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„Völkermord in Ruanda“ – Versionsunterschied

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Als '''Völkermord in Ruanda''' werden umfangreiche Gewalttaten in [[Ruanda]] bezeichnet, die am 7. April 1994 begannen und bis Mitte Juli 1994 andauerten. Sie kosteten circa 800.000 bis 1.000.000 Menschen das Leben, die niedrigsten Schätzungen gehen von mindestens 500.000 Toten aus. In annähernd 100 Tagen töteten Angehörige der [[Hutu]]-Mehrheit etwa 75 Prozent der in Ruanda lebenden [[Tutsi]]-Minderheit sowie Hutu, die sich am [[Völkermord]] nicht beteiligten oder sich aktiv dagegen einsetzten.<ref name=":0">Die Zahl der Opfer schwankt in der Literatur und der Berichterstattung. Am häufigsten ist die Angabe 800.000 bis 1.000.000. Gelegentlich wird auch von mehr als einer Million Toten gesprochen. Alison Des Forges gibt in ihrer umfangreichen Studie eine vorsichtigere Schätzung ab. Sie nennt eine Zahl von mindestens 500.000 Toten und geht davon aus, dass zirka dreiviertel aller Tutsi, die damals im Land registriert waren, umgebracht wurden (Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 34). Zur Spannweite der angegebenen Opferzahlen exemplarisch Vlasta Jalušič in {{BibISBN|978-3-643-50199-8|Kapitel=Bosnien und Ruanda: Durch Erinnerung Vergessen statt Verstehen?|Seite=148}}</ref> Die Täter kamen aus den Reihen der ruandischen Armee, der Präsidentengarde, der Nationalpolizei (Gendarmerie) und der Verwaltung. Zudem spielten die [[Freischar|Milizen]] der [[Impuzamugambi]] sowie vor allem der [[Interahamwe]] eine besonders aktive Rolle. Auch weite Teile der Hutu-Zivilbevölkerung beteiligten sich am Völkermord. Der [[Völkermord|Genozid]] ereignete sich im Kontext eines langjährigen Konflikts zwischen der damaligen ruandischen Regierung und der Rebellenbewegung [[Ruandische Patriotische Front]] (RPF).
 
Im Verlauf und im Nachgang der Ereignisse wurden die [[Vereinte Nationen|Vereinten Nationen]] (UN) und Staaten wie die [[Vereinigte Staaten|USA]], [[Vereinigtes Königreich|Großbritannien]], und [[Belgien]] wegen ihrer Untätigkeit kritisiert. Dabei stand die Frage im Mittelpunkt, aus welchen Gründen eine frühzeitige [[humanitäre Intervention]] nicht erfolgte, beziehungsweise warum die vor Ort stationierten [[Friedenstruppen der Vereinten Nationen]], die [[United Nations Assistance Mission for Rwanda]] (UNAMIR), bei Ausbruch der Gewalt nicht gestärkt, sondern verkleinert wurden. Gegen [[Frankreich]] wurde überdies der Vorwurf erhoben, sich an den Verbrechen beteiligt zu haben.
 
Der Völkermord in Ruanda erzeugte darüber hinaus erhebliche regionale Probleme. Nachdem die RPF die Hutu-Machthaber vertrieben, damit den Völkermord beendet und eine neue Regierung gebildet hatte, flohen im Sommer 1994 hunderttausende Hutu in den Osten von [[Zaire]] (heute [[Demokratische Republik Kongo]]). Unter den Flüchtlingen waren viele Täter, die anschließend zur Wiedereroberung Ruandas rüsteten. Die ruandische Armee nahm diese Aktivitäten mehrfach zum Anlass, im westlichen Nachbarland zu intervenieren.
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Habyarimana kündigte in dieser Situation Anfang Juli 1990 politische [[Reform]]en an. Umgesetzt wurden diese Vorhaben zunächst nicht, denn die politische Auseinandersetzung verwandelte sich in eine militärische – am 1. Oktober 1990 begann von Uganda aus der Angriff der Tutsi-Rebellenarmee ''Ruandische Patriotische Front'' (RPF). Mit diesem Feldzug begann ein Bürgerkrieg, der erst mit dem militärischen Sieg der RPF im Juli 1994 enden sollte. Habyarimana bat Belgien, Frankreich und Zaire um militärische Unterstützung. Die jeweiligen Regierungen entsprachen diesem Wunsch. Die gewährte Hilfe versetzte die Regierungsarmee Ruandas in die Lage, den ersten Angriff der RPF zurückzuschlagen. Die belgischen Truppen verließen daraufhin das Land, die Einheiten Zaires mussten abziehen, weil sie [[Plünderung|plünderten]], die französischen Militärs blieben jedoch im Land und stärkten die Kapazitäten Habyarimanas.<ref>Zum Angriff der RPF und zur militärischen Reaktion auf ihn siehe Bruce D. Jones: ''Peacemaking.'' S. 28–30 und Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 75–78. Zu den Faktoren, die innerhalb Ugandas den Angriff der RPF auf Ruanda beförderten, siehe Matthias Hufmann: ''Verunsicherung.'' S. 104–109.</ref> Mit französischer Hilfe wuchs die Armee Ruandas von 5.200 Mann im Jahr 1990 auf zirka 35.000 Mann im Jahr 1993. Französische Offiziere engagierten sich in der Ausbildung der ruandischen Armeeangehörigen. Gleichzeitig wurde die Ausstattung mit Kriegswaffen, insbesondere [[Kleinwaffe]]n, wiederum vor allem mit französischer Unterstützung, erheblich ausgebaut. Ruanda war in den Jahren von 1992 bis 1994 der drittgrößte Waffenimporteur der [[Subsahara-Afrika|Subsahara-Region]].<ref>Zahlen zur Truppenvergrößerung nach Mel McNulty: ''French arms'', S. 110, Angabe zum Waffenimport nach Mel McNulty: ''French arms.'' S. 107.</ref>
 
Der Präsident und seine politischen Vertrauten blockierten insgeheim die Demokratisierung, auf die sie sich scheinbar einließen. Journalisten, die die Staatsspitze kritisierten, wurden verfolgt. Die Personengruppe um Habyarimana förderte Radiostationen und Zeitungen, die aggressiv gegen die Opposition und gegen die Tutsi hetzten. Zu einer Machtteilung mit den entstehenden neuen Parteien per [[Koalition (Politik)|Koalitionsregierung]] war Habyarimanas MRND erst im April 1992 bereit. Zu den neuen Parteien gehörte zudem eine, die bereit war, die bestehende Herrschaft der Hutu mit radikalen Mitteln zu verteidigen. Die [[Coalition pour la Défense de la République]] (CDR),<ref>Deutsch: ''Koalition zur Verteidigung der Republik.''</ref> gegründet von Personen aus dem Umkreis des Präsidenten, plädierte für eine [[Ethnische Säuberung|Vertreibung]] der Tutsi und baute ab 1992 die Miliz Impuzamugambi auf. Die Präsidentenpartei MRND organisierte im selben Jahr die Interahamwe. Von Oktober 1990 bis April 1994 wurden Tutsi und Hutu-Oppositionelle immer wieder Opfer von Gewalt und Massakern, die als [[Rache]] für militärische Erfolge der RPF deklariert wurden. Die Behörden förderten diese Gewaltakte oder nahmen sie hin. Die Täter wurden nie bestraft. Diese Menschenrechtsverletzungen, bei denen etwa 2000 Tutsi und etliche Hutu getötet wurden, gelten als Vorläufer des Völkermords.<ref>Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 119. Zur Politik des Habyarimana-Regimes, zur Entstehung der Parteien und Milizen sowie zur politischen Gewalt jener Jahre siehe [[Jutta Bieringer]]: ''Zögerlich.'' In: Leonhard Harding (Hrsg.): ''Ruanda – Der Weg.'' Siehe auch Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 78–88 und Mahmood Mamdani: ''When Victims.'' S. 192.</ref>
 
Trotz der Niederlage der RPF Ende Oktober 1990 blieb die Rebellenarmee ein entscheidender Faktor in der ruandischen Politik der kommenden Jahre. [[Paul Kagame]] vergrößerte und reorganisierte die Truppe. Immer wieder gelangen ihr militärische Überfälle und Besetzungen von Landesteilen in der Nähe der ugandischen Grenze. Die Feldzüge und [[Okkupation]]en erzeugten ein massives innerruandisches Flüchtlingsproblem. Ende der 1980er Jahre lag diese Zahl der [[Interne Vertreibung|Binnenflüchtlinge]] bei zirka 80.000, 1992 belief sie sich auf etwa 350.000, nach der RPF-Februaroffensive von 1993 stieg sie auf etwa 950.000 an.<ref>Zahlen nach Mahmood Mamdani: ''When Victims.'' S. 187.</ref> Zwischenzeitlich erreichte [[Waffenstillstand]]svereinbarungen blieben brüchig.
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=== Vorbereitung des Genozids ===
Zur Vorbereitung des Völkermordes gehörte die Entwicklung und Verbreitung einer Ideologie, die auf Vernichtung der Tutsi abzielte und jedes Zusammenleben mit ihnen als Verrat an den Hutu denunzierte. Seit 1990 verbreitete die Zeitung [[Kangura]] unablässig entsprechende Aufforderungen. Die Publikation der sogenannten „Zehn Gebote der Hutu“<ref>{{Internetquelle name|url="ZehnGebotehttp://www.trumanwebdesign.com/~catalina/commandments.htm |titel=Kangura: The ‘Hutu Ten Commandments’ |sprache=en |archiv-url=https://web.archive.org/web/20060512004333/http://www.trumanwebdesign.com/~catalina/commandments.htm |archiv-datum=2006-05-12 |offline=1" |abruf=2007-12-25}}</ref> war eine der prägnantesten rassistischen Äußerungen dieses Presseorgans. Zwei dieser zehn Gebote richteten sich speziell gegen Tutsi-Frauen.<ref>Abdruck dieser Gebote auf einer {{Webarchiv |url=http://www.trumanwebdesign.com/~catalina/commandments.htm |text=privaten Website |wayback=20060512004333}} (englisch) abgerufen am 25. Dezember 2007.</ref>
 
[[Léon Mugesera]], ein Anführer der MRND, rief als erster führender Politiker öffentlich in einer Ansprache am 22. November 1992 zur Ermordung der Tutsi und oppositioneller Hutu auf. Er wurde daraufhin wegen Volksverhetzung angeklagt und flüchtete 1993 nach Kanada.<ref>Dominic name="Johnson: [http://www.taz.2012de/Kanada-01liefert-mutmasslichen-Hetzer-aus/!86307/ ''Kanada ist kein Zufluchtsort für Hetzer mehr'']. In: [[Die Tageszeitung]], 25". Januar 2021.</ref>
 
Noch wichtiger war die Verbreitung solcher Botschaften über das Radio – Ruanda hatte eine [[Analphabetismus|Analphabetenquote]] von über 40 Prozent.<ref>''The Report Of The International Panel Of Eminent Personalities To Investigate The 1994 Genocide In Rwanda And The Surrounding Events'', ( {{Webarchiv |url=http://www.aegistrust.org/images/stories/oaureport.pdf |text=Abschnitt 16.15. |wayback=20150908042110}} (PDF; 908 kB; englisch) abgerufen am 24. Dezember 2007).</ref> Die Machtgruppe um Präsident Habyarimana nahm am 8. August 1993 den Sendebetrieb des Propaganda-Senders [[Radio-Télévision Libre des Mille Collines]] (RTLM) auf. Zu den insgesamt acht Moderatoren dieser Radiostation gehörte [[Georges Ruggiu]], ein Belgier, der unter anderem Belgien und das belgische Blauhelm-Kontingent scharf angriff. Der Sender erfreute sich wegen seines lockeren Stils, aufgrund der Interaktion durch Anrufe von und Interviews mit Hörern sowie wegen der offenbar ansprechenden Musikauswahl rasch großer Beliebtheit.<ref>Unter anderem schildert Paul Rusesabagina, der frühere Direktor des Hotel de Milles Colines, den durchschlagenden Erfolg von RTLM. Siehe Paul Ruseabagina: ''Ein gewöhnlicher Mensch.'' S. 74. Zur Rolle von RTLM siehe auch Karen Krüger: ''Worte.''</ref> Auch nutzte er – obwohl offiziell ein Konkurrenzmedium – Ressourcen des staatlichen Senders und des Präsidentenpalastes. Zur Ausweitung der Hörerschaft teilte die Regierung kostenlos Radioapparate an lokale Behörden aus.<ref>Zur Bedeutung von Kangura und von RTLM siehe Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 104–108 und S. 96–100; Alex Obote Odora: ''Responsibility.'' S. 307–310.</ref>
 
In den Jahren zwischen 1990 und 1994 entwickelte sich eine [[Rhetorik]] gegen die Tutsi, die die Verfolgung und Vernichtung dieser Gruppe vorbereitete. Diese Rhetorik prägte die Aufrufe zur Gewalt in den Tagen des Völkermords. Einer ihrer zentralen Aspekte war die Technik des Verdrehens. In spiegelbildlichen Anschuldigungen warf die extremistische Hutu-Propaganda den Tutsi vor, sie planten die Vernichtung der Hutu. Ein kollektiver [[Präventivschlag]] der angeblich Bedrohten sei darum unvermeidlich. In diesem Zusammenhang spielten erfundene Meldungen über [[Bestialität|bestialische]] Gewalttaten an Hutu eine wichtige Rolle. Ein weiteres Element war die [[Exklusion|Ausgrenzung]] der Tutsi aus der Gemeinschaft der Ruander. Allein das Mehrheitsvolk der Hutu sei zur Herrschaft berechtigt. Konkurrierende Machtansprüche der Tutsi seien undemokratisch, weil diese nur nach der [[Feudalismus|Refeudalisierung]] des Landes trachteten. Ein drittes Kennzeichen der Anti-Tutsi-Propaganda war die [[Menschenbild#Entmenschlichung|Entmenschlichung]] der Tutsi. Die Propaganda bezeichnete sie als ''Kakerlaken'', ''Schlangen'', ''Gewürm'', ''Stechmücken'', ''Affen'' etc., die es zu töten gelte. Schließlich zeichneten sich die verbalen Angriffe auf die Tutsi durch den Rückgriff auf die Sprache der Landwirtschaft aus. Die Hutu wurden aufgefordert, ''große Bäume'' und ''Buschwerk'' zu fällen – [[Verschlüsselung|Chiffren]] für Tutsi. ''Junge Triebe'' – gemeint waren Kinder – dürften dabei keinesfalls geschont werden. Diese verkleideten Aufrufe zum Töten erinnerten die Adressaten an ihre Pflicht zur ''umuganda'', zur gemeinschaftlichen und gemeinnützigen Arbeit.<ref>Zu den Elementen der Anti-Tutsi-Rhetorik siehe kompakt Anna-Maria Brandstetter: ''Rhetorik.'' S. 158–169.</ref>
 
Zur Vorbereitung des Angriffs auf die Tutsi gehörten ferner die Entwicklung und Umsetzung von Programmen zur Rekrutierung und Ausbildung von Milizen und Einheiten der „zivilen Selbstverteidigung“. Die herangezogenen Männer sollten von Ortspolizisten und ehemaligen Soldaten der Regierungsarmee im Kampf gegen den „Feind“ angeleitet werden. In den ersten Monaten des Jahres 1992 entwarf Oberst [[Théoneste Bagosora]], ein führender Planer im Verteidigungsministerium, ein entsprechendes Programm der „zivilen Selbstverteidigung“.<ref>Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 141–144.</ref> Listen mit potenziellen Milizenführern wurden angefertigt.<ref>Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 143.</ref> Zugleich erstellten extremistische Hutu 1993 und 1994 Todeslisten, die die Namen von Tutsi und oppositionellen Hutu enthielten.<ref>Hierzu ''The Report Of The International Panel Of Eminent Personalities To Investigate The 1994 Genocide In Rwanda And The Surrounding Events.'' Abschnitte 11.38, 12.20, 13.26, 14.3. ( {{Webarchiv |url=http://www.aegistrust.org/images/stories/oaureport.pdf |text=Online-Version |wayback=20150908042110}}) (PDF; 908 kB; englisch) abgerufen am 24. Dezember 2007. Zu diesen Todeslisten auch Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 133–135.</ref> Auf diesen Listen befanden sich zirka 1500 Namen.<ref>Scott Straus: ''Order.'' S. 28.</ref>
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{{Hauptartikel|Abschuss des Präsidentenflugzeugs in Ruanda am 6. April 1994}}
 
Die Ermordung von Präsident Habyarimana löste den Völkermord aus. Die [[Dassault Falcon&nbsp;50]], mit der er am 6. April 1994, begleitet vom burundischen Präsidenten [[Cyprien Ntaryamira]], von einer Konferenz aus [[Daressalam]] zurückkehrte, wurde gegen 20:30 Uhr beim Landeanflug auf den [[Flughafen Kigali|Flughafen von Kigali]] mit schultergestützten Boden-Luft-Raketen vom Typ [[9K310 Igla-1|SA-16]] abgeschossen.<ref>[https://www.lemonde.fr/afrique/article/2019/04/05/au-rwanda-la-residence-d-habyarimana-n-a-pas-livre-tous-ses-secrets_5445998_3212.html Pierre Lepidi: ''Au Rwanda, 25 ans après le génocide, la résidence du président tué n’a pas livré tous ses secrets.''] [[Le Monde]] vom 5.&nbsp;April 2019</ref> Alle Passagiere und die [[Luftfahrtpersonal#Fliegendes Personal|Crew]] kamen ums Leben.
 
Wer für den Abschuss des Flugzeugs verantwortlich war, ist bis heute nicht geklärt. Häufig wird vermutet, dass extremistische Hutu die Maschine abgeschossen hätten, weil sie mit der Verhandlungsführung des Präsidenten und dem Verhandlungsergebnis von Arusha nicht einverstanden gewesen seien. Die gegenteilige Annahme lautet, die Täter stammten aus den Reihen der RPF um Paul Kagame. Sie hätten nach einer Möglichkeit gesucht, den Konflikt mit der Hutu-Regierung nicht per Kompromiss zu beenden, sondern per Bürgerkrieg endgültig zu ihren Gunsten zu entscheiden.<ref>Der Abschuss der Maschine ist Gegenstand so gut wie jeder Darstellung der Völkermords in Ruanda. Statt vieler Belege nur Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 223–226 und ''The Report Of The International Panel Of Eminent Personalities To Investigate The 1994 Genocide In Rwanda And The Surrounding Events.'' Abschnitt 14.1. ( {{Webarchiv |url=http://www.aegistrust.org/images/stories/oaureport.pdf |text=Online-Version |wayback=20150908042110}}) (PDF; 908 kB; englisch) abgerufen am 24. Dezember 2007. Siehe ferner Scott Straus: ''Order.'' S. 44 f.</ref>
 
Ungefähr 30 Minuten nach dem Attentat begannen in Kigali die Morde an oppositionellen Hutu, prominenten Tutsi und Befürwortern des Arusha-Friedensabkommens. Die Täter, allen voran Mitglieder der Präsidentengarde, gingen anhand vorbereiteter Listen vor, spürten ihre Opfer in deren Häusern auf und brachten sie um. Mitglieder anderer Truppenteile unter dem Kommando extremistischer Hutu-Offiziere sowie Milizen unterstützten sie dabei. Zu den ersten Opfern gehörte Premierministerin [[Agathe Uwilingiyimana]], die gemäß der Verfassung nach dem Präsidenten das zweithöchste Staatsamt bekleidete. [[Ghana]]ische und belgische Angehörige der [[United Nations Assistance Mission for Rwanda|UNAMIR]], die zu ihrem Schutz abgestellt waren, konnten ihre Ermordung nicht verhindern. Sie wurden gefangen genommen, die zehn belgischen Soldaten wurden anschließend ebenfalls ermordet.<ref>Zu den ersten Morden in Kigali beispielsweise Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 243, S. 249–252; Roméo Dallaire: ''Handschlag.'' S. 273, 275, 286 f und Bruce D. Jones: ''Peacemaking.'' S. 38. Zur Ermordung Uwilingiyimanas Roméo Dallaire: ''Handschlag.'' S. 289; Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 233 f. Zur Ermordung der belgischen Blauhelmsoldaten Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 231.</ref>
 
Oberst [[Théoneste Bagosora|Bagosora]] füllte noch in der Nacht vom 6. auf den 7. April das entstandene Machtvakuum an der Staatsspitze aus. Er machte sich zum Vorsitzenden des sogenannten Krisenstabs, der ausschließlich aus Angehörigen des ruandischen Militärs bestand. Die vollständige Übernahme der Macht durch Bagosora lehnte die Mehrheit der Offiziere dieses Gremiums ab. Am 8. April ließ Bagosora extremistische Hutu-Politiker zusammenrufen und forderte sie zur Bildung einer Übergangsregierung auf. Zum Staatspräsidenten wurde [[Théodore Sindikubwabo]], zum Premierminister [[Jean Kambanda]] ernannt.<ref>Zur Rolle Bagosoras in den ersten Stunden nach dem Attentat auf Habyarimana siehe Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 227 f, S. 231, S. 233 f. Zur Bildung der Übergangsregierung unter den [[Auspizien]] Bagosoras siehe Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 238–241; ''The Report Of The International Panel Of Eminent Personalities To Investigate The 1994 Genocide In Rwanda And The Surrounding Events''. Abschnitt 14.12. ({{Webarchiv |url=http://www.aegistrust.org/images/stories/oaureport.pdf |text=Online-Version |wayback=20150908042110}} (PDF; 908 kB; englisch) abgerufen am 24. Dezember 2007).</ref>
 
Die internationale Gemeinschaft reagierte auf den Ausbruch der Gewalt, indem sie Ausländer aus Ruanda ausflog. Französische und belgische Soldaten führten die entsprechenden [[Evakuierung]]smaßnahmen durch. Die Zahl der stationierten Blauhelm-Soldaten wurde, ausgelöst durch die Ermordung der zehn belgischen UNAMIR-Angehörigen, drastisch reduziert.
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Schätzungen zur genauen Zahl der auch [[Génocidaire]]s genannten Täter weichen erheblich voneinander ab. Einzelne Studien gehen von einigen Zehntausend Tätern aus, andere Autoren sprechen von drei Millionen. Vielfach basieren diese Angaben auf Spekulationen.<ref>{{BibISBN|0801444489|Seite=115|Kommentar=Anmerkung 28}}</ref> Eine 2006 veröffentlichte [[Empirische Sozialforschung|empirische Studie]] schätzt die Zahl der Täter, die einen oder mehrere Morde begingen, auf 175.000 bis 210.000. Das entspricht einem Anteil von etwa sieben bis acht Prozent der damaligen erwachsenen Hutu beziehungsweise 14 bis 17 Prozent der männlichen erwachsenen Hutu.<ref>{{BibISBN|0801444489|Seite=117 f|Kommentar=Als Erwachsene gelten in diesem Fall alle 18- bis 54-Jährigen.}}</ref> Im Jahr 1997 hatte in Ruanda die Zahl der Inhaftierten, denen Völkermorddelikte vorgeworfen werden, einen Spitzenwert von 140.000 Personen erreicht. Im Jahr 2000 wurden 110.000 und 2006 noch etwa 80.000 Inhaftierte gezählt.<ref>{{BibISBN|0801444489|Seite=98|Kommentar=Zahlen für das Jahr 2000}} Und bei Axel T. Paul: ''Schuld.'' S. 42 (für 1997 und 2006).</ref>
 
Die Täter waren mit überwältigender Mehrheit Männer. Der Anteil der Frauen lag bei etwa drei Prozent.<ref>{{BibISBN|0801444489|Seite=100}}</ref> [[Pauline Nyiramasuhuko]], Ministerin für Familie und Frauen, war am Völkermord in Ruanda maßgeblich beteiligt. Sie hielt über den staatlichen Radiosender [[Radio Rwanda]] aufstachelnde Reden,<ref name="Times 1">{{Literatur |Autor=[[Peter Landesman]] |Titel=A Woman’s Work |Sammelwerk=[[The New York Times]] |Datum=2002-09-15 |Sprache=en | online], englisch |Abruf=2014-04-18}}</ref> hetzte Hutu-Milizen in Butare auf Flüchtlinge, rief zur Massenvergewaltigung von Tutsi-Frauen auf und wählte dabei einige der Opfer persönlich aus.<ref name="Spiegel.49/2002">{{Der Spiegel |ID=25832008 |Autor=[[Alexander Smoltczyk]] |Titel=Tage des Gerichts |Jahr=2002 |Nr=49 |Seiten=}}</ref> Sie ist die erste Frau, die wegen Völkermord und [[Vergewaltigung#Vergewaltigungen im Krieg|Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit]] verurteilt wurde.<ref name="SpiegelOnline.2011-06-24">{{Internetquelle |url=https://www.spiegel.de/politik/ausland/ruanda-erste-frau-muss-wegen-voelkermords-lebenslaenglich-hinter-gitter-a-770480.html |titel=Ruanda: Erste Frau muss wegen Völkermords lebenslänglich hinter Gitter |werk=[[Der Spiegel (online)|Spiegel Online]] |datum=2011-06-24 |abruf=2014-04-18}}</ref><ref name="taz.2011-06-25">{{Literatur |Autor=Dominic Johnson: |Titel=[https://taz.de/!275640/ ''Ministerin für Vergewaltigung'']. |Sammelwerk=[[In: ''Die tageszeitung|taz]]Tageszeitung'', |Datum=2011-06-25. |Seiten=2Juni |>2011%2F06%2F25%2Fa0122&cHash=79a4a72c315eae3baa1e7cdb4bf0adf0, online]abgerufen am 18. April |Abruf=2014-04-18}}.</ref>
 
Täter kamen aus allen Teilen der Bevölkerung. An der Spitze standen Personen mit Macht und Einfluss im Militär, in der Politik sowie in der Verwaltung. Das traf auf die nationale und auf die lokale Ebene zu. Von ihrer Anzahl her waren diese Eliten wenig bedeutend. Das Gros der Génocidaires setzte sich aus gewöhnlichen ruandischen Männern zusammen.<ref>{{BibISBN|0801444489|Seite=107 f. |Kommentar=So die Formulierung von Scott Straus, der sich dabei bewusst an [[Christopher Browning]] anlehnt.}}</ref> Sie unterschieden sich hinsichtlich ihrer Bildung, ihres Berufs, ihres Alters und der Anzahl ihrer Kinder nicht vom Bevölkerungsdurchschnitt.<ref>{{BibISBN|0801444489|Seite=108}}</ref> Täteranalysen deuten an, dass die gewaltsamsten unter ihnen junge, unterdurchschnittlich gebildete Männer waren mit wenigen oder keinen Kindern. Zugleich zeigen sie, dass die lokalen Initiatoren von Völkermordaktionen zur lokalen Elite gehörten. Diese Personengruppe war sehr gut in das lokale Gemeinwesen integriert und besaß eine überdurchschnittliche Bildung.<ref>{{BibISBN|0801444489|Seite=103–121|Kommentar=Zum Sozialprofil der lokalen Täter}}</ref>
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Tutsi haben überlebt, weil es ihnen gelang, außer Landes zu fliehen, oder weil sie sich innerhalb Ruandas vor den Mördern verbargen. Dazu nutzten sie unzugängliche Regionen wie Waldgebiete oder Sümpfe. Auch Erdlöcher, Keller oder Dachböden dienten als Verstecke. Vielfach wurde ihnen dabei von Hutu geholfen, von Freunden und Unbekannten. Um zu überleben, zahlten viele Bedrängte an die Täter teils mehrfach Geld oder fügten sich in sexuelle Nötigungen.<ref>Hierzu knapp Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 30.</ref>
 
Die Überlebenschancen bedrohter Tutsi und oppositioneller Hutu erhöhten sich, wenn sie sich in der Nähe ausländischer Beobachter aufhielten. Dies traf beispielsweise für das [[Hôtel des Mille Collines]] in Kigali zu. [[Paul Rusesabagina]], der Direktor dieses Hotels, nutzte seine Kontakte zu ruandischen Politikern und Militärs, mobilisierte den Einfluss der belgischen Hotelbesitzer und schickte [[Fax]]e ins Ausland, um mehrfach erfolgreich die drohende Erstürmung der Hotelanlage zu verhindern. Auf diese Weise rettete er 1268 Eingeschlossenen das Leben.<ref>Siehe hierzu seine eigene Schilderung ''Ein gewöhnlicher Mensch''.</ref> Das UNAMIR-Hauptquartier blieb in den Tagen des Völkermords ein Gebäude des Amahoro-Komplexes in Kigali, zu dem ein großes Stadion gehörte. In diese Sportstätte flüchteten sich Tausende, sie überlebten dank der internationalen Präsenz.<ref>Zu diesem Schutzraum siehe Dallaire: ''Handschlag:'' [[passim]].</ref> Im Südwesten des Landes, in der Präfektur [[Cyangugu]], sammelten sich ebenfalls viele Flüchtlinge im Kamarampaka-Stadion, um der Gewalt zu entgehen. Hier hatte das [[InternationalesInternationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung#Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK)|Internationale Komitee vom Roten Kreuz]] (IKRK) einen Stützpunkt, ebenso im Lager Nyarushishi.<ref>Zur Bedeutung internationaler Beobachtung von Flüchtlingslagern siehe den Hinweis bei Alan J. Kuperman: ''Limits.'' S. 16.</ref>
 
Tutsi hatten die größten Überlebenschancen, wenn die RPF den Landstrich eroberte, in dem sie sich aufhielten. Sobald die Rebellenarmee in einer Region die Macht übernahm, hörten die Völkermordaktionen auf. Nur in entlegenen Gegenden, die nicht sofort von Truppenverbänden der RPF kontrolliert wurden, gab es jeweils noch einige weitere Tage lang genozidale Akte.<ref>Alan J. Kuperman: ''Limits.'' S. 17. Siehe auch Scott Straus: ''Order.'' S. 87.</ref>
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=== Internationale Reaktionen ===
[[Datei:Darfur-Rally 019.jpg|mini|Roméo Dallaire (2006)]]
Ein Kernelement des Arusha-Abkommens bestand in der Aufstellung von UN-Friedenstruppen in Ruanda. Der kanadische General [[Roméo Dallaire]] befehligte ab Oktober 1993 die [[United Nations Assistance Mission for Rwanda|UNAMIR]],<ref>Siehe hierzu [https://www.un.org/Depts/DPKO/Missions/unamir_b.htm die offizielle UN-Darstellung der UNAMIR], abgerufen am 19. Januar 2008.</ref> die von Beginn an mit erheblichen Problemen kämpfte. RTLM unterstellte dem belgischen Kontingent der UNAMIR, auf Seiten der Rebellen zu stehen. Der Großteil der Blauhelmtruppe, die Ende März 1994 eine Stärke von zirka 2500 Mann erreichte, waren Soldaten aus Ghana und [[Bangladesch]]. Die militärischen Fähigkeiten und Ressourcen insbesondere der Bengalen erwiesen sich in den kommenden Monaten oft als unzureichend. Die Finanzierung der Truppe war über lange Monate ungesichert.<ref>Hier umfassend Roméo Dallaire: ''Handschlag.''</ref> Eine weitere Schwierigkeit lag im Mandat. Die UNAMIR hatte einen Auftrag nach Kapitel VI der [[Charta der Vereinten Nationen]]. Allein die Förderung des Friedens, eine sogenannte [[Friedensmission]], war möglich, nicht die [[Friedenserzwingung|Erzwingung des Friedens]] gegen eine oder mehrere Kriegsparteien – ein solches Vorgehen hätte ein Mandat nach [[Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen|Kapitel VII]] der Charta erfordert. Den UNAMIR-Soldaten war der Einsatz von Waffen nur im äußersten Notfall zur Selbstverteidigung gestattet.
 
Im Januar 1994 erhielt Dallaire Kenntnis von geheimen Waffenlagern, Todeslisten, geplanten Angriffen auf die belgischen UNAMIR-Soldaten sowie der gezielten Torpedierung des Arusha-Friedensprozesses und geplanten Massentötungen in den folgenden drei Monaten. Er informierte am 11. Januar seine Vorgesetzten in der UN-Zentrale darüber per Fax. Verantwortlich für UN-Auslandseinsätze war zu diesem Zeitpunkt der spätere [[Generalsekretär der Vereinten Nationen]] und Friedensnobelpreisträger [[Kofi Annan]].<ref name="Edwards 2008">[http://bridgew.academia.edu/JasonEdwards/Papers/116673/The_Mission_of_Healing_Kofi_Annans_Failed_Apology The Mission of Healing: Kofi Annan’s Failed Apology], Jason A. Edwards, Atlantic Journal of Communication, 16:88-104, Routledge, 2008.</ref><ref>[http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/3573229.stm UN chief’s Rwanda genocide regret], BBC News, 26. März 2004.</ref> Dessen Büro wies Dallaire ausdrücklich an, das Mandat nach Kapitel VI eng auszulegen und die Waffenverstecke nicht auszuheben, sondern das Gespräch mit Präsident Habyarimana zu suchen.<ref>Dieses kontrovers diskutierte, sogenannte Völkermord-Fax, [https://www2.gwu.edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB53/rw011194.pdf gwu.edu] (PDF; 89 kB) ist Thema in vielen umfassenderen Abhandlungen zum Völkermord. Siehe exemplarisch die Darstellungen bei Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 211 f; Dallaire: ''Handschlag.'' S. 177–187; Bruce D. Jones: ''Peacemaking.'' S. 113–115, im OAU-Bericht ''The Report Of The International Panel Of Eminent Personalities To Investigate The 1994 Genocide In Rwanda And The Surrounding Events'', Abschnitt 13.26–13.34 {{Webarchiv |url=http://www.aegistrust.org/images/stories/oaureport.pdf |text=Online-Version |wayback=20150908042110}} (PDF; 908 kB; englisch) abgerufen am 24. Dezember 2007 oder im {{Webarchiv |url=http://www.ess.uwe.ac.uk/documents/RwandaReport1.htm |text=Bericht der unabhängigen Untersuchungskommission über die Maßnahmen der Vereinten Nationen während des Völkermords in Ruanda 1994 |wayback=20120812211824}} abgerufen am 21. Januar 2008.</ref> Auch weitere Warnungen des UNAMIR-Befehlshabers<ref>Aufgelistet bei Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 212.</ref> sowie seine Bitten um eine Stärkung des Mandats und um bessere Ausrüstung der UNAMIR blieben ohne Wirkung. Dallaire warf Kofi Annan später Mitschuld am Völkermord vor. Ein Artikel vom 3. Mai 1998 in [[The New Yorker]] legt nahe, dass Annan die wiederholten Hilfsersuche und Berichte aus Ruanda über den bevorstehenden Völkermord zurückgehalten und nicht an den UN-Sicherheitsrat weitergeleitet habe.<ref name="Edwards 2008" /><ref>Lynch, C. (1998, May 5). Annan says big powers failed him in Rwanda. The Boston Globe, p. A1.</ref>
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Frankreich und Belgien organisierten mit Unterstützung durch [[Italien]] und die Vereinigten Staaten die Evakuierungsaktion [[Opération Amaryllis]]. Belgische und französische [[Elitetruppe]]n brachten dabei vom 8. bis zum 14. April 1994 zirka 4000 Ausländer in Sicherheit, nicht jedoch Ruander, die bei ausländischen Institutionen angestellt waren und bereits bedroht wurden.<ref>Zur Evakuierungsaktion siehe Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 719–728.</ref> Deutsche Kapazitäten zur Evakuierung waren nicht verfügbar. Dies wurde als Hauptursache für die Gründung des [[Kommando Spezialkräfte]] angesehen.
 
Trotz der zunehmenden Informationsdichte über das Ausmaß der Gewalttaten vermied es die amerikanische Regierung bewusst, von einem Völkermord zu sprechen.<ref>Siehe hierzu die Präsentation und Kommentierung entsprechender, mittlerweile veröffentlichter US-Regierungsakten durch William Ferroggiaro: [https://www2.gwu.edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB53/press.html ''The US and the Genocide in Rwanda 1994, Evidence of Inaction, A National Security Archive Briefing Book''.] abgerufen am 22. Januar 2008.</ref> Wären die Geschehnisse so bezeichnet worden, wäre die internationale Gemeinschaft gemäß der UN-[[Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes]] zwingend zum Handeln verpflichtet gewesen. Stattdessen sprachen Vertreter der US-Regierung von „Chaos“ oder möglichen „genozidalen Akten“. Die Wahl dieser Begrifflichkeit hing mit den nur wenige Monate zuvor gemachten Erfahrungen während der [[United Nations Operation in Somalia II|UNOSOM II]] zusammen, die als bewaffnete humanitäre Aktion in [[Somalia]] Anfang Oktober 1993 gescheitert war. Nachdem 18 US-Soldaten bei [[Schlacht von Mogadischu|dieser Mission]] getötet worden waren und die Bilder der [[LeichenschändungStörung der Totenruhe|Schändung ihrer Leichen]] weltweit im Fernsehen zu sehen waren, zeigte die USA keine Bereitschaft, in [[Subsahara-Afrika|Schwarz-Afrika]] erneut eine humanitäre Mission zu starten. Verfestigt wurde dies durch eine ''Presidential Directive'' (PDD 25) von 1993. Ruanda galt überdies als Land ohne strategischen Wert.<ref>Zur Politik der USA in den ersten Wochen der Krise siehe Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 738–740.</ref>
 
Der damalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, [[Boutros Boutros-Ghali]], wählte ebenfalls undeutliche Formulierungen. Am 20. April 1994 sprach er von einem Volk, das in „verhängnisvolle Umstände geraten“<ref>„a people who have fallen into calamitous circumstances“ Zitiert nach [https://www.un.org/Docs/secu94.htm UN-Dokument S/1994/470], ''Report of the Secretary-General on the United Nation Assistance Mission for Rwanda'' vom 20. April 1994. Zu den Diskussionsprozessen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen siehe ferner Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 740–748.</ref> sei. Zu diesem Zeitpunkt nannten Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und die [[Fédération Internationaleinternationale des Liguesligues des Droitsdroits de l’Homme]] die Ereignisse bereits ausdrücklich Völkermord.<ref>Human Rights Watch tat dies in einem Schreiben vom 19. April 1994 an den UN-Generalsekretär, die Fédération Internationale des Ligues des Droits de l’Homme folgte mit einem Schreiben an die gleiche Adresse vom 21. April 1994. Siehe Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 746.</ref>
 
[[Datei:UN security council 2006.jpg|mini|links|Sitzungssaal des Sicherheitsrates im [[UNUNO-Hauptquartier]] in [[New York City|New York]] (2006)]]
Zufälligerweise hatte Ruanda in den Wochen des Genozids als nichtständiges Mitglied einen Sitz im [[Sicherheitsrat der Vereinten Nationen]]. Die Regierung Ruandas war damit über die Diskussionen und Stimmungen in diesem Gremium aus erster Hand informiert. Am 16. Mai 1994 nahmen Vertreter der ruandischen Regierung an einer Sitzung des Sicherheitsrates teil. Von den 14 übrigen Mitgliedern kritisierte nur eine Minderheit die Vertreter Ruandas für die exzessiven Gewalttaten. Die für den Völkermord verantwortliche Regierung konnte aus diesem Verhalten schließen, dass dem Sicherheitsrat keine klaren Informationen vorlagen und er sich nicht zu klaren Worten entschließen würde.<ref>Zur Bedeutung des ruandischen Sitzes im Sicherheitsrat siehe Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 760 f.</ref>
 
Von Ende April bis Mitte Mai 1994 setzte ein Stimmungsumschwung ein, nachdem immer häufiger Fernsehberichte Flüchtlinge zeigten, die massenhaft aus Ruanda ins westliche Nachbarland Zaire flohen. Dieser Flüchtlingsstrom setzte sich aus Hutu zusammen, die vor den anrückenden RPF-Einheiten zurückwichen. Die Sorge vor Vergeltung, die von den Radiosendern massiv geschürt wurde, trieb sie dazu an. Zugleich zwangen Hutu-Milizen diese Flüchtlinge dazu, ihnen als [[menschlicher Schutzschild]] zu dienen. Am 17. Mai beschloss der UN-Sicherheitsrat den Einsatz von UNAMIR II. Diese Truppe sollte 5500 Mann umfassen und mit einem robusteren Mandat als die Vorgängertruppe ausgestattet sein, das den militärischen Schutz bedrohter Zivilisten gestattete.<ref>[http://www.securitycouncilreport.org/atf/cf/%7B65BFCF9B-6D27-4E9C-8CD3-CF6E4FF96FF9%7D/Rwan%20SRES%20918.pdf Resolution 918 des UN-Sicherheitsrates.] (PDF; 16 kB) abgerufen am 23. Januar 2008.</ref> Trotz dieses Beschlusses verzögerte sich die Aufstellung der geforderten Truppen und die Bereitstellung des notwendigen militärischen Materials.<ref>Siehe Stefan Trines: ''Unterlassene Hilfeleistung.'' S. 166.</ref> Als die RPF Mitte Juli den Bürgerkrieg gewonnen hatte, war immer noch ungefähr die gleiche Anzahl von Blauhelm-Soldaten in Ruanda wie unmittelbar nach der Truppenreduzierung.<ref>Zu UNAMIR II und den Schwierigkeiten ihrer Implementierung siehe Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 761–764.</ref>
 
Vor diesem Hintergrund ergriff Frankreich die Initiative und stellte sich an die Spitze der [[Opération Turquoise]]. Diese [[humanitäre Intervention]] war gestützt auf Kapitel VII<ref>Kapitel VII: Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen (Art. 39–51)</ref> der [[Charta der Vereinten Nationen|UN-Charta]] und führte ab dem 24. Juni 1994 zur Bildung und Aufrechterhaltung einer [[Sicherheitszone]] im Südwesten Ruandas. In diesem Gebiet, das etwa ein Fünftel Ruandas ausmachte, ballten sich die Hutu-Flüchtlinge. Erklärter Zweck war der Schutz der Zivilisten innerhalb dieser Zone sowie die Förderung der Verteilung von Hilfsgütern durch [[Hilfsorganisation]]en. Die Operation stieß, obwohl sie vielen Zivilisten Sicherheit brachte, von Beginn an auf Kritik. Die RPF sah in dieser Maßnahme die Fortsetzung des Versuchs Frankreichs, die alte Regierung Ruandas zu stützen und den Sieg der RPF zu vereiteln. Diese Sichtweise wurde dadurch gefördert, dass extremistische Hutu den Einmarsch der Franzosen euphorisch begrüßten und versuchten, sie zum Kampf gegen die Rebellen zu animieren. Die Interventionstruppe entwaffnete die Hutu-Milizen nicht und wirkte einer Flucht von Tätern und Regierungsangehörigen ins Ausland nicht entgegen. Auch dies förderte die Kritik an der Politik Frankreichs. Am 21. August 1994 übergaben die Franzosen die Zone der nunmehr personell gestärkten UNAMIR II.<ref>Zur Opération Turquoise siehe Roméo Dallaire: ''Handschlag.'' S. 479–521; Alison Des Forges: ''Kein Zeuge.'' S. 786–808.</ref>
 
2010 räumte der französische Präsident [[Nicolas Sarkozy]] mit Blick auf den Völkermord 1994 in Ruanda schwere Fehler seines Landes ein. ''„Es hat eine Form von Blindheit gegeben, wir haben die Dimension des Völkermords nicht wahrgenommen“''.<ref>spiegel.de vom 25. Februar 2010: [https://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,680421,00.html ''Sarkozy gesteht Fehler Frankreichs ein.'']</ref>
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Der Völkermord destabilisierte die gesamte Region der Großen Afrikanischen Seen. Mehr als zwei Millionen Ruander flohen außer Landes.<ref>Durch den Bürgerkrieg, den Völkermord und den Exodus sank die Bevölkerungszahl Ruandas um 40 Prozent. Angabe nach Stefan Siebels: ''Die Flüchtlingskrise.'' S. 183, Anm. 1.</ref> Als Reaktion auf diese Flüchtlingsströme, auf die Ausbreitung von [[Epidemie|Seuchen]] und eine sehr hohe [[Mortalität|Sterblichkeit]] in den [[Flüchtlingslager]]n setzte eine umfassende internationale Hilfsaktion ein. Schwerpunkt waren dabei die Lager in Ostzaire, nahe der Stadt [[Goma]]. Hier lebten die meisten Flüchtlinge.<ref>1995 lebten in Uganda zirka 10.000, in Burundi zirka 270.000, in Tansania etwa 577.000 und in Zaire zirka 1.245.000 Flüchtlinge. Zahlen nach dem OAU-Report: ''The Report Of The International Panel Of Eminent Personalities To Investigate The 1994 Genocide In Rwanda And The Surrounding Events'', Abschnitt 19.3. ( {{Webarchiv |url=http://www.aegistrust.org/images/stories/oaureport.pdf |text=Online-Version |wayback=20150908042110}} (PDF; 908 kB; englisch) abgerufen am 24. Dezember 2007).</ref> In diesen grenznahen Lagern übernahmen extremistische Hutu rasch die Macht. Sie bauten die Camps zu Basen für die Wiedereroberung Ruandas aus, ohne dass diesem Missbrauch durch Hilfsorganisationen oder UN-Einrichtungen effektiv widersprochen worden wäre. Extremistische Politiker, ehemalige Verwaltungsangestellte, Soldaten und Milizionäre zwangen die zivile Flüchtlingsbevölkerung, diesen Missbrauch zu decken. Die fortgesetzte politische Aufwiegelung gegen Tutsi und widerständlerische Hutu, die Kontrolle der Hilfsgüterverteilung, die Beschaffung von Waffen für den Wiedereinmarsch in Ruanda, die Rekrutierung neuer Kämpfer aus den Reihen der Flüchtlinge und die Etablierung militärischer Trainingscamps gehörten in diesen Lagern zum Alltag.<ref>Zur Dominanz der extremistischen Hutu in den Flüchtlingslagern Zaires Stefan Siebels: ''Die Flüchtlingskrise.'' S. 189 f.</ref> Nach einer Reihe von [[Sabotage]]akten in Ruanda aus diesen Lagern heraus sowie nach der massiven Bedrohung der [[Banyamulenge]], die als eine den Tutsi nahestehende Ethnie seit Generationen in Ostzaire lebten, wurden diese Lager ab Ende 1996 durch eine gemeinsame Aktion von Verbänden der Banyamulenge, der neuen ruandischen Armee und Militäreinheiten aus Uganda aufgelöst. Ungefähr 500.000 Flüchtlinge gingen zurück nach Ruanda und entzogen sich auf diese Weise dem Einfluss der extremistischen Hutu. Die Milizen und von ihnen dominierte Flüchtlingsgruppen, zusammen etwa 300.000 bis 350.000 Personen, zogen weiter ins Inland von Zaire. Diese Ereignisse bildeten zugleich den Auftakt des [[Erster Kongokrieg|ersten Kongokrieges]]. Zur gleichen Zeit kehrten auch zirka 500.000 Flüchtlinge aus Tansania nach Ruanda zurück.<ref>Zur Auflösung der grenznahen Hutu-Lager in Zaire und zur Rückkehr der Flüchtlinge nach Ruanda siehe Stefan Siebels: ''Die Flüchtlingskrise.'' S. 192–194.</ref>
 
Die Situation in den ostkongolesischen Provinzen [[Nord-Kivu]] und [[Sud-Kivu|Süd-Kivu]] ist seit Jahren instabil. Zum Jahresende 2007 waren dort zirka 600.000 bis 800.000 Menschen auf der Flucht vor den Auseinandersetzungen der [[Forces Démocratiques de la Libération du Rwanda]],<ref>Deutsch: ''Demokratische Streitmächte der Befreiung Ruandas''.</ref> einer etwa 6000 Mann starken Truppe aus Génocidaires und weiteren Hutu auf der einen Seite sowie einer 4000 bis 6000 Mann starken Tutsi-Kampfgruppe um [[Laurent Nkunda]], die angeblich von Ruanda unterstützt wird, auf der anderen Seite.<ref>Siehe hierzu Thomas Scheen: ''Hutu gegen Tutsi, diesmal im Kongo.'' In: ''[[Frankfurter Allgemeine Zeitung|Frankfurter Allgemeinen Zeitung]].'' 10. November 2007.</ref>
 
=== Vergewaltigungsopfer ===
Die genaue Zahl der Frauen und Mädchen, die während des Völkermords in Ruanda vergewaltigt wurden, ist nicht bekannt. Nach Angaben von [[UNICEF]] wird die Zahl der vergewaltigten Mädchen und Frauen auf 250.000 bis 500.000 geschätzt.<ref name="UNICEF 1">{{Internetquelle |url=http://www.unicef.de/medica_mondiale.html |titel=Mädchen und Frauen als Zielscheibe |hrsg=[[UNICEF]] |datum=2004-03-04 |archiv-url=https://web.archive.org/web/20070927191123/http://www.unicef.de/medica_mondiale.html |archiv-datum=2007-09-27 |offline=1 |abruf=2014-04-21}} Scott Straus (''Order.'' S. 52) hält die Zahl von mindestens 250.000 Vergewaltigungen für möglicherweise zu hoch.</ref> Die betroffenen Frauen leiden häufig unter sozialer [[Ächtung]], denn auch in Ruanda gelten solche Taten zugleich als persönliche [[Schande]] der Opfer. Viele vergewaltigte Frauen sind durch die sexuellen Gewalttaten Mütter geworden – Schätzungen gehen von 2000 bis 5000 Fällen aus. Ein hoher Prozentsatz der Vergewaltigten ist [[HIV]]-positiv.<ref>Zum Umfang und zu den Folgen der Vergewaltigungen für ruandische Frauen und Mädchen siehe den Bericht der OAU über den Völkermord in Ruanda: ''The Report Of The International Panel Of Eminent Personalities To Investigate The 1994 Genocide In Rwanda And The Surrounding Events.'' Abschnitt 16.17–16.32. ( {{Webarchiv |url=http://www.aegistrust.org/images/stories/oaureport.pdf |text=Online-Version |wayback=20150908042110}} (PDF; 908 kB; englisch) abgerufen am 24. Dezember 2007). Vgl. im Detail auch den Bericht von Human Rights Watch über sexuelle Gewalt während des Völkermords [https://hrw.org/reports/1996/Rwanda.htm ''Shattered Lives. Sexual Violence during the Rwandan Genocide and its Aftermath''].</ref> Die Behandlung vergewaltigter Frauen, die an [[AIDS]] erkrankt sind, scheitert oft an den Kosten für die entsprechenden Medikamente. Personen, die auf Grund des Völkermords interniert sind, werden dagegen behandelt, weil entsprechende Ressourcen bereitgestellt werden.<ref>Lindsey Hilsum: ''Rwandan genocide survivors denied AIDS treatment.'' Artikel des [[The BMJ|British Medical Journal]], April 2004. Siehe überdies Shelley Whitman: ''Plight.'' S. 96 f. und 101.</ref>
 
=== Haushalte ohne Erwachsene ===
1999 gab es in Ruanda schätzungsweise 45.000 bis 60.000 Haushalte, denen Minderjährige vorstanden. Zirka 300.000 Kinder lebten in solchen Haushalten, von denen knapp 90 Prozent von Mädchen geführt wurden, die über kein reguläres Einkommen verfügten. Die Kinder erhielten kaum Hilfen, sondern wurden weitgehend sich selbst überlassen, ohne dass sie in der Lage gewesen wären, die Befriedigung ihrer [[Grundbedürfnis]]se sicherzustellen.<ref>Siehe hierzu den OAU-Bericht: ''The Report Of The International Panel Of Eminent Personalities To Investigate The 1994 Genocide In Rwanda And The Surrounding Events.'' Abschnitt 16.62–16.64. ( {{Webarchiv |url=http://www.aegistrust.org/images/stories/oaureport.pdf |text=Online-Version |wayback=20150908042110}} (PDF; 908 kB; englisch) abgerufen am 24. Dezember 2007). Zur prekären Lage vieler Kinder in Ruanda siehe insbesondere den Bericht von Human Rights Watch: [https://www.hrw.org/reports/2003/rwanda0403/ ''Rwanda lasting wounds: Consequences of Genocide and War for Rwanda’s Children''.] (englisch) abgerufen am 31. März 2009.</ref> Die Ausbreitung von AIDS, die durch die Vergewaltigungen während des Völkermords einen Schub erfuhr, machte 160.000 Kinder zu [[Waise]]n. Ein Anwachsen dieser Zahl ist zu erwarten. Allein für Kigali wird der Anteil der schwangeren Frauen, die mit HIV infiziert sind, auf 30 Prozent geschätzt.<ref>Zahlen nach Shelley Whitman: ''Plight.'' S. 101.</ref> Unmittelbar nach dem Völkermord lag der Frauenanteil in Ruanda durch die Ermordung, Flucht oder Verhaftung von Männern bei zirka 70 Prozent. Unter dem Aspekt der höheren Frauenquote wird der Völkermord in speziellen Publikationen deshalb auch als [[GendercideGenderzid]] bezeichnet.<ref>Magda Seewald: {{Webarchiv |url=http://dp.vidc.org/fileadmin/Bibliothek/DP/pdfs/G_K/gkRuanda.pdf |text=''Gender & bewaffnete Konflikte: Ruanda.'' |wayback=20100814190152}} Wien 2006. Abgerufen am 3.&nbsp;Oktober&nbsp;2015.</ref> In bestimmten Gebieten Ruandas führte diese Situation zur Praxis des Männer-Sharing ([[kwinjira]]), das neben möglichen persönlichen Konflikten auch neue Gefahren in Bezug auf die Verbreitung von AIDS birgt.<ref>Marcel Bohnert: ''Zum Umgang mit belasteter Vergangenheit im postgenozidalen Ruanda.'' S. 42.</ref>
 
=== Jugendliche Täter ===
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Die Vorwürfe umfassen das mehrheitliche Schweigen des Klerus zum Völkermordgeschehen, aber auch Begünstigung von und Aufruf zu Straftaten und in einigen Fällen unmittelbare Täterschaft. So wurde der katholische Priester [[Athanase Seromba]] vom [[Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda|Ruanda-Tribunal]] in erster Instanz wegen Beihilfe zum Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gesprochen. Er soll 2000 Menschen in die von ihm verwaltete Kirche gelockt haben. Statt ihnen Zuflucht zu gewähren, habe er jedoch religiöse Symbole entfernt und den Befehl gegeben, das als weltlich deklarierte Gebäude mit einer Planierraupe einzureißen. Die Überlebenden wurden anschließend von Hutu-Soldaten getötet.<ref>Reinhard Müller: [https://www.faz.net/themenarchiv/politik/vereinte-nationen/ruanda-tribunal-ein-vikar-als-voelkermoerder-1511968.html ''Ein Vikar als Völkermörder''.] Frankfurter Allgemeine, 12. März 2008.</ref><ref>Martin Kimani: [https://www.theguardian.com/commentisfree/belief/2010/mar/29/pope-catholics-rwanda-genocide-church ''For Rwandans, the pope’s apology must be unbearable''.] [[The Guardian]], 29. März 2010.</ref> Kirchen waren häufig Tatorte von Massakern, ohne dass Kirchenvertreter stets eine leitende Rolle gehabt hätten. Alleine in Ruanda wurden jedoch bis 2006 mehr als zwanzig Geistliche für ihre Beteiligung am Genozid angeklagt. Andererseits schützte eine Reihe von Kirchenvertretern Verfolgte und trat der Gewalt vor Ort entgegen. Zugleich zählten mehrere Hundert Kleriker, insbesondere Tutsi und regierungskritische Priester, zu den Opfern der Gewalttaten.<ref name="muslime_kirchen" />
 
Die Beteiligung am Genozid führte zu einem Vertrauensverlust in die etablierten Kirchen, vielen Kirchenaustritten und einer verstärkten Zuwendung zu [[FreikirchenFreikirche]]n und zum Islam.<ref name="muslime_kirchen" /> Eine Auseinandersetzung mit dem Schweigen des Klerus und mit der aktiven Beteiligung einiger Kirchenvertreter an Völkermordstraftaten hat bei den betroffenen Kirchen bislang kaum stattgefunden. Es gibt jedoch von einigen Kirchen wie den protestantischen Kirchen Ruandas Schuldbekenntnisse oder Entschuldigungen. 1996 lehnte Papst [[Johannes Paul&nbsp;II.]] eine Mitverantwortung der katholischen Kirche für den Völkermord ab. Die Schuld liege allein bei einzelnen Tätern aus den Reihen der Gläubigen.<ref>Zu den Vorwürfen gegen die Kirche siehe Rainer Klüsener: [https://www.ifeas.uni-mainz.de/workingpapers/AP74.pdf ''Muslime''.] (PDF; 1,2&nbsp;MB) hier besonders S. 71–73. Siehe auch zudem den OAU-Bericht: ''The Report Of The International Panel Of Eminent Personalities To Investigate The 1994 Genocide In Rwanda And The Surrounding Events'', Abschnitt 18.5 und 18.8. sowie 14.65 bis 14.74 ({{Webarchiv |url=http://www.aegistrust.org/images/stories/oaureport.pdf |text=aegistrust.org |format=PDF; 908 kB |wayback=20150908042110}} (englisch) abgerufen am 24. Dezember 2007). Ferner Ilona Auer-Frege: ''Der Zivile Friedensdienst, Anwendungsmöglichkeiten eines entwicklungspolitischen Konzepts am Fallbeispiel Ruanda''. Dissertation an der Freien Universität Berlin, [http://www.diss.fu-berlin.de/2003/280/KapitelC1.pdf S. 219 f.] (PDF) Siehe ferner den Beitrag von Stephanie Nieuwoudt: [https://iwpr.net/?p=acr&s=f&o=325838&apc_state=henpacr ''Rwanda: Church Role in Genocide Under Scrutiny. Were Catholic priests and nuns complicit in mass killings, or simply helpless bystanders?''] im Africa Report vom 1. Dezember 2006 des [[Institute for War and Peace Reporting]] (englisch; abgerufen am 20. Februar 2008.) Die Menschrechtsorganisation ''African Rights'' bewertet das Verhalten der Kirchen als moralisches Versagen. Siehe [http://query.nytimes.com/gst/fullpage.html?res=990CE7D71430F934A35754C0A963958260&sec=&spon=&pagewanted=1 Raymond Bonner: ''Clergy in Rwanda Is Accused of Abetting Atrocities''], in: Online-Archiv der ''New York Times'', erschienen am 7. Juli 1995, abgerufen am 26. Februar 2009. Zum Schuldbekenntnis protestantischer Kirchen siehe [http://www.c3.hu/~bocs/cpq97s-g.htm Kirche und Frieden: ''Schulderklärung der Kirchen in Ruanda''.] Wiedergabe einer Meldung aus dem EPD-Wochenspiegel, abgerufen am 25. Februar 2009.</ref> [[Franziskus (Papst)|Papst Franziskus]] bat 2017 hingegen um Vergebung.<ref name="Welt-2019-04-05">{{Internetquelle |autor=Florian Stark |url=https://www.welt.de/geschichte/article191378491/Genozid-in-Ruanda-1994-37-9-Prozent-wurden-mit-Macheten-getoetet.html |titel=Genozid in Ruanda 1994. „Todesursache: Machete, in den Armen seiner Mutter“ |werk=Die Welt (online) |datum=2019-04-05 |abruf=2019-04-06}}</ref>
 
Während des Genozids haben Muslime auffällig oft bedrohte Tutsi und Hutu beschützt. Eine umfassende Teilnahme an den Gewalttaten ist nicht bekannt, jedoch gibt es auch Beispiele von Muslimen, die zu Tätern wurden.<ref>Rainer Klüsener: ''Muslime in Ruanda – Von Marginalisierung zu Integration.'' Arbeitspapiere des Institut für Ethnologie und Afrikastudien der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, [https://www.ifeas.uni-mainz.de/workingpapers/AP74.pdf uni-mainz.de] (PDF) Kap. 4.5 ''Muslime als Täter.'' S. 73 ff.</ref> Als Gruppe waren sie zugleich nicht das Ziel der Gewalt. Viele Ruander hielten sie nicht für Einwohner des Landes, sondern für eine Sondergruppe, die ihre Identität nicht aus dem Bezug zur geografischen Heimat, sondern aus der Gemeinschaft der Muslime herleitete. Die Rettung existenziell bedrohter Menschen und die weitgehende Verweigerung, sich am Genozid zu beteiligen, haben die Wertschätzung der Muslime im postgenozidären Ruanda nachhaltig verbessert. Sie gelten als Beispiel für die anzustrebende nichtethnische, die ruandische Identität. Der Anteil der Muslime ist seit Mitte 1994 sehr stark angestiegen und belief sich im Jahr 2006 auf ungefähr 8,2 Prozent. Eine Rolle spielt auch, durch den Übertritt zum Islam möglichen zukünftigen Gewaltausbrüchen entgehen zu können. Führende Muslime in Ruanda betrachten es als ihre Aufgabe, zur Versöhnung von Tutsi und Hutu beizutragen, und nennen diese Obliegenheit den „[[Dschihad]]“ in Ruanda. [[Islamismus|Islamischer Fundamentalismus]] wird in Ruanda nicht beobachtet.<ref>Alana Tiemessen: ''Genocide''. Siehe ferner Rainer Klüsener: ''[https://www.ifeas.uni-mainz.de/workingpapers/AP74.pdf Muslime] (PDF; 1,2&nbsp;MB)'', hier besonders S. 60–91.</ref>
 
=== Juristische Aufarbeitung ===
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Der Großteil der Täter bleibt der nationalen Gerichtsbarkeit Ruandas überlassen, der zweiten Ebene der juristischen Behandlung des Genozids. Diese ist aber aufgrund der großen Fallzahl nicht in der Lage, für zeitnahe Gerichtsverhandlungen zu sorgen. Den Völkermord überlebten nur wenige Richter. Trotz international geförderter Trainingsprogramme und Aktivitäten zum Wiederaufbau des Justizsystems blieben die Leistungsfähigkeit sowie die Unabhängigkeit der nationalen Gerichte unzureichend.<ref>Zu den Problemen der postgenozidären Justiz Ruandas siehe den OAU-Bericht: ''The Report Of The International Panel Of Eminent Personalities To Investigate The 1994 Genocide In Rwanda And The Surrounding Events.'' Abschnitt 18.33–18.42. ( {{Webarchiv |url=http://www.aegistrust.org/images/stories/oaureport.pdf |text=Online-Version |wayback=20150908042110}} (PDF; 908 kB; englisch) abgerufen am 24. Dezember 2007).</ref> Bis 2004 gab es durch ordentliche ruandische Gerichte etwa 10.000 Urteile, 20 Prozent davon waren Freisprüche, 10 Prozent waren Todesurteile.<ref>Zahlen nach Gerd Hankel: ''Versuch.'' S. 107.</ref><!--gibt es da auch aktuellere Daten?-->
 
Von 2005 bis 2012<ref name="Welt-2019-04-05" /> fanden daher Völkermordprozesse landesweit in sogenannten [[Gacaca]]-Gerichten statt. Zentrales Ziel der Schaffung dieser dritten Ebene war die Beschleunigung der Völkermordprozesse und die Bewältigung ihrer großen Zahl.<ref>Axel T. Paul: ''Schuld.'' S. 47.</ref> Sozial anerkannte, gewählte [[Ehrenamtlicher Richter|Laienrichter]] – ihre Gesamtzahl belief sich auf etwa 260.000<ref>Zahl nach Gerd Hankel: ''nichts gemacht.'' S. 44, Anm. 45.</ref> – urteilten hier in öffentlichen Versammlungen, die gesetzlich festgelegten Regeln folgten<ref>Genannt werden die gesetzlichen Grundlagen bei Axel T. Paul: ''Schuld.'' S. 46, Fußnote 47.</ref> und bei denen mindestens 100 Erwachsene anwesend sein mussten. Es gab in Ruanda zirka 10.000 solcher Gerichte.<ref>Zahl nach Axel T. Paul: ''Schuld.'' S. 47.</ref> Neben der Rechtsprechungsfunktion sollten die Gacacas auch soziale Aufgaben erfüllen. Täter und Opfer sollten das Geschehen rekonstruieren, das Leid der Opfer sollte in den Verhandlungen öffentlich sichtbar gemacht werden. Hutu und Tutsi waren dabei nach Möglichkeit miteinander zu versöhnen. Die anfängliche Euphorie wich landesweiter Ernüchterung. Oftmals kam das notwendige [[Quorum (Politik)|Quorum]] von 100 erwachsenen Anwesenden nicht zusammen, weil an den Verfahren Desinteresse bestand. Häufig wurden die Leiden der Tutsi nicht von den Hutu anerkannt, Hutu fühlten sich kollektiv angeprangert, Entschädigungen für Opfer konnten nicht gezahlt werden, Drohungen gegen Zeugen waren nicht wirksam zu unterbinden, viele Opfer konnten sich nicht an den genauen Tatablauf erinnern, was eine sichere Zuordnung von Gewalttaten zu einzelnen Personen oft unmöglich machte. Skeptische Stimmen fürchteten, dass viele inhaftierte mutmaßliche Täter aufgrund von [[Amnestie]]n keinen Prozess bekommen würden.<ref>Zum Vorgehen der ruandischen Justiz inklusive der Gacaca-Gerichte siehe Gerd Hankel: ''Versuch.''</ref> Hinzu kam, dass ein Ansteigen der Prozessanzahl erwartet wurde. Statt mit 80.000 Verfahren wurde teilweise mit 1.000.000 Prozessen gerechnet, weil die Schwelle für Anklagen sank. Häufig reichten [[Denunziation]], ein bloßer Verdacht oder das Umlenken von Anklagen auf andere, bisher nicht von der Strafjustiz beachtete Personen.<ref>Zu diesem Problem siehe Axel T. Paul: ''Schuld.'' S. 48 f.</ref> Kritiker der Gacaca-Gerichtsbarkeit stellten vor dem Hintergrund solcher Schätzungen ein Scheitern jeder Versöhnungsabsicht fest, wenn nicht gar den Versuch der in Ruanda Regierenden, die Hutu durch Gacacas kollektiv zu kriminalisieren und auf diese Weise die Herrschaft der Tutsi zu festigen.<ref>Hierzu Axel T. Paul: ''Schuld.'' S. 51. Eine umfassende Kritik des ruandischen Justizsystems insgesamt ist in [https://www.hrw.org/sites/default/files/reports/rwanda0708webwcover.pdf ''Law and Reality. Progress in Judicial Reform in Rwanda''] (PDF; 702&nbsp;kB) formuliert, ein Bericht von Human Rights Watch, der 2008 erschien.</ref> Trotz dieser Mängel plädierten internationale Beobachter nicht für ein Ende der Gacaca-Gerichtsbarkeit, sondern für ihre schrittweise Verbesserung.<ref>Axel T. Paul: ''Schuld.'' S. 53.</ref> Im Juni 2012 stellten die Gacaca-Gerichte ihre Tätigkeit offiziell ein.<ref>[https://www.amnesty.de/jahresbericht/2013/ruanda#internationalerechtsprechung Ruanda. Jahresbericht 2013.] [[Amnesty International]]</ref><ref>[https://www.bbc.co.uk/news/world-africa-18490348 Rwanda 'gacaca' genocide courts finish work.] [[British Broadcasting Corporation|BBC]] news, 18. Juni 2012, abgerufen am 3. Februar 2014.</ref>
 
Im 2006 eröffneten internationalen [[Mpanga-Gefängnis]] mit 8000 Haftplätzen wurden Täter des Völkermordes in Ruanda, aber auch vom [[Sondergerichtshof für Sierra Leone]] verurteilte Personen inhaftiert. Die Gefangenen aus Ruanda wurden in einem gesonderten Trakt untergebracht.<ref>[https://derstandard.at/1237228024535/Ruanda-bietet-Gefaengnis-fuer-Verurteilte-von-Sierra-Leone-Tribunal ''Ruanda bietet Gefängnis für Verurteilte von Sierra-Leone-Tribunal.''] [[Der Standard]] vom 21.&nbsp;März 2009</ref>
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Ephraim Nkezabera, der sogenannte „Bankier des Genozids“ wurde 2004 in [[Brüssel]] verhaftet. Dem ehemaligen Bankdirektor wurde neben verschiedenen Kriegsverbrechen auch vorgeworfen, die [[Interahamwe]]-Milizen finanziert und ausgerüstet zu haben, sowie an der Finanzierung des Senders [[Radio-Télévision Libre des Mille Collines]] beteiligt gewesen zu sein. 2009 wurde er von einem belgischen Gericht wegen Kriegsverbrechen zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt.<ref>[https://www.reuters.com/article/us-rwanda-trial-belgium/rwanda-banker-gets-30-year-sentence-for-war-crimes-idUSTRE5B04CG20091201 ''Rwanda banker gets 30-year sentence for war crimes''], reuters.com, 1. Dezember 2009</ref><ref>[https://www.newtimes.co.rw/section/read/17385/ ''Nkezabera’s trial to start afresh in Belgian court''], newtimes.co.rw, 6. März 2010</ref>
 
Im Mai 2020 nahm die [[Polizei (Frankreich)|französische Polizei]] den unter falscher Identität in [[Asnières-sur-Seine]] lebenden, per [[Haftbefehl#Internationaler Haftbefehl|internationalen Haftbefehl]] gesuchten, [[Félicien Kabuga]] fest. Der [[Internationaler Strafgerichtshof für Ruanda|Internationale Strafgerichtshof für Ruanda]] hatte ihn unter dem Vorwurf angeklagt, die Interahamwe-Miliz gegründet zu haben.<ref name="spiegel/Kabuga">{{Internetquelle |url=https://www.spiegel.de/politik/ausland/felicien-kabuga-mutmasslicher-drahtzieher-des-voelkermords-in-ruanda-festgenommen-a-2d3df162-5780-4719-bf48-cd304141a782 |titel=Félicien Kabuga: Mutmaßlicher Drahtzieher des Völkermords in Ruanda festgenommen |werk=[[Der Spiegel (online)|Spiegel Online]] |sprache=de |abruf=2020-05-16}}</ref> Kabuga wird von Medien als Finanzier des Völkermords bezeichnet.<ref name="spiegel/Kabuga" />
 
=== Gedenkstätten ===
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=== Versöhnungspolitik ===
[[Datei:Kagame at EAC summit.jpg|mini|Paul Kagame (2006)]]
Die Regierung Ruandas unter der Führung der RPF versuchte nach dem Ende des Völkermords eine Politik des Wiederaufbaus und der Versöhnung.<ref>Zur Versöhnungspolitik und zu Demokratiedefiziten in Ruanda siehe die Darstellung der [[Bertelsmann- Stiftung]] über Ruanda im Rahmen der Studie [http://bti2003.bertelsmann-transformation-index.de/83.0.html ''Den Wandel gestalten – Strategien der Entwicklung und Transformation''] sowie Eugenia Zorbas: ''Reconciliation''.</ref> Diese Politik, von Paul Kagame wesentlich geprägt, war von der Abwehr der Gefahr durch Hutu-Extremisten beeinflusst, die von Zaire aus Ruanda destabilisieren und rückerobern wollten. Diese Bedrohung und die Erfahrung des Völkermords führten zur Herausbildung eines ausgeprägten Sicherheitsbedürfnisses, das die Ablehnung innenpolitischer Demokratisierungsforderungen wesentlich mit beeinflusst. Internationale Beobachter kritisieren erhebliche Mängel, wenn es um die Wahrung von Menschenrechten sowie um Presse- und Meinungsfreiheit geht.
 
Öffentlich darf in Ruanda nur von ''Banyarwanda'', von Ruandern, nicht mehr von Tutsi, Twa oder Hutu gesprochen werden. Die Regierung hat entsprechende Eintragungen in den Personalpapieren abgeschafft. Wer mit Bezug auf die Gegenwart mit ethnischen Begriffen argumentiert, kann wegen „Divisionismus“, also der gezielten Spaltung der Bevölkerung, angeklagt werden. Zugleich zeigen Umfragen, dass die Bevölkerung sehr wohl in ethnischen Kategorien denkt und mit ihnen Menschen unterscheidet.
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=== Ermittlungen und Klagen gegen RPF-Vertreter ===
Gegen Paul Kagame und weitere Leitungskräfte der RPF sind wiederholt Ermittlungen aufgenommen und Klagen erhoben worden, weil der Verdacht besteht, dass dieser Personenkreis führend an Verbrechen beteiligt gewesen ist. Am ICTR hat die Schweizerin [[Carla Del Ponte]] im Jahr 2000 Ermittlungen gegen RPF-Mitglieder initiiert, die im Verdacht stehen, während des Bürgerkriegs und anschließend schwere Verbrechen begangen zu haben. Diese Ermittlungen, die nicht abgeschlossen wurden, stießen bei der ruandischen Regierung auf Missfallen. Das soll 2003 mit zur Ablösung del Pontes als Chefanklägerin des ICTR beigetragen haben.<ref>{{Internetquelle |autor=Maritta Tkalec |url=https://www.berliner-zeitung.de/archiv/tribunal-mit-neuem-anklaeger,10810590,10115798.html |titel=Ruanda: Tribunal mit neuem Ankläger |werk=[[Berliner Zeitung]] |datum=2003-09-15 |abruf=2015-06-08}}</ref> Der französische Ermittlungsrichter [[Jean-Louis Bruguière]] erhob gegen den ruandischen Präsidenten und neun weitere Personen Anklage. Sie werden für den Abschuss der Präsidentenmaschine am 6. April 1994 verantwortlich gemacht und damit für die Ermordung der Crew und aller Insassen des Flugzeugs. Die Anklage führte zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Frankreich und Ruanda.<ref>[https://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,450651,00.html ''Ruanda friert Beziehungen zu Paris ein''], Bericht auf [[Der Spiegel (online)|Spiegel Online]] am 24. November 2006.</ref> Im Februar 2008 wurden in Spanien internationale Haftbefehle gegen 40 Angehörige der RPF ausgestellt. Die Gesuchten werden beschuldigt, in Ruanda und Zaire schwere Verbrechen begangen zu haben. Kagame zählt zum Kreis der Beschuldigten. Die ruandische Regierung sprach von einer Kampagne, die von Hutu-Extremisten inszeniert worden sei.<ref>Francois Misser: [http://www.taz.de/Dubiose-Kampagne-gegen-Ruanda/!12818/ ''Dubiose Kampagne gegen Ruanda. Tutsi-Militärs droht Prozess in Spanien''], in: [[dieDie tageszeitungTageszeitung]] vom 12. Februar 2008.</ref> Im November 2008 gerieten die Beziehungen von Deutschland und Ruanda in eine Krise. Deutsche Behörden hatten zuvor [[Rose Kabuye]], eine Vertraute Kagames sowie ehemals ranghohes Mitglied der RPF, festgenommen und an Frankreich ausgeliefert. Die französischen Behörden werfen ihr die Beteiligung am Abschuss der Maschine von Juvénal Habyarimana vor.<ref>Andrea Jeska, Bartholomäus Grill: [http://www.zeit.de/online/2008/47/ruanda?page=all ''„Die Mörder lasst ihr laufen“.''] auf: ''Zeit online.'' 19. November 2008. Abruf am 19. November 2008.</ref>
 
=== Rolle Frankreichs beim Völkermord ===
Der ruandischen Regierung zufolge liegt ein ReportBericht vor, der zwanzig französischen Militärangehörigen sowie zwölf Politikern, darunter [[Édouard Balladur]], [[Alain Juppé]] und [[François Mitterrand]], eine führende Rolle bei der Durchführung der Massaker zuweist. Im August 2008 folgte als Reaktion Ruandas die Drohung, internationale Haftbefehle gegen hochrangige französische Offizielle zu erlassen.<ref>{{Webarchiv |url=http://www.newvision.co.ug/D/8/12/648693 |text=''Rwanda to indict French officials''. Artikel vom 8. September 2008 auf der ugandischen website ''new vision'' |wayback=20080911192243}}, Abruf am 22. September 2008. Siehe auch [https://www.tagesspiegel.de/politik/international/ruanda-frankreich-war-aktiv-am-voelkermord-beteiligt/1294142.html ''Ruanda: Frankreich war aktiv am Völkermord beteiligt''], in: ''[[Tagesspiegel|Der Tagesspiegel]].'', 5. August 2008; [https://www.sueddeutsche.de/politik/voelkermord-an-den-tutsi-ruanda-gibt-frankreich-mitschuld-am-genozid-1.591737 ''Ruanda gibt Frankreich Mitschuld am Genozid''], in: ''[[Süddeutsche Zeitung]].'' 6. August 2008.</ref> In einer ersten Reaktion von französischer Seite wurden sämtliche Anschuldigungen entschieden zurückgewiesen.<ref name="thenational.ae20080826">{{Internetquelle |autor=Matt Brown |url=http://www.thenational.ae/news/world/africa/france-faces-accusations-over-rwanda-massacre |titel=France faces accusations over Rwanda massacre |hrsg=The National |datum=2008-08-26 |abruf=2014-10-07 |sprache=en}}</ref>
 
Frankreich unterhielt seit der Hutu-Revolution enge Kontakte zur Regierung und betrachtete Ruanda als wesentlichen Teil der [[Frankophonie]] und damit des eigenen Einflussbereichs in Afrika. Die Übergriffe der RPF wurden als „anglophone“ Aggression und Bedrohung empfunden, als Versuch, Ruanda zu übernehmen und aus dem französischen Einflussbereich herauszulösen. In diesem Zusammenhang wurde Frankreich auch beschuldigt, mit der ''légion présidentielle'' einen Stab für Strategie und [[Psychologische Kriegsführung|psychologische Kriegführung]] innerhalb der ruandischen Armee geschaffen zu haben, der nur auf Weisung Mitterrands gehandelt habe. Nach Beginn des Völkermords seien überdies zahlreiche französische Militärs im Lande geblieben. Sie seien in ruandische Hutu-Armeeeinheiten eingegliedert worden, die aktiv am Völkermord teilnahmen.<ref>Lina Melvern: [http://www.timesonline.co.uk/tol/comment/columnists/guest_contributors/article4481353.ece ''France and genocide: the murky truth. How far was Mitterrand’s Government involved in the slaughter of hundred of thousands of Rwandans?''] In: ''The Times.'' 8. August 200; abgerufen am 22. September 2008.</ref> Nach einer Verlautbarung des ruandischen Justizministeriums sollen französische Soldaten auch im Rahmen der Opération Turquoise aktiv an den Massakern teilgenommen haben.<ref name="thenational.ae20080826" /> Im April 2019 teilte der französische Präsident [[Emmanuel Macron]] mit, er habe eine Historikerkommission damit beauftragt, „alle französischen Archive in Bezug auf Ruanda zwischen 1990 und 1994“ einzusehen und einen Bericht zur Rolle Frankreichs zu erarbeiten.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/macron-prueft-rolle-frankreichs-beim-voelkermord-in-ruanda-16126241.html |titel=Völkermord in Ruanda. Macron will Rolle Frankreichs prüfen lassen |werk=Frankfurter Allgemeine Zeitung |datum=2019-04-05 |abruf=2019-04-06}}</ref> Diese Historikerkommission betonte in dem im März 2021 veröffentlichten Abschlussbericht, Frankreich trage eine „schwere und erdrückende Verantwortung“ für den Genozid. Die Historiker bewerteten Frankreichs Agieren als „Blindheit“ und „Versagen“, weil es den Völkermord nicht verhindert habe. Unter dem damaligen Präsidenten [[François Mitterrand]] habe das Land „bedingungslos“ das „rassistische, korrupte und gewalttätige“ Regime Juvénal Habyarimanas unterstützt. Mitterrand habe enge persönliche Beziehungen zu Habyarimana unterhalten und diesen mehrfach in Paris empfangen. Eine „Mittäterschaft“ Frankreichs an den Tötungen konnte die Kommission nicht nachweisen.<ref>{{Internetquelle |autor= |url=https://www.spiegel.de/politik/ausland/ruanda-historiker-sehen-frankreich-als-mitverantwortlich-fuer-voelkermord-a-98a23697-71de-46fc-b698-f0ebebfca313 |titel=Ruanda: Historiker sehen Frankreich als mitverantwortlich für Völkermord |werk=Der Spiegel |abruf=2021-03-26 |sprache=de}}</ref>
 
Staatspräsident Macron sagte im Mai 2021 bei einem Staatsbesuch in Ruanda, nichts könne einen [[Völkermord]] entschuldigen. Er hoffe auf [[Vergebung]].<ref>FAZ.net / [[Michaela Wiegel]]: [https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/macron-einen-voelkermord-kann-man-nicht-ausradieren-17361633.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2 ''„Einen Völkermord kann man nicht ausradieren“'']</ref><ref>FAZ.net / [[Nikolas Busse]]: [https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/voelkermord-in-ruanda-macron-hat-recht-17361417.html ''Macron hat recht''] (Kommentar)</ref>
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In den publizistischen Auseinandersetzungen spielt gelegentlich eine Rolle, inwieweit die Gewalttaten der RPF gegen Hutu ebenfalls als Völkermord einzuordnen seien. Wäre dies der Fall, müsse man von zwei, eventuell sogar von drei Völkermorden sprechen; einer hätte den Tutsi und den gemäßigten Hutu gegolten, dem zweiten seien Hutu innerhalb Ruandas zum Opfer gefallen, als die RPF die politische und militärische Macht übernahm, und der dritte Genozid sei in den Lagern Ostzaires an Hutu-Flüchtlingen begangen worden. Eine empirische Studie hat diese Frage untersucht. Der Autor berichtet über stark abweichende Tötungsmuster. Nur die Gewalt an den Tutsi und den oppositionellen Hutu sei ein Völkermord gewesen. Die Gewalt gegen die Hutu sei mit den Begriffen [[Terror]] beziehungsweise ''Massaker'', nicht aber mit dem Begriff ''Genozid'' korrekt bezeichnet.<ref>Zur Relevanz dieser Mehrfach-Genozid-These und zu ihrer empirischen Untersuchung siehe Philip Verwimp: ''Testing.'' insbesondere S. 423 und S. 441.</ref>
 
Anfang Oktober 2010 erschien ein Bericht des UNHCHR. Ruanda wird darin vorgeworfen, schwere Menschenrechtsverletzungen im Kongo begangen zu haben bzw. an diesen beteiligt gewesen zu sein. Nach dem Bericht gebe es Indizien dafür, dass die von Ruandas Regierung unterstützen Milizen dort Völkermord verübt hätten. Opfer seien Hutu gewesen, insbesondere Kinder, Frauen, Alte und Kranke. Ruanda wies den Bericht zurück.<ref>Horand Knaup: [https://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,720816,00.html ''Uno-Bericht empört Kongos Nachbarn. Untersuchung zu Kriegsgräueln.''] auf: ''[[Der Spiegel (online)|Spiegel Online]].'' 1. Oktober 2010. (Abruf am 11. Februar 2011).</ref>
 
Im Januar 2012 kam ein Bericht des französischen Untersuchungsrichters Marc Trévidic zu dem Ergebnis, dass das Flugzeug von Präsident Habyarimana 1994 durch eine Hutu-Rakete getroffen worden sei. Trévidic führte seine Ermittlungen mit Hilfe mehrerer Flug- und [[Ballistik]]experten vor Ort durch. Die Rakete ist den Untersuchungen zufolge nicht aus einer Stellung der Tutsi-Rebellen abgefeuert worden, sondern aus dem Militärcamp Kanombé, also von Habyarimanas Regierungstruppen. Das Attentat auf Habyarimana hätte Hutu-Extremisten als Vorwand für den Genozid gedient.<ref>[https://diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/723072/Was-den-RuandaGenozid-ausloeste?from=gl.home_politik ''Was den Ruanda-Genozid auslöste.''] auf: ''diepresse.com'', 11. Januar 2012.</ref>
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== Erfahrungsberichte, Bücher und künstlerische Verarbeitungen ==
=== Dokumentarfilme ===
Der Völkermord in Ruanda ist Gegenstand mehrerer [[Dokumentarfilm]]e. 1994 fertigte Ulrich Harbecke für die Sendereihe ''Gott und die Welt'' des [[Westdeutscher Rundfunk Köln|Westdeutschen Rundfunks]] die Dokumentation ''Requiem für Ruanda'' an.<ref>{{Webarchiv |url=http://www.wdr.de/tv/wdr-dok/archiv/2004/040507_02.phtml |text=Kurzpräsentation |wayback=20050204231348}} der Dokumentation auf der Website des Westdeutschen Rundfunks.</ref> Ein Jahr später erschien die TV-Dokumentation ''Rwanda, how history can lead to genocide'' von Robert Genoud.<ref>{{Webarchiv |url=http://www.documen.tv/asset/Rwanda_film.html |text=Kurzpräsentation |wayback=20070102224805}} der entsprechenden [[DVD]].</ref> Für die Reportage ''Der Mörder meiner Mutter. Eine Frau will Gerechtigkeit'' wurde [[Martin Buchholz (Liedermacher)|Martin Buchholz]] im Jahr 2003 mit dem [[Adolf-Grimme-Preis 2003|Adolf-Grimme-Preis]] ausgezeichnet. Im Mittelpunkt steht [[Eugénie Musayidire]], Tochter einer während des Völkermords in Ruanda ermordeten Tutsi, die den Mörder ihrer Mutter sucht und bei der Gerichtsverhandlung gegen ihn anwesend ist.<ref>Siehe die auf der Website des Westdeutschen Rundfunks. Zu diesem Fall siehe auch Martin Buchholz: {{Webarchiv |url=http://www.zeit.de/2003/13/Ruanda_ |text=''„Der Mörder meiner Mutter ist kalt, eiskalt“.'' |wayback=20171207124127}} In: ''[[Die Zeit]]'', Nr. 13/2003. Siehe hierzu auch Martin Buchholz: [http://www.zeit.de/2001/35/Warum_hast_du_sie_getoetet_?page=all ''„Warum hast du sie getötet?“''] In: ''Die Zeit.'' Nr. 35/2001.</ref> Greg Baker drehte den Dokumentarfilm ''Ghosts of Rwanda.'' für den nicht-kommerziellen amerikanischen Fernsehsender [[Public Broadcasting Service]], der im Jahr 2004 erschien.<ref>[http://www.pbs.org/wgbh/pages/frontline/shows/ghosts/ Internetpräsenz] der Dokumentation.</ref> Die vielfach ausgezeichnete Dokumentation ''The Last Just Man'' des aus Südafrika stammenden Regisseurs und Filmemachers [[Steven Silver (Regisseur)|Steven Silver]] über Roméo Dallaire erschien 2002.<ref>{{IMDb|tt0355680|The Last Just Man}}</ref> Roméo Dallaire steht auch im Mittelpunkt der kanadischen Produktion ''[[Shake Hands with the Devil – The Journey of Roméo Dallaire]],'' die ebenfalls zehn Jahre nach dem Völkermord erschien. 2005 wurde die Dokumentation ''Kigali – Bilder gegen ein Massaker'' von Jean-Christophe Klotz veröffentlicht, der 1994 vor Ort war und verwundet wurde. In seiner Arbeit setzt der französische Journalist sich mit der Verwendung von TV-Material durch Medien und Politik auseinander.<ref>[https://www.youtube.com/watch?v=Bt81dpkMbw8 youtube.com]</ref> ''Wir kamen um zu helfen'', ein Film von Thomas Gisler, beleuchtet die Rolle der Entwicklungshelfer, insbesondere der heutigen [[Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit]] (DEZA), durch Erfahrungsberichte von Mitarbeitern vor Ort im Zeitraum von 1960 bis zum Völkermord. Er geht der Frage nach, wie die damaligen Mitarbeiter vor Ort und die Entwicklungshilfe insgesamt sich im Angesicht der gesellschaftlichen Spannungen in Ruanda vor dem Genozid verhielten. Der Film wurde vom Historiker Lukas Zürcher begleitet.<ref>{{Webarchiv |url=http://www.wirkamenumzuhelfen.ch/ |text=Hintergrundinformationen zur Dokumentation. |wayback=20150816122545}} wirkamenumzuhelfen.ch</ref>
 
=== Spielfilme und Serien ===
Zeile 275:
Die Geschehnisse im Frühjahr und Sommer des Jahres 1994 sind inzwischen verschiedentlich literarisch verarbeitet worden. Ein ungewöhnliches Konzept stellte das vom [[tschad]]ischen Journalisten Nocky Djedanoum ins Leben gerufene Literaturprojekt ''Ruanda – Schreiben aus der Pflicht zu erinnern'' dar. Es sollte dem Schweigen auch afrikanischer Intellektueller angesichts des Völkermordes Rechnung tragen und ermöglichte 1998 zehn afrikanischen Schriftstellern einen Aufenthalt in Ruanda. Daraus entstanden zehn fiktionale Texte, darunter ein preisgekrönter Roman des senegalesischen Schriftstellers [[Boubacar Boris Diop]].<ref>Anja Bandau: ''Ruanda: Schreiben aus der Pflicht zu erinnern. Literatur zwischen Imagination und Zeugenschaft.'' In: Christa Ebert, Brigitte Sändig (Hrsg.): ''Literatur und soziale Erfahrung am Ausgang des 20. Jahrhunderts.'' Berlin 2003, 13–32.</ref><ref>siehe auch: [https://web.archive.org/web/20140320023257/http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/article7JFXZ-1.366909 Artikel] in der [[Neue Zürcher Zeitung|Neuen Zürcher Zeitung]] über das Projekt.</ref> Bislang sind drei dieser Texte – der Roman ''L’Ombre d’Imana'' von Véronique Tadjo aus der Elfenbeinküste,<ref>Véronique Tadjo: ''Der Schatten Gottes. Reise ans Ende Ruandas.'' Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2001, ISBN 3-87294-868-7.</ref> ''Moisson de crânes'' von [[Abdourahman Waberi]] aus Dschibuti<ref>Abdourahman Waberi: ''Schädelernte.'' Litradukt Literatureditionen, Kehl 2008, ISBN 978-3-940435-03-3.</ref> und ''Big Chiefs'' von Meja Mwangi aus Kenia<ref>Meja Mwangi: ''Big Chiefs.'' Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2009, ISBN 978-3-7795-0231-9.</ref> – in deutscher Übersetzung erschienen.
 
Einige weitere Bücher über den Genozid liegen auf Deutsch vor. Der kanadische Journalist [[Gil Courtemanche]] hat den Völkermord im Roman ''Ein Sonntag am Pool in Kigali'' verarbeitet. Die Erzählung ist um eine Liebesgeschichte zwischen einer Hutu, die für eine Tutsi gehalten wird, und einem kanadischen Journalisten zentriert.<ref>Gil Courtemanche: ''Ein Sonntag am Pool in Kigali.'' Kiepenheuer & Witsch, Köln 2004, ISBN 3-462-03368-9.</ref> Im Jahr 2006 kam [[A Sunday in Kigali]], die Verfilmung dieses Romans, in die Kinos. Die deutsche Kinder- und Sachbuchautorin [[Hanna Jansen]] schildert die Ereignisse in ''Über tausend Hügel wandere ich mit dir'', indem sie die Perspektive eines Tutsi-Mädchens in den Mittelpunkt stellt, das die Ausrottung ihrer Familie überlebt.<ref>Hanna Jansen: ''Über tausend Hügel wandere ich mit dir.'' Thienemann Verlag, Stuttgart 2002, ISBN 3-522-17476-3.</ref> Die Erziehungswissenschaftlerin und Mitarbeiterin der Initiative Pro Afrika, Anke PönickePoenicke, veröffentlichte 2004 das Kinderbuch ''Agathe. Eine Berlinerin aus Ruanda''. Es erzählt die Geschichte der elfjährigen Agathe in Berlin, die sich mit ihrer Familiengeschichte und damit auch mit dem ruandischen Genozid auseinanderzusetzen beginnt und dabei mit der Gleichgültigkeit der westlichen Welt gegenüber diesem Ereignis konfrontiert wird.<ref>Anke PönickePoenicke: ''Agathe. Eine Berlinerin aus Ruanda.'' Books on African Studies/ Jerry Bedu-Addo, 2004, ISBN 3-927198-27-7.</ref> 2007 erschien die deutsche Übersetzung des zwei Jahre zuvor veröffentlichten Romans ''Die Optimisten'' des britischen Schriftstellers [[Andrew Miller (Autor, 1960)|Andrew Miller]]. Die Geschichte des Reporter Clem Glass, der schwer traumatisiert aus Ruanda nach Hause zurückkehrt und keinen Weg mehr ins normale Leben findet, illustriert, wie die ruandische Tragödie sich auch in europäischen Schicksalen niederschlägt.<ref>Andrew Miller: ''Die Optimisten.'' Roman, Paul Zsolnay Verlag, Wien 2007.</ref> Der Roman ''Hundert Tage'' des Dramatikers [[Lukas Bärfuss]] befasst sich mit den Ereignissen aus der Sicht eines Schweizer Entwicklungshelfers ([[Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit]]) in Ruanda und der Rolle der [[Entwicklungszusammenarbeit|Entwicklungshilfe]]; diese habe über Jahrzehnte das Regime Habyarimanas ungeachtet der Korruption und der menschenrechtlichen Defizite unterstützt und damit den Völkermord mitermöglicht.<ref>Lukas Bärfuss: ''Hundert Tage.'' Wallstein Verlag, 2008, ISBN 978-3-8353-0271-6.</ref> Die Rolle der [[Schweiz]] als Entwicklungshelferin in der ''Schweiz Afrikas'' im Zusammenhang mit dem Völkermord wurde durch Bundesrat [[Flavio Cotti]] in einer Studiengruppe um [[Joseph Voyame]] aufgearbeitet. Dazu folgten mehrere Anfragen im Parlament.<ref>[https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=19981113 98.1113 – Einfache Anfrage Schweiz-Ruanda. Fragen zum Völkermord, Curia Vista – Geschäftsdatenbank]; [https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=19963305 96.3305 – Interpellation Völkermord in Rwanda. Täter und Opfer, Curia Vista – Geschäftsdatenbank]; Christoph Wehrli: [https://www.nzz.ch/aktuell/schweiz/ein-musterpartner-der-zum-genozid-staat-wurde-1.18278011 ''Ein Musterpartner, der zum Genozid-Staat wurde''], [[Neue Zürcher Zeitung]], 5. April 2014.</ref> Ähnlich faktenreich erzählt auch [[Rainer Wochele]] in seinem Roman ''Der General und der Clown'': Im Zentrum seines Buches steht der Kommandeur der UN-Blauhelmgruppe, die, obwohl sie das grauenvolle Morden mit allen militärischen Mitteln stoppen will, aufgrund politischer Weisungen zum Zuschauen verdammt ist.<ref>Rainer Wochele: ''Der General und der Clown.'' Verlag Klöpfer&Meyer, 2008, ISBN 978-3-940086-20-4.</ref> Der deutsche Reporter [[Hans Christoph Buch]] verarbeitete im Roman ''Kain und Abel in Afrika'' seine persönliche Erfahrung des Völkermordes in Ruanda.<ref>Hans Christoph Buch: ''Kain und Abel in Afrika.'' Verlag Volk & Welt, Berlin 2001, ISBN 3-353-01170-6.</ref>
 
Der Schweizer Journalist [[Milo Rau]] inszenierte 2011 unter anderem im Berliner [[Hebbel am Ufer]] das Stück ''Hate Radio''.<ref>[https://www.bz-berlin.de/kultur/buehne/drama-ueber-ruandas-voelkermord-im-hau-article1330815.html Bericht auf bz-berlin.de], abgerufen am 11. Januar 2012.</ref>
Zeile 310:
* [[Mahmood Mamdani]]: ''When Victims become Killers. Colonialism, Nativism, and the Genocide in Rwanda.'' 2. Auflage. Fountain Publ. (u.&nbsp;a.), Kampala (u.&nbsp;a.), 2001, ISBN 0-85255-859-7.
* Alex Obote Odora: ''Criminal Responsibility of Journalists under International Criminal Law: The ICTR Experience.'' In: ''Nordic Journal of International Law.'' Jahrgang 73 (2004), S. 307–323.
* Axel T. Paul: ''Das Unmögliche richten – Schuld, Strafe und Moral in Ruanda.'' In: ''[[Leviathan (– Berliner Zeitschrift für Sozialwissenschaft)|Leviathan]].'' 34. Jahrgang, Heft 1 (März 2006), S. 30–60.
* [[Paul Rusesabagina]] (mit Tom Zoellner): ''Ein gewöhnlicher Mensch. Die wahre Geschichte hinter „[[Hotel Ruanda]]“.'' Deutsch von [[Hainer Kober]]. Berlin-Verlag, Berlin 2006, ISBN 3-8270-0633-3.
* Stefan Siebels: ''Die Flüchtlingskrise.'' In: Leonhard Harding (Hrsg.): ''Ruanda – Der Weg.'' S. 183–195.
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=== Einzelnachweise ===
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|Autor=[[Dominic Johnson (Journalist)|Dominic Johnson]]
|Titel=Kanada ist kein Zufluchtsort für Hetzer mehr
|Sammelwerk=[[die tageszeitung|taz]]
|Datum=2012-01-25
|Seiten=11
|Kommentar=Titel des Print-Artikels
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|Abruf=2014-04-21}}
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|titel=Kangura: The ‘Hutu Ten Commandments’
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[[Kategorie:Konflikt 1994]]
[[Kategorie:Kriminalfall 1994]]
[[Kategorie:Kriminalfall in Ruanda]]