Ruth Blaue - Die Axtmörderin mit dem Madonnengesicht: True Crime
Von Kathrin Hanke
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Über dieses E-Book
Kathrin Hanke
Kathrin Hanke wurde in Hamburg geboren. Nach dem Studium der Kulturwissenschaften in Lüneburg hatte sie das Glück, aus ihrer Leidenschaft, dem Schreiben, ihren Beruf machen zu können. Sie jobbte beim Radio als Redakteurin, schrieb Artikel für Zeitungen, arbeitete als Ghostwriterin und entschied sich schließlich für die Werbetexterei, um ihre Brötchen zu verdienen. Aber sie liebt auch die dunklen Seiten des Lebens und so liest sie genauso gern Kriminelles wie sie es schreibt. Kathrin Hanke lebt nach Stationen in anderen Städten mit ihrer Familie in ihrer Heimatstadt Hamburg und ist Mitglied im Syndikat, der Autorengruppe deutschsprachiger Kriminalliteratur.
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Buchvorschau
Ruth Blaue - Die Axtmörderin mit dem Madonnengesicht - Kathrin Hanke
Zum Buch
Schuldig oder nicht? Schleswig-Holstein im November 1955: Nach nur vier Verhandlungstagen endet der Indizienprozess im Schwurgericht Itzehoe gegen Ruth Blaue mit einem Schuldspruch und dem Strafmaß lebenslange Haft. Gemeinsam mit ihrem Geliebten, der sich jedoch in der Untersuchungshaft durch Suizid den irdischen Richtern entzogen hat, soll sie ihren Ehemann zunächst mit einem Schlafmittel ruhiggestellt und dann durch mehrere Axthiebe den Kopf zertrümmert haben. Ruth Blaue leugnet ihre Schuld bis zu ihrem Tod 1972. Ruth Blaue gilt als charismatische Frau – nicht umsonst hat ihr Geliebter, der Bildhauer und Holzschnitzer Horst Buchholz, unzählige Madonnen mit ihrem Antlitz versehen. Ist eine solche Frau zu einer so blutigen Tat fähig? Gleichzeitig ist sie mit ihrer Vergangenheit als Gelegenheitsprostituierte, einer früheren Verurteilung wegen Betrugs, Urkundenfälschung und Unterschlagung kein unbeschriebenes Blatt. True-Crime-Autorin Kathrin Hanke hat nicht nur den Fall, sondern ebenso das Leben der Ruth Blaue aufgerollt.
Kathrin Hanke schreibt seit über einem Jahrzehnt als freie Autorin erfolgreich Krimis. Bekannt ist sie vor allem durch ihre Heidekrimis rund um das Team des Ermittlerduos Katharina von Hagemann und Benjamin Rehder sowie ihre True-Crime-Bücher. Diese haben die studierte Kulturwissenschaftlerin in die Tiefen von Archiven steigen lassen, um mit fesselnden, wahren Geschichten wieder emporzukommen. Kathrin Hanke ist Mitglied im Syndikat, der Autorengruppe deutschsprachiger Kriminalliteratur, sowie aktiv bei den Mörderischen Schwestern, dem gemeinnützigen Verein zur Förderung der von Frauen geschriebenen, deutschsprachigen Kriminalliteratur.
Impressum
Personen und Handlung sind zu Teilen fiktional.
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(»Text und Data Mining«) zu gewinnen, ist untersagt.
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Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © Landespolizei Schleswig-Holstein
ISBN 978-3-7349-3092-8
Widmung
Für meine Eltern
Zitat
»Die Liebe war eigentlich immer da, vom ersten Augenblick an. Es war eine Liebe ohne die sonst üblichen Spannungen. Sie war etwas Selbstverständliches.«
(Ruth Blaue über ihre Beziehung zu Horst Buchholz, 1955)
Prolog
Die Nacht vom 8.
auf den 9. November 1955
»Dann woll’n wir mal«, sagte Manfred Kahle zu seinem Kollegen und erhob sich. Der Schließer griff nach den Schlüsseln und machte sich auf zu seinem Rundgang. Sein Kollege folgte ihm. Sie hatten sich die Zellen aufgeteilt. Gleich begann im Strafgefängnis Neumünster die Nachtruhe.
Eigentlich war der abendliche Rundgang Routine, doch seit einiger Zeit ging es nicht mehr nur darum, die Insassen in ihre Zellen zu schicken und dort für die Nacht einzuschließen. Einer von ihnen bekam eine Sonderbehandlung. Sein Name war Horst Buchholz. Der junge Mann, der des Mordes beschuldigt wurde und hier bei ihnen in Neumünster auf seine Verhandlung wartete, die für den 14. November am Landgericht in Itzehoe bei der Schwurgerichtskammer angesetzt war, hatte schon einige Male versucht, dieser zu entgehen. Buchholz galt als Selbstmordkandidat und sollte vor sich selbst geschützt werden. Das war die Aufgabe der Wärter und damit heute auch Kahles.
Jedes Mal, wenn Kahle an der Reihe war und er es tun musste, tat der Mann, der inzwischen in Einzelhaft saß, ihm leid. Normalerweise verspürte Kahle nicht solche Regungen, dann wäre er in seinem Beruf falsch und hätte besser Bäcker werden sollen. Warum Horst Buchholz diese weiche Seite in ihm zum Klingen brachte, die er sich sonst nur zu Hause bei seiner Frau und den Kindern erlaubte, wusste Kahle nicht. Und er hinterfragte es auch nicht. Schlicht und ergreifend, weil er solche Gefühlsduseligkeiten in seinem Beruf nicht gebrauchen konnte. Die Insassen waren wie Hunde. Sie verstanden nur eine konsequente und harte Führung, sonst verloren sie den Respekt und bissen die Hand, die sie fütterte. Natürlich nur im übertragenen Sinn, dachte der Schließer jetzt und schüttelte über sich selbst den Kopf. Was er sich auch immer zusammendachte. Buchholz war ein Verbrecher. Ihm sollte nicht umsonst der Prozess gemacht werden. Zudem war es keine Bagatelle, die ihm zur Last gelegt wurde. Buchholz saß hier in der Untersuchungshaft wegen Mord. Mit einer Axt, die er vermeintlich gemeinsam mit seiner Geliebten Ruth Blaue, der Ehefrau des Ermordeten, geschwungen haben sollte. Soweit Kahle wusste, hatte die Staatsanwaltschaft jedoch keine stichhaltigen Beweise, aber das würde sich zeigen und ging ihn als Gefängniswärter sowieso nichts an. Trotzdem machte er sich seine Gedanken. Schließlich war er ja auch nur ein Mensch und soweit er gehört hatte, hatten die Beschuldigten ihre Aussagen immer wieder geändert, weshalb niemand genau wusste, was nun wahr und was falsch war, zumal nur Indizien für das Verbrechen vorlagen und es keine weiteren Zeugen gab. Wahrscheinlich lag die Wahrheit irgendwo dazwischen. So war das ja oft.
Einmal hatte Buchholz nach Kahles Wissen zum Beispiel alles zugegeben: »Ich habe ihm mehrere Schläge mit der Axt auf den Kopf versetzt. Er hat sich nicht mehr gerührt. Nachher sagte Frau Blaue zu mir: ›Nun darfst du nicht den Kopf verlieren!‹«
Dem entgegen sollte Ruth Blaue laut irgendeiner Zeitung gesagt haben: »Für mich war immer mein Mann der Eindringling. Ich wünschte seinen Tod. Ich sagte es Buchholz, der um mich litt wie ich um ihn. Die Entscheidung musste fallen, weil wir alle drei am Ende unserer Kraft waren. Gehandelt habe aber immer nur ich.«
Wie man es auch drehte und wendete, und gleichgültig, wer von den beiden am Ende den Todeshieb versetzt hatte, Buchholz war tief in die Tat verstrickt. Selbst wenn er seiner Geliebten nur beim Wegschaffen des toten Ehemanns geholfen hatte. Dies bedeutete für Kahle wiederum, dass Buchholz trotz seiner Selbstmordversuche kein Sensibelchen sein konnte. Hierin bildete er keine Ausnahme zu den anderen Insassen. Irgendwas hatten sie alle auf dem Kerbholz, selbst wenn es ihnen wie im Fall von Buchholz noch nicht nachgewiesen war. Und trotzdem: Buchholz war einer dieser wenigen Häftlinge, die Kahle in den vielen Jahren als Schließer erlebt hatte, von denen er sich wider besseres Wissen nicht vorstellen konnte, dass sie etwas Verbotenes taten und schon gar nicht mordeten. Mit seinen blonden Haaren, den traurigen Augen und feinen Gesichtszügen erinnerte Buchholz eher an ein Jüngelchen, dem man sagen musste, es solle nicht auf die Herdplatte fassen, weil sie noch heiß sein könnte.
Buchholz sprach nicht viel. Er saß den ganzen Tag in seiner Zelle, mischte sich beim Frischluftgang über den Gefängnishof nicht unter die anderen, wurde im Gegenzug aber auch von diesen in Ruhe gelassen. Vielleicht lag das daran, dass Buchholz so eine tiefe Traurigkeit umgab.
Soweit Kahle wusste, war Buchholz Künstler. Und dann noch ein Liebender. Ob es damit etwas zu tun hatte? Diese Schwermut. Vielleicht war die Tat ja auch im Affekt geschehen. Wenn Liebe mit im Spiel war, war das keine Seltenheit. Natürlich klang schon die Bezeichnung Axtmörder brutal, allerdings war Buchholz Bildhauer, und ein Beil gehörte da sicher auch zu seinen Werkzeugen. Vielleicht war es die naheliegendste Waffe für den Künstler gewesen …
Ein weiteres Mal schüttelte Kahle den Kopf. Jetzt, um seine Gedanken über den Insassen zu verscheuchen. Der Bildhauer ließ ihn nicht los. Kahle konnte mit Kunst nicht viel anfangen. Entweder er fand etwas schön oder eben nicht. Womit er sich jedoch auskannte, waren Menschen, denn er sah viele, und unter ihnen waren auch immer wieder mal Künstler oder solche, die es sein wollten. In der Regel war es so, dass diese einsaßen, weil die Armut sie getrieben hatte, das Gesetz zu brechen, oder sie waren in etwas hineingerutscht, was sie mit sich gezogen hatte. Meist eine Frau. Wie vermeintlich im Fall von Buchholz. Frauen waren nach Kahles Meinung häufig schuld, und er war froh, seine Renate zu haben. Renate war zufrieden mit ihrem Leben, sorgte sich um ihn und ihre drei Kinder und hatte vor allem keine Spinnereien im Kopf. Das war das Wichtigste für eine funktionierende Ehe.
»So, Buchholz, jetzt heißt’s fertigmachen für die Nacht. Du kennst das«, tönte Manfred Kahle, als er nun die Zelle von Horst Buchholz betrat. Der Mann lag bereits auf der Pritsche und nickte ihm gleichgültig zu. Kahle hatte alles mitgebracht, was er benötigte – es war nicht viel –, trat an die Pritsche und Buchholz heran und begann damit, den Insassen zu fesseln. Gerade gestern hatte Kahle in seinem eigenen Bett kurz vor dem Einschlafen darüber nachgedacht, dass er nur schwer in den Schlaf finden würde, wenn er sich nicht drehen und wenden könnte, wie er es in den Federn wollte. Aber er musste es tun. Das Fesseln. Es diente Buchholz zum Schutz vor sich selbst. Darüber hinaus war es eine Weisung von oben, die der Schließer nicht hinterfragen durfte. Und auch gar nicht wollte. Dann hätte er viel zu tun.
Nachdem Manfred Kahle seine allabendliche Fesselungsaufgabe ausgeführt hatte, verließ er die Zelle II/19 und ließ das Licht brennen. Auch dies galt als Sicherheitsmaßnahme, denn normalerweise lagen die Insassen während der Nacht im Dunkeln. Außer Horst Buchholz. Das Licht brannte bei ihm auch nachts durchgehend, damit sie als Wärter mit nur einem Blick durch das Guckloch der verriegelten Zellentür sehen konnten, wie es um den Insassen stand. Das taten sie alle 15 Minuten, womit die sonst übliche Mütze Schlaf im Schließer-Kabuff wegfiel. Obwohl sie sich natürlich abwechselten, um nach Buchholz zu sehen. Doch auch, wenn ein Kollege aufstand und über den Gang zur Zelle schritt, wurde man wach. Bald hatte das hoffentlich ein Ende. Entweder wurde Buchholz freigesprochen, und wenn nicht, käme er in eine andere Verwahrungsanstalt, diese hier war ohnehin nur für den Übergang. Dann konnten Kahle und seine Kollegen wieder zu ihrem normalen Berufsalltag übergehen, ohne befürchten zu müssen, dass der Insasse in Zelle II/19 sein Leben aushauchte.
Horst Buchholz hatte bereits drei Mal Hand an sich gelegt. Glücklicherweise immer ergebnislos. Beim ersten Mal hatte er es mit einer Rasierklinge versucht. Er musste diese bei sich versteckt haben, nachdem sie ihm seine Rasur erlaubt hatten. Oder ein Mithäftling hatte sie ihm zugespielt, sie wussten es nicht. Natürlich hatten sie Buchholz’ Zelle danach komplett auf den Kopf gestellt und ihr alles entnommen, was dem Untersuchungshäftling helfen könnte, sich aus dem Leben zu stehlen. Das hatte den Insassen jedoch nicht von seinem Vorhaben abgebracht, wie sie wenig später erleben sollten, als er sich durch einen Treppenschacht zu Tode stürzen wollte. Als auch dieser Versuch gescheitert war, war Buchholz immer wieder, bis sie ihn stoppten, mit seinem Schädel gegen die Zellenwand gerannt, um ihn zum Bersten zu bringen. Das war erst wenige Tage her. Bis auf einige blutige Wunden und sicherlich enorme Kopfschmerzen hatte der Mann nichts davongetragen. Und nun wurde er nachts gefesselt, damit auch so etwas nicht mehr vorkommen konnte.
Nachdem Manfred Kahle und sein Kollege die Insassen »ins Bett gebracht« hatten, wie die Schließer es hier untereinander nannten, hatten sie beide ihre mitgebrachten Stullen ausgepackt und verdrückt. Dabei hatte Kahle begehrlich auf den dick aufgetragenen Brotbelag des Kollegen geschielt. Dann hatte er es nicht mehr ausgehalten und gefragt: »Hast du da Butter drauf?«
Zwar waren die miesen Zeiten, die sie nach dem Krieg gehabt hatten, vorbei, und so langsam ging es allen wieder besser, dennoch galt zumindest bei Kahle zu Hause Butter noch als Luxus. Seine Frau kaufte nur Margarine und ging auch damit sparsam um.
»Hmm«, hatte sein Kollege genickt, während er sichtlich sein Butterbrot genoss. »Die Schwester meiner Frau hat mit ihrem Mann einen Bauernhof bei Aukrug und versorgt uns gut damit«, hatte er kauend erklärt. Danach hatten sie geschwiegen und sich die Zeitung zum Lesen aufgeteilt. Zwischendurch hatten sie das getan, was getan werden musste, und jede Viertelstunde nach Buchholz gesehen. Jetzt schreckte Kahle hoch – sein Kollege hatte den Stuhl gerückt, um aufzustehen. Anscheinend war er doch kurz eingenickt.
»Ist es schon wieder so weit?«, fragte Kahle noch ziemlich maddelig im Kopf.
Er bekam nur ein Brummeln von seinem Kollegen als Antwort, was so viel wie »Ja« bedeutete, dann schlurfte dieser davon. Auch Kahle stand auf. Er brauchte unbedingt einen Kaffee, damit er die restliche Zeit seines Dienstes einigermaßen überstand. Es war bereits 4 Uhr morgens, lange hatte er nicht mehr bis zum Schichtwechsel. Ein Glück. Er gähnte einmal und streckte sich ausgiebig, dennoch fühlte er sich wie gerädert. Irgendwie war es etwas anderes, wenn man einfach nur eine normale Nachtschicht schob. Ohne so einen lebensmüden Insassen wie Buchholz. Natürlich, auch dann konnte man nicht einfach schlafen, aber diese Anspannung fehlte, denn die machte das Ganze derzeit so anstrengend. Na ja, bald ist das mit Buchholz vorbei. In ein paar Tagen ist sein Prozess, und dann ist seine Zeit bei uns in der Untersuchungshaft gezählt, sagte sich der Schließer nicht zum ersten Mal und setzte sich wieder bequem auf seinem Stuhl zurecht. Der dampfende Kaffeebecher stand vor ihm, und allein sein Duft weckte wieder ein paar Lebensgeister in Kahle. In diesem Moment kam sein Kollege zurück, verkündete »Alles ruhig. Er liegt auf seiner Pritsche und pennt«, und setzte sich Kahle gegenüber.
»Lust auf ein Spielchen?«, fragte er dann und zückte bereits die Karten. Kahle nickte. Warum nicht? So ein bisschen Karten kloppen hielt gut wach, und vielleicht konnte er seinem Kollegen ein paar Kröten aus der Tasche ziehen.
Während des Spiels behielt Kahle die ganze Zeit über die Uhr im Blick. Die Weisung der Gefängnisleitung war deutlich gewesen – keine Sekunde später als stets nach 15 Minuten sollte nach Buchholz gesehen werden – und der Schließer wollte sich nichts zuschulden kommen lassen. Jetzt war es bereits 4.14 Uhr. »Ich muss, bin gleich wieder da«, sagte Kahle deswegen zu seinem Kollegen, deutete mit seinem Kinn Richtung Uhr und erhob sich, während er sein Kartenblatt auf den Tisch legte. Inzwischen war es 4.15 Uhr. Um 4.17 Uhr sah Kahle durch das Guckloch von Zelle II/19 und erstarrte. Zunächst brachte er keinen Ton heraus, dann schluckte er schwer und begann über den Trakt nach seinem Kollegen zu brüllen, während er bereits die Zelle aufschloss und an die Pritsche eilte. Dort blieb er abrupt stehen und schluckte ein weiteres Mal. Vor ihm lag reglos Horst Buchholz, der ihn aus gebrochenen Augen anstarrte. Manfred Kahle musste sich nicht erst überzeugen, dass der Mann tot war. Was er sah, bereitete selbst ihm, der sich für hart gesotten hielt, Gänsehaut: Das Gesicht von Buchholz war wachsweiß und stand im grausigen Kontrast zum Hals, der rot von Blut war, genauso wie das Bettzeug und der Boden um die Pritsche herum. Kahle blickte an sich herunter auf seine in schweren Schuhen steckenden Füße – er stand mitten in einer blutigen Lache. Ihm wurde übel und er musste sich abwenden, damit er sich nicht übergab. In diesem Moment kam sein Kollege, blieb kurz im Türrahmen stehen, stieß ein »Ach, du Scheiße« aus und verschwand sofort wieder. Sicherlich, um den Anstaltsarzt zu alarmieren.
Erneut wandte Kahle sich der Pritsche zu. Wie konnte das passiert sein? Hatte er Buchholz am Abend zur Nachtruhe nicht ordentlich gefesselt? Hatte der Insasse sich befreien können, um sich dann die Halsschlagader aufzuschneiden? Aber womit? Sie hatten seine Zelle doch von allen gefährlichen Gegenständen gesäubert. Und auch alle möglichen Verstecke überprüft. Und das nicht nur einmal. Vor allem, als Buchholz versucht hatte, sich mithilfe der Rasierklinge zu töten, hatten sie die Zelle auf links gedreht und kein mögliches Tötungswerkzeug in ihr gefunden. Und auch ihn selbst hatten sie immer wieder durchsucht, wenn er zum Beispiel aus der Dusche gekommen war und mit anderen Insassen in Kontakt getreten sein konnte, die ihm