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B. Naranch u.a. (Hrsg.): German Colonialism In A Global Age

Cover
Titel
German Colonialism In A Global Age.


Herausgeber
Naranch, Bradley; Eley, Geoff
Reihe
Politics, History, And Culture
Erschienen
Anzahl Seiten
419 S.
Preis
€ 24,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jens Jäger, Historisches Institut, Universität zu Köln

Die Beschäftigung mit deutscher Kolonialgeschichte boomt. Zahllose Studien sind in den vergangenen Jahren entstanden, die sich mit dem deutschen Kolonialismus befassen und ihn dabei als ein Grundphänomen des späteren 19. und des gesamten 20. Jahrhunderts erfassen. Dass Sebastian Conrads konzise Einführung inzwischen in dritter Auflage vorliegt, ist ein beredtes Zeichen hierfür.1

Die neuere deutsche Kolonialgeschichtsschreibung kennzeichnet, dass sie die transnationalen wie globalen Züge hervorhebt und sie inzwischen als ein wichtiges Merkmal der Selbstverortung der Gesellschaft des Kaiserreichs sieht. So werden in dem Band von Bradley Naranch und Geoff Eley die vielfachen transnationalen Bezüge der deutschen Kolonialgeschichte ebenso hervorgehoben wie die Wechselwirkungen zwischen Kolonie, Metropole und den anderen Kolonialmächten. Der Band zeichnet anhand von sechzehn Aufsätzen die Bandbreite der neueren Forschungen zum deutschen Kolonialismus vor dem Hintergrund neuer global- und imperialhistorischer Einsichten nach und steht in der Tradition angloamerikanischer Reader, die in komplexe Forschungsthemen einführen. Wichtig ist den Herausgebern auf die weniger offensichtlichen kolonialen Bezüge hinzuweisen, um das Phänomen des deutschen Kolonialismus im globalen Zeitalter – wie der Titel es formuliert – in allen Aspekten zu entfalten und nicht nur anhand der engeren Kolonialgeschichte. In der Mehrzahl stellen die Beiträge Ergebnisse empirischer Forschung vor. Die Bibliographie (S. 347–406) führt Archive und Zeitschriften auf, skizziert die im Band erwähnten Quellen und bietet einen guten Überblick zur Forschungsliteratur. Ein Index erleichtert das gezielte Arbeiten mit dem Band.

Die Einleitung sowie der Aufsatz von Geoff Eley haben einführenden Charakter. Die Einleitung skizziert Konzept und Auswahl des Bandes; Eley schildert die Forschungen zum deutschen Kolonialismus und führt somit in die Historiographiegeschichte ein, wobei er sich auf die Grundkonzeption des deutschen Kolonialismus konzentriert, die er anhand von Überlegungen zum Expansionismus und dessen zeitgenössischen Begründungen darlegt.

Die folgenden 15 Beiträge widmen sich einzelnen Phänomenen des globalen kolonialen Geschehens und der spezifischen Einbettung deutscher Akteure. Die Beiträge im Einzelnen: George Steinmetz untersucht anhand von vier Soziologen (Max Weber, Alfred Weber, Richard Thurnwald, Wilhelm Mühlmann) die Einflüsse kolonialen Denkens und soziologischer Grundpositionen. Deborah J. Niell widmet sich der Tropenmedizin als Fallbeispiel für Verflechtungen in der Wissenschaft und der Entflechtungen dieser Beziehungen nach 1918. Andrew Zimmermann verdeutlicht das Zusammenspiel verschiedenster Ansätze bei den Versuchen, die Kolonisation auf wissenschaftlicher Grundlage effektiver zu gestalten. Zentraler Aspekt ist hierbei die Entwicklung der kolonialen Landwirtschaft, die sich durch amerikanische und ostelbische Erfahrungen wie agronomischen Experimenten inspirieren ließ.

Heike I. Schmidt untersucht Gerichtsverfahren in ostafrikanischen Distrikten, die um Fragen von Anstand, Ehre und Männlichkeit kreisen und sieht diese als Ausdruck einer „Krise von Männlichkeit“, die für die Gesellschaft des Kaiserreiches typisch gewesen sei. Klaus Mühlhahn betrachtet Kiautschou als einen besonderen kolonialen Raum, der Kontakt- und Aushandlungszonen schuf, die in anderen Kolonien so nicht bestanden. Er betont somit die große Bandbreite kolonialer Politik. Jennifer Jenkins macht darauf aufmerksam, dass auch der Umgang mit deutschen Minderheiten im Ausland (oder solchen, die als „deutsch“ bezeichnet wurden), in einen kolonialen Kontext gehört. Als Russlanddeutsche in den späten 1920er-Jahren aus der Sowjetunion in den Iran flüchteten, nahm sich die deutsche Politik dieser Menschen an und betrachtete sie als Chance dort ökonomischen wie politischen Einfluss zu gewinnen.

Jeff Bowersox leitet die Aufmerksamkeit auf die nur wenig untersuchte Präsenz des Kolonialen in der Pädagogik des Kaiserreichs. Schulen waren wichtige Transmissionsriemen, um Grundlagen imperialen Wissens und dazugehöriger Haltungen zu vermitteln. Rassische Vorstellungen, Naturkunde und Geographie ordneten die Welt in kolonisierende und zu kolonisierende Räume; eine Entwicklung, die im späten Kaiserreich und darüber hinaus fest in den Schulen verankert wurde. David Ciarlos Beitrag konzentriert sich auf koloniale Fantasien und Motive in der Werbung. Hier wurden – anders als in Schulen – viel stärker stereotype Bilder vermittelt, und diese Bilder unterliefen die politische und wissenschaftliche Agenda, die bei aller rassistischen Fundierung doch ein differenzierteres Bild kolonialer Vorstellungen verbreiten wollten. Die Werbung folgte anderen Logiken und schuf so eine stark „vereinfachte rassische Fantasie“ (S. 206).

Die Reichstagswahlen von 1907 standen ganz im Zeichen des Herero-Nama Krieges, waren durch die Auseinandersetzung um den immensen Finanzbedarf des Kolonialkrieges ausgelöst. John Philipp Short widmet sich diesem innenpolitischen Thema und fragt nach der Positionierung der Arbeiterschaft, die gerade auf lokaler Ebene antikolonial blieb. Insgesamt verschob sich aber auch in der Sozialdemokratie der Diskurs und koloniale Vorstellungen spielten eine zunehmend wichtigere Rolle. Zu den unterschiedlichen Positionen gegenüber der Kolonialpolitik innerhalb antisemitischer Gruppen äußert sich Christian S. Davis in seinem Beitrag. Er legt dar, dass es einen differenzierten Diskurs gab, der einerseits an allgemeine, damals gängige Begründungen imperialen Handelns anknüpfte, andererseits aber an herausragenden Persönlichkeiten jüdischer Herkunft wie Emin Pascha und Bernhard Dernburg Anstoß nahm, wenngleich eine Reihe von Antisemiten diese durchaus akzeptieren konnte.

Sebastian Conrad betont die globalen Zusammenhänge im deutschen kolonialen Diskurs, der sich im Umgang mit der polnisch sprechenden Minderheit in Preußen ebenso finden lässt, wie in der genuinen Kolonialpolitik. Rassistische Denkweisen, imperiale Ansprüche und ökonomische Überzeugungen verknüpften sich nach 1880 auf je spezifische Weise, deren Grundierung aber gemeinsame Denkweisen angesichts der Erfahrung von Globalisierung zeigt. Der Alldeutsche Verband steht im Fokus von Dennis Sweeneys Beitrag. Sweeney betrachtet die imperialen und rassistischen Konzepte des Verbandes im Licht ihres globalen Denkens von den späten 1890er-Jahren bis in den Ersten Weltkrieg hinein. Er plädiert dafür, die Konzeptionen der radikalen Rechten neu zu überdenken, womit er freilich schon länger offene Türen in der Forschung einrennt. Die Marine als Rückgrat kolonialer und geostrategischer Planungen ist Thema von Dirk Bönkers Ausführungen. In einem transnationalen Vergleich zeigt Bönker, dass sich die US-amerikanischen und die deutschen Marinestrategien ähnelten, wenngleich die strategische Ausgangslage aus deutscher Sicht viel stärker auf den Nordatlantik ausgerichtet war und dem Schutz der Kolonien im Falle eines großen Krieges keine Priorität einräumte.

Die letzten zwei Beiträge widmen sich der Weimarer Republik und dem NS-Deutschland. Brett M. van Hoesen analysiert die visuelle Propaganda gegen koloniale Besatzungstruppen im Rheinland und führt die Bildersprache auf koloniale und vorkoloniale Muster rassistischer Differenz zurück. Aber auch während der Weimarer Republik gab es einen visuellen Gegendiskurs, den van Hoesen anhand der Fotomontagen von Hannah Höch skizziert. Birthe Kundrus fragt danach, wie imperial das Dritte Reich gewesen ist. Damit bettet sie die nationalsozialistische Expansion in ein historiographisches Narrativ imperialer und kolonialer Geschichte ein, wobei Ähnlichkeiten wie entscheidende Unterschiede zur Sprache kommen.

Der Band entfaltet in der Tat gegenwärtige Forschungsfragen und es gelingt auch, den deutschen Kolonialismus und Imperialismus als Teil globaler Phänomene darzustellen. Imperiales Denken und Handeln war und ist nicht notwendigerweise mit dem Besitz von Kolonien verbunden; wohl aber immer mit Vorstellungen von Expansion und Kontrolle über Räume und Menschen. Was der Band vermissen lässt, wenngleich dies den Herausgebern teilweise bewusst ist2, sind transnational inspirierte Studien zu konkreten kolonialen Institutionen, wie dem Reichskolonialamt und dessen Vorgängerabteilungen im Auswärtigen Amt, der Deutschen Kolonialgesellschaft und verwandter Verbände, der Herrschaftspraxis vor Ort und im Zusammenspiel mit der Metropole und den kolonialen Nachbarn sowie Ausblicke auf die Zeit nach 1945. Insgesamt aber eine anregende Einführung in das dynamische Forschungsfeld zum deutschen Kolonialismus in globaler Perspektive.

Anmerkungen:
1 Sebastian Conrad, Deutsche Kolonialgeschichte, 3. Aufl., München 2016 (1. Aufl.: 2008). Seit 2011 liegt auch eine englischsprachige Ausgabe vor: German Colonialism. A Short History, Cambridge 2011.
2 Naranch und Eley verweisen eingangs auf zwei weitere englischsprachige Bände hin: Michael Perraudin / Jürgen Zimmerer (Hrsg.), German Colonialism and National Identity, London 2011; sowie Volker Langbehn / Mohammad Salama (Hrsg.), Colonialism: Race, the Holocaust, and Post-War Germany, New York 2011.

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