Die Erforschung von mittelalterlichen Herrscherinnen, besonders von Königinnen, ist in der internationalen Forschung bereits fest etabliert. Mit dem jüngsten Sammelband von Theresa Earenfight liegt eine Synthese zum europäischen Königinnentum vor.1 Dass Herrschaft von Frauen nicht nur möglich, sondern sogar verbreitet war, ist zwar mittlerweile bekannt, aber weder die verschiedenen Erscheinungsformen noch die ideologischen Grundlagen oder Repräsentationen von Königinnentum haben in der deutschsprachigen Mediävistik bislang systematische Berücksichtigung gefunden. Statt des Phänomens Königinnentum standen und stehen eher einzelne Königinnen oder Herrscherinnen einer Dynastie im Mittelpunkt der Forschung, die sich vornehmlich auf das Reich konzentriert. Überblickswerke zu Königinnen2 oder strukturell angelegte Untersuchungen wie die Dissertation von Amalie Fößel zu Handlungsspielräumen von Königinnen beschäftigen sich schwerpunktmäßig mit dem Früh- und Hochmittelalter.3 Daneben wurde aus dem deutschen verfassungsgeschichtlichen Blick heraus auch Kaiserinnen Aufmerksamkeit geschenkt.4 Für die anschließende Epoche des Spätmittelalters und des Übergangs zur Frühen Neuzeit ist bislang eine Lücke zu konstatieren, und besonders internationale Vergleiche sind ein Forschungsdesiderat.
Für Fürstinnen gilt dieser zeitliche Befund nicht; hier wurde in den letzten ca. 15 Jahren gerade das Spätmittelalter und der Übergang zur frühen Neuzeit intensiv erforscht, jedoch auch vor allem reichsbezogen. Im Gegensatz zu Königinnen wurde für Fürstinnen aber insgesamt die geschlechtergeschichtlich orientierte Perspektive stärker berücksichtigt.5
Der vorliegende Band zu mächtigen Frauen vom 11. bis 14. Jahrhundert setzt somit an drei Forschungsdesideraten an: erstens dem internationalen Blick auf Herrscherinnen, zweitens Königinnen und Fürstinnen als Herrscherinnen im Vergleich sowie drittens Geschlechterrollen und Herrschaft. Mit dem zeitlichen Zuschnitt ist eine erneute Konzentration auf das Hochmittelalter gegeben, auch wenn die Perspektive um das 14. Jahrhundert erweitert wird.
Der Band ist aus einer Tagung des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte im September 2010 hervorgegangen. Die Beiträge stammen von internationalen Expertinnen und Experten und der breit gespannte geographische Rahmen macht eine Stärke des Bandes aus.
Bewusst wurden in der Konzeption die peripheren Reiche Europas als Ausgangspunkt der Untersuchung genommen, da in ihnen, wie in den Kreuzfahrerherrschaften oder auf der Iberischen Halbinsel, Königinnen die Herrschaft erben und/oder direkt ausüben konnten. Im Heiligen Land gab es Bestrebungen, weibliche Thronfolge zu institutionalisieren. Damit ist ein zentraler Wechsel des Standpunkts und somit der Perspektive vorgenommen, der die Vielfalt der Ausübung von Macht und Herrschaft durch Frauen berücksichtigt, die bei einer Weitung des Blicks über Kerneuropa (und erst recht über das Reich) hinaus in den Blick gerät.
Nach der Einleitung der Herausgeberin Claudia Zey folgt der Beitrag von Christine Reinle, die sich mit den Fragen, was eigentlich Macht im Mittelalter bedeutet und welche Grundlagen Machtausübung durch Männer und Frauen benötigte, auseinandersetzt. Danach beginnt ein Durchgang durch die verschiedenen Reiche und Regionen, der Konzeption des Bandes folgend stehen zu Beginn die europäischen Peripherien mit den Königinnen auf der Iberischen Halbinsel bis ins 14. Jahrhundert (Nikolaus Jaspert) gefolgt von der Untersuchung der weiblichen Thronfolge im lateinischen Königreich von Jerusalem 1099–1291 (Andrew Murray) und einem Beitrag zur männlichen Herrschaft im Heiligen Land der Erbköniginnen (Philippe Goridis). Es folgen die Untersuchungen zum anglo-normannischen Reich, zunächst zu den Königinnen von 1066–1216 (Elisabeth van Houts) und anschließend zu den Fürstinnen mit Schwerpunkt auf Ostfrankreich mit Eleonore von Aquitanien und Blanche von Kastilien (Philippe Corbet).
Auf die übergeordnete Instanz des Papsttums und die Kommunikation mit Herrscherinnen und mächtigen Frauen blickt Brigitte Kasten, Elke Goez untersucht die Fürstinnen in der späten Salierzeit mit Konzentration auf Beatrix und Mathilde von Tuszien. Mit den Königinnen in der Zeit des Spätmittelalters beschäftigt sich Martina Stercken, die Habsburgerinnen untersucht, die in ihrem Lebensweg Landesherrinnen und Königinnen waren; danach folgen noch zwei Beiträge zu Fürstinnen im Spätmittelalter: eine Analyse des Stiftungsverhaltens der Tiroler Landesfürstinnen im 13. und 14. Jahrhundert (Julia Hörmann-Thurn und Taxis) und der Beitrag von Sigrid Hirbodian zur Herrschaft der geistlichen Fürstinnen vom 11. bis 14. Jahrhundert. Die Beiträge werden von Jörg Rogge in der gemäß der Tradition der Reichenau-Bände umfangreichen Zusammenfassung zunächst gewürdigt und erneut in den übergeordneten Kontext von Herrschaftsausübung von Frauen gestellt. Abgeschlossen wird der Band durch ein Personen- und Ortsregister.
Mit diesem Sammelband liegt nun für die deutschsprachige Forschung eine Gesamtschau auf Herrscherinnen vor, die sich weder auf das Reich noch auf die spezifische Herrschaftsform von Königinnen oder Kaiserinnen beschränkt. Die Beiträge leisten so einen Anschluss an die aktuellen und international geführten Debatten über Frauen und Macht im Mittelalter. Mit dem Fokus auf Macht und Herrschaft geht der Blick über die reine Betrachtung von Königinnen weg zu Frauen, die herrschten – und zur Frage der Erwartungen, Möglichkeiten und Beschränkungen, denen diese Frauen unterlagen. Die Konzentration auf die Peripherie ist zu begrüßen; dass die Betrachtung weiterer Beispiele (Skandinavien, Schottland, auch Byzanz) möglich gewesen wären, wie die Herausgeberin selbst anführt, ist selbstverständlich, aber das Bewusstsein für die Vielfalt ist geweckt.
Als zentrale Ergebnisse lässt sich festhalten, dass Herrschaft durch Frauen nichts Außergewöhnliches war, aber geschlechtsbedingten Rollenerwartungen unterlag; Männer, seien es Ehemänner, andere Verwandte, weltliche sowie geistliche Konkurrenten oder geistliche Beobachter und Berichterstatter, versuchten, diese Machtausübung zu begrenzen. Dennoch gelang es einigen Frauen, ihr Herrschaftspotential voll auszuschöpfen. In einigen Reichen ist es offenbar zu einer Art Institutionalisierung regionaler Herrschaftsformen bzw. zur Etablierung eines Königinnenamtes gekommen, auch wenn diese Fragen im Band nicht im europaweiten Vergleich behandelt werden konnten.
Der reflektierte Diskussionsrahmen über Macht, Herrschaft und Autorität, der Herrscherinnentum statt einzelne Herrscherinnen berücksichtigt, die Einbeziehung von Äbtissinnen als Herrscherinnen sowie der weite geographische Blick mit der Berücksichtigung der Reiche, in denen Frauen über Generationen hinweg Erfahrungen als Herrscherinnen auch weitergeben konnten, macht den Mehrwert dieses Bandes aus.
Hier können nicht die einzelnen Beiträge so gewürdigt werden, wie es ihnen zustände. Alle sind von einer hohen Qualität und die Autorinnen und Autoren haben sich in der Regel auch schon an anderer Stelle mit den diskutierten Fragen auseinandergesetzt, aber dies noch nicht in dem übergeordneten systematischen Diskussionsrahmen. Wie bei Sammelbänden üblich, gerät der rote Faden nicht bei allen Beiträgen gleichermaßen in den Blick, doch werden die losen Fäden hier in der Zusammenfassung wieder zusammengeknüpft.
Wenig verwunderlich ist, dass nicht alle gesetzten Ziele eingehalten werden konnten. So bleibt die Beantwortung der in der Einleitung gestellten Frage, was weibliche Herrschaft eigentlich sei, offen – nicht gestellt wird die Frage, ob der Begriff eigentlich sinnvoll ist und man weiter damit arbeiten sollte. Was unter männlicher Herrschaft zu verstehen ist, gerät bis auf den Beitrag von Philipp Goridis sowie die Bemerkungen in der Zusammenfassung kaum in den Blick.
Gerade die Frage eines Königinnenamtes sowie die Behandlung der Erwartungen an Herrscher und Herrscherinnen in Bezug auf Geschlechterrollen sollten zukünftig noch stärker im Mittelpunkt stehen. Geschlechtsadäquate Herrschaftsausübung war auch eine Grundlage für die Herstellung von königlicher Autorität. Wie bereits für das Frühmittelalter herausgestellt6, wäre es auch für das Hoch- und Spätmittelalter weiterführend, die Bedeutung von königlichen Körpern (weiblich und männlich) und Körperlichkeit für die Herrschaft zu analysieren. Eine Ausweitung der zeitlichen Untersuchungsperspektive auf das Spätmittelalter wird in dem Band zwar immer wieder angemahnt, wäre aber mit Einbeziehung des 15. und eventuell des 16. Jahrhunderts die Aufgabe eines weiteren, zukünftigen Unternehmens. Ungeachtet dieser Wünsche für weitere Betrachtungen liegt mit dem Sammelband ein Werk vor, das einen neuen Standard in der Behandlung der Thematik setzt und zu dem alle, die sich mit Frauen, die herrschten, beschäftigen, greifen sollten.
Anmerkungen:
1 Theresa Earenfight, Queenship in medieval Europe, Basingstoke 2013.
2 Martina Hartmann, Die Königin im frühen Mittelalter, Stuttgart 2009.
3 Amalie Fößel, Die Königin im mittelalterlichen Reich. Herrschaftsausübung, Herrschaftsrechte, Handlungsspielräume, Stuttgart 2000.
4 Amalie Fößel (Hrsg.), Die Kaiserinnen des Mittelalters, Regensburg 2011.
5 Jörg Rogge (Hrsg.), Fürstin und Fürst. Familienbeziehungen und Handlungsmöglichkeiten von hochadligen Frauen im Mittelalter, Stuttgart 2004.
6 Stuart Airlie, Private Bodies and the Body Politic in the Divorce Case of Lothar II., in: Past and Present 161 (1998), S. 3–38.