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Zwei-Staaten-Theorie

Zwei-Staaten-Theorie

Zwei-Staaten-Theorie ist ein Begriff aus der Politik der Internationalen Beziehungen.

Inhaltsverzeichnis

Deutschland

Während die Bundesrepublik Deutschland seit ihrer Gründung davon ausging, die alleinige Vertreterin der deutschen Interessen zu sein (Alleinvertretungsanspruch), entwickelte die Deutsche Demokratische Republik (DDR), maßgeblich beeinflusst durch Nikita Chruschtschow eine Zwei-Staaten-Theorie.

Nach der Zwei-Staaten-Theorie, die seit etwa 1955 von der Sowjetunion vertreten wurde, entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Gebiet des Deutschen Reiches zwei souveräne deutsche Staaten. Als Bestätigung für diese Theorie verwies Chruschtschow darauf, dass die Außenminister beider Länder an der Genfer Gipfelkonferenz 1955 teilgenommen hatten. In der Tat bedeutete die Teilnahme an dieser internationalen Konferenz für die DDR eine bedeutende Aufwertung.

Wenig später nach der Konferenz, am 26. Juli 1955, verkündete Chruschtschow seine Theorie schließlich öffentlich in Ost-Berlin. Eine Voraussetzung für eine deutsche Wiedervereinigung wäre zunächst eine Annäherung der beiden deutschen Staaten und darüber hinaus einzig die Angelegenheit der deutschen Bevölkerung. Des Weiteren müssten die „sozialistischen Errungenschaften“ der DDR gewahrt werden. Eine baldige Wiedervereinigung durch freie Wahlen war somit nach Auffassung der Westmächte nicht mehr möglich.
Am 20. September wurde der DDR (zumindest formal) ihre Souveränität zugesprochen. Auch wenn die Bundesrepublik Deutschland aus grundsätzlichen ideologischen Gründen und aufgrund ihrer Westbindung, vor allem an die USA als Führungs- und Schutzmacht, formal am Alleinvertretungsanspruch festhielt, wurde die DDR spätestens seit den 1960er Jahren faktisch als zweiter deutscher Staat akzeptiert. Diese faktische Anerkennung wurde später noch konsolidiert, als die DDR während des Kampfes um Einflusssphären im Kalten Krieg von immer mehr Staaten formell diplomatisch anerkannt wurde.

Die Zwei-Staaten-Theorie stellte eine Wende in der sowjetischen Besatzungspolitik dar: Bisher hatte die Sowjetunion versucht, durch Wiedervereinigungsangebote wie die Stalin-Noten, eine Westintegration zu verhindern. Mit Inkrafttreten der Pariser Verträge war die Bundesrepublik in den Westen eingebunden. Aufgrund dessen änderte die Sowjetunion ihre Deutschlandpolitik und ging von der Teilung Deutschlands aus. Diese Überzeugung prägte die Verhandlungsweise der UdSSR auf der Genfer Gipfelkonferenz im Juli 1955.

Folgen

Anfang der 1970er Jahre begann unter Bundeskanzler Willy Brandt eine Politik der Annäherung und Normalisierung in den Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten, die auch von allen folgenden Bundesregierungen in verschiedener Intensität fortgesetzt wurde (→ Neue Ostpolitik). Ein Ausdruck dafür war am 18. September 1973 die Aufnahme beider deutscher Staaten in die UNO. Damit wurde die DDR als Völkerrechtssubjekt auch international bestätigt, da jede andere Politik an der Realität vorbei gegangen wäre – sie blieb jedoch aus Sicht der Bundesrepublik Deutschland weiterhin lediglich ein Teil Deutschlands und wurde nicht völkerrechtlich, sondern nur staatsrechtlich anerkannt.[1] Die DDR hatte Sitz und Stimme in den wichtigsten internationalen und UN-Organisationen, war sogar nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Jegliches eigenständiges politisches Handeln der Bundesrepublik im Sinne des Alleinvertretungsanspruchs, das über die rein formelle Nichtanerkennung und die in diesem Rahmen üblichen bürokratischen „Schikanen“ hinaus gegangen wäre, hätte internationale Konflikte zwischen den Supermächten UdSSR und USA einschließlich der ihnen angeschlossenen Verbündeten auslösen können und wurde deshalb auch von den westlichen Verbündeten möglichst unterbunden.

Erst mit der demonstrativen Distanzierung der UdSSR unter Michail Gorbatschow von der stalinistisch geprägten SED-Führung unter Erich Honecker gegen Ende der 1980er Jahre und der damit einhergehenden Reduzierung der ökonomischen, militärischen und politischen Unterstützung geriet die DDR-Führung unter stärkeren Druck. Die fehlenden Rohstofflieferungen und hohe Auslandsschulden führten zur Verschärfung der Versorgungsengpässe und zunehmender Unruhe in der Bevölkerung. Als 1989 Zehntausende über die westdeutschen Botschaften in den „Bruderstaaten“ der DDR und schließlich über die ungarisch-österreichische Grenze (Ungarn hatte die Grenzen für ausreisewillige DDR-Bürger geöffnet) in den Westen flüchteten, war das Regime am Ende und die DDR zerfiel unter dem anschwellenden Druck der Bürgerrechtsbewegung Ende 1989 von innen. Bundeskanzler Helmut Kohl, der kurz zuvor noch Honecker mit allen diplomatischen Ehren empfangen und diesem somit seinen größten Triumph, die offizielle Anerkennung als Regierungs- bzw. Staatschef eines souveränen Staates, beschert hatte, bekräftigte nach dem Zusammenbruch des Regimes seinen Standpunkt, wonach er nie von der Einstaatlichkeit Deutschlands abgerückt sei. Nach der Deutschen Einheit wurde Kohl 1990 erster gesamtdeutscher Kanzler nach dem Zweiten Weltkrieg.

Die Zwei-Staaten-Theorie war damit Geschichte. Sie war weniger Ausdruck des Willens eines souveränen Volkes oder Bevölkerungsteils als vielmehr das Resultat des von Deutschland verlorenen Zweiten Weltkriegs und dem daraus entstandenen Diktat der zwei Supermächte.

Siehe auch: Drei-Staaten-Theorie, Hallstein-Doktrin, Ulbricht-Doktrin

China und Taiwan

Auch hinsichtlich der Chinesisch-taiwanischen Beziehungen gibt es die Zwei-Staaten-Theorie (auch Zwei-China-Theorie). So wurde sie 1999 erstmals von dem scheidenden Präsidenten Lee Teng-hui in einem Interview mit der Deutschen Welle geprägt und im Jahre 2000, als die Kuomintang-Regierung in Taiwan abgewählt wurde, erstmals auch von offizieller Seite von zwei Staaten ausgegangen.

Im Gegensatz zur weiterhin durch die KP Chinas vertretenen Ein-China-Politik entwickelte sich in Taiwan die Zwei-Staaten-Theorie, die vorsieht, dass Festlandchina und Nationalchina normale bilaterale Beziehungen unter souveränen Staaten aufnehmen. Als Vorbild für diese Theorie diente unter anderem die Beziehung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, zweier souveräner Staaten, die zusammen das eine Deutschland bildeten. Die Volksrepublik China reagierte auf diese Idee mit der Androhung eines Militärschlages und der Bekanntmachung, dass sie eine Neutronenbombe besitze.

Indien und Pakistan

Als „Zwei-Nationen-Theorie“ wurde die vor allem von der Muslimliga vertretene Theorie bezeichnet, nach der Hindus und Moslems in Britisch-Indien zwei unterschiedliche Nationen bilden und deshalb das Land nach der Unabhängigkeit in einen mehrheitlich von Muslimen (Pakistan und Bangladesch) und einen mehrheitlich von Hindus bewohnten Staat (das heutige Indien) zu teilen sei, was 1947 auch durchgeführt wurde.

Fußnoten

  1. Die DDR war im Sinne des Völkerrechts – unabhängig von ihrer völkerrechtlichen Anerkennung durch die Bundesrepublik Deutschland (vgl. dazu BVerfGE 36, 1 (22)) – ein Staat und als solcher Völkerrechtssubjekt. Deshalb können im Verhältnis zur DDR die allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG herangezogen werden (vgl. BVerfGE 36, 1 (23 f.); 92, 277 (320)). Unter diesen ist vorwiegend das universell geltende Völkergewohnheitsrecht zu verstehen, ergänzt durch anerkannte allgemeine Rechtsgrundsätze (vgl. BVerfGE 15, 25 (32 f., 34 f.); 16, 27 (33); 23, 288 (317)). Die Entstehung von universellem Völkergewohnheitsrecht erfordert zwar nicht, dass einem Völkerrechtssatz ausnahmslos alle Staaten ausdrücklich oder durch konkludente Handlung zugestimmt haben. Dieses Völkergewohnheitsrecht muss aber auf einer allgemeinen, gefestigten Übung zahlreicher Staaten beruhen, der die Rechtsüberzeugung zugrunde liegt, dass dieses Verhalten Rechtens sei (vgl. BVerfGE 92, 277 (320)).

Literatur

  • Berber: Lehrbuch des Völkerrechts, Band I/1, 2. Aufl., 1975, S. 275
  • Ipsen: Völkerrecht, 3. Aufl., 1990, S. 344/345

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