„Rechtspopulismus“ – Versionsunterschied
[gesichtete Version] | [gesichtete Version] |
Inhalt gelöscht Inhalt hinzugefügt
Korrekter Konjunktiv statt Irrealis |
K ortho (RT) |
||
Zeile 56:
Im Zentrum rechtspopulistischer Programmatiken steht die Identitätsstiftung durch Abgrenzung gegenüber Politik und sozialen Randgruppen, die jeweils für die Probleme verantwortlich gemacht oder als deren Ursache gesehen werden. Dadurch kann der Rechtspopulismus Wähler aus allen Gesellschaftsschichten – Bauern, Arbeitslose, Manager, Ärzte oder Selbstständige – ansprechen, an ihre Ängste vor Modernisierungsprozessen appellieren und so über den Wirkungskreis traditioneller konservativer oder extrem rechter Parteien hinaus wirken.<ref name="geden21">Geden 2006, S. 21.</ref> Dabei spielt es nur eine geringe Rolle, aus welcher Schicht die Wähler stammen und ob sie tatsächlich durch Modernisierung an Status verlieren oder dies nur befürchten.<ref name="sturm832">Roland Sturm: ''Rechtspopulismus''. In: Dieter Nohlen, Hans-Olaf Schulze (Hrsg.): ''Lexikon der Politikwissenschaft. Band 2, N–Z.'' C.H. Beck, München 2005. ISBN 3-406-54117-8, S. 832.</ref> Dies zeigt sich deutlich am Beispiel der österreichischen [[Freiheitliche Partei Österreichs|FPÖ]]: Im Zuge ihrer „Modernisierung“ unter [[Jörg Haider]] konnte sie bis zu ihrer Regierungsbeteiligung 2000 tendentiell immer mehr Wähler hinzugewinnen, die aus sehr verschiedenen Schichten stammten. Von einer ursprünglich bürgerlichen Kleinpartei wandelte sie sich zu einer Partei, die in allen Schichten einen zweistelligen Prozentsatz von Wählern ansprechen konnte. Überproportional erfolgreich war sie dabei bei Menschen, die in traditionellen identitätsstiftenden Institutionen nur schwach verankert waren: „[[U-Boot-Christ|Taufscheinkatholiken]]“, jungen Menschen, Arbeitern ohne Gewerkschaftsmitgliedschaft oder Personen ohne höhere Bildung. [[Anton Pelinka]] schreibt dieser Zielgruppe eine hohe Angst vor gesellschaftlichem Abstieg und eine Sehnsucht nach sozialer Stabilität zu.<ref name="pelinka2002-9">[[Anton Pelinka]]: ''Die FPÖ im internationalen Vergleich. Zwischen Rechtspopulismus, Deutschnationalismus und Österreich-Patriotismus.'' In: ''conflict & communication online'' 1 (1), www.cco.regener-online.de 2002. ISSN 1618-0747, S. 9 f.</ref> Männer sind in der Wählerschaft rechtspopulistischer Parteien meist überrepräsentiert, weshalb einige Politologen mutmaßen, dass es sich beim Rechtspopulismus auch um eine Reaktion auf die [[Frauenemanzipation]] handeln könnte.<ref name="decker2006-219">Klaus Bachmann: ''Populistische Parteien und Bewegungen in Mittelosteuropa.'' In: Frank Decker: ''Populismus: Gefahr für die Demokratie oder nützliches Korrektiv?'' Springer, 2006. ISBN 3531145371, S. 219.</ref>
Da diese Identitätsstiftung jedoch nie die existierenden sozialen, wirtschaftlichen und politischen Interessensgegensätze innerhalb der Wählerschicht behebt, hat diese Strategie in der Regel nur so lange Erfolg, wie Rechtspopulisten ihre Versprechen nicht einlösen müssen und ihre Forderungen nicht umsetzen können. Gelangen rechtspopulistische Parteien hingegen in die Regierungsverantwortung, haben sie nur zwei Möglichkeiten: Entweder, sie behalten ihren radikalen Kurs bei und müssen damit notwendigerweise Politik gegen eine ihrer ursprünglichen Zielgruppen betreiben, oder aber sie rücken von ihren Maximalforderungen ab und versuchen sich an einer vermittelnden Politik. Beides birgt die Gefahr der Enttäuschung bei den Wählern, letzteres wird obendrein durch das Fehlen einer umfassenden Programmatik bei rein
=== Abgrenzung ===
Zeile 67:
Zwischen den demokratiefeindlichen, radikal nationalistischen und rassistischen, meist als [[Rechtsextremismus|rechtsextrem]] bezeichneten Parteien und den Vertretern des Rechtpopulismus Europas besteht ein gewisses Naheverhältnis, ohne dass beide Strömungen miteinander gleich zu setzen wären. Dabei gibt es programmatische Ähnlichkeiten und oft auch Überschneidungen, weil viele rechtsextreme Parteien erfolgreich rechtspopulistische Muster adaptiert haben, ohne sich jedoch völlig von ihren Wurzeln loszusagen.
Weitreichende Einigkeit zwischen beiden Strömungen besteht etwa in der Frage der Immigration und Integration bestimmter ethnischer Gruppen in die Nationalstaaten, die von den Rechtspopulisten zumindest kritisch, von den Rechtsextremisten grundsätzlich ablehnend betrachtet wird. Während der Nationalsozialismus noch einigen Völkern beziehungsweise „Rassen“ das Existenzrecht gänzlich absprach, entwickelten die moderneren Bewegungen aus dem rechtsradikal-extremistischen Spektrum das Konzept des [[Ethnopluralismus]], das zwar die Vielfalt von Kulturen und Ethnien grundsätzlich befürwortet, diesen jedoch einen festen Platz in ihren „angestammten“ Nationalstaaten zuweist. Auf dieses Konzept greifen auch Rechtspopulisten zurück, wenn sie etwa postulieren, dass der Islam und die „christlich-jüdische abendländische Kultur“ miteinander unvereinbar seien. Auch im Bezug auf die etablierten Parteien herrscht bei beiden politischen Richtungen Ablehnung vor. Während aber der Rechtspopulismus die jeweiligen Vertreter des politischen Systems – Regierung, Medien oder Parlament – kritisiert, geht er gleichzeitig davon aus, dass eine funktionierende Demokratie und eine integere Amtsführung zumindest möglich sind und betont seine Verfassungstreue. Der Rechtsextremismus hingegen sieht das System selbst als verfehlt an und fordert – in unterschiedlicher Ausprägung – einen von einem autoritären Führer gelenkten Staat. Zudem existieren mit dem [[Faschismus]] und dem [[Nationalsozialismus]] verhältnismäßig kohärente Ideologien, auf die die rechtsextremen Parteien sehr stark zurückgreifen. Der Rechtspopulismus greift dagegen nur einzelne Elemente rechtsextremer Ideologien – etwa Antipluralismus,
Gerade dieser Aspekt ruft oft starke Kritik der extremen Rechten an rechtspopulistischen Parteien hervor, denen sie vorwerfen, sich an das System anzubiedern oder „rechte Werte“ zu verraten. Gleichzeitig legen die Rechtspopulisten dadurch aber den Grundstein für ihre „Politikfähigkeit“, weil sie sich vom verpönten und nicht mehr mehrheitsfähigen Nationalsozialismus deutlich absetzen und einer pauschalen Ablehnung als demokratie- und staatsfeindlich entgehen. Durch das Naheverhältnis zum Rechtsextremismus stellt sich für viele rechtspopulistischen Parteien das Problem der Unterwanderung durch Rechtsextreme, weil sie diesen gewisse Anknüpfungspunkte bieten. In der Folge verlieren sie ihren Nimbus der Verfassungstreue und geraten in die Gefahr, sich ins Abseits zu manövrieren.<ref name="decker2003-6">Frank Decker: ''Von Schill zu Möllemann. Keine Chance für Rechtspopulisten in der Bundesrepublik?'' In: ''Außerschulische Bildung'' 34, 2003.</ref>
Zeile 86:
== Bedeutung und Wirkung des Rechtspopulismus ==
In den Augen vieler Politikwissenschaftler stellt der Rechtspopulismus eine Erneuerungsbewegung der europäischen Rechten dar, mit der sie auf die Modernisierungen der europäischen Demokratien reagieren, Verlierer dieser Entwicklungen ansprechen und die Defizite der jeweiligen politischen Systeme ausnutzen. Einerseits seien sie Ausdruck einer breiten Verunsicherung durch die Unwägbarkeiten von
Rechtspopulisten können die politische Landschaft stark prägen, ohne selbst an der Macht zu sein. Da sie die als „Catch-all“-Partei die Wählerklientele fast aller anderen Parteien ansprechen, sehen sich diese einheitlich unter Druck gesetzt, auf die Rechtspopulisten zu reagieren. Während der Rechtspopulismus von der Politikwissenschaft zunächst oft noch als Bereicherung der politischen Landschaft und nützliches Korrektiv wahrgenommen wurde, überwiegt seit einiger Zeit die Skepsis bei der Beurteilung: Würde der Rechtspopulismus lediglich ein korrektiv darstellen, so würden die entsprechenden Parteien entweder nach kurzer Zeit wieder aus dem Parteienspektrum verschwinden oder aber sie würden sich dem Mainstream angleichen und ihre extremen Positionen aufgeben; beides ist bisher kaum geschehen. Hingegen lässt sich beobachten, dass die etablierten Parteien sich in Auftreten und Programmatik den Rechtspopulisten annähern, indem sie etwa ihren Wahlkampf stark auf eine Führungspersönlichkeit zuschneiden, sich mehr an der Meinung der Partei- oder Wählerbasis orientieren und die Parteien als solche stärker in den Hintergrund treten. Politik wird vermehrt in den Medien „inszeniert“ und die Vermittlung politischer Erfolge gewinnt an Bedeutung. Das heißt aber nicht, dass medial versierte Politiker aus den etablierten Parteien auch das Demokratieverständnis des Rechtspopulismus übernehmen, sie adaptieren lediglich erfolgreiche Elemente seiner Rhetorik.<ref name="decker2006-2" />
Zeile 95:
Seit dem Aufkommen des Rechtspopulismus haben sich rechtspopulistische Parteien, Verbände oder Bürgerinitiativen europaweit auf kommunaler, subnationaler oder nationaler Ebene etablieren können. Mittlerweile waren rein rechtspopulistische Parteien in den meisten nationalen Parlamenten in Europa zumindest zeitweise vertreten, unter den wenigen Ausnahmen sind etwa Großbritannien, Deutschland, Spanien, Estland oder Tschechien. Die Gründe für den Erfolg oder Misserfolg rechtspopulistischer Bewegungen in den einzelnen Staaten sind höchst unterschiedlich.
So wird für Deutschland etwa [[Die Linke]] als ein Hindernis für rechtspopulistische Parteien betrachtet, weil sie deren Wählerpotentiale als [[Linkspopulismus|linkspopulistische]] Partei erfolgreich ausschöpft. Hinzu kommt die Stigmatisierung rechtsextremer und -radikaler Positionen in der deutschen Nachkriegsgesellschaft, wodurch Rechtspopulisten einen schwierigen Stand haben. In Großbritannien verhindert wiederum das Wahlsystem die Entstehung und Etablierung neuer Parteien. Große Erfolge hatten Rechtspopulisten hingegen in sogenannten [[Konkordanzdemokratie]]n wie der Schweiz ([[Schweizerische Volkspartei]]), Österreich ([[Freiheitliche Partei Österreichs]]) oder den Niederlanden ([[Lijst Pim Fortuyn]] und [[Partij voor de Vrijheid]]), die bis in die 1990er Jahre durch relativ starre Partei- und Proporzsysteme geprägt waren, gegen die die Rechtspopulisten antraten.
Während die Entstehungsbedingungen und die Programmatik der westeuropäischen Parteien relativ gut erforscht ist, waren die rechtspopulistischen Parteien Osteuropas bisher nur vereinzelt Gegenstand der Populismusforschung. Sie erschienen bereits kurz nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Regime und zeichnen sich im Vergleich zu ihren westeuropäischen Pendants eher durch materialistische Werte und einen anderen Fokus aus. Sie sind stärker dem Nationalismus verhaftet, der [[Antiislamismus]] spielt mangels größerer islamischer Minderheiten meist keine Rolle. Dafür stellen ausländische Investoren aus der EU, Russland, ethnische Minderheiten oder Juden eine Projektionsfläche für Feindbilder dar. Zu den erfolgreichsten Parteien gehört die polnische [[Recht und Gerechtigkeit]] (Prawo i Sprawiedliwość; PiS), die zwischen 2006 und 2007 sowohl den Präsidenten als auch den Ministerpräsidenten Polens stellte und sich als Kämpfer für die Unabhängigkeit Polens gegenüber der EU, Deutschland und Russland stilisierte. In Ungarn kam es bei den Parlamentswahlen 2009 zu einem Rechtsruck, bei dem neben der neofaschistisch-populistischen [[Jobbik]] vor allem der spätere Wahlsieger [[Fidesz – Ungarischer Bürgerbund|Fidesz]] mit stark rechtspopulistischer Rhetorik profitierten. Rechtspopulistische Parteien sind daneben auch in den Parlamenten Lettlands ([[Tēvzemei un Brīvībai/LNNK]]), Litauens ([[Tvarka ir teisingumas]]), Sloweniens ([[Slowenische Nationale Partei]]) und der Slowakei ([[Volkspartei – Bewegung für eine demokratische Slowakei]]) vertreten.<ref name="decker-2010">Bachmann 2006, S. 216–231.</ref><ref name="spiegel">Markus Deggerich u. a.: ''Kontinent der Angst''. In: ''Der Spiegel'' 39/27. September 2010. S. 116–120.</ref> Länderübergreifende rechtspopulistische Bewegungen gibt es derzeit kaum; die Fraktion [[Identität, Tradition, Souveränität]] im [[Europäisches Parlament|Europäischen Parlament]], der mehrere rechtspopulistische Parteien angehörten, bestand nur wenige Monate, bevor sie an inneren Streitigkeiten zerbrach. Ihre Angehörigen schlossen sich darauf hin verschiedenen Fraktionen an. Die folgenden Beispiele geben einen Überblick über die verschiedenen Ausformungen rechtspopulistischer Parteien in Europa:
Zeile 101:
=== Österreich: Freiheitliche Partei Österreichs ===
[[Datei:Heinz-Christian Strache Sankt Poelten 20080918a.jpg|miniatur|Der FPÖ-Vorsitzende [[Heinz-Christian Strache]] auf einer Wahlkampfkundgebung 2008]]
In Österreich kam es in den 1980er Jahren zu einer bedeutenden Verschiebung der Parteienlandschaft. Seit der Nachkriegszeit dominierten die [[Österreichische Volkspartei]] (ÖVP) und die [[Sozialdemokratische Partei Österreichs]] (SPÖ) die Politik, die durch ein starres [[Proporz]]system geprägt war. Mit der [[Freiheitliche Partei Österreichs|Freiheitlichen Partei Österreichs]] (FPÖ) gab es im [[Nationalrat (Österreich)|Nationalrat]] nur eine weitere, kleine Partei, die [[Deutschnationalismus|deutschnational]] geprägt war. Dies änderte sich, als [[Jörg Haider]] die Führung der Partei übernahm und sie als Anti-Establishment-Partei positionierte. Haider prangerte Korruption und „[[Nepotismus|Freunderlwirtschaft]]“ der großen Parteien an und schlug ausländerfeindliche Töne an. Damit band er einerseits das ursprünglich rechtsradikale Stammklientel der FPÖ weiter an sich, traf aber auch in den Teilen der Bevölkerung auf Zustimmung, die sich nicht mehr mit ÖVP und SPÖ beziehungsweise den traditionellen
[[Datei:Fpoe nationalratswahl.png|miniatur|left|Wahlergebnisse der FPÖ von 1949 bis 2008 auf Bundesebene]]
Mit seiner Mischung aus Volksnähe, Parteienkritik, Rassismus und Österreichpatriotismus steigerte Haider die Wahlergebnisse der FPÖ stetig, bis die Partei 1999 zweitstärkste Kraft im Parlament wurde. Sie ging als Juniorpartner eine Koalition mit der ÖVP ein, fand sich aber jäh in einem Dilemma: Haider wollte weiter gegen die Regierung opponieren, konnte dies aber nicht tun, ohne seine eigene Partei zu schädigen. Zudem rächte sich die einseitige Programmatik und Personalpolitik der Partei, deren Minister deutliche Schwierigkeiten in ihren Amtsgeschäften hatten. Dass die FPÖ in ihrer Regierungsrolle schließlich gar die Konkordanz für sich zu nutzen suchte und sich selbst in Skandale verstrickte, führte zu einem Vertrauensverlust beim Wähler. Schließlich kam es zu einer Spaltung der Partei, bei der Haider mit den FPÖ-Ministern und den meisten [[Klub (Politik)|Klubmitgliedern]] im Parlament eine neue Partei, das [[Bündnis Zukunft Österreich]] (BZÖ) gründete und die Regierung weiterführte. Den Vorsitz der FPÖ übernahm [[Heinz-Christian Strache]], der die Partei nach einem österreichweiten Absturz nach der Krise bei der [[Nationalratswahl in Österreich 2008|Nationalratswahl 2008]] ein Ergebnis von 17,5 % erreichte. Haiders BZÖ gewann rund 10 %, womit das [[Drittes Lager|Dritte Lager]] zu ursprünglicher Stärke zurückgefand. Nach dem Unfalltod Haiders 2008 zeichnete sich der Niedergang des BZÖ und der weitere Aufstieg der FPÖ ab, die in jüngeren Umfragen Werte von über 20 % erreichte.<ref name="decker2006-99" />
|