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Titel
Die Deutsche Welle und die Politik. Deutscher Auslandsrundfunk 1953–2013


Autor(en)
Hagedorn, Anke
Erschienen
Konstanz 2016: UVK Verlag
Anzahl Seiten
554 S.
Preis
€ 79,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Henrich-Franke, Historisches Seminar, Universität Siegen

Die medienhistorische Forschung zur Geschichte des Rundfunks in der Bundesrepublik hat lange Zeit eine markante Lücke aufgewiesen: die Deutsche Welle. Während zu anderen Rundfunkanstalten mitunter eine facettenreiche Literatur vorliegt, – besonders ist hier an die umfassenden Arbeiten zur Geschichte des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR) zu denken – fehlten bisher detaillierte Untersuchungen zur Historie der Deutschen Welle. Dies ist umso erstaunlicher, da Auslandsrundfunksender im Kalten Krieg eigentlich ein prominentes Forschungsfeld darstellen. Zu Radio Free Europe, Voice of America, der British Broadcasting Corporation (BBC) oder auch dem Deutschlandsender der DDR liegen diverse Studien vor. Bedenkt man allerdings, dass die Deutsche Welle im Gegensatz zu den meisten anderen Rundfunkanstalten über kein eigenes Archiv verfügt, wird die bisherige Forschungslücke zumindest ein wenig erklärbar. Umso bemerkenswerter ist es also, dass Anke Hagedorn mit ihrer Dissertationsschrift „Die deutsche Welle und die Politik“ sich dieser schwierigen Herausforderung gestellt hat. Insofern klingt die eingangs formulierte Zielsetzung der hier zu besprechenden Monographie überraschend bescheiden, möchte die Autorin doch mit einer „traditionellen Institutionengeschichte“ einen „Beitrag zur diachronen Mediengeschichte der Bundesrepublik“ leisten (S. 19).

Im Fokus der Arbeit steht das Spannungsfeld zwischen der Rolle des Auslandsfunks als außenpolitischem Instrument einerseits und der eigenen bzw. öffentlichen Erwartungshaltung an Programm und Programmmacher. Die zentrale Leitfrage lautet also: „Wie organisierte sich das Verhältnis zwischen Auslandssender und Regierung in einer langfristigen Perspektive?“ (S. 31) In zeitlicher Hinsicht nimmt sich Anke Hagedorn damit ein Mammutprojekt vor, erhebt sie doch den Anspruch die gesamte Entwicklung der Deutschen Welle von ihren ersten Gründungsdiskussionen zu Beginn der 1950er-Jahre bis in die jüngste Vergangenheit abzudecken.

Die Arbeit gliedert sich in drei chronologische Kapitel sowie einen zusammenfassenden Teil, der auch die Frage nach der weiteren Entwicklungsperspektive der Deutschen Welle aufwirft. Im ersten Teil steht die schwierige Gründungsgeschichte der Deutschen Welle in den Jahren 1950 bis 1953 im Vordergrund. Einerseits musste eine scharfe Abgrenzung zum (Auslands-) Rundfunk während der NS-Zeit vorgenommen werden, um symbolisch einen Neuanfang im Auslandsrundfunk zu unterstreichen. Andererseits war die Gründung der Deutschen Welle ein wesentlicher Bestandteil der generellen Diskussion über das Verhältnis von Staat und Medien in der jungen Bundesrepublik. Heraus kam ein Kompromiss, der niemanden befriedigte und die Deutsche Welle auf eine unsichere Basis stellte. Zwar blieb die Programmebene formal unabhängig, doch hing die Finanzierung des Senders vom Bundesinnenministerium ab, womit für die Regierungen ein indirektes Einfallstor in die Programmgestaltung geöffnet worden war. Dass der Sendeauftrag der Deutschen Welle nicht klar definiert und auch die Abgrenzung zum Deutschlandfunk vage blieb, verkomplizierte die Situation zusätzlich.

Der zweite Teil deckt die gesamte Phase des Kalten Krieges bis zur Wendezeit 1989/90 ab. Die Deutsche Welle musste in dieser Zeit den Spagat meistern zwischen einem „Werbeträger der Bundesregierung“ und einem Objekt zur Gegenpropaganda, vor allem gegenüber den sozialistischen Staaten und ihren Medien. Insbesondere das Auswärtige Amt war permanent darum bemüht, die Deutsche Welle auf den außenpolitischen Kurs der Bundesregierung einzuschwören. In der Programm- wie der Personalpolitik wurde dabei die Grenze zwischen unabhängiger Programmgestaltung und politischer Indienstnahme immer wieder aufs Neue ausgelotet. Die Bundesregierung trat jedoch nicht als einheitlicher Akteur auf: Innenministerium, Auswärtiges Amt und Bundespressestelle versuchten auf unterschiedliche Weise und über unterschiedliche Kanäle ihren Einfluss geltend zu machen. Hinzu kam ein nicht unerheblicher Parteien-Poker um einflussreiche Direktorenposten. Hagedorn kommt mit Blick auf die Phase des Kalten Krieges zu dem Ergebnis, dass zwar „keine systematische Zensur oder Instrumentalisierung des Senders“ stattfand, „dass die Deutsche Welle in manchen Fällen“ aber „keine Wahl hatte, als zu kooperieren bzw. durchaus bereit war, den Standpunkt der Bundesregierung zu übernehmen.“ (S. 393) Zwar schrieben die Richtlinien der Programmgestaltung den einzelnen Redakteuren ausdrücklich vor, eine Einmischung in die inneren Verhältnisse zu unterlassen. Dennoch zeigen die von der Autorin ausgewählten Beispiele, dass gerade in Krisensituationen von dieser Norm immer wieder abgewichen wurde. Für die Journalisten ‚vor Ort’ stellte sich in Krisensituationen wiederholt die Frage, wo die Neutralität in der Berichterstattung über totalitäre Systeme endete.

Der dritte Teil behandelt die Entwicklungen vom Ende des Kalten Krieges bis in die unmittelbare Gegenwart. Seit der Wiedervereinigung muss die Geschichte der Deutschen Welle als eine eher wechselhafte betrachtet werden. Einerseits übernahm die Deutsche Welle einerseits Aufgaben ihrer vorherigen Mitbewerber Rundfunk im Amerikanischen Sektor (RIAS) und Deutschlandfunk (DLF). Andererseits bestand eine generelle Unsicherheit über den weiteren Bedarf einer derartigen Sendeanstalt, da nicht nur die Ziele des Auslandsrundfunks nach dem Ende der Systemkonkurrenz sich wandelten, sondern in einer sich dramatisch verändernden Medienlandschaft auch das Medium Radio im internationalen Informationsverkehr an Bedeutung verlor. Die Deutsche Welle öffnete sich neuen Medien wie dem Internet und reduzierte sukzessive das Radioangebot. Ob sich seit 2014 die Rahmenbedingungen grundsätzlich wandeln und Regierung wie Gesellschaft zu einer Antwort auf die zunehmend staatlich gesteuerte internationale Informationspolitik, etwa in Russland, finden müssen und wollen, die einen Auslandssender wie die Deutsche Welle völlig neu legitimiert, bleibt allerdings abzuwarten.

Wenngleich der Rezensent die Arbeit mit großem Gewinn gelesen hat, sollen auch einige kritische Gedanken geäußert werden, die potentielle Leser als Anregungen in die Lektüre des Bands „Die Deutsche Welle und die Politik“ mitnehmen können. Erstens wirken die wiederholt eingestreuten Diskussionen unterschiedlicher Konzepte des Auslandsrundfunks oder von Kriterien zur Bemessung des Potentials eines Auslandssenders eher störend, weil sie weder zum selbstgewählten Stil einer „traditionellen Institutionengeschichte“ passen, noch mit Blick auf das Erkenntnisinteresse der Arbeit einen spürbaren Mehrwert generieren. Zweitens hat sich der Rezensent gefragt, warum Krisensituationen derart prominent in den Vordergrund geschoben wurden. Warum haben nicht die Entspannungspolitik und die Auswirkungen der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) auf den Auslandsrundfunk eine stärkere Beachtung gefunden? Immerhin gehörte der Informationsfluss über den Eisernen Vorhang zu einem wichtigen Element des Korbs 3 der KSZE-Verhandlungen. Drittens konnte den Rezensenten der Grenzgang zwischen historischer Analyse und eher medienpolitischer Betrachtungen der aktuellen Herausforderungen der Deutschen Welle nur bedingt überzeugen. Insbesondere im Fazit erscheinen die beiden Teile eher nebeneinander zu stehen.

Diese kritischen Anmerkungen sollen hingegen den insgesamt positiven Eindruck, den der Rezensent hatte, nicht trügen. Im Ergebnis hat Anke Hagedorn eine informative Institutionengeschichte über die Deutsche Welle vorgelegt und damit eine Lücke in der Forschung sowohl zur (Informations-) Außenpolitik wie der Mediengeschichte der Bundesrepublik geschlossen. Die informativ geschriebene Arbeit verdient nicht zuletzt deshalb hohe Anerkennung, weil es der Autorin gelungen ist, trotz einer sehr schwierigen Quellensituation eine inhaltlich gehaltvolle Studie vorzulegen, aus der klar die Spezifik des bundesdeutschen Auslandsrundfunks im Vergleich zu anderen Sendern wie Radio Free Europe, Voice of America, der BBC oder dem Deutschlandsender hervorgeht.