehen!“
Er hörte gar nicht, was sie zu ihm sagte, und schaute sie mit flammenden Augen an.
„O Du!“ murmelte er. „Du!“ Er preßte seine Lippen in ihr duftiges Haar. „Ich will Dich allein für mich behalten – für mich allein!“
„Das geht nicht an, Waldemar! Komm’, sei vernünftig, wir müssen zu den andern!“
„Nein, wir müssen noch nicht!“ Er hielt sie fest und spielte mit dem Händchen, das den Ring trug. – Sie fing schon an, ungeduldig zu werden.
„Wenn Du noch bleiben willst, muß ich schon allein gehen!“ schmollte sie. „Es ist zu auffallend, daß wir beide solange hier allein bleiben! Was sollen die Gäste denken?“
„Ach, was sie wollen, mein Herz !“
„Wir müssen doch unser Geheimniß bewahren!“
„Dies verdammte Geheimniß!“ Sein Gesicht wurde zornig. „Jetzt bestehe ich darauf, alles zu erfahren! Du bist mir’s schuldig, mich völlig darüber aufzuklären, warum ich so gemartert werden soll! Wem haben Deine Eltern Dich versprochen? Wem halb und halb Deine Hand zugesagt? Denn um so etwas wird sich’s doch wohl handeln! Ich muß das wissen!“
„Gewiß, Liebster! Du sollst es auch! Aber nicht heute, nicht gleich – es ist ja unmöglich, sieh es doch nur ein!“
„Unmöglich ist nichts!“
„Was Du verlangst, läßt sich heute wirklich nicht thun. Wir leben doch nun einmal in der Welt und mit der Welt und nicht auf einer einsamen Insel!“
„Leider – leider!“
„Nun, für die Insel hätt’ ich auch verzweifelt wenig Talent!“ Stella lachte leichthin, es war ein Lachen, das Andree nicht gefiel.
„Du bist doch ein richtiges Weltkind!“ flüsterte er, sie zärtlich an sich ziehend. „Wirst Du es auch lernen, manches anzunehmen, manches aufzugeben – mir zuliebe?“
„Ich weiß nicht!“ Sie sah wieder unruhig auf die Thüre. „Komm’ jetzt, ich will es haben! Wir sehen uns ja morgen wieder – bei Dir im Atelier!“
„Und Deine Mutter ist dabei?“
„Ja, ohne die Mama könnte ich doch überhaupt nicht kommen, das liegt auf der Hand. Nun also –“
„Ohne einen letzten Kuß?“ fragte er vorwurfsvoll und traurig, als sie ihn bei der Hand faßte und mit sich zog.
Sie unterdrückte einen Seufzer der Ungeduld und bot ihm die Lippen. Ihr dauerte das alles zu lange.
„Liebst Du mich, Stella?“ fragte er bedeutsam und bog ihr Köpfchen leicht zurück.
„Aber natürlich! Kam da nicht jemand? Warte – so laß mich doch los! Du kommst jetzt!“
Sie hatte sich rasch aus seinen Armen frei gemacht und ging ihm voran. Langsam folgte er.
„Aber die Bilderschau hat lange gedauert!“ rief ihnen der joviale Bankier Fischer aufgeräumt entgegen und drohte Andree leicht mit dem Finger. „Das muß ja ein hochinteressantes Marinebildchen sein!“
„Ist es auch!“ gab Stella heiter zurück. „Und Herr Andree hat förmlich ein Studium daraus gemacht – nicht wahr, Herr Andree?“
„Gewiß!“ bestätigte dieser ernst. „Ich habe mancherlei Neues entdeckt, wenn auch einiges, was mich befremdete! Man lernt ja nie aus!“
„Sehr wahr!“ bestätigte Herr Brühl, der die beiden heimlich beobachtete. Er war nicht zufrieden; dies Verschwinden zu zweien hatte viel zu lange gewährt, es war sehr unvorsichtig gewesen.
Am nächsten Vormittag sah dieselbe freundliche Novembersonne, die schon die Tage zuvor so hell über Hamburg geleuchtet hatte, durch die breiten Fenster von Waldemar Andrees Atelier. Es sah jetzt sehr hübsch darin aus, die neuen Dekorationsstücke machten sich gut, und doch fühlte der Eigenthümer all dieser schönen Sachen sich fremd unter ihnen, sie kamen ihm gar nicht wie sein Besitzthum vor. In Rom, ja, da war’s anders gewesen! Da hatte er sich allmählich Stück für Stück zusammengetragen, oft nach langer sorgfältiger Wahl, oft nach langem vergeblichem Suchen – an jeden Vorhang, jede Vase knüpfte sich irgend eine Erinnerung, ein kleines Geschichtchen – wieviele davon hingen mit Werner Troost zusammen! Wenn er sich dort in seinen vier Wänden umgesehen hatte, war es ihm warm ums Herz geworden, er hatte sich zu Hause gefühlt. Jetzt und hier schien es ihm, als ob er zu Besuch wäre, als ob man ihm all die Herrlichkeiten nur geliehen hätte wie Theaterdekorationen zu einem neuen Ausstattungsstück. Nun, es war für Stella geschehen – ihr sollte es hier gefallen, und wenn es ihr gefiel, dann war ja alles gut!
Ruhelos ging er hin und her, zwecklos dies oder das ordnend und anders stellend. Jetzt mußte sie bald kommen! Was sie zu der „Eos“ sagen würde? Sie sah dieselbe ja heute zum ersten Male! – Seltsam, daß ihm, sowie er von ihr getrennt war, kein volles, befriedigtes Glückgefühl kommen wollte! War sie bei ihm, dann schlugen ihm die Flammen seiner Leidenschaft über dem Kopf zusammen – ein volles bewußtes Glück empfand er auch da nicht! Ach wenn nur erst dies unwürdige Versteckspiel zu Ende sein würde – dann sollte es schon anders werden! Nun, die paar Monate mußten ja zu überwinden sein!
Draußen schlug die Glocke an. Frau Wiedekamps Mädchen öffnete und ließ die Damen eintreten.
Der Künstler ging ihnen entgegen und überreichte ihnen die Bukette, die er für sie bestellt hatte. Stella, in einem neuen Herbstkostüm entzückend schön, lächelte ihn über die Blumen hinweg, in die sie ihr feines Näschen steckte, dankbar an – die Mama nickte huldvoll und ließ ihre Blicke neugierig umherschweifen. Wider ihren Willen machte ihr dieser hohe Raum mit der prächtigen Dekorierung einen großen Eindruck. – Stella sah sich nur flüchtig um und nickte kurz Beifall. Sie winkte Andree, der ihr behilflich sein wollte, Hut und Jacke abzulegen, lebhaft ab und lief zu der „Eos“ hin.
Wie schon gesagt, war das große Gemälde nahezu fertig – nur das Haupt der Göttin war erst in leichten Umrissen angedeutet, während die herrliche Gestalt in leichtem goldfarbenen Gewande, das im Frühwind flatterte, schon vollkommen ausgeführt war.
Stella staunte. Sie sagte sich beim ersten Blick, daß dies ein ganz ungewöhnliches Werk sei, das ungeheures Aufsehen erregen müsse. Die ganze Art der Darstellung, der Gegenstand an sich, die Größe des Gemäldes – es nahm fast die ganze Wand ein! – die wunderbare Gluth und Leuchtkraft der Farbe – und bei alledem der unnennbar zarte Zauber von Keuschheit, der über das ganze Bild ausgegossen war – dies zusammengenommen mußte eine außerordentliche Wirkung erzielen! Und sie, Stella Brühl, die allbekannte, vielbewunderte, sollte hier als die göttliche Spenderin des Lichts, der Morgenröthe prangen! Man würde sie allen zeigen, die zahlreich herbeiströmenden Fremden würden ihren Namen nennen hören und ihn mitnehmen in ihre ferne Heimath, die Einheimischen würden mit Stolz, mit Neid von ihr reden, die ganze große Ausstellung würde eigentlich nichts anderes als eine Verherrlichung ihrer Schönheit sein, denn es war unmöglich, an diesem Gemälde achtlos vorüberzugehen, es mußte der Hauptanziehungspunkt der ganzen Ausstellung werden!
Bei diesem Gedanken hob sich Stellas Brust in ungemeinem Stolz. Sie warf einen kurzen, leuchtenden Blick auf Andree, der leise hinter sie getreten war, und überließ ihm willig ihre Hand, von welcher er geschickt den weichen Handschuh abstreifte, um sie dann sehnsüchtig an seine Lippen zu drücken. In ihm wallte sein
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 859. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_859.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)