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[[Datei:Katakombenheiliger pankratius.jpg|mini|Mit einer Prunkrüstung geschmückte Reliquie des [[Katakombenheiliger|Katakombenheiligen]] Pankratius im schweizerischen [[Wil SG|Wil]]]]
{{Begriffsklärungshinweis|Siehe [[Reliquie (Begriffsklärung)]]}}
Ein '''Reliquiar''' ist ein Gefäß oder eine Fassung, worin [[Reliquie]]n aufbewahrt und verehrt werden.
[[Datei:Katakombenheiliger pankratius.jpg|mini|Mit einer Prunkrüstung geschmückte Reliquie des [[Katakombenheiliger|Katakombenheiligen]] Pankratius in [[Wil SG]] ]]
 
== Ursprung und Bedeutung ==
Eine '''Reliquie''' (von {{laS|reliquiae}}, „Zurückgelassenes“, „Überbleibsel“) ist als Gegenstand [[kult]]ischer [[Religion|religiöser]] [[Verehrung]] ein irdischer Überrest der Körper oder Körperteile von [[Heiliger|Heiligen]] oder ein Überbleibsel des jeweiligen persönlichen Besitzes. Eine Sonderform der Reliquien sind „Berührungsreliquien“, Gegenstände, mit denen Heilige zu Lebzeiten in Berührung kamen oder gekommen sein sollen.
{{Hauptartikel|Reliquie}}
[[Reliquie]]n, irdische Überreste der Körper oder Körperteile von [[Heiliger|Heiligen]] oder Überbleibsel des jeweiligen persönlichen Besitzes, finden sich in allen [[Weltreligion]]en, vor allem aber im [[Christentum]]. Auch Gegenstände, die mit den Körpern oder Gräbern von Heiligen oder auch mit verehrten Bildern in Berührung gekommen sind, können als Reliquien gelten und verehrt werden.<ref>Verlautbarungen des Heiligen Stuhls Nr. 160, Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung (Hrsg.): ''Direktorium über die Volksfrömmigkeit und die Liturgie'', 2001</ref>
[[Datei:Reliquienbehälter Essener Domschatz.JPG|mini|Reliquienbehälter aus aufgelassenen Altären des Ostchores im [[Essener Münster]], datiert auf 1054. Solche Reliquienbehälter stellen die Urform der Reliquiare dar.]]
Im Christentum entwickelte sich früh eine besondere Verehrung der [[Märtyrer]]. Die Reliquienverehrung ist die älteste Form der Heiligenverehrung und seit dem 2. Jahrhundert nachweisbar. In der [[Spätantike]] und im [[Frühmittelalter]] nahm die Verehrung von Reliquien erheblich zu.<ref>Dazu ausführlich Martina Hartl: ''Leichen, Asche und Gebeine. Der frühchristliche Umgang mit dem toten Körper und die Anfänge des Reliquienkults'' (= ''Handbuch zur Geschichte des Todes im frühen Christentum und seiner Umwelt.'' Band 3). Schnell & Steiner, Regensburg 2018, ISBN 978-3-7954-3258-4.</ref> Veranlasst durch [[Wunder]]berichte wurde seit dem Frühmittelalter den Reliquien der Märtyrer heilsame Wirkung zugeschrieben.<ref>[[Nancy Siraisi|Nancy G. Siraisi]]: ''Medieval & Early Renaissance Medicine. An Introduction to Knowledge and Practice.'' Chicago 1990, S. 11.</ref>
 
== Reliquien in den Weltreligionen ==
[[Datei:감은사지 동삼층석탑 사리장엄구 02.jpg|mini|Buddhistisches [[Sarira]]-Reliquiar des Gameunsa-Tempels, [[Gyeongju]], Korea]]
 
{{Lückenhaft}}
 
Reliquien finden sich in allen [[Weltreligion]]en, vor allem aber im [[Christentum]], im [[Shintō]] (vgl. ''[[shintai]]'') und im [[Buddhismus]] (vgl. ''[[Sarira]]''): Als der erleuchtete [[Buddha]] hochbetagt starb, wurden nach der buddhistischen Überlieferung seine sterblichen Überreste [[Feuerbestattung|eingeäschert]]. Seine Asche, Knochen und Zähne teilten sich mehrere Kleinkönige Nordindiens. Über den Reliquien wurden [[Hügelgrab|Hügelgräber]] ''([[stupa]]s)'' errichtet, die im Laufe der Zeit immer aufwendiger kultisch ausgestaltet wurden. Auch im [[Schia|schiitischen]] [[Islam]] gibt es Formen der Reliquienverehrung an den Gräbern von heiligen Männern ''([[marabout]]s)''.
 
== Geschichte der christlichen Reliquienverehrung ==
[[Datei:Kreuzreliquie Hlkz.JPG|mini|[[Leopold V. (Österreich)]] schenkt dem [[Stift Heiligenkreuz]] die Kreuzreliquie, die er 1188 in Jerusalem erworben hatte]]
[[Datei:Altshausen Schlosskirche Reliquie Hermann der Lahme 2005.jpg|mini|[[Schädelkalotte]] [[Hermann von Reichenau|Hermanns von Reichenau]] in der [[Schloss Altshausen|Schlosskirche St. Michael, Altshausen]]]]
 
Bereits in der [[Alte Kirche|frühen Kirche]] entwickelte sich eine besondere Verehrung der [[Märtyrer]]. Der erste biblische Beleg für Vorläufer von Reliquien findet sich in der [[Apostelgeschichte des Lukas]], wo die Gläubigen dem heiligen [[Paulus von Tarsus]] Tücher wegnahmen und diese dann auf die Kranken legten, die geheilt wurden {{Bibel|Apg|19|12}}. Mit der Annahme der Unvergänglichkeit des heiligen [[Leib Christi|Leibes Christi]] entwickelte sich der Glaube an die besondere Kraft der Überreste auch der heiligen Märtyrer. Das Wort ''Martýrion'' bedeutet in den Schriften der Väter auch den Ort, wo die Reliquien eines Märtyrers aufbewahrt werden. Lange Zeit wurde der aus der Urkirche herrührende Brauch gepflegt, über den Gräbern von heiligen Märtyrern Kirchen zu errichten (etwa die [[Petersdom|Peterskirche]] in Rom). Im Mittelalter ging man in der lateinischen Kirche dazu über, unter oder in den [[Altar]] Reliquien einzubetten. Die Ostkirchen setzen, ihrer Tradition folgend, Reliquien in die Mauern ihrer Kirchen. Mit dieser Praxis soll der innere Zusammenhang zwischen der „Gemeinschaft der Heiligen“<ref>Glaubenssatz aus dem [[Nicäno-Konstantinopolitanum]].</ref>
 
Die Reliquienverehrung ist die älteste Form der Heiligenverehrung und seit dem 2. Jahrhundert nachweisbar. In der [[Spätantike]] und im [[Frühmittelalter]] nahm die Verehrung von Reliquien erheblich zu.<ref>Dazu ausführlich Martina Hartl: ''Leichen, Asche und Gebeine. Der frühchristliche Umgang mit dem toten Körper und die Anfänge des Reliquienkults'' (= ''Handbuch zur Geschichte des Todes im frühen Christentum und seiner Umwelt.'' Band 3). Schnell & Steiner, Regensburg 2018, ISBN 978-3-7954-3258-4.</ref> Ein früher Hinweis auf den Bedarf an Reliquien von Märtyrern stellt die Passion des [[Fructuosus]], Augurius und Eulogius dar. Sie berichtet, dass in der Nacht nach der Hinrichtung des Bischofs Fructuosus von Tarragona am 21. Januar 259 Gläubige versuchten, so viel wie möglich von der Asche der Verbrannten zu erlangen. Der Bischof, der ihnen im Traum erschienen sei, habe sie allerdings aufgefordert, sie zurückzugeben.<ref>Wolfgang Kinzig: ''Christenverfolgung in der Antike.'' C. H. Beck, München 2019, S. 78.</ref> Der [[Kirchenvater]] [[Johannes von Damaskus]] (650–754) weist darauf hin, dass die Heiligen „keine Toten“ seien, und führt eine Reihe von Wundern auf, die durch sie gewirkt worden seien.<ref>Johannes von Damaskus: [http://www.unifr.ch/bkv/kapitel1691-14.htm Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens. Von der Verehrung der Heiligen und ihrer Reliquien].</ref> Seit dem 8. Jahrhundert war die Kirche bestrebt, jeden ihrer Altäre mit einer Reliquie auszustatten.<ref>[[Johannes Gottfried Mayer]]: ''Unversehrtheit des Leibes. Zur Leib-Seelevorstellung in Spätantike und Mittelalter.'' In: ''Würzburger medizinhistorische Mitteilungen.'' Band 18, 1999, S. 75–85; hier: S. 82.</ref>
 
Veranlasst durch [[Wunder]]berichte wurden seit dem [[Frühmittelalter]] den Reliquien der Märtyrer heilsame Wirkung zugeschrieben.<ref>[[Nancy Siraisi|Nancy G. Siraisi]]: ''Medieval & Early Renaissance Medicine. An Introduction to Knowledge and Practice.'' Chicago 1990, S. 11.</ref> Die großen [[Kathedrale]]n des Mittelalters verdanken ihre Entstehung und ihren Ruhm vor allem hochverehrten Reliquien – etwa der [[Heilige Drei Könige|Heiligen Drei Könige]] im [[Kölner Dom]] oder der Reliquien der heiligen [[Ursula von Köln]] und ihrer Gefährtinnen in [[St. Ursula (Köln)|St. Ursula]] in Köln.
 
Am Vorabend der [[Reformation]] war es in der [[Volksfrömmigkeit]], in der Reliquienverehrung traditionell eine große Rolle spielte, zu immer stärkeren Auswüchsen gekommen.<ref>Dazu beispielsweise: [[August Franzen]]: ''Kleine Kirchengeschichte.'' 9. Auflage, Freiburg 1980, S. 244.</ref> Die Reformatoren kritisierten zunächst diese Auswüchse, bevor ihre Kritik grundsätzlicher wurde. So hielt [[Martin Luther]] am 26. Januar 1546 in der Frauenkirche zu [[Halle (Saale)|Halle]] eine Predigt gegen den „Reliquienkram“ des Erzbischofs Albrecht. Aus vielen Kirchen wurden im Zuge des [[Reformatorischer Bildersturm|reformatorischen Bildersturms]] auch die Reliquien entfernt, unter den [[Reformierte Kirchen|Reformierten]] [[Johannes Calvin]] und [[Huldrych Zwingli]] sogar verbrannt. Der Verbleib vieler zuvor bedeutsamer Reliquien ist seitdem unbekannt. Entgegen dem Befehl der protestantisch gewordenen Landesherren bewahrte die Bevölkerung [[Marburg]]s (siehe [[Elisabeth von Thüringen#Die Elisabethreliquien]]) und manch anderer Orte die Reliquien auf.
 
Evangelische Christen sehen die Heiligenreliquien als „[[Bibel|unbiblisch]]“ an, in Religionsgemeinschaften wie den [[Siebenten-Tags-Adventisten]] und den [[Zeugen Jehovas]] gilt ihre Verehrung sogar als [[Götze]]ndienst. Auch die [[Neuapostolische Kirche]] sowie die [[Christadelphian]]s lehnen die Verehrung von Reliquien ab.
 
Auf dem [[Konzil von Trient]], dem Konzil, das die [[Gegenreformation]] einleitete, wurde in der 25. Sitzungsperiode (1563) die Reliquienverehrung ausdrücklich empfohlen und Kritik seitens der Reformatoren zurückgewiesen.<ref>„Dass diejenigen, welche behaupten, den Reliquien der Heiligen gebühre keine Vererhrung und Ehre […], des Gänzlichen zu verdammen seien.“Zitiert nach: ''Das heilige allgültige und allgemeine Concilium von Trient. Beschlüsse und heil. Canones nebst den betreffenden Bullen treu übersetzt von Jodoc Egli''; Verlag Xaver Meyer, Luzern 1832, 2. Auflage, S. 274–332.<!-- Falls sich diese Stelle im Denzinger-Hünermann findet, sollte das ersetzt werden.--></ref> In der Folge blühte die seltener gewordene Reliquienverehrung in katholischen Gebieten wieder auf. Wallfahrten zu Reliquienschreinen wurden zu einem wichtigen Mittel der Gegenreformation. Im 19. Jahrhundert kam es zu einer erneuten Blüte der Reliquienverehrung. Zur [[Trierer Wallfahrt von 1844]] zum Heiligen Rock kamen binnen sieben Wochen eine Million Pilger. Liberale Publikationen wie der [[Kladderadatsch]] richteten ihren Spott gegen die Katholiken.
 
Das 20. Jahrhundert war im deutschen Sprachgebiet, mitbeeinflusst durch die [[liturgische Bewegung]] mit ihrer Wende zur Innerlichkeit und die [[Liturgiereform]], durch einen stetigen Rückgang der Bedeutung der Reliquienverehrung geprägt. In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist, unterstützt durch eine Vielzahl populärwissenschaftlicher Publikationen, das Interesse an den Reliquien und ihrer Verehrung wieder gewachsen.
 
== Kategorisierung ==
[[Datei:6-Reliquie der Sandalen v.Jesus-k.jpg|mini|Sandalen Jesu, Abtei Prüm (Eifel)]]
 
# ''Reliquien erster Klasse'' sind alle Körperteile von Heiligen, insbesondere aus dem [[Skelett]] (''ex ossibus'', ''aus den Knochen''), in selteneren Fällen auch Blut. Bei Heiligen, deren Körper verbrannt wurden, gilt die Asche als Reliquie erster Klasse.
# {{Anker|Berührungsreliquen}}''Reliquien zweiter Klasse'', auch ''echte '''Berührungsreliquien''''' (bzw. Kontaktreliquien<ref>Betty Sonnberger, Merkblätter des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz, Kulturgüterschutz, Reliquiare, S. 2; Stand 2004</ref>) genannt, sind Gegenstände, die der Heilige zu seinen Lebzeiten berührt haben soll, insbesondere Objekte von besonderer biographischer Bedeutung. Dazu gehören bei heiliggesprochenen [[Priester (Christentum)|Priestern]] und [[Ordensgemeinschaft|Ordensleuten]] ihre Gewänder, bei [[Märtyrer]]n auch die Foltergeräte und Waffen, mit denen sie ums Leben gebracht wurden.
 
Eine Stellung außerhalb dieses Schemas kommt den sogenannten ''biblischen Reliquien'' zu, also den Gegenständen, die mit dem neutestamentlichen Heilsgeschehen, insbesondere mit [[Jesus Christus]] und der [[Maria (Mutter Jesu)|Mutter Gottes]], aber auch mit [[Johannes der Täufer|Johannes dem Täufer]], in direkte Verbindung gebracht werden. Dazu zählen vor allem die ''[[Kreuzreliquie]]n'', kleine Holzsplitter vom Kreuz Christi, von denen viele tausende über die ganze Welt verteilt in katholischen und orthodoxen Kirchen verehrt werden.<!--Achtung, nicht ändern, erst Diskussionsseite lesen--> Zu den Gegenständen, die Bezüge zur [[Passion Jesu|Passion]], also zur Leidensgeschichte Jesu aufweisen, gehören daneben auch die [[Heilige Lanze|Lanze]], die bei der Kreuzigung verwendet wurde {{Bibel|Joh|19|34}}, oder Partikel der Kreuznägel (etwa in der [[Eiserne Krone|Eisernen Krone]] der [[Langobarden]]), Partikel der [[Dornenkrone]] (in der [[Kathedrale Notre-Dame de Paris]]), ferner das [[Turiner Grabtuch]], das [[Schweißtuch der Veronika]] (im [[Petersdom]] in Rom) wie auch die anderen [[Leidenswerkzeug]]e. In ähnlicher Weise werden Gewänder verehrt, die Maria und Jesus zu Lebzeiten getragen haben sollen, etwa der [[Heiliger Rock|Heilige Rock]] in [[Trier]], die [[Sandalen Christi|Sandalen Jesu]] in [[Prüm]] sowie Windel und Lendenschurz Jesu in [[Aachen]]. Die Gewänder Mariens ([[Maphorion|Schleier]], Gürtel, [[Heiliger Ring]]) zähl(t)en zu den Reliquien in Konstantinopel, Paris und anderswo. Viele der bedeutendsten biblischen Reliquien befanden sich lange Zeit in [[Konstantinopel]] und gelangten erst nach der Eroberung der Stadt durch den [[Vierter Kreuzzug|Vierten Kreuzzug]] im Jahr 1204 in den Westen.
 
Da Jesus nach {{B|Lk|24|50–53}}, {{B|Apg|1|1–11}} und, nach Lehre der römisch-katholischen Kirche, die Jungfrau Maria leiblich in den Himmel [[Himmelfahrt|aufgenommen]] wurden, gibt es von ihnen folgerichtig keine Reliquien ''ex ossibus'' und nur wenige Reliquien ''erster Klasse''. Solche [[Christusreliquie]]n tauchten im Mittelalter auf, werden heute überwiegend als Fälschungen angesehen und in der katholischen Kirche aber noch lokal verehrt.
 
{{Siehe auch|Heilig-Blut-Reliquie}}
 
== Wunderwirkungen ==
[[Datei:Kloster Fürstenfeld Heilige Hyacinthus.JPG|mini|Ganzkörperreliquie des hl. Hyacinthus in der [[St. Mariä Himmelfahrt (Fürstenfeldbruck)|Klosterkirche Fürstenfeld]]]]
 
Vor allem im Mittelalter wurden den Reliquien viele [[Wunder]] (''miracula'') zugesprochen. In der [[Hagiographie]] sind Zeitpunkte solcher Wunder oft die ''Inventio'' (Auffindung) von Reliquien sowie die ''[[Reliquientranslation|Translatio]]'' (Überführung) der heiligen Gebeine von einem Ort an einen anderen Ort, etwa bei der [[Kreuzauffindung|Auffindung]] des [[Heiliges Kreuz|Heiligen Kreuzes]] oder bei der Überführung der Gebeine des hl. [[Nikolaus von Myra]] nach [[Bari]]. Die Lebensbeschreibungen der Heiligen wurden in Hagiographien gesammelt, wie der „goldenen Legende“ ([[Legenda aurea]]) oder den Werken des [[Caesarius von Heisterbach]]. Ihre große Verehrung sowie Wundergeschichten lösten während des Mittelalters eine allgemeine Suche nach Reliquien von Heiligen, insbesondere solchen von [[Märtyrer]]n, aus. Dabei schreckte man auch vor Entwendungen der heiligen Leichname (''corpora sanctorum'') nicht zurück, wie zum Beispiel in dem von [[Einhard]] verfassten [[Reliquientranslation|Translationsbericht]] über die Überführung der Heiligen Marcellinus und Petrus von Rom nach [[Michelstadt]]-Steinbach zu lesen ist.
 
Nachdem die [[Kreuzritter]] während des [[Vierter Kreuzzug|Vierten Kreuzzuges]] im Jahre 1204 [[Konstantinopel]] erobert hatten, wurden hunderte kleinste Teile des Kreuzes, das der Überlieferung zufolge die Kaiserinmutter [[Helena (Mutter Konstantins des Großen)|Helena]] um 325 von [[Jerusalem]] nach Rom und Konstantinopel gebracht hatte, über die Länder Europas verstreut. Zahlreiche Kirchen behaupteten infolgedessen den Besitz eines Partikels des Kreuzes. Der französische Architekt Charles Rohault de Fleury unterzog sich der Mühe, die Gesamtmenge aller Kreuzreliquien zu ermitteln, und kam auf etwa ein Drittel eines Kreuzes.<ref>Charles Rohault de Fleury: ''Mémoire sur les instruments de la Passion de N.-S. J.-C.'' Paris 1870, S. 79–89, Addition auf S. 89.</ref> Die früher immer wieder kolportierte Behauptung, Erasmus von Rotterdam habe gespottet, die angeblichen Splitter des Kreuzes Jesus reichten aus, um daraus ein ganzes Schiff zu bauen, ist falsch. Im ''[[Enchiridion militis Christiani]]'' erinnert er lediglich daran, dass der Besitz von Kreuzesreliquien ein Nichts ist – verglichen mit der Kreuzesnachfolge.<ref>Desiderius Erasmus: ''Enchiridion militis Christiani'', Fünfte Regel, Kap. 13; in der englischen Übersetzung ''The Manual of the Christian Knight'', erschienen im Verlag Methuen and Co., London 1905, S. 157.</ref>
 
Beim [[Turiner Grabtuch|Grabtuch von Turin]] steht die kirchliche Anerkennung als Reliquie nach wie vor aus. Das Interesse an Reliquien lässt sich auch dadurch begründen, dass naturwissenschaftlich oftmals unerklärliche Phänomene im Zusammenhang mit Reliquien bekannt wurden. Hauptsächlich die „Unversehrtheit“ (keine Verwesung) der Heiliggesprochenen oder bestimmter Organe bzw. Teile ihres Körpers sind hier zu nennen. In der Pfarrkirche St. Hildegard und St. Johannes der Täufer in [[Eibingen]] im [[Rheingau]] wird der Schrein der [[Hildegard von Bingen]] mit Herz und Zunge in unverwestem Zustand aufbewahrt. Auch die ''Ganzkörperreliquien'' einiger Heiliger stehen in der Tradition im Ruf der [[Unverweslichkeit]].
 
== Bedeutung ==
Unter Christen verlangt die Pietät grundsätzlich die Achtung auch vor dem Leib des Gestorbenen. Umso mehr wird bei Christen aus Frömmigkeit heraus den sterblichen Überresten jener Menschen [[Ehrfurcht]] erwiesen, die zu [[Gott]] gegangen sind.
 
Die Verehrung von Reliquien in der katholischen und den orthodoxen Kirchen gilt als Ausdruck der Heiligenverehrung, die die Bildnisse der Heiligen und deren Reliquien, gemäß der Überlieferung, in Ehren hält. Mit Heiligenreliquien werden vor allem die Körper, aber auch Teile davon, „derjenigen, die nun im Himmel leben, einst aber auf dieser Erde waren, und zwar aufgrund der heroischen Heiligkeit ihres Lebens als hervorragende Glieder des mystischen Leibes Christi und lebendige Tempel des Heiligen Geistes“ bezeichnet. Zu den Reliquien gehören aber auch Gegenstände der Heiligen wie Geräte, Kleidungsstücke und Handschriften, außerdem Gegenstände, die mit ihren Körpern oder Gräbern in Berührung gebracht worden sind sowie auch solche, die mit verehrten Bildern in Berührung gekommen sind.<ref>Verlautbarungen des Heiligen Stuhls Nr. 160, Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung (Hrsg.), ''Direktorium über die Volksfrömmigkeit und die Liturgie'', 2001</ref>
 
== {{Anker|Aufbewahrung}} {{Anker|Reliquiar}} {{Anker|Reliquienschrein}} Aufbewahrung (Reliquiar, Reliquienschrein) ==
Ursprünglich wurden die Reliquien von Personen, die im Rufe besonderer Heiligkeit und Gottesnähe standen, unter den [[Altar|Altären]] der ersten christlichen Kirchen beigesetzt. Daraus entwickelte sich im Laufe der Zeit die bis heute gültige katholische Tradition, bei der [[Weihe (Religion)|Weihe]] einer neu errichteten Kirche eine Reliquie des jeweiligen [[Namenstag|Namenspatrons]] in die [[Mensa (Altar)|Mensa]] des Hauptaltars einzumauern und in größeren Kirchen verschiedenen Heiligen eigene, mit Reliquien ausgestattete Altäre zu errichten.
Die großen [[Kathedrale]]n des Mittelalters verdanken ihre Entstehung und ihren Ruhm vor allem hochverehrten Reliquien – etwa der [[Heilige Drei Könige|Heiligen Drei Könige]] im [[Kölner Dom]] oder der Reliquien der heiligen [[Ursula von Köln]] und ihrer Gefährtinnen in [[St. Ursula (Köln)|St. Ursula]] in Köln. Ähnliche Bedeutung wie die Reliquien von Heiligen haben Gegenstände, die mit dem neutestamentlichen Heilsgeschehen, insbesondere mit [[Jesus Christus]] und der [[Maria (Mutter Jesu)|Mutter Gottes]], aber auch mit [[Johannes der Täufer|Johannes dem Täufer]], in direkte Verbindung gebracht werden. Dazu zählen vor allem die ''[[Kreuzreliquie]]n'', kleine Holzsplitter vom Kreuz Christi, von denen viele tausende<!--gibt es dafür einen Beleg?--> über die ganze Welt verteilt in katholischen und orthodoxen Kirchen verehrt werden.
 
Um die dadurch gewachsene Bedeutung der Reliquien für die Kirche, in der sie sich befanden, zu unterstreichen, begann man mit der Anfertigung spezieller, meist künstlerisch und materiell sehr kostbar ausgeführter [[Schrein]]e und Behältnisse zur Aufbewahrung der Reliquien. Diese Behälter werden zusammenfassend als Reliquiare bezeichnet.
 
Die folgenden Abbildungen stammen aus dem Werk [[Lucas Cranach der Ältere|Lucas Cranach des Älteren]] ''Dye zeigung des hochlobwirdigen hailigthums der stifftkirche aller hailigen zu wittenberg'' aus dem Jahre 1509, in dem er alle Reliquien der Stiftskirche in Wittenberg abgebildet hat. Die kleine Auswahl gibt einen Überblick über die Bandbreite der Aufbewahrungsmöglichkeiten von Reliquien.
 
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Datei: Lucas Cranach der Ältere Bildnis Paulus.jpg|Brustbild des [[Paulus von Tarsus|Heiligen Paulus]] mit Reliquien des Paulus und anderer Heiliger
Datei: Lucas Cranach der Ältere Kreuzreliquie mit Stücken vom Tischtuch des Letzten Abendmahls.jpg|Silberne Kreuzreliquie mit Stücken vom Tischtuch des [[Abendmahl Jesu|letzten Abendmahls]]
Datei: Lucas Cranach der Ältere Kleinod mit Stück vom Kreuz.jpg|Goldenes Kleinod mit Abbildung Marias und Partikeln des Heiligen Kreuzes
Datei: Lucas Cranach der Ältere Heiliger Sigismund.jpg|Brustbild des [[Sigismund (Burgund)|Heiligen Sigismunds]] mit einem ''merglich groß partickel von dem haupt''
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=== Formen des Reliquiars ===
==== Reliquienschrein ====
[[Datei:Reliquary Cologne 13th century.jpg|mini|Reliquienschrein in Form einer [[Basilika (Bautyp)|Basilika]], Köln, 1. Hälfte 13.&nbsp;Jahrhundert]]
{{Hauptartikel|Reliquienschrein}}
 
Die älteste Form des Reliquiars ist der [[Reliquienschrein]]. Dabei handelt es sich um einen meist reich geschmückten, dem [[Sarkophag]] des Heiligen entsprechenden Kasten in Originalgröße oder miniaturisierter Ausführung. Berühmte Reliquienschreine des [[Hochmittelalter|hohen Mittelalters]] sind der [[Dreikönigenschrein]] im [[Kölner Dom]], der [[Karlsschrein]] und der [[Marienschrein]] im [[Aachener Dom]], der [[Marburg]]er [[Elisabethschrein]] und der [[Eibingen|Eibinger]] [[Hildegardisschrein]] sowie der [[St.-Maurus-Schrein]], der sich seit 1888 auf der westböhmischen [[Burg und Schloss Bečov|Burg Bečov]] (''Petschau'') befindet.
 
==== StaurothekLipsanothek ====
Zur Beisetzung der Reliquien im Altar dienten rechteckige oder runde Kapseln oder Ampullen aus Metall, Stein, Elfenbein, Holz oder Glas, ''Lipsanotheken'' genannt. Sie konnten mit figürlichen Darstellungen oder Inschriften versehen sein.<ref name="LThK">{{LThK|Thomas Richter|Reliquiar|3|8|1088}}</ref>
 
=== Staurothek ===
[[Datei:Ds027 2019 fotos kober 57568 resized1000 02.jpg|mini|Vierpassförmiges Kapselreliquiar (Kusstafel), Enkolpion, Niedersachsen, wohl Hildesheim, 2. Hälfte 12. Jahrhundert ([[Domschatz Halberstadt]])]]
[[Datei:Ds027 2019 fotos kober 57568 resized1000 03.jpg|mini|Vierpassförmiges Kapselreliquiar (Kusstafel), Enkolpion, Blick ins Innere mit Reliquien. Niedersachsen, wohl Hildesheim, 2. Hälfte 12. Jahrhundert ([[Domschatz Halberstadt]])]]
 
{{Hauptartikel|Staurothek}}
Erste vom Typus des Schreins abweichende Formen des Reliquiars entwickelten sich vor allem in der [[Östliches Christentum|Ostkirche]], darunter die [[Staurothek]], eine flache goldene [[Lade (Möbelstück)|Lade]] zur Unterbringung großer Kreuzreliquien – ein bekanntes Exemplar aus Byzanz, die [[Limburger Staurothek]], befindet sich heute im [[Limburger Domschatz]] – und das [[Enkolpion]], eine meist kreuzförmige Reliquienkapsel, die vom [[Priester (Christentum)|Priester]] an einer Kette um den Hals getragen wurde.
 
==== {{Anker|Kreuzreliquiar}} Reliquienkreuz, Kreuzreliquiar ====
[[Datei:Meister des Reliquienkreuzes von Cosenza 002.jpg|mini|„Meister des Reliquienkreuzes von Cosenza“ mit Darstellung des [[Pantokrator|thronenden Christus]] und der vier [[Evangelist (Neues Testament)|Evangelisten]] aus dem 12. Jahrhundert ([[Kathedrale]] von [[Cosenza]])]]
 
Im Westen übernahm man im Verlauf des Mittelalters zunächst die ostkirchlichen Reliquiartypen, von denen als diplomatische Geschenke sowie besonders infolge der Plünderung [[Geschichte Istanbuls|Konstantinopels]] durch venezianische Truppen im Jahr 1204 zahlreiche Exemplare nach Mitteleuropa gelangten. Daneben traten Behältnis-Variationen wie Reliquienkreuze auf.
 
Bedeutende Beispiele sind hier das „[[Adelheid-Kreuz]]“, größtes erhaltenes deutsches Reliquienkreuz des [[Hochmittelalter]]s,<ref name="badische-zeitung.de 14-3-021 Johannes Adam">{{Internetquelle |autor=Badische Zeitung |url=https://www.badische-zeitung.de/das-augustinermuseum-zeigt-den-schatz-des-klosters-st-blasien |titel=Das Augustinermuseum zeigt den Schatz des Klosters St. Blasien – Kultur – Badische Zeitung |sprache=de |abruf=2021-03-15 |sprache=de}}</ref> das „[[Borghorster Stiftskreuz]]“, das „[[Kaiser-Heinrich-Kreuz (Fritzlar)]]“, das „[[Kreuz von Caravaca]]“, das als [[Gemmenkreuz]] gearbeitete „[[Reichskreuz]]“ in den römisch-deutschen [[Reichskleinodien]] oder das „[[Reliquienkreuz (London)]]“.
 
Weitere Reliquiare für Kreuzreliquien sind etwa der [[Talisman Karls des Großen]] oder das „[[Essen]]er [[Kreuznagel-Reliquiar]]“.
 
==== „Sprechende Reliquiare“ ====
[[Datei:Armreliquiar des Hl. Nikolaus, um 1225-1250. Domschatz Halberstadt.jpg|mini|Armreliquiar des hl. Nikolaus, um 1225/30. [[Domschatz Halberstadt]]. Eines von sechs noch im dortigen Domschatz erhaltenen Armreliquiaren.]]
 
Unter den [[Pilger]]n des beginnenden [[Spätmittelalter]]s wuchs der Wunsch danach, die Reliquien auf ihren [[Wallfahrt]]en unmittelbarer in Augenschein nehmen zu können. Vielfach stellte sich gegenüber den geschlossenen Reliquienkästen ein gewisses Misstrauen ein, zumal [[Reliquienfälschung]]en Überhand nahmen. Daher wurde zunächst der Typus des ''sprechenden Reliquiars'' entwickelt – dabei handelt es sich um Behältnisse, die in ihrer äußeren Form dem Körperteil nachempfunden sind, dessen Überreste sich darin befinden.<ref>Arnold Angenendt: ''Geschichte der Religiosität im Mittelalter''. Primus-Verlag, Darmstadt, 2., überarb. Aufl. 2000, ISBN 3-89678-172-3, S. 693.</ref>
 
{{Anker|Armreliquiar}}Reliquiare für Armknochen wurden als goldene Arme gestaltet. Bekannte Armreliquiare[[Armreliquiar]]e sind:
* [[Armreliquiar Karls des Großen]] (eines aus dem 12., das andere 15. Jh.)
* Armreliquiar des hl. [[Nikolaus von Myra]], um 1225/30, [[Domschatz Halberstadt]]
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* Armreliquiar des hl. [[Simon Zelotes]], [[Abtei Sayn]]
 
{{Anker|Handreliquiare}}Handreliquiare haben die Form einer Hand, etwa in der Kirche [[St-Quentin#Kirche Saint-Quentin|Saint-Quentin]].
 
Fußreliquiare gestaltete man als goldene Beine, Schädel- bzw. Kopfreliquiare teils als Reliquienbüsten. Wichtige Beispiele für letztere sind die [[Karlsbüste]] im [[Aachener Domschatzkammer|Aachener Domschatz]] und die Schädelreliquiare der Apostel [[Simon Petrus|Petrus]] und [[Paulus von Tarsus|Paulus]] in der [[Lateranbasilika]] in [[Rom]] sowie der [[Pauluskopf]] in Münster.
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* Becherreliquiar: [[Hedwigsbecher|Hedwigsglas]] der heiligen [[Hedwig von Andechs|Hedwig]], in dem Wasser zu Wein geworden war ([[Mindener Domschatz]]).
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Agneskloster - Reliquiar Ludmilla.jpg|Kopfreliquiar der hl. [[Ludmilla von Böhmen]] im Prager [[Agneskloster (Prag)|Agneskloster]]
ArmreliquiarKarlDerGroße.jpg|Armreliquiar Karls des Großen
Le reliquaire de la main de saint Quentin.JPG|Handreliquie des heiligen Quentin in [[St-Quentin]]
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==== OstensorienOstensorium ====
{{Hauptartikel|Ostensorium}}
[[Datei:Last supper tablecloth, Ecclesiastical Treasury.jpg|mini|Reliquiar als Ostensorium mit einem Stück vom Tischtuch des letzten Abendmahls (→ [[Tuchreliquien (Reichskleinodien)]]), Hans Krug d. J. (* Nürnberg um 1485; † Kremnitz 1528), [[Schatzkammer (Wien)|Weltliche Schatzkammer]], Wien]]
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Im [[Spätmittelalter]] ging man dazu über, aufwendig gefasste gläserne Behälter zu schaffen, in denen die Reliquien für den Betrachter sichtbar waren. Ein solches Schaugefäß wird je nach Ausführung als [[Monstranz#Ähnliche liturgische Gefäße|Reliquienmonstranz]] oder Ostensorium bezeichnet. <!--im Volksmund nennt man kreuzförmige Ostensorien wegen ihrer Verwendung durch den Priester bei [[Bittprozession|Flursegnungen]] auch [[Wetterkreuz]]e. -->Kleine Reliquiensplitter werden seit dem späten Mittelalter von kirchlichen Stellen in spezielle verglaste Kapseln von meist ovaler Form eingeschlossen und anschließend versiegelt oder verplombt, um die Echtheit der enthaltenen Reliquie zu dokumentieren und zu verhindern, dass kleine Reliquien verloren gehen können. Eine solche Kapsel wird als ''Theca'' bezeichnet; meist befindet sich in ihr neben der Reliquie ein Zettelchen mit erklärender Beschriftung, die sogenannte ''Cedula''.
 
==== Osculatorium ====
Eine Sonderform des Reliquiars ist das ''[[Osculatorium]]'', auch ''Paxtafel'', ''Kusstafel'' oder ''Pacificale'' genannt. Dabei handelt es sich um eine flache Metallplatte mit eingesetzter Reliquienkapsel, die rückseitig mit einem Griff oder Henkel versehen ist. In der [[Tridentinische Messe|tridentinischen Messe]] wurde das Osculatorium vor der [[Kommunion]] als [[Friedenszeichen]] durch die Bankreihen gereicht und von jedem Gottesdienstbesucher symbolisch geküsst. Ein bekanntes erhaltenes Exemplar ist die [[Eberbacher Kusstafel]].
 
==== Bursa ====
Als Bursa wird eine seit dem Frühmittelalter zur Aufnahme von Reliquien bestimmte Stofftasche (Reliquienhülle) bezeichnet, wie sie beispielsweise für die einzelnen, bis zum heutigen Tage bei der [[Aachener Heiligtumsfahrt]] gezeigten [[Tuchreliquien (Reichskleinodien)|Tuchreliquien]] verwendet wird. Auch die sogenannten [[Pilger]]taschen, die besonders im [[Mittelalter]] breite Verwendung fanden, werden als Bursen bezeichnet. Eine ganz besonders wertvolle Reliquientasche stellt die in der [[Schatzkammer (Wien)|Wiener Schatzkammer]] aufbewahrte [[Stephansbursa]] dar. Zu unterscheiden sind die textilen Bursen von schreinartigen Reliquiaren, sogenannten ''Bursenreliquiaren'', die oft als aufwändige Goldschmiedearbeiten solchen Pilgertaschen nachempfunden wurden.<ref>{{Internetquelle |autor=Adeline Schwabauer |url=https://mhistories.hypotheses.org/7230 |titel=Vom modischen Accessoire zum vermittelnden Reliquiar. Die Almosentasche im Stiftsmuseum Xanten. |werk=mhistories.hypotheses.org |hrsg=Materialized Histories. Materielle Kultur und digitale Forschung |datum=2022-06-23 |abruf=2024-01-17}}</ref> In den Inventaren werden diese oft als ''[[capsa]]'' bezeichnet.<ref>{{Internetquelle |autor=Joseph Braun S.J. |url=https://www.rdklabor.de/w/?oldid=94508 |titel=Bursareliquiar |werk=www.rdklabor.de |hrsg=Zentralinstitut für Kunstgeschichte |datum=2016-03-02 |abruf=2024-01-17}}</ref>
 
==== ReliquienpyramidePhylakterion ====
Kleine Kapseln mit Reliquien, die um den Hals oder vor der Brust getragen wurden, werden ''Phylakterion'' ({{grcS|φυλακτήριον|phylaktērion}} ‚Schutzmittel, Amulett‘) genannt. Ihnen wurde [[Apotropäische Handlung|apotropäische]] Wirkung, Schutz vor Unheil und Gefahr, zugeschrieben.<ref name="LThK" />
 
=== Reliquienpyramide ===
Reliquien von mehreren Heiligen werden mitunter in sogenannten '''Reliquienpyramiden''' aufbewahrt.<ref>Vgl. etwa Christine Demel u.&nbsp;a.: ''Leinach. Geschichte – Sagen – Gegenwart.'' Selbstverlag Gemeinde Leinach, Leinach 1999, S. 320–322 (''Die Reliquienpyramiden'' der Peterskapelle in [[Leinach]]).</ref>
 
== Liturgie und Brauchtum ==
Am [[Gedenktag]] eines Heiligen oder zum [[Patrozinium]] einer Kirche wird in der [[Liturgie]] des Heiligen oder des Festgeheimnisses besonders gedacht. Mancherorts werden dabei den Gläubigen die Reliquiare mit Reliquien zur Verehrung zugänglich gemacht. Der Priester kann dabei auch einen besonderen Segen mit dem Reliquiar erteilen.
 
Eine besonders herausragende Form der Reliquienverehrung in der katholischen Kirche ist die [[Reliquienprozession]]. Hierbei werden die Reliquien von Heiligen über einen meist traditionell festgelegten Prozessionsweg getragen. Eine wichtige bis heute gepflegte Feier dieser Art ist die Reliquienprozession der heiligen [[Hildegard von Bingen]], die jährlich am 17. September in [[Eibingen]] stattfindet.
 
Eine besonders herausragende Form der Reliquienverehrung in der katholischen Kirche ist die [[Reliquienprozession]]. Hierbei werden die Reliquien von Heiligen in ihren Schreinen oder Reliquiaren über einen meist traditionell festgelegten Prozessionsweg getragen. Eine wichtige bis heute gepflegte Feier dieser Art ist die Reliquienprozession der heiligen [[Hildegard von Bingen]], die jährlich am 17. September in [[Eibingen]] stattfindet. Bei der alle sieben Jahre stattfindenden [[Aachener Heiligtumsfahrt]] werden die Aachener Heiligtümer aus dem [[Marienschrein]] des [[Aachener Dom]] geholt und gezeigt.
== Wallfahrten ==
Vielerorts finden traditionell [[Wallfahrt]]en statt, anlässlich derer sonst nicht sichtbare oder zugängliche Reliquien den Gläubigen gezeigt werden. Reisen ins [[Heiliges Land|Heilige Land]], um dort Reliquien zu verehren, gibt es seit dem Frühmittelalter. Oft wurden auch Reliquien von Jerusalem nach Europa gebracht. Bekannte Beispiele sind etwa die alle sieben Jahre stattfindende [[Aachener Heiligtumsfahrt]], zu der die Aachener Heiligtümer aus dem [[Marienschrein]] des [[Aachener Dom]] geholt werden, die in unregelmäßigen Abständen stattfindenden Wallfahrten zum [[Heiliger Rock|Heiligen Rock]] (der [[Tunika]] Christi) nach [[Trier]] und die Wallfahrt zu den „[[Heilige Drei Hostien|heiligen drei Hostien]]“ nach [[Andechs]].
 
== Reliquiensammlungen und Heiltumskammern ==
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Die Dome von [[Aachener Domschatzkammer|Aachen]], [[Diözesanmuseum Bamberg|Bamberg]], [[Welfenschatz|Braunschweig]], [[Essener Domschatz|Essen]], [[Diözesanmuseum Freising|Freising]], [[Dom zu Halberstadt#Domschatz|Halberstadt]], [[Domschatzkammer Köln|Köln]], [[Mindener Domschatz|Minden]], [[St.-Paulus-Dom (Münster)#Domschatz|Münster]], [[Domschatz- und Diözesanmuseum (Osnabrück)|Osnabrück]], und [[Trierer Domschatz|Trier]] besaßen und besitzen häufig heute noch ihre in [[Schatzkammer|Schatz-]] oder [[Heiltumskammer]]n gezeigten Bestände. Bedeutende kirchliche Schatzkammern befinden sich auch in [[Heiltumskammer (Augsburg)|Augsburg]], [[Schatzkammer St. Ludgerus|Essen-Werden]], [[Heilig-Kreuz-Münster (Schwäbisch Gmünd)#Münsterschatz|Schwäbisch Gmünd]], [[Stiftsmuseum Xanten|Xanten]].
Im Mittelalter (in katholischen Zentren auch später noch) wurden den wallfahrenden Gläubigen bei [[Prozession]]en und sogenannten ''[[Heiltumsweisung]]en'' die Reliquienschätze von einer Galerie, einer Empore oder einem [[Heiltumstuhl]] ([[Wiener Heiltumstuhl|Wien]]) aus präsentiert oder wie in Trier der [[Heiliger Rock|Heilige Rock]] anlässlich der Wallfahrten dorthin periodisch ausgestellt.
 
== Reliquienhandel ==
Obwohl bereits eine vom 26. Februar 386 datierte Regelung im [[Codex Theodosianus]] den Verkauf von Märtyrergebeinen untersagte, wurden Reliquien in den folgenden Jahrhunderten gehandelt. Auch ein im Jahr 1215 vom [[Viertes Laterankonzil|vierten Laterankonzil]] ins [[Kanonisches Recht|kanonische Recht]] eingebrachter Passus, altehrwürdige Stücke weder aus ihren Behältnissen zu nehmen noch sie zum Verkauf zu stellen, konnte den Reliquienhandel nicht unterbinden.<ref>Herbers/Bauer: ''Der Jakobuskult in Süddeutschland'', S. 307, ISBN 3-8233-4007-7[http://books.google.com/books?id=hXXKuX_6jS0C&pg=PA307&dq=Religion+Papst+%2226.+Februar%22&lr=lang_de&as_brr=3&hl=de online], abgefragt am 26. Februar 2009.</ref>
 
Das [[Kanonisches Recht|kanonische Recht]] verbietet Katholiken den Handel mit Reliquien. Katholiken dürfen solche Objekte zwar erwerben, sie besitzen und verehren, aber nicht weiterverkaufen.<ref>Vgl. [[Codex Iuris Canonici]] can. 1190.</ref> Zulässig sind lediglich das Verschenken von Reliquien an andere Gläubige und die Übergabe an die Kirche. Am 8. Dezember 2017 erließ die [[Dikasterium für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse|Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse]] eine detaillierte Instruktion ''Die Reliquien in der Kirche: Echtheit und Aufbewahrung''.<ref>[http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/csaints/documents/rc_con_csaints_doc_20171208_istruzione-reliquie_ge.html ''Die Reliquien in der Kirche: Echtheit und Aufbewahrung''] (vatican.va)</ref>
 
== Siehe auch ==
[[Datei:Reliquienbehälter Essener Domschatz.JPG|mini|Reliquienbehälter aus aufgelassenen Altären des Ostchores im [[Essener Münster]], datiert auf 1054]]
* [[Reliquiensammlung von Vodnjan]]
 
== Literatur ==
* {{Literatur
* [[Arnold Angenendt]]: ''Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart.'' C. H. Beck, München 1994/1997, ISBN 3-406-42867-3.
* |Hrsg=[[Klaus Gereon Beuckers]], Dorothee Kemper
(Hg.): '' |Titel=Typen mittelalterlicher Reliquiare zwischen Innovation und Tradition''
(= '' |Reihe=Objekte und Eliten in Hildesheim 1130 bis 1250, Bd. 2''), Regensburg 2017.
|BandReihe=2
* [[Joseph Braun (Theologe, 1857)|Joseph Braun]]: ''Die Reliquiare des christlichen Kultes und ihre Entwicklung.'' Herder, Freiburg i. Br. 1940.
|Ort=Regensburg
* Philippe Cordez: ''Die Reliquien, ein Forschungsfeld. Traditionslinien und neue Erkundungen.'' In: ''Kunstchronik.'' 2007/7, S. 271–282.
|Datum=2017}}
* Jean-Luc Deuffic (Hrsg.): ''Reliques et sainteté dans l’espace médiéval.'' [http://perso.orange.fr/pecia/Revue%208-11%20bis.htm]
* {{Literatur
* Martina Hartl: ''Leichen, Asche und Gebeine. Der frühchristliche Umgang mit dem toten Körper und die Anfänge des Reliquienkults'' (= ''Handbuch zur Geschichte des Todes im frühen Christentum und seiner Umwelt.'' Band 3). Schnell & Steiner, Regensburg 2018, ISBN 978-3-7954-3258-4.
|Autor=[[Joseph Braun (Theologe, 1857)|Joseph Braun]]
* [[Horst Herrmann (Theologe)|Horst Herrmann]]: ''Lexikon der kuriosesten Reliquien. Vom Atem Jesu bis zum Zahn Mohameds.'' Rütten & Loening, Berlin 2003, ISBN 3-352-00644-X.
|Titel=Die Reliquiare des christlichen Kultes und ihre Entwicklung
* [[Michael Hesemann]]: '' Die stummen Zeugen von Golgatha. Die faszinierende Geschichte der Passionsreliquien Christi.'' Hugendubel, München 2000, ISBN 3-7205-2139-7.
|Verlag=Herder
* Walter Kasper (Hrsg.): ''Lexikon für Theologie und Kirche.'' 3. Auflage, Herder, Freiburg i. Br. 1993.
|Ort=Freiburg i. Br.
* [[Karl-Heinz Kohl]]: ''Die Macht der Dinge. Geschichte und Theorie sakraler Objekte.'' C. H. Beck, München 2003, ISBN 3-406-50967-3.
|Datum=1940}}
* [[Anton Legner]] (Hrsg.): ''Reliquien. Verehrung und Verklärung, Skizzen und Noten zur Thematik und Katalog zur Ausstellung der Kölner Sammlung Louis Peters im Schnütgen-Museum.'' Schnütgen-Museum, Stadt Köln, Köln 1989, ohne ISBN.
* {{LThK|Thomas Richter|Reliquiar|3|8|1088–1091}}
* [[Tino Licht]], Kirsten Wallenwein (Hrsg.): ''Reliquienauthentiken. Kulturdenkmäler des Frühmittelalters''. Schnell & Steiner, Regensburg 2021.
* Markus Mayr: ''Geld, Macht und Reliquien. Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Reliquienkultes im Mittelalter.'' Studienverlag, Innsbruck 2000.
* [[Ernst Alfred Stückelberg]]: ''Geschichte der Reliquien in der Schweiz.'' 2 Bde. Basel 1902/1908.
* [[Helmut Moll]], Art.: ''Reliquienverehrung-Katholisch'', in: Lexikon für Kirchen- und Religionsrecht, Band 3, Paderborn 2020, 915.
 
== Weblinks ==
{{commonscat|Reliquaries}}
{{Commonscat|Relics|Reliquien}}
{{Wiktionary}}
* [http://www.stjosef.at/morallexikon/reliquie.htm www.stjosef.at] – Lexikon der christlichen Moral
* [http://www.padre.at/reliquien_buchenhuell.pdf www.padre.at] (PDF; 177&nbsp;kB) – Kurzgeschichte der Reliquienverehrung anhand konkreter Beispiele
* {{Webarchiv | url=http://www.maitreyaproject.org/de/relic/index.html | wayback=20120115035726 | text=Herzschreinreliquien – Buddhismus}}
* [http://digital.bib-bvb.de/R/N2E14IVX8KXXVSNCNNUGFE7MT5PK2MPQLYLDE88I7E5VA7QI24-02621?func=collections&collection_id=1344&local_base=SBG&pds_handle=GUEST Digitalisierte Heiltumsbücher] aus den Beständen der [[Staatsbibliothek Bamberg]]
 
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<references />
 
[[Kategorie:Reliquienverehrung (Christentum)]]
{{Normdaten|TYP=s|GND=4177751-7}}
 
[[Kategorie:Reliquie| ]]
[[Kategorie:Sakramentale]]
[[Kategorie:Kultgefäß]]