Der Kolonialismus: Geschichte der europäischen Expansion
Von Ludolf Pelizaeus
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Buchvorschau
Der Kolonialismus - Ludolf Pelizaeus
Cover
Über den Autor
Über den Autor
Dr. Ludolf Pelizaeus ist Hochschuldozent am Historischen Seminar der Johannes Gutenberg Universität Mainz. Studium der Geschichte, Kunstgeschichte und Deutschen Volkskunde / Kulturanthropologie in Freiburg, Würzburg, Mainz, Dijon und Salamanca, zuletzt Visiting Fellow an der National University of Ireland in Galway. Er hat besonders zur Geschichte der Habsburgischen Länder, der Iberischen Halbinsel und Lateinamerikas gearbeitet.
Zum Buch
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Thema dieses Bandes ist die Kolonisierung als Vorläufer der Globalisierung. Ausgehend von Italien wurden zunächst Spanien und Portugal in der europäischen kolonialen Expansion aktiv, dann aber auch England, die Niederlande und Frankreich. Da die Versuche Brandenburg-Preußens scheiterten, wurde das Deutsche Reich erst am Ende des 19. Jahrhunderts zu einer Kolonialmacht. Zunächst werden in einem Überblick Entstehung und Wachsen der Kolonialreiche bis zu ihrem Ende beleuchtet, wobei der Bogen von den Hintergründen für ihre Begründung im späten Mittelalter bis zur Dekolonisation im 20. Jahrhundert gespannt wird. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Frühen Neuzeit. Das breit gefächerte Thema gibt nicht nur Einblick in Abläufe und wirtschaftliche Verflechtungen, sondern nimmt auch Einzelschicksale und ausgewählte Quellenzeugnisse ebenso in den Blick wie Rückbezüge auf die Kultur, Küche und Musik Europas.
Haupttitel
Ludolf Pelizaeus
Der Kolonialismus
Geschichte der europäischen Expansion
marixverlagImpressum
Inhalt
Über den Autor
Zum Buch
Vorwort
Einleitung
1. Grundlagen, Definition und Epochengrenzen
Grundlagen, Verständnis und Grenzen des Kolonialismusbegriffs
Typen von Kolonien
Die Epochen des Kolonialismus
2. Die Vorläufer: Entwicklung des Kolonialismus in der Antike und im Mittelalter
Die griechischen und römischen Kolonien
Die Kolonien Genuas und Venedigs im Mittelalter
3. Die Bedingungen: Der Beginn der umfassenden europäischen Expansion nach Übersee
Die Vorstellungen von Asien im Mittelalter
Die Parler, von Eyck und das burgundische Erbe
Eric der Rote und die ersten Fahrten nach Amerika
Die Fahrten der Gebrüder Vivaldi und Lancelotto Malocellos an der afrikanischen Küste
Die wirtschaftliche Interessenslage in Asien vor 1450
Der Beginn der portugiesischen Expansion im Atlantik
Die Einigung der spanischen Königreiche im europäischen Vergleich
Reconquista und Conquista: Die Eroberung Granadas und die Politik gegenüber Juden und Moslems in Spanien als Vorspiel für Amerika
4. Kulturkontakt und mediale Darstellung
Das Zusammentreffen der Sprachlosigkeit
Die Begegnung in Cajamarca
Die Sicht des »Türken«
John Derricke: Image of Irelande
5. Afrika und Asien
Die portugiesische Expansion in Afrika, Indien und Asien
Kapital als Mittelpunkt: Die englisch-niederländische Stützpunktgründung
Die Vereinigte Ostindische Kompanie und die niederländische Expansion in Asien
Englands Eindringen in Asien
Die Versuche zum Aufbau eines französischen Kolonialreichs
Gescheiterte Träume: Die Welser, Brandenburg und Österreich
Russlands Vordringen an den Pazifik
6. Amerika
Die Bedeutung der vorkolonialen Entwicklung für die Eroberung
Christoph Columbus und die ersten Fahrten nach Amerika
Die Problematik des Zusammenstoßes der Kulturen 1492-1502
Der Beginn der europäischen Herrschaft in der Neuen Welt
Der Aufbau einer Verwaltung der neuen Gebiete
Südamerika
Die Eroberung Mexikos und Perus
Montesinos, las Casas und die Diskussion um die Conquista
Die Kirche in Lateinamerika
Die Jesuitenreduktionen als Utopie und der weltweite Einsatz der Gesellschaft Jesu
Die Verwaltung in Spanisch Amerika
Die Verwaltung in Portugiesisch Amerika
Soziale Strukturen
Wirtschaft und Handel
Aufstände und Konflikte
Militär und Krieg
Die Karibik
Der Sklavenhandel
Schmuggel und Dreieckshandel
Nordamerika
Erste Besiedelung
Die Kolonisierung ab 1607
Soziale, wirtschaftliche und ethnische Zusammensetzung
Die Verwaltung
Kirchen und Glauben in Nordamerika
Kanada und das französische Kolonialreich
Die Südsee und Australien
Die Suche nach der Terra Australis
Technische Neuerungen und die »Entdeckung« der Südsee
7. Der Kulturtransfer
Malerei und Architektur
Der Austausch in der Musik
Die kolonialen Gesellschaften und die Sprachen
Die globale Migration
Genussmittelexport und Einfluss auf die Küche
Kaffee, Tee, Kakao und Tabak
Gewürze, Kartoffeln und Tulpen
Die Bedeutung von Erfindungen für den Vorsprung Englands
Die Veränderung der Sicht des Orients am Ende des 18. Jahrhunderts
Napoleons Feldzug nach Ägypten und der Orientalismus
Das Bild des Orients
Europäische Expeditionen nach Amerika und Afrika
8. Die Krise des Systems und die Dekolinisation in Amerika
Die Amerikanischen Unabhängigkeitsbewegungen
Die Unabhängigkeit der USA und die Folgen für England
Von den bourbonischen Reformen zur Unabhängigkeit Lateinamerikas
Die Entwicklung der Staaten Lateinamerikas im 19. Jahrhundert
Die Diskussion über die Sklaverei und die Rassentheorien
Die Aufhebung der Sklaverei
Das Konzept des »Wilden«
Der europäische Rassismus und die Konsequenzen in Amerika
9. Kolonialismus des 19. Jahrhunderts und Imperialismus
Die neue Machtkonstellation durch den Niedergang des Osmanischen Reiches und Persiens
Die Lösung Ägyptens vom Osmanischen Reich
Der Ausbau der Kolonialherrschaft der Niederlande, Englands und Frankreichs in Südostasien
Indien: Englands Kronjuwel
Die gewaltsame »Öffnung« Chinas
Frankreich und England: Der Wettlauf um die Weltherrschaft in Afrika
Wirtschaftliche Ausbeutung
Die zivilisatorische Mission Frankreichs
Die »späten« Kolonialmächte: Das Deutsche Reich, Japan und die USA
Das deutsche Kolonialreich
Japans Imperialismus
Die USA auf Kuba und den Philippinen
10. Der Zusammenbruch der Kolonialreiche
Der Erste Weltkrieg als Krise des Systems
Das Erwachen der Nationen
Von der Kolonie in die Unabhängigkeit
Der Beginn der Dekolonisation in Afrika und Asien
Dekolonisation im Zusammenhang des Kalten Krieges
11. Ausblick
Anhang
Zeittafel
Bibliographie
Überblickswerke
Mittelalter
Frühe Neuzeit siehe Regionen
Neuzeit
Europäische Kolonialmächte
Geistes- und Kulturgeschichte
Asien
Osmanisches Reich
Afrika
Amerika Englisch und Französisch Amerika
Spanisch und Portugiesisch Amerika Allgemein
Zu Verschiedenen Aspekten lateinamerikanischer Geschichte
Kontakt zum Verlag
Vorwort
Mit dem Begriff »Kolonialismus« verbinden Leser ganz unterschiedliche Phänomene. Viele verstehen darunter lediglich die Hochphase des Kolonialismus, die auch als Imperialismus bezeichnet wird, also die Zeit ab 1880. Während hier politische Vorgänge im Vordergrund stehen, sehen andere die geistesgeschichtlichen Entwicklungen als wichtig an. So kann man aus politischer Perspektive von Kolonisation und Dekolonisation, aus geistesgeschichtlicher Perspektive aber eher von Kolonialismus und Postkolonialismus sprechen. Doch die Begriffe bleiben umstritten, wie im Einzelnen noch zu zeigen sein wird. Die vorliegende Darstellung betrachtet vornehmlich die europäische Kolonialpolitik, die hier der Einfachheit halber als »Kolonialismus« bezeichnet wird. Mit Japan wird auch eine außereuropäische Kolonialmacht angesprochen, sonst aber der Schwerpunkt auf die dominante europäische koloniale Expansion gelegt. Es sollen aber nicht nur politische, sondern auch geistesgeschichtliche Stränge beleuchtet werden, um das Phänomen und seine Auswirkungen bis heute besser begreifen zu können.
Für das Verständnis des Kolonialismus scheint mir angebracht, den Schwerpunkt auf jene Zeit zu legen, in welcher der Kolonialismus seine weltpolitische Dimension annahm und viele Erscheinungen des interkontinentalen Beziehungsgeflechts entstanden, die bis heute prägend sind. Dies ist gerade die Frühe Neuzeit, also die Epoche von 1492 bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts, als durch die Unabhängigkeit Amerikas die erste Phase der Dekolonisation begann. Aus regionaler Sicht wird deshalb Amerika fokussiert, weil hier das erste von Europäern voll entwickelte Siedlungssystem entstand, das in vielerlei Hinsicht für spätere Zeiten prägend war. Immer wieder wird aber auch auf die Entwicklung in Europa einzugehen sein, weil sie vielfach weitreichende Auswirkungen in den Kolonien hatte.
Auf dieser Grundlage wendet sich dann den Entwicklungen im 19. und 20. Jahrhundert zu. Es werden die Linien der Kolonialherrschaft bis zu ihrem Höhepunkt nach dem Ersten Weltkrieg, und nachfolgend die der Dekolonisation nach dem Zweiten Weltkrieg aufgezeigt.
Die Darstellung einer »europäischen Weltgeschichte« hat zur Konsequenz, dass man die europäische Sichtweise und ihr Vokabular verwendet. Dies soll nicht unkritisch geschehen, doch lassen sich gewisse Begriffe nicht vermeiden. Ersetzt man z. B. »Indianer« durch das gleiche spanische Wort »Indio« ist dies genauso wenig hilfreich, wie nur von »Indigenen« zu sprechen, denn dies können Inder, Afrikaner oder Indianer sein. Die Darstellung bleibt, wie die verwandten Karten, eurozentrisch, bemüht sich aber darum, den differenzierten Blick auf die Entwicklung in ganz unterschiedlichen Ländern stets aufrecht zu erhalten.
Die Darstellung bezieht bei zentralen Punkten auch zeitgenössische Stimmen mit ein, die, um sie für den interessierten Leser leichter recherchierbar zu machen, bewusst fast alle aus zwei Quellensammlungen, nämlich der »Dokumente zur Geschichte der Europäischen Expansion« (DGEE) und aus »Geschichte in Quellen« (GiQ) stammen. Es soll damit leichter möglich sein, die aus Platzgründen stark gekürzten Texte auch in der Vollversion zu lesen.
Dem Leser soll ein Überblick über ein globales Phänomen verschafft werden, was zu Schwerpunktsetzungen zwingt und weswegen nicht alle Aspekte des Themas ausgeleuchtet werden können. Die weltweite Vernetzung führt dazu, dass gleiche Themen in verschiedenen Kapiteln erwähnt werden, damit die Kapitel auch einzeln gelesen werden können.
Im Sommersemester 2008 habe ich an der Universität Mainz eine Vorlesung mit dem Titel »Europäische Kolonialgeschichte« gehalten. Ich danke allen Studierenden für ihre Anregungen, besonders auch die umfangreiche Wunschliste, auf der sie die für sie interessanten Themen des Kolonialismus eintragen konnten. Ich habe versucht, sie bei der Darstellung vollständig zu berücksichtigen.
Für die Entstehung des Buches möchte ich meinem Kollegen Dr. Lars Hoffmann danken, der den ersten Kontakt zum Verlag herstellte. Ebenso danke ich dem Marix Verlag und Frau Miriam Zöller für die Aufnahme in die Reihe »Marix Wissen«. Herrn Daniel Schröder sei für das Abtippen der Quellenzitate und die Korrekturlese der Bibliographie gedankt, Dr. Lenelotte Möller für das Lektorat, Annette Reese und Dr. Julia Schmidt Funke für die Anregungen. Die Hauptlast hat aber wieder einmal meine Frau Anette getragen, die das Buch Korrektur gelesen hat, wofür ich ihr herzlich danken möchte.
Einleitung
Nicht erst plötzlich im 16. Jahrhundert, sondern bereits seit dem 13. Jahrhundert änderten sich die Bedingungen des Zusammenlebens in Europa. Das Bevölkerungswachstum führte zu einer steigenden wirtschaftlichen Nachfrage, die auch die kulturelle Entwicklung bedingte. Es kam zu einer Veränderung der eigenen Sichtweise, zu einer neuen Sicht von Religion, dem Sein und der Umwelt. Vieles wurde hinterfragt, so auch die bekannten und gewohnten Mythen. Man glaubte nicht mehr einfach, dass die Erde eine Scheibe sei, was jedem erfahrenen Seefahrer schon als Unsinn aufgefallen sein musste. Man wollte Neues und Unbekanntes erfahren, reisen, zu neuen Ufern aufbrechen und expandieren. Doch da man nicht wusste, was hinter dem bekannten Land kam und was es zu »entdecken« galt, blieb jede Fahrt eine Gefahr. Dabei ging die Expansion von Europa aus, als dauerhafte und bleibende, während die Mongolen oder Chinesen zwar ebenfalls Weltreiche aufbauten, diese aber nicht in ähnlicher Weise zu einem weltumspannenden Faktor wurden.
Neben dieser Neugier und dem Wunsch nach Expansion entwickelte sich vom 15. bis zum 18. Jahrhundert eine umfangreiche europäische Verwaltung. Schrift und Briefverkehr ermöglichten weitreichende Kommunikation und Verwaltung auch über große Distanzen hinweg. Die Beamten mit ihren Anordnungen reisten jedoch nicht allein nach Übersee, sondern wurden von Militärs und Siedlern begleitet, die unterschiedlich stark diejenigen Gebiete, in denen sie landeten, prägten. Je nach Gesellschaft wurde also die Expansion von unterschiedlichen Gruppen getragen. Dabei können die Länder Spanien und die Niederlande als gegensätzliche Modelle gesehen werden, wie noch aufgezeigt werden wird.
Für die Europäer spielte besonders ein religiöses Sendungsbewusstsein eine herausragende Rolle, war es doch dieses, was zunächst dominant wirkte. Eigentliches Ziel der Fahrten aber war die Bereicherung: Man hoffte Gewürze oder andere wertvolle Handelsware zu finden oder, als höchstes Gut, das Gold.
So kamen europäische Sprachen, Institutionen, Rechts- und Staatsvorstellungen, Religion und schließlich Techniken und Produktionsweisen in andere Teile der Welt, genauso wie die außereuropäischen Gebiete in vielfacher Hinsicht Europa beeinflussten.
1. Grundlagen, Definition und Epochengrenzen
Grundlagen, Verständnis und Grenzen des Kolonialismusbegriffs
Globalisierung ist keineswegs eine Erscheinung, die erst im 21. Jahrhundert beginnt, sondern lässt sich vielmehr auf das frühe 16. Jahrhundert zurückführen. Seit dieser Zeit führten Entdeckungsreisen zu immer neuen Gebieten, wurden regelmäßige Handelskontakte von Europa nach Afrika, Asien und Amerika entwickelt, umfassten also erstmals die ganze Welt. Es sollte die ganze frühe Neuzeit dauern, bis durch die Veränderungen der Aufklärung, besonders aber der Napoleonischen Zeit eine neue Periode begann, an deren Anfang die amerikanischen Unabhängigkeitsbewegungen einerseits und der festere Griff der Europäer auf Afrika und Teile Asiens andererseits standen. Immer stärker wurden nun die Kolonien an das Mutterland gebunden, was gravierende und irreversible Einflüsse auf Gesellschaft, Kirchen, Kleidung, besonders aber auch auf die Beziehungen von Gruppen und Völkern zu einander haben sollte. Es ist also nach der »gemeinsamen Geschichte« zu fragen, wenngleich dies aus einem eurozentrischen Blickwinkel geschehen wird, aus welchem unsere Sicht meistens erfolgt. Mit dieser Perspektive verbunden ist die Erkenntnis, dass die Beziehungen durch Ungleichheit zwischen Herrschern und Beherrschten geprägt wurden, die Macht ausübten, vielfach auch repressiv. Globalisierung bzw. auch die Ressentiments gegenüber einer Zusammenarbeit mit Europa hat vielfach mit den tief sitzenden negativen Erfahrungen aus der Kolonialzeit zu tun.
Im 15. Jahrhundert vollzog sich in allen Bereichen der europäischen Gesellschaft ein tiefgreifender Wandel, der die Grundlage des umfassenden Ausgriffs in die außereuropäische Welt sein sollte. Mythen und Legenden wurden kritischer hinterfragt und nun auch geprüft. Hieraus erwuchs der Wunsch, die kartographischen Kenntnisse nicht nur zu vergrößern, sondern durch systematische Überprüfung den Horizont durch Fahrten zu erweitern. Damit begann die Globalisierung unter »europäischen Vorzeichen« (Horst Gründer), weil die europäischen Kolonialherren noch konsequenter und damit auch dauerhafter ihre Vorstellungen und Wertesysteme in anderen Erdteilen durchsetzten. Die Expansion, die Schaffung großer Reiche, die eine Benachteilung der unterworfenen Völker einschloss, war kein europäisches Phänomen, sondern findet sich auch bei der Expansion Chinas oder der islamischen Reiche. Jedoch ist die europäische Kolonisierung zu einem weltumspannenden Netz geworden, das alle Kontinente einschloss und damit auch zu einem Weltsystem wurde.
Dieses Weltsystem der Eroberung führte zu einem Weltsystem des Handels, welches freilich sehr unterschiedlich strukturiert war. Auf der einen Seite gab es jene Regionen, in welche sich die Europäer anfangs nur als Juniorpartner eingliedern durften. Dies gilt für den gesamten asiatischen Raum, wo es nicht nur sehr viel alte Handelskontakte mit Europa gab, sondern die verschiedenen asiatischen Staaten miteinander umfangreich Handel trieben und den Europäern allenfalls Nischen in dem Handelssystem einzuräumen bereit waren. Anders hingegen verhält es sich in Afrika, besonders aber in Amerika und ab dem Ende des 18. Jahrhunderts auch mit Australien. Diese Kontinente hatten kein inner- oder gar transkontinentales Handelsnetz aufgebaut und wurden mit dem Kolonialismus in ein auf Europa ausgerichteten Handelsnetz zwangsweise integriert.
Neben dem Handel sollte aber auch der Möglichkeit der Wissens- und Informationsweitergabe eine zentrale Funktion zukommen. Da den Europäern zudem keine religiöse Beschränkung bei der bildlichen Wiedergabe von Lebewesen, wie im Islam, auferlegt war, konnte man in Bild und Text zu einer wahren »Überseebegeisterung« gelangen, die bis in das 20. Jahrhundert alle europäische Staaten ergriff. Grundlage für diesen »Orientalismus« war der in der Mitte des 15. Jahrhunderts von Johannes Gutenberg erfundene Buchdruck mit beweglichen Lettern. Damit war es möglich, die in Übersee gesammelten Eindrücke medienwirksam in Europa zu verbreiten. Medienwirksamkeit bedeutete freilich in vielen Fällen alles andere als wahrhafte und allein am Angetroffenen orientierte Beschreibungen, sondern vielmehr ein wirtschaftliches Interesse und die Frage, was sich in Europa gut verkaufen ließ, wobei die europäische Öffentlichkeit auch an bestimmten Geschichten, Erdteilen und besonders Kuriositäten sehr interessiert war.
Es trafen die Handelsinteressen und die europäische medialen Sensationslust mit Heilsungewissheit und einem christlichen Missionsimpetus zusammen. Es gab in Europa kein Jahr, in dem kein Krieg tobte. Viele Regionen kamen kaum zur Ruhe. Missernten, eine steigende Bevölkerungszahl nach dem großen Bevölkerungseinbruch durch die Pestwelle von 1346-49 führten zu einer allgemeinen Unsicherheit in Bezug auf das geistliche Heil. Es war nicht nur Martin Luther, der sich in Deutschland die Frage nach dem gerechten Gott stellte, sondern überall in Europa traten Prediger auf, die vor dem Weltende mahnten. Die Menschen waren ergriffen und verbanden die Expansion immer mit einer Bekehrung zu einem nicht in Frage gestellten Christentum. Diese Sendungsidee brachte aber gleichzeitig die Legitimation für die rücksichtslose Expansion der europäischen Mächte mit sich. Erst mit dem Ende der Frühen Neuzeit und dem Beginn der Aufklärung kam es zu einem Wechsel der Vorzeichen. Ab 1750 ist nicht mehr die Bekehrung der »Heiden« offiziell einziges oder zumindest vorrangiges Ziel als Begründung, sondern nun kommen neue Faktoren ins Spiel, die freilich für die betroffenen Völker außerhalb Europas die Lage keinesfalls besser machten. Die europäischen Staaten wurden sich ihrer »Nationalität« bewusst. Sie versuchten daher, im außereuropäischen Bereich verstärkt auch der Kolonie die Identität des eigenen Landes aufzuzwingen. Zudem dienten Rassentheorien zur »wissenschaftlichen« Begründungen der Minderwertigkeit der indigenen Bevölkerung. Man verstand sich jetzt also nicht mehr durch die Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft, sondern durch die Zugehörigkeit zu einer Nation als etwas Besseres.
Der Kolonialismus lief aber nicht nur in eine Richtung. So nämlich, wie Europa durch seine Expansion unterschiedlichen Einfluss auf die übrigen Kontinente nahm, so wurde umgekehrt auch Europa durch das Zeitalter des Kolonialismus und die auf Europa zurückwirkenden Einflüsse umfassend geprägt. Tomaten, Kartoffeln, Zucker auf dem Speiseplan, »Kajak«, »Samba«, »Iglo« im Sprachgebrauch sind nur wenige Beispiele von prägenden Einflüssen. Aber auch die Sicht von Völkern im außereuropäischen Bereich wurde nicht nur von den Kolonialherren, sondern durchaus auch von den Betroffenen selbst mitgestaltet. Eine wichtige und sehr prägende Rolle nahm hierbei die Druckgraphik und später die Fotografie ein. Besonders seit dem Ende des 19. Jahrhundert überschwemmten Postkarten mit Motiven aus den Kolonien oder aus Übersee den europäischen Markt. Die meisten Postkarten wurden in Deutschland gedruckt, allein 1907 mehr als 300 Millionen, also fast eine Million pro Tag! Doch nicht nur die Kolonialmächte, sondern gerade auch Nationen in Asien ließen mit solchen Postkarten einen bestimmten Eindruck verbreiten, der uns bis heute prägt. So tauchen erst auf diesen Postkarten Hawaiimädchen im Bastrock auf, obwohl dieser auf Hawaii gar nicht zu finden war und erst von Fotografen eingeführt wurde.
Der Kolonialismus ist also ein sehr weites, ja die gesamte Erde umspannendes Phänomen, welches aufgrund der sehr unterschiedlichen Art nicht einfach zu erfassen ist, wie von Jürgen Osterhammel und Ania Loomba betont worden ist, zunächst allein schon aufgrund der schieren geographischen Größe und der sich damit ergebenden Uneinheitlichkeit und Unterschiedlichkeit. Nach dem Ersten Weltkrieg war mehr als die Hälfte der Erde europäischer Kolonialbesitz und zwei fünftel der Weltbevölkerung unterstanden kolonialer Herrschaft.
Daher gibt es auch unterschiedliche Auffassungen über den Terminus »Postkolonialismus«. Für die einen bezeichnet er die nachkoloniale Zeit, andere lehnen den Begriff deswegen ab, weil er im Rahmen von Literatur gerne verwandt wird, nicht aber für die koloniale Ausbeutung im Zusammenhang mit ökonomischen Maßnahmen.
Kolonialismus und Postkolonialismus dürfen aber nicht nur als Begrifflichkeiten für politische Vorgänge gesehen werden, sondern ebenso für geistesgeschichtliche Strömungen, wie beispielsweise in der Literatur, wenngleich, wie Peter Hulme hervorhebt, selten eine wirkliche eigenständige Auseinandersetzung mit dem Thema des »Postkolonialismus« stattfindet. Eher könne man von einem Vergleich zwischen vorher und nachher sprechen. Dies aber sei eher ein Reflex aus kolonialen Zeiten, nicht jedoch eine neue Auseinandersetzung.
Zudem ist der Begriff des Kolonialismus umstritten. Die Debatte um »Kolonialismus« fand unter dem Stichwort des »Orientalismus« neue Nahrung mit dem Buch von Edward Said in den achtziger Jahren. Seine Kritik führte zu einer umfangreichen Diskussion über die Auswirkungen des Kolonialismus und das Fortdauern eines Überlegenheitsbildes in den westlichen Medien bis in die heutige Zeit. Hatte Said noch die Position vertreten, dass sich der Kolonialismus bis heute ungebrochen fortsetze, weil sowohl die westlichen Medien als auch die großen Konzerne, besonders aber das Bewusstsein der Bewohner des westlichen Welt immer noch auf die früheren »Kolonialvölker« herabsähen, so ist diese Sicht mittlerweile abgeschwächt worden. Es herrscht Einigkeit darüber, dass koloniale Abhängigkeiten bis heute nachwirken, dass wir von einer Gleichwertigkeit der Erdteile noch weit entfernt sind, allerdings wird das Pauschalurteil einer weitgehend ungebrochenen weiterhin kolonialen Sichtweise der Welt im Westen kaum noch geteilt.
Was aber hat, so muss man sich fragen, der Kolonialismus für Konsequenzen, was sind die Ausformungen und Ursachen? Es ist auch hier kaum eine alle Erdteile und Ausprägungen des Kolonialismus berücksichtigende Antwort möglich. Zu Recht ist darauf verwiesen worden, dass die Entwicklung des Kapitalismus eine entscheidende Rolle für den Kolonialismus gespielt hat. Denn es handelt sich beim Kolonialismus seit der Frühen Neuzeit, also seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert, der in Italien aufgrund der Entwicklung der Geldwirtschaft jedoch schon früher einsetzte, um eine Einbindung der Kolonie in das Metropolitansystem. Nicht Tribute galten mehr als ausreichend, sondern man erwartete eine Handelsbeziehung, die beide Seiten, wenngleich mit unterschiedlichem Rechtsstatus, einbeziehen sollte. Daraus sollten sich dann durch Siedlung Kolonien entwickeln. Damit aber dort trotz der Entfernung zum Mutterland zu günstigen Kosten produziert werden konnte, erhielten die Kolonien Sklaven oder durch lange Verträge verpflichtete Arbeiter (indenturered labour). Diese Arbeitskraft erlaubte den Kolonien Rohstoffe und Plantagenprodukte zu exportieren, was wiederum für den Fortschritt des Mutterlandes von großer Wichtigkeit war. In umgekehrter Richtung waren die Kolonien ein Absatzmarkt für die entstandenen Fertigprodukte. In diesem Sinne kann der Kolonialismus als Hebamme des Kapitalismus angesehen werden.
Zentraler Begriff war also die Siedlung, wobei es verschiedene Siedlungsformen gab. Einmal Siedlungsstützpunkte (plantations) in Amerika oder Wirtschaftsstützpunkte in Indien. Das System Mutterland-Kolonie verlangte, zumindest von einer Schicht hohe Flexibilität und Mobilität, galt es doch, Verwaltungsbeamte und ranghohe Militärs nur im Mutterland zu rekrutieren, sie dann aber überall einzusetzen.
Die Spätphase des Kolonialismus wird meist als Imperialismus bezeichnet, wobei man sich in diesem Zusammenhang auf Lenins Schrift von 1916/17 »Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus« als Meilenstein in der Entwicklung bezieht. Mit seiner Definition des »Imperialismus als höchste Stufe des Kapitalismus« war jedoch eine gleichsam lineare Entwicklung in diesem Deutungsmuster vorgegeben. Diese Position wird heute nicht mehr geteilt. Einmal lehnt man die Sicht der Geschichte als lineare Entwicklung zu einer höheren Stufe des »Seins« ab, zudem wird die dahinter stehende Position, durch eine vollständige Kapitalkonzentration habe der Kolonialismus eine fortgeschrittenere Ausprägung erreicht, nicht mehr geteilt. In der heutigen Forschung wird betont, dass es Imperien und die damit verbundene Expansion seit der Antike gegeben habe, dass also nicht das »Imperiale«, sondern vielmehr die sozialen und wirtschaftlichen Verschiebungen die Charakteristik der Zeit am Ende des 19. Jahrhunderts ausmachen.
Es gab beim Auftreten der Kolonialherren eine weite Palette von Reaktionen, die von Widerstand bis zu Anpassung und Kooperation reichten. Gerade aber letzteres war der entscheidende Baustein für die Errichtung einer Kolonialherrschaft, weil nur dank der Kooperation unter Nutzung von existierenden Rivalitäten, den Kolonialherren die Dominierung bestimmter Gebiete möglich war. Dennoch bleibt ein Wesensmerkmal des Kolonialismus die Gewalt der Kolonialherren, die sich aus einem Gefühl der Schwäche als Minderheit heraus, ihre Herrschaft sicherten. Hinzu kam, dass die koloniale Hegemonie auf Distanz ausgelegt war. Die Verwaltungs- und Militärzentren lagen weit entfernt und vieles blieb schon von daher der Willkür überlassen. Alle schriftlichen Anordnungen sind daher auch in diesem Licht zu sehen. Die oberste Ebene des kolonialen Staates war europäisch. Paternalismus und europäische Herablassung, besonders seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, als man glaubte, einen »Erziehungsauftrag« zu haben, waren gang und gäbe. Kenntnis über Kulturen erwarben die Kolonialherren meist lediglich aus Utilitarismus, um die Herrschaft zu sichern, besonders aber um die Möglichkeiten der Ausbeutung des Landes zu steigern, weil ihnen nur so die Nutzung der Bodenschätze und der landwirtschaftlichen Güter möglich war. Auf der anderen Seite baute man Barrieren ab, um neue zu konstruieren. Dies gilt z.B. für Indien, wo die Engländer, getrieben von kolonialem Interesse und Druck der englischen Öffentlichkeit, zwar das Kastensystem durchlässiger machten, andererseits mit einem den Einheimischen fast unzugänglichen Verwaltungsapparat eine eigene »Kaste« von Verwaltungsbeamten schafften, die sich deutlich abhob.
Je nach kolonialem System findet sich bei der ethnischen Durchmischung ein Übergang zwischen den einzelnen Gruppen. Sexuelle Beziehungen zwischen männlichen Kolonisierenden und einheimischen Frauen wurden sehr unterschiedlich behandelt. Der umgekehrte Fall kam hingegen nur selten vor, da bei den Siedlern fast immer ein Männerüberschuss herrschte. Die Palette für ethische Mischung reicht von vollständiger Ablehnung, verbunden mit Bestrafung, bis hin zu Akzeptanz und Förderung.
Kolonialherrschaft bedurfte zudem natürlich auch stets der Legitimation nach innen, weswegen seitens der Kolonialherren auf die christliche und dann später auf die zivilisatorische Mission, oft auch auf beides, verwiesen wurde. Man sollte jedoch, trotz des kolonialen Anspruches, nicht davon ausgehen, dass es eine rein einseitige Begegnung gewesen ist. Claudia Schurrmann hat für den atlantischen Raum diesen Austausch umfassend aufgezeigt. Es waren keine gleichberechtigten Beziehungen, doch sollte man diese dennoch keinesfalls ausblenden, weil sie einen wichtigen Bestandteil der Kolonialgeschichte darstellen.
Typen von Kolonien
»Kolonisation« bezeichnet von der Wortbedeutung her den Prozess der Landnahme, der Begriff »Kolonie« die Entstehung eines speziellen Siedlungstyps. Verbunden mit diesem Begriff ist jener des »Kolonialismus«, der sich auf das Herrschaftsverhältnis bezieht. Diese Begriffe beinhalten die Vorstellung einer ausgreifenden Landnahme, also einer über den eigentlichen Raum hinausgehende Expansion.
Kolonialismus ist die »Herrschaftsbeziehung zwischen Kollektiven, bei welcher die fundamentalen Entscheidungen über die Lebensführung der Kolonisierten durch eine kulturell andersartige und kaum anpassungswillige Minderheit von Kolonialherren unter vorrangiger Berücksichtigung externer Interessen getroffen und tatsächlich durchgesetzt werden. Damit verbinden sich in der Neuzeit in der Regel sendungsideologische Rechtfertigungsdoktrinen, die auf der Überzeugung der Kolonialherren von ihrer eigenen kulturellen Höherwertigkeit beruhen…«. wie es Jürgen Osterhammel ausdrückt.
Bei dieser Form von Expansionsvorgängen kann man sechs Typen unterscheiden:
1. Die Totalmigration ganzer Völker, die in Europa am ehesten mit der Völkerwanderung in Verbindung gebracht wird. Entscheidend ist dabei die Unterwerfung, u.U. Verdrängung der Völker im neuen Siedlungsraum unter Aufgabe des bisherigen. Es wird also keine Gesellschaft zurück gelassen, sondern eine neue an einem anderen Platz gegründet.
2. Die massenhafte Einzelauswanderung (Individualmigration), bei der Einzelne oder kleine Gruppen, wie z.B. Familien, ihre Heimat ohne Rückkehrabsicht verlassen. Die zurückbleibende Gesellschaft hat zwar, wie z.B. Irland in der Mitte des 19. Jahrhunderts, einen starken Aderlass zu verkraften, bleibt aber im Kern intakt. Die Ausgewanderten bilden oft in der ersten oder zweiten Generation noch sprachlich geschlossene Gesellschaften, die bisweilen auch als »Kolonien« bezeichnet werden, allerdings ist der Begriff hier irreführend. Denn es handelt sich in den meisten Fällen um ein nur vorübergehendes Phänomen, da sich die Ausgewanderten in der Mehrzahl der Fälle integrieren, so z.B. die deutschen Auswanderer in die USA.
3. Bei der Grenzkolonisation bewegen sich wieder ganze Gruppen, die das Hinausschieben der Siedlungsgrenze erreichen wollen. Dabei verdrängen sie meist die bäuerliche Bevölkerung. Entweder entsteht eine neue isolierte Gesellschaft, wie die Siebenbürger Sachsen, die nicht über eine am Ort bereits siedelnde Gesellschaft dominiert, oder aber es kommt zu einer Unterwerfung, wie bei der mittelalterlichen Pruzzenkolonisation des Deutschen Ritterordens im 13. Jahrhundert, bei welcher die angestammte Gesellschaft gewaltsam verdrängt wird. Es wird Kapital und Arbeit in bestimmte Zonen geführt, was besonders im 19. Jahrhundert enorme Ausmaße annahm, als die Kolonisation mit der Eisenbahn, besonders in Nord- und Südamerika, erfolgte und hier zu einer verdrängenden Kolonisation führte. Dabei kam es dann jedoch nicht mehr, wie bei den Siebenbürger Sachsen, zu eigenen Siedlungen als getrennte politische Einheiten, sondern die Siedler waren mit dem Mutterstaat unmittelbar verbunden.
4. Die überseeische Siedlungskolonisation geht zunächst einen ähnlichen Weg wie die Grenzkolonisation, ist jedoch dort, wo die Meeresnähe eine Expansion über das Meer hinaus nahe legt, vornehmlich zu finden. Schon im Altertum betrieben Phönizier, Griechen, Karthager und Römer diese überseeische Siedlungskolonisation, die das gesamte Mittelmeer umspannte. Durch die damit gegebene Entfernung vom Gründungszentrum ergab sich aber, dass nun eigene Gemeinwesen entstanden. Dies gilt z.B. für den Beginn der europäischen Besiedelung Nordamerikas, den »Pflanzungen« (plantations), die als Gründungen versuchten, ohne Nachschub vom Mutterland zu überleben. Dafür waren sie aber darauf angewiesen, möglichst schnell genügend Ackerland zu erobern, um autark zu werden. Da man das Gebiet, in welches man kam, als »herrenlos« ansah oder sich