Nothing Special   »   [go: up one dir, main page]

B. Möckel: Erfahrungsbruch und Generationsbehauptung

Cover
Titel
Erfahrungsbruch und Generationsbehauptung. Die ›Kriegsjugendgeneration‹ in den beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften


Autor(en)
Möckel, Benjamin
Reihe
Göttinger Studien zur Generationsforschung. Veröffentlichungen des DFG-Graduiertenkollegs »Generationengeschichte« 16
Erschienen
Göttingen 2014: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
445 S., 5 Abb.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Echternkamp, Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam / Institut für Geschichte, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

„Flakhelfergeneration“, „Jahrgang 1929“, Generation der „45er“: An plakativen Formeln, mit denen deutsche Jugendliche der Zeit des Zweiten Weltkriegs in einen generationellen Zusammenhang gestellt werden, mangelt es nicht. Stets scheinen die Angehörigen einer Alterskohorte auf geheimnisvolle Weise eng miteinander verbunden zu sein. Sie alle hätten ganz ähnliche, wenn nicht die gleichen Erfahrungen gemacht und würden deshalb, so lautet die Annahme, ähnlich empfinden und handeln. Für die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft hat der Soziologe Helmut Schelsky in den 1950er-Jahren die Formulierung „skeptische Generation“ geprägt, die zu einem geflügelten Wort wurde. Gegen dieses essentialistische Verständnis hat sich längst eine Generationsforschung etabliert, die den Begriff nicht für bare Münze nimmt, sondern ihn als heuristische Kategorie reflektiert und im zeitgenössischen Diskurs dekonstruiert. Historiker/innen lesen „Generation“ nicht als einen Erfahrungsbegriff, sondern als das Ergebnis einer Zuschreibung durch andere oder im Sinne einer Selbstthematisierung. Kurz gesagt: Nicht die gemeinsame Erfahrung macht eine Generation aus, sondern die Behauptung, dass dem so sei.

Benjamin Möckel stellt beides auf den Prüfstand. In seiner Dissertation, die im Rahmen des DFG-Graduiertenkollegs „Generationengeschichte“ bei Bernd Weisbrod in Göttingen entstanden ist, begnügt er sich weder mit einer (generationellen) Erfahrungs- noch mit einer Erinnerungsgeschichte. Vielmehr stellt er sich dem Problem, die bereits für sich komplexen Entwicklungen ins Verhältnis zu setzen und die auf die Kriegserfahrungen bezogenen Zuschreibungen der Nachkriegszeit nicht ohne eine Analyse eben jener Erfahrungen zu untersuchen. Dabei vermeidet er den methodischen Kurzschluss, Generationszuschreibungen aus Generationserfahrung(en) direkt abzuleiten.

So fragt Möckel danach, wie die Jugendlichen in der späten Kriegs- und der frühen Nachkriegszeit wahrgenommen wurden. Dazu unterscheidet er zwischen der Fremdwahrnehmung in den auf die Jugend bezogenen zeitgenössischen Diskursen und den Selbstwahrnehmungen der Jugendlichen, ihren individuellen Erfahrungen und Erwartungen. Möckel stützt seine Studie dementsprechend auf einschlägige, vor und nach 1945 erschienene Zeitschriften sowie auf (populär)wissenschaftliche Literatur einerseits, auf veröffentlichte wie unveröffentlichte Selbstzeugnisse wie Tagebücher, Briefe und Erinnerungsbücher andererseits. Das Ergebnis räumt mit der Vorstellung einer gemeinsamen, nationalsozialistisch geprägten Generationserfahrung im Zweiten Weltkrieg gründlich auf. Die nationalsozialistische Sozialisation, zu der paramilitärische Jugendgruppen ebenso zählten wie Feiern zum „Heldengedenktag“, bildete in Möckels Lesart einen Referenzrahmen für die Jugendlichen, der sie ihrem Kriegseinsatz begeistert entgegensehen ließ. Die Desillusionierung im Verlauf des Krieges entwickelte jedoch eine Eigendynamik, die sich im letzten Kriegshalbjahr noch einmal verstärkte. Angst, soziale Isolation und existenzielle Unsicherheit, schließlich das Empfinden eines biographischen Bruchs 1945 angesichts der Ent- und Umwertung der bis dahin geltenden Ideale: All das erschütterte die Identität der jungen Menschen mehr, als dass es sie in einer homogenen „Kriegsjugendgeneration“ zusammengeschweißt hätte.

Die Bezeichnung wird deshalb allenfalls als Ausdruck einer rückwirkenden Zuschreibung, einer „nachträglichen ‚Generationalisierung‘“ (S. 385) verständlich. Ironischerweise wurde dabei die Existenz de facto trennender Prozesse als Merkmal der gemeinsamen Erfahrung umgedeutet. Generationelle Zuschreibungen waren, das zeigt Möckel immer wieder, weder ein Ausdruck universeller Muster noch individueller Erfahrungen. Die „Kriegsjugendgeneration“ entstand vielmehr durch den gemeinsamen Rückblick auf die Erfahrungen Einzelner im je spezifischen und wandelbaren kulturellen Zusammenhang der jeweiligen Staats- und Gesellschaftsordnung.

Neu ist nicht zuletzt, dass Möckel das Rad der Analyse noch ein Stückchen weiterdreht und für die Selbstzuschreibung die Rezeption eben jener Diskurse berücksichtigt: Die Protagonisten reagierten in der Regel positiv darauf, wie über sie gesprochen wurde, und integrierten Teile der öffentlichen Narrative in ihr generationelles Selbstbild, als ob es sich um Elemente der eigenen Biographie handelte. Diese große Anschlussfähigkeit beruhte, so lautet eine weitere wichtige These, auf zwei Zusammenhängen, die Möckel als politische bzw. biographische Metapher bezeichnet. Zum einen dienten die Jugendlichen der Gesellschaft als Projektionsfläche. Zunächst symbolisierte ihre Verwahrlosung den Zusammenbruch; später stand die Jugend für den Neuanfang. Zum anderen suchten die Jugendlichen durch diesen Erinnerungsmodus ihre Erfahrungen in einen Sinnzusammenhang einzuordnen. In Ost- wie in Westdeutschland wurde eine Jugend inszeniert, die aus Krieg und Nationalsozialismus die nötigen Konsequenzen gezogen habe – unterschiedliche Konsequenzen freilich. Möckel nutzt an dieser Stelle eine historiographische Chance der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte: Angesichts der „gemeinsamen“ Vergangenheit lässt sich die Abhängigkeit generationeller Zuschreibungen vom jeweiligen politischen, sozialen und kulturellen Deutungszusammenhang im Vergleich von DDR und Bundesrepublik herausarbeiten und damit zeigen, dass die Kriegserfahrungen ihrerseits einen Interpretationsspielraum eröffneten, der groß genug war, um selbst entgegengesetzte Zuschreibungen plausibel erscheinen zu lassen. Während die Jugendlichen in der DDR als politisch aktive Mithelfer des sozialistischen Neuanfangs galten, wurde ihren Altersgenossen in der Bundesrepublik eine apolitische Skepsis attestiert. Die ost- und westdeutschen Jugendlichen selbst griffen diese Deutungen Dritter dankbar auf, wurden sie doch so in beiden Fällen Teil einer Erfolgsgeschichte.

Insofern lässt sich „Generation“ denn auch als ein „Kommunikationsmodus“ der Nachkriegszeit interpretieren. Wie öffentlich über die Jugend geredet wurde und wie diese über sich selbst sprach, sagt etwas aus über die „Verarbeitung“ der jüngsten Vergangenheit. Insofern steht der gewählte Untersuchungsgegenstand – die Jugendjahrgänge des Zweiten Weltkrieges – auch beispielhaft für ein generelles Charakteristikum der Generationen-Rede. Am Ende seiner reflektierten Analyse interpretiert Möckel den Topos der „Kriegsjugendgeneration“ als ein zentrales „symbolpolitisches Themenfeld in der Selbstinszenierung“ (S. 387) der Nachkriegsgesellschaften in der DDR und der Bundesrepublik. Ähnliches ließe sich etwa für die Selbstthematisierung ehemaliger Wehrmachtssoldaten festhalten, die sich aufgrund ihrer (vermeintlich) gemeinsamen Jahre an der Front und in Kriegsgefangenenlagern als eine „Generation“ empfahlen, die um die Fragilität von Frieden und Freiheit wusste und deshalb besonders demokratietauglich zu sein schien.

Aus dem Spannungsfeld von essentialistischer und konstruktivistischer Herangehensweise hat Benjamin Möckel mit seiner methodisch anspruchsvollen Arbeit einen Ausweg gefunden, der überzeugt. Wie es sich für eine Dissertation gehört, wird der Gang der Untersuchung klar dargelegt. Dabei nimmt Möckel seine Leser/innen recht häufig an die Hand und erläutert die Argumentationsschritte außer in der Einführung auch durch zahlreiche Zwischenresümees, Überleitungen, Rückblicke und Ausblicke, was zu manchen Redundanzen führt und die Lektüre streckenweise etwas zäh geraten lässt. Hier wäre weniger mehr gewesen – wenngleich die umgekehrte Kritik schwerer wöge. Dieser jüngste Band ist jedenfalls ein weiterer wichtiger Baustein in der innovativen Reihe der „Göttinger Studien zur Generationsforschung“.1 Er nutzt überzeugend den Generationenbegriff, um die Forschungen zur Kriegs- und Nachkriegszeit in einem epochenübergreifenden Ansatz zu verknüpfen, und entwickelt umgekehrt das Generationenkonzept anhand des verschachtelten historischen Untersuchungsgegenstandes weiter. Zugleich liefert er einen willkommenen Beitrag zu einer deutsch-deutschen Geschichte – einem Feld, das reich an methodischen Überlegungen, aber noch relativ arm an empirisch fundierten Studien wie dieser ist.

Anmerkung:
1 <http://www.wallstein-verlag.de/buchreihen/goettinger-studien-zur-generationsforschung-veroeffentlichungen-des-dfg-graduiertenkollegs-generationengeschichte-1.html> (02.04.2015).