Gegen das Licht: Eine nächtliche Erzählung
Von Kenneth Grant
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Über dieses E-Book
Innerhalb der Familie Grant gibt es ein wohlbehütetes Familiengeheimnis: Es soll ein Grimoire existieren, das die Pforten in jenseitige Bereiche aufstößt und Kontakt zu den dortigen Bewohnern ermöglicht. Der Autor macht sich zusammen mit dem Medium Margaret Leesing daran, die eigene Familiengeschichte in Séance-Sitzungen zu erforschen.
Und er wird fündig: Er entdeckt ein Familiengeheimnis, dessen Ursprung im Jahre 1588 in den Wäldern von Rendlesham Forrest liegt und das die weiteren Schicksale der Familienmitglieder zu bestimmen scheint. Zudem gelangt er tatsächlich in den Besitz des geheimnisumwitterten Grimoire mit all seinen unheimlichen Zauberkräften. Schon bald kommt es zur Begegnung mit den cthulhu’schen Wesen aus anderen Welten, die sich in ihrer ganzen, grotesken Andersartigkeit präsentieren.
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Buchvorschau
Gegen das Licht - Kenneth Grant
lassen.
1. TEIL
DAS
G
RIMOIRE
„Gegen das Licht gehalten", so schlug er vor,
„ergibt sich ein ganz anderes Bild."
2. Teil, 4. Abschnitt
1.
In den historischen Überlieferungen gibt es über Margaret Wyard keine anderen Aufzeichnungen als die Tatsache, dass sie aufgrund von Hexerei im Jahre 1588 hingerichtet worden war. Die Ereignisse ihrer Geburt und frühen Kindheit hinterließen keine auffindbaren Spuren, dafür brannte sich jedoch das gewaltgeprägte, emotionale Trauma ihrer Hexenkult-Initiation als Erinnerungsbild tief ins Astrallicht ein.
Eine der ersten Séancen brachte die Tatsache ans Licht, dass Margaret zu dieser Zeit – sie war etwa zwölf Jahre alt – umgetauft wurde zu Awryd, einem offensichtlichen Anagramm von Wyard. Sie war ein zur Panik neigendes, dabei zugleich jedoch auch aufgewecktes Kind; ihre Züge deuten auf Erfahrungen hin, die weit über ihr Alter hinausgingen. Der Initiationsritus wurde in den schattenhaften Ausdünstungen eines Waldes durchgeführt, der durch die dampfenden Sümpfe verschwommen wirkte. Ihr Mentor war über die See-Marschen in Dunwich gekommen, dem nächstgelegenen Eintrittspunkt für jene, deren Ziel es ist, sich in Menschengestalt zu verstecken. Auf dem Höhepunkt des Ritus wurde das Mädchen nicht nur vollständig aus ihrem Körper ausgestoßen, sondern ab diesem Zeitpunkt schlief sie. Ein Kind hatte den Wald betreten, was jedoch herauskam, konnte die Hellseherin nicht beschreiben. Durch ihre Kristallkugel sah Margaret Leesing viele, die so wie das Mädchen waren. Sie drängten sich im Wald als weißlicher, sich ringelnder Nebel, in dem sich stumm ihre Gesichter wanden und immer substanzloser wurden, um dann schließlich mit den Marschen zu verschmelzen. Awryd aber blieb zurück. Sie wurde nicht von dem Kraftwirbel aufgenommen, und es war unmöglich zu erraten, was aus ihren weniger sterblichen Überresten wurde – bis ich das Grimoire entdeckte.
2.
Ein Raum – groß und verschwenderisch eingerichtet mit Büchern, Gemälden und Abbildungen. Onkel Phin spricht mit einem hageren Individuum, während er vor einem lodernden Feuer sitzt. Durch das Westfenster versinkt eine schwächliche Sonne hinter nebelverhangenen Hügeln. Auf einem achteckigen Tischchen liegt ein Buch, eingebunden in see-grünes Leder.
Die Kristallkugel war völlig klar. Ich konnte sehen, dass Margaret Leesing mit dem „Empfang" zufrieden war. Mein Blick wurde in deren Tiefen gezogen, hin zu einem großen, schwarz-gerahmten Gemälde, das an die Alptraumwelten eines Sime oder M’Calmont erinnerte. Das Bild zeigte ein offenes Fenster, das den Blick auf die Waldszene erlaubte, in der die Initiation stattgefunden hatte. Im Hintergrund loderten grelle Flammen; im Vordergrund zeichnete sich eine aufgeblasene Figur ab, aus deren Augen grünlicher Dampf ausströmte. Phineas Black schien in diese Dämpfe eingehüllt und sein Gefährte wirkte, als wäre er in Wasser eingetaucht, das von einer starken Strömung aufgewirbelt wurde. Ihre Konversation klang dumpf, als wenn sie aus einem tiefgelegenen Ort heraufschallte, sehr weit weg …
Als ich noch einmal genauer hinsah, erschienen der Raum und die Anwesenden wieder normal.
„Aber ich sage dir, Phin, Aleister hat die Witterung aufgenommen!"
Gregor deutete auf das Bild hinter seinem Stuhl: „Wenn sie jetzt hier wäre, fügte er hinzu, „könnte sie uns sagen, wo sie es versteckt hat.
Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf die Sprecher und vermied dabei Sichtkontakt mit dem Bild. Die Gleichgültigkeit meines Onkels gegenüber dessen ungewöhnlichen Qualitäten verwunderte mich. Nicht einmal der wirbelnde Nebel entlockte ihm einen Kommentar. Er trug dieses halb-verrückte Grinsen zur Schau, an das ich mich so gut erinnern konnte. Mit Gewalt musste ich mir ins Gedächtnis rufen, dass beide Männer schon lange tot waren und dass auch Aleister Crowley, auf den Gregor sich bezogen hatte, bereits vor vier Jahrzehnten verstorben war.
Onkel Phin nahm das Buch in die Hand und der Raum verdunkelte sich plötzlich.
Laut las er vor:
Über alle Zweifel erhaben wurde von mir bewiesen, dass in der Dunkelheit der Vergreisung ein Schlüssel zum früheren Leben verborgen liegt. Im gewöhnlich Sterblichen liegt er in der Bilderwelt der Kindheit verborgen, aber diese Bilder sind nur Masken. Unter ihnen liegt ein Mysterium, das nicht die Vergangenheit betrifft, sondern die Zukunft …
Er machte eine Pause und Gregor antwortete: „Ich war schon immer von dem Mysterium der Kindheit fasziniert; dessen Unschuld ist eine Fassade. Als Kinder erblickten wir eine geheime Welt, die wir – wenn wir uns erinnern – wieder sehen können; und wir können sie auch wieder erfühlen, wenn wir sehr ruhig, sehr still sind; dann erleben wir ein Gefühl von Zeitlosigkeit."
„Das liegt daran, erwiderte Dr. Black, „dass die Seele außerhalb der Zeit existiert. Hör mal, der Autor dieses Buches kennt auch jenes Geheimnis:
Falls wir jedoch im späteren Leben den Schlüssel nicht entdecken können – sollten wir ihn dann nicht durch jemanden suchen lassen, der noch unverbraucht ist, jungfräulich wie das Morgenlicht bevor die Dämmerung die Sicht in die verfälschenden Nebel der sterbenden Tage hüllt?
Er schaute seinen Vetter intensiv an und endete dann mit den Worten:
„Und noch an der Schwelle zum Frausein kannte sie diese zeitlose Zone und wusste, wie man sie betritt. Sie besaß die Schlüssel und versteckte sie in Symbolen."
„Das stimmt", antwortete Gregor, „aber wo hat sie das Buch versteckt?"
Ein Ausdruck, den ich nicht interpretieren konnte, begleitete den Blick meines Onkels: „Was würdest du sagen, wenn ich dir erzähle, dass ich es gefunden habe?", fragte er.
Draußen gab es plötzlich ein Geschrei. Die beiden Männer drehten sich gleichzeitig um, als wollten sie durch das offene Fenster schauen, das der Künstler gemalt hatte. Die Frage blieb unbeantwortet. Ein stärker werdender Klang durchdrang das Zimmer. Ich starrte zunächst widerstrebend auf das Bild. Ein Sturm braute sich im Wald zusammen; Gewitterblitze zuckten über den Bäumen, die in einer heftigen, vom Meer her wehenden Windströmung wogten. Der Strahl des Leuchtturms in Orford, jenseits von Rendlesham, durchstach die Dunkelheit und machte Gestalten sichtbar, die zwischen den Pinien in einer unheimlichen Prozession dahin zogen. Ich wurde an eine Szene mit Druiden erinnert, die Austin Spare gemalt hatte, und plötzlich klickte etwas in meinem Gedächtnis. Spare hatte genau das gesehen, was auch ich jetzt beobachtete. Irgendwo in einem schattigen Wald hatte dieser Künstler der Nachtseite die gleiche Andeutung dieses spektralen Lebendig Werdens eingefangen. Ich hörte entferntes Glockengeläut; dumpf, wie unter Wasser. Es erinnerte mich an die Legenden über Alt-Dunwich, über versunkene Glocken und eine Küstenlinie, die Jahr für Jahr weiter in dem aufgewühlten Ozean versank, der an diese alte Stadt mit ihrer einst von den Templern genutzten Abtei angrenzte. Das Geräusch gab mir ein vages Gefühl, dass hier etwas eingefordert wurde, und zwar von etwas, das so „anders" war, dass es sich nicht beschreiben ließ …
Etwas versuchte, durch das Fenster hineinzugelangen. Hände hielten den Rahmen gepackt. Die Finger waren nicht menschlich, trugen Schwimmhäute. War es möglich, dass die beiden Männer das nicht sahen, etwa weil sie ein anderes Bild erblickten, anstelle von jenem, das ich sah? Sie waren voller Bewunderung dafür, während ich mich voller Furcht zusammenkrümmte. Ich wollte sie darüber warnen, dass die Mädchen-Maske eine Lüge war. Sahen sie denn nicht die Augen, die in den Raum starrten? Ich schrie Margaret an, die Sitzung zu beenden.
Erst in diesem Moment wurde mir bewusst, dass auch ich etwas gesehen hatte. Das war noch bei keiner früheren, gemeinsamen Séance geschehen. Margaret befand sich in einem tiefen, magnetischen Schlaf, aber ihre Hand zog – wie als Antwort auf meine Bitte – eine Seidenabdeckung über die Kugel. Ihr Körper erschauerte. Ich trug auf ihre Stirn, die Handflächen und die Fußsohlen die gelbliche Salbe auf, die sie normalerweise verwendete, wenn sie aus einer Trance zurückkehrte. Ein stechender Schmerz sprang von ihrem Körper auf mich über. Weil sie eine Injektion mit dem Hexenblut erhalten hatte, teilte ich jetzt ihre Visionskraft. Der Gedanke verursachte mir Panik. Ich hatte eine Verbindung hergestellt, die vielleicht so lange Bestand haben würde, wie das Fleisch existierte, vielleicht sogar noch länger. Margaret kehrte sehr langsam aus der Trance zurück und war sich zunächst offensichtlich nur ihrer unmittelbaren Umgebung bewusst.
3.
In Anbetracht dieser Sachlage entschied ich mich, von allem Abstand zu nehmen. Ich machte mir vor, dass ich Angelegenheiten zu regeln hätte, die dringender waren als die Nachforschungen zur Geschichte von Awryd. Gegenüber Margaret Leesing empfand ich aufrichtige Besorgnis. Ich konnte kaum von ihr erwarten, dass sie sich meinetwegen weiter solch großen Risiken aussetzte. Deshalb schlug ich einen Urlaub vor; danach würden wir getrennter Wege gehen. Ein Freund von mir hatte vorübergehend seinen Bungalow in Glamorgan geräumt, nicht weit von der Küste entfernt. Das Meer erschien verlockend und die Wettervorhersage drohte London mit einem stickend heißen Sommer. Noch vor Beginn der Ferienzeit verließen wir die Stadt.
Mehrere Tage erwähnte keiner von uns die Sitzung. Eines Nachmittags dann, als eine zu starke Windströmung vom Meer her uns die Aussicht auf Entspannung am Strand verdarb, wandten wir uns dem Umland zu. Ich kannte die örtlichen Gegebenheiten sehr gut, denn ich hatte die Umgebung in meiner Kindheit seit 1927 während der Ferien immer mal wieder besucht. Wir spazierten in Richtung Ewenny und der Sanddünen von Candleston. Die Ruine eines Landhauses, das von Reiseführern fälschlicherweise als „Burg beschrieben wurde, schmiegte sich in eine Einöde aus stacheligen Gräsern und Kiefern. Es war ein Tag, den Machen als einen „Tag des Schleiers
beschrieben hätte: die Sonne, die einen leichten Dunstschleier niemals so ganz durchdringen konnte, strahlte mit dem weißen Glanz erbarmungsloser Hitze auf die Dünen. Wir aßen Sandwiches und erfrischten uns mit Bier aus der Dose. Danach schlief Margaret ein und ich spazierte zu der Ruine. Ich betrat sie, während ich mich an die längst vergangenen Tage erinnerte, als ich noch als Junge in den ersten Stock geklettert war und mich dort oft auf einen Querbalken gesetzt hatte. Der Balken war überraschend wenig verwittert; war vielleicht ein bisschen weniger massiv, ein wenig stärker verrottet. Durch die Löcher in der Wand schaute ich hinaus auf die Dünen. Sie rollten immer noch auf das Meer bei Ogmore zu, mit dessen tatsächlicher Burg, die jetzt wenig mehr als eine äußere Hülle darstellte, nachdem der Zahn der Zeit neunhundert Jahre an ihr genagt hatte.
Unter mir sah ich Margaret, die sich vorsichtig ihren Weg durch das verfallene Gemäuer bahnte. Ich rief nach ihr, doch sie antwortete nicht. An ihren Bewegungen war etwas Seltsames, das darauf hindeutete, dass sie noch nicht ganz wach war. Das alarmierte mich, weil sie sich normalerweise eine strenge Selbst-Disziplin auferlegte, wenn es um Trance-Arbeit ging. Steif kam sie auf mich zu, dann verschwand sie plötzlich unter einem Gewölbebogen, der zum baufälligen Hauptsaal führte. Sie wandte sich nach links, dann zögerte sie, offensichtlich verwirrt. Ihre Augen wirkten glasig; ihre Züge glichen einer Maske, die in der schwarzen Leere über der Grube zu ihren Füßen hing. Sie stand gefährlich nahe am Rand der Krypta. Noch einmal rief ich nach ihr. Ich würde sie nicht rechtzeitig erreichen, um sie zurückhalten zu können – nichts konnte ihren Sturz auf die Trümmerbrocken unter ihr verhindern. In meiner Aufregung löste ich einen Teil der Wand ab, in dem der Balken eingebettet lag, der mich getragen hatte und ein großes Fragment rutschte hinunter in das Loch. Es folgten ein heraufbrandendes Geräusch und eine Staubsäule, die in einem plötzlichen Strahl von Sonnenschein glitzerte. Eine fliegende Gestalt kreiselte in unseren Sichtbereich und setzte sich auf Margarets Scheitel; dabei kreischte das Wesen schrill.
Das Sonnenlicht nahm ab. Ich werde niemals die panische Margaret vergessen, die an dem Ding in ihrem Haar riss, während sich leuchtende Tentakel wie ein Helm um ihren Kopf klammerten und dann begannen, in ihren Schädel einzudringen. Ihre Schreie waren abstoßend. Unter Aufbietung aller Kräfte schleuderte sie das blutverschmierte Ding zurück in die Grube, dann sank sie bewusstlos an der Kante in sich zusammen. Völlige Stille umgab uns.
4.
Wir nahmen unsere Reisen zum Strand wieder auf, aber Margaret hatte sich verändert. Verständlicherweise hatten sie die Blutflecken auf ihrer Kleidung und die gleichzeitige Abwesenheit von Schnitten oder Blutergüssen auf ihrem Körper verwirrt. Und obgleich ihr Kopf einige üble Kratzer aufwies, konnte sie sich doch das viele Blut nicht erklären. Ich erzählte ihr, sie wäre von einem Vogel angegriffen worden, der nach langer Einmauerung aufgestört worden war. Ich erzählte ihr nichts über die widerwärtige Gestalt dieses Dinges und über das merkwürdige und glitzernde Licht, das in ihren Schädel eingeströmt war.
Während des restlichen Urlaubs blieb Margaret gedankenverloren. Wir führten keine unbeschwerten Gespräche mehr. Ich begann an ihr etwas zu bemerken, was ich nur als eine sinnliche Neugierde mir gegenüber beschreiben konnte, die sie fortwährend zu befriedigen versuchte. Einmal manifestierte sich diese Neigung in einem spielerischen, amourösen Angriff, in dessen Verlauf sie mich heftig in mein linkes Ohrläppchen biss. Das bereitete mir Sorgen, nicht wegen des Unbehagens oder weil es eine Art Zuneigung offenbarte, von der ich wusste, dass sie sie mir gegenüber nicht empfand. Sondern weil ich aus diesem Ohrläppchen das Blut bezogen hatte, das ich ihr zur Kontaktherstellung mit Awryd gegeben hatte. Diesmal entströmte eine ganz