Verschiedene: Die Gartenlaube (1891) | |
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Begleitung eines halb blödsinnigen Negerjungen, der damals noch kein deutsches Wort verstand, und wenn man überdies eine so verschwiegene und ergebene Beschützerin hat, wie Du es bist – gieb einmal meine Fächer her, ich will sehen, welcher von ihnen am besten paßt! – dann ist das nicht so schwer. Ich kann ja immer thun, was mir gefällt!“ Hiermit griff sie nach Handschuhen und Fächer und war fertig.
Auch im ersten Stock war man fertig. Senator Brühls gaben sehr viele Gesellschaften, große und kleine, Bälle, Soupers, Diners, große Routs, kleine „gemüthliche“ Zusammenkünfte und Gartenfeste drängten sich drüben in Uhlenhorst, wo sie die Villa hatten. Die Dienerschaft war trefflich geschult, es ging immer alles wie am Schnürchen.
Die prachtvolle Flucht der Gesellschaftsräume, die mit dem Wintergarten abschloß, war dank dem Schönheitssinn der Frau Senator und ihrer Tochter Stella nicht nur mit kostbaren, sondern auch mit geschmackvollen Dingen angefüllt. Der Hausherr verstand nichts davon, er hätte den Dekorateur uneingeschränkt schalten und walten lassen, aber es freute ihn doch, wenn vornehme weitgereiste Leute sich mit Wohlgefallen in den prunkvollen Gemächern umsahen; und wenn sie ihrer Bewunderung Ausdruck gaben, dann pflegte er, die Hand am Kinn, eine kurze Verbeugung zu machen: „Bitte sehr! Freut mich, daß es Ihnen bei mir gefällt! Der ganze Stil der Sache ist das Verdienst meiner Damen – der Wahrheit die Ehre!“
Frau Senator Brühl wußte eigentlich, streng genommen, sehr wenig. Sie interessierte sich nicht für Kunst und Litteratur, besuchte Theater und Konzerte nur, weil es zum guten Ton gehörte, und verwechselte alle Namen von Berühmtheiten, so daß sie Joachim für einen vorzüglichen Pianisten erklärte und für Klara Ziegler als Liedersängerin schwärmte. Lesen verursachte ihr Kopfweh, Politik verabscheute sie, und Malerei und Skulptur wurden von ihr nur nach den Preisen geschätzt, welche die betreffenden Werke eintrugen. Und doch wußte Frau Brühl auch wieder sehr viel, sie wußte ganz genau, was schön war, und das ist mehr, als die meisten Damen von sich sagen können. Welche Anordnung von Möbeln und Dekorationsstücken sich für dies oder jenes Zimmer am besten eigne, welche Toilette bei Tage und welche bei künstlicher Beleuchtung ihr oder Stella am vortheilhaftesten war, welche Mode von den vorhandenen man beachten oder vermeiden müsse – alles das wußte sie ganz genau, hier lag ihr eigenstes Gebiet, auf dem sie mustergültig war. Diesen feinen Formen- und Farbensinn, dies ausgesprochene Schönheitsgefühl hatte Stella von ihrer Mutter geerbt – freilich besaß die junge Dame auch noch andere Gaben, die sich in ihrer Anlage weder auf ihren Vater, noch auf ihre Mutter zurückführen ließen.
Frau Senator Brühl konnte es wie die meisten ehemaligen Schönheiten durchaus nicht vergessen, daß sie in ihrer Jugend reizend gewesen war, dagegen hatte sie vergessen, daß sie ungemein rasch verblüht war. Sie hatte spät geheirathet – sich jetzt in die Rolle einer alternden Frau zu schicken, das fiel ihr unendlich schwer, und erst seit Stella völlig erwachsen und in ihrer wunderbaren Pracht entfaltet war, hatte sich ihre Mutter einigermaßen zurückgezogen.
Jetzt saß sie, zart, blond, ätherisch, ganz in leuchtend blauen Sammet gekleidet, der in schwerer Fächerschleppe auf dem Boden um sie herum lag, in einem mit Goldbrokat bezogenen Lehnsessel und hielt ein Lorgnon vor die Augen, das an einem langen goldenen Stiel befestigt war.
„Was betrachtest Du Dir, liebe Molly?“ fragte der Herr Senator, der im tadellosen schwarzen Gesellschaftsanzug, ein Ordensbändchen im Knopfloch – ach, es war nur der Orden eines ganz kleinen Ländchens, dessen Herrscher er einmal einen finanziellen Dienst erwiesen hatte! – neben ihr stand.
„Diese japanischen Fächer dort über dem Silbertischchen! Ich kann mich noch nicht schlüssig machen, ob das wirklich hübsch aussieht!“
„Sehr hübsch, meine Liebe, sehr hübsch!“ bemerkte der Senator gönnerhaft, ohne seine Gemahlin ganz zu überzeugen. Sie schwenkte leicht mit der Hand, um anzudeuten, daß seine Meinung bei ihr gar nicht ins Gewicht falle.
„Ich werde Stella fragen – sie mag entscheiden!“
Nach einer Pause: „Keine Absage gekommen, Brühl?“
„Nichts von Belang. Der Prinz kommt – Konsul White kommt – Kuno –“
„Wie Du Kuno mit dem Prinzen und Konsul White in einem Athem nennen kannst!“
„Erlaube, liebe Molly –“
Aber die liebe Molly erlaubte nicht.
„Kuno, diesen lächerlichen Hanswurst –“
„Erlaube, er wiegt zehn Millionen schwer!“
„Ich dächte, wieviel er wiegt, käme gar nicht in Betracht, Du hegst doch hoffentlich nicht den Gedanken, Dein Kind – ein solches Kind wie Stella! – im Ernst an diesen Pavian zu verkaufen?“
„‚Pavian‘ ist stark!“
„Nicht zu stark für den jungen Tillenbach! Brühl, ich bitte Dich! Wir wollen doch eine glänzende Partie für Stella haben – auf das Geld kommt es ja nicht im mindesten an!“
Der Senator sah unbehaglich aus, wie wenn er sagen wollte: „Dir nicht – aber mir!“ Einstweilen schwieg er und murmelte nach einer Weile: „Es war ja eben nur ein Gedanke! Für alle Fälle muß man sich die Tillenbachs, Vater und Sohn, warm halten!“
„Nun, das kannst Du besorgen – mich und Stella laß aus dem Spiel! Apropos – gestern traf ich Grimm auf der Straße, und er sagte mir –“
„Doch nicht, daß er heute nicht erscheine?“ fiel der Senator hastig ein. „Das wäre mir mehr als unangenehm – würde mir den ganzen Abend verderben. Die Leute könnten denken –“
Frau Molly unterbrach seine aufgeregte Rede mit einem ungeduldigen Kopfschütteln.
„Brühl –“ sie hatte das R sehr scharf auf der Zunge, weshalb ihr Aussprechen dieses Namens immer wie eine Rüge klang – „Brühl – wenn ich wüßte, was Du an diesem Grimm findest! Seit langen Jahren schon ist er Dein Geschäftstheilhaber nicht mehr, hat sich sogar in unartiger Weise geweigert, Dein stiller Compagnon zu werden, woran Dir soviel lag, da er ja ein eminenter Börsianer sein soll – Du bestandest aber darauf, daß er seine Wohnung in unserem Hause behielt, für die er, nebenbei gesagt, einen Spottpreis bezahlt, als reicher Mann, für den man ihn hält – Du fährst fort, ihn all diese Jahre hindurch mit Handschuhen anzufassen, ihm Deine Einladungen und Liebenswürdigkeiten förmlich aufzudrängen, Dir alles von ihm bieten zu lassen – – und, wie benimmt er sich zu Dir? Er besucht uns fast nie, wozu ich Gott sei Dank sage, denn ich mag ihn nun einmal nicht – er hat Dir gegenüber einen kurz absprechenden, ich möchte sagen herrischen Ton, den sich sonst kein Mensch gegen Dich erlaubt – er behandelt mich mit einer Höflichkeit, hinter der ich eine starke Dosis Ironie wittere – er spottet ganz offenbar über unsere Stella – nun, fahre nur nicht so auf, ich meine natürlich nicht, daß er es wagt, über ihre Persönlichkeit zu spotten … aber er zieht unsere Vorliebe für dieses seltene Kind geradezu ins Lächerliche. Ich habe es aus guter, sicherer Quelle, daß Grimm den Ausspruch gethan hat, wir machten ein Götzenbild aus ihr und lägen anbetend davor auf den Knieen, und das würde dem Götzenbilde sowohl als auch uns mit der Zeit sehr schlecht bekommen. Endlich giebt er vor, an Gerda Gefallen zu finden – ich sage, er giebt es vor, uns zum Possen, da ich nicht annehmen kann, er habe den schlechten Geschmack, neben einem Wesen, wie Stella es ist, dies vorlaute, widerspenstige Kind zu beachten, das sich nur von unvortheilhafter Seite zeigt und an dem ich, die eigene Mutter, noch keine einzige liebenswürdige Eigenschaft habe entdecken können. Alles dies sind Thatsachen! Er hat das Mädchen stundenlang bei sich in seiner Blumen- und Katzenwirthschaft, er steckt ihr allerlei Geschenke zu, bestärkt sie in ihrem bubenhaften Wesen und wirkt auch auf Wolfgang entschieden ungünstig ein, denn kein anderer als Grimm hat dem Jungen den verrückten Unsinn mit der Marine eingeredet. Und nun frage ich Dich noch einmal, Brühl: was findest Du an dem Menschen?“
Der Senator sah während dieser nachdrücklichen Rede seiner Gemahlin, die sich in ihrer gerechten Entrüstung von ihrem Sitz erhoben hatte und nun wie eine zürnende Juno (in blauem Sammet!) vor ihm stand, verlegen und ungemüthlich aus. Sie hatte eigentlich recht, Frau Molly! Grimm that all das, dessen sie ihn beschuldigte, er war gar nicht zu vertheidigen! Aber im
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 674. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_674.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)