Verschiedene: Die Gartenlaube (1891) | |
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freilich etwas ironisch gefärbten Worten für die ehrenvolle Erlaubniß, die man ihm ertheilt habe, und bat sich Herrn Maler Hilt als Begleitung aus, um die Angelegenheit sofort ins Reine zu bringen.
Herrn Maler Hilt war nicht ganz behaglich zu Muthe. Die Nebel des Weines waren plötzlich von ihm gewichen, er fühlte sich ernüchtert, und es freute ihn gar nicht, von dem Prinzen als unerläßliche Begleitung herangezogen zu werden. Er wünschte jetzt, er hätte lieber geschwiegen, und verwünschte den Kitzel, der ihn zum Schwatzen angetrieben hatte. Er vergegenwärtigte sich Andrees ruhiges ernsthaftes Gesicht, und es wurde ihm schwül zu Sinn. Aber nun half es ihm nichts, daß er sich im stillen ein nichtsnutziges Plappermaul nannte, er mußte essen, was er sich eingerührt hatte, und dem Prinzen folgen, der mit elastischem Gang, sich leicht in den Hüften wiegend, ihm voranschritt und jetzt, da sie mitten durch die Gesellschaft hindurch mußten, sich mit einer sehr hochmüthigen Kopfwendung nach ihm umsah, etwa wie wenn ein Fürst sich überzeugen will, ob sein Bedienter auch hinter ihm ist, da er den Menschen doch nun ’mal braucht. Es trug auch nichts zur Erheiterung des kleinen Malers bei, daß Leskow, Barckwitz und noch ein paar andere Zeugen des Vorfalls so von ungefähr mit ihnen gingen, aus erbärmlicher Neugier natürlich, um zu erfahren, wie denn eigentlich diese komische Geschichte ausgehen werde.
Andree hatte eine Weile dem Tanz zugesehen, aber es war ihm nicht wohl dabei gewesen. Jenes seltsame, unerklärliche und doch ganz unabweisbare Gefühl, das ihn schon an der Tafel überfallen hatte, packte ihn jetzt von neuem mit doppelter Gewalt, das Gefühl nämlich, als gehöre diese schöne Stella Brühl, die da vor seinen Augen aus einem Arm in den andern überging und sich von hundert verliebten und bewundernden Blicken anschmachten ließ, ihm und nur ihm allein, als habe er ein ganz bestimmtes Anrecht auf sie, vermöge seiner Kunst, der sie das herrlichste Motiv geliehen, das jemals seiner Phantasie entsprungen war; es war ihm, als müsse er den ganzen überlästigen Schwarm von ihr wegscheuchen, um sich allein seines kostbaren Besitzes zu freuen. Und weil er das nicht konnte, sondern verdammt war, unthätig zuzuschauen, wie Scharen von profan gesinnten Leuten sein Ideal umgaben, um auf ihre Art Kultus mit ihm zu treiben, darum machte ihm das farbenreiche Bild, das da vor ihm war, keine Freude, und er stand mit finstern Augen auf der Seite und war verstimmt. So fand ihn Herr Grimm, der inzwischen von einigen andern Herren in Anspruch genommen worden war, und weil ihm Andree gefiel, gesellte er sich zu ihm und verwickelte ihn in ein Gespräch über moderne Malerei und über das, was die römischen Künstler in der letzten Zeit darin geleistet hatten.
Andree, der fand, daß er viel klüger daran thue, mit dem liebenswürdigen Manne zu plaudern, als seinem machtlosen Aerger nachzuhängen, wandte seine verlangenden Augen von der tanzenden Gestalt im blau schimmernden Kleide ab, sah Herrn Grimm an und erzählte ihm vom römischen Künstlerleben.
So kam es, daß Prinz Riantzew, als er mit seinem kleinen Gefolge bei Andree anlangte, die beiden Herren im eifrigsten Gespräch fand. In der Meinung, der Prinz wolle an ihm vorbeigehen, trat der Maler höflich zur Seite, allein die Durchlaucht machte plötzlich kehrt, drehte sich scharf auf den Hacken herum und sagte in nachlässigem Ton: „Herr Andree, wenn ich nicht irre?“
Der Angeredete gab durch eine leichte Verbeugung zu erkennen, daß der Prinz sich in der That nicht irre.
„Würden Sie mir eine kurze Unterredung unter sechs Augen gestatten?“ fuhr Riantzew fort. „Herr Hilt muß schon dabei sein, ich bedarf seiner.“
Andree blickte erstaunt auf, antwortete aber ruhig: „Ich stehe zur Verfügung. Sie verzeihen, Herr Grimm!“
Er schüttelte diesem die Hand und wandte sich wieder zu dem Prinzen. „Wohin wünschen Sie, mein Prinz?“
„O,“ sagte dieser in derselben lässigen Weise, „Sie sind mit den Räumen des Hauses entschieden besser vertraut als ich!“
„Bedaure, nicht dienen zu können. Ich bin heute zum ersten Mal hier.“
Ein malitiöses Lächeln erschien auf dem Gesicht des Prinzen und blieb darauf haften. Ihm war Andree gleich vom ersten Augenblick zuwider gewesen, solch große ruhige Menschen, die so sicher auftreten, konnte er nicht leiden; nun freute er sich sehr, daß sich ihm Gelegenheit bot, diesem bürgerlichen Herrn die Ruhe und Sicherheit zu verleiden.
„In der That! Zum ersten Mal hier?“ wiederholte er spöttisch. „Nun denn, lassen wir den Zufall walten! Irgendwo wird sich ja in diesen vielen Räumen ein stiller Winkel finden lassen, dort zum Beispiel, wie?“
Er trat in ein kleines, durch einen Thürvorhang von den übrigen Gemächern nur halb geschiedenes Seitenkabinett, das bloß diesen einzigen Ausgang zeigte und mit zierlichen Sesseln und Polstern aus pfaublauem und tiefgoldigem Plüsch kokett ausgestattet war.
Andree, dem der Ton des Prinzen nicht gefiel und der vorläufig für die ganze Sache keine Auslegung fand, folgte dem Voranschreitenden und stand stumm, in abwartender Haltung, da.
„Ich bin zufällig heute abend in die Lage gekommen, zu vernehmen,“ begann der Prinz, die Hand leicht auf ein kleines Tischchen stützend, in hochfahrendem Ton, „daß Sie, mein Herr Andree, aufs entschiedenste geäußert haben, wie soeben auch mir gegenüber, Sie hätten jetzt zum ersten Mal in Ihrem Leben das Haus des Herrn Senator Brühl betreten und seine Tochter, Fräulein Stella Brühl, früher nie gesehen. Sie wollen angeblich direkt aus Rom kommen.“
Der Prinz ärgerte sich innerlich über zweierlei. Erstlich, daß er nicht ganz und gar „von oben herab“ sprechen konnte, wie er es gern gethan hätte – aber Andree war beträchtlich größer als er selbst, sodaß im Gegentheil er, Prinz Riantzew, zu seinem Gegner emporschauen mußte, was ihm ganz widersinnig erschien, … zweitens, daß dieser bürgerliche Maler gar keine Unruhe oder Besorgniß blicken ließ, sondern so gleichmüthig vor ihm stand, in so korrekter Haltung, daß der Prinz wider Willen denken mußte: „Da steckt Rasse darin! Seine Mutter muß eine Adlige gewesen sein!“ Hierin irrte er sich freilich, denn Waldemars Mutter war die Tochter eines Tapetenhändlers aus Frankfurt am Main und aus reinstem Bürgergeschlecht, allein seine Wahrnehmungen sonst trafen doch zu und waren geeignet, die Stimmung des jungen Kavaliers etwas zu trüben.
„Das sind unanfechtbare Thatsachen,“ entgegnete Andree, unwillkürlich in denselben hochfahrenden Ton verfallend, „und ich bin jederzeit bereit, sie zu vertreten, auch Ihnen gegenüber, obgleich ich Ihnen das Recht zu dieser Interpellation bestreiten muß. Ich komme nicht ‚angeblich‘ aus Rom, sondern ich habe mich dort und sonst in Italien mehr als vier Jahre ohne Unterbrechung aufgehalten. Ich habe die Stadt Hamburg vor nunmehr zwölf Tagen, dieses Haus, in dem wir uns befinden, am vergangenen Mittwoch, behufs eines Besuchs, zum ersten Mal in meinem Leben betreten. Den Insassen dieses Hauses, Herrn Senator Brühl, seiner Frau Gemahlin und seinem ältesten Fräulein Tochter, bin ich am heutigen Abend zum ersten Male persönlich begegnet, da sie bei meinem Besuche nicht anwesend waren, – daß ich die Herrschaften einmal flüchtig auf der Straße gesehen habe, kann man, wie mir gewiß jedermann zugeben wird, doch keine persönliche Begegnung nennen!“
„Keinesfalls!“ Der Prinz lächelte. „Man hat sie Ihnen auf der Straße gezeigt, nicht wahr? Oder waren Sie allein?“
Waldemar überkam ein gewisses Unbehagen, dennoch antwortete er ohne zu zögern:
„Ich war allein, und man hat sie mir nicht gezeigt!“
„Sie gestatten mir dann wohl, zu fragen,“ sagte der Prinz ganz sanft, denn nun kam er seinem Ziel immer näher, „wie es Ihnen möglich war, die betreffenden Persönlichkeiten zu erkennen, da Sie ihnen noch nie zuvor begegnet waren?“
„Ich hatte ein –“ Andree zauderte etwas – „ein Bildniß von Fräulein Stella Brühl gesehen, und ich habe einen geübten Blick und ein treues Gedächtniß!“
„Natürlich – ohne Zweifel! Beides gehört ja zu einem namhaften Künstler!“ Der Aristokrat verneigte sich höflich. „Und vollends zu einem so vielseitig begabten,“ fuhr er fort, „denn außer Ihrer Malkunst pflegen Sie ja auch mit Erfolg die Bildhauerei.“
„Ich?“ fragte Andree erstaunt. „Sie thun mir zuviel Ehre an, mein Prinz! Ich habe nie in meinem Leben einen Meißel oder ein Zahneisen in der Hand gehabt!“
„Sie sind mit solchen Versicherungen überaus freigebig, Herr Andree, dies ‚nie in meinem Leben‘ spielt bei Ihnen eine große Rolle. Wenn man Ihnen das glauben soll –“
„Ganz entschieden soll man mir das glauben!“ Des Malers hohe Gestalt schien noch höher zu wachsen. „Es giebt ja wohl noch einige Mittel, vermöge deren man andere, seien sie, wer sie immer seien, zwingend überzeugen kann, daran zu glauben!“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 714. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_714.jpg&oldid=- (Version vom 22.11.2023)