Nationalsozialistischer Reichsbund für Leibesübungen
Der Nationalsozialistische Reichsbund für Leibesübungen (NSRL) war die Dachorganisation des Sports in Deutschland während der Zeit des Nationalsozialismus ab 1938.
Geschichte
BearbeitenVorgeschichte
BearbeitenEine Vorgängerorganisation des DRL/NSRL war der Deutsche Reichsausschuss für Leibesübungen (DRA oder, seltener, DRAfL) unter Führung von Theodor Lewald (Vorsitzender) und Carl Diem (Generalsekretär). Der DRA war 1917 aus dem Deutschen Reichsausschuss für Olympische Spiele (DRAfOS) hervorgegangen und verstand sich als Dachverband des Sports für Deutschland, umfasste aber längst nicht alle Verbände und Sportarten. Insbesondere die Vereine und Verbände des Arbeitersports waren ihm nicht beigetreten.
Nach der Machtübernahme der NSDAP 1933 wurden nicht nur Parteien und Gewerkschaften verboten und gleichgeschaltet, sondern auch alle Sportverbände mit oppositioneller politischer (z. B. sozialdemokratischer, kommunistischer oder kirchlicher) Ausrichtung. Insbesondere betraf dies die Arbeitersport-Vereine und -Verbände noch im ersten Halbjahr 1933; viele von ihnen kamen einem Verbot durch Selbstauflösung zuvor. Die national-konservativen und bürgerlichen Verbände bestanden nominell noch bis 1934 weiter, bis sie in die Einheitsorganisation des Reichsbundes für Leibesübungen eingegliedert wurden.
Am 12. April 1933 beugte sich der DRA-Vorsitzende Theodor Lewald – von den neuen Machthabern als „Halbjude“ gebrandmarkt – den Forderungen nach seinem Rücktritt. Von der Wahl eines neuen Ersten Vorsitzenden wurde nach Aufforderung durch Reichsinnenminister Wilhelm Frick abgesehen. Zu weiterführenden Verhandlungen mit der Reichsregierung hinsichtlich der Neuorganisation des Sports wurde stattdessen eine Dreierkommission gebildet, bestehend aus Heinrich Pauli (Deutscher Ruderverband), Edmund Neuendorff (Deutsche Turnerschaft) und Felix Linnemann (DFB). Am 28. April 1933 wurde der SA-Gruppenführer Hans von Tschammer und Osten, bis dahin im Sport weitgehend unbekannt, als Reichskommissar für Turnen und Sport eingesetzt. Der 'Reichsausschuss für Leibesübungen' löste sich am 5. Mai 1933 (offizielle Bekanntgabe 10. Mai) rechtswidrig – ohne den dazu satzungsgemäß notwendigen Beschluss der Mitgliederversammlung – auf und übergab den organisierten bürgerlichen Sport damit widerstandslos dem Gestaltungsdrang des NS-Regimes.
In den ersten Wochen nach der Machtübernahme gab es widerstrebende Interessen im deutschen Sport, da es an in mehreren Führungspositionen Nationalsozialisten gab, die die Gelegenheit nutzen wollten, um sich (und ggf. ihren Verband) in eine führende Stellung zu bringen.[1] Das für den Sport auf nationaler Ebene seit 1914 zuständige Reichsinnenministerium entschied sich für das Italienische Modell des Staatssports,[2] der Machtfülle für den Staat ohne Eigenwelt des Sports, internationale Akzeptanz und vielseitige körperliche Ertüchtigung bedeutete.
Hans von Tschammer und Osten wurde am 28. April 1933 zum Reichssportkommissar und am 19. Juli zum Reichssportführer ernannt.
Geschichte des DRL
BearbeitenAm 23. Januar 1934 proklamierte der Reichsführerring des deutschen Sports die Gründung des Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen (DRL); die Gründungssitzung fand am 9. März 1934 statt.[3] Während der Deutschen Kampfspiele in Nürnberg fand unter der Leitung des Reichssportführers Hans von Tschammer und Osten am 27. Juli 1934 der erste DRL-Kongress statt, auf dem die Pläne für die organisatorische Neugestaltung verkündet werden. Nach und nach verloren fast alle Sportfachverbände ihre Eigenständigkeit und wurden als „Fachämter“ oder angeschlossene Verbände in den DRL überführt.
Die Gleichschaltung bedeutete auch, dass die bisher historisch gewachsenen Verbandsgebiete (z. B. gehörten die Fußballvereine in Göttingen zum Westdeutschen Spielverband [Sitz Duisburg], die Kanuvereine zum Leinegau, die Skivereine zum Harzer Skiverband, im Arbeitersport zu Kassel, im Turnen zu Hannover etc.) nun den politischen Gliederungen angepasst wurden. Damit stand in einer Gebietskörperschaft ein Sportführer einem kommunalen Spitzenbeamten gegenüber. Dies verbesserte die gesellschaftspolitische Stellung des Sports.[4]
Durch Erlass Adolf Hitlers vom 21. Dezember 1938 wurde der DRL unter Umbenennung in Nationalsozialistischer Reichsbund für Leibesübungen (NSRL, auch NSRBL) zu einem „von der NSDAP betreuten Verband erhoben“.[5][6] Der NSRL wurde der NSDAP unterstellt. Während der Sport vor Ort bis dahin der nationalsozialistisch geprägten Kommunalverwaltung (Bürgermeister) verantwortlich war, war man nun dem Gauführer der NSDAP unterstellt. Dort, wo Gaugebiet und Gebietskörperschaft nicht übereinstimmten, konnte es auch zu Veränderungen in den Zuschnitten der Sportorganisationen kommen. Der Sitz des NSRL war das Haus des Deutschen Sports auf dem Reichssportfeld in Berlin. Hans von Tschammer und Osten, 1938 zum Staatssekretär im Innenministerium ernannt, war NSRL-Vorsitzender. Nach seinem Tod im März 1943 wurde Karl Ritter von Halt sein kommissarischer Nachfolger.
Die Strukturen des NSRL waren auch während des Weltkrieges intakt. Allerdings mussten Veranstalter für je 50 Zuschauer einen ausgebildeten Luftschutzhelfer stellen, was vor allem für den Profi-Sport eine Herausforderung darstellte. Die insgesamt in der NS-Zeit gut finanzierten Turn- und Sportvereine wurden z. B. in Hannover noch im Februar 1945 aufgefordert, nicht zu vergessen, die Übungsleiterzuschüsse zu 1944 zu beantragen.[7]
Mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 2 (Auflösung und Liquidierung der Naziorganisationen) vom 10. Oktober 1945 wurde auch der Reichsbund durch den Alliierten Kontrollrat verboten, eine Neugründung untersagt und ihr Eigentum beschlagnahmt.[8] Die im Reichsbund erfassten Sportvereine verbot die Kontrollratsdirektive Nr. 23 vom 17. Dezember 1945. Unter bestimmten Voraussetzungen erlaubte sie Neugründungen.[9]
Führung
BearbeitenAn der Spitze des DRL stand der Reichssportführer. Ab 1934 waren alle Reichssportführer zugleich Präsidenten des Deutschen Olympischen Ausschusses.
Gliederung
BearbeitenFachliche Gliederung
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Außer diesen Fachgebieten wurden innerhalb des Reichsbundes einige andere durch weiterhin bestehende Fachverbände betreut:
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(1) Zu den Sommerspielen zählten die Turnspiele Schlagball, Faustball, Korbball, Schleuderball, Ringtennis – (2) Original-Schreibweise.
Gebietliche Gliederung
BearbeitenSie entsprach der der NSDAP. Wo die Erfordernisse des praktischen Sportbetriebs es sinnvoll erscheinen ließen, wurden mehrere Gaue der NSDAP zu Sportbereichen zusammengeschlossen.
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(1) Thüringen, Anhalt und die Provinz Sachsen. – (2) Schleswig-Holstein, Hamburg, Mecklenburg. – (3) Pfalz und (ab 1935) das Saargebiet. – (4) Österreich ab 1938.
Verteilung der Mitglieder
BearbeitenDer Nationalsozialistische Reichsbund für Leibesübungen zählte am 1. Januar 1937 45.096 Vereine mit 3.582.776 aktiven Mitgliedern (517.992 weibliche/3.064.784 männliche). Am 1. April 1939 wurden 44.622 Vereine mit 3.668.206 aktiven Mitgliedern (davon 526.084 weibliche) gezählt, die folgende Sportarten betrieben:
Sportart | Vereine/Abteilungen | Ausübende gesamt | davon weiblich |
---|---|---|---|
1. Geräteturnen | 12.773 | 662.567 | 234.190 |
2. Fußball | 10.928 | 483.302 | 0 |
2. Rugby | 52 | 1.925 | 0 |
2. Kricket | 6 | 88 | 0 |
3. Leichtathletik | 7.366 | 268.183 | 58.817 |
4. Handball | 4.774 | 152.943 | 14.229 |
4. Basketball | 156 | 3.396 | 522 |
5. Schwimmen | 2.643 | 129.142 | 41.482 |
6. Gewichtheben | 809 | 12.777 | 0 |
6. Ringen | 748 | 15.263 | 0 |
6. Jiu Jitsu | 220 | 7.957 | 68 |
7. Boxen | 872 | 17.904 | 0 |
8. Fechten | 548 | 9.088 | 2.505 |
9. Hockey | 411 | 20.446 | 5.748 |
10. Tennis | 1.840 | 79.932 | 40.361 |
11. Rudern | 757 | 49.942 | 11.433 |
12. Kanu | 1.155 | 45.652 | 8.183 |
13. Eislauf | 369 | 13.944 | 4.907 |
13. Rollschuh | 142 | 4.409 | 2.364 |
14. Skilauf | 2.099 | 88.395 | 26.793 |
15. Radfahren | 2.951 | 61.131 | 5.093 |
16. Segeln | 460 | 19.069 | 832 |
17. Bergsteigen | 510 | 168.450 | 28.536 |
18. Wandern | 2.961 | 198.346 | 30.683 |
19. Kegeln | 1.049 | 50.325 | 2.848 |
20. Schießen | 14.310 | 418.404 | 2.730 |
21. Golf | 59 | 3.953 | 1.401 |
22. Bobsport | 21 | 311 | 29 |
22. Schlittensport | 67 | 2.197 | 682 |
23. Tischtennis | 777 | 15.810 | 3.937 |
24. Billard | 246 | 5.046 | 67 |
Die Nummern entsprechen den Fachämtern und Fachverbänden.
Veranstaltungen
BearbeitenMeisterschaften in den einzelnen Sportarten wurden von den Fachämtern und Fachverbänden durchgeführt. Der Reichsbund für Leibesübungen veranstaltete übergreifend:
- 1934 die Wintersportwoche der 4. Deutschen Kampfspiele in Schierke und Braunlage (Harz)
- 23. bis 29. Juli 1934 die 4. Deutschen Kampfspiele in Nürnberg
- 26. bis 31. Juli 1938 das Deutsche Turn- und Sportfest in Breslau
Namen von Trophäen
BearbeitenFußball: Der heutige DFB-Pokal, 1935 gestiftet, wurde 1935 bis 1943 als Tschammer-Pokal (benannt nach dem Reichssportführer) ausgespielt. Der Amateur-Länderpokal, 1909 als Kronprinzenpokal gestiftet, wurde 1935 bis 1942 als Reichsbundpokal ausgetragen.
Literatur
Bearbeiten- Frank Becker: Den Sport gestalten. Carl Diems Leben (1882–1962). Band 3: NS-Zeit. Duisburg 2009.
- Hajo Bernett: Der Weg des Sports in die nationalsozialistische Diktatur. Die Entstehung des Deutschen (Nationalsozialistischen) Reichsbundes für Leibesübungen. Schorndorf 1983.
- Hajo Bernett: Umbruch oder Kontinuität? Zur Vorgeschichte des Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen. In: Sozial- und Zeitgeschichte des Sports. (1995) 2, S. 7–23.
- Hajo Bernett: Sportpolitik im Dritten Reich. Aus den Akten der Reichskanzlei. Schorndorf 1971.
- Dieter Steinhöfer: Hans von Tschammer und Osten. Reichssportführer im Dritten Reich. Berlin / München / Frankfurt a. M. 1973, ISBN 3-87039-945-7.
- Schlag nach! Wissenswerte Tatsachen aus allen Gebieten. 1. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1938.
- Schlag nach! Wissenswerte Tatsachen aus allen Gebieten. 3. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1941.
Weblinks
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Arnd Krüger: Heute gehört uns Deutschland und morgen …? Das Ringen um den Sinn der Gleichschaltung im Sport in der ersten Jahreshälfte 1933. In: Wolfgang Buss, Arnd Krüger (Hrsg.): Sportgeschichte: Traditionspflege und Wertewandel. Festschrift zum 75. Geburtstag von Prof. Dr. Wilhelm Henze. (= Schriftenreihe des Niedersächsischen Instituts für Sportgeschichte, Bd. 2). Mecke, Duderstadt 1985, S. 175–196.
- ↑ Arnd Krüger: Der Einfluß des faschistischen Sportmodells Italiens auf den nationalsozialistischen Sport. In: Morgen A. Olsen (Hrsg.): Sport und Politik. 1918–1939/40. Universitetsforlaget, Oslo 1986, S. 226–232; Arnd Krüger: Sport im faschistischen Italien (1922–1933). In: G. Spitzer, D. Schmidt (Hrsg.): Sport zwischen Eigenständigkeit und Fremdbestimmung. Festschrift für Prof. Dr. Hajo Bernett. P. Wegener, Bonn 1986, S. 213–226.
- ↑ Hajo Bernett: Umbruch oder Kontinuität? Zur Vorgeschichte des Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen. In: Sozial- und Zeitgeschichte des Sports. (1995) 2, S. 7–23.
- ↑ Arnd Krüger: Sieg Heil to the most glorious era of German sport: Continuity and change in the modern German sports movement. In: International Journal of the History of Sport. 4 (1987), 1, S. 5–20.
- ↑ Erlaß des Führers und Reichskanzlers über den Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen. vom 21. Dezember 1938.
- ↑ Siehe auch Durchführungsbestimmungen zum Erlaß des Führers und Reichskanzlers über den Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen. Vom 15. Mai 1939. des Reichssportführers
- ↑ Arnd Krüger: Leibesübungen jetzt erst recht! Sport im Zweiten Weltkrieg. In: Arnd Krüger, Hans Langenfeld (Hrsg.): Sport in Hannover – von der Stadtgründung bis heute. Die Werkstatt, Göttingen 1991, ISBN 3-923478-56-9, S. 185–188. Arnd Krüger: Germany and Sport in World War II. In: Can. Journal of the History of Sport. 24 (1993), 1, S. 52–62.
- ↑ Kontrollratsgesetz Nr. 2 vom 10. Oktober 1945. In: Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, Nummer 1 vom 29. Oktober 1945, S. 19 ff., Digitalisat der Deutschen Nationalbibliothek: urn:nbn:de:101:1-201301314955.
- ↑ Jutta Braun, Hans Joachim Teichler (Hrsg.): Sportstadt Berlin im Kalten Krieg. Prestigekämpfe und Systemwettstreit. Links, Berlin 2006, ISBN 978-3-86153-399-3, S. 66.