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C. Bailey: Between Yesterday and Tomorrow

Titel
Between Yesterday and Tomorrow. German Visions of Europe, 1926–1950


Autor(en)
Bailey, Christian
Erschienen
New York 2013: Berghahn Books
Anzahl Seiten
274 S.
Preis
€ 84,20
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Vanessa Conze, Historisches Institut, Justus-Liebig-Universität Gießen

Christopher Baileys Studie über deutsche Europaideen zwischen 1926 und 1950 ist eine detailreiche, gut lesbare Arbeit über die Vielfältigkeit deutschen Europadenkens. Konzeptionell stellt der Autor die in der unmittelbaren Nachkriegszeit miteinander rivalisierenden Europakonzepte und ihre historischen Wurzeln in den Mittelpunkt, die sich nicht allein in ihrem politischen Ansatz unterschieden, sondern für unterschiedliche politisch-gesellschaftliche Ordnungsmodelle standen.

In seiner klugen, klar argumentierenden Einleitung legt Bailey großen Wert darauf, dass „Europa“ für die Deutschen in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg keine „series of negotiations by a small number of national politicans and technocrats“ (S. 3) war, sondern Teil der Zivilgesellschaft und ihrer Debatten: weit diskutiert von Intellektuellen und lobbyistisch vorangetrieben von Europaorganisationen, die als „transmission belt“ zwischen Individuen und Politik fungierten (S. 6). Dabei kann er zeigen, dass das europäische Narrativ weitaus mehr war als eine Geschichte von Demokratie und Pluralismus: Die Spannweite deutscher europäischer Ideen vor und nach 1945 reichte von ständestaatlichen, katholisch-abendländischen, mitteleuropäischen, hegemonialen, rassistischen Konzepten bis hin zu pazifistischen, liberalen und demokratischen Modellen.

Die Pluralität dieser Ideen, die die deutsche Nachkriegsgesellschaft prägte, zumindest teilweise aufzufächern, macht sich Bailey zur Aufgabe. Damit tritt die Studie, bezugnehmend auf die „Hochphase“ der Europaforschung in den späten achtziger Jahren, jenem Geschichtsbild entgegen, das wie ein „foundational myth of integration“ die Integrationsgeschichte Europas „as a linear and solely post-war process“ betrachtet (S. 2). Traditionelle (politische) Epochengrenzen zu überschreiten und ideelle, organisatorische und biographische Kontinuitäten jener Pluralität von Europakonzepten nachzuweisen, erscheinen dem Autor dabei als geeignete Mittel, um einem teleologischen Geschichtsbild vom europäischen Integrationsprozess entgegenzuarbeiten. Indem er Netzwerktheorien und jüngere Überlegungen zur Zivilgesellschaft anklingen lässt, bindet er seine Überlegungen in einen weiteren Rahmen ein. Auf diese Weise hofft er, sich „toward a new Intellectual History of European Integration“ (S. 11) bewegen zu können.

Aus der Vielzahl von Europakonzepten der Nachkriegszeit arbeitet Bailey drei Modelle heraus und untersucht sie anhand von Fallbeispielen: Eher konservative Konzepte werden repräsentiert durch den Herausgeberkreis um den Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, 1947 in der französischen Besatzungszone gegründet, in seinen Traditionen sowie inhaltlich und personell aber in die Welt der deutsch-französischen Verständigung der Zwischenkriegszeit zurückreichend. Der Internationale Sozialistische Kampfbund (ISK), eine ursprünglich in der Weimarer Republik gegründete Splittergruppe im politischen Feld zwischen SPD und KPD, steht für sozialistische Europakonzepte und ihren Einfluss auf die Europa-Politik der SPD nach 1945. Das Demokratische Deutschland, gegründet in der neutralen Schweiz während des Krieges, schließlich entwickelte föderalistische Modelle. Dessen Mitglieder hatten in der Nachkriegszeit Schlüsselstellungen in der Europabewegung, aber auch der bayerischen Landespolitik inne.

Bailey beschreibt die Vorgeschichte des „Merkurs“ als Teil des deutsch-französischen Verständigungsnetzwerks der Zwischenkriegszeit. Dabei richtet er seinen Blick vor allem auf die späteren Herausgeber, Joachim Moras und Hans Paeschke, die mit der „Europäischen Revue“ und der „Neuen Rundschau“ zwar auf eher entgegengesetzten Seiten des ideologischen Spektrums standen, doch von „rechter“ wie „linker“ Perspektive aus die Neuordnung Europas thematisierten und eine elitäre, an den demokratie-skeptischen Konzepten des „Abendlandes“ und „Mitteleuropas“ orientierte Vorstellung eines Europas der „Dritten Kraft“ entwickelten. In deutlicher Ablehnung des „Westens“ wie des „Ostens“ berief man sich hier auf die europäische Kultureinheit als Ausgangspunkt einer europäischen Einigung jenseits aller Parteipolitik.

Auch der „Internationale Sozialistische Kampfbund“ fand im Verlauf des Zweiten Weltkrieges zu einer Konzeption der „Dritten Kraft“. Diese war sozialistisch gedacht und damit anders gelagert als die Konzepte der späteren „Merkur“-Herausgeber. Zwar standen die ISK-Mitglieder, die nach dem Zweiten Weltkrieg in die SPD zurückkehrten und von denen sich einige im „Bürgermeisterflügel“ der Partei fanden, der Europapolitik Schumachers skeptisch gegenüber. Und doch übten sie mit ihren Ideen als „Vorläufer“ der Ostpolitik der sechziger Jahre erheblichen Einfluss auf die außenpolitische Ausrichtung der SPD aus.

Auch die dritte Gruppe, das „Demokratische Deutschland“, entwickelte im Exil – in der Schweiz – ihr Europakonzept, eines stark föderalistischen „Europas der Dritten Kraft“. Da dieses deutlich stärker regional orientiert war als die anderen genannten Konzepte, ermöglichte es eine Zusammenarbeit von Konservativen und Sozialdemokraten über ideologische Gräben hinweg. Diese sich anbahnende Kooperation in einem „Europe of the Regions avant la lettre“ (S. 188) sollte sich als produktiv für die Nachkriegszeit erweisen. Die Konzepte des „Demokratischen Deutschland“ fanden ihren Weg nicht nur in die föderalistische Europabewegung, sondern mit dem langjährigen Ministerpräsident von Bayern, Wilhelm Hoegner, auch in die Politik der jungen Bundesrepublik.

Obwohl diese Europamodelle in ihrer ordnungspolitischen Ausrichtung zum Teil grundsätzlich unterschieden, macht die Analyse zugleich Gemeinsamkeiten der Europa-Akteure der unmittelbaren Nachkriegszeit deutlich: Ein von den Blöcken von Ost und West unabhängiges Europa, das sich aus dem sich abzeichnenden Systemkonflikt heraushalten könne, war Wunsch und die Zielvorstellung all jener „Europäer“, die Bailey in den Blick nimmt, wenngleich hervorgegangen aus jeweils ganz unterschiedlichen Wurzeln in der Zwischenkriegszeit und den Jahren des Zweiten Weltkrieges.

Zwar gelingt es Bailey, das weite Spektrum an Europavorstellungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit offenzulegen, doch greift die Studie in manchem auch zu kurz, was nicht zuletzt der Auswahl der Untersuchungsgegenstände geschuldet ist. Wenn der Autor gegenüber dem alten „Mythos“ des Ursprungs der europäischen Integration in den Widerstandsbewegungen des Zweiten Weltkrieges den Blick weiten möchte für die Wurzeln dieser Ideen, fragt sich allerdings, warum nachgerade fahrlässig jene Wurzeln ausgeblendet werden, die eben nicht zu den „guten“ Ideen von Europa gehörten. So spielt die Frage nach der Bedeutung des „Dritten Reiches“, der nationalsozialistischen Europakonzepte und -realitäten in Baileys Studie keine Rolle. Die ideologischen Hintergründe, die verwaltungspraktischen Realitäten des „Neuen Europas“ im Zweiten Weltkrieg sowie die biographischen und strukturellen Kontinuitäten, die aus diesen Jahren in die Anfangsjahre der Europäischen Integration der fünfziger Jahre führten, bleiben – und dies ist ein deutliches Manko der Studie – komplett ausgespart.

Letztlich beschreibt Bailey Europamodelle, die vor allem in der kurzen Zeitspanne zwischen Kriegsende und dem „Ausbruch“ des Kalten Krieges virulent waren. Mit der Verschärfung der Blockkonfrontation wurde es zunehmend utopisch, von einem Europa der „Dritten Kraft“ zu träumen. Die Frage jedoch, worin die sich danach verwirklichenden Strukturen der einsetzenden West-Integration wurzelten, stellt Bailey allenfalls am Rande. Zwar bemüht er sich, das Wirken seiner Protagonisten bis in die fünfziger Jahren hinein anzudeuten, doch erscheint ihre Wendung hin zur pragmatischen Integration der kleinen Schritte letztlich als notgedrungene Akzeptanz einer durch die „große Politik“ vorgegebenen Entwicklung. Dass auch diese Entwicklung historische Wurzeln hatte, bleibt unterbelichtet.

Diese Kritik ändert nichts daran, dass die Untersuchung in weiten Strecken gewinnbringend zu lesen ist. Und auch der grundsätzliche Ansatz – die Betonung der epochenübergreifenden ideengeschichtlichen Zusammenhänge der europäischen Integration sowie der zivilgesellschaftlichen Verankerung „Europas“ – kann nach wie vor nicht genug betont werden. Zwar könnte man anmerken, dass diese Herangehensweise für Leserinnen und Leser aus dem deutschen Sprachraum nicht unbedingt neu ist, wurde hier doch die Pluralität deutscher Europaideen, die Kontinuität deutschen Europadenkens über weite Strecken des 20. Jahrhunderts oder die biographischen und organisatorischen Kontinuitäten bereits seit längerem in dieser oder ähnlicher Form diskutiert. Für den anglo-amerikanischen Sprachraum ist Christopher Baileys Studie auf jeden Fall innovativ – doch auch für den deutschen Sprachraum ist sie trotz aller Kritik ein wichtiger Beitrag zu einer erneuerten Ideengeschichte der europäischen Integration.

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