„Gefahr“ – Versionsunterschied
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Version vom 22. September 2015, 14:44 Uhr
Eine Gefahr (mittelhochdeutsch gevare „Hinterhalt, Betrug“, Abkürzung Gef.) ist eine Situation oder ein Sachverhalt, der zu einer negativen Auswirkung führen kann. Diese negative Auswirkung einer Gefährdung kann Personen, Sachen, Sachverhalte, Umwelt oder Tiere treffen.
Als Gefahrzeichen wird etwa ein Gefahrsymbol (Piktogramm) oder ein anderes akustisches oder optisches Gefahrsignal als Warnung verwendet, Kennziffern (Gefahrenzahl) einer Gefahrenskala, als Gefahrenstufe oder Gefahrenklasse, Gefahrenzone oder anderer Klassifizierungen von Gefahr, Bedrohung, Gefährdung oder Risiko.
Definitionen
Allgemein ist zu unterscheiden:[1]
- Gefährdung (englisch: hazard): eine potenzielle Gefahrenquelle (Schadensquelle), ein Risiko
- Gefahr (danger): Die mögliche Schadwirkung der Gefahrenquelle oder der Zustand einer Bedrohung durch eine Gefahrenquelle
- Schaden (damage): Die konkrete schädigende Auswirkung der Gefahrenquelle, als Möglichkeit oder Wirklichkeit
Ingenieurwissenschaften
In den Ingenieurwissenschaften umfasst die VDE 31000 /VDE1987/ allgemeine Leitsätze für das sicherheitsgerechte Gestalten technischer Erzeugnisse: „Gefahr ist eine Sachlage, bei der das Risiko größer als das Grenzrisiko ist.“
Arbeitssicherheit
Im Falle der Arbeitssicherheit gilt: Eine Gefährdung entsteht, wenn ein Mensch räumlich und zeitlich in Kontakt mit einem verletzungsbewirkenden Faktor kommen kann. Dabei können mehrere gefahrbringende Bedingungen zusammenspielen. Durch technische, organisatorische und persönliche Maßnahmen sollen Gefährdungen und das Wirksamwerden von Gefahren verhindert werden.
- Als Restrisiko werden Gefahren bezeichnet, deren Risiko unterhalb des Grenzrisikos liegen. Diese Gefahren werden also toleriert.
- Grenzrisiko bezeichnet das höchste akzeptable Risiko, unter dem eine Situation noch sicher ist. Die Grenze kann durch gesetzliche, gesellschaftliche oder persönliche Normen bestimmt sein.
- Rechtslage in Deutschland
Die Gefahren, die zu einem konkreten Arbeitsplatz gehören, werden bei der Gefährdungsbeurteilung z. B. durch den Arbeitgeber oder den Verantwortlichen Personen gemäß § 13 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) festgestellt und protokolliert. Der Arbeitgeber entscheidet über die zu treffenden Maßnahmen des Arbeitsschutzes; er ist jedoch an den arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisstand i. S. v. § 4 ArbSchG gebunden. Der Betriebsarzt und die Fachkraft für Arbeitssicherheit gehören nicht zur Linie innerhalb der betrieblichen Organisation und werden hinsichtlich der Beurteilung der Arbeitsbedingungen grundsätzlich nur beratend tätig.
Signalwort ‚Gefahr!‘
In der schriftlichen Kommunikation (z. B. Gebrauchsanleitungen) wird das Signalwort Gefahr! eingesetzt, um die Aufmerksamkeit des Lesers auf eine bestimmte Textstelle zu lenken. Gefahr! darf nur verwendet werden, um vor Gefahren zu warnen, die zum Zeitpunkt der Warnung bereits vorhanden sind (z. B. heiße Oberflächen, scharfe Kanten, Quetschstellen, usw.). Es wird ausschließlich bei Gefahren vor Personenschäden eingesetzt.[2]
Auch die Kennzeichnung von Gefahrstoffen nach dem globalen System GHS[3] fordert das Anbringen eines Signalworts[4] auf dem Kennzeichnungsetikett je nach Gefahrenkategorie: Achtung (engl. warning, Abkürzung Achtg.) oder Gefahr (danger, Abk. Gef., alle ohne Ausrufezeichen).[5] Hierbei steht ‚Gefahr‘ für die „schwerwiegenden“ Gefahrenkategorien[6]
Sozialwissenschaften und Sozialphilosophie
In den Sozialwissenschaften, speziell in der Soziologie wird, u.a. unterschieden zwischen der unbestimmten „Gefahr“ und dem berechenbaren „Risiko“. Vgl. dazu die Katastrophensoziologie.
Eine andere Definition dieser Begriffe geht auf Niklas Luhmanns Systemtheorie zurück. Ihm bedeutet „Gefahr“ die Möglichkeit eines zukünftigen Schadens oder Nachteil, dessen Eintreten unabhängig von meinem Verhalten oder Entscheiden der Umwelt zugerechnet wird. „Risiko“ dagegen ist für ihn eine Selbstzuschreibung, also von der eigenen Entscheidung abhängig.
Betriebswirtschaftslehre
In der Betriebswirtschaftslehre verursachen Risiken schwer kalkulierbare Wagniskosten.
Rechtswissenschaft/Verwaltung
Der rechtswissenschaftliche Zugang zielt im Verwaltungsrecht auf polizei- und ordnungsrechtliche Aspekte ab.
„Eine Gefahr liegt vor, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens in absehbarer Zeit und mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein polizeilich geschütztes Rechtsgut schädigen wird.“[7]
Maßgeblich ist, ob eine Sachlage oder ein Verhalten gegeben ist, aus dem die Wahrscheinlichkeit einer Schädigung nach bewährten Erfahrungssätzen folgt (objektiv gegebene Gefahr).
Verwaltungsrecht, Verwaltungsprozeßrecht, Straf- und Strafprozeßrecht und Zivil- und Zivilprozeßrecht betrachten den Gefahrenbegriff je nach Regelungsintention nicht deckungsgleich.
Arten der Gefahr
- Typologisches: dazu unter Katastrophe
- Einschätzungen im Rahmen von Risikomanagement (Wirtschaft, Technik allgemein) und Risikoanalyse (Betriebswirtschaftslehre)
- Gefahren für kritische Infrastrukturen
- Natürliche Gefahren: Stürme, Tornados, Extremniederschläge, Hochwasser, Dürren, Erdbeben, Epidemien und Pandemien
- Anthropogene Gefahren: Unfälle, Systemversagen, Sabotage, Schadprogramme, Terrorismus, Krieg
- Arten der Gefahr in der Rechtswissenschaft
- Konkrete Gefahr
- Eine konkrete Gefahr beinhaltet jede Sachlage, die bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einer Verletzung der Schutzgüter führt.
- Beispiel: Eine Person sitzt neben einer Benzin-Zapfsäule, hat Zigarette und Feuerzeug in der Hand. Es besteht die Gefahr einer Entzündung des Benzins.
- Abstrakte Gefahr
- Die abstrakte Gefahr liegt zeitlich nicht im Vorfeld der konkreten Gefahr. Abstrakte und konkrete Gefahr unterscheiden sich auch nicht hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Es ist bei der abstrakten Gefahr vielmehr so, dass die Gefahrenquelle kein konkreter einzelner Sachverhalt ist, sondern ein gedachter, typisierter Lebenssachverhalt, aus dem sich eine Gefahr für Schutzgüter der Öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ergeben kann.
- Beispiel: Für den stark frequentierten Fußgängerbereich einer Innenstadt besteht die (abstrakte) Gefahr, dass durch frei umherlaufende große Hunde oder Kampfhunde dort befindliche Erwachsene, Kinder oder andere Hunde gebissen werden. Eine Stadt kann nun dieser abstrakten Gefahr durch eine Verordnung zu deren Erlass sie ein Gesetz ermächtigt, durch einen Leinenzwang begegnen.
- Anscheinsgefahr
- Der Schadenseintritt ist hinreichend wahrscheinlich, jedoch bestand im Nachhinein gesehen keine tatsächliche Gefahr. Die Anscheinsgefahr ist eine nach herrschender Meinung polizeirechtlich vollwertige Gefahr. Es gibt allerdings auch Ansichten, die mit gut vertretbaren Argumenten die Existenz der Kategorie der Anscheinsgefahr ablehnen und derartige Fälle als Situationen ansehen, in denen keine Gefahr besteht, weil eben tatsächlich kein Schadenseintritt droht.
- Beispiel: Einem Polizisten wird mitgeteilt, ein Koffer auf dem Marktplatz enthalte eine Bombe. Er verfügt daraufhin die Räumung des Marktplatzes; nachher ergibt sich, dass der Koffer leer war.
- Putativgefahr (auch Scheingefahr)
- Irrige Annahme einer Gefahr, wobei die Fehleinschätzung auf einer unvertretbaren Einschätzung beruht. Es liegt keine polizeirechtlich relevante Gefahr vor. Die Putativgefahr ermächtigt nicht zu Gefahrenabwehrmaßnahmen. Solche sind mithin rechtswidrig.
- Beispiel: Ein Polizist sieht, wie ein Kind mit einer Spielzeugpistole hantiert, die offensichtlich als solche zu erkennen ist. Er schreitet ein und beschlagnahmt das Spielzeug.
- Gefahrverdacht
- Eine Gefahr wird für möglich gehalten, auch wenn subjektiv noch Zweifel vorhanden sind. Der Schadenseintritt ist nicht hinreichend wahrscheinlich, jedoch möglich.
Es handelt sich um eine Gefahr i. S. d. Gesetzes, jedoch sind im Rahmen der Verhältnismäßigkeit vorerst nur gering einschneidende Maßnahmen zu ergreifen (z. B. Gefahrerforschung)
Klassifizierung und Kennzeichnung von Gefahr
- Gefahrenhinweise als allgemeine Gebrauchsanweisung
- Gefährdung in Sinne des Arbeitsschutzes
- Warnfarben als Signalfarbe in vielen Gebieten der Technik, aber auch in der Natur
- Gefahrzeichen, Verkehrszeichen der Straßenverkehrsordnungen
- Warnzeichen
- Sicherheitszeichen nach DIN 4844-2
- Gefahrgut im Straßenverkehr nach dem ADR:
- Gefahrgutklasse mit dem zugehörigen Gefahrzettel, z. B. „4.1“
- Gefahrnummer (Kemlerzahl) auf der Gefahrentafel, z. B. „33 | 1203“ mit der UN-Nummer des Stoffs
- Gefahrstoffe (Chemikalien) nach GHS:
- Gefahrenpiktogramme mit dem zugehörigen Signalwort, z. B. ein Piktogramm einer Flamme mit „Gefahr“
- H- und P-Sätze (Gefährdungs- und Sicherheitshinweise), z. B. „H302“
- Akustische Gefahrsignale (Warnsignale):
- Sirenensignale im Rahmen des Zivilschutzalarms
- Gefahrensignale für Arbeitsstätten nach ISO 7010
- Gefahrensignale des Signalbuchs für den Eisenbahnverkehr
- Gefahrenzonen, die sich auf einen bestimmten Grenzwert oder Schwellwert eines Gefahrenpotentials beziehen:
- Sicherheitsabstände in zahlreichen Situationen des Alltags
- Gefahrenbereiche etwa bei Feuerwehreinsätzen
- Gefahrenzonen einer Gefahrenkarte in Bebauungsplänen von Bereichen, die der Lawinen-, Bergsturz oder Überschwemmungsgefahr unterliegen, oder im Umkreis um Vulkane und in Erdbebenzonen
- Maurer-Schema zur Risikobewertung bei Großveranstaltungen
- Gefährdungsskalen für Naturerscheinungen
- Europäische Gefahrenskala für Lawinen
- Waldbrandwarnstufe
- Richterskala zur Klassifizierung der Stärke von Erdbeben anhand ihrer Schadfolgen
- Beaufortskala der Windstärke, Fujita-Skala der Schadensklassifikation für Starkwinderscheinungen
- Turiner Skala und Palermo-Skala, die Gefährdung und Grad der Zerstörung durch Einschlag eines Asteroiden und Kometen auf der Erde geben
- Gefährdungsstufen für Tier- und Pflanzenarten je nach Grad der Bedrohung; siehe Rote Liste gefährdeter Arten
Gefahrenstufen in der Rechtswissenschaft:
- Gegenwärtige Gefahr
- Das schädigende Ereignis steht unmittelbar oder in allernächster Zukunft mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevor, bzw. hat bereits begonnen (zeitlich erhöhte Schadensnähe). Das Vorliegen der gegenwärtigen Gefahr wird für das in Kraft treten bestimmter Befugnisse vorausgesetzt.
- Beispiel: Eine betrunkene Person nimmt in einem PKW Platz und legt den Gang ein.
- Gefahr im Verzug
- eine Sachlage, bei der ein Schaden eintreten würde, wenn nicht an Stelle der zuständigen Behörde oder Person eine andere Behörde oder Person tätig wird.
- Dringende Gefahr
- liegt vor, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Verlauf eines objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein wichtiges Rechtsgut schädigen wird. Die dringende Gefahr setzt KEINE zeitliche Dringlichkeit voraus.
Zitate
- Die erste Reaktion eines Menschen auf Schwierigkeiten und Gefahren ist ein Sammeln und Anspannen aller vitalen Energien, damit sie wach und bereit seien zum Einsatz gegen die feindlichen Umstände. – José Ortega y Gasset (Aufbau und Zerfall Spaniens, 1921)
- Der Soldat ist überzeugt, dass ihm eine gewisse beliebig ins Unendliche zu verlängernde Frist gewährt sei, bevor er getötet, der Dieb, bevor er gefasst wird, die Menschen im allgemeinen, bevor sie sterben müssen. Das ist der Talisman, der die Individuen – und bisweilen die Völker – nicht gegen die Gefahr selbst, aber gegen die Furcht vor der Gefahr, genauer noch, gegen den Glauben an die Gefahr schützt und in gewissen Fällen dazu verhilft, sich die Gefahr zuzumuten, ohne mutig zu sein. – Marcel Proust (Im Schatten der jungen Mädchen, ISBN 3-51857875-8, S. 182)
Literatur
- Dritter Gefahrenbericht der Schutzkommission beim Bundesminister des Innern. Bericht über mögliche Gefahren für die Bevölkerung bei Großkatastrophen und im Verteidigungsfall, Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Bonn 2006, ISSN 0343-5164
Siehe auch
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ ISO/IEC Guide 51
- ↑ Hennig, Tjarks: Wörterbuch zur Technischen Kommunikation und Dokumentation. tekom. 1998.
- ↑ Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (pdf, EUR-Lex)
- ↑ Art. 20 Signalwörter EG 1272/2008 (PDF, S. 16)
- ↑ Anhang VI 1.1.2.2. Kennzeichnungscodes EG 1272/2008 (PDF, S. 333)
- ↑ Art. 2 Begriffsbestimmungen 4.a) EG 1272/2008 (PDF, S. 9)
- ↑ Bundesverwaltungsgericht, Entscheidungen 45, 51, 57; Volltext