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[[Datei:Da Vinci Vitruve Luc Viatour 2.svgjpg|mini|Der „[[Vitruvianischer Mensch|vitruvianische Mensch]]“ von [[Leonardo da Vinci]] (1490) als Sinnbild]]
 
'''Anthropologie''' (im 16. Jahrhundert als ''anthropologia'' gebildet<ref>Axel W. Bauer: ''Bemerkungen zur Verwendung des Terminus „Anthropologie“ in der Medizin der Neuzeit (16.–19. Jahrhundert).'' In: Eduard Seidler (Hrsg.): ''Medizinische Anthropologie.'' 1984, S. 32–55.</ref> aus {{grcS|ἄνθρωπος|ánthrōpos|de=Mensch}}, und ''[[-logie]]:'' Menschenkunde, Lehre vom Menschen) ist die [[Wissenschaft]] vom [[Mensch]]en. Sie wird im [[Deutscher Sprachraum|deutschen Sprachraum]] und in vielen europäischen Ländern vor allem als [[Naturwissenschaft]] verstanden. Die ''naturwissenschaftliche'' oder ''Physische Anthropologie'' betrachtet den Menschen im Anschluss an die [[Synthetische Evolutionstheorie|Evolutionstheorie]] von [[Charles Darwin]] als [[Lebewesen|biologisches Wesen]].
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Die biologische Anthropologie ist mit ihren Teilgebieten [[Primatologie]], [[Evolutionstheorie]], [[Paläoanthropologie]], [[Bevölkerungsbiologie]], [[Industrieanthropologie]], [[Genetik]], [[Sportanthropologie]], Wachstum ([[Auxologie]]), [[Konstitution]] und [[Forensik]] ein Fachbereich der [[Humanbiologie]]. Ihr Ziel ist die Beschreibung, Ursachenanalyse und evolutionsbiologische Interpretation der Verschiedenheit biologischer Merkmale der [[Menschenaffen|Hominiden]] ([[Familie (Biologie)|Familie]] der [[Primaten]], die fossile und [[rezent]]e Menschen einschließt). Ihre Methoden sind sowohl beschreibend als auch analytisch.
 
Anthropologische Institutionen im deutschsprachigen Raum gibt es an Universitäten und an Museen in Tübingen, Kiel, Hamburg, Berlin, Göttingen, Jena, Gießen, Mainz, Ulm, Freiburg im Breisgau, München, Zürich und Wien. Meist ist dort die Bezeichnung nur „Anthropologie“, Zusätze wie „biologisch“ wurden in jüngerer Zeit notwendig, weil der konkurrierende US-amerikanische Begriff der {{lang|en-US|''[[#Anthropologie als Oberbegriff und Dachwissenschaft|anthropology]]''}} auch hier bekannt ist.
 
=== Forensische Anthropologie ===
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{{Hauptartikel|Theologische Anthropologie}}
 
Die theologische Anthropologie als Teilbereich der Systematischen Theologie deutet den Menschen aus christlich-theologischer Sicht. Dabei beschäftigt sie sich besonders mit dem Wesen des Menschen und der Bestimmung des Menschen vor Gott. Im Unterschied dazu untersucht die [[Religionsethnologie]] als Fachgebiet der [[Ethnologie]] (Völkerkunde) die [[Religion]]en bei den weltweit rund 1300&nbsp;[[Ethnie|ethnischen Gruppen]] und [[Indigene Völker|indigenen Völkern]], in Abgrenzung zur [[Religionssoziologie]] vor allem bei (ehemals) schriftlosen Kulturen. Zu unterschieden davon ist die [[Religionsanthropologie]].
 
=== Industrieanthropologie ===
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Manchmal wird „Anthropologie“ als Oberbegriff für mehrere der oben genannten Einzel- und [[Humanwissenschaft]]en aufgefasst. Insbesondere in den USA gibt es dementsprechende Bestrebungen, biologische Anthropologie, [[Kulturanthropologie]], [[Ethnolinguistik]] und [[Archäologie]] unter einem Dach zu vereinen (sog. „Vier-Felder-Anthropologie“). Diese weit verbreitete Auffassung leitet sich von dem Tatbestand her, dass Anthropologie – im Gegensatz und oft in Konkurrenz zur [[Theologie]] – Selbsterkenntnis des Menschen als Mensch ist, gemäß der delphischen Maxime ''[[Gnothi seauton]]'', „erkenne dich selbst“.
 
In diesem Sinne geben [[Detlev Ganten]], [[Volker Gerhardt]], Jan-Christoph Heilinger und [[Julian Nida-Rümelin]] die umfangreiche Buchreihe "Interdisziplinäre„Interdisziplinäre Anthropologie"Anthropologie“ mit derzeit 19 Bänden heraus.<ref>[[Detlev Ganten]], [[Volker Gerhardt]], Jan-Christoph Heilinger und [[Julian Nida-Rümelin]], Herausgeber, ''Humanprojekt. Interdisziplinäre Anthropologie'', De Gruyter, Berlin ISSN=1868-8144</ref>
 
Die ''Systematische Anthropologie'', ein 1977 veröffentlichtes Werk der deutschen [[Ethnologe]]n [[Wolfgang Rudolph (Ethnologe)|Wolfgang Rudolph]] und [[Peter Tschohl]], bringt anthropologisch grundlegende Erkenntnisse in einen integrierten Zusammenhang. Mit Hilfe eines eigenen Begriffssystems wird ein gesamtanthropologisches Modell entwickelt, das die Grenzen und Überschneidungen von Disziplinen wie Ethnologie, Biologie, Humangenetik, Psychologie, Soziologie, Philosophie, Geschichte theoretisch auflöst (vergl. zu diesem Ansatz: [[Interdisziplinarität]]). „Ziel der Untersuchung ist eine wissenschaftliche Theorie, die dasjenige abdeckt, was systematisch sinnvoll zu einem „Mensch“ genannten Untersuchungsgegenstand gerechnet werden kann, und die damit nicht von einer einzelnen Fachrichtung beherrscht wird.“<ref>{{Literatur |Autor=[[Wolfgang Rudolph (Ethnologe)|Wolfgang Rudolph]], [[Peter Tschohl]] |Titel=Systematische Anthropologie |Verlag=Wilhelm Fink |Ort=München |Datum=1977 |ISBN=3-7705-1468-8 |Seiten=25,5}}</ref>
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Die Theorie transportierte einen damals fortschrittlichen, humanen und weit gefassten Kulturbegriff. Wegen technokratisch anmutender Formulierung wurde sie aber nur in der ethnologisch und soziologisch orientierten Fachwelt rezipiert. Gerüst und Inhalt der Theorie müssten heute aktualisiert werden, bieten jedoch „eine Basis für Einzeluntersuchungen von beliebigen Ausschnitten des Gegenstandsbereichs Mensch“.<ref>{{Literatur |Autor=Wolfgang Rudolph, Peter Tschohl |Titel=Systematische Anthropologie |Verlag=Wilhelm Fink Verlag |Ort=München |Datum=1977 |ISBN=3-7705-1468-8 |Seiten=319,2}}</ref>
 
Die praktische Relevanz und damit die Rezeption der "systematischen„systematischen Anthropologie"Anthropologie“ von Rudolph und Tschohl waren bereits bei Erscheinen des Werks 1977 äußerst begrenzt. Kritiker wiesen darauf hin, dass die positivistische Begriffssystematik völlig abgehoben von den aktuellen Diskussionen in den Sozialwissenschaften entwickelt worden war. Ihr theoretischer Wert lag in der Einübung einer hierarchisch vernetzten [[Nomenklatur]], die zwar als Ausgangspunkt für empirische Untersuchungen hätte dienen können, wenn sie allgemeine Akzeptanz gefunden hätte, aber über die Wirklichkeit menschlicher Lebensverhältnisse nicht viel mehr aussagte als ein systematisch geordneter Katalog der europäischen wissenschaftlichen [[Terminologie]] in den Humanwissenschaften. Ungeklärt blieb auch die Frage, wie die Begriffssystematik von Rudolph und Tschohl in andere Sprach- und Kultursysteme hätte übertragen werden können. Fruchtbarere Ansätze wie das [[Konzept der reflexiven Anthropologie]] (vergl. dazu [[Pierre Bourdieu]]) und [[Ethnomethodologie]] wurden dagegen aus dem anthropologischen Lehrbetrieb verdrängt.
 
Die ''Basis-Theorie der Anthropologie''<ref>Übersicht 1 aus: [[Gerhard Medicus]], ''Was uns Menschen verbindet: Humanethologische Angebote zur Verständigung zwischen Leib- und Seelenwissenschaften.'' 2. Auflage. VWB, Berlin 2013, ISBN 978-3-86135-583-0.</ref><!--Seitenangabe?--> ist ebenfalls Orientierungswissen, das Zusammenhänge zwischen den Disziplinen und Schulen der Humanwissenschaften aufzeigt. Ein Bezugsrahmen ergibt aus den vier Grundfragen der biologischen Forschung (nach [[Nikolaas Tinbergen]]): Verursachungen (= Ursache-Wirkungs-Beziehungen bei den Funktionsabläufen), [[Ontogenese]], [[Fitness (Biologie)|Anpassungswert]], [[Phylogenese]]. Diese vier Aspekte sind jeweils auf verschiedenen Bezugsebenen zu berücksichtigen (vergleiche [[Nicolai Hartmann]]), beispielsweise [[Zelle (Biologie)|Zelle]], [[Organ (Biologie)|Organ]], [[Individuum]], [[Soziale Gruppe|Gruppe]]:
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* [[Detlev Ganten]], [[Volker Gerhardt]], Jan-Christoph Heilinger, [[Julian Nida-Rümelin]] (Herausgeber): ''Humanprojekt. Interdisziplinäre Anthropologie'', derzeit 19 Bände, De Gruyter, Berlin ISSN=1868-8144.
* [[Axel W. Bauer]]: ''Was ist der Mensch? Antwortversuche der medizinischen Anthropologie.'' In: ''Fachprosaforschung – Grenzüberschreitungen.'' Band 8/9, 2012/2013, ISBN 978-3-86888-077-9, S. 437–453.
* [[Rutger Bregman]]: ''Im Grunde gut: Eine neue Geschichte der Menschheit.'' Rowohlt Verlag, Hamburg 2020, ISBN 3-498-00200-7.
* ''[[Der blaue Reiter (Zeitschrift)|Der blaue reiter. Journal für Philosophie]]. Themenheft: Grenzpunkt Mensch.'' Nr. 4, 1996. Verlag der blaue Reiter, ISBN 978-3-9804005-3-4.
* [[Joachim Bauer]]: ''Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren.'' Hoffmann und Campe, Hamburg 2006, ISBN 3-455-50017-X.
* Eike Bohlken, [[Christian Thies]] (Hrsg.): ''Handbuch Anthropologie. Der Mensch zwischen Natur, Kultur und Technik.'' Metzler, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-476-02228-8.
* [[Martin Buber]]: ''Ich und Du.'' Insel, Leipzig 1923; Reclam, Stuttgart 1995, ISBN 3-15-009342-2.
* [[Zeno Bucher]]: ''Die Abstammung des Menschen als naturphilosophisches Problem.'' Koenigshausen & Neumann, Würzburg 1992, ISBN 3-88479-721-2.
* Werner Fuchs u.&nbsp;a. (Hrsg.): ''Lexikon zur Soziologie''. Westdeutscher Verlag, Opladen 1978, 1995, ISBN 3-531-11417-4.
* [[Hans-Georg Gadamer]], [[Paul Vogler (Mediziner)|Paul Vogler]] (Hrsg.): ''Neue Anthropologie.'' Thieme, Stuttgart und dtv, München 1972–1975 (Band 1 und 2: ''Biologische Anthropologie.'' Band 3: ''Sozialanthropologie.'' Band 4: ''Kulturanthropologie.'' Band 5: ''Psychologische Anthropologie.'' Band 6 und 7: ''Philosophische Anthropologie'').
* Gisela Grupe u.&nbsp;a.: ''Anthropologie. Ein einführendes Lehrbuch.'' Springer, Berlin 2005, ISBN 3-540-21159-4.
* [[Marvin Harris]]: ''Menschen.'' DTV, München 1996, ISBN 3-423-30530-4.