Der Fall Rammstein Aussage gegen Aussage
Zwei Frauen werfen Rammstein-Sänger Lindemann Machtmissbrauch vor. Doch bei der Staatsanwaltschaft haben sie sich nicht gemeldet. Das deutsche Sexualstrafrecht werde vielen Betroffenen nicht gerecht, kritisieren NGOs.
Als im Sommer 2023 die Staatsanwaltschaft Berlin wegen mutmaßlicher Sexualstraftaten von Rammstein-Sänger Till Lindemann ermittelte, ließ sich Cynthia A. von einer Anwältin beraten. Ihren Angaben zufolge hatte sie im Jahr 2020 in einer Umkleidekabine am Rande eines Konzerts in Hannover mit ihm Sex. Sie habe das so nicht gewollt. Ihr Körper habe das auch ausgestrahlt, sagt sie. Sie sei verkrampft gewesen und habe sich gefühlt "wie ein Stück Fleisch". Sie habe sogar geblutet. Trotzdem riet ihr die Anwältin von einer Anzeige ab.
"Sie hat mich gefragt, ob ich Nein gesagt habe", erzählt Cynthia A., deren Name von der Redaktion geändert wurde, im Interview mit dem NDR. Als sie das verneint habe, habe ihr die Anwältin erklärt, dass der mutmaßliche Übergriff nach dem Sexualstrafrecht keine Straftat sei.
Im neuen Podcast "Rammstein - Row Zero" äußern sich mutmaßlich betroffene Frauen ausführlich und schildern ihre Erfahrungen mit dem Superstar. Für den Podcast hat ein Team von NDR und Süddeutscher Zeitung einige Frauen fast ein Jahr lang begleitet und immer wieder getroffen.
"Nein heißt Nein"
In Deutschland gilt das so genannte "Nein heißt Nein"-Gesetz. 2016 ist das Sexualstrafrecht verschärft worden, als eine Reaktion auf sexuelle Übergriffe in der Silvesternacht in Köln. Seitdem gilt: Ein sexueller Übergriff beginnt nicht erst, wenn der Täter Gewalt anwendet oder androht, sondern sobald die betroffene Person deutlich macht, dass sie nicht mit einer Berührung oder anderen sexuellen Handlung einverstanden ist. Juristen wie der Berliner Staatsanwalt Sebastian Büchner sprechen von einem "erkennbar entgegenstehenden Willen", der vom Beschuldigten ignoriert wurde.
Als erkennbar entgegenstehender Wille gilt, wenn jemand Nein sagt, ganz explizit, wenn jemand sich wehrt oder, wenn Gewalt angewendet wird. Eine Strafbarkeit kann aber auch begründet werden, wenn jemand gar nicht mehr in der Lage ist, Nein zu sagen.
"Extrem angsteinflößend"
Kaya R. (Name geändert) hat ebenfalls Vorwürfe gegenüber Till Lindemann erhoben. Sie sei nach einer Aftershowparty aufgewacht, Lindemann habe auf ihr gelegen und gefragt, "ob er aufhören soll". Sie habe noch nicht einmal verstanden, was er eigentlich gemeint habe. Später sei ihr etwas klar geworden: "Dass ich kein Objekt bin, das man einfach verwenden kann, wenn ich nicht in der Lage bin zu antworten oder überhaupt bei Bewusstsein zu sein."
Auch sie hat sich nicht bei der Staatsanwaltschaft gemeldet, als die Ermittlungen gegen Till Lindemann geführt wurden. Aber aus einem anderen Grund: "Es ist extrem angsteinflößend", sagt Kaya R. Es stehe viel auf dem Spiel, "wenn man sich mit Leuten anlegt, die mehr Macht und mehr Geld haben, als man selbst". Sie habe nur schwammige Erinnerungen. Till Lindemann bestreitet, nicht einvernehmlichen Sex mit Fans gehabt zu haben. Er klagte gegen die Berichterstattung über Kaya R.s und Cynthia A.s Vorwürfe und hatte teilweise Erfolg.
Vorwurf des Machtmissbrauchs
Die Staatsanwaltschaft Berlin hat nach gut zwei Monaten die Ermittlungen wieder eingestellt, auch weil sich keine Zeuginnen und Zeugen gemeldet haben. Laut Staatsanwalt Sebastian Büchner sind generell Prozesse, bei denen Aussage gegen Aussage stehe, "unfassbar schwierig", vor allem dann wenn es keine objektiven Beweise wie DNA-Spuren gibt. Zeugenaussagen gelten laut Sebastian Büchner als "ein sehr unzuverlässiges Beweismittel".
Cynthia A. macht Till Lindemann den Vorwurf des Machtmissbrauchs, unabhängig von den Ermittlungen. Er habe sie in eine Situation gebracht, in der sie sich nicht getraut habe, Nein zu sagen. Er sei ihr Idol gewesen. Daher wirft sie ihm vor seinen Status als Superstar missbraucht zu haben.
Strafverteidigerin Simone Kämpfer von der Großkanzlei Freshfield betont: "Machtmissbrauch ist kein Straftatbestand. Aber natürlich kann man in diesem Zusammenhang Fragen der Moral diskutieren." Sie untersucht mutmaßliche Fälle von Machtmissbrauch in Unternehmen. Zu den Vorwürfen gegen Till Lindemann äußert sie sich nicht.
"Ja heißt Ja"-Gesetz gefordert
In anderen europäischen Ländern ist das Sexualstrafrecht deutlich schärfer. Unter anderem Schweden, die Niederlande, Slowenien, Dänemark und Spanien haben in den vergangenen Jahren ein konsensbasiertertes, ein "Ja heißt Ja"-Gesetz eingeführt. Sex ohne Einwilligung ist in Schweden seit 2018 strafbar. Passivität gilt nicht mehr als Zustimmung. Ein "Ja" muss nicht ausgesprochen werden. Sich körperlich am Sex zu beteiligen, gilt auch als ein Zeichen der Zustimmung.
Amnesty International in Deutschland fordert ein solches "Ja heißt Ja"-Gesetz auch für Deutschland. Die Expertin für Geschlechtergerechtigkeit der Menschenrechtsorganisation, Katharina Masoud, macht darauf aufmerksam, dass sich Deutschland mit der Istanbul-Konvention des Europarats dazu verpflichtet habe, auf eine konsensbasierte Regelung hinzuarbeiten.
Die Istanbul-Konvention ist völkerrechtlich bindend. Sie verpflichtet Deutschland dazu, wirksame strafrechtliche Normen und Verfahren zur Aufklärung und Sanktionierung von Gewalttaten gegen Frauen zu entwickeln. "Die 'Nein heißt Nein'-Regelung führt dazu, dass Betroffene von sexualisierter Gewalt in Vernehmungen mit Mythen und Stereotypen konfrontiert werden."
Masoud führt als Beispiel die Frage nach der Kleidung auf, etwa einem kurzem Rock. Das bringe Betroffene in eine Verteidigungshaltung. Auch müsse klar sein, dass wenn man einer Handlung zustimme, "heißt es nicht, dass man zu allem zustimmt".
Problem der Beweisbarkeit
Aus Sicht von Strafverteidigerin Simone Kämpfer ist eine Ausweitung unserer Gesetze auf "Ja heißt Ja" nicht erforderlich, denn die wirklichen Probleme lägen in der Regel bei der Beweisbarkeit: "Ob es ein Kopfschütteln oder ein Nicken gab - in Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen ist beides oft gleich schwer zu belegen."
Für Staatsanwalt Sebastian Büchner sind Strafverfahren "das letzte Mittel". Aufklärungsarbeit und Präventionsarbeit sei wichtig und auch gesellschaftliche Diskussionen zu der Frage "wo werden Grenzen überschritten".