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Die liberalen Berufe im Allgemeinen

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Martin Weigert
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Titel: Die liberalen Berufe im Allgemeinen
Untertitel:
aus: Handbuch der Politik Dritter Band: Die Aufgaben der Politik, Vierzehntes Hauptstück: Die Lage der geistigen Berufe, 73. Abschnitt, S. 83−88
Herausgeber: Paul Laban, Adolf Wach, Adolf Wagner, Georg Jellinek, Karl Lamprecht, Franz von Liszt, Georg von Schanz, Fritz Berolzheimer
Auflage:
Entstehungsdatum: {{{ENTSTEHUNGSJAHR}}}
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Dr. Walther Rothschild
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Erscheinungsort: Berlin und Leipzig
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Quelle: Commons
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[83]
Vierzehntes Hauptstück.


Die Lage der geistigen Berufe.




73. Abschnitt.


Die liberalen Berufe im Allgemeinen.
Von
Dr. Martin Weigert.
Vom Volkswirtschaftlichen Sekretariat der Ältesten der Kaufmannschaft Berlin.


Inhalt:

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1. Literatur. – 2. Historische Entwicklung. – 3. Einzelne Berufsarten nach der Statistik. – 4. Begriffsbestimmung. – 5. Journalisten und Schriftsteller. – 6. Schauspieler. – 7. Kunstmaler, Bildhauer, kunstgewerbl. Zeichner etc. – 8. Musikerberufe. – 9. Ingenieure und Architekten. – 10. Praktische Volkswirte. – 11. Einfluss der lib. Berufe auf die moderne Gesellschaft und Volkswirtschaft.

Literatur:

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A.: Allgemeines.
Lorenz v. Stein: „System der Staatswissenschaften“, 2. Bd.: Die Gesellschaftslehre, Stuttgart 1856;
derselbe: „Volkswirtschaftslehre“, 3. Aufl. 1887. –
Schäffle: „Bau und Leben“, I, S. 299ff., III, S. 90ff. –
Schmoller: „Das Wesen der Arbeitsteilung und der soziale Klassenbildung“ im Jahrb. f. Gesetzg. und Verwalt. 1890, insbes. S. 68ff.;
Derselbe: „Grundriss der Volkswirtschaftslehre“, §§ 113–122, 133–137. –
Philippovich:„Grundriss der polit. Ökonomie“, Bd. I; insbesondere § 32 Berufsgliederung und Klassenbildung. –
Rümelin: Über Tatsachen der Berufsgliederung in Schönberg’s Handbuch, 2. Bd., S. 932. –
Bücher: „Entstehung der Volkswirtschaft“. –
Scheel: „Beruf und Berufsgliederung“ im Handwb. d. Staatswiss., 2. Aufl. –
Zahn: „Beruf u. Berufsstatistik“ im Handwb. d. Staatsw. 3. Aufl. 1909, Bd. 2, S. 793ff. –
Reichsstatistik: „Berufszählungen“ von 1882, 1895 und 1907.
B.: Einzelne Berufe:
Kulemann: „Berufsvereine“, Bd. 1. –
Richard Jacobi: „Der Journalist.“ (Buch der Berufe, Bd. 8.) Hannover 1902. –
Gustav Rickelt: „Schauspieler u. Direktoren“, Berlin, Langenscheidt 1910. –
Ludw. Wuthmann: „Der Musiker“, Jänecke, Hannover. –
Heinrich Waltz: „Die Lage der Orchestermusiker in Deutschland“, Volksw. Abh. d. bad. Hochschulen, Bd. 8, Heft 4. –
Jänecke: „Der Architekt“ (Buch der Berufe, Bd. 9), Hannover 1902. –
H. E. Krüger: „Der Beruf des praktischen Volkswirts“, –
Derselbe: „Die Wirtschaftliche und soziale Lage der Privatangestellten“, Erster Teil: „Die liberalen Berufe“ i. Schriften der Ges. f. soziale Reform, III. Band, Heft 6 u. 7 (1910).

Die heutige Gesellschaft mit ihrer Mannigfaltigkeit von Berufen hat sich erst im Laufe der Jahrhunderte aus der einfachen Familiengemeinschaft, innerhalb der die zur Lebenserhaltung und zum Lebensgenuss erforderlichen Arbeiten gemeinschaftlich verrichtet wurden, herausgebildet. Erst in langer geschichtlicher Entwicklung lösten sich die Verhältnisse dieser Gemeinschaft auf, der [84] Fortschritt führt zu einer immer weitergehenden Differenzierung der wirtschaftlichen Verrichtungen und bahnt allmählich eine technische wie gesellschaftliche Arbeitsteilung an. Die Arbeitsteilung aber trennt und verknüpft wiederum die Menschen politisch, geistig, wirtschaftlich und zwar in dem Masse, wie die Kultur steigt und die gesellschaftlichen Körper grösser und verschlungener werden. So kommt es einerseits zu einer Scheidung der Gesellschafts- und andererseits zur Ausbildung der verschiedenen Berufsklassen: das Handwerk tritt der Urproduktion, die Stadt dem Lande gegenüber; die Verfolgung religiöser Zwecke und die Verwaltung der gemeinsamen Interessen wird eine eigene Berufsaufgabe. Wissenschaftliche und künstlerische Bildung ermöglicht eine besondere wirtschaftliche Existenz – die liberalen Berufe sondern sich von den wirtschaftlichen Berufen ab.

Die Tätigkeiten, welche in unseren neuen Volkswirtschaften die liberalen Berufe charakterisieren, nämlich die Ausübung des ärztlichen und Rechtsanwaltsberufes, die Journalistik, das Künstler- und Gelehrtentum bildeten im Altertum vorwiegend die unbezahlte Nebenbeschäftigung der Priester oder anderen Aristokraten. Daneben fand sich aber früh der bezahlte Spielmann, Gaukler, Arzt und Künstler. Mit Ausbildung der Geldwirtschaft nimmt die Bezahlung der liberalen Tätigkeit einen immer grösseren Umfang an; es drängten sich zu diesen Berufen Talente aus allen Klassen. Insbesondere sind hierzu im Zeitalter des Perikles, Sokrates und Plato die Sophisten zu rechnen, die gewerbsmässig, für Geld, nicht bloss mancherlei positive Kenntnisse (Grammatik, Rhetorik, Rechts- und Staatslehre), sondern sittliche und politische Tüchtigkeit überhaupt zu unterrichten sich anheischig machten. Im Rom der Kaiserzeit waren es hauptsächlich asiatische und griechische Elemente, die daselbst als „Freigelassene“ lebten, keine feste Vorbildung, keine Standesehre besassen, sich für die minderwertigsten Gauklerkünste, wie für guten ärztlichen Rat gleich hoch bezahlen liessen und deren Charakterlosigkeit, Korruption und Gewinnsucht sprichwörtlich wurde.

In den einfachen mittelalterlichen Verhältnissen wurde die liberale Tätigkeit wieder zur unbezahlten Aristokratenarbeit des Klerikers und des Patriziers. Die Klöster waren der Hort stiller Gelehrsamkeit und wissenschaftlicher Bildung; an den Höfen der Ritter und Landesherren wurde eine edle Kunst gepflegt. Als beim Übergang in die komplizierte moderne Gesellschaft die Gelehrten- und Künstlertätigkeiten wieder nach Lohn zu gehen begannen, drohten die ähnlichen Gefahren, wie im Altertum: Die fahrenden Gelehrten, Schauspieler und Journalisten setzten sich vorwiegend aus Elementen zusammen, die moralisch keineswegs einwandfrei waren oder die sonstwie in anderen Karrieren Schiffbruch gelitten hatten.

Erst im letzten Jahrhundert, mit der Entwicklung unseres neuen Schul-, Studien- und Examenwesens, sowie unter dem Einfluss der Standesvereine, der Ärztekammern mit ihren Ehrengerichten etc. haben sich die meisten liberalen Berufe zu festen Laufbahnen umgebildet. Die einzelnen Gruppen haben für ihre Berufsangehörigen eine feste Standesehre, bestimmte Normen über Vorbildung, Studiengang, Berufspflichten und sichere Anstandsschranken des Gelderwerbes geschaffen. Obwohl alle diese Kreise dadurch ein gemeinsames Band umschlingt, dass sie an einer über der Volksschule stehenden Bildung und Gesittung und an gewissen gesellschaftlichen Lebensformen gleichmässig teilnehmen, so zeigen doch vielfach ihre Herkunft, ihre Sitten, ihre rechtliche und soziale Stellung grosse Abweichungen.

Die Zahl der Personen, welche heute zu den liberalen Berufen gerechnet werden, hat sich in den letzten hundert Jahren ausserordentlich vermehrt. Ihre Gesamtziffer lässt sich aus der Reichsstatistik nicht einwandfrei feststellen, da in dieser Berufsgruppe die Angehörigen der freien Berufe nicht von dem öffentlichen und Privatbeamtentum geschieden sind. Nichtsdestoweniger gibt die Betrachtung einzelner hierher gehöriger Berufsarten immerhin ein interessantes Bild. Nach der Reichsstatistik waren z. B. Erwerbstätige im Hauptberuf in der Berufsart Gesundheitspflege und Krankendienst tätig: 1882: 73 299, 1895: 122 138, 1907: 179 782.

In der Berufsart Privatgelehrte, Schriftsteller und Journalisten gab es im Jahre 1895: 5507, im Jahre 1907: 8753.

Die Berufsart Theaterdirektoren, Schauspieler, Dirigenten, Musiker und Künstler aller Art wies 1882: 46 508, 1895: 65 565, 1907: 81 415 Erwerbstätige auf.

Die folgende Darstellung muss sich, unter Ausschaltung des Ärzte- und Rechtsanwaltsstandes, welcher besonders behandelt ist, darauf beschränken, einige der wichtigsten hierher gehörenden [85] Berufsgruppen herauszugreifen und einen kurzen Hinweis auf die sozialpolitisch bedeutsamsten Seiten ihrer wirtschaftlichen und Berufsverhältnisse zu geben. Hierbei werden als zu den freien Berufen gehörig diejenigen Personenkreise gerechnet, die ausschliesslich oder vornehmlich von dem Ertrage ihrer geistigen oder künstlerischen Arbeit leben. Es zählen nicht hierzu diejenigen Kreise, welche infolge ihres Kapitalbesitzes und der Art ihrer Betätigung als Unternehmer oder dem Charakter ihrer Anstellung nach als öffentliche oder Privatbeamte angesprochen werden müssen.

Was zunächst den Journalistenberuf anbelangt, so finden sich hier infolge des starken Zuganges von Personen aus den verschiedensten Karrieren und mit der verschiedensten Vorbildung ein grosser Prozentsatz vorwiegend jugendlicher Elemente und nicht fest angestellter Reporter, die sich sehr notdürftig durchschlagen müssen, bis sie zu einem ausreichenden Einkommen, zu einer etatsmässigen Anstellung kommen. Es ist jedoch durchaus keine Seltenheit, dass junge Journalisten und Redakteure, die in Jahren, wo ihre Studiengenossen noch Probekandidaten oder unbesoldete Assessoren sind, bereits über ein Einkommen von 4000 Mark und mehr verfügen. Insbesondere finden Journalisten, die auf diesen Namen einen vollberechtigten Anspruch erhalten können und die sich auf politischem, volkswirtschaftlichem oder feuilletonistischem Gebiet bewähren, heute oft lohnenden Absatz ihrer Arbeiten. Korrespondenten für grosse politische Blätter in den Hauptstädten werden in der Regel über ein Einkommen von 10 000 bis 20 000 Mark verfügen. Wenn man von ganz kleinen Organen absieht, wird als das regelmässige Minimum für einen fest angestellten Redakteur wohl ein Gehalt von 3000 Mark zu betrachten sein; tüchtige Redakteure werden es im Laufe der Zeit unschwer zu Gehältern von 7500–10 000 Mark, in leitender Stelle auch wohl bis zu 12 000 Mk. und mehr bringen. So ungünstig, wie man gewöhnlich glaubt, steht es auch mit den Pensionsverhältnissen nicht. Eine Anzahl grosser Blätter hat im Anschluss an die für öffentliche Beamte bestehenden Grundsätze, auch für ihre Redakteure Pensionsberechtigung allgemein eingeführt, bei anderen bestehen mit den alten Mitgliedern der Redaktion besondere Abmachungen. Vielfach bedient man sich hierbei der Form der Lebensversicherung, der Rentenversicherung oder der Vermittelung einer der bestehenden Pensionsanstalten. –

Über die Lage der freien Schriftsteller resp. über ihre Einkommensverhältnisse können naturgemäss Zahlen nicht angegeben werden, da hierfür das persönliche Moment, insbesondere das Talent, die geistige Produktivität, die von den schriftstellerischen Qualitäten abhängige Beliebtheit bei dem lesenden Publikum von ausschlaggebendem Einflusse sind. Jedenfalls leiden aber auch die Schriftsteller z. T. empfindlich unter dem starken Überangebot, welches sich auf dem literarischen Markt seit Jahren fühlbar macht. – Die Schriftsteller und Journalisten haben sich in verschiedenen bedeutenden Berufsvereinen, so in dem „Deutschen Schriftstellerverband“, in dem 18 Untervereine umfassenden „Verband Deutscher Journalisten- und Schriftstellervereine“ (München), im „Allgemeinen Schriftstellerverein“, im „Verein Deutscher Redakteure“, im „Verein Berliner Presse“ etc. zusammengeschlossen. Diese Vereine haben sich mit wichtigen Fragen des Urheberrechtes, des Pressrechtes und Pressstrafrechtes befasst, haben sich für Aufhebung der Theaterzensur ausgesprochen, suchen Streitigkeiten der Mitglieder untereinander zu schlichten, Normen für die Wahrung der Standesehre und für allgemeine Standesfragen aufzustellen. Sie sind für die Einrichtung von Pressekammern nach dem Vorbilde der Ärzte- und Anwaltskammern eingetreten, haben Schiedsgerichte, Rechtsauskunftsstellen, Arbeitsnachweise, sowie Unterstützungs- und Pensionskassen aller Art ins Leben gerufen.

Über die Einkommenverhältnisse, die soziale und rechtliche Stellung der Schauspieler sind im Jahre 1910 von Gustav Rickelt hochinteressante Untersuchungen veröffentlicht worden. Das Bild, welches da von den Betriebsarten und den Verhältnissen entworfen wird, unter denen die überwiegende Mehrzahl der Schauspieler und Schauspielerinnen ihre Kunst ausüben müssen, ist ein wenig erfreuliches, ja mitunter sogar ein recht trostloses. Rickelt zählt in Deutschland 30 Hof-, Stadt- und Privattheater mit ganzjähriger Spielzeit, 320 Wintertheater, 150 Sommertheater und 120 reisende Gesellschaften, an denen insgesamt 16 000 darstellende Künstler (Schauspieler, Schauspielerinnen, Sänger, Sängerinnen, Choristen und Balletpersonal) beschäftigt sind. Nur an den erstgenannten „grösseren Theatern“ sind ca. 1200 Schauspieler tätig, die ein volles Jahreseinkommen in Höhe von 2000 bis 20 000 Mark je nach Stellung und künstlerischer Qualität beziehen. Hierzu [86] kommen noch ca. 1400 Schauspieler, die an grossen Provinztheatern für 8 Monate im Jahre mit Gagen von 3000 Mark und mehr engagiert sind. Also nur höchstens 25% oder ¼ aller deutschen Schauspieler hat eine gesicherte auskömmliche Stellung, d. h. ein Einkommen über 3000 Mark. Wieder ¼, also wieder 25% beziehen ein Einkommen von 1000 bis 3000 Mark, 50%, also die Hälfte aller deutschen Schauspieler, die nur 6 Monate oder noch geringere Zeiträume Engagements finden, haben ein Einkommen unter 1000 Mark. Hierzu kommt noch die betrübende Tatsache, dass in jeder Spielzeit ungefähr 1500 Schauspieler ohne Engagement, also fast der zehnte Teil aller Schauspieler ständig brot- und erwerbslos ist. Dieses wirtschaftliche Elend der Mehrzahl der deutschen Schauspieler wird noch durch Verträge gesteigert, die mit unserem modernen sozialen Empfinden und Rechtsbewusstsein schwer in Einklang zu bringen sind. Durch die vielfach übliche Bestimmung in den Verträgen, dass die männlichen Mitglieder neben Perücken, Schminke und allen Toilettenartikeln die gesamte moderne Tracht, die weiblichen Mitglieder obendrein noch alle erforderlichen historischen Kostüme auf eigene Kosten zu stellen haben, erwachsen den Künstlern Unkosten, die häufig in einem schreienden Missverhältnis zu ihrer Gage stehen, ja bei Schauspielerinnen nicht selten die ganze Gage aufzehren. Weitere Missstände in den Verträgen beziehen sich auf unentgeltliche Vorproben, Gagenausfälle in der Charwoche etc., Kürzung der Gagen und Kündigungsrecht in Erkrankungsfällen, auf das Strafsystem, die Disziplinar- und Hausordnung etc. Rigorose Bestimmungen über den Probemonat, die Volontärzeit, die Möglichkeit einseitiger Kontraktlösung durch den Bühnenleiter finden sich gleichfalls eben so häufig, wie weit über das Mass des Berechtigten und Billigen hinausgehende Konkurrenzklauseln. Endlich wird auch über die moralischen Gefahren, welchen die Schauspielerinnen durch ihre prekäre finanzielle Lage ausgesetzt sind, sowie über die Hygiene im Theaterbetriebe ein wenig erfreuliches Bild entworfen. Um die Bekämpfung der geschilderten Missstände, insbesondere um die Schaffung eines einheitlichen Theaterrechts, die Regelung des Konzessionswesens, die Aufstellung allgemeiner Grundsätze für einheitliche Anstellungsverträge etc. hat sich die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger teilweise mit Erfolg bemüht. Die Genossenschaft, welche im Jahre 1913 300 Ortsverbände mit ca. 12 500 Mitgliedern umfasst, ist ferner bestrebt gewesen, die Beziehungen zu den Theateragenturen und die von ihnen erhobenen Gebühren zu regeln, durch Aufklärung hat sie den bisherigen ungesunden Zudrang zu den Theaterlaufbahnen einzuschränken gesucht und hat endlich eine Sterbekasse, eine Witwen- und Waisenpensionsanstalt ins Leben gerufen.

Die wirtschaftliche und soziale Lage der Kunstmaler und Bildhauer, soweit sie als freischaffende Künstler zu den freien Berufen zu zählen sind, ist eine ausserordentlich verschiedene. Die grosse Mehrzahl rekrutiert sich aus schwer um ihre Existenz ringenden Talenten aller Altersstufen, die im Vertrauen auf ihr Können und auf bessere Zeiten vielfach mit einem geringeren Jahreseinkommen als ein gelernter Arbeiter, durch gelegentlichen Verkauf ihrer Kunstwerke oder durch künstlerischen Unterricht gewissermassen von der Hand in den Mund leben. Daneben findet sich eine im Vergleich hierzu immerhin geringe Anzahl von Künstlern, welche sich durch Glück im Verein mit hervorragendem Können einen Namen gemacht haben und dank ihrer Beliebtheit durch lohnende Aufträge und guten Absatz ihrer Kunstwerke vielfach ein glänzendes Einkommen beziehen. Der Versuch einer zahlenmässigen Erfassung der wirtschaftlichen Lage dieser Klasse ist bisher nicht gemacht worden und wird sich wohl auch schwerlich mit Erfolg durchführen lassen. Ein nicht unerheblicher Teil von bildenden Künstlern stellt seine Kunstfertigkeit und künstlerische Begabung in den Dienst des Kunstgewerbes oder der Industrie, insbesondere der Möbel- und Metallindustrie sowie der keramischen und graphischen Gewerbe. Diese Künstler pflegen zu einem oder mehreren Industriellen in festen geschäftlichen Beziehungen zu stehen, von ihnen abhängig zu sein und deshalb nicht für den freien Markt zu arbeiten; ihr Einkommen ist meist ein regelmässiges und kommt vielfach dem der höher bezahlten Handlungsgehilfen und Privatbeamten (Techniker und Ingenieure) gleich, wie überhaupt ihre wirtschaftliche Lage in vielen Beziehungen mit derjenigen der grossen Privatbeamtenklasse übereinstimmt. In Hinblick hierauf erstreben auch ihre Organisationen eine rechtliche Gleichstellung mit den kaufmännischen Angestellten, stellen die nämlichen sozialpolitischen Forderungen an die Gesetzgebung und treten für eine Reform des kunstgewerblichen Schulwesens unter Mitwirkung der Vertreter der Berufsorganisationen nach dem [87] Vorbilde des kaufmännischen und gewerblichen Unterrichtswesens ein. Überdies wünschen sie eine Verbesserung des Urheber- und Erfinderrechts zugunsten der Angestellten und Gewährleistung eines angemessenen Anteiles an dem Nutzen und der praktischen Verwertung der Erfindungen.

Das gleiche, was von den freischaffenden Vertretern der bildenden Künste gesagt ist, gilt im grossen und ganzen auch von den Solisten im Musikerberufe. Die soziale Stellung und die Höhe des Einkommens der letzteren hängt im wesentlichen von dem durch ihre künstlerischen Leistungen bedingten guten Klang ihres Namens, sowie von ihrer Beliebtheit im Publikum ab. Ihnen steht die grosse Masse der Orchestermusiker gegenüber, die zwar ihr Instrument beherrschen müssen, aber solistisch nicht soweit ausgebildet sind, um innerhalb des Orchesters eine bevorzugte Stellung einzunehmen. Das Gehalt eines ständigen Mitglieds einer grossen Kapelle schwankt zwischen 1500 und 3000 Mark im Jahre, wovon jedoch in vielen Fällen Abzüge für die Pensionskasse usw. gemacht werden. Konzertmeister- und Solistenstellen beginnen meist mit einem Anfangsgehalt von etwa 3000 Mark, das sich in grossen Orchestern auf 5–6000 Mark steigert. – Bei kleinen Orchestern, sogenannten Saison-Orchestern, städtischen Kapellen u. a. wird meist eine monatliche Honorierung abgemacht. Die Gage schwankt in solchen Orchestern zwischen 70 und 150 Mark monatlich, oder wenn Beköstigung und Wohnung geboten wird, zwischen 30 und 100 Mark monatlich. Bei vielen kleinen Salonorchestern wird meist auf Teilung gespielt, die dann allwöchentlich reguliert wird. 18 500 deutsche Musiker sind zur Zeit in Standesvereinen organisiert, von denen der 184 Untervereine umfassende „Allgemeine Deutsche Musikerverband“' mit ca. 1650 Mitgliedern (1913) die grösste Bedeutung erlangt hat. Die hauptsächlichsten Forderungen dieser Kreise beziehen sich auf ein völliges Verbot gewerblichen Musizierens für Militär- und Beamtenkapellen. Sie sind ferner bestrebt, eine reichsgesetzliche Regelung der Verhältnisse der Musiker durch Nutzbarmachung der Gewerbeordnung (Kranken- und Invalidenversicherung, Arbeiterschutz, Gewerbegericht, Fortbildungsschulzwang, Verbot der Nachtarbeit für Lehrlinge) herbeizuführen. Auch suchen sie mit Hilfe ihrer Organisationen unbillige Bedingungen aus den Anstellungsverträgen zu beseitigen, eine zeitgemässe Erhöhung und tarifliche, den lokalen Verhältnissen entsprechende Festsetzung der Gagen für alle Musikerleistungen herbeizuführen, sowie durch Rechtsschutz, Einrichtung einer Musikerbörse und verschiedene Unterstützungskassen die materielle Lage der Musiker zu heben und zu sichern.

Auch bei den schaffenden Musikern, den Tonsetzern oder Komponisten, haben sich gemeinsame Standesinteressen herausgebildet, welche sie zur Organisierung in Berufsvereinen, als deren bedeutendste die Genossenschaft deutscher Tonsetzer anzusprechen ist, geführt haben. Diese Standesinteressen beziehen sich hauptsächlich auf die wirksame Wahrnehmung aller musikalischen Urheber- und Verlagsrechte und die Beratung gemeinsamer, die soziale und wirtschaftliche Hebung des Standes berührender Angelegenheiten durch Erteilung von Rat, Auskunft, Begutachtung, Rechtsschutz und Unterstützung bedürftiger und alter Standeskollegen. Von der Genossenschaft ist eine Anstalt für musikalisches Aufführungsrecht ins Leben gerufen worden, die es sich zur Aufgabe gemacht hat 1. die musikalischen Aufführungsrechte für die Berechtigten zu erwerben und unberechtigte Aufführungen zu verfolgen, 2. den Veranstaltern musikalischer Aufführungen die durch das Urheberrechtsgesetz vorgeschriebene Aufführungsgenehmigung zu erteilen. Ihre Tätigkeit besteht darin, dass sie sich von den ihr angeschlossenen Komponisten und Verlegern das Aufführungsrecht abtreten lässt, um es in deren Interesse durch Verträge mit Kapellen, Konzertlokalen, Badeverwaltungen, Gastwirten etc. finanziell zu verwerten.

Die technischen Disziplinen stellen ein verhältnismässig geringes Kontingent zu den liberalen Berufen. Die bei weitem überwiegende Mehrzahl der Ingenieure, Techniker und Architekten sind teils als Unternehmer, teils als leitende und mittlere Angestellte industrieller Betriebe, sogenannte Privatbeamte, tätig oder werden als „öffentliche Beamte“ in den Verwaltungsbehörden und Betrieben des Staates und der Kommunen (insbesondere im Hoch- und Tiefbau, im Eisenbahnwesen, in der Marine, den kaiserlichen Werften etc.) beschäftigt. Zu den liberalen Berufen zählen im wesentlichen nur Zivilingenieure und selbständig künstlerisch schaffende Architekten. Sie sind zum Teil in grossen Berufs- und Fachvereinen organisiert (Bund deutscher Architekten, Verein deutscher Ingenieure, Verband deutscher Architekten- und Ingenieurvereine, Berliner [88] Architektenverein etc.), doch hat sich die Tätigkeit dieser Vereine vorwiegend auf das wissenschaftlich-technische Gebiet erstreckt. Eine Hebung der sozialen Stellung und eine Förderung der materiellen Interessen der Architekten und Ingenieure ist von einzelnen Vereinen durch Ausarbeitung von Normaltarifen für Honorarforderungen und Aufstellung von Entwürfen zu Verträgen zwischen Bauherren, Architekten und Unternehmern, sowie durch Verhandlungen über Regelung der Haftpflicht versucht worden. Andere Organisationen bekämpfen das Techniker- und Handwerkerwesen, dem sie Halbbildung und Überschreitung der natürlichen Grenzen zum Vorwurf machen. Ein Gegensatz besteht auch zu den staatlichen, städtischen und kirchlichen Baubeamten, weil diese die Entwürfe für die in ihrer Verwaltung auszuführenden Bauten selbst herstellen, anstatt sie Architekten zu übertragen. An die gesetzgebenden Faktoren sind Eingaben gerichtet worden, in welchen eine Gleichstellung der technischen Hochschulen mit den Universitäten gefordert und eine Regelung der Titelfrage angeregt wird. Daneben sind die Probleme der Beschäftigungslosigkeit und die Ordnung des öffentlichen Submissionswesens zum Gegenstände der Erörterungen gemacht worden.

Die moderne wirtschaftliche Entwicklung hat bekanntlich den Anstoss zur Bildung von Kartellen, Syndikaten, Konventionen, Unternehmerverbänden und amtlichen Interessenvertretungen, wie Handels-, Gewerbe-, Handwerks- und Landwirtschaftskammern, gegeben. Die Führung der Geschäfte dieser Organisationen liegt zum grossen Teil in der Hand wissenschaftlich vorgebildeter, praktischer Volkswirte, die zu den freien Berufen gezählt werden müssen, da sie dem Charakter ihrer Stellung nach weder unter die Klasse Privatbeamten noch unter die der öffentlichen Beamten fallen. Die wirtschaftliche Lage der grossen Mehrzahl der praktischen Volkswirte entspricht vielfach keineswegs ihrem Bildungsgrade und ihrer sozialen Stellung. Die Besoldung auf den leitenden Posten, welche naturgemäss nicht dicht gesät sind, schwankt bei den öffentlichen Korporationen zwischen 3000 und 7500 Mark. An wenigen grossstädtischen Handelskammern sowie bei einzelnen bedeutenden Kartellen und Interessenorganisationen erreichen die Geschäftsführer Gehälter von 8000, 10 000, ja mitunter 12 000 Mark und mehr. Dieser Oberschicht steht die grosse Masse der volkswirtschaftlichen Sekretäre, Assistenten, wissenschaftlicher Hilfsarbeiter etc. gegenüber, die nach längerer unbesoldeter Volontärzeit Gehälter beziehen, welche je nach dem Dienstalter zwischen 1200 und 3600 Mark schwanken. Da vor einigen Jahren die Aussichten zu schneller Erlangung einer besoldeten Stellung in diesem Berufe günstiger erschienen, als in irgend einer höheren Staatsbeamtenkarriere und überdies keine schwierigen Staatsexamina den Eintritt hemmten, hat sich in den letzten Jahren ein steigender, den Bedarf überschreitender Zudrang zu den fraglichen Stellungen bemerkbar gemacht. Eine Besserung hierin kann vielleicht erzielt werden durch Aufklärung über die wenig günstigen Berufschancen, durch Vorschriften über einen bestimmten Bildungsgang sowie durch Einführung einer dem Assessorexamen entsprechenden Prüfung über die praktische Ausbildung. Die standespolitischen Bestrebungen des „Deutschen volkswirtschaftlichen Verbandes“, der einzigen bedeutenderen Berufsorganisation, haben bisher wenig positive Erfolge hinsichtlich der Hebung der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Volkswirte gezeitigt. Durch Publikation von Vakanzenlisten, die jedoch nur einen verhältnismässig kleinen Prozentsatz direkt der Geschäftsstelle angemeldeter Vakanzen enthalten, betreibt der Verband eine primitive Stellenvermittelung. –

Die Bedeutung, welche die liberalen Berufe für unsere moderne Gesellschafts- und Wirtschaftsentwicklung erlangt haben, wird treffend durch die diesbezüglichen Ausführungen Gustav von Schmollers (Grundriss der Volkswirtschaftslehre Bd. I, S. 379) charakterisiert, welcher darauf hinweist, dass diese Klasse dem ganzen Mittelstande, der sonst überwiegend dem Geschäfte und dem Erwerbe lebt, eine edlere Denkungsart eingeimpft sowie eine gewisse geistige Schwungkraft verliehen hat, die den nakten egoistischen Klasseninteressen anderer Kreise ein ideales Gegengewicht entgegenstellen. Die liberalen Berufe haben vielleicht zeitweise mit abstrakten Theorien Staat und Gesellschaft zu sehr beeinflusst. Im ganzen aber sind sie die eigentlichen Träger des wissenschaftlichen Fortschritts, des Idealismus und der vornehmen Gesinnung gewesen. Heute mehr als früher übt der Stand unserer Gelehrten, Ärzte, Rechtsanwälte, Künstler, Journalisten, Volkswirte etc. durch seine Berufstätigkeit einen ausserordentlich grossen Einfluss auf die Weiterentwicklung von Gesellschaft und Volkswirtschaft aus.