verschiedene: Die Gartenlaube (1891) | |
|
jedes Menschen, der ihr gegenübertrat, zu lesen gewöhnt war – in den Angen dieses fremden Mannes, den sie zum ersten Mal in ihrem Leben sah, stand etwas wie ein Schmerz und etwas wie Mitleid. Doch nicht etwa mit ihr selbst? Mitleid mit der schönen, gefeierten, sieghaften Stella Brühl?
Er hatte zu ihrem Vater, zu ihrer Mutter gesprochen, auch dem Prinzen, der ein paar herablassende Worte an ihn gewendet hatte, kurz und ruhig geantwortet – ihr allein stand er wortlos gegenüber! War das nur stumme Bewunderung?
Sie wartete noch einen Augenblick und fragte dann endlich, ein wenig unsicher: „Sie kommen direkt aus Rom?“
„Ja – direkt aus Rom!“ bestätigte er mit seiner tiefen, wohlthuenden Stimme und einem ganz sonderbaren Nachdruck, der ihr wiederum auffiel. Ihre Blicke trafen ineinander, es spann sich etwas wie ein geheimes Einverständniß zwischen ihnen …
„Ich hoffe,“ fuhr Andree fort, „Herr und Frau Senator, sowie Sie selbst, mein gnädiges Fräulein, gönnen mir die Ehre, auch künftig bei Ihnen vorzusprechen, um nach dem Gesellschafter auch den Menschen in mir zu Wort kommen zu lassen!“
Der Prinz fand im Stillen, dieser Maler sei ein anmaßender Mensch, und Stellas Eltern waren innerlich ein wenig erstaunt über den Fremden, der so ohne weiteres die Rolle eines Hausfreundes in Anspruch nahm. Aber Ton und Haltung waren durchaus ehrerbietig, und da der Künstler in Hamburg ganz unbekannt war, wie Hilt gesagt hatte, so bewies er schließlich Kühnheit und guten Geschmack, wenn er sich sofort in eines der besten Häuser, welche die alte Hansestadt aufzuweisen hatte, einzuführen wünschte.
So setzte die Dame des Hauses ihr verbindlichstes Lächeln auf, als sie entgegnete: „Ihr liebenswürdiger Wunsch kommt dem unsrigen zuvor, Herr Andree. Wir haben viel von Ihnen gehört, und es ist uns da in aller Stille ein Plan aufgestiegen, dem Sie vielleicht in einiger Zeit zum Leben verhelfen, falls er sich Ihres Beifalls erfreut!“
Sie blickte vielsagend auf die schöne Tochter, und Andree, der den „stillen Plan“ unschwer errieth, lächelte, während seine Augen begeistert aufleuchteten, dann versicherte er, sich jedem Plan zu fügen, in welcher Richtung er immer gehen möge.
Von links trat eine Gruppe neuer Gäste an die Damen heran, und Andree, der sich mit einer Verbeugung zurückzog, gewahrte unter ihnen einen jungen schmächtigen Herrn mit strohblondem, über den ganzen Kopf gescheiteltem Haar, das sorgsam in die Stirn hineinfrisiert war, mit offenem Munde und hellen Augen, die beständig zwinkerten und blitzschnell mit den Augenlidern klappten. Der Jüngling war mit Eleganz gekleidet und trug eine wunderschöne, auffallend große Perle als Schluß seines weit offenen Hemdkragens.
Stella nickte ihm zu wie einem alten Bekannten.
„Guten Abend, Kuno; vielen Dank für Ihr schönes Bouquet, das so gut zu meiner Toilette paßt – da, sehen Sie selbst!“ Sie hielt die Blumen an ihr Kleid und fragte: „Nun?“
„Gott – o Gott, liebste Stella!“ stammelte der blonde Herr und glich dabei Zug für Zug der Kopie, die Gerda vor zwei Stunden von ihm auf der Treppe geliefert hatte, „daß Sie meine Blumen genommen haben – das ist – Gott – das ist – eine Ehre für mich – und auch für sie – nein – du mein Himmel, ich meine nicht für Sie – sondern für sie, die Blumen.“
„Ja, ja, Kuno, ich weiß schon!“ nickte sie lachend, während der Jüngling, in ihren Anblick verloren, mehr denn je mit den Aeuglein zwinkerte, wie jemand, der zu lange in die Sonne gesehen hat. –
„Wer ist denn das?“ fragte Andree in leisem Ton den Maler Hilt, den er eben jetzt dicht neben sich bemerkte.
„Komm’ hierher, mein Sohn, dann erzähle ich Dir’s!“ Der kleine Maler zog ihn in eine der tiefen, von schwerer granatfarbiger Seide verhüllten Fensternischen, wo niemand sie belauschen konnte und von wo sie die ganze bunte Gesellschaft und ihr Treiben wie ein großes lebendes Panorama vor sich hatten.
„Zuerst einmal Deine Beichte, guter Freund!“ schmunzelte Hilt. „Wie findest Du sie?“
„Wen?“
„Kunststück! ‚Wen?‘ fragt er! Thu’ mir die Liebe, und spar’ Dir solche Witze, bei mir verfangen sie nicht und sie kosten uns unnütz Zeit. Du mußt sie ja früher schon gekannt haben –“
„Wer? Ich? Fräulein Stella Brühl? Denn von der wünschest Du doch wohl zu sprechen. Ich habe heute das erste Wort mit ihr gewechselt!“
„Du bist ungeheuer spaßig, mein Lieber! Dieser Duckmäuser, dieser Geheimnißkrämer! Geh’ und mach’ das alles einem andern weis als Deinem ergebenen Endesunterzeichneten! Um den an der Nase zu führen, mußt Du schon früher aufstehen.“
„Ich verstehe Dich gar nicht, Hilt!“ sagte Andree verwundert. „Es ist durchaus nicht meine Absicht, Dich zum besten zu halten. Was willst Du eigentlich von mir haben?“
„Ich will wissen, seit wie lange Du die Kronprinzessin dieses Hauses, Fräulein Stella Brühl, kennst.“
„Ich kenne sie seit heute abend, wo wir das erste Wort miteinander gewechselt haben!“
„Das ist stark, Freundchen! Auf Deine Ehre und Dein Gewissen?“
„Aber in des Teufels Namen: ja!“ Andree, der sich zu ärgern anfing, sprach leise, jedoch mit nachdrücklichster Betonung und ehrlicher überzeugender Stimme.
Hilt sah ihm starr in die Augen. „Wirklich kolossal!“ murmelte er mehr für sich. „Mit so einem Gesicht sich was abzuschwören! Mir soll gleich einer ’nen Storch braten, wenn ich aus der Geschichte klug werde! Ich, sonst kein übler Spürhund, wenn sich’s mir verlohnt! Na, also Du willst nicht heraus damit? Was war’s doch gleich, was Du von mir wissen wolltest?“
„Wer der junge blonde Mensch mit dem ungewöhnlich geistreichen Gesicht ist, der soeben kam. Er scheint hier gut bekannt zu sein.“
„Ist er auch! Sind klingende Gründe genug dafür da! ’s ist das Zehnmillionen-Männchen, Kuno, Ritter von Tillenbach. Ich will Dir kurz seine Geschichte berichten. Sieh, der Papa dieses hoffnungsvollen Jünglings ging noch vor kaum dreißig Jahren mit dem Probesäckchen voller Erbsen und Linsen zu den betreffenden Händlern und Maklern aufs Comptoir und freute sich ganz ungeheuer, wenn ihm einer etwas von diesen Früchten des Feldes abkaufte. Und so geschah es denn auch, daß er eines Tages durch sein gewandtes Wesen das Auge und das Wohlwollen eines reichen, dicken Maklers auf sich zog, der da fand, dieser strebsame junge Mensch sei zu gut, um mit Warenproben herumzulaufen, und ihm demzufolge Sitz und Stimme in seinem Comptoir anwies. Dieser Versuch glückte, und der Wohlthäter experimentierte weiter, indem er seinen Schützling in den Schoß seiner Familie einführte. In diesem sproßte und blühte ein einziges Töchterlein, vielmehr, um im Bilde zu bleiben, es sproßte und blühte nicht, sondern welkte und siechte – ein elendes Treibhauspflänzchen, gleich kümmerlich an Leib wie an Seele. Es war aber der junge Tillenbach von Ansehen ein hübscher Junge, frisch und stramm, und wohl geeignet, das Herz einer Jungfrau zu umstricken. Und siehe, es begab sich, daß das Mägdlein in Liebe zu seiner Persönlichkeit entbrannte, und als er dieses gewahrte, da entbrannte auch in ihm eine heiße und unbezwingliche Leidenschaft zu ihrem Portemonnaie – und der heilige Bund zweier Herzen war geschlossen. Der junge Tillenbach rückte siegreich als Compagnon ins väterliche Geschäft und träumte holde Zukunftsträume, denn die Gegenwart wurde ihm durch den Anblick seiner unlieblichen Lebensgefährtin nicht gerade versüßt. Aber die alte Mutter Natur läßt sich nicht spotten, das zeigte sich hier wieder einmal deutlich genug. Denn der Sohn und Erbe, der dem jungen Paar nach Jahresfrist geboren wurde und das einzige Kind ihrer Ehe blieb, war nicht so gut, dem Vater zu gleichen und ein hübscher, gescheiter Mensch zu werden, sondern er artete in allen Stücken seiner Frau Mama nach, ja, er übertrumpfte dieselbe noch und wurde ein blöder, stotternder, schafsdummer Trottel, zu nichts in der Welt nutz, als von aller Welt gehänselt, angepumpt, betrogen und ausgelacht zu werden, untauglich zu jeglichem Beruf, nicht ’mal imstande, sein Geld, das sich unter den Händen des umsichtigen Vaters ums Dreifache vermehrt hat, mit Anstand loszuwerden. Tillenbach senior ist zu Aemtern und Würden emporgestiegen, in den Adelstand erhoben und zum Ritter hoher Orden gemacht worden – Tillenbach junior ist ein kleiner Jammermann, eine lebendige Warnungstafel für alle die, so ihre freie Mannesseele um schnödes Geld verkaufen. Den ritterlichen Vater wurmt natürlich dieses Häufchen Unglück, welches er sich da als einzigen Sohn und Erben großgezogen hat, fürchterlich, er weiß nie recht, soll er diesen
verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1891, Seite 690. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_690.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)