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|4=Migration
|12=f|2=September 2019|1=[[Benutzer:A11w1ss3nd|A11w1ss3nd]] ([[Benutzer Diskussion:A11w1ss3nd|Diskussion]]) 13:53, 22. Sep. 2019 (CEST)}}
{{Lückenhaft|Binnenmigration als häufigste und damit wichtigste Migrationsform}}
[[Datei:Jährliche Nettomigrationsrate 2015–2020.svg|alternativtext400x400px|mini|alt=Weltkarte. Länder sind in Grün- bzw. Rottönen eingefärbt. Grün: Mehr Menschen migrieren in das Land, als es verlassen. Rot: Mindestens genauso viele verlassen das Land, wie in das Land migrieren. Hervorzuheben sind das dunkelrote Syrien und Venezuela, aus denen viele Menschen emigrieren. |mini|Jährliche Nettomigrationsrate 2015–2020. Prognose der Vereinten Nationen, 2019.|400x400px]]
Als '''Migration''' wird eine auf Dauer angelegte räumliche Veränderung des Lebensmittelpunktes einer oder mehrerer Personen verstanden. Migration, die über Landesgrenzen hinweg erfolgt, wird als ''internationale Migration'' bezeichnet. Migration innerhalb einer Region oder eines Staates wird ''[[Binnenwanderung|Binnenmigration]]'' genannt. Als Gegenstand von Forschung und praktischer Begleitung ist Migration in einer Reihe wissenschaftlicher DisziplinenFachrichtungen vertreten, darunter den [[Sozialwissenschaften|Gesellschaftswissenschaften]], der [[Rechtswissenschaft|Rechts-]] und [[Wirtschaftswissenschaft]]. Daraus resultiertergibt sich eine Vielzahl speziellervon PerspektivenSichtweisen und begrifflicherbegrifflichen DifferenzierungenUnterscheidungen, sodass der Fachliteratur eine einheitliche Definition nicht zu entnehmen ist.
 
== Begriffsbestimmung ==
Eine einheitliche Begriffsbestimmung besteht nicht. Meist wird unter Migration eine räumliche Verlegung des Lebensmittelpunktes verstanden.<ref>so die Begriffsbestimmung des Bundesinnenministeriums https://www.bmi.bund.de/DE/service/lexikon/functions/bmi-lexikon.html?cms_lv2=9391116</ref> Diese geschieht für eine gewisse Dauer. Das grenzt Migration von einer [[Reise]] ab. Über die notwendige Aufenthaltsdauer besteht keine Einigkeit. Ist sie auf Dauer oder auf einen sehr langen Zeitraum angelegt, spricht man häufig auch von [[Auswanderung]]. Meist wird eine, bei Migrationsbeginn bereits bestehende Rückkehrabsicht, wie bei der [[Gesellenwanderung]] oder der beruflichen [[Entsendung]] für einen von vornherein begrenzten Zeitraum als unschädlich angesehen.<ref>Jochen Oltmer: Migration. Geschichte und Zukunft der Gegenwart. 2. Auflage, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2020, S. 30 f.</ref> Herkömmlich wird nach den Beweggründen unterschieden. Migration ist demnach freiwillig, während die [[Flucht]] erzwungen ist<ref>https://www.bmi.bund.de/DE/service/lexikon/functions/bmi-lexikon.html?cms_lv2=9391116</ref>. Die Unterscheidung ist schwierig, da unter Zwang nicht nur unmittelbarer körperlicher Zwang wie bei einer [[Vertreibung]] verstanden wird, sondern auch [[politische Verfolgung]] oder [[Krieg]]. Dass soll Flucht von Migration aus wirtschaftlichen oder persönlichen Gründen abgrenzen. Andere sehen Migration als Obergriff für die freiwillige Auswanderung und die erzwungene Flucht.<ref>https://www.br.de/extra/respekt/migration-zuwanderung-flucht-102.html.</ref> Wird die Migration von Staaten veranlasst, spricht man auch von [[Umsiedler]]n.
 
Aus der Sicht des Ortes, wohin der Migrant seinen Lebensmittelpunkt hinverlegt, stellt die Migration eine [[Einwanderung]] (Immigration) dar. Begrifflich sind die [[Integration von Zuwanderern|Integration]], [[Assimilation]] oder [[Diaspora]] der Migration nachgelagtere Erscheinungen. Sie werden aber häufig als Teil der Migrationsforschung gesehen.<ref>Archiv für Sozialgeschichte 58, 2018 305
Maren Möhring, Jenseits des Integrationsparadigmas? Aktuelle Konzepte und Ansätze in der Migrationsforschung</ref>
 
Keine Migration in diesem Sinne ist mangels Verlegung des Lebensmittelpunktes die [[Innere Emigration]].
 
== Formen ==
Migration ist ein die [[Menschheitsgeschichte]] durchziehendes, erdumspannendes Geschehen. Verbreitete und historisch wiederkehrende Motive für den dauerhaften Ortswechsel sind die Aussicht auf bessere Siedlungs- und Erwerbsmöglichkeiten, auf Zufluchtsorte bei [[Naturkatastrophe]]n oder das Ausweichen vor Verschlechterungen des Klimas, sind die Suche nach Sicherheit für Leib und Leben nach [[Flucht]] oder [[Vertreibung]] als Folge von [[Krieg]]en sowie der Schutz vor [[Diskriminierung]] und persönlicher Verfolgung aus rassischen, religiösen bzw. weltanschaulichen Gründen oder auch aufgrund erlebter anderer Einschränkungen der persönlichen Freiheit im Herkunftsmilieu. Weitere Beweggründe ergeben sich beispielsweise aus [[Altersmigration]], [[Bildungsmigration]], [[#Unterscheidung spezifischer Migrationsweisen und -beteiligungen|Heiratsmigration]] und [[Remigration]]. Unterschieden wird zwischen der Migration zwischen zwei Staaten und der [[Binnenmigration]] innerhalb eines Staates. Weiterhin wird zwischen der Primärmigration, also der erstmaligen Auswanderung und der [[Sekundärmigration]] also einer folgenden Auswanderung unterschieden. In der internationalen Flüchtlingsforschung sowie dem internationalen Flüchtlingsrecht wird mitunter der Terminus ''Migration'' vom Terminus ''Flucht'' abgegrenzt. Nach dieser Definition ist ein Flüchtling, wer gezwungen ist, seinen Wohnort zu verlassen, Migrant ist, wer dies freiwillig tut.<ref name="BPB">[httphttps://www.bpb.de/gesellschaft/migration/dossier-migration/ Dossier Migration.] [[Bundeszentrale für politische Bildung]]</ref> Der Migrationsforscher [[Jochen Oltmer]] unterscheidet u.&nbsp;a. [[Arbeitsmigration|Arbeitswanderung]], [[Bildungsmigration|Bildungs- und Ausbildungswanderung]], [[Dienstbote|Dienstmädchenwanderung]], Entsendung, [[Wanderjahre|Gesellenwanderung]], [[Zwangsmigration|Gewaltmigration]], Heirats- und Liebeswanderung, Lebensstil-Migration, [[Nomadismus]], Siedlungswanderung und [[Sklavenhandel]].<ref>Jochen Oltmer: ''Migration. Geschichte und Zukunft der Gegenwart.'' 2. Auflage, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2020, S. 30 f.</ref>
 
Bedingt durch die Weltkriege des 20.&nbsp;Jahrhunderts, regionale Instabilität, [[Globalisierung]], [[Digitale Revolution]] und [[Globale Erwärmung|Erderwärmung]] nimmt das Migrationsgeschehen an Komplexität zu. Es stellt Gesellschaften und politische Akteure weltweit in Fragen der Zuzugssteuerung und der [[Integration von Zugewanderten|Integration von Einwanderern]] vor neue Herausforderungen.
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[[Datei:Late Roman Migration Period deutsch.svg|mini|Die herkömmliche Rekonstruktion der sogenannten Völkerwanderungen des zweiten bis fünften Jahrhunderts]]
Zu den frühen Wanderungsbewegungen im europäischen Raum gehören die [[Griechischegriechische Kolonisation]] am Mittelmeer im 1.&nbsp;Jahrtausend v.&nbsp;Chr. und die [[Völkerwanderung]] am Übergang zwischen [[Spätantike]] und [[Frühmittelalter]]. Mit dem 16.&nbsp;Jahrhundert begann die [[europäische Expansion]], in deren Folge sich [[Kolonialismus]] und neuzeitlicher [[Sklavenhandel]] entwickelten und die indigene Bevölkerung Amerikas zusammenbrach. Eine massenhafte Auswanderung aus Europa insbesondere nach Amerika und vor allem in die [[Vereinigte Staaten|Vereinigten Staaten]] setzte im 19.&nbsp;Jahrhundert bei fortgesetzt stark anwachsender europäischer Bevölkerung und Binnenwanderung ein.<ref>Düvell 2006, S.&nbsp;34 f.</ref>
 
Der Migrationshistoriker [[Dirk Hoerder]] kritisiert die [[Eurozentrismus|euro-]] bzw. US-zentrierte Beschreibungen von Migrationsprozessen. Er unterscheidet für das 19. und frühe 20.&nbsp;Jahrhundert fünf große Migrationssysteme:
* das „weiße“ atlantische System, das Europa mit seinen Kolonien in Nord- und Südamerika verband
* das schwarzatlantische System, das den [[atlantischerAtlantischer Sklavenhandel|atlantischen Sklavenhandel]] umfasst,
* das Migrationssystem asiatischer Menschen, die teils freiwillig, teils als [[Schuldknechtschaft|Schuldknechte]] über den Pazifik nach Amerika gebracht wurden,
* das russisch-sibirische System, das die Besiedlung [[Sibirien]]s (z. B. durch russische [[Wanderarbeiter]] oder westeuropäische Einwanderer) umfasst,
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== Unterscheidung spezifischer Migrationsweisen und -beteiligungen ==
Migrierende Menschen sind mobiler als andere, konstatiertstellt [[Annette Treibel]] fest, und will das nicht allein räumlich, sondern auch psychisch und sozial verstanden wissen: „Sie lenken ihre Unzufriedenheit mit den Lebensbedingungen in den Wanderungsentschluss um.“<ref>Treibel 2011, S.&nbsp;231.</ref> Bewegen sich Wanderungen innerhalb eines Landes, so handelt es sich um eine [[Binnenwanderung]]. Werden Staatsgrenzen überschritten, so geht es sich aus Sicht des Herkunftslandes um [[Auswanderung]] (Emigration) und aus Sicht des Aufnahmelandes um [[Einwanderung]] (Immigration). [[Transitland|Transitstaaten]] dienen dem temporären Aufenthalt beim Übergang vom Herkunfts- ins Zielland.
 
[[Datei:Migrants Suisses de Russie, environ 1921.jpg|mini|Schweizer Familie, die während des Bürgerkrieges aus Russland floh, um 1921]]
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Laut der [[Genfer Flüchtlingskonvention]] vom 28.&nbsp;Juli 1951 ist Fluchtmigration die räumliche Bewegung einer Person, die „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will.“
 
ÖkonomischeWirtschaftliche Gründe werden für die Definition einer Person als [[Flüchtling]] in der Genfer Flüchtlingskonvention nicht anerkannt. Migration erfolgt jedoch in der Regel mit der Hoffnung auf eine Verbesserung der Lebenssituation. In solchen Fällen stellt sich das Problem der Unterscheidung zwischen Freiwilligkeit und „ökonomischem Zwang“. Individuen sind in unterschiedlichem Maße fähig und willens, Frustrationen zu ertragen ([[Frustrationstoleranz]]). Und auch wenn sie nicht im [[Status quo]] zu verharren bereit sind, haben sie unterschiedliche HandlungsoptionenHandlungsmöglichkeiten: Sie können ihre Umgebung verändern oder ihr zu entkommen versuchen.<ref>Düvell 2006, S.&nbsp;124.</ref>
 
{{Hauptartikel|Fahnenflucht}}
Die Strafverfolgung wegen [[Fahnenflucht]] und [[Kriegsdienstverweigerung]] lässt viele Flüchtlinge Schutz vor der Verfolgung im Ausland suchen. Diese Flucht gelingt oft nur wenigen Deserteuren.<ref>Jens Warburg: ''Soldatische Subjekte und Desertion.'' In: jour fixe initiative berlin (Hrsg.) Krieg. Münster 2009, S.&nbsp;149.</ref> In vielen Staaten wird Desertion nicht unmittelbar als Schutzgrund anerkannt. So besteht in der Bundesrepublik kein Recht auf Asyl für Deserteure: „In der bundesrepublikanischen Rechtsprechung zur Gewährung von Asyl wird darauf insistiert, dass jeder Staat das Recht habe, seine Bürger zum Kriegsdienst heranzuziehen.“<ref name="s150">Jens Warburg (2009), S.&nbsp;150.</ref> Auch die Gefahr, im Herkunftsgebiet wieder im Krieg eingesetzt zu werden, „schützenschützt die Deserteure nicht vor einer Abschiebung.<ref>Jens Warburg (2009), S.&nbsp;150. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass es in manchen Herkunftsländern kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt.</ref> Eine Möglichkeit der Anerkennung in der Rechtsprechung besteht, „wenn nachgewiesen werden kann, dass die Rekrutierung auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie basiert, sie also eine Diskriminierung darstellt“.<ref name="s150" />
 
{{Hauptartikel|Arbeitsmigration}}
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{{Hauptartikel|Bildungsmigration}}
[[Datei:Bologna-Prozess-Logo.svg|mini|hochkant|Transnationaler [[Bologna-Prozess]]]]
Eine wachsende Rolle spielt die Bildungsmigration, obwohl sie keinkeine ganz neuesneue PhänomenErscheinung ist. Immer mehr Länder bemühen sich heute, attraktive Bedingungen der Ausbildung, des Studiums und der Forschung zu schaffen, um wanderungswillige und qualifizierte Personen zu gewinnen.<ref>[httphttps://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/212096/bildungsmigration ''Bildungsmigration.''] Bundeszentrale für politische Bildung, 15. September 2015.</ref> Laut einer 2015 veröffentlichten OECD-Studie ist [[Deutschland]] das Industrieland mit der höchsten Zahl von Personen, die [[Auslandsstudium|zum Studium ins Ausland ziehen]]; das meistbesuchte Zielland deutscher Studenten ist Österreich.
 
{{Anker|Transmigration}}
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Zunehmende Bedeutung hat zudem die „[[Altersmigration]]“ oder „Ruhesitzmigration“.<ref>Die Migration von Rentnern – vor allem in wärmere, sonnenscheinreichere Regionen – ist laut Düvell als eines der am rapidesten wachsenden demographischen Merkmale entwickelter Gesellschaften anzusehen. (Düvell 2006, S.&nbsp;74)</ref> Dagegen ist die „Heiratsmigration“ in Deutschland der wichtigste Grund für die Einwanderung von Drittstaatsangehörigen.<ref>{{Internetquelle |autor=Can M. Aybek, Christian Babka von Gostomski, Stefan Rühl, Gaby Straßburger |url=http://www.can-aybek.eu/1/32/resources/publication_1533_1.pdf |titel=Heiratsmigration in die EU und nach Deutschland – ein Überblick |werk=Bevölkerungsforschung Aktuell 02/2013 |format=PDF |abruf=2016-05-29}}</ref>
 
Das deutsche ''[[Ausländerrecht]]'' definiert Migranten als {{" |Oberbegriff für Menschen nicht deutscher Herkunft}} und schließt neben Ausländern auch {{" |eingebürgerte deutsche Staatsangehörige und Aussiedler}} ein.
 
== Forschungsaspekte und Theoriebildung ==
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=== Fachkräftemangel ===
{{Staatslastig|DE}}
{{Deutschlandlastig}}
Durch die [[Anwerbepolitik der Bundesrepublik Deutschland]] kamen von 1955 bis 1973 etwa 14 Millionen [[Gastarbeiter]] in die Bundesrepublik.
Wirtschaftspolitisch vielfach gewünscht und nachgefragt ist die Zuwanderung von hochausgebildeten und gut situierten Fachkräften ''(high skilled migration)''. Wenn in Deutschland aus demografischen Gründen zunehmend ein [[Fachkräftemangel|Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften]] zu erwarten ist, dürfte sich (trotz Wirtschaftskrise) die innerdeutsche und Ost-West-Konkurrenz der Metropolen und Regionen um diese Fachkräfte verstärken (Stand: 2010).<ref>Tanja Buch, Silke Hamann, Annekatrin Niebuhr: [http://doku.iab.de/regional/N/2010/regional_n_0210.pdf ''Qualifikationsspezifische Wanderungsbilanzen deutscher Metropolen: Hamburg im Städtevergleich''.] (PDF; 503&nbsp;kB) IAB-Regional. Berichte und Analysen aus dem Regionalen Forschungsnetz IAB Nord. 02/2010. Nürnberg 2010, 47 Seiten.</ref>
 
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Wegen der sehr beschränkten Handlungsmacht der Betroffenen kommt es auf der Flucht oft zu einer paradoxen Immobilisierung: Grenzen oder unüberwindliche natürliche Hindernisse stoppen die Migranten; (finanzieller) Ressourcenmangel, fehlende Papiere oder mangelnde Netzwerke lähmen das Fortkommen. Damit verbunden sind „Camp-Urbanisierung“ und die Entwicklung von „Camp-Cities“, laut Oltmer zum Teil mit Großstadtcharakter.<ref>Oltmer 2017, S.&nbsp;233.</ref>
 
Restriktive Regelungen können Wanderungen aber nicht vollständig verhindern. Wirtschaftlich prosperierende Wohlstandsregionen ziehen Zuwanderer an und profitieren davon auch teilweise. Ökonomische Bedeutung hat das auch für die Herkunftsländer im globalen Süden. „2016 lagen die [[Rücküberweisung (Migranten)|Geldüberweisungen]], die Migranten an ihre Verwandten allein in den ‚Entwicklungsländern‘ schickten, nach Schätzungen der Weltbank bei mindestens 440&nbsp;Milliarden US-Dollar. Die Beträge übertrafen damit den Umfang der staatlichen Zahlungen im Rahmen der [[Entwicklungszusammenarbeit]] um fast das Dreifache.“<ref>Oltmer 2017, S.&nbsp;210.</ref> Wie der niederländische Migrationsforscher [[Hein de Haas]] anhand zahlreicher Beispiele aufzeigt, haben restriktive Regelungen den gegenteiligen Effekt und erhöhen die Migration und die Migrantenzahlen noch. Es komme zum einen zu einer „Torschluss-Migration“, so dass möglichst viele noch vor dem Inkrafttreten der Begrenzungen das Zielland zu erreichen versuchen. Zudem hindern Verschärfungen nicht nur an der Einreise, sondern auch an der Ausreise, denn Migranten, die mit dem Gedanken an eine – endgültige oder zeitweilige – Rückkehr in ihr Herkunftsland gespielt haben, blieben nun in ihrem Zielland, wenn sie fürchten müssten, nicht wieder einreisen zu können, und würden dann gegebenenfalls auch ihre Familien nachholen, denen der Nachzug aus Gründen des Schutzes der Familie nicht verwehrt werden könne. Entsprechend komme durch Restriktionen die [[zirkuläre Migration]], also die von der Nachfrage nach Arbeitskräften abhängige Ein- und Wiederausreise, zum Erliegen, was die Migrantenzahl ebenfalls erhöhe.<ref>Hein de Haas: ''Migration. 22 populäre Mythen und was wirklich hinter ihnen steckt.'' S. Fischer, Frankfurt/M. 2023, S. 391–410</ref>
 
=== Tradierte Einstellungsunterschiede ===
Hinsichtlich der Aufnahmegesellschaften unterscheidet man ''formelle'' und ''informelle'' ''[[Einwanderungsland|Einwanderungsländer]]''. Für die formellen Einwanderungsländer ist Einwanderung ein Teil ihres Selbstverständnisses, was sich in der [[Gesetzgebung]] und den Institutionen niederschlägt. Informelle Einwanderungsländer verstehen sich als Aufnahmeländer für beschränkte Einwanderungsgruppen. Klassisches Beispiel für ein formelles Einwanderungsland in [[Europa]] ist [[Frankreich]] wegen der Zuwanderung aus seinen ehemaligen Kolonien. Weltweit genießen die [[Vereinigte Staaten|USA]], [[Kanada]] und [[Australien]] diesen Ruf. Europa zählt inzwischen auch als Einwanderungskontinent. Ein Beispiel für ein informelles Einwanderungsland ist die Bundesrepublik [[Deutschland]], die traditionell offen für deutschstämmige Aussiedler und politisch Verfolgte ist, oder auch [[Israel]], das allen Juden zur Einwanderung offensteht ([[Alija]]). Die Grenzen zwischen formell und informell sind dabei keineswegs feststehend. [[Schweden]] entwickelte sich z.&nbsp;B. vom formellen zum informellen Einwanderungsland. Die [[Niederlande]] sind ein informelles Einwanderungsland, aber mit multikultureller Prägung, und auf die [[Schweiz]] trifft keines der Kriterien zu.
 
=== Harmonisierungsansätze und -Problemeprobleme ===
Während klassische Einwanderungsländer wie die USA, Kanada und Australien über lange Zeit eine liberale Einwanderungspolitik befolgten, die sich jeweils auf das Selbstverständnis als Nation von Einwanderern bezog – welche vor materieller Not, Bedrohung und Verfolgung geflohen waren und die ihnen Schutz bietende Gesellschaft aufgebaut hatten –, entwickelte sich in Europa im Zuge des Einigungsprozesses eine gemeinsame Praxis verschärfter politischer und legislativer Regulierung. Dazu gehören das [[Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III)|Dublin-Verfahren]], eine restriktivere [[Asylpolitik der Europäischen Union|Handhabung des Asylrechts]] sowie Maßnahmen zu wirksamerer Kontrolle und Abriegelung der [[Europäische Union|EU]]-Außengrenzen mittels [[Eurosur]] und [[Frontex]]. Da es in einigen Wirtschaftssektoren an Arbeitskräften fehlt, werden in vielen europäischen Ländern aber auch Modelle der klassischen Einwanderungsländer diskutiert, so z.&nbsp;B. [[Punktesystem (Einwanderung)|Punktesysteme]] für die Anwerbung qualifizierter Zuwanderer.<ref>Oswald 2007, S.&nbsp;181.</ref>
 
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== Zahlen ==
{{Siehe auch|Liste der Länder nach Nettomigrationsrate|Einwandereranteile nach Ländern}}
{| style="width:300px; margin:0.0em;" class="wikitable float-right wikitable sortable float-right"
|- class="hintergrundfarbe5"
! style="width:10%"| Jahr
! style="width:30%"| Weltbevölkerung
! style="width:30%"| Migranten weltweit
! style="width:30%"| Anteil Migranten an der Weltbevölkerung
|-
| 1990 || 5,3 Milliarden<ref>{{Internetquelle |autor=bpb |url=httphttps://www.bpb.de/52699 |titel=Bevölkerungsentwicklung |abruf=2019-02-25}}</ref> || 151–156 Millionen || 2,9 %<ref name="bpb15">United Nations Department of Economic and Social Affairs (UN/DESA), zitiert nach [[Bundeszentrale für politische Bildung|bpb]]. ({{Internetquelle |url=httphttps://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/globalisierung/52711/migration?zahlenfakten=detail |titel=Migration |hrsg=[[Bundeszentrale für politische Bildung]] |datum=2017-07-01 |abruf=2019-01-27}})</ref>
|-
| 2000<ref name="spiegel-online-2018-01-14">{{Der Spiegel |ID=144545900 |Titel=Globale Migration: Die Welt bleibt zu Hause |Jahr=2016 |Nr=18}}</ref> || 6,1 Milliarden || 173 Millionen || 2,8 %<ref name="bpb15" />
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Im Jahr 2017 lebten 257,7 Millionen Menschen in Staaten, in denen sie nicht geboren wurden. Der Staat mit der höchsten Zahl von Migranten waren 2017 die Vereinigten Staaten mit 49,8 Millionen Migranten, gefolgt von Saudi-Arabien und Deutschland mit jeweils 12,2 Millionen Migranten und Russland mit 11,7 Millionen Migranten. Der Staat mit den größten Zahl Auswanderer im Jahr 2017 war Indien (16,6 Millionen), gefolgt von Mexiko (13&nbsp;Millionen), Russland (10,6 Millionen), China (10,0 Millionen) und Bangladesh (7,5 Millionen).<ref>{{Internetquelle |url=http://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/globalisierung/265535/themengrafik-migration |titel=Migration. Ein- und Auswanderungsländer, Migrationskorridore mit mehr als 1&nbsp;Million Migranten, Stand: 2017 |hrsg=Bundeszentrale für politische Bildung |datum=2017-07-01 |abruf=2019-01-27}} Text, Tabellen, Film „Zahlen und Fakten: Globalisierung. Migration – Herkunftsländer, Zielländer, Korridore“.</ref>
 
Die Tabelle zeigt für die Jahre 2000 und 2015 den Anteil der Migranten (hier definiert als alle Menschen, die in einem Land leben, in dem sie nicht geboren wurden<ref>[httphttps://www.un.org/en/development/desa/population/migration/publications/migrationreport/docs/MigrationReport2015_Highlights.pdf International Migration Report 2015] (PDF; 5,7&nbsp;MB) United Nations – Department of Economic and Social Affairs, S. 4</ref>) an der [[Weltbevölkerung]]. (Zu einzelnen Staaten siehe: [[Einwandereranteile nach Ländern]].)
 
Seit 1960 lag der Anteil der Migranten an der Weltbevölkerung nach Berechnungen von Mathias Czaika und Hein de Haas auf einem vergleichbaren Niveau: 3,06 % (1960), 2,86 % (1970), 2,70 % (1980), 2,67 % (1990), 2,73 % (2000).<ref>{{Literatur |Autor=Mathias Czaika, Hein de Haas |Titel=The Globalization of Migration: Has the World Become More Migratory? |Sammelwerk=International Migration Review (imr) |Datum=2014-05-20 | Table&nbsp;4.</ref>
 
Das [[Pew Research Center]] untersuchte im Jahr 2020 die religiöse Zugehörigkeit der Menschen, die zum damaligen Zeitpunkt Migrantenstatus hatten. Demnach waren Christen mit 47 % und Muslime mit 29 % weltweit am stärksten vertreten.<ref>{{Internetquelle|url=https://www.pewresearch.org/religion/2024/08/19/the-religious-composition-of-the-worlds-migrants/|titel=The Religious Composition of the World’s Migrants|autor=Stephanie Kramer, Yunping Tong|hrsg=[[Pew Research Center]]|datum=2024-08-19|abruf=2024-10-07}}</ref> In Europa lagen die Anteile bei 56 % und 18 %.<ref>{{Internetquelle|url=https://www.pewresearch.org/religion/2024/08/19/migrants-living-in-each-region/|titel=1. Migrants living in each region|autor=Stephanie Kramer, Yunping Tong|hrsg=Pew Research Center|datum=2024-08-19|abruf=2024-10-07}}</ref>
== Museumspräsentation ==
Die Museen widmen sich seit der Jahrtausendwende zunehmend der Migrationsgeschichte. 1990 öffnete das ''[[Ellis Island|Ellis Island Immigration Museum]]'' in New York, 1999 das ''[[Pier 21|Canadian Museum of Immigration at Pier 21]]'', 2005 das ''[[Auswandererhaus Bremerhaven]]'', 2007 die [[BallinStadt|Ballinstadt Hamburg]] und 2016 das [[Museum Friedland]]. Bedeutende Themenausstellungen wie ''Good Bye Bayern – Grüß Gott America'' (Haus der Geschichte München 2005/2006), ''Zuwanderungsland Deutschland, Migrationen 1500-2005'' (Deutsches Historisches Museum 2005/2006) und ''Flucht, Vertreibung, Integration'' (Haus der Geschichte 2005–2007) widmeten sich in Deutschland einzelnen Migrationsthemen. Eine umfassende Darstellung des Themas "homo migrans" war lange noch ein Desiderat.<ref>Klaus Kremb: ''Der "Homo migrans": Präsentation und Rezeption von Migrationsgeschichte''. In: ''Migration und Weltgeschichte''. Hrsg.: Sabine Liebig, Wochenschauverlag 2007, ISBN 978-3-89974240-4, S. 95 ff.</ref> 2023 präsentiert das [[Germanisches Nationalmuseum|Germanische Nationalmuseum]] in einer großen Sonderausstellung ''Horizonte. Geschichten und Zukunft der Migration'' die Geschichte der Migration als menschliche Grunderfahrung, von der Steinzeit bis in die Gegenwart.<ref>''Horizonte'': [https://www.gnm.de/ausstellungen/highlights-2022-2023/horizonte/ ''Ausstellungswebseite, Germanisches Nationalmuseum'']</ref>
 
== Museumspräsentation ==
{{Siehe auchHauptartikel|Migrationsmuseum}}
Die Museen widmen sich seit der Jahrtausendwende zunehmend der Migrationsgeschichte. 1990 öffnete das ''[[Ellis Island|Ellis Island Immigration Museum]]'' in New York, 1999 das ''[[Pier 21|Canadian Museum of Immigration at Pier 21]]'', 2005 das ''[[Auswandererhaus Bremerhaven]]'', 2007 die [[BallinStadt|Ballinstadt Hamburg]] und 2016 das [[Museum Friedland]]. Bedeutende Themenausstellungen wie ''Good Bye Bayern – Grüß Gott America'' (Haus der Geschichte München 2005/2006), ''Zuwanderungsland Deutschland, Migrationen 1500-2005'' (Deutsches Historisches Museum 2005/2006) und ''Flucht, Vertreibung, Integration'' (Haus der Geschichte 2005–2007) widmeten sich in Deutschland einzelnen Migrationsthemen. EineIn umfassendeder DarstellungSchweiz desfand Themas1999 "homoim migrans"[[Museum warfür langeGestaltung nochZürich]] eineine Desiderat.<ref>Klausder Kremb:ersten ''DerAusstellungen "Homoin migrans":Europa Präsentationmit und RezeptionSelbstzeugnissen von Migrationsgeschichte''. In: ''MigrationMigrantinnen und Weltgeschichte''. Hrsg.: Sabine Liebig, Wochenschauverlag 2007, ISBN 978-3-89974240-4, S. 95Migranten ffstatt.</ref>Pascal 2023 präsentiert das [[Germanisches Nationalmuseum|Germanische Nationalmuseum]]Ihle in einerNeue großenZürcher SonderausstellungZeitung, ''Horizonte30. Geschichten und Zukunft der Migration'' die Geschichte der Migration als menschliche Grunderfahrung10.1999, vonvgl. derauch SteinzeitWebsite biszur inAusstellung die Gegenwart.<ref>''Horizonte'': [https://www.gnmmigrant.de/ausstellungen/highlights-2022-2023/horizonte/ ''Ausstellungswebseite, Germanisches Nationalmuseum'']ch</ref>
 
== Siehe auch ==
* [[Flüchtlingskrise in Europa ab 2015/2016]]
* [[Migrantendeutsch]]
* [[Migrationstreck von Zentralamerika bis zur Grenze zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten]]
* [[Umweltmigration]]
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* Megan J. Daniels: ''Homo migrans: modeling mobility and migration in human history.'' SUNY Press, Albany 2022. – Rezension von Dominik Delp, [[Bryn Mawr Classical Review]] [https://bmcr.brynmawr.edu/2023/2023.11.30/ 2023.11.30]
* Franck Düvell: ''Europäische und internationale Migration: Einführung in historische, soziologische und politische Analysen.'' Hamburg u.&nbsp;a. 2006.
* Manfred P. Emmes, ''Deutsche Massenauswanderung in den vergangenen drei Jahrhunderten und Rückwirkungen auf die Außenbeziehungen Deutschlands'', Romeon-Verlag 2021, ISBN 978-3-96229-215-7.
* Thomas Geisen, Tobias Studer, Erol Yildiz (Hrsg.): ''Migration, Familie und Gesellschaft: Beiträge zu Theorie, Kultur und Politik.'' Springer VS, Wiesbaden, 2014., ISBN 978-3-531-18010-6.
* Hein de Haas: ''Migration - 22 populäre Mythen und was wirklich hinter ihnen steckt.'' S. Fischer, 2023.
* Daniel Kubat, [[Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny]]: ''Migration: Towards a new paradigm.'' In: International Social Science Journal 33 (1981) S. 307–329.
* [[Karl-Heinz Meier-Braun]]: ''Einwanderung und Asyl.'' C. H. Beck 2015.
* Karl-Heinz Meier-Braun, [[Reinhold Weber (Historiker)|Reinhold Weber]]: ''Deutschland Einwanderungsland.'' Kohlhammer Verlag 2017.
* [[Julian Nida-Rümelin]]: ''Über Grenzen denken. Eine Ethik der Migration.'' Edition Körber-Stiftung 2017.
* [[Heinz Nigg]] (Hrsg.): ''Da und fort. Leben in zwei Welten. Migration und Binnenwanderung in der Schweiz 1945–2000.'' Zürich: Limmat Verlag, 1999.
* Jochen Oltmer: ''Globale Migration.'' C. H. Beck 2016.
* Jochen Oltmer: ''Migration. Geschichte und Zukunft der Gegenwart.'' Darmstadt 2017.
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== Dokumentarfilm ==
* ZDF / [[Terra X]] (2018, Doku von Dirk Steffens):
** [https://www.zdf.de/dokumentation/terra-x/die-reise-der-menschheit-teil-1-der-aufbruch-100.html ''Die Reise der Menschheit (1/3) - Der Aufbruch'']
** [https://www.zdf.de/dokumentation/terra-x/die-reise-der-menschheit-teil-2-fremde-welten-100.html ''Die Reise der Menschheit (2/3) - Fremde Welten'']
Zeile 188 ⟶ 200:
* [https://www.europeana.eu/portal/de/collections/migration Europeana Migration] – virtuelle Sammlung von Medien zum Thema auf [[Europeana]]
* [https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/ Migration] – Beiträge der [[Bundeszentrale für politische Bildung]] (bpb)
* Grafik: [httphttps://www.bpb.de/61640 Migration in Deutschland, 1984–2016], aus: [httphttps://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland Zahlen und Fakten: Die soziale Situation in Deutschland], bpb
* Grafik: [httphttps://www.bpb.de/70521 Migration in Europa, Ende 2017], aus: [httphttps://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/europa Zahlen und Fakten: Europa], bpb
* Grafik: [httphttps://www.bpb.de/265535 Migration weltweit, Ende 2017], aus: [httphttps://www.bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/globalisierung/ Zahlen und Fakten: Globalisierung], bpb
* [https://virtuelles-migrationsmuseum.org/ Virtuelles Migrationsmuseum (deutsch/englisch)]
* Ausstellung im [[Museum für Gestaltung Zürich]], 1999: [https://www.migrant.ch/ Selbstzeugnisse von Migrantinnen und Migranten]
 
== Anmerkungen ==