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Atomwirtschaft und Reaktorsicherheit in der Bundesrepublik

: Reaktorsicherheit für Leistungskernkraftwerke. Die Entwicklung im politischen und technischen Umfeld der Bundesrepublik Deutschland. Berlin 2013 : Springer Gabler, ISBN 978-3-642-30654-9 XXVIII, 1.116 S., 643 Abb. € 199,95

: Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft. . München 2013 : Oekom Verlag, ISBN 978-3-86581-315-2 413 S. € 24,95

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anna Veronika Wendland, Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung, Marburg

Sicherheitsvorstellungen als Handlungsanleitungen sowie die daraus resultierenden Sicherheitspolitiken und Sicherheitsregimes sind seit längerem ein Forschungsgegenstand der Sozialwissenschaften; die Historiker nehmen sich dieser Thematik neuerdings ebenfalls an. Dabei wird auch mit dem ursprünglich aus der Politikwissenschaft stammenden Begriff der „Versicherheitlichung“ (securitization) operiert, welcher die Bewältigung von Bedrohungen und Herausforderungen durch den Prozess ihrer Sichtbarmachung und Problematisierung beschreibt.1 Die Geschichte der Kernenergienutzung in der Bundesrepublik und der aus ihr erwachsenen politischen Kontroverse ist geradezu ein Paradebeispiel eines solchen Versicherheitlichungsprozesses: Auf die ersten Wahrnehmungen technogener Gefahren einer vorher nicht gekannten Ausmaßes folgte die Problematisierung, sodann die Handhabbarmachung und Systematisierung, welche ein neues Handlungsfeld generierte. In diesem Feld wuchsen dem Staat ausgerechnet in einer Epoche neue Aufgaben zu, als globale Öl- und Umweltkrisenerfahrungen gerade dafür sorgten, ihm seine Grenzen aufzuzeigen. Doch auch nichtstaatliche Akteure – Konzerne, Ingenieure, Juristen, Wissenschaftler und schließlich die Anti-Atom-Bewegung – arbeiteten mit an der Versicherheitlichung der Kerntechnik. Freilich war dabei für die einen die Abschaffung dieser Technik das Ziel, für die anderen ihre Evolution. In Deutschland setzte sich nach Fukushima die erstgenannte Gruppe durch.

Wenige Jahre nach der historischen Entscheidung, aus der Kernenergienutzung auszusteigen, liegen nun zwei Werke vor, die eine Historisierung der (bundes-)deutschen Atomwirtschaftsgeschichte versuchen. Auf je eigene Art stellen sie das Sicherheitsdispositiv, hier jenes der Reaktorsicherheit, ins Zentrum ihrer Überlegungen. Paul Laufs’ Werk basiert auf seiner technikhistorischen Dissertation, die der promovierte Ingenieur und spätere Staatssekretär im Bundesinnenministerium 2006 an der Universität Stuttgart einreichte. Die Darstellung des Umwelthistorikers Joachim Radkau und des Physikers Lothar Hahn orientiert sich stark an Radkaus Habilitationsschrift der frühen 1980er-Jahre, die noch „Aufstieg und Krise“ der Atomwirtschaft konstatierte.2 Die Neuauflage entscheidet sich für ein Ende der Geschichte zwischen Fukuyama und Fukushima; sie unterlegt diesem Vorhaben ein der Imperiengeschichte entlehntes Narrativ – was zur Diskussion anregt, mitunter auch zum Widerspruch.

Vorwiegend wird von der Quellenbasis der Erstpublikation aus argumentiert, was bedeutet, dass der Schwerpunkt dieses Werkes auf den 1950er- bis 1970er-Jahren liegt, mit Exkursen in die spätere Zeit des „Falls“, deren Stärke in der Analyse von Genese, Verlaufsformen und Strukturen der deutschen Anti-Atom-Bewegung liegt. Sowohl die Akteure des kerntechnisch-industriell-politischen Komplexes als auch die Nichtexperten, die außerparlamentarischen und sozialen Bewegungen werden als Faktoren in der Aufstiegs- und Niedergangsgeschichte der Atomindustrie angesprochen – mit sehr unterschiedlicher Überzeugungskraft.

Das erschließt sich beim kritischen Gegenlesen mit der umfassenden Darstellung von Paul Laufs. Während Radkau / Hahn sich durch historisch tiefe Systematisierung einer hochkomplexen Materie und atomkritisch engagierte Thesenstärke auszeichnen, repräsentiert Laufs, als Staatssekretär lange Zeit selbst mit der Materie befasst, eine stocknüchterne, ingenieursmäßig-detailverliebte und in ihrer umfassenden Breite imponierende Bestandsaufnahme der kerntechnischen Entwicklung und Reaktorsicherheitsdiskussion sowie der Geschichte der kerntechnischen Regelwerke in der Bundesrepublik. Anders als Radkau / Hahn nimmt Laufs eine Kernenergie-befürwortende Position ein und versucht zu zeigen – ohne aber explizit auf Radkau einzugehen –, dass es vom „Stand der Technik“ her gesehen durchaus die Evolution gegeben hat, die Radkau / Hahn der deutschen Kerntechnik eigentlich absprechen.

Laufs enthält sich einer systematisierenden Thesenbildung – er sieht seine Aufgabe vor allem in einer möglichst erschöpfenden Beschreibung von Expertendiskussionen, deutscher und internationaler Sicherheitsforschung sowie Planungs- und Betriebserfahrung der westdeutschen Kernkraftwerke. Es handelt sich also mehr um ein Kompendium des kerntechnischen Sicherheitswissens in historischer Perspektive und bietet das Handwerkszeug, das man bräuchte, um die Thesen Radkaus / Hahns kritisch prüfen zu können. Denn die Autoren selbst liefern dieses Handwerkszeug bedauerlicherweise nicht mit. Im populärwissenschaftlichen Remake hatten weder die umfangreichen Fußnoten noch der Literaturteil des Ausgangswerkes Platz.

Stark ist die Geschichte von „Aufstieg und Fall“ vor allem bei der Analyse der Vor- und Frühgeschichte der westdeutschen Atomindustrie. Sie gibt einen Einblick in die 1950er-Jahre als Zeit der Atomeuphorie und der Machbarkeitsphantasien sowie der ersten Anti-Atom-Mobilisierung angesichts sehr konkreter deutscher Versuche, den Weg zur Bombe offenzuhalten. Und sie zeigt, wie Weichenstellungen der frühen Zeit in die, wie die Autoren meinen, technische Sackgasse der Leichtwasserreaktoren großer Leistungsklassen und entsprechend hohen Unfallrisikos und somit auch in die unerbittliche Atomkontroverse führten. Das Argument überzeugt insofern, als die Verfasser die Kommunikationsverweigerung der kerntechnischen Eliten einer zunehmend kritischen Öffentlichkeit gegenüber belegen können. Auch die Interessenkonflikte zwischen in der Kerntechnik aktiven Industriesparten einerseits (Energiewirtschaft, Chemie, Elektrotechnik), Großforschungseinrichtungen als Standorten der ersten Reaktoren sowie Regulierungs- und Beratungsorganen andererseits (Atom- und Innenministerium, Reaktorsicherheitskommission unter anderem) sind überzeugend beschrieben.

Das zentrale Argument ist hier, dass es nicht nur der öffentliche Widerstand und die Großunfälle von Tschernobyl und Fukushima waren, die der Kerntechnik hierzulande den Garaus machten, sondern auch ein Mangel an Steuerungsfähigkeit. Zunächst habe sich dieser Mangel in einer Vielzahl konkurrierender teurer Experimente in Richtung verschiedener Reaktorlinien bemerkbar gemacht, später dann in Streitigkeiten zwischen Bund- und Länderebene. Auch betreiberseitiges Obstruktionsverhalten sei der Reaktorsicherheit abträglich gewesen. Nicht vollständig zu folgen vermag die Rezensentin der These, die Reaktorsicherheitskommission (RSK) sei meist einflusslos gewesen oder sogar von den Betreibern düpiert worden. Bei der Lektüre der ausführlichen Befunde von Laufs ist zu diesem Thema anzumerken, dass die Geschichte der kerntechnischen Regelwerke und ihrer Umsetzung tatsächlich hochkomplex ist und dass zwischen gesetzlich bindenden und nichtgesetzlichen Regelungen verschiedener Herkunft unterschieden werden muss; gleichwohl gewann die RSK an Selbstbewusstsein, und ihre Empfehlungen hatten im Endeffekt Richtliniencharakter. Einer Vereinheitlichung und Strukturierung der kerntechnischen Regelwerke in den 2000er-Jahren standen, so Laufs, nicht Atomlobbyisten im Wege, sondern rot-grüne Regierungskreise, die ein solches Unternehmen als unnötig, weil unter Ausstiegsbedingungen nicht mehr zielführend abbrachen.

Radkau / Hahn konstatieren, dass der Druck der Energiewirtschaft und Elektroindustrie in Deutschland zum Pfadentscheid geführt habe, was die zwar nicht sichersten, wohl aber wirtschaftlich attraktivsten (Leichtwasser-)Reaktorkonzepte nach vorn gebracht habe, die allesamt Importe aus den USA waren und heimische Konzepte – wie den Schwerwasserreaktor – verdrängten. Alternativkonzepte, die bis auf die industrielle Ebene vordrangen, konnten entweder vom Kostenfaktor her nicht konkurrieren oder waren ohne ein größeres technisches Umfeld nicht sinnvoll.

Weiterhin führen die Verfasser aus, wo die Expertise des westdeutschen Kernenergiekomplexes versagte, was zum Niedergang der Atomwirtschaft womöglich beitrug: nämlich im Dialog mit einer durch die militärische Kerntechnik seit den 1950er-Jahren bereits sensibilisierten Öffentlichkeit. In dieses diskursive Vakuum stieß die politische Anti-Atom-Bewegung, die seit den 1970er-Jahren viele Impulse aus den USA aufnahm, aber auch die Graswurzelmobilisierung von Bauern, Winzern und Bürgermeistern, die sich zunächst gar nicht auf die Reaktorsicherheit konzentrierte, sondern auf die allgemeinen Nachteile des Baus industrieller Großanlagen in ländlichen Räumen.

Gleichwohl bleibt auch diese schlüssige Darstellung die Antwort auf die Frage schuldig, warum die größte öffentliche Durchschlagskraft der Anti-Atom-Bewegung auf (West-)Deutschland und Österreich beschränkt blieb, während Tschernobyl und Fukushima an den meisten kernenergienutzenden Gesellschaften ohne solch rapide Pfadänderungen vorübergingen, womöglich auch verstärkt durch den überlagernden Klimadiskurs, in dem ehemalige Nuklearkritiker zu Konvertiten wurden. Sicherlich sind vorschnell gefasste, die Besorgnis und Expertise der Kernenergiekritiker diffamierende und in der Atomlobby der 1970er-Jahre beliebte Sonderwegsthesen der ‚German Angst‘ nicht die Lösung dieser Frage. Gleichwohl sollte man sich bei einem globalen Einordnungsversuch zwei Fragen stellen, die in keinem der beiden besprochenen Bände aufgeworfen werden.

Erstens wäre die Transnationalität bzw. Nationalcharakteristik der Kernenergiegeschichte und der Anti-Atom-Mobilisierung zu untersuchen, was die Berücksichtigung anderer europäischer Gesellschaften impliziert und in der neuesten Forschung auch begonnen wird. So ist gerade die Post-Tschernobyl-Phase der kerntechnischen Entwicklung im Blick auf transnationale Wissenstransfers und Entstehung neuer Systeme der technischen Kooperation bedeutsam – solche Systeme haben nach Ansicht von Laufs wesentlich zur Weiterentwicklung der Reaktorsicherheit im internationalen Maßstab beigetragen. Dass Radkau / Hahn der Kerntechnik die Entwicklungsfähigkeit, die grundsätzlich jeder Technologie eigen ist, tendenziell absprechen, mag mit der Wahl der Quellen zusammenhängen. Richtig weisen sie darauf hin, dass der Entwicklungsstopp in Deutschland in besonderem Maße zu Kompetenzverlust und Nachwuchsproblemen führte, was bei der Abwicklung der kerntechnischen Anlagen nun zum Problem wird.

Radkaus / Hahns Darstellung ist eindeutig eine westdeutsche Nationalgeschichte. Die Entwicklung in der DDR wird nur kursorisch einbezogen (durch den Wiederabdruck einer früheren Rezension Radkaus), und ein anekdotischer Satz über die sowjetische Reaktorsicherheit – die uns im Tschernobyl-Kontext und im Sinne einer europäischen Verflechtungsgeschichte sehr wohl interessieren sollte – ist nicht recht ernst zu nehmen (S. 318). Das macht Co-Autor Hahn mit seinem Kurzexkurs zu Tschernobyl insofern wieder gut, als er die Offenlegung der Unfallursachen in ihrer historischen Entwicklung korrekt und verständlich darstellt und zutreffend schreibt, dass die Reaktorsicherheitsinitiativen aus der Wissenschaft und von den Praktikern in den Anlagen kamen, aber die Umsetzung dieses Wissens in Maßnahmen beim Weg durch die politischen Strukturen der sowjetischen Parteidiktatur sabotiert wurde. Dieser Befund deckt sich mit neuesten Forschungen zur osteuropäischen Kerntechnikgeschichte.3

Zweitens könnte man fragen, ob die postfaschistischen Gesellschaften in Deutschland und Österreich nicht doch zu einem besonderen Umgang mit ökologischen Fragen und großtechnischen Risiken neigten, weswegen sich selbst die prinzipiell fortschrittsgläubige und atom-affine Linke anders als in anderen Ländern diesen Gegebenheiten anpasste. In seiner umfassenden Darstellung der „Ära der Ökologie“4 thematisiert Radkau die Rolle des rechten Rands der Ökologiebewegung in der Geschichte der Atomkritik; diese wird in der hier rezensierten Darstellung der deutschen Atomkontroverse als einer Phase der „Aufklärung“ freilich nicht berücksichtigt, obwohl der rechte Rand der Bewegung heute bei der Mobilisierung in Ostdeutschland und in Österreich gegen Kernkraftwerksprojekte in Polen und Tschechien außerordentlich aktiv ist.

Die These von der vernachlässigten Reaktorsicherheitsforschung in Deutschland als wesentlichem Faktor bei der Auslösung der Kontroverse wirft weitere Fragen auf. Denn hier macht sich die Vetomacht der nicht behandelten Quellen bemerkbar, die wiederum bei Laufs ausführlich gewürdigt werden. Radkau / Hahn argumentieren, die Sicherheitsforschung habe in der Bundesrepublik ein Mauerblümchendasein geführt – die Deutschen hätten sich viel zu lange auf amerikanische Erkenntnisse verlassen, statt in eigene Forschung zu investieren. Nun ist aber die Kerntechnik an sich ein transnationales Phänomen, dem mit – hier eindeutig auf die deutsche Quellenbasis zurückgehenden – nationalen Engführungen schlecht beizukommen ist. Wenn die Leistungsreaktorkonzepte und -lizenzen aus den USA kamen, war es nur logisch, sich auch eng an der dortigen Sicherheitsforschung zu orientieren. Diese wiederum wird – mit Verweis auf das Beispiel der ersten Notkühlversuche – als zahnlos dargestellt, seien doch trotz der besorgniserregenden Resultate keine Konsequenzen im Reaktorbau gezogen worden. Dieses Urteil, wie auch andere apodiktische Aussagen von Radkau / Hahn, sind im Lichte der von Laufs dargestellten Bemühungen so nicht zu halten oder regen zumindest zu einer gründlichen Überprüfung an. Laufs bilanziert die Entwicklungen auf nationalem und internationalem Level, die Eingang in die Planung deutscher Anlagen fanden, und verweist auch auf Beispiele, wo deutsche Anlagen Vorreiterrollen in der Entwicklung von Sicherheitsregimes einnahmen, etwa bei der Entwicklung von Leittechnik für lastwechselfähige Kernkraftwerksblöcke. Ausführlich und systematisch beschreibt Laufs die Entwicklung der Kernnotkühlung (vor allem nach den von Radkau angeführten alarmierenden Ergebnissen der ersten, nicht unumstrittenen Studie), die Containmentkonzepte, die Diskussion um die Berstsicherheit von Reaktordruckbehältern und druckführenden Umschließungen sowie die umfangreichen Erträge der Materialforschung in der Kerntechnik.

Radkau / Hahn betrachten solche Entwicklungen als im Prinzip irrelevant, gehe es hier doch um Sicherheit zweiter Klasse, die „engineered safeguards“ – ein aus den USA importiertes Konzept, das Sicherheitsgewinn durch Ergänzung zusätzlicher Systeme in unsicheren Anlagen versprach, was wiederum Versagensmöglichkeiten dieser Sicherheitssysteme und schließlich auch die Gefahr der technischen Überfrachtung mit sich gebracht habe. Hier sind sich die Kritiker übrigens einig mit vielen Kernenergie-affinen Autoren, die auch die potenziell negativen Effekte zusätzlicher Sicherungen auf Handhabung, Wartung und Überprüfbarkeit der Anlagen untersuchten.

Aber anders als diese eher technologisch begründete Kritik ist die Skepsis von Radkau / Hahn grundsätzlicher: Ihr zentrales Argument lautet, dass durch diese Entwicklung die Alternativdiskussion um inhärent sichere Reaktoren abgewürgt worden sei – bzw. die Erkenntnis nicht gereift sei, dass, wenn man keine inhärent sicheren Reaktoren bauen könne, man sich von der Kerntechnik als solcher verabschieden müsse. Aus diesem prinzipiellen Grund wird auch das Konzept des „Auslegungsstörfalls“ (GAU) verworfen, der den maximal möglichen Unfall, das heißt eine Totalzerstörung der Anlage und eine sofortige Freisetzung der in ihr enthaltenen Spaltprodukte in die Umgebung, ignoriert habe, um sodann konstruierte, beherrschbare Unfallverläufe als die maximal anzunehmenden zugrundezulegen. Somit habe das Konzept der Risikoverschleierung gedient, und die jeweiligen Sicherheits-„Philosophien“ seien neuen Problemen, Unfallerfahrungen und technischen Systemen nachträglich auf den jeweiligen Leib geschneidert worden.

Auch diese Darstellung ist kritisch darauf zu befragen, ob hier nicht ein gewisser historischer Zustand statisch bis in die Jetztzeit verlängert wird, um die These des „Falls“ zu stützen. Offensichtlich sind weder die von Laufs beschriebenen Konzepte noch die neueren Entwicklungen von Druckwasserreaktoren mit ausschließlich passiven Sicherheitssystemen in diese Überlegungen mit eingeflossen – weil es keine deutschen sind? Hingegen wird das Schicksal des Thorium-Hochtemperaturreaktors, einer deutschen Reaktorlinie, die einmal als Hoffnungsträgerin der inhärenten Sicherheit angesehen wurde, zutreffend als Ergebnis einer Fehlplanung beschrieben. Der THTR-Prototyp habe in der gebauten Leistungsklasse seine Sicherheitsvorteile nicht demonstrieren können, zumal sein wichtigster ökonomischer Vorteil – die Möglichkeit der Auskopplung von Prozesswärme und der höhere Wirkungsgrad – nicht umgesetzt wurde. Interessant wäre nun, ob in einem Programm kleiner modularer Reaktoren, wie es heute in der globalen Diskussion nach dem Abrücken vom Dogma der großen Grundlastkraftwerke wieder auf der Tagesordnung steht, eine solche Linie in einem anderen technopolitischen Regime als in Deutschland womöglich eine neue Chance bekäme.

Allerdings bringen gerade die neuesten Entwicklungen in der Reaktorsicherheit ein großes Dilemma der Kerntechnikgeschichte zum Ausdruck: Werden neue Leistungsreaktoren für Kernschmelzunfälle ausgelegt und mit passiven Notkühl- und Druckentlastungseinrichtungen gebaut, so ergeben sich zwangläufig Fragen nach der Sicherheit der Altanlagen, die über diese Systeme nicht verfügen. Die Antwort wäre tatsächlich der Totalausstieg aus dem Altbestand oder aber der Totalneuaufbau eines Reaktorparks nach dem berühmten „Stand der Technik“, der kaum finanzierbar wäre und bei Bauzeiten von durchschnittlich acht Jahren mühelos überholt werden könnte; vor diesem Dilemma steht heute die französische Kernenergiewirtschaft.

Kurios, aber anzuzweifeln sind Ausführungen von Radkau / Hahn über den Charakter der Akteure in der Atomgeschichte, die als Spielertypen nicht sehr gut wegkommen, während die Lektüre von Laufs’ Buch eher den Eindruck einer Gemeinde aus abwägenden Ingenieuren vermittelt. Wiederum scheint sich die Quellenbasis der Frühzeit auf Radkaus Urteil auszuwirken – anfangs gaben Physikprofessoren den Ton an, die aber keinerlei Vorstellung von der konkreten Umsetzung der Reaktorsicherheit in Dampferzeugungssysteme, Leittechnik, Großbehälterbau und Schweißtechnologie hatten. Zutreffend ist hingegen der Hinweis Radkaus / Hahns auf die der Rezensentin aus eigener Forschungserfahrung wohlbekannte Problematik, den Enthusiasmus der Kerntechniker richtig einzuordnen und zu historisieren, statt unkritisch der Faszination zu erliegen, die von der Kerntechnik ausgeht.

Bedauerlich ist, dass ein Buch wie jenes von Radkau / Hahn, das seine Argumente sehr ausführlich auf die Historie der technischen Entwicklungspfade und Reaktortypendiskussionen stützt, seine Leser mit den im Text erwähnten technischen Sachverhalten alleine lässt. Hier hätten ein Glossar und eine zumindest schematische Darstellung der angesprochenen Anlagen weitergeholfen. Diese Anforderung wiederum erfüllt Laufs in vorbildlicher Weise: Seine Monographie ist nicht nur mit Tabellen, Diagrammen und schematischen Zeichnungen ausgerüstet, sondern auch mit einem umfangreichen Anhang und Stichwortverzeichnis – allerdings nicht mit einem Glossar, weil der Verfasser offensichtlich vor allem mit einem kundigen Ingenieurspublikum gerechnet hat.

In der Gesamtbilanz ist zu konstatieren, dass sich Laufs einer Aussage über künftige Entwicklungen vollkommen enthält, während Radkau / Hahn sich kundig, wenn auch nicht widerspruchsfrei mit „Aufstieg und Fall“ beschäftigen und den „Fall“ bereits vorweggenommen haben. Wie um dieser Teleologie noch weiteres Gewicht zu verleihen, schließen sie bestimmte Aussagen erstaunlich oft mit Ausrufezeichen. Ging da die Empörung über die Arroganz, die sie der Atomlobby zuschreiben, mit den Autoren durch?

Ob der „Fall“ so endgültig ist wie beschrieben, wird sich angesichts globaler Verflechtungen erweisen. Die Versicherheitlichung als Evolutionsmotor der Kerntechnik ist nicht vom Tisch. So wird die bundesdeutsche kerntechnische Industrie im Rahmen global agierender Konzerne durch die Abschaltung der Kernkraftwerke nicht arbeitslos, sondern verändert womöglich ihr Profil hin zur Rückbauspezialisierung; oder sie profitiert von neuen Aufträgen im europäischen Ausland. Richtig aber ist ohne Zweifel – das sieht auch Laufs so –, dass die Zeiten einer deutschen Atomwirtschaft mit kerntechnischer Energiewirtschaft, Reaktorbau, Brennstoffkreislauf und staatlich finanzierter Großforschung beendet sind – es sei denn, wir erleben noch den Ausstieg aus dem Ausstieg angesichts scheiternder Energiewende, des Klimawandels und der Umorientierungen auf dem fossilen Brennstoffmarkt im Zuge der aktuellsten politischen Verwerfungen im östlichen Europa. Zumindest auf den ersten Faktor – eine vom Scheitern bedrohte Energiewende – verweisen Radkau / Hahn anhand der Erfahrungen mit der deutschen Kerntechnik ganz ausdrücklich: Auch hier drohten administrative Fehlsteuerung, Regelungschaos und Lobbyismus unterschiedlicher industrieller Spieler in einer Überproduktion und Überteuerung von Lösungen zu enden, statt in einem integrierten Konzept.

Anmerkungen:
1 Vgl. den jüngst angelaufenen SFB / Transregio 138: Dynamiken der Sicherheit. Formen der Versicherheitlichung in historischer Perspektive, Philipps-Universität Marburg / Justus-Liebig-Universität Gießen / Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung – Institut der Leibniz-Gemeinschaft, Website: <https://www.uni-marburg.de/fb06/forschung/sfb-sicherheit> (01.10.2014). Siehe aus der bisherigen Literatur u.a. Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History 7 (2010), H. 2: Sicherheit / Security, hrsg. von Tatjana Tönsmeyer, Annette Vowinckel und Jan-Holger Kirsch, <http://www.zeithistorische-forschungen.de/2-2010> (01.10.2014).
2 Joachim Radkau, Aufstieg und Krise der deutschen Atomwirtschaft 1945–1975. Verdrängte Alternativen in der Kerntechnik und der Ursprung der nuklearen Kontroverse, Reinbek 1983.
3 Anna Veronika Wendland, Wissensformen der Kerntechnik im transnationalen Vergleich, in: Ferrum 86 (2014), S. 57–65.
4 Joachim Radkau, Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte, München 2011 (rezensiert von Melanie Arndt, in: H-Soz-u-Kult, 19.12.2011, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2011-4-202> [01.10.2014]).

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