Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Erster Band welcher das I. bis IV. Heft enthält | |
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Erziehung, Grundsaz, nenn es wie du willst,
erworbne Unschuld, dem erhizten Blut
durch List, durch manchen zweifelhaften Kampf
und kriechende Verträge abgerungen,
dem Himmel der sie fodert und bezahlt
gewissenhaft sorgfältig angeschrieben.
Erwäge selbst. Wird sie der Königin
es je vergeben können, daß ein Mann
an ihrer eignen schwer erkämpften Tugend
vorübergieng, sich vor Dom Philipps Frau
in hofnungslosen Flammen zu verzehren?
Karlos.
Kennst du die Fürstin so genau?
Marquis.
Gewiß nicht,
Kaum daß ich zweimal sie gesehn; doch nur
ein Wort laß mich noch sagen. Mir kam vor,
daß sie geschikt des Lasters Blößen mied,
daß sie sehr gut um ihre Tugend wußte.
Dann sah ich auch die Königin – O Karl,
wie anders alles, was ich hier bemerkte!
In angebohrner stiller Glorie,
mit sorgenlosem Leichtsinn, mit des Anstands
schulmäßiger Berechnung unbekannt
nicht bang vor nie geahndeten Gefahren,
gleich ferne von Verwegenheit und Furcht,
mit festem Heldenschritte wandelt sie
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Erster Band welcher das I. bis IV. Heft enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1785–1787, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band1_Heft4_018.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)