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Februarrevolution 1917

Februarrevolution 1917

Die Februarrevolution (russisch Февральская революция / Transkription Fewralskaja rewoljuzija) des Jahres 1917 beendete die Zarenherrschaft in Russland. Der Name geht auf den damals in Russland geltenden Julianischen Kalender zurück. Nach gregorianischer Zeitrechnung begann die Revolution am 8. März. Unmittelbare Ursachen der Februarrevolution waren die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges, die die bereits in der Revolution von 1905 zutagegetretenen sozialen Spannungen der Vorkriegszeit weiter zugespitzt hatten.

An die Stelle der Zarenherrschaft bzw. Zarenregierung trat zunächst ein Nebeneinander von Parlament (Duma) und Arbeiter- und Soldatenräten (russ. Sowjet). Die Duma setzte eine Provisorische Regierung zunächst unter Ministerpräsident Lwow und dann unter Kerenski ein. Für den Herbst des Jahres 1917 plante die Duma die Wahl einer Verfassunggebenden Versammlung, die über die künftige Staatsform Russlands entscheiden sollte. Jedoch übernahmen noch im selben Jahr die Bolschewiki gewaltsam durch die Oktoberrevolution die Macht in Russland.

Inhaltsverzeichnis

Vorgeschichte

Die Niederlagen des Zarenreiches gegen England und Frankreich im Krimkrieg der Jahre 1854/1856 hatten schonungslos offengelegt, dass eine grundlegende wirtschaftliche und soziale Erneuerung des zaristischen Reiches nötig war. Es folgten die Großen Reformen, die beispielsweise die Aufhebung der Leibeigenschaft im Jahre 1861, die Justizreform im Jahre 1864 und die Einrichtung von Selbstverwaltungsorganen auf Gouvernementebene, die Semstwos, im Jahre 1864 umfasste. Dazu gehörte auch eine Strategie zum Aufbau einer eigenen Schwerindustrie, wie es sie im Vereinigten Königreich gab.

Die bisherige Beschränkung auf Textilindustrie und sonstige Leichtindustrie sollte überwunden und Russland in die Lage versetzt werden, selbst Lokomotiven, Dampfmaschinen und Kanonen herzustellen. Die daraufhin neu erbauten Fabriken, zumeist große Unternehmen, die dank ausländischem Kapital und staatlichen Subventionen errichtet wurden, zogen immer mehr Arbeiter aus den ländlichen Regionen in die neuen Industriezentren. Diese neue Verstädterung sollte durch die Beibehaltung der Passkontrolle durch die Dorfgemeinden aufgehalten werden, konnte aber die schnell anwachsende Zahl von Abwanderern in die Städte nicht verhindern. Daraufhin wurde beides zum Problem, zum einen die große Anziehungskraft der höheren Löhne in den Fabriken (Städte) und im Gegensatz dazu die abstoßende Kraft einer zunehmenden Überbevölkerung auf dem Land. Dies machte alle Gegenmaßnahmen der zaristischen Autokratie zunichte, es entstanden Arbeitervororte, Massenelend und eine Soziale Frage in den wenigen, aber umso größeren Städten des Zarenreiches.

Auf die Entstehung eines Vierten Standes in der russischen Gesellschaft war die zaristische Regierung denkbar schlecht vorbereitet. Die neue Arbeiterschaft passte nicht in die im Zarenreich bestehende agrargesellschaftliche „Ordnung“. Der Stand blieb ein Fremdkörper, den trotz partieller Modernisierungsbereitschaft weder die Autokratie akzeptierte noch der Adel, der den kleinsten Anteil an der Bevölkerung des Zarenreiches darstellte und den Staat weiterhin trug.

Der wirtschaftliche, soziale und administrative Wandel ging zumindest in den Städten mit einer Art kulturellen Modernisierung einher. Ein Land wie das zaristische Russland, das sich anschickte eine konkurrenzfähige Industrie aufzubauen, um den Anforderungen des Krieges zu entsprechen, die Gesetzeskonformität durch ein zeitgemäßes Justizsystem zu befördern und durch Dezentralisierung die Effizienz der regionalen Verwaltungen zu verbessern, brauchte eine deutliche Erhöhung der Breitenqualifikation. In der Tat leisteten die Regionalverwaltungen, die Semstwos, beim Aufbau eines Bildungswesens und in der öffentlichen Gesundheitsvorsorge Erstaunliches. Der Staat baute die Universitäten aus und zog eine Bildungselite aus Lehrern, Ärzten, Juristen und Ingenieuren heran, die in erheblichem Maße unter den Einfluss westeuropäischer politischer Ideen und allgemein weltanschaulich-moralischer Vorstellung geriet. Diese galten zu dieser Zeit als fortschrittlich, an ihnen richteten viele ihre Lebensziele und Gewohnheiten aus. Es bildete sich eine Intelligenzija heraus, die für Reformen aufgeschlossen war und es ablehnte, sich in ihrem öffentlichen Handeln von einem allgegenwärtigen Staat einschränken zu lassen. Es wäre aus heutiger Sicht jedoch falsch, die Intelligenz und Opposition gleichzusetzen, erst recht hatten „intelligent“ und „revolutionär“ nicht die gleiche Bedeutung.[1]

Autoritätsverlust des Zaren und Niederlagen im Ersten Weltkrieg

Nikolaus II. auf einem Gemälde von Earnest Lipgart

Zar Nikolaus II. befahl Ermordungen von politischen Gegnern oder verhaftete diese – meistens wurden solche politische Gefangene in sibirische Arbeitslager gesteckt – und installierte kurzfristig ein Spitzelsystem im ganzen Land. Im Jahre 1905, am Petersburger Blutsonntag, ließ er auf Demonstranten schießen, seine Geheimpolizei und das Militär wurden angewiesen, jeden Aufstand im Keim zu ersticken. Schließlich musste Nikolaus doch eine Wahl zur Duma zulassen. Den Rat seines früheren Finanzministers Sergei Witte, der ihm schnelle und umfassende Reformen empfahl, ignorierte Nikolaus weitgehend. Außerdem brach er mehrfach willkürlich die Verfassung.

Spätestens im September des Jahres 1915, als der Zar das Parlament ein weiteres Mal auflöste, verfestigten sich die Spannungen zwischen Parlament und Zar zu Gegensätzen, die einen Kompromiss unter Wahrung des inneren Friedens kaum noch zuließen. Die Semstwos und die städtischen Selbstverwaltungsorgane, die sich zu einem reichsweiten Verbund zusammengeschlossen hatten, bildeten gemeinsam mit verschiedenen liberalen (bis zu den moderaten Monarchisten reichenden) Parteien in der Duma einen so genannten Progressiven Block, der die Forderung nach einer Teilnahme an der Regierung mit neuem Nachdruck erhob.

Der Erste Weltkrieg hatte, wie in allen europäischen Staaten, bei der Bevölkerung mit einem nationalen Hochgefühl begonnen. Nach der Wende an der deutschen Ostfront mit der Schlacht von Gorlice-Tarnów des Jahres 1915 kam es jedoch zu einer Serie von empfindlichen Niederlagen. Im Zuge der deutschen Gegenoffensive des Jahres 1915 musste Russland sich immer mehr zurückziehen. Infolge dieses Großen Rückzugs der Kaiserlich Russischen Armee gingen zunächst Polen, Litauen, Kurland und weite Teile des westrussischen Gebietes bis zu einer Linie von der Düna zur rumänischen Grenze verloren. Dieser regelrechte Zusammenbruch der, zumeist schlecht ausgerüsteten, russischen Armee an der Westfront zog eine schwere Krise der obersten militärischen Führung mit sich.

Der Zar als Oberbefehlshaber

Zar Nikolaus II. und General Brussilow

Entgegen der einstimmigen Bitte seiner Minister auf einer Sitzung des Ministerrates setzte der Zar den russischen Oberbefehlshaber Nikolai Nikolajewitsch ab, übernahm am 23. Augustjul./ 5. September 1915greg. selbst den Oberbefehl und ernannte General Alexejew zum Generalstabschef. Am selben Tag traf der Zar im Hauptquartier an der Kriegsfront im fernen Mogilew ein. Nach dem geschlossenen Rücktritt der zaristischen Regierung lag der „Schlüssel des Schicksals“ des durch den Krieg und die Inflation ökonomisch stark eingeschränkten Landes nun bei der Armee, da der Zar jeden weiteren Rückzug und jede weitere Niederlage auch persönlich verantworten musste. Zunächst gelang es jedoch im September 1915, durch starke Gegenangriffe die Front zu stabilisieren.

Der Zarewitsch befand sich ebenfalls in Mogilew, die Zarin und die Töchter kamen wiederholt zu Besuch. Nikolaus II. widmete sich seiner neuen Aufgabe mit Hingabe und wurde in seiner Entscheidung nach dem Rückschlag in der Schlacht am Naratsch-See durch den Erfolg der Brussilow-Offensive im Jahr 1916 bestärkt. Andererseits desertierten allein 1916 eineinhalb Millionen russische Soldaten.[2] Für 1917 wurde eine neue Sommeroffensive geplant.

Fortdauer der politischen Krise

Um diese Zeit flammten die Streiks der hauptstädtischen Arbeiter, die im Vorkriegsjahr einen Höhepunkt erreichten, danach aber im Geiste der neuen nationalen Solidarität und des Weiteren als Folge der Mobilmachung abgeflaut waren, wieder auf. Fortan weiteten sie sich, angefacht durch dramatisch zunehmende Versorgungsprobleme sowie Brennstoffmangel und einen ungewöhnlich kalten Winter in den Jahren 1916/17, zu einem regelrechten Flächenbrand aus, den die Autokratie nicht mehr einzudämmen vermochte.[3] Im November schrieb Großfürst Michail an seinen Bruder, den Zaren: „Ich bin überzeugt, dass wir auf einem Vulkan stehen und schon der kleinste Funke, der kleinste falsche Schritt eine Katastrophe für Dich, für uns alle und für Russland auslösen kann.“[4]

Durch die Missstände zerbrach der vereinbarte Burgfrieden, der erst das Stillhalten der Opposition innerhalb des Krieges sichern sollte, recht schnell. Die wachsende Protestbereitschaft der Bevölkerung zeigte sich in der Duma, die von Vertretern des Bürgertums und des Adels dominiert wurde. Hier umfasste der Progressive Block alle Abgeordneten außer Rechts-/Links-Radikalen, und forderte eine Liberalisierung Russlands. Bald schloss sich dieser Block zum Semstwo (ländliche Selbstverwaltung) und Kongress des Städteverbandes zusammen. Die Forderungen des Semstwo waren das Ende der Autokratie und eine siegreiche Beendigung des Krieges. Die Antwort des Zaren war die Auflösung der Duma; Abgeordnete wurden trotz Immunität unter polizeiliche Überwachung gestellt. Daraufhin befand sich Nikolaus hauptsächlich im Hauptquartier der Armee und die unbeliebte Zarin Alexandra übernahm somit die Hauptgeschäfte der Politik.

Ökonomische Krise und sozioökonomischer und kultureller Wandel

Mit dem sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Wandel hielt die politische Entwicklung nicht Schritt. Dies war eines der Grunddilemmata der Reformversuche der Zarenregierung, nämlich dass die Autokratie ihre eigene nötige Modernisierung verpasste. Durch den Druck des Generalstreiks in Petrograd musste der Zar 1905 im so genannten Oktobermanifest eine Duma gewähren, die er aber in ihren Rechten beschränkte. Doch ohne die Regierung wählen und zur Verantwortung ziehen zu können, blieb das Parlament formal weitgehend machtlos. Es entstand eine doppelte Diskrepanz. Auf der einen Seite stand der sozioökonomische kulturelle Wandel sowie die politische Partizipationsverweigerung. Auf der anderen Seite stand der nachholende Charakter dieser Modernisierung im Vergleich zur Modernisierung in Westeuropa. In der Arbeiterschaft wuchs zunehmend eine marxistische Bewegung, und obwohl die Bauern nichts von einer Bewegung gegen den Zaren wissen wollten, wuchs auch bei ihnen der Anteil derjenigen, die die neue Ideologie unterstützten und den Sturz des Zaren vorantrieben. Sie strebten einen neuen agrarsozialistischen Staat an.[3]

Der russische Staat machte während des Ersten Weltkrieges eine enorme Wirtschaftskrise durch. Die Erfordernisse der modernen Kriegsführung veranlassten das Zarenreich zum Ausbau der industriellen Kapazitäten. Zu deren Finanzierung wurde nach dem Scheitern von Kriegsanleihen schließlich vermehrt Geld gedruckt. Das löste im zweiten Kriegsjahr eine signifikante Inflation aus. Bis Ende 1916 fand eine durchschnittliche Verteuerung von Arbeit und Gütern um 400 Prozent statt. Dadurch wurde wiederum die Nahrungsmittelproduktion der Großgrundbesitzer nahezu lahmgelegt, da diese auf die Beschäftigung von Lohnarbeitern angewiesen waren.

1916 verschlechterte sich die Ernährungslage der Bevölkerung beträchtlich. Die Heeresverwaltung kaufte die Lebensmittel für die Armee in den westlichen Provinzen auf, wodurch es immer schwerer wurde, Ersatz für die Zivilbevölkerung zu beschaffen. Im Herbst 1916 begann das Schlangestehen der Bevölkerung vor den Bäckereien. Bei den Streiks wurde immer lauter das Ende des Krieges und ab Oktober 1916 auch das Ende der Zarenherrschaft gefordert.

Die Kleinbauern produzierten zwar noch genügend Nahrungsmittel, allerdings wurde für sie der Verkauf ihrer Erträge unrentabel. Inflation und Konzentration auf die Fertigung für das Militär hatten die Preise für industrielle Güter, die die Bauern benötigten, nach oben getrieben. Da der Strom von Fertiggütern von den Städten auf das Land versiegte, kam auch der Gegenstrom von landwirtschaftlichen Erzeugnissen in die Städte zum Erliegen. Des Weiteren fielen mehrere Millionen Haushalte weg, die sich bis zum Kriegsbeginn auf dem Land durch simple handwerkliche Fertigung von Gebrauchsgütern über Wasser gehalten hatten. Diese halbbäuerliche Schicht der Gesellschaft wurde teilweise durch die Verpflichtung in der Armee, zum größten Teil allerdings durch die höheren Löhne in den Fabriken der Städte geschwächt.

Landwirtschaft

Russische Bauern bei der Heuernte 1909

Die russische Volkswirtschaft war um das Jahr 1916 immer noch relativ stark landwirtschaftlich geprägt, sodass es ohne Mithilfe der Bauernschaft, die einen sehr großen Bevölkerungsteil des Zarenreiches darstellte, keine Revolution geben konnte. Aufgrund von Not und enttäuschten Erwartungen an die zaristische Regierung war es bereits öfter zu Erhebungen der Bauern gekommen, die meist mit der Verbrennung von Gutshöfen, der Plünderung von Vorratsspeichern und der eigenmächtigen Inbesitznahme von Land verbunden waren, besonders jener „abgeschnittener Landstücke“, die vor der schwierigen Entflechtung von Guts- und Bauernwirtschaften im Gefolge der Aufhebung der Leibeigenschaft 1861 von der Dorfgemeinde bewirtschaftet worden waren und von dieser beansprucht wurden. Zumeist brachen solche Aufstände ebenso schnell wieder zusammen, wie sie entstanden waren.

Nach Kriegsbeginn im Jahre 1914 gab es kaum agrarischen Sozialprotest. Da die große Mehrheit der Rekruten aus Dörfern kam, gab es hier kaum noch jemanden, der sich gegen die Obrigkeit hätte erheben können. Erst eine neu entstehende Verbindung zwischen den Bauern in den ländlichen Regionen und den Städtern verlieh einem neu ausbrechenden agrarischen Sozialprotest eine revolutionäre Qualität.

Hildermeier schreibt hierzu:[1]

„Allem Anschein nach hat der Ausbruch der Revolution mit langfristigen Veränderungen zu tun, die den parochialen dörflichen Horizont aufbrachen und für überregional-gesamtstaatliche Probleme öffneten. Vieles spricht dafür, dass diese Erweiterung des so genannten Horizontes und das gesteigerte Interesse vor allem von zwei wesentlichen Faktoren gefördert wurden.“

Dies waren zum einen die Wanderarbeit, welche Bauern saisonal oder auch viele für ganze Lebensabschnitte in die größeren Städte brachten, wo sie mit allgemeinen sozialen und politischen Fragen, meist über Zeitungen, konfrontiert wurden und auf Angehörige der oppositionellen Intelligenz trafen. Zum anderen hatten immer mehr Bauern Militärdienst zu leisten, was sie ebenfalls außerhalb ihrer Heimatregionen brachte.

Verlauf der Revolution

Die weitere Verschlechterung der Versorgungslage der Bevölkerung im harten Winter der Jahre 1916/1917, die Zwangseintreibung und ein neues, fehlgeschlagenes Ablieferungssystem verstärkten die Unzufriedenheit. 1917 entstanden in den Industriezentren Hungerrevolten, Streiks und Demonstrationen. Anlass der Demonstrationen war unter anderem der 12. Jahrestag des Petersburger Blutsonntages. Die Verhaftungen von Regimekritikern konnten der revolutionären Stimmung nicht entgegenwirken, sondern führte nur zu einer stärkeren Radikalisierung.

Am 23. Februarjul./ 8. März 1917greg. begann mit einer Hungerrevolte in Petrograd die eigentliche Revolution des Jahres 1917. Deren wesentliche Kennzeichen war die Auflehnung des verarmten Volkes gegen die luxusgewöhnte Petrograder Aristokratie, der Sturz der politischen Ordnung und die Errichtung einer ideologisch motivierten, in weiten Bereichen anerkannten neuen Staatsmacht.

Demonstrationen und Zuspitzung der Krise

Am 14. Februarjul./ 27. Februargreg. wurde die Duma wiedereröffnet. Noch am Vortag, als der Ministerpräsident das Parlament ein weiteres Mal auflöste, hatten sich die Abgeordneten angesichts der Unruhen geweigert, dieser Order vorbehaltslos nachzukommen, und einen Ältestenrat belassen. Sie erneuerten ihre Angriffe auf die zaristische Regierung in scharfer Form. Der am Vortag gebildete Ältestenrat konstituierte sich nun unter der Leitung des Dumapräsidenten Rodsjanko als Provisorisches Komitee zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung.

Die Duma kündigte den Gehorsam wegen revolutionärer Entwicklung auf und verweigerte den daraufhin folgenden Auflösungsbefehl. Danach setzte sie ein Provisorisches Duma-Komitee unter der Führung des Progressiven Blockes ein und hoffte weiterhin auf einen Sinneswandel des Zaren. Da dieser jedoch ausblieb, war die Duma im Verlauf der folgenden Wochen durch den Druck der Straße zur Machtergreifung des Parlaments und der Verhaftung der Regierung, der Militärbefehlshaber und ebenso des Zaren gezwungen. Ein neuer Oberkommandierender wurde ernannt und Duma-Bevollmächtigte in den Ministerien eingesetzt. Das provisorische Duma-Komitee bestand bis zu den nächsten Wahlen. Staatsrechtlich gesehen war dies eine Usurpation und zugleich der entscheidende revolutionäre Akt: So wie sich im August des Jahres 1789 der Dritte Stand in der französischen Hauptstadt Paris zur Nationalversammlung erklärt hatte, so reklamierte das russische Parlament mit dieser Bekanntmachung alle Befugnisse für sich, die eben noch von der zaristischen Regierung ausgeübt wurden.[1][5]

Mittlerweile füllten zahlreiche hungernde und erregte Menschen die Straßen, da die Lebensmittelversorgung ins Stocken geraten war. Bereits zu nächtlicher Stunde standen Menschen in endlosen Schlangen um Brot an. Es kam zu vereinzelten Plünderungen.

Dessen ungeachtet reiste der Zar von Petrograd ins Hauptquartier ab, um Kriegspläne auszuarbeiten. Am 18. Februarjul./ 3. Märzgreg. brach bei den Putilow-Werken ein Streik aus. Daraufhin verfügte die Direktion die Aussperrung von 30.000 Mann. Prompt kam es zu einer Protestdemonstration gegen die katastrophale Versorgungslage. Lawinenartig dehnten sich die Proteste auf andere Betriebe aus, und es wurde der Generalstreik proklamiert. Tausende demonstrierten mit roten Fahnen auf dem Newski-Prospekt.

Frauendemonstration im Februar 1917

Die Arbeiterkomitees sahen es für unwahrscheinlich an, von der Armee die notwendige Unterstützung für eine großangelegte proletarische Revolution zu bekommen. Daher entstand die Idee einer friedlichen Volksbewegung von den Arbeiterkomitees. Es war trotzdem kein gezielter Aufruf für Streiks geplant, um gewaltsame Zwischenfälle mit der gefürchteten Polizei zu vermeiden. Es zeigte sich bei den ersten Zusammenstößen jedoch, dass die Soldaten größtenteils bereit waren, zum Schutz der Zivilisten (unter denen sich auch viele Soldatenfrauen befanden) gegen die Polizei vorzugehen. Fabrikarbeiter aus dem Wyborger Rajon und weiteren Stadtteilen schlossen sich darauf in großer Zahl den Streiks an. Es traten dann noch Demonstrationen auf, welche die für den Krieg notwendigen Munitionsfabriken Petrograds bedrohten. Solche Demonstrationen, welche von Arbeiter- und Soldatenfrauen ausgingen, verbreiteten sich von Petrograd aus im ganzen Land.[6]

Die Forderungen der Arbeiter- und Soldatenfrauen konzentrierten sich auf eine sofortige Beendigung des Krieges, die Herausgabe von Lebensmitteln und die sofortige Abdankung des Zaren. Am nächsten Tag, dem 24. Februarjul./ 9. Märzgreg., wurden auch die Arbeiterkomitees wieder aktiv und riefen nun doch zur Unterstützung der sich schnell ausbreitenden Bewegung auf. Angeblich schlossen sich mehr als die Hälfte des Petrograder Arbeiterstandes dem Aufstand an. Schon während des Aufstandes gab es in den Betrieben Wahlen zu Arbeiterräten, der Form der Selbstorganisation, die die Arbeiter schon 1905 herausgebildet hatten. Daraus entstanden in Folge Arbeiter- und Soldatenräte im ganzen Land, die den Petrograder Sowjet als ihre Regierung anerkannten.

Demonstration in Petrograd 1917

Der Zar befand sich im Hauptquartier in Mogilew. Am 24. Februarjul./ 9. Märzgreg. abends sandte er an den Stadtkommandanten Chabalow telegraphisch den Befehl, die Unruhen in der Stadt „schon morgen zu liquidieren“.[7] Am 25. Februarjul./ 10. Märzgreg. nachmittags schoss eine Abteilung des Wolhynischen Garderegiments auf die Aufrührer, und sechzig Demonstranten blieben tot auf dem Platz. An anderen Orten dagegen gingen Soldaten gegen die Polizei vor. Kosaken, die der Petrograder Stadtkommandant zur Entwaffnung der Aufständischen schickte, weigerten sich zu schießen und nahmen stattdessen die roten Nelken entgegen, die man ihnen überreichte.

Dumapräsident Michail Rodsjanko sandte an den Zaren ein Telegramm, in dem er ihn aufforderte, „unverzüglich Maßnahmen zu treffen, denn morgen wird es zu spät sein.“[7] Die Stunde sei gekommen, in der über das Vaterland und die Dynastie entschieden werde. Das Telegramm blieb unbeantwortet. Es ist unklar ob es überhaupt an den Zaren übergeben wurde.

27. Februar (12. März)

Am 27. Februarjul./ 12. Märzgreg. ging in Petrograd das Wolhynische Garderegiment auf die Seite der Revolution über. Das Preobrashenskij- und das Litowskij-Garderegiment folgten. Mehrere Kommandanten wurden erschossen, die Soldaten fraternisierten sich mit den Arbeitern, die nach der Erstürmung der Waffenarsenale ebenfalls Gewehre erhielten. Die Polizei wurde entwaffnet. In beschlagnahmten Fahrzeugen mit roten Fahnen fuhren die Revolutionäre unter lautem Jubel durch die Straßen.

Ein Teil des Moskauer Regimentes leistete kurze Zeit Widerstand. Nachdem dieser gebrochen war, wurden zahlreiche Offiziere getötet, und auch das Moskauer Regiment schloss sich der Erhebung an. Gerichtsgebäude, Polizeikasernen und Gefängnisse wurden gestürmt und nach der Befreiung der Gefangenen in Brand gesteckt. Am Nachmittag wurde auch das Gebäude der Duma von bewaffneten Soldaten und Arbeitern besetzt, und noch am Abend versammelte sich im Sitzungssaal der Duma der erste Arbeiter- und Soldatenrat.

Die noch immer amtierende zaristische Regierung verhängte über Petrograd den Belagerungszustand. An einigen Orten wurden Aufständische mit Maschinengewehren beschossen, andernorts verhafteten die Aufständischen ihrerseits zaristische Würdenträger im Namen des Arbeiter- und Soldatenrates.

Der Zar schrieb in sein Tagebuch: „Ging um 3 1/2 zu Bett, weil ich noch lange mit N. I. Iwanow gesprochen habe, den ich mit Truppen nach Petrograd schicke, um Ordnung zu schaffen“.“[8] Um fünf Uhr morgens verließ er selbst das Hauptquartier in Mogilew, um zu seiner Familie nach Zarskoje Selo zu fahren. Tagsüber passierte sein Zug Wjasma, Rshew und Michoslawl. Nikolaus beorderte auch Truppen von der Kriegsfront zur Sicherung seiner Sommerresidenz Zarskoje Selo.

28. Februar (13. März)

Am 28. Februarjul./ 13. Märzgreg. brach der Aufstand in Moskau aus und nahm einen ähnlichen Verlauf wie in Petrograd. Im Taurischen Palast bildeten sich zwei politische Zentren: Im rechten Flügel die Provisorische Regierung unter Fürst Lwow, im linken Flügel der Sowjet mit den Delegierten der Arbeiter und Soldaten.

Währenddessen bemächtigten sich die Revolutionäre in Petrograd aller Bahnhöfe, des Telefonamtes, der Peter-Pauls-Festung und der Admiralität. Zarskoje Selo wurde von Aufständischen besetzt und die Kaiserin fortan bewacht. Der Zug des Zaren musste nachts bei Wischera umkehren, weil Ljuban und Tosno bereits in den Händen der Aufständischen waren. Der Zug wurde nach Pskow, dem Hauptquartier der Nordfront, die sich dem Zaren abgewandt hatte, umgeleitet.

Hier meldete der Oberbefehlshaber der Nordfront, General Russki, dem Zaren den Ausbruch der Revolution in Petrograd und riet ihm, abzudanken und sich der Gnade der Sieger zu ergeben. Die Aussicht auf eine Niederschlagung des Aufstandes war in den Augen der Generäle in Pskow so gering, dass sie den Zaren dazu veranlassten (zwangen), einer neuen Regierung des gesellschaftlichen Vertrauens zuzustimmen. Dies genügte den neuen Machthabern in Petrograd noch lange nicht, sie forderten den Thronverzicht des Zaren, eine Reihe sogar seinen Tod.

Abdankung des Zaren

Eine der letzten Aufnahmen des Zaren in seiner zum Schluss üblichen Armeekleidung
Der Winterpalast in Petrograd war Sitz der Zarenfamilie
Grabmal der letzten Zarenfamilie in der Peter-Paul-Kathedrale

Um 10.15 Uhr erhielt Nikolaus vom Duma-Präsidenten Rodsjanko telegraphisch die Aufforderung abzudanken. Russki berichtete dem Zaren über ein langes Telefongespräch mit Dumapräsident Rodsjanko, das ergeben habe, die Abdankung des Zaren sei unerlässlich. Russki gab den Inhalt des Gespräches an das Hauptquartier weiter, und von dort ging es an alle Oberbefehlshaber. Bis 14 1/2 Uhr hatten alle geantwortet, und ausnahmslos sprachen sie sich für die Abdankung des Zaren aus. Der Zar gab dem Druck nach, und aus dem Hauptquartier wurde der Entwurf eines Manifestes geschickt.

In der folgenden Nacht unterzeichnete der Zar ein Manifest, das die Berufung eines dem Parlament verantwortlichen Ministerkabinettes vorsah. Rodsjanko wurde davon telefonisch in Kenntnis gesetzt. Er antwortete, dieses Zugeständnis komme viel zu spät, erforderlich sei vielmehr die Abdankung des Zaren.

Am 2. Märzjul./ 15. Märzgreg. vereinbarte die Duma mit dem Arbeiter- und Soldatenrat, dass der Zar abgesetzt sei und eine Provisorische Regierung gebildet werde. Um 15 Uhr gab im Taurischen Palast Miljukow die Liste der neuen Minister mit Fürst Lwow an der Spitze bekannt. Die von den Soldaten verhafteten Minister des Zaren wurden in die Peter-Pauls-Festung überführt. Gegen 22 Uhr trafen das Staatsratsmitglied Alexander Iwanowitsch Gutschkow und das Dumamitglied Wassili Witaljewitsch Schulgin aus Petrograd im Salonwagen des Zarenzuges ein. Gutschkow berichtete dem Zaren, es bestehe die Gefahr, dass Petrograd und die Front in die Hände der Anarchisten falle und die Gemäßigten hinweggefegt werden. Das Volksempfinden könne nur beruhigt werden, wenn die kaiserliche Majestät die Bürde der höchsten Führung ihrem kleinen Sohn übergebe und Großfürst Michail die Regentschaft übertrage. Der Zar erwiderte, er habe zugunsten seines Sohnes verzichten wollen, doch aufgrund von dessen Krankheit könne er sich nicht von ihm trennen. Eigenhändig änderte er das am Morgen ausgearbeitete Abdankungsmanifest zugunsten seines Bruders, des Großfürsten Michail und übergab es um 23:40 Uhr an Gutschkow. Die Deputierten baten, der Zar möge in die Urkunde den Zusatz über den Eid des neuen Zaren auf die Verfassung einfügen, was Nikolaus umgehend befolgte. Gleichzeitig unterzeichnete er Ukase über die Ernennung von Fürst Lwow zum Vorsitzenden des Ministerrates und von Großfürst Nikolai Nikolajewitsch zum neuen Oberbefehlshaber.

Um den Eindruck zu erwecken, dass die Unterschriften nicht unter dem Druck der angereisten Deputierten vollzogen wurden, erhielten auf Rat der Deputierten die Abdankungsurkunde das Datum des 15. März, 15 Uhr und die Ukase das Datum des 15. März, 14 Uhr. Auf Drängen von Lwow, Kerenski und anderen Duma-Mitgliedern unterzeichnete der neue Zar Michail bereits am 3. Märzjul./ 16. Märzgreg. seine Abdankungsurkunde mit dem Aufruf, sich der Provisorischen Regierung unterzuordnen. Somit endete die 300-jährige Herrschaft der Romanow-Dynastie.

Am 8. Märzjul./ 21. Märzgreg. wurde Nikolaus II. in Haft genommen und nach Internierung in Zarskoje Selo mit seiner Familie nach Sibirien verbannt.[9][10][11]. Schließlich kam es am 16./17. Juli 1918 zur Ermordung der Zarenfamilie.

Regierungsbildung im neuen Staat

Das aus dem Rücktritt des Zaren und dem damit folgenden geschlossen Zurücktreten der Regierung entstandene Machtvakuum wurde von zwei Institutionen gefüllt. Dies war zum einen die Duma und der eben erst gebildete Petrograder Sowjet. Diese mussten sich sofort mit der Bildung einer Exekutive (Ausübende Gewalt) beschäftigen. Ein Kompromiss musste gefunden werden, welcher aber im Überschwang des Sieges vergleichsweise leicht fiel. Die Menschewiki ließen im Sowjet den Duma-Liberalen den Vortritt. Dieser Verzicht stand im Einklang mit ihrer orthodox-marxistischen Ideologie, die davon ausging, dass der feudalistischen Monarchie eine bürgerlich-kapitalistische Demokratie folgen würde und mithin dem liberalen Bürgertum das Feld gehören müsse. Hinzu kam aber wohl auch der Umstand, dass die liberalen Politiker um den hoch geschätzten langjährigen Semstwo-Führer, den Fürsten Georgi Lwow, und den unbestrittenen Kopf der Kadetten Pawel Miljukow, über parlamentarische Erfahrung, eine komplette Mannschaft aus den Reihen des Progressiven Blocks und ein Programm verfügten, wie allgemein dies auch immer sein mochte.

So waren es eher die Soldaten und besonders die radikalen Deputierten, die gewonnen werden mussten. Sie setzten ihr wichtigstes unmittelbares Anliegen durch, als sie dem Exekutivrat des Sowjets den berühmten Befehl Nr.1 diktierten, der die Wahl von Regimentskomitees und die Unterstellung des Regiments unter die Sowjets sowie die Einrichtung von Soldatenräten in jeder militärischen Einheit verfügte. Der Befehl, dass alle Offiziere von den Truppenteilen gewählt werden sollten, war zwar geplant, wurde aber nach Kritik der Offiziere wieder zurückgezogen. Die Verhandlungsführer der Sowjets forderten in den Gesprächen mit dem Dumakomitee am 11. März als Konsequenzen aus diesem Dekret zwar auch die Wahl der Offiziere, ließen die Forderung aber mit Rücksicht auf die Kampfkraft der Armee im laufenden Krieg fallen. Die Folge dieses berüchtigten Befehles war, dass die ohnehin schon bestehende Verwirrung der Soldaten aufgrund der letztgenannten Vorfälle weiter anwuchs.

Somit stand einer Regierungsbildung nichts mehr im Wege. Am Nachmittag des 2. März verkündete Miljukow im Taurischen Palais, dem Sitz der Duma, die Einigung und stellte das neue Kabinett unter Georgi Lwow vor. Sowohl der Ort des Geschehens als auch das Personal dieser Provisorischen Regierung machten augenfällig, was sich vollzogen hatte: der Übergang von einer Autokratie, die sich ostentativ gegen weitere Beschränkungen als die ihr 1905 abgetrotzten wehrte (und diese, wo immer möglich, rückgängig zu machen suchte), zur Herrschaft des gesetzeskonform, wenn auch nicht demokratisch, gewählten und von den aufständischen Arbeitern und Soldaten akzeptierten Parlaments.

Noch wichtiger als der Kompromiss zwischen den neuen Machtzentren vor Ort aber war die stillschweigende Billigung derer, die gar nicht anwesend waren, nämlich der Generäle. Denn die unabdingbare Voraussetzung für den revolutionären Regimewechsel war – wie anderthalb Jahre später in der deutschen Novemberrevolution – dessen Hinnahme durch die Armeeführung. Hinter dieser aber verbarg sich keine Sympathie für Liberalismus und Demokratie, sondern einzig und allein die Sorge um die Verteidigungsfähigkeit und die Fortsetzung des Krieges. Letztlich sah sich der Generalstab in einem Loyalitätskonflikt zwischen Monarchie und Nation – und ließ die Monarchie zugunsten der Nation fallen. Die Schwäche der zaristischen Armee lag weniger in der Moral ihrer Soldaten und deren Ausrüstung als in ihrer inneren Zerrissenheit. Die Kluft zwischen den Soldaten, die aus Grundherren und ihren ehemaligen Leibeigenen bestand, war ein Abbild der Gesellschaft. Es wiederholten sich daher immer wieder Spannungen zwischen den beiden Lagern. Wenn man sich diese Zerrissenheit als Hintergrund nimmt, ist es nicht verwunderlich, dass sich ein solcher Klassenkampf negativ auswirkte. Klassenkampfparolen waren deshalb nicht zuletzt in den Reihen der Armee gezündet. Die Soldaten gaben somit, noch stärker als die Arbeiterschaft, im Laufe des Jahres 1917 den entscheidenden Rückhalt der Revolution. Vor allem an den Fronten verband sich mit den sozialen Gegensätzen die Friedensfrage Russlands.

Die neue Freiheit und Volkssouveränität regierten nur ein halbes Jahr, bis es vor den geplanten demokratischen Wahlen im Oktober zur Oktoberrevolution durch die „roten“ Bolschewiki kam. Die Liberalen, inzwischen stark westlich geprägt, mussten sich mit widrigen Realitäten abkämpfen. Es gelang ihnen vergleichsweise leicht, die Reste des aufgelösten Ancien régimes zu beseitigen und ihre neuen demokratischen Grundsätze in den ländlichen Gebieten zu festigen. Trotzdem scheiterten sie an der Aufgabe, die nötigen Änderungen zur Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen der Menschen durchzusetzen.

Die Provisorische Regierung vermochte weder die Versorgung der Menschen sicherzustellen noch die Wirtschaftskrise, zurückzuführen auf den Ersten Weltkrieg und die Inflation, zu beheben, noch Frieden zu schaffen. An diesen und mehreren wichtigen Aufgaben scheiterte das Februarregime. Nicht zuletzt die Unfähigkeit des Zarenregimes, genügend Lebensmittel in die Städte zu transportieren, hatte dieses wie ein Kartenhaus einstürzen lassen. Entsprechend groß waren die Erwartungen an das neue Regime, und der Druck, vor allem diese Not zu lindern, sollte auch das große Problem der Provisorischen Regierung werden.

Die Liberalen vertrauten dabei ganz auf die Marktkräfte und lehnten es ab, die Inflation durch ein Staatsmonopol zu regeln. Dabei wären solche Preisregelungen besonders auf den Getreidehandel nötig gewesen, da die Getreidepreise durch die Inflation in die Höhe schossen und kaum noch von jemandem zu bezahlen waren. Der Sowjet, hinter dem die einfache Bevölkerung stand, zwang die Liberalen aber schnell zur Umkehr von den westeuropäischen Ideen einer von Marktkräften geführten Wirtschaft. Diese Umkehr sah nicht nur die Preisregelungen des Getreidehandels vor, sondern auch die staatliche Obhut der Saatflächen. Auch die Grundnahrungsmittel sicherzustellen fiel dem Regime ungemein schwer. Selbst diese dem russischen Volk bekannten Umkehrungen eines Planes sollten die Situation nicht ändern. So wurden die Prinzipien des neuen Regimes zum Hemmschuh beim Aufbau einer neuen Staatsform in einem Land, das sich noch im Krieg befand und eine schwere Wirtschaftskrise durchmachte.

Folgen

Der Petrograder Arbeiter- und Soldatenrat (als Petrograder Sowjet bekannt) wurde zum Sprachrohr der Aufstände. Er existierte nach dem Vorbild der Selbstorganisationen der proletarischen Bevölkerung des Jahres 1905. An der Spitze stand ein Exekutivkomitee aus mehrheitlich Menschewiki und Parteilosen. Ziel des Sowjets war die Herstellung der Ordnung und der Versorgung und die endgültige Beseitigung der Zarenherrschaft. Eine konstituierende Versammlung auf Basis allgemeiner Wahlen sollte über die Regierungsform entscheiden. Der Sowjet ernannte eine provisorische Kommission, um das Problem der schwierigen Lebensmittelversorgung der Hauptstadt zu lösen. Diese Kommission verhaftete am 13. März zum einen die zaristische Regierung, als diese gerade eine Sitzung im Parlament hatte, des Weiteren wurde die hohe Verwaltung des Zarenreiches und die Militärführung entlassen. Am Tag darauf erließ der Petrograder Sowjet den berühmten Befehl Nr. 1, dieser befahl allen Soldaten und Matrosen, sich in politischen Angelegenheiten dem Petrograder Sowjet unterzuordnen. Es sollten nur die Befehle befolgt werden, die nicht denen des Sowjets widersprachen.

Die Disziplin unter den Truppen sollte jedoch bewahrt werden, Auseinandersetzungen zwischen Soldatenräten und Offizieren sollten zur Beilegung an den Petrograder Sowjet verwiesen werden. Der Befehl Nr. 1 sicherte den Sowjets zwar die Loyalität der Truppen, brachte jedoch auch teilweise eine Disziplinlosigkeit mit sich, da noch keine Harmonie zwischen gewählten Komitees auf der einen Seite und der militärischen Hierarchie auf der anderen Seite bestand. Erst 1918 sollte Leo Trotzki eine in ihren Kommandostrukturen funktionierende Rote Armee aufbauen.

Der neue Außenminister Miljukow wollte den schon drei Jahre andauernden Krieg fortsetzen, um das Bündnis mit Frankreich und England aufrechtzuerhalten, des Weiteren wollte er das patriotische Ziel mit einem Sieg über die Mittelmächte erreichen. Demgegenüber sah sich der Petrograder Sowjet in der Pflicht, um ihren Rückhalt in der Bevölkerung zu festigen, die Soldaten zu gleichberechtigten Bürgern zu machen. Der unter Mithilfe des Deutschen Kaiserreiches aus dem Schweizer Exil zurückgekehrte Führer der Bolschewiki Lenin forderte durch seine viel beachteten Aprilthesen unter anderem die sofortigen Beendigung des Krieges. Versuche durch den Kriegsminister und späteren Vorsitzenden der Provisorischen Regierung, Alexander Kerenski, durch eine militärische Offensive gegen die Mittelmächte eine bessere Verhandlungsposition zu erreichen, scheiterten. Die Truppen der Mittelmächte konnten sogar signifikante territoriale Gewinne erzielen und dadurch die Provisorische Regierung bedrohen.

Für den jungen Staat, der sich durch die Februarrevolution in einem ersten Schritt des Zaren als Regenten entledigt hatte, stand noch eine Reihe dramatischer Entwicklungen bevor. Der Weltkrieg war noch nicht zu Ende, der Machtkampf zwischen Menschewiki und Bolschewiki sollte sich in der Oktoberrevolution entladen. Von Sowjetrussland und seiner Roten Armee gingen zwischen den Jahren 1918 und 1921 eine Restitution des ehemaligen Zarenreiches und des damaligen Vielvölkerreiches aus. Von den ehemaligen Gebieten, die zum Zarenreich gehörten, wurden das vom Zarenreich besetzte Polen, die Baltischen Staaten und Bessarabien unabhängig. Der darauf folgende Russische Bürgerkrieg dauerte bis 1920, endete mit einem Sieg der Bolschewiki und führte zur Konstituierung der UdSSR im Jahre 1922.[12]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. a b c Manfred Hildermeier: Russische Revolution. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt 2004, ISBN 3-596-15352-2.
  2. Janusz Piekalkiewicz: Der Erste Weltkrieg, 2004, S. 479
  3. a b Manfred Hellmann (Hrsg.): Die russische Revolution 1917. Von der Abdankung des Zaren bis zum Staatsstreich der Bolschewiki. Deutscher TB Verlag, München 1984, ISBN 3-423-02903-X.
  4. Olga Barkowez/Fjodor Fedorow/Alexander Krylow: „Geliebter Nicky“. Der letzte russische Zar Nikolaus II. und seine Familie, 2002, S. 299
  5. Georg von Rauch: Geschichte der Sowjetunion. Stuttgart 1987.
  6. Andreas Kappeler: Russische Geschichte. 1997.
  7. a b Valentin Gitermmann: Die russische Revolution, in: Propyläen-Weltgeschichte: Bd. 9, Halbbanand I: Das zwanzigste Jahrhundert, 1976, S. 136
  8. Olga Barkowez/Fjodor Fedorow/Alexander Krylow: „Geliebter Nicky“. Der letzte russische Zar Nikolaus II. und seine Familie, 2002, S. 329
  9. Alexander Jakowlew: A Century of Violence in Soviet Russia, Yale University Press, New Haven/London (Ein Jahrhundert der Gewalt in Sowjetrussland. Berlin Verlag 2004, ISBN 3-8270-0547-7).
  10. Leo Trotzki: Diaries and Letters. New York 1986.
  11. Edith M. Almedingen: Die Romanows. Die Geschichte einer Dynastie. Russland 1613–1917. Universitas, München 1991, ISBN 3-8004-1250-0.
  12. Roland Götz/Uwe Halbach: Politisches Lexikon GUS. 3. Aufl. 1995.

Literatur

  • Arthur Lehning: Anarchismus und Marxismus in der russischen Revolution. Karin Kramer Verlag, Berlin 1971.
  • Alexander Berkman: The Sickle under the Hammer. The Russian Socialist Revolutionaries in the Early Months of Soviet Rule. New York 1963.
  • Alexander Berkman: The Russian Revolution, 1917. New York 2000.
  • R. Lorenz (Hrsg.): Die Russische Revolution 1917. Der Aufstand der Arbeiter, Bauern und Soldaten. München 1981.
  • Juri Buranow, Wladimir Chrustaljow: Die Zarenmörder. Vernichtung einer Dynastie. Aufbau, Berlin 1999, ISBN 3-7466-8011-5.
  • S.A. Smith: Red Petrograd: Revolution in the Factories, 1917–1918. Cambridge 1983.
  • R. Sities: Revolutionary Dreams. Utopian Vision and Experimental Life in the Russian Revolution. New York 1989.
  • Olga Barkowez / Fjodor Fedorow / Alexander Krylow: „Geliebter Nicky…“. Der letzte russische Zar Nikolaus II. und seine Familie, edition q in der Quintessenz Verlags-GmbH Berlin, 2002, ISBN 3-86124-548-5
  • Valentin Gitermann: Die russische Revolution, in: Propyläen-Weltgeschichte: Das zwanzigste Jahrhundert, Halbbd 1 (Propyläen-Weltgeschichte Bd. 9), Ullstein Buch Nr. 4737, Frankfurt am Main/Berlin 1976, ISBN 3-548-04737-8

Weblinks

 Commons: Februarrevolution 1917 – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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