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D. Mußgnug u.a. (Hrsg.): Ernst Forsthoff - Carl Schmitt

Cover
Titel
Ernst Forsthoff - Carl Schmitt. Briefwechsel 1926-1974


Herausgeber
Mußgnug, Dorothee; Mußgnug, Reinhard; Reinthal, Angela
Erschienen
Berlin 2007: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
592 S.
Preis
€ 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frieder Günther, University of North Carolina at Chapel Hill

Man durfte auf diese Edition gespannt sein. Immerhin sind seit der ersten Verlagsankündigung bis zum tatsächlichen Erscheinen des Bandes vier Jahre vergangen. Publiziert wird erstmals der gesamte Briefwechsel zwischen dem Juristen Carl Schmitt (1888-1985) und seinem wohl wichtigsten und einflussreichsten Schüler Ernst Forsthoff (1902-1974). Während die Briefe von Forsthoff an Schmitt schon früher im Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchiv Düsseldorf einzusehen waren, wird ein Großteil der Briefe von Schmitt an Forsthoff nun erstmals zugänglich gemacht. So kann der Leser den umfangreichen und intensiv geführten brieflichen Dialog zwischen den beiden Staatsrechtslehrern nachvollziehen, die nicht nur auf ihr eigenes Fach einen maßgeblichen Einfluss ausübten, sondern darüber hinaus auch für die intellektuellen Debatten ihrer Zeit wichtige Beiträge lieferten. Der Briefwechsel setzt im Jahre 1926 ein und erstreckt sich über fast ein halbes Jahrhundert, wobei sich der Kontakt in den Jahren 1934 bis 1947 auf drei kurze Schreiben beschränkt – laut Einleitung kam es zum Bruch, da sich Forsthoff für einen „Halbjuden“ eingesetzt hatte. Im Mittelpunkt der Korrespondenz steht die Person von Ernst Forsthoff. Schmitt verbleibt hingegen überwiegend in der Rolle des Lehrers, der die Schritte des Schülers wohlwollend begleitet und kommentiert. Auch kommen inhaltliche Kontroversen kaum zur Sprache. Besonders aufschlussreich sind die Briefe im Hinblick auf die Frage, wie die beiden Briefpartner als radikale Konservative die tief greifenden politischen Brüche, aber auch den beschleunigten und nicht weniger einschneidenden gesellschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Wandel ihrer Zeit intellektuell verarbeiteten.

Der Briefwechsel beginnt nach der Promotion von Ernst Forsthoff. Dieser entstammte genauso wie sein Doktorvater Schmitt dem rechtsintellektuellen Milieu, welches das „Weimarer System“ von Grund auf bekämpfte: Dem heutigen Staat fehle die eigene auctoritas, „sodaß er kein wirklicher Staat, sondern eine interimistische Zwischenlösung ist“ (S. 40). Vor diesem Hintergrund wandten sich beide 1933 geradezu euphorisch dem Nationalsozialismus zu. Der sich als „Kronjurist“ der neuen Regierung profilierende Schmitt nutzte sogleich seinen neuen Einfluss und verhalf Forsthoff – kurz vor dem persönlichen Bruch – zu einer Professur in Frankfurt. Die Zustimmung zum neuen Regime währte indes, wie die Herausgeber in der Einleitung zu Recht betonen, bei Forsthoff nicht lange; ab etwa 1935 distanzierte er sich innerlich mehr und mehr, was auch zu entsprechenden Reaktionen der Parteistellen führte.

Der Briefwechsel setzt 1948 wieder ein. Die gemeinsam erlebte Ausgrenzung führte Schmitt und Forsthoff wieder zusammen. Beide hatten infolge der Entnazifizierung ihre Stellung als Universitätsprofessor verloren und fühlten sich nun als Ausgestoßene und als Opfer einer gehässigen Öffentlichkeit, die ihre Rückkehr in die wissenschaftlichen Debatten mit allen nur erdenklichen Mitteln verhinderte. Es ist die sprachliche Aggressivität, die labile Verletzlichkeit, die bodenlose Selbstgerechtigkeit und die ständige Stilisierung zum unabhängigen und sich selbst treu bleibenden Außenseiter, die den Leser geradezu in Atem hält. Einen Angriff von Friedrich August Freiherr von der Heydte bezeichnete Schmitt beispielsweise als „Asylschändung“ und kommentierte dies mit den Worten: „Niemals in den 12 Jahren der Hitlerzeit, ist einem jüdischen Kollegen eine so niederträchtige Bosheit angetan worden. [...] Das ist grosse Verschwörung der Unbegnadeten.“ (S. 59) Solche Angriffe wurden immer wieder ins Grundsätzliche gewendet und waren Ausdruck für den, so Forsthoff, „allgemeinen geistigen und wissenschaftlichen Tiefstand“ (S. 68). Ernst Forsthoff musste bis 1952 warten, bis er – vor dem Hintergrund der sich ausbreitenden „gewissen Stille“ bei der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus – in Heidelberg wieder ein Ordinariat erhielt und nochmals zu einem der führenden bundesdeutschen Staatsrechtslehrer aufstieg. Schon 1950 hatte er sein „Lehrbuch des Verwaltungsrechts“1 veröffentlicht – laut Einleitung ein „großes“ und heute noch aktuelles Buch (S. 24). Auch für Schmitt bedeutete das Lehrbuch mehr als eine bloße Berufung: „Mit diesem Lehrbuch sind Sie die Rechtswissenschaft, daran wird kein Nutzniesser des Zusammenbruchs etwas ändern können.“ (S. 72) Besonders interessant sind später die Mitteilungen von Forsthoff über seine Berufung zum Verfassungsgerichtspräsidenten von Zypern 1959/60, die das Auswärtige Amt zunächst verhindern wollte, die aber letztlich seine berufliche Karriere krönte. Hier war er bis 1963 tätig, sah sich aber aufgrund politischer Spannungen zum Rücktritt gezwungen, „denn wenn das Staatsoberhaupt ein Urteil des Verfassungsgerichts in den Wind schlägt, bleibt für den Richter nur die Möglichkeit, zu gehen“ (S. 190).

Während der 1960er-Jahre gerieten Forsthoff und Schmitt immer mehr in Distanz zum liberalen, gegenüber linken politischen Strömungen sich öffnenden geistigen Klima. Angesichts der Studentenproteste an den Universitäten fühlten sie sich sogar an die bürgerkriegsähnlichen Zustände des Jahres 1932 erinnert. Dabei hatte Forsthoff – ähnlich wie Schmitt – ein scharfsinniges Gespür für neue politische Entwicklungen, wie die ständige Expansion des Sozialstaates, die Tendenz zur Planung oder die zunehmende Technisierung und entwickelte entsprechende verfassungs- und verwaltungsrechtliche Konzepte. Aber den beiden war bewusst, dass die ausgehenden 1960er- und beginnenden 1970er-Jahre nicht mehr ihre Zeit waren. Die Angriffe gegen ihre Person häuften sich – und so endet der Briefwechsel in einer deutlich resignativen Grundstimmung.

Der Dokumententeil des Bandes wird ergänzt durch eine Einleitung und einen umfangreichen, mit großem Aufwand recherchierten Kommentar. Abgesehen von ein paar sicher verzeihlichen sachlichen Fehlern2, erweisen sich besonders die Literaturverweise, der genaue Nachweis einzelner Zitate, die abgedruckten zusätzlichen Dokumente und die zahlreichen Kurzbiographien generell bei der Lektüre als große Hilfe. Hingegen können Einleitung und Teile des Kommentars aufgrund ihres unausgewogenen Blicks auf die Vergangenheit nicht überzeugen. Weite Strecken der Einleitung lesen sich wie eine Rechtfertigung des Lebensweges von Forsthoff, die er in dieser Form wohl kaum gebilligt hätte, da er – ganz im Gegensatz zu Schmitt – eine einseitige Betrachtung seiner Biographie stets ablehnte. Ob es angemessen ist, seine Grundhaltung bis 1935 nur als eine „vom Zeitgeist geprägte Haltung“ (S. 8) zu bezeichnen, erscheint zumindest zweifelhaft. Forsthoff wollte Karriere machen und profilierte sich mit seiner Schrift „Der totale Staat“3 von 1933 bewusst als Stichwortgeber für das neue Regime. Und was verändert der Umstand, dass er sich hiervon später distanziert hat, an der Notwendigkeit, sich hiermit kritisch historisch auseinanderzusetzen? Die Wendung, Schmitt habe in den Jahren von 1933 bis 1936 „Bekenntnisse zur nationalsozialistischen Ideologie“ (S. 3) veröffentlicht, greift in jedem Fall zu kurz. Anstatt nur von den vielen Verdiensten und Leistungen Forsthoffs ab Ende der 1930er-Jahre zu sprechen, wäre es von weit größerem Interesse, diese zu kontextualisieren, so wie dies in der Forschung teilweise schon geschehen ist.4 Im Kommentar fällt besonders negativ ins Gewicht, dass in den Kurzbiographien grundsätzlich keine Gründe genannt werden, die nach 1933 zur Verfolgung führten oder den Einzelnen zur Emigration zwangen – dabei machen diese, das ist zu betonen, einen Unterschied. Auch ist es nicht nachzuvollziehen, dass eine inkriminierende Wendung des Schmitt-Kritikers Adolf Schüle von 1937 wörtlich zitiert wird, wohingegen entsprechende Passagen aus den Schriften von Forsthoff und Schmitt, die doch die Ursache für die zahlreichen Angriffe nach 1945 waren, fehlen.

Des Weiteren erscheint manche editorische Entscheidung der Herausgeber als nur schwer verständlich. Zum einen ist es misslich, dass die zahlreichen, zumeist in Kurzschrift verfassten Notizen, mit denen Schmitt Forsthoffs Briefe bei der Lektüre versah, nicht systematisch aufgelöst und in die Edition übernommen wurden. Zum Zweiten haben die Herausgeber immer wieder Passagen gekürzt, in denen sich die beiden Briefpartner über andere Personen abfällig äußerten, mit der Begründung, hier handle es sich um „private Mitteilungen“ (S. IX). Diese Äußerungen sind jedoch als Reaktion auf die als absolut feindlich wahrgenommene Umwelt zu verstehen und haben somit für eine Analyse des dezisionistischen Denkstils von Schmitt und Forsthoff eine zentrale Bedeutung.5 Und zum Dritten verwundert der ungekürzte Abdruck von vier nicht besonders aussagekräftigen Briefen zwischen Schmitt und Forsthoffs Sekretärin nicht im Kommentar, sondern im Hauptteil der Briefe.

Das Fazit zu dieser Edition fällt somit zwiespältig aus. Einerseits muss man für die Publikation der Briefe dankbar sein, da sie wichtige Einsichten vermitteln, die über die Biographien der beiden Briefpartner weit hinausgehen. Wer sich in Zukunft mit dem bundesdeutschen Konservativismus beschäftigt, wird an diesem Band schwerlich vorbeikommen. Andererseits lassen aber Einleitung und Kommentar aufgrund ihrer einseitigen Grundtendenz zu wünschen übrig. Die Herausgeber führen ungewollt vor Augen, dass es für eine umfassende Historisierung der 1950er- und 1960er-Jahre, wie sie erst kürzlich gefordert wurde6, noch zu früh ist.

Anmerkungen:
1 Forsthoff, Ernst, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 1. Band: Allgemeiner Teil, München und Berlin 1950 (10 Aufl.: 1973).
2 Vgl. hierzu bereits die Auflistung in der Rezension von Schuller, Wolfgang, Eine große Rührung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.12.2007: <www.faz.net/s/RubC17179D529AB4E2BBEDB095D7C41
F468/Doc~ECAC78E8CD55040F39A751E183CBCF37E~
ATpl~Ecommon~Scontent.html>; zudem wurde etwa Konrad Hesse nicht erst 1965 (S. 455), sondern bereits 1956 nach Freiburg berufen; an einer anderen Stelle (S. 529) wird auf einen falschen Artikel von Horst Ehmke verwiesen.
3 Forsthoff, Ernst, Der totale Staat, Hamburg 1933 (2. Aufl.: 1934).
4 Vgl. z.B. Stolleis, Michael, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, 3. Band: Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur 1914-1945, München 1999, S. 343-345, S. 351-380.
5 Vgl. Günther, Frieder, Denken vom Staat her. Die bundesdeutsche Staatsrechtslehre zwischen Dezision und Integration 1949-1970, München 2004, insbesondere S. 123-125.
6 Vgl. Doering-Manteuffel, Anselm, Nach dem Boom. Brüche und Kontinuitäten der Industriemoderne seit 1970, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 55 (2007), S. 559-581, hier S. 561f., S. 578-581.

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