verschiedene: Die Gartenlaube (1898) | |
|
den Berg hinauf zu der alten ehrwürdigen Feste. Voran schritt, wie einer der Teilnehmer, Robert Keil, erzählt, der Wiener Stephani mit dem schwarzrotgoldnen Banner, das die Wiener Studenten mitgebracht hatten. Dieselben waren in der schmucken Tracht der „akademischen Legion“ erschienen. Im Hof der Wartburg, die damals noch nicht in alter Pracht wiederhergestellt war, waren Tische aufgeschlagen für den Kommers, der bald nach Eintreffen des Zugs all die begeisterungsvollen Vertreter der deutschen studierenden Jugend aus Nord und Süd, aus Ost und West in echter „Gaudeamus“-Stimmung vereinigt sah. Die Hauptrede hielt hier der Jenenser Burschenschafter Wehrenpfennig; sein Hoch auf die patriotische und freundschaftlich gesellige Einigung der deutschen Studentenschaft fand in den Herzen aller Anwesenden begeisterten Wiederhall. Heraufziehendes Unwetter löste später den Kreis und störte einigermaßen die Durchführung des Programms. In plaudernden, jubelnden, singenden, trinkenden Gruppen verteilte man sich in den Gemächern der Burg, welche der Erbgroßherzog von Sachsen-Weimar den Teilnehmern gastlich zur Verfügung gestellt hatte.
Unter den fröhlichen Scholaren befand sich auch ein Burschenschafter aus Heidelberg, der wenig als Redner hervortrat, aber in engerem Kreise durch seinen Humor sich viele Freunde gewann. Er wußte viel aus Frankfurt zu erzählen, denn dank seinen Heidelberger Beziehungen war es dem jungen Doktoranden soeben gelungen, dort Welckers Sekretär in der badischen Bundesgesandtschaft zu werden. Das war Joseph Viktor Scheffel, der damals ganz vom Geiste der nationalen Bewegung ergriffen war und schwerlich ahnte, daß er mit seinem „feuchtfröhlichen“ Humor in der folgenden trüben Zeit erneuter Zerrissenheit der Nation der Lieblingsdichter der deutschen Studentenwelt werden würde, auch als poetischer Verherrlicher der Wartburg. J. P.
Zuflucht im Walde. (Zu dem Bilde S. 393.) Mitten im Walde, auf dessen dichtumgrünten Pfaden sich das junge Paar traulich plaudernd erging, ist es vom Unwetter überrascht worden. Der entfesselte Sturm warf ihnen den stärker und stärker fallenden Regen ins Gesicht und der junge Tannenbestand am Wege bot ihnen keinen Schutz. Tiefer flüchteten sie in den Wald; eine mächtige Eiche wurde ihr Ziel, die mit ihrer gewaltigen Krone hoch über die Fichten und Tannen in ihrer Nähe emporragte. Durch dichtes Unterholz und wildwachsendes Rankenwerk mußten sie sich den Weg bahnen; aber dann fanden sie auch unter dem Baum die erhoffte Zuflucht. Sein dichtes Laubdach hielt den Regen ab, und wohlgeborgen lauschten sie nun aus ihrem sicheren Versteck den gewaltigen Stimmen der durch den Wald tobenden Elemente. Schon aber läßt das Wetter nach, schon blitzen Strahlenstreifen vom sich aufhellenden Himmel über die Blumenwildnis zu ihren Füßen hin und ein Buchfink, der sich mit ihnen hierher geflüchtet, reckt auf seinem dürren Ast das Hälschen und begrüßt mit frohem Pfeifen das Sonnenlicht. Prüfend schaut der Gatte ins Weite, ob diesen Zeichen auch zu trauen sei; aber von den Zügen seiner jungen Frau ist längst alles Bangen gewichen; an den geliebten Mann gelehnt, der sie so sicher hierher geführt hat, fühlt sie sich auf dem Plätzchen unter der Eiche so wohl, daß sie an den Aufbruch noch gar nicht denken mag.
Kohlenvorrat der Erde. Die Kohlenvorräte der einzelnen, Kohlen produzierenden Länder hat man schon mehrfach zu schätzen versucht; unter anderem sind in neuester Zeit namentlich die auf ganz eingehenden Berechnungen fußenden Schätzungen der Kohlen Deutschlands und Englands durch den Geheimen Oberbergrat Nasse hervorzuheben. Auf originelle Art hat aber im vergangenen Jahre Lord Kelvin den Kohlenvorrat, den die gesamte Erde birgt, berechnet.
Er geht davon aus, daß sämtliche Kohle, was man ja als ganz sicher annehmen darf, pflanzlichen Ursprungs ist. Als die Erde sich nun noch in einer der frühesten Stufen ihrer Entwicklung befand, bestand die dieselbe umhüllende Atmosphäre fast ganz aus Kohlensäure, und erst infolge des Auftretens der Vegetation bildete sich Sauerstoff, der durch die Zersetzung der Kohlensäure und des Wassers durch die Pflanzen mit Hilfe des Sonnenlichtes entstand. Es kann daher nicht mehr Kohle in der Erde vorhanden sein, als dem in der Atmosphäre enthaltenen Sauerstoff und der Verbindung der Kohle mit diesem zu Kohlensäure entspricht. Nun kommen auf 1 qm Erdoberfläche, da der Luftdruck 1 kg für den Quadratcentimeter beträgt, 10 000 kg (1 qm hat 100x100 = 10 000 qcm), das sind 10 Tonnen Luft, die also zufolge dem Verhältnis ihrer Zusammensetzung 2 t Sauerstoff enthalten. Wollte man nun diese 2 t zur Herstellung von Kohlensäure verwenden, so würden dazu ⅔ t Kohlenstoff erforderlich sein, folglich sind auf jedem Quadratmeter Erdoberfläche etwa ⅔ t Kohlen vorhanden.
Die ganze Erdoberfläche ist nun 510 Billionen = 510 Millionen mal Millionen Quadratmeter groß, folglich befinden sich in der Erde 2/3 X 510 = 340 Billionen Tonnen Kohle. Davon würden auf England und Schottland, ohne Irland, mit zusammen 229 661 Millionen Quadratmeter Oberfläche etwa 153 108 Millionen Tonnen kommen, auf Deutschland mit 540 596 Millionen Quadratmeter Oberfläche etwa 420 398 Millionen Tonnen. Nach dem jetzigen Stand der Kohlenförderung in beiden Staaten (England etwa 200 Millionen, Deutschland 150 Millionen Tonnen im Jahr) berechnet, würden also die Kohlenvorräte reichen für England etwa 700 Jahre, für Deutschland etwa 2800 Jahre, und da der Kohlenverbrauch der ganzen Welt zur Zeit, ganz hoch berechnet, gegen 800 Millionen Tonnen beträgt, so würde, selbst einen Verbrauch von 1000 Millionen Tonnen fürs Jahr angenommen, der gesamte Kohlenvorrat der Erde etwa 340 000 Jahre vorhalten. Zur Beunruhigung darüber, daß die Kohlenlager in absehbarer Zeit erschöpft werden könnten, liegt hiernach keine Veranlassung vor, selbst wenn man zugiebt, daß nicht alle in der Erde aufgespeicherte Kohle für Industriezwecke verwendbar ist. Dr. –dt.
Die erste Einladung. (Zu dem Bilde S. 408 und 409.) In der Jugendzeit unserer Großeltern war Werben und Freien mehr als heute an feierlichen Brauch und strenge Sitte gebunden. Verlöbnis und Ehe vollzogen sich in Formen, welche die Wahl der Herzen ganz unter die elterliche Obrigkeit stellten. Wie reines Herzensglück und warmer Anteil des Gemüts jedoch auch unter diesem Formenzwang gar wohl gediehen, läßt unser Bild in anmutendster Weise erkennen. Der junge Herr Gerichtsaktuar, der vor kurzem mit glücklichem Erfolg um die Hand der erwachsenen Tochter seines gestrengen Herrn Chefs bei diesem angehalten hat, ist zum erstenmal zur Sonntagstafel bei den künftigen Schwiegereltern geladen. Die Geliebte bekam er erst zu sehen, als es zu Tische ging. Hier aber ist es ihm vergönnt, sie sogleich im Amte der Wirtin walten zu sehen, und liebliche Bilder schwellen seine Brust von der kommenden Zeit, da sie als seine liebe Hausfrau am eigenen Tisch ihre häuslichen Talente entfalten wird. Ihr mit Worten zu sagen, was ihn bewegt, verbietet ihm die gute Sitte, der Respekt vor den Eltern der Angebeteten. Aber seine Blicke künden es ihr, während er ihr in gewählten Worten höflicher Galanterie seine Bewunderung ausdrückt. Der Herr Rat und die selbst noch jugendliche Frau Rätin sind sichtlich zufrieden mit der Wahl ihrer Aeltesten. Und auch dem hübschen Schwesterlein der Braut gefällt der zukünftige Herr Schwager.
Herzblättchen. (Mit obenstehendem Bilde.) Wo giebt es wohl ein Bild seligerer Zufriedenheit und wunschloseren Glückes als eine Mutter mit dem Kindlein im Arme! Ob sie in den Prachträumen eines Palastes sitzt oder auf der schlichten Holzbank im Garten, wie hier die junge Frau in Altholländer Tracht, überall ist’s der gleiche Blick höchster Mutterwonne, mit dem sie das zärtlich ans Herz gedrückte Köpfchen betrachtet. Und so eng umschlossen auch dies stille Glück scheint – das Herz empfindet es als so unermeßlich, daß alle Schätze der Welt zu gering wären, es einer Mutter abzukaufen!
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0420.jpg&oldid=- (Version vom 29.4.2024)