Die Prinzessin der Lilien: Die Geschichte der Schülerinnen von Himeyuri
Von M.P. Anderfeldt
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Über dieses E-Book
Die Amerikaner kommen, mit unzähligen Schiffen, Panzern und Soldaten, doch die japanischen Verteidiger sind wild entschlossen, die Insel nicht dem Feind zu überlassen.
Die Mädchen geraten in die verlustreichste und vielleicht grausamste Schlacht des zweiten Weltkriegs. Eine wahre Geschichte.
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Buchvorschau
Die Prinzessin der Lilien - M.P. Anderfeldt
Himeyuri
Die private Mädchen-Oberschule von Okinawa wurde im Jahr 1900 gegründet. 1907 erschien zum ersten Mal die Schülerzeitschrift Otohime (nach der gleichnamigen mythologischen Prinzessin).
1916 wurde eine allgemeinbildende Volksschule neben die Mädchen-Oberschule verlegt. Dort gab es eine Informationsbroschüre mit dem Namen Shirayuri (»weiße Lilie«). 1927 erschien die erste Ausgabe der neuen Schülerzeitung Himeyuri (»Lilienprinzessin«).
Um 1940 hatte sich für beide Institute der Name Himeyuri-Schule etabliert. Sie galten als Elite-Schulen für die behütet aufwachsenden Töchter reicher und angesehener Familien.
Die meisten Schülerinnen wollten später Lehrerinnen werden. In einer Zeit, als die die meisten Kinder nur wenige Jahre Schulbildung genossen, waren Schulen, welche Mädchen bis etwa zum Alter von 19 Jahren unterrichteten, absolute Ausnahmeerscheinungen.
Verzeichnis der wichtigsten Personen
Miyako - 18-jährige Schülerin der Himeyuri-Oberschule, Protagonistin des 1. Teils. Ihr Vater kommt aus Japan, ihre Mutter aus einem Dorf auf Okinawa.
Kikuko - 19-jährige Schülerin, stammt aus Tokio und lebt erst seit Kurzem auf Okinawa. Ihr Vater hat einen hohen Rang beim Militär, er ist Kapitän eines Kriegsschiffs.
Yoshiko - 18-jährige Schülerin und beste Freundin von Miyako.
Taira - etwa 50-jährige Frau aus Okinawa, die in der Küche des Militärhospitals arbeitet.
Suzuki - einzige Krankenschwester in der Höhle, ca. 30 Jahre alt.
Tomi - 16-jährige Schülerin der Himeyuri-Oberschule, stammt aus dem gleichen Dorf wie Miyakos Mutter.
Otohime - seltener auch Toyotama genannt, mythologische Prinzessin, Tochter des Meeresgottes Ryujin. Sie kann sich in eine Schildkröte verwandeln oder in einen Wani (ein riesiges Krokodil)
Japanische Namenszusätze
-san - formelle Namensendung, entspricht etwa dem deutschen »Herr« oder »Frau«
-kun - etwas vertrauliche Namensendung, üblich unter Kollegen und gegenüber Jungen
-chan - Koseform, verwendet gegenüber sehr guten Freundinnen oder bei kleinen Mädchen
-neechan - Koseform, wörtl. »große Schwester«, wird aber nicht nur gegenüber Verwandten benutzt
0
Obwohl es erst Februar war, brannte die Sonne schon heiß vom Himmel auf die gut 200 Mädchen, die in Reih und Glied im Schulhof angetreten waren. In den vorderen Reihen standen die älteren Schülerinnen, die stolz ihre strahlend weißen Matrosenuniformen trugen, weiter hinten die jüngeren mit ihren grauen und schwarzen Schuluniformen.
»Ihr wisst«, rief der Direktor mit kräftiger Stimme, »dass der Krieg in eine entscheidende Phase getreten ist. Während die kaiserlichen Truppen unseres geliebten Heimatlandes von Sieg zu Sieg eilen, hat der Feind eine besonders perfide Strategie ergriffen«, er hielt inne und fuhr dann fort: »Anstatt sich unseren Soldaten im Feld der Ehre zu stellen, greift er feige Zivilisten an, tötet Alte, Frauen und Kinder. Zerstört Wohnhäuser, Krankenhäuser und … Schulen.« Er machte er eine kurze Pause, um seinen Zuhörern Gelegenheit zu geben, die Ruinen der Schule hinter ihm zu betrachten. Jedes der Mädchen erinnerte sich noch an den schrecklichen Bombenangriff im Oktober, der neben weiten Teilen der Hauptstadt Naha auch ihre Schule verwüstet hatte. Seitdem fand der Unterricht in behelfsmäßig errichteten Baracken statt.
Soweit man überhaupt noch von Unterricht sprechen konnte, denn immer häufiger wurden die Mädchen in »kriegswichtigen Tätigkeiten« unterrichtet: Sie mussten auf Hausdächer klettern und Eimerketten bilden, um das Feuerlöschen zu üben, sie marschierten über den Schulhof und wieder und wieder wurde ihnen beigebracht, wie man mit dem Speer kämpft oder Handgranaten wirft.
»Aber wir werden den Teufeln zeigen, dass wir sie auch hier schlagen können. Sie werden bald erfahren, was es heißt, sich mit dem göttlichen Japan anzulegen!«
Er blickte in die Runde und fuhr fort: »Ich bin stolz, dass ihr euch bereit erklärt habt, als Hilfskrankenschwestern unsere tapferen Soldaten zu pflegen. Major Nishiyama möchte ein paar Worte an euch richten.«
Der Direktor trat zur Seite und ein Soldat trat ans Rednerpult. Miyako kannte sich mit Rangabzeichen nicht aus, aber sie sah, dass er ein Katana trug und sie wusste, dass nur Offiziere ein Schwert tragen durften. Das hatte ihr Vater ihr erzählt. Der Major war schon älter und mit seiner straffen, perfekt sitzenden Uniform und dem gepflegten, schmalen Schnurrbart glich er den Generälen, die Miyako aus der Zeitung und aus dem Kino kannte. Ein echter Herr, da war sie sich sicher. So ein Mann würde keine Zivilisten angreifen. Nach seinem Sieg würde er die gefangenen Feinde gewiss so großmütig behandeln, dass sie sich für ihre Untaten schämten und zerknirscht um Verzeihung bitten würden.
Sie dachte an Ihren eigenen Vater, der in Birma das japanische Mutterland verteidigte. Hoffentlich ging es ihm gut. Sie konnte sich noch gut erinnern, wie er das letzte Mal zu Besuch zu Hause war. Sie hatte ihn gefragt, wie lange der Krieg noch dauern würde und er hatte sie ganz komisch angesehen. Dann hatte er sie gebeten, auf ihrer Weltkarte die USA zu suchen und mit Japan zu vergleichen. Sie musste natürlich zugeben, dass Amerika viel größer war. Sie hatte sich geärgert und geantwortet, dass die japanischen Soldaten die besten der Welt seien und noch nie im Kampf besiegt worden waren. Ihr Vater hatte sie spöttisch gefragt, ob sie so etwas in der Schule lernten. Im Übrigen, fügte er hinzu, fürchte er weniger die amerikanischen Soldaten als vielmehr die amerikanische Industrie. Kein Land könne sich mit der Macht der amerikanischen Industrie messen. Außerdem fühlte er sich nicht als bester Soldat der Welt und sei froh, dass er einen Posten als Zahlmeister bekommen hätte. Ein wenig schämte sich Miyako für den Zynismus ihres Vaters. Zum Glück ahnte niemand, wie er zu Hause sprach.
Sie sah zu Kikuko, die in der ersten Reihe stand. Ihr Vater war ganz anders. Er war Kapitän auf einem Kriegsschiff und Miyako hatte ihn einmal in seiner weißen Uniform gesehen. Groß war er gewesen, braun gebrannt und er hatte sich mit einer unglaublich selbstsicheren Geschmeidigkeit bewegt. Miyako konnte sich gut vorstellen, wie er mitten in einem schweren Sturm unbewegt auf der Brücke seines Schiffs stand und mit ruhiger Stimme Befehle gab. Wie stolz Kikuko neben ihm spaziert war, als er zu Besuch auf Okinawa gewesen war. Sicher hatte sie die ehrfürchtigen Blicke genossen. Vielleicht, dachte Miyako resigniert, vielleicht hat Kikuko die Schneidigkeit auch geerbt – wie sie da stand, so völlig ruhig und kein einziger Schweißtropfen sich an ihrem Nacken bildete … Ihr Vater war eben nur ein Kaufmann …
Die Stimme des Offiziers holt Miyako zurück in die Gegenwart. »Mädchen von Okinawa! Euer Direktor hat mir berichtet, dass ihr euch freiwillig für diesen Dienst gemeldet habt. Der Feind kann uns nichts anhaben, solange wir fest zusammenstehen. Unsere Truppen haben die schöne Insel Okinawa zu einer uneinnehmbaren Festung ausgebaut. An diesen Felsen werden die Amerikaner zugrunde gehen. Lang lebe der Kaiser! Lang lebe Japan!«
Daraufhin trat er zurück und Soldaten im Hintergrund, die Miyako nicht sehen konnte, riefen: »Banzai! Banzai! Banzai!«
Die Mädchen stimmten mit ein, teils unsicher, teils begeistert. Beim dritten Banzai jubelte Miyako auch mit und warf ihre Arme nach oben. Jetzt bin ich schon fast ein richtiger Soldat, dachte sie lächelnd.
Teil I
1
Noch bevor sie etwas sah, roch sie die Mischung aus Schweiß, Blut, Erbrochenem, Urin und Fäkalien. Keine fünf Schritte vom Eingang entfernt war die Luft schon zum Schneiden dick. Noch nie in ihrem Leben hatte sie einen derartigen Gestank erlebt. Nur langsam gewöhnten sich Miyakos Augen an die Dunkelheit in der Höhle – während draußen die Sonne hoch am Himmel stand und die Augen vor Helligkeit schmerzten, war im Innern alles in braunes Zwielicht getaucht.
Dieser nur provisorisch aus dem Felsen geschlagene Grotte entsprach nicht dem, was Miyako sich vorgestellt hatte, als sie sich als Hilfskrankenschwester für das »Okinawa Militärhospital« gemeldet hatte. Der Raum war Teil eines Komplexes natürlicher und künstlicher Höhlen. Es war geplant gewesen, sie im Innern miteinander zu verbinden, dann hätte die Luft zirkulieren können, aber die Zeit hatte nicht ausgereicht. Zu schnell waren die Amerikaner da gewesen und die Arbeiter wurden anderswo gebraucht, um Befestigungen auszuheben. So stand die Luft in der Höhle und es stank schon wenige Schritte vom Eingang entfernt unerträglich. Miyako atmete tief durch. Natürlich musste sie erst einmal husten.
»Daran wirst du dich gewöhnen, Kleine!« Miyako erschrak, als sie direkt neben sich einen Mann auf einer Liege erblickte. Er trug die Uniform der kaiserlichen Truppen und grinste sie frech durch seine Zahnlücken an.
Erschrocken wich sie zurück und trat dabei auf die Hand eines anderen Mannes, der zusammengesunken auf dem Boden saß.
»Pass doch auf«, rief er ärgerlich. Miyako entschuldigte sich sofort mit einer tiefen Verbeugung, doch der Mann sah demonstrativ weg. Um seine Stirn war ein Verband gewickelt, der eines seiner Augen bedeckte. Auch er trug die braune Uniform.
Der erste Soldat winkte ab: »Nimm den nicht ernst, Kleine. Sag mal, wo kommst du denn her?«
Miyako schlug die Augen nieder. Sie war es nicht gewöhnt, dass ein Mann sie ansprach – und dann noch in einem derart vertraulichen Ton. Mit fester Stimme antwortete sie: »Wir haben die Ehre, als Hilfskrankenschwestern von der Himeyuri Oberschule auszuhelfen.«
»Dachte ich mir, dass du so eine bist. Na dann: Willkommen, Lilienprinzessin.« Wieder lachte der Mann.
»Willkommen in der Hölle«, rief ein anderer Mann, den Miyako nicht sehen konnte, weil es zu dunkel war. Diesmal lachte niemand.
Da sie nicht wusste, was sie tun sollte, verbeugte sie sich und hastete weiter. Überall lagen und saßen verwundete Soldaten, die meisten still, einige wimmerten vor sich hin. Vorsichtig und unter vielen Verbeugungen stieg sie über sie hinweg und bahnte sich ihren Weg nach hinten.
Obwohl hin und wieder eine Kerosinlampe an der Decke hing und schummriges Licht verbreitete, konnte sie kaum die Gesichter der Männer ausmachen. Sie spürte die Blicke auf sich ruhen und so mancher machte eine Bemerkung, von der sie genug verstand, um sie lieber zu überhören. Zwischen den Patienten sah sie andere Mädchen herumschleichen. Im Halbdunkel wirkten sie wie Geister.
Am Ende der Höhle war eine Sperrholztür in einen Seitengang eingepasst. Mit Kreide stand darauf geschrieben: »Chirurgie I«. Zögerlich klopfte Miyako. Als keine Antwort kam, klopfte sie nochmals, diesmal energischer.
Jemand riss von innen die Tür auf. Es war Schwester Suzuki. »Endlich! Wo hast du nur so lange gesteckt?«
»Ich - es gab einen Luftangriff und …«, stotterte Miyako, doch