„Völkermord in Ruanda“ – Versionsunterschied
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Als '''Völkermord in Ruanda''' werden umfangreiche Gewalttaten in [[Ruanda]] bezeichnet, die am 7. April 1994 begannen und bis Mitte Juli 1994 andauerten. Sie kosteten circa 800.000 bis 1.000.000 Menschen das Leben, die niedrigsten Schätzungen gehen von mindestens 500.000 Toten aus. In annähernd 100 Tagen töteten Angehörige der [[Hutu]]-Mehrheit etwa 75 Prozent der in Ruanda lebenden [[Tutsi]]-Minderheit sowie Hutu, die sich am [[Völkermord]] nicht beteiligten oder sich aktiv dagegen einsetzten.<ref name=":0">Die Zahl der Opfer schwankt in der Literatur und der Berichterstattung. Am häufigsten ist die Angabe 800.000 bis 1.000.000. Gelegentlich wird auch von mehr als einer Million Toten gesprochen. Alison Des Forges gibt in ihrer umfangreichen Studie eine vorsichtigere Schätzung ab. Sie nennt eine Zahl von mindestens 500.000 Toten und geht davon aus, dass zirka dreiviertel aller Tutsi, die damals im Land registriert waren, umgebracht wurden (Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 34). Zur Spannweite der angegebenen Opferzahlen exemplarisch Vlasta Jalušič in {{BibISBN|978-3-643-50199-8|Kapitel=Bosnien und Ruanda: Durch Erinnerung Vergessen statt Verstehen?|Seite=148}}</ref> Die Täter kamen aus den Reihen der ruandischen Armee, der Präsidentengarde, der Nationalpolizei (Gendarmerie) und der Verwaltung. Zudem spielten die [[Freischar|Milizen]] der [[Impuzamugambi]] sowie vor allem der [[Interahamwe]] eine besonders aktive Rolle. Auch weite Teile der Hutu-Zivilbevölkerung beteiligten sich am Völkermord. Der [[Völkermord|Genozid]] ereignete sich im Kontext eines langjährigen Konflikts zwischen der damaligen ruandischen Regierung und der Rebellenbewegung [[Ruandische Patriotische Front]] (RPF).
Im Verlauf und im Nachgang der Ereignisse wurden die [[Vereinte Nationen|Vereinten Nationen]] (UN) und Staaten wie die [[Vereinigte Staaten|USA]], [[Vereinigtes Königreich|Großbritannien]], und [[Belgien]] wegen ihrer Untätigkeit kritisiert. Dabei stand die Frage im Mittelpunkt, aus welchen Gründen eine frühzeitige [[humanitäre Intervention]] nicht erfolgte, beziehungsweise warum die vor Ort stationierten [[Friedenstruppen der Vereinten Nationen]], die [[United Nations Assistance Mission for Rwanda]] (UNAMIR), bei Ausbruch der Gewalt nicht gestärkt, sondern verkleinert wurden. Gegen [[Frankreich]] wurde überdies der Vorwurf erhoben, sich an den Verbrechen beteiligt zu haben.
Der Völkermord in Ruanda erzeugte darüber hinaus erhebliche regionale Probleme. Nachdem die RPF die Hutu-Machthaber vertrieben, damit den Völkermord beendet und eine neue Regierung gebildet hatte, flohen im Sommer 1994 hunderttausende Hutu in den Osten von [[Zaire]] (heute [[Demokratische Republik Kongo]]). Unter den Flüchtlingen waren viele Täter, die anschließend zur Wiedereroberung Ruandas rüsteten. Die ruandische Armee nahm diese Aktivitäten mehrfach zum Anlass, im westlichen Nachbarland zu intervenieren.
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Ungefähr 30 Minuten nach dem Attentat begannen in Kigali die Morde an oppositionellen Hutu, prominenten Tutsi und Befürwortern des Arusha-Friedensabkommens. Die Täter, allen voran Mitglieder der Präsidentengarde, gingen anhand vorbereiteter Listen vor, spürten ihre Opfer in deren Häusern auf und brachten sie um. Mitglieder anderer Truppenteile unter dem Kommando extremistischer Hutu-Offiziere sowie Milizen unterstützten sie dabei. Zu den ersten Opfern gehörte Premierministerin [[Agathe Uwilingiyimana]], die gemäß der Verfassung nach dem Präsidenten das zweithöchste Staatsamt bekleidete. [[Ghana]]ische und belgische Angehörige der [[United Nations Assistance Mission for Rwanda|UNAMIR]], die zu ihrem Schutz abgestellt waren, konnten ihre Ermordung nicht verhindern. Sie wurden gefangen genommen, die zehn belgischen Soldaten wurden anschließend ebenfalls ermordet.<ref>Zu den ersten Morden in Kigali beispielsweise Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 243, S. 249–252; Roméo Dallaire: ''Handschlag.'' S. 273, 275, 286 f und Bruce D. Jones: ''Peacemaking.'' S. 38. Zur Ermordung Uwilingiyimanas Roméo Dallaire: ''Handschlag.'' S. 289; Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 233 f. Zur Ermordung der belgischen Blauhelmsoldaten Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 231.</ref>
Oberst [[Théoneste Bagosora|Bagosora]] füllte noch in der Nacht vom 6. auf den 7. April das entstandene Machtvakuum an der Staatsspitze aus. Er machte sich zum Vorsitzenden des sogenannten Krisenstabs, der ausschließlich aus Angehörigen des ruandischen Militärs bestand. Die vollständige Übernahme der Macht durch Bagosora lehnte die Mehrheit der Offiziere dieses Gremiums ab. Am 8. April ließ Bagosora extremistische Hutu-Politiker zusammenrufen und forderte sie zur Bildung einer Übergangsregierung auf. Zum Staatspräsidenten wurde [[Théodore Sindikubwabo]], zum Premierminister [[Jean Kambanda]] ernannt.<ref>Zur Rolle Bagosoras in den ersten Stunden nach dem Attentat auf Habyarimana siehe Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 227 f, S. 231, S. 233 f. Zur Bildung der Übergangsregierung unter den [[Auspizien]] Bagosoras siehe Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 238–241; ''The Report Of The International Panel Of Eminent Personalities To Investigate The 1994 Genocide In Rwanda And The Surrounding Events''. Abschnitt 14.12. ({{Webarchiv |url=http://www.aegistrust.org/images/stories/oaureport.pdf |text=Online-Version |wayback=20150908042110}} (PDF; 908 kB; englisch) abgerufen am 24. Dezember 2007).</ref>
Die internationale Gemeinschaft reagierte auf den Ausbruch der Gewalt, indem sie Ausländer aus Ruanda ausflog. Französische und belgische Soldaten führten die entsprechenden [[Evakuierung]]smaßnahmen durch. Die Zahl der stationierten Blauhelm-Soldaten wurde, ausgelöst durch die Ermordung der zehn belgischen UNAMIR-Angehörigen, drastisch reduziert.
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=== Rolle Frankreichs beim Völkermord ===
Der ruandischen Regierung zufolge liegt ein
Frankreich unterhielt seit der Hutu-Revolution enge Kontakte zur Regierung und betrachtete Ruanda als wesentlichen Teil der [[Frankophonie]] und damit des eigenen Einflussbereichs in Afrika. Die Übergriffe der RPF wurden als „anglophone“ Aggression und Bedrohung empfunden, als Versuch, Ruanda zu übernehmen und aus dem französischen Einflussbereich herauszulösen. In diesem Zusammenhang wurde Frankreich auch beschuldigt, mit der ''légion présidentielle'' einen Stab für Strategie und [[Psychologische Kriegsführung|psychologische Kriegführung]] innerhalb der ruandischen Armee geschaffen zu haben, der nur auf Weisung Mitterrands gehandelt habe. Nach Beginn des Völkermords seien überdies zahlreiche französische Militärs im Lande geblieben. Sie seien in ruandische Hutu-Armeeeinheiten eingegliedert worden, die aktiv am Völkermord teilnahmen.<ref>Lina Melvern: [http://www.timesonline.co.uk/tol/comment/columnists/guest_contributors/article4481353.ece ''France and genocide: the murky truth. How far was Mitterrand’s Government involved in the slaughter of hundred of thousands of Rwandans?''] In: ''The Times.'' 8. August 200; abgerufen am 22. September 2008.</ref> Nach einer Verlautbarung des ruandischen Justizministeriums sollen französische Soldaten auch im Rahmen der Opération Turquoise aktiv an den Massakern teilgenommen haben.<ref name="thenational.ae20080826" /> Im April 2019 teilte der französische Präsident [[Emmanuel Macron]] mit, er habe eine Historikerkommission damit beauftragt, „alle französischen Archive in Bezug auf Ruanda zwischen 1990 und 1994“ einzusehen und einen Bericht zur Rolle Frankreichs zu erarbeiten.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/macron-prueft-rolle-frankreichs-beim-voelkermord-in-ruanda-16126241.html |titel=Völkermord in Ruanda. Macron will Rolle Frankreichs prüfen lassen |werk=Frankfurter Allgemeine Zeitung |datum=2019-04-05 |abruf=2019-04-06}}</ref> Diese Historikerkommission betonte in dem im März 2021 veröffentlichten Abschlussbericht, Frankreich trage eine „schwere und erdrückende Verantwortung“ für den Genozid. Die Historiker bewerteten Frankreichs Agieren als „Blindheit“ und „Versagen“, weil es den Völkermord nicht verhindert habe. Unter dem damaligen Präsidenten [[François Mitterrand]] habe das Land „bedingungslos“ das „rassistische, korrupte und gewalttätige“ Regime Juvénal Habyarimanas unterstützt. Mitterrand habe enge persönliche Beziehungen zu Habyarimana unterhalten und diesen mehrfach in Paris empfangen. Eine „Mittäterschaft“ Frankreichs an den Tötungen konnte die Kommission nicht nachweisen.<ref>{{Internetquelle |autor= |url=https://www.spiegel.de/politik/ausland/ruanda-historiker-sehen-frankreich-als-mitverantwortlich-fuer-voelkermord-a-98a23697-71de-46fc-b698-f0ebebfca313 |titel=Ruanda: Historiker sehen Frankreich als mitverantwortlich für Völkermord |werk=Der Spiegel |abruf=2021-03-26 |sprache=de}}</ref>
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Die Geschehnisse im Frühjahr und Sommer des Jahres 1994 sind inzwischen verschiedentlich literarisch verarbeitet worden. Ein ungewöhnliches Konzept stellte das vom [[tschad]]ischen Journalisten Nocky Djedanoum ins Leben gerufene Literaturprojekt ''Ruanda – Schreiben aus der Pflicht zu erinnern'' dar. Es sollte dem Schweigen auch afrikanischer Intellektueller angesichts des Völkermordes Rechnung tragen und ermöglichte 1998 zehn afrikanischen Schriftstellern einen Aufenthalt in Ruanda. Daraus entstanden zehn fiktionale Texte, darunter ein preisgekrönter Roman des senegalesischen Schriftstellers [[Boubacar Boris Diop]].<ref>Anja Bandau: ''Ruanda: Schreiben aus der Pflicht zu erinnern. Literatur zwischen Imagination und Zeugenschaft.'' In: Christa Ebert, Brigitte Sändig (Hrsg.): ''Literatur und soziale Erfahrung am Ausgang des 20. Jahrhunderts.'' Berlin 2003, 13–32.</ref><ref>siehe auch: [https://web.archive.org/web/20140320023257/http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/article7JFXZ-1.366909 Artikel] in der [[Neue Zürcher Zeitung|Neuen Zürcher Zeitung]] über das Projekt.</ref> Bislang sind drei dieser Texte – der Roman ''L’Ombre d’Imana'' von Véronique Tadjo aus der Elfenbeinküste,<ref>Véronique Tadjo: ''Der Schatten Gottes. Reise ans Ende Ruandas.'' Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2001, ISBN 3-87294-868-7.</ref> ''Moisson de crânes'' von [[Abdourahman Waberi]] aus Dschibuti<ref>Abdourahman Waberi: ''Schädelernte.'' Litradukt Literatureditionen, Kehl 2008, ISBN 978-3-940435-03-3.</ref> und ''Big Chiefs'' von Meja Mwangi aus Kenia<ref>Meja Mwangi: ''Big Chiefs.'' Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2009, ISBN 978-3-7795-0231-9.</ref> – in deutscher Übersetzung erschienen.
Einige weitere Bücher über den Genozid liegen auf Deutsch vor. Der kanadische Journalist [[Gil Courtemanche]] hat den Völkermord im Roman ''Ein Sonntag am Pool in Kigali'' verarbeitet. Die Erzählung ist um eine Liebesgeschichte zwischen einer Hutu, die für eine Tutsi gehalten wird, und einem kanadischen Journalisten zentriert.<ref>Gil Courtemanche: ''Ein Sonntag am Pool in Kigali.'' Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004, ISBN 3-462-03368-9.</ref> Im Jahr 2006 kam [[A Sunday in Kigali]], die Verfilmung dieses Romans, in die Kinos. Die deutsche Kinder- und Sachbuchautorin [[Hanna Jansen]] schildert die Ereignisse in ''Über tausend Hügel wandere ich mit dir'', indem sie die Perspektive eines Tutsi-Mädchens in den Mittelpunkt stellt, das die Ausrottung ihrer Familie überlebt.<ref>Hanna Jansen: ''Über tausend Hügel wandere ich mit dir.'' Thienemann Verlag, Stuttgart 2002, ISBN 3-522-17476-3.</ref> Die Erziehungswissenschaftlerin und Mitarbeiterin der Initiative Pro Afrika, Anke
Der Schweizer Journalist [[Milo Rau]] inszenierte 2011 unter anderem im Berliner [[Hebbel am Ufer]] das Stück ''Hate Radio''.<ref>[https://www.bz-berlin.de/kultur/buehne/drama-ueber-ruandas-voelkermord-im-hau-article1330815.html Bericht auf bz-berlin.de], abgerufen am 11. Januar 2012.</ref>
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=== Einzelnachweise ===
<references responsive />
{{Gesprochener Artikel
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[[Kategorie:Konflikt 1994]]
[[Kategorie:Kriminalfall 1994]]
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